vorgestellt von... Martin Loiperdinger EI Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“. Hamburg, Wien: Europa-Vertag 2002, 381 Seiten, IN. ISBN 3-203-84 109-6, EUR 27,70 I Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere. Biographie. Berlin: Aufbau-Ver- lag 2002, 600 Seiten, Ill. ISBN 3-351-02536-X, EUR 25,00 Wie zu erwarten war, sind zum Centenarium der Filmkünstlerin neue Bücher erschie- nen. Zu den Filmen Riefenstahls gibt es unstreitig noch einiges zu erforschen: So hat sich zum Beispiel die für Ästhetik, Bildanalyse und das Verhältnis von Kunst und Macht traditionell zuständige Disziplin, nämlich die Kunstgeschichte, bisher kaum zu diesen Filmen geäußert. Außerdem sind /riumph des Willens und die beiden Olympia-Filme in den Kanon ein- gegangen und führen als Klassiker des Weltkinos in der Rezeption durch Filmhistoriker und Öffentlichkeit mittlerweile auch jenseits vom zeitgenössischen Kontext des Natio- nalsozialismus ein gewisses Eigenleben, das immer wieder zu neuen Betrachtungen herausfordern wird. Die beiden anzuzeigenden Bücher gehören indes zum biografischen Genre. Gibt es zur Person Leni Riefenstahl tatsächlich noch etwas zu vermelden? Nach den zahllosen Interviews, in denen die Künstlerin unbeirrt dieselben Legenden auftischt, nach ihren „Memoiren” (München, Hamburg 1987), nach der dreistündigen Filmbiogra- fie Die Macht der Bilder (1993, R: Ray Müller) und dem das Werk und die Person resü- mierenden Buch von Rainer Rother „Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents” {Berlin 2000) [vgl. FILMBLATT 16, S. 98 f] - ist es da noch möglich, etwas Neues zu sagen über die Künstlerin Leni Riefenstahl und ihre Beziehungen zu maßgeblichen Entscheidungsträgern des Nationalsozialismus sowie zu ihren Versuchen, das Interesse der demokratischen Öffentlichkeit an ihrer Uneinsichtigkeit für die Verbreitung ihrer autobiografischen Legenden zu nutzen? Viel Neues gibt es naheliegenderweise nicht zu berichten, dennoch ist es sehr zu be- grüßen, dass sich die beiden Autoren die Mühsal der biografischen Arbeit unterzogen haben und zwei bekannte Verlage nun Bücher vorlegen, die sich zur Indienstnahme für die zum 100. Geburtstag nun auch in Deutschland vollzogene Rehabilitation der Regis- seurin überhaupt nicht eignen. Jürgen Trimborn macht die im „Prolog“ seines Buches ausgesprochene Ankündigung, „den Menschen“ Leni Riefenstahl aufzuspüren, glücklicherweise nicht wahr, sondern widerlegt anhand von Quellen und publizierten wissenschaftlichen Forschungsarbeiten ausführlich Station für Station das verfälschte Selbstporträt, das die Künstlerin in ih- ren „Memoiren“ niedergelegt hat. Beim Lesen stören mancherlei Ungenauigkeiten bei filmgeschichtlichen Aussagen: Dziga Wertow ist nicht einfach dem Sozialistischen Realismus zuzurechnen und auch nach Riefenstahls Tag der Freiheit - Unsere Wehrmacht (1935) hat die NSDAP noch wei- tere Parteitagsfilme herstellen lassen. Irrtierend auch zahlreiche Textfehler, die bei der Endkorrektur nicht beseitigt wurden und Nachlässigkeiten beim Kenntlichmachen und Nachweisen von Aussagen, die aus 106 der Forschungsliteratur übernommen sind. Trotz dieser Mängel sind die Informationen und Aussagen zur Person Leni Riefenstahl selbst in der Regel zutreffend und wohlüber- legt, so dass der Band nicht zuletzt wegen seiner Ausführlichkeit allen Leserinnen und Lesern von Riefenstahls „Memoiren” als parallele Lektüre zu empfehlen ist. Diese Empfehlung gilt erst recht für Lutz Kinkels Buch, der eine politische Biografie der öffentlichen Person Leni Riefenstahl vorlegt. Bestens recherchiert und nachgewie- sen, bringt der Historiker Kinkel, knapp und journalistisch treffend formulierend, die Dinge zuverlässig auf den Punkt. Bisher kaum bekannte Informationen und Hinweise geben beide Autoren vor allem zur Tätigkeit des „Sonderfilmtrupps Riefenstahl” wäh- rend des Überfalls auf Polen und zur Augenzeugenschaft der Regisseurin beim Massaker von Wehrmachtssoldaten an jüdischen Zivilisten am 12. September 1939 im polnischen Konskie. Wohl aus finanziellen Gründen - es handelt sich um Arbeiten freier Publizisten und nicht um die Ergebnisse gut dotierter Forschungsprojekte - wurden amerikanische Ar- chive und die „Wiener Library“ (London) nicht konsultiert. Einige bezeichnende Einzel- heiten sind deshalb nicht bekannt, so zum Beispiel Riefenstahls Aussage gegenüber Julius Streicher, dass für den geplanten Penthesilea-Film bereits die Mitwirkung von Adolf Hitlers SS-Leibstandarte zugesagt war. Das tut der Qualität der beiden Bücher indes keinen Abbruch, kommt es doch hier im Wesentlichen auf das publizistische Zu- rechtrücken von Riefenstahls Selbstporträt an und nicht auf eine vollständige Doku- mentation sämtlicher international erreichbarer Quellenaussagen. Leni Riefenstahl ist ein einzigartiger Fall in der Filmgeschichte auch deshalb, weil sie die mit der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus beendete Zeitgenossen- schaft ihrer im Auftrag des „Führers“ gedrehten Filme um über ein halbes Jahrhundert überlebt hat und die Chance, auf die nachträgliche Bewertung dieser Filme Einfluss zu nehmen, weidlich genutzt hat. Ihre Biografie nach dem Zweiten Weltkrieg ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Faktor für die öffentliche Rezeption ihrer Parteitags- und Olym- pia-Filme. Dabei brachte sie ihre Uneinsichtigkeit immer wieder erfolgreich als auf- merksamkeitheischendes PR-Vehikel zum Einsatz. Ein nicht ganz unwichtiger Umstand findet allerdings in den beiden Büchern keine Berücksichtigung. Trotz des unzweideutigen Urteils des Bundesgerichtshofs, dass als Produzent von H- umph des Willens die NSDAP anzusehen ist, hatte die Regisseurin Erfolg mit ihren be- harrlichen Bemühungen, an der Auswertung dieses Films beteiligt zu werden. Sie ver- dient heutzutage nicht nur an den von Goebbels’ Propagandaministerium finanzierten Olympia-Filmen, sondern auch an ihrer in Zelluloid gemeißelten Huldigung des Natio- nalsozialismus. Sogar Kinovorführungen dieser Filme, für die eine sachkundige Kommentierung und Diskussionsleitung vorgesehen ist, weiß Leni Riefenstahl als anerkannte Mitinhaberin der deutschen Aufführungsrechte zu verhindern. Eine mit juristischen Kniffen konstruierte und anerkannte Rechtslage erschwert die Auseinandersetzung mit dem von Riefenstahl filmisch stilisierten und überhöhten Bild des Nationalsozialismus. 107