Julian Jochmaring Negative Ambientalität Negative Ambientalität Elemente einer Medienphilosophie des Umweltlichen Kulturverlag Kadmos Berlin Julian Jochmaring Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver - wertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2023, Kulturverlag Kadmos Berlin. Wolfram Burckhardt Alle Rechte vorbehalten Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) durch die Philosophische Fakultät der Universität Potsdam. Datum der mündlichen Prüfung: 19.06.2019. Internet: www.kulturverlag-kadmos.de Umschlaggestaltung: Constanze Vogt Umschlagmotiv: Rückansicht einer Ophioglypha,in: Jakob von Uexküll, »Studien über den Tonus II. Die Bewegungen der Schlangensterne«, in: Zeitschrift für Biologie 46, 1904, S. 1–37. Mit freundlicher Genehmigung des Uexküll-Archivs, Hamburg. Druck: Booksfactory Printed in EU ISBN 978-3-86599-519-3 Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A: Zugänge zur Medialität des Umweltlichen 1. Konjunkturen des Umweltlichen – Transformationen des Medialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.1 Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes . . . . . . . . 33 1.1.1 Schmuggel und Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.1.2 Verlust und Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.2 Ökologien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.2.1 Eintritt in das ökologische Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.2.2 Enttrivialisierung: Umweltlichkeit diesseits oder jenseits der Netzwerke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1.3 Into Darkness. Die relationsskeptische Alternative. . . . . . . . 78 2. Uexkülls Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.1 Denkstil Ganzheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.2 Die Entdeckung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.3 Strukturmomente der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2.3.1 Strukturmoment I: Possessivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2.3.2 Strukturmoment II: Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2.4 Biopolitik der Umwelt: Das Immunisierungsparadigma. . . . 115 2.5 Sprungrichtungsentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2.5.1 Uexküll in der Philosophischen Anthropologie . . . . . . . . . . . 121 2.5.2 Uexküll als Protokybernetiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2.5.3 Uexküll und spekulative Realismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B: Konturen negativer Ambientalität 1. Über Uexküll I: Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1.1 Im Hörsaal sein, in der Werkstatt sein. Die Umweltlichkeit des Daseins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1.1.1 Umweltlichkeit als Ausgang aus der theoretischen Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1.1.2 Vom Leben zum Dasein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1.1.3 Unzuhandenheit oder: meldet sich in der Störung schon die Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1.2 Arm sein oder offen sein? Die Frage der Mensch-Tier-Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1.3 Am Bahnhof sein. Die Suspension der Als-Struktur . . . . . . . 173 1.4 Im Labor sein: negative Ambientalität I (Heidegger mit Agamben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1.4.1 Offenheit im / als Entzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1.4.2 Tiefe Benommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Über Uexküll II: Merleau-Ponty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2.1 Vor offenen Horizonten: Verhalten und Wahrnehmung. . . . 199 2.2 Verhalten: Struktur, Gestalt, Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2.3 Statische oder dynamische Umweltlichkeit? . . . . . . . . . . . . . 212 2.4 Probleme der Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2.5 Das barbarische Prinzip: Uexküll ohne Uexküll . . . . . . . . . . 228 2.6 Von der Umwelt zum Fleisch: negative Ambientalität II . . . 241 3. Grundlose Gründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3.1 (Ab-)Grund der Möglichkeit: Heideggers Lichtung . . . . . . . . 258 3.2 Gründungsfatalität. (Nicht nur) ein Exkurs . . . . . . . . . . . . . . 266 3.3 Das Vergessen der Luft: Heidegger mit Irigaray . . . . . . . . . . 276 3.3.1 Von der Lichtung zur Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.3.2 Ek-stasis ohne Exzeptionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3.4 Material(ität) des Umgebenden: negative Ambientalität III . 284 3.4.3 Flows, Wirkmächtigkeit, bedingter Vollzug (Ingold, Barad) 285 3.4.1 Materialität und Re-Essentialisierung (Irigaray, Butler) . . . . 289 3.4.2 Für eine negativ-differenzielle Hylemorphismus-Kritik . . . . 294 3.5 Ausblick: Negative Ambientalität und / als affirmative Biopolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Dank Dieses Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung einer Dissertation dar, die im Juni 2019 von der Philosophischen Fakultät der Universität Pots- dam angenommen wurde. Mein herzlichster Dank gilt meinen Betreuern Winfried Gerling und Dieter Mersch für ihre Unterstützung, ihre Neugier, ihre konzentrierte und konstruktive Kritik und ihren Rat, ohne die dieses Projekt nicht hätte fertiggestellt werden können. Marie-Luise Angerer danke ich für ihre Bereitschaft zur Übernahme des weiteren Gutachtens. Für Hinweise, Zweifel, Skepsis, Neugier bei Diskussionen und Lektüre danke ich Martin Beck, Bernd Bösel, Jan Distelmeyer, Birgit Schneider, Hans Kannewitz, Naomie Gramlich, Felix Lüttge, Michael Mayer, Nisaar Ulama, Martin Siegler, Leander Scholz und Florian Sprenger. Lorenz Engell, Christiane Voss und Katerina Krtilova danke ich für die Möglichkeit, an den Kolloquien des Kompetenzzentrum Medienanthropologie in Weimar als Gast teilzunehmen. Die Dissertation wurde finanziell durch Stipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam und des ZeM – Brandenburgisches Zentrum für Medienwis- senschaften gefördert. Einleitung Seit Kopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins x. Friedrich Nietzsche […] schmückt jedes der Kapitel […] mit einem Motto, und wie immer sind es schwere Worte berühmter Männer. Hannelore Schlaffer Alles beginnt mit einem Unfall. Am späten Abend des 18. Januar 1975 ist der Musiker und Kompo nist Brian Eno auf dem Rückweg von einer Aufnahmesession im Londoner Basing Street Studio. Zwar registriert er noch das Taxi in seinem Rücken, das sich ihm mit überhöhter Geschwin- digkeit auf der Harrow Road unweit seiner Wohnung im Stadtteil Maida Vale nähert – doch für ein retten des Ausweichmanöver ist es da bereits zu spät. Der Wagen streift Eno am Bein, er fällt und schlägt mit dem Kopf gegen ein am Straßenrand parkendes Auto. Blutüberströmt wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Die Verletzungen stellen sich zwar als weniger ernst als zunächst angenommen her aus, eine längere Bettruhe ist aber nicht zu vermeiden. Seine Freundin, die Musikerin Judy Nylon, bringt ihm eine LP mit Harfenmusik aus dem 18. Jahrhundert ans Krankenbett. Eno schafft es gera de noch, die Platte aufzulegen und den Tonabnehmer zu senken, bevor er erschöpft zurück ins Bett sinkt. Erst dann bemerkt er die zu niedrig eingestellte Lautstärke und den defekten Stereoka nal der Anlage im Krankenzimmer. Vor Erschöpfung nicht mehr in der Lage, die dysfunktionale Abspielsituation zu beheben, findet Eno plötzlich Gefallen an der Art und Weise, wie sich die ab gemilderten Harfenklänge mit den Umgebungsgeräuschen vermischen, wie sie sich dezent im Hintergrund halten, ohne ganz darin zu verschwinden. Das unkonventionelle Hörerlebnis – Mu sik, die ähnlich wie Licht, Schatten, Gerüche, Vogelgezwitscher und das Geräusch fallender Re gentropfen zum beiläufig wahrgenommenen, selbstverständlichen Teil einer Um- gebung wird – dient dem wiedergenesenen Eno als Inspiration, selbst Musik zu produzieren, die sich für ein sol ches Hören am unteren Rand der Aufmerksamkeitsschwelle besonders eignet.1 1 Vgl. David Toop, Ocean of sound. Aether talk, ambient sound and imaginary worlds, London 1995, S. 139 f. 10 Einleitung Stellt das noch im selben Jahr erscheinende Album Discreet Music einen ersten Schritt dar auf dem Weg zu einer solchen Peripherie-Musik in der ausdrücklichen Tradition von Erik Saties Musique d’ameublement, so kommt das Konzept 1978 mit Ambient 1 (Music for Airports) zu seinem Durch bruch. War die Musik selbst – die Flächensounds von Synthesi- zern wie dem Arp 2600 oder dem Korg Micro Preset, elektrisches Piano, die Produktionsweise übereinander geschichteter Tape loops – zur Zeit ihrer Veröffentlichung kaum mehr einzigartig und ästhetisch radikal, so lässt sich die kanonische musik- und kulturhistorische Bedeutung von Ambient 1 wohl wesentlich auf die klar und eindrücklich von Eno selbst verfassten Liner Notes zurückführen. »Ambient Music«, so ist auf der Innenhülle der LP zu lesen, sei Musik, die selbst als »ambience«, »at- mosphere« oder »surrounding influence« funktioniere. Im Gegensatz zur besonders in Kaufhäusern schon seit den 1950er-Jahren eingesetzten »Muzak« solle sie nicht die restlichen Umgebungsgeräusche übertün- chen und ein anästhesiertes, kaufstimulierendes Ambiente erzeugen, sondern die Sensibilität ge genüber dem Umgebenden verfeinern, »to ›brighten‹ the environment by adding stimulus to it […] to induce calm and a space to think. Ambient Music must be able to accomodate many levels of lis tening attention without enforcing one in particular; it must be as ignorable as it is interesting.«2 Ob man das von Eno geschilderte ästhetische Erweckungserlebnis im Krankenhaus für einen nachträglich verdichtend-verklärten Ursprungs- und Gründungsmythos hält oder nicht – die Ein ordnung von Ambient Music als Nachhut ästhetischer Praktiken der westlichen Neoavantgarde und ihrer Faszination für Zufälle, restriktive Handlungssituationen, ein- geschränkte Autor_in nenschaft, den Einbezug des umgebenden Raums sowie die Auflösung der Hierarchie zwischen to nalen und atonalen Klän- gen ist ebenso stimmig wie offensichtlich. Die Situation, durch die das Konzept der »Ambient Music« inspiriert ist, ist dabei von Gewohnheit und Vertrautheit ebenso geprägt wie von der Fremdheit des Krankenhaus- Ambientes, von körperlichem Unvermögen eben so wie von einer gerade dadurch erhöhten Wahrnehmungssensibilität, von den medientechni schen Möglichkeiten ihrer Zeit ebenso wie von den Momenten, in denen diese nicht mehr unauff ällig ihren Dienst verrichtet. Die Geburt des Ambi- ent aus dem Geist der Schwäche, aus einem nicht restlos verfügenden Bezug zum Umgebenden, aus einer Passivität, von der aus überhaupt erst Möglichkeiten einer anderen, veränderten Wahrnehmung und ei- 2 Brian Eno, »Ambient Music« (Liner Notes to Ambient 1: Music for Airports), E. G. Records, 1978. Einleitung 11 ner Verände rung des Wahrgenommenen entstehen, verweist auf eine Konstellation, die Kreativität und Inspi ration, technische und natürliche Handlungsmächte, Aktivität und Passivität umfasst und sich doch auf keinen dieser Aspekte allein zurückführen lässt. Doch zunächst ein Szenenwechsel: Boston in den USA, 1997 – zwei Männer mittleren Alters stehen am Ufer des Charles River, im Hinter- grund ist die Skyline der Stadt mit dem John Hancock Tower und dem Prudential Tower zu sehen. Eine Stimme aus dem Off unterscheidet zwei Formen der In formationsentnahme aus der Umgebung – eine fokale, auf ein Aufmerksamkeitszentrum gerichte te, und eine periphere, beiläufige Sensibilität für »ambient sources« wie Geräusche, Lichtverhält nisse oder Temperatur. Nach einem Schnitt sehen wir einen der beiden Männer, Hi- roshi Ishii, Lei ter der »Tangible Media Group« am Massachusetts Institute for Technology (MIT) bei der Verwen dung eines Personal Computers: die klassische Anordnung aus einem Bildschirm mit Graphical User Interface (GUI), Mouse und Tastatur, so heißt es in dem Präsentationsvideo, sei eine Aktivi tät, die gerichtete, zentrierte Aufmerksamkeit erfordere. Eine mögliche Alternative wird am MIT in Form eines Prototyps des ambien- tRoom vorgestellt: Dabei handelt es sich auf den ersten Blick um einen gewöhnlichen Büroraum, in dem aber sensorisch erfasste Informationen durch mit diesen Sensoren vernetzte »Ambient Media« in Form von »subtle cues« (Geräuschen, Licht- und Be wegungsprojektionen, Luftzug) dargestellt werden. Den User_innen des ambientRoom soll so die bei- läufige Kontrolle von Parametern ermöglicht werden, deren fokussierte Erfassung während der Arbeit am PC nicht möglich ist. Exemplarisch wird ein an die Decke des Raums projiziertes, an Kräuselungen auf einer Wasseroberfläche erinnerndes Lichtspiel (»water ripplings«) gezeigt, dessen Ausbreitungsfrequenz in Abhängigkeit von der Frequenz der Radumdrehungen des labo reigenen Hamsters im Käfig variiert.3 Das Ambient-Media-Projekt kann als eine der ersten Umsetzungen der unter der Leitung von Mark Weiser am Xerox PARC entwickelten Vorstellung von »Ubiquitous Computing« gelten. Die Agenda des Pro- gramms kommt in Weisers vielzitierter Aussage »The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguis hable from it«4 zum 3 Vgl. Hiroshi Ishii u. a., »ambientROOM: Integrating Ambient Media with Architectural Space«, in: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, 1998, S. 173−174. Präsentationsvideo online: Tangible Media Group, »ambientROOM 1997«, https://vimeo.com/48815734, Stand 27.9.2020. 4 Mark Weiser, »The Computer for the 21st Century«, in: Scientific American, 265, 3, S. 94−104, hier S. 94. 12 Einleitung Ausdruck: Digitale Technologie soll derart in die Umgebung und das »Gewe be« alltäglicher Handlungen integriert werden, dass sie nahtlos mit dieser verschmilzt. Was bei Weiser wie auch in dem MIT-Projekt noch als optimistische Zukunftsvision und programmatische Skizze künftiger Forschung im Bereich der Human-Computer-Interaction (HCI) diente, erscheint aus heutiger Perspektive einerseits fast übererfüllt – denn nicht nur die allgegenwärtigen Smart phones, auch Autos, Kleidung oder Haus- haltsgeräte kommen heute in der Regel mit Sensoren auf dem Markt, die verschiedenste Parameter ihrer Umgebung, wie geographische Position, Tempera tur oder Luftdruck zu erfassen in der Lage sind. Andererseits erscheint es aber auch naiv, denn keineswegs fin det diese Datenerfas- sung allein in informationsökonomisch effizienten und multisensoriell an sprechenden Umgebungen statt, die im Sinne einer bewussten Nut- zungsentscheidung aufgesucht werden könnten. Eher geschieht die Spei- cherung, Übertragung und Verarbeitung sensorisch er fasster Information überhaupt nicht mehr primär für und durch menschliche, sondern für und durch andere künstliche, algorithmische Erfassungsvermögen, wie umgekehrt schon beim bloßen Aufenthalt in einem öffentlichen Raum, etwa beim eiligen, beiläufigen Durchqueren einer Bahnhofshalle Sens- ordaten zu Überwachungszwecken erhoben werden. Dritte und letzte Szene: Das KW Institute For Contemporary Art in der Berliner Auguststraße im Sommer 2013. Reparatur. 5 Akte lautet der Titel der Einzelausstellung des französisch-marokkani schen Foto-, Installations- und Videokünstlers Kader Attia. Auf einem Bildschirm, etwas unscheinbar in einer Ecke des Galeriebaus in einer ehemaligen Margarinefabrik platziert, ist ein Ausschnitt aus David Attenboroughs TV-Tierdokumentationsserie Life of Birds (BBC, 1998) zu se hen. Ein aus- tralischer Leierschwanzvogel führt seinen Balzgesang vor. Als begnadeter Imititati onskünstler ist der Leierschwanzvogel in der Lage, die Gesänge anderer Vögel in seiner Umwelt zu imitieren. Woher aber kommen das Klicken eines Fotoapparats, die Alarmsirene eines Autos, das stotternde Anlassgeräusch einer Motorsäge, die plötzlich zu hören sind? Attenbo- roughs Kommen tar lässt keinen Zweifel: Der Leierschwanzvogel selbst ist »Urheber« dieser Geräusche. Sein mime tisches Vermögen erstreckt sich nicht nur auf die Nachbildung seiner natürlichen Umgebung, son- dern durchquert die Grenzen von Natur und Kultur, menschlichem und nichtmenschlichem Le bensraum.5 5 Kader Attia, »Mimesis as Resistance«, 2013 (Ton, Video, 02:23 min). Ausschnitt unter: https://vimeo.com/69424732, Stand: 27.9.2020. Einleitung 13 Geradezu emblematisch können die drei Einstiegsszenen für die vielfältigen Zusammenhänge von »Medien« und »Umwelt« stehen, die die Medienwissenschaft und verwandte Disziplinen in den vergangenen Jahren zunehmend beschäftigten. Erstens ist, wie im Falle Enos, ein ge- steigertes In teresse zu beobachten an einer einerseits phänomenologisch relevanten Umweltbedingtheit der Wahrnehmung wie andererseits an künstlerischen und gestalterischen Praktiken, die selbst ästhe tisch in bereits bestehende Umgebungen intervenieren, um deren atmosphärische Wirkungen und praktische Nutzungsmöglichkeiten zu verändern bzw. diese Umgebungen überhaupt erst erzeu gen. Eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Einbindung in das Umgebende ist zweitens aktuell beson ders bei der Gestaltung technischer Geräte und Arrangements im Bereich computerbasierter Medi en, im Feld des sogenannten Interaction Designs, virulent. Diese stehen in der Tradition von Ent wicklungen im Bereich der gestalterisch-funktionalen Künste, die Peter Sloterdijk – neben dezen trierter, »terroristischer« Kriegsfüh- rung und der Ökologie als wissenschaftlich-politischem Diskurs – als eines von drei Paradigmen seiner kulturanthropologischen These von einer die conditio hu mana seit Beginn des 20. Jahrhunderts prägenden »Atmosphären-Explikation« bestimmt hat.6 Drittens sehen sich angesichts einer globalen, zum Dauerzustand ge- wordenen ökologischen Krise, angesichts von Klimawandel, der Reduktion der Artenvielfalt, dem Versiegen fossiler Energieträ ger und einer (gen-) 6 Vgl. Peter Sloterdijk, Luftbeben. An den Quellen des Terrors, Frankfurt / M. 2002. Sloterdijks These nimmt ihren Ausgang bei der Beobachtung, dass zuvor dem gestaltenden Eingriff des Menschen als Atmosphäre, Klima, Ambiente oder Hintergrund schlicht unverfügbare Bedingungen nun zum Gegenstand technischer Beherrschung und damit potentiell künstlich herstell- und manipulierbar geworden seien. Unter Terrorismus fasst Sloterdijk all jene mili- tärischen und paramilitärischen Strategien, die dem Feind nicht durch einen direkten Angriff auf dessen Körper zu schaden versuchen, sondern dessen Lebensbedingungen selbst, seine Umwelt fokussieren, wie etwa der Einsatz von Gas. Mit dieser kriegerischen korrespondiere eine therapeutische Dimension im zivilen Bereich: die artifizielle Regulation klimatischer Lebensbedingungen wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur, aber auch die Erzeugung atmo- sphärisch gestimmter Räume in Kaufhäusern, Hotels oder Wohnhäusern als Versuche der (Wieder-) Einrichtung lebbarer Situationen nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Dabei rücken Hintergrundbedingungen – anders als Sloterdijk suggeriert – nicht einfach als ein zuvor Verborgenes in den Vordergrund. Präziser gefasst bedeutet Hintergrundexplikation, dass jene impliziten und peripheren Faktoren gerade in ihrer Funktion als Hintergrund zum Gegenstand von Wissensformen und Praktiken werden, die genau diese prekäre und subtile Präsenz, den Hintergrund in seiner abwesenden Anwesenheit fortwährend produzieren und immer wieder neu in Stellung zu bringen versuchen. Durch Umgebungen wird dabei ein Wissen um diese Praktiken hervorgebracht, wie Umgebungen selbst Gegenstand eines bestimmen Wissens – einer »Epistemologie des Umgebens«-werden, bei dem der technische Eingriff nicht erst nachträglich hinzutritt, sondern im ökologischen Wissen bereits angelegt ist (vgl. dazu Florian Sprenger, Epistemologien des Umgebens. Zur Geschichte, Ökologie und Biopolitik künstlicher environments, Bielefeld 2019). 14 Einleitung technisch nicht mehr nur veränderbaren, sondern (re-)produzierbaren »Natur« auch die Geistes- und Kulturwissenschaften aufgerufen, sowohl aktiv in Debatten um das sich verändernde Verhältnis des Menschen zur Natur einzugreifen und neue erkenntnistheoreti sche wie ontologische Begriffe zur Beschreibung und (Neu-)Gestaltung dieses Verhältnisses zu entwerfen, als auch deren historischen Wandel dieser Begriffe im Lichte der ökologischen Krisen der Gegenwart neu zu bestimmen. Zu einem wissenschaftspolitischen Leitkonzept hat sich dabei insbesondere der im Jahr 2000 durch den Atmosphärenchemiker Paul Crutzen popularisierte Begriff des »Anthropozän« entwickelt. Die Rede von einem Anthropozän geht von der Beobachtung aus, dass anthropogene Emissionen in der Erdatmosphäre seit etwa 200 bis 300 Jahren in einem derartigen Aus- maß nachweisbar sind, dass vom Eintritt in eine neue geohistorische Epoche – in der Nachfolge des Holozän – auszugehen sei. Als attraktiv erweist sich das Konzept nicht zuletzt wegen seiner weit über disziplinäre Grenzen hinausgreifenden Anschlussfähigkeit, die weder eine Trennung von soziokulturellen und natürlichen Prozessen, noch von Geistes- und Naturwissenschaften mehr angemessen erscheinen lässt.7 Wird mit dem Epochenbegriff des Anthropozäns noch latent eine Ausnahmestellung des ἄνθρωπος (anthropos) behauptet – wenn auch mit negativem Akzent, als verursachende, zerstöre rische und daher zur Ver- antwortung zu ziehende Kraft – so lassen sich viertens diese Verantwor- tung und die daraus folgenden Konsequenzen nicht getrennt betrachten 7 Vgl. Paul Crutzen, Eugene Stoermer, »The Anthropocene«, in: Global Change Newsletter, 41, 1, 2000, S. 17−18. Vgl. zur Übersicht der Debatten um das Anthropozän Jürgen Renn, Bernd Scherer (Hg.), Das Anthropozän. Zum Stand der Dinge, Berlin 2015. Besonders aus der Perspektive feministischer Wissenschaftsforschung sowie postkolonialer Theorie ist Kritik am impliziten Universalismus des Anthropozän-Begriffs erhoben worden. So bezeichnet Donna Haraway das Anthropozän als technokratisch-ökonomischen Diskurs, der von der Figur des Menschen im Zentrum ausgehe. Noch mit dem darüber hinausgehenden Konzept des »Capitalocene«, das den anthropogenen Klimawandel zuallererst als Effekt kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnun gen und ihrem Bedürfnis nach Ausbeutung natürlicher Ressourcen versteht, erscheint ihr zu sehr einem humanistischen Marxis mus verhaftet und daher als Alternativmodell ungeeignet. Dagegen entwickelt Ha- raway den Begriff des »Chthulucene«, ein Kom positum der griechischen Begriffe khthōn, (Erde), mit dem das morastige, erdhafte, chaotische nichtmenschlicher sowie der damit un trennbar verschränkten, mit und in diesen verfangenen menschlichen Seinsweisen gemeint ist, sowie kairos, das Jetzt im Sinne ei nes dichten, Vergangenheit und Zukunft amalgamierenden Potentials (vgl. Donna J. Haraway, Staying with the trouble. Making Kin in the Chthulucene, Durham, NC, London 2016, bes. S. 30−57). Vgl. kritisch aus post- kolonialer Sicht zum dominanten Narrativ einer vom Klimawandel unterschiedslos als gesamte Spezies betroffenen Menschheit Dipesh Chakrabarty, »The Climate of History. Four Theses«, in: Critical Inquiry, 35, 2, 2009, S. 197−222. Chakrabarty weist besonders auf die enge Verbindung von sozialer und ö konomischer Marginalisierung einerseits und der Betroffenheit von Effekten des Klimawandels (z. B. Wassermangel, Erderwär mung) andererseits hin. Einleitung 15 von einer in die umge kehrte Richtung weisenden Infragestellung dieser Position: Es ist das Verhältnis des Menschen zu den nichtmenschlichen, insbesondere tierischen Lebewesen wie zum tierischen Anteil im Menschen selbst. Sind auch Menschen von ökologischen Krisen als Lebewesen in ihrer prekären Lebendigkeit betroffen, so ist ihre Differenz zu anderen Lebewesen ebenso revisionsbedürftig wie bestimmte überlieferte Vor- stellungen von nichtmenschlichen Lebewesen: Unbestreitbar ist etwa der Leierschwanzvogel mehr als eine Maschine, die in mechanisch exakt festleg- und vorhersehba rer Weise auf einen Input von Außen reagiert. Wird er damit umgekehrt aber zu einem souverän handelnden Subjekt in einer ihm vertrauten Umwelt? Wie ist diese Art von »Handlung« des Vogels zu beschreiben – im Register menschlicher Handlungen –, als Aneignung, Mimesis, Widerstand? Von welcher Art ist der Bezug des Vogels zum Umgebenden? Welcher Umweltbegriff ist zu entwi ckeln, wenn die Umwelt des Leierschwanzvogels nicht mehr als eine natürliche zu verstehen ist? Hatte Ernst Haeckel 1866 die biologische Untersuchung der Beziehungen von Organismen zu ihren natürlichen Umgebungen als »Ökologie«, als Lehre vom οἶκος (oikos), vom Haus und der Art und Weise des Wohnens oder Aufenthalts der Lebewesen, zu begründen und definieren ver sucht8, so nehmen aktuelle philosophische, soziologische, medientheoretische und ethisch-poli tisch motivierte Ökologiekonzepte gerade Anstoß an der Reduktion des Ökologischen auf das Na türliche. Timothy Morton etwa plädiert für eine »Ökologie ohne Natur« (»Ecology without Nature«), doch hebt er damit weniger auf die Nicht-Natürlichkeit jeglichen ökologischen Wissens ab, das niemals allein natürlich sein kann, weil dabei immer schon kulturelle Komponenten, insbesondere (medi en-) technische Komponenten wie Karten, Diagramme, Aufzeichnungs- und Beobachtungsinstru mente beteiligt sind. Vielmehr stellt Morton die Grundvorstellung von Natur als solcher zur Diskussion. Die moderne Idee von Natur als rein und heilsam, als zu bewahrender Rückzugsort, läge nicht nur den besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesellschaftspolitisch immer bedeutender werdenden Ökologiebewegun- gen zu Grunde, sondern finde sich schon in der romantischen Natur- dichtung um 1800. Sie sei daher nur die Kehrseite der Vorstellung einer 8 »Unter Oekologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ›Existenz- Bedingungen‹ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur« (Ernst Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organi- schen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte Descendenz-Theorie, Band 2, Berlin, 1866, S. 286). 16 Einleitung restlos domestizierbaren wie zu domestizierenden Natur als Leitbild der zeitgleich einsetzenden Industrialisierung. Beide aber, Romantik wie In- dustrialisierung, gründeten damit auf dem gleichen Dualismus und dem gleichen Identitätsdenken, das vorgibt, Natur von Kultur sauber trennen zu können und erstere entweder im Modus der Bewahrung oder aber im Modus der Verfügung – beide Male aber in methodisch hinreichender Distanz zu sich selbst – in den Blick nehmen kann. Für einen Begriff von Umwelt, der der ethisch-politischen Tragweite ökologischen Denkens angemessen ist, müsse man dagegen Abstand nehmen von Motiven wie Geschlossenheit, Unschuld und Reinheit.9 Von Ökologie in diesem Sinne zu sprechen, bedeutet dann Einspruch zu erheben gegen die moderne Illusion ontologischer »Reinigungspraktiken«10, denen es immer nur nachträglich gelingt, die naturkulturelle Hybridität von Phänomenen in die sauber voneinander getrennten Schubladen von Natur oder Kultur einzusortieren; bedeutet zudem davon auszugehen, dass eine ethisch- politische Perspektive immer selbst als an eine bestimmte Umgebung gebunde ne, situierte Praxis zu verstehen ist.11 Nach Erich Hörl, dessen Arbeiten besonders in der deutschsprachigen Medienwissenschaft in den vergangenen Jahren vermehrt rezipiert worden sind, müsse Ökologie heute ebenfalls im Gegensatz zu ihrer lebenswis- senschaftlichen Herkunft als allgemeine, nichtbeschränkte Ökologie verstanden werden, als ein Paradigma, das »unsere ontoepistemologische Verfassung in ihrer Gesamtheit be trifft und als eine der, wenn nicht sogar die wesentlichste Veränderung der theoretischen Einstel lung seit Beginn der Neuzeit begriffen werden muss«.12 So wenig es im Diskurs um nicht-natürliche Ökologien am (Sebst-) Bewusstsein für die Relevanz der eigenen Theorieangebote und an pointierten Formulierungen wie etwa Bruno Latours »To mo dernise or to ecologise«13 mangelt, so wenig Mut zur Übertreibung bedarf es daher, »Ökologie« heute als das umfassende Denkmodell zu bezeichnen, das alle modernen dualistischen Onto-Epis temologien und die mit ihnen 9 Timothy Morton, Ökologie ohne Natur. Eine neue Sicht der Umwelt, Berlin 2016. 10 Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen.Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt / M.1998, S. 19. 11 Isabelle Stengers, »Introductory Notes on an Ecology of Practices«, in: Cultural Studies Review, 11, 1, 2005, S. 183−196. 12 Erich Hörl, »Die environmentalitäre Situation. Überlegungen zum Umweltlich-Werden von Denken, Macht und Kapital«, in: Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie, 4, 1, 2018, S. 221−250, hier S. 221. Vgl. auch Erich Hörl (Hg.), General Ecology. The New Ecological Paradigm, London 2017. 13 Bruno Latour, Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie, Frankfurt / M. 2001, S. 237 f. Einleitung 17 überlieferten Gegensätze wie Natur und Kultur, Aktivität und Passi vität oder Geist und Materie zu unterlaufen verspricht. An dieses Versprechen schließen in den Geistes- und Kulturwissenschaften gegenwärtig eine Vielzahl historisch oder gegenwartsdia gnostisch spezifischer justierter Fallstudien an. Auch die Eingangsbeispiele böten sich als Aus gangsmaterial für lohnenswerte kunst-, medien-, musik-, design- oder architekturhisto- rische Ar beiten an, die wiederum unzählige Abzweigungen und Exkurse in aktuelle Theoriediskurse ein schlagen könnten. Ansätze dazu sind in den vergangenen Jahren bereits unternom- men worden – ob verdichtet und skizzenartig in Aufsätzen, in Form von überblicksartig neue Forschungsfelder erschließender An thologien oder in Monographien. So ist anschließend an Enos Ambient-Begriff die Bedeutung von Ästhetiken des Hintergrunds für künstlerische und gestalterische Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts untersucht worden.14 Zu Ubiquitous Computing, Ambient Intelligence bzw. dem In ternet der Dinge liegen medienwissenschaftliche Forschungen ge- bündelt in ersten umfassenden Sammelbänden ebenso wie in ersten Einzelstudien vor.15 Bis heute einschlägig und noch immer instruktiv mit Blick auf die dort aufgeworfenen medienästhetischen Fragen nach einer genea logischen Einbettung des digitalen »Erweiterten Raums« in den Kontext von Minimal Art, Muse umsarchitektur und Interior Design ist Lev Manovichs bereits 2002 erschienener Aufsatz »The Poe tics of Augmented Space«16, während andere Ansätze der Verknüpfung ökolo- gischer und medientechnischer Fragen weniger die Gestaltung und den Gebrauch sinnlich erfahrbarer Umgebungen thematisieren, sondern die Materialität digitaler Devices und Infrastrukturen von einer ihrer Kehr- seiten aus in den Blick rücken: ihrer in immer kürzeren Zeitspannen 14 Vgl. Ulrik Schmidt, »Ambience and Ubiquity«, in: Ulrik Ekman (Hg.), Throughout. Art and Culture Emerging with Ubiquitous Computing, Cambridge, MA 2013, S. 175−188. Sabine Gebhardt Fink, Process – Embodiment – Site. Ambient in der Kunst der Gegenwart, Wien, 2012. Jens Schröter, Gregor Schwering, Dominik Maeder, Till A. Heilmann (Hg.), Ambient. Ästhetik des Hintergrunds, Wiesbaden 2018. Dieser Sammelband enthält neben Untersuchungen zu den historischen und ästhetischen Kontexten der Ambient-Musik Überlegungen zur Übertragbarkeit des Konzepts auf so heterogene Felder wie Literatur, Film, Computergrafik, Flugzeugkabinen oder Meditationspraktiken. 15 Vgl. Ulrik Ekman (Hg.), Throughout. Art and Culture Emerging with Ubiquitous Computing, Cambridge, MA 2013. Florian Sprenger, Christoph Engemann, »Im Netz der Dinge. Zur Einleitung«, in: dies. (Hg.), Internet der Dinge. Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt, Bielefeld 2015, S. 7−58. Mark B. N. Hansen, Feed Forward: On the Future of Twenty-First Century Media, Chicago, IL 2015. Jennifer Gabrys, Jennifer, Program Earth. Environmental Sensing Technology and the Making of a Computational Planet, Minneapolis, MN 2016. 16 Vgl. Lev Manovich, »Die Poetik des Erweiterten Raumes: von Prada lernen«, in: ders., Black Box – White Cube, Berlin 2005, S. 105−143. 18 Einleitung eintretenden Obsoleszenz und Degradierung zu »Elektroschrott« sowie dessen Auswirkungen auf Ökosysteme.17 Darüber hinaus ist der Einfluss ökologischer Konzepte auf künstleri- sche Praktiken wie Environ mental Art, Installationskunst, Land Art und Performance sowohl in historischer Perspektive als auch mit Blick auf die Gegenwart untersucht worden18, ebenso wie die Konsequenzen anderer, nicht-mehr-anthropozentrischer Ökologien für die anthropologische Diffe- renz, für das Verhältnis von Mensch und Tier. Die Mensch-Tier-Differenz hat sich dabei in den vergangenen Jahren zu ei ner Art Leitdifferenz für die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur herauskristallisiert. Diese Vorrangstellung meint jedoch keine hierarchisch gedachte Dominanz über andere Differenzen, sondern hebt eher auf die Rolle gerade dieses Verhältnisses als methodisch besonders geeignetem Blickpunkt ab, von dem aus sich weitere Aspekte der Natur-Kultur-Unterscheidung wie die Ge schlechterdifferenz, die koloniale Prägung der Kategorien abendlän- dischen Denkens oder die kul turtechnische Bedingtheit des Menschen auffächern lassen.19 Demgegenüber setzt das vorliegende Vorhaben einer Medienphiloso- phie des Umweltlichen mit der Hypothese an, dass die Konjunkturen des Ökologischen in Medien-, Kultur- und Kunstwissen schaft, in den Science and Technology Studies oder den Animal Studies dazu tendieren, ihre eige nen Grundvoraussetzungen zu verdecken. Begriffe wie Ambiente, Milieu, Ökologie, Umgebung oder Umwelt werden dabei zumeist als hinreichend bestimmt erachtet, oftmals synonym gebraucht und sind in Bezug auf ihre wissensgeschichtlichen Genealogien – und dazu gehört explizit auch ihre Verwendung und Umwendung in der Philosophie – bisher kaum systematisch durchgearbei tetet. Diese Hypothese steht im Einklang mit einer Warnung, die Petra Löffler und Florian Spren ger in ihrer Einleitung zum Schwerpunktheft »Medienökologien« der Zeitschrift für Medienwissen schaft aussprechen: 17 Vgl. Jennifer Gabrys, Digital Rubbish. A Natural History of Electronics, Ann Arbor, MI 2011. Sean Cubitt, Finite Media. Environmental Implications of Digital Technologies, Durham, NC 2017. 18 Vgl. James Nisbet, Ecologies, Environments, and Energy Systems in Art of the 1960s and 1970s, Cambridge, MA 2014. Daniela Hahn, Erika Fischer-Lichte (Hg.), Ökologie und die Künste, Paderborn 2015. 19 Vgl. Philippe Descola, Die Ökologie der Anderen. Die Anthropologie und die Frage der Natur, Berlin 2014. Donna Haraway, Das Manifest für Gefährten. Wenn Spezies sich begegnen, Berlin 2016. Maximilian Haas, Tiere auf der Bühne. Eine ästhetische Ökologie der Performance, Berlin 2018. Iris Därmann, Stephan Zandt (Hg.), Andere Ökologien. Transformationen von Mensch und Tier, Paderborn 2017. Jessica Ullrich (Hg.), Tierstudien 13, 1, 2018: »Ökolo- gie«. Vgl. zur Kolonialität der Mensch-Tier-Differenz Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft, Berlin 2014, S. 68 f. Einleitung 19 eine Gefahr für medienökologische Ansätze besteht darin, dass ›Ökologie‹ allzu schnell als argumentative Ressource verwendet wird, d. h. als Reservoir an Plausibilitäten, Evidenzen und Brisanz. So kann der pro minente Status der Ökologie als Welterklärungswissen in Anspruch genommen und auf medienwissen schaftliches Terrain übertragen werden, ohne im Konkreten sagen zu müssen, was mit ›Ökologie‹ jeweils ge meint ist.20 Aus Sicht der Medienphilosophie wird die Frage, »was mit Ökologie jeweils gemeint ist« jedoch nicht auf der Ebene von Medienökologien selbst entfaltet – ob man diese nun im Sinne von »Medi en der Ökologie«, also mit Blick auf die Rolle technischer Medien bei der Hervorbringung von Wis sen in, über und mit natürlichen und nicht-natürlichen Um- gebungen, oder im Sinne einer Inan spruchnahme von »Ökologie« als Analyse- und Beschreibungskategorie der Funktionsweise von Medien versteht. So wäre es zwar Aufgabe jeder Einzelfallstudie, eine Klärung der »Logiken […] nach denen die Relationen des jeweiligen oikos verhan- delt werden«21 an ihrem je konkreten Bei spiel zu leisten. Ein Zugang, der sich der systematischen Unterscheidung verschiedener Logiken des Umgebenden und ihrer jeweiligen Medialität widmet, ist bisher aber ein Desiderat geblieben. Mit der vorliegenden Arbeit soll diese Lücke aus medienphilosophischer Perspektive geschloss en werden. Aus diesem Blickwinkel geht es primär nicht darum, den Wandel alltäglicher Umwelten oder ökologischer Phänomene wie Klimawandel oder Rohstoffabbau und -distribution in ihrer jeweiligen Bedingtheit durch Medientechnologien zu untersuchen. Stattdessen besteht das Er- kenntnisinteresse der Arbeit darin zu fragen, welche Grundvorstellungen von Medialität mit bestimmten, historisch spezifischen Konzepten des Umgebenden einhergehen. Der Blick richtet sich darauf, wie in unter- schiedlichen Umgebungskonzeptionen der Bezug von Umgebenem und Umgebendem als ein medialer gefasst wird und die jeweilige Modalität dieses Verhältnisses beide Relata überhaupt erst hervorbringt und Mög- lichkeiten von Wahrnehmen, Verhalten, Denken, Sprechen einschränkt oder gewährt. Erforderlich ist dazu sowohl eine historisch informierte Perspektive – welche Logiken in welchen historisch spezifischen »Epistemologien des Umgebens« (Sprenger) jeweils wirksam gewesen sind bzw. bis heute wirksam sind – als auch eine über diese historisierende Perspektive hinausgehen- de systematische Auseinandersetzung mit den onto-epistemologischen 20 Petra Löffler, Florian Sprenger, »Medienökologien. Einleitung in den Schwerpunkt«, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, 8, 1, 2016, S. 10−18, hier S. 10. 21 Ebd., S. 10 f. 20 Einleitung und ethisch-politischen Konsequenzen von Umgebungskonzeptionen. Entscheidend ist dabei nicht, dass überhaupt ein Bezug gedacht wird, sondern wie dieser jeweils modelliert wird, von welcher Richtung der Bezüglichkeit ausgegangen wird.22 Obwohl diese Fragestellung nicht mehr eindeutig der Medienökologie gemäß der beiden oben ge nannten Spielarten zugeordnet werden kann, so versteht sich der hier vertretene Ansatz doch als eine Medienphilo- sophie, die sich ihrer Berührungspunkte mit und ihrer institutionellen Veran kerung in Medienwissenschaft als kulturwissenschaftliche Mediali- tätsforschung bewusst ist. Ihre epistemische Haltung entspricht nicht der einer von außen applizierten Philosophie, die der Medi enwissenschaft wie ein Mängeldiagnose- und Korrekturinstrument auferlegt würde, sondern einer für heterogene Theorieeinflüsse offenen Strategie, die Impulse aus der Medienwissenschaft ebenso kritisch wie produktiv aufnehmen und für ein Weiterdenken öffnen möchte. Der methodischen Doppelperspektive eines historisierenden und systematisierenden Zugangs entspricht dabei eine doppelte Zielstellung: Erstens besteht das Anliegen der Arbeit in einer kritischen Sondierung be stehender Umgebungsbegriffe, insbesondere des in den Medienwissenschaften aktuell allge genwärtig verwendeten Begriff »Umwelt« im Hinblick auf die mit ihm einhergehenden Be zugsstrukturen. Mit Blick auf die aktuelle Theorielandschaft wird dabei eine Vor- annahme deutlich, von der die gegenwärtige Attraktivität ökologischer Denkfiguren wesentlich auszugehen scheint: die Annahme, dass »ökolo- gisches« und »relationales« Denken einander unweigerlich implizieren, ja geradezu wechselseitig ineinander überführbar wären, dass also, wenn »x« (ein Subjekt, ein Lebewesen etc.) auf eine, »seine«, »Umgebung«, »Umwelt«, »Milieu« bezogen ist, immer schon eine Depotenzierung bzw. Dezentrierung von x geleistet worden wäre, da x nun nicht mehr als autonom, isoliert, für sich, aus sich selbst heraus lebend, handelnd, wahrnehmend, denkend verstanden werden kann. Umgebung, Umwelt oder Milieu scheinen dann lediglich als weitere Platzhalter an einer Stelle zu fungieren, die zuvor vielleicht der Begriff des Mediums selbst einge- nommen hat, vielleicht auch – in einer an Friedrich Kittler orientierten Medientheorie – die Technik, oder aber – in der Tradition des linguistic turn – die Sprache. 22 Vgl. zu diesem Verständnis von Medienphilosophie als modale Differenzierung von Be- zugsweisen sowie als Grundlagendiskurs der Medienwissenschaft, der die Geltung und Reichweite ihrer Begriffe und Theoreme prüft Dieter Mersch, »Wozu Medienphilosophie? Eine programmatische Einleitung«, in: Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie, 1, 1, 2015, S. 13−48. Einleitung 21 Auf Grundlage dieses Befunds wird argumentiert, dass es in medien- philosophischer Perspektive nicht ausreicht, »Umwelt« als einen termino- logisch bereits hinreichend geklärten Begriff unter an deren, kontingenten Stellvertreterbegriffen für die Position des Aprioris zu begreifen, dessen je nach zu untersuchendem Gegenstand mal mehr oder mal weniger passgenaues Beschreibungspo tential angezapft werden kann oder nicht. Eine solche Subsumierbarkeit legt etwa Astrid Deuber-Mankowsky nahe, wenn sie Medienphilosophie als Beschäftigung mit Fragen kennzeich- net, »wel che die Kontingenz von Rationalität« beträfen, mithin also der »Bestimmung der Situationen, in denen Kontingenz stattfinden kann. Begriffe, die diese eher technische Seite des Medialen be schreiben, wären Dispositiv, Agencement, Apparate, vielleicht auch Milieu«.23 Der etwas zögernd hinten angestellten Nennung des Milieus wäre zum einen eine deutlich affirmierende Bekräftigung hinzuzufügen, zum anderen sollte sich ein Anschluss an diese Programmatik meines Erachtens aber nicht darin erschöpfen, den Begriff des Milieus selbst schon als Antwort auf die Frage nach der »Kontingenz von Rationalität« zu verstehen, noch sollte die Entscheidung für genau diese Ant wort so verstanden werden, als sei sie gegenüber anderen Antwortmöglichkeiten wie »Dispositiv, Agencement, Apparate« im Grunde kontingent. Maßgeblich ist viel- mehr die Art und Weise, von Anderem und Anderen umgeben zu sein, als je spezifische Form des Bezogenseins zu verstehen – also nicht nur unterschiedliche Umgebungsbegriffe zu unterscheiden, sondern unter- schiedliche Bezugsstrukturen. Zweitens wird daher in konstruktiv-konzeptioneller Absicht die Aus- arbeitung eines eigenständi gen medienphilosophischen Konzepts von Umweltlichkeit verfolgt. Grob gefasst besteht dieses Vorhaben in einer Umkehrung der Bezugsrichtung: vom Primat des Bezugs zum Primat des Ent zugs als konstitutivem Moment in jedem Bezug.24 Um den Unterschied 23 Astrid Deuber-Mankowsky, »Der geistige Automat. Das Technische und das Lebendige als Problem einer möglichen Medienphilosophie«, in: Lorenz Engell, Frank Hartmann, Christiane Voss (Hg.), Körper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie, München 2013, S. 49−67, hier S. 49. 24 In diese Richtung weist auch Petra Löfflers Kennzeichnung von »Milieus« als relationale Gefüge, »in denen Kopräsenz als ›Miter scheinen‹, Nahverhältnisse jenseits der Unterschei- dung zwischen Natur und Technik, menschlichem und nichtmenschlichem Sein« (Petra Löffler, »Im Raum sein: Streuen – Erstrecken – Zerstreuen. Zu einer Medienökologie des Relationsraums«, in: Zeit schrift für Medien- und Kulturforschung 5, 2, 2014, S. 209−223, hier S. 222) gefasst werden können, wobei Löffler Milieus ausdrücklich als »ungefügte Gefüge« (ebd.) versteht. Soll menschliche Handlungsmacht nicht mehr als Zentrum ge- dacht werden, von dem aus allein anderen Entitäten ihr Platz innerhalb eines relationalen Gefüges zugewiesen wird, ist es unerlässlich – so ließen sich Löfflers Ausführungen pointieren – innerhalb solcher Gefüge Negativitäten und Asymmetrien einzutragen, nicht 22 Einleitung dieses Ansatzes zu be stehenden Umgebungskonzeptionen sowie ihrer aktuellen Rezeption zu betonen, wird dazu der – bewusst sperrig und neologistisch formulierte – Begriff der »negativen Ambientalität« einge- führt. Tritt das Vorhaben damit in Distanz zur Vorannahme eines bloßen Primats des Bezugs, so wahrt es zugleich aber auch Abstand zu einem ebenfalls zu kurz gegriffenen Rückgang auf Negativität. Der Hauptbeitrag im zweiten Teil der Arbeit besteht daher darin, drei Modalitäten negativer Ambi entalität auszuarbeiten. Erstens indem menschliche und nichtmenschliche Lebewesen nicht auf Grund ihrer aktiven Ver mögen, sondern – mit und über Martin Heidegger und Giorgio Agamben modelliert – einer vor je der aktiven, intentionalen Handlung anzusiedelnden Passivität miteinander in Beziehung ge setzt werden. Wahrnehmen und Handeln sind dann im Anschluss an Maurice Merleau-Ponty zwei tens als genuin passiv fundierte Vorgänge zu bestim- men, die immer auf die Medialität eines un verfügbaren Umgebenden angewiesen sind, die nicht ohne ein gleichzeitiges Ausgesetztsein und eine darin implizierte Verletzbarkeit gedacht werden können. Drittens wird gegen ein Formprimat im Denken des Umgebenden auf die Fundie- rung des Lebendigen in Materialität hingewiesen werden, ohne mit der Berufung auf Materialität der Markierung als »natürlich« geltender und daher dem Materiellen näher stehender Anderer wie Frauen oder Tieren zuzuspielen. Vielmehr bildet ein Ver ständnis des Materiellen, das Materie nicht mehr als passiv und dem Menschen entgegengesetzt begreift, die Basis zur Dekonstruktion der Differenz von Natürlichem und Kulturel- lem, Menschli chem und Tierischem, Organischem und Anorganischem. Damit werden Fragen aufgeworfen, die das Verhältnis von physis und logos in all seinen Konse quenzen betreffen: als Frage nach den Seins- weisen von Lebewesen und der Art und Weise, wie diese durch ihre umweltliche Bedingtheit hindurch zu Erkennen und Wissen gelangen (und wel che Unterscheidungen auf dieser Basis zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewe sen getroffen oder nicht getroffen werden können). Statt dabei die ontologischen und epistemolo gischen Aspekte zu trennen, soll gerade deren Untrennbarkeit hervorgehoben werden, die »un mögliche, jeden Tag Lügen gestrafte Unterscheidung zwischen ontologischen und epistemologi schen Fragestellungen«25, wie zugleich das Umgebende als etwas Stabiles und Fundierendes anzusehen, sondern den Entzug jedes Umgebenden als dessen konstitutiven Bestandteil zu begreifen. 25 Latour, Das Parlament der Dinge, a. a. O., S. 59. Einleitung 23 die zwischen technisch-medialen Bedingungen und Bedingungen der Existenz.26 Der Einsatz ist also kein geringer und bringt sich in Gefahr, der Abstraktion und Universalität von Konzepten wie physis und logos auf- zusitzen. Dieser Gefahr wird mit der oben bereits genannten doppelten Perspektive begegnet: Statt die Frage nach dem Verhältnis von physis und logos und ih ren Implikationen als solche zu stellen, wird erstens das Ziel einer Unterscheidung verschiedener, historisch spezifischer Konzepte des Umgebenden in Bezug auf ihren Umgang mit die sem Verhältnis verfolgt, zweitens auf dieser Basis die Weiterentwicklung eines Umwelt- begriffs, der der Heteronomie des Bezugs zwischen menschlichen wie nichtmenschlichen Lebewesen und dem Umgebenden Rechnung trägt. Wenn Umgebendes nie mit einer »Natur« im Singular gleichzusetzen ist, ein umgebenes Lebewe sen zuallererst durch seinen je spezifischen Bezug oder Entzug zum Umgebenden charakterisiert ist und nicht durch Besitz (oder Mangel) einzelner Attribute wie Körper, Geist, Vernunft, die vom Umgebungsbezug ablösbar wären, so geht es darum, wie sich das Verhältnis von physis und logos sowie die damit jeweils verbundene Onto- und Epistemologie durch bestimmte, in ihren Logiken detailliert zu analysierende Umgebungskonzeptionen artikuliert. Von Interesse wird dies im zwei ten Teil der Arbeit insbesondere mit Blick auf Hei- degger und Merleau-Ponty sein. Für beide bildet die Überwindung einer strikten Trennung von physis und logos ein zentrales Motiv ihrer phi losophischen Projekte, beide beziehen sich dabei auf je eigene Weise auf den Umweltbegriff des Biologen Jakob von Uexküll. Daher wird zu zeigen sein, wie diese Bezugnahme einerseits frucht bare Anstöße für Heideggers und Merleau-Pontys Vorhaben liefert, andererseits aber auch in Kon flikte mit ihren Grundvoraussetzungen gerät, die es schließlich erfordern, einen anderen, über Uexküll hinausweisenden Begriff des Umweltlichen zu entwickeln. Eine Medienphilosophie des Umweltlichen ist daher nicht vorrangig eine Philosophie des Einflus ses technischer Medien auf Umwelten oder des Umweltlichwerdens (oder auch Gewesenseins) von Technologien. Sie entwickelt ihren Begriff der negativen Ambientalität zudem weder allein in der Tradition von Enos Ambientmusik, noch wird dabei an ein 26 Vgl. John Durham Peters, The Marvelous Clouds. Towards a Philosophy of Elemental Media, Chicago, IL, London 2015. 24 Einleitung alltagssprachlich naheliegendes Ver ständnis von »Ambiente« als einem atmosphärisch auffällig inszenierten und gestalteten Raum angeschlossen.27 Als Medienphilosophie ist sie eine Philosophie des Medialen und fragt danach, was es bedeutet, ein Phänomen – in diesem Fall Um- weltlichkeit – als ein mediales zu verstehen, auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind nicht zuletzt ethisch- politische, insbe sondere biopolitische: Wie lebendige Körper bewertet werden, wie insbesondere in der Geschichte des abendländischen Den- kens eine strikte Auffassung der anthropologischen Differenz begründet wird, ist in besonderem Maße dadurch bestimmt, wie diesen Körpern ein bestimmter Bezug auf Umwelt zu- oder abgesprochen wird. Dabei dient diese Differenz immer auch der Legitimation der biopolitischen Herrschaft des Menschen über Tiere sowie der Herrschaft weniger, einer bestimm ten universalisierenden Vorstellung des »Menschen« entspre- chender Menschen über andere, de nen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder Fähigkeiten die Teilhabe an dieser Vorstel lung von Menschlichkeit partiell oder vollständig abgesprochen werden kann. In dieser Hinsicht situiert sich die vorliegende Arbeit im Kontext eines kritischen Posthumanismus, dem sowohl der Anthropozentrismus – der absolute Vorrang des Menschen als Spezies – wie auch das klassische Projekt des Humanismus als normative und implizit gewaltförmige, exkludierende Konzepte gel ten.28 Das Post- im Ausdruck Posthumanismus verweist jedoch nicht auf eine schlichte Über windung des Humanismus, die an einen Fortschrittsgedanken gebunden bleibt, sondern unterstreicht einen Vorbehalt gegenüber einer bestimmten Auffassung von Humanismus: einem Humanismus, dessen Begriff vom Menschen als einem vernunftbegabten Wesen für essentiell und überzeitlich gehalten wird und der dabei verkennt, wie sehr diese Auffassung im westlich-europäischen Denken verankert ist und einer ant- agonistischen Grundhaltung gegenüber der Natur, den nichtmenschlichen Lebewesen und der immer auch geschlechtlich markierten Verkörperung 27 Vgl. Gernot Böhme, Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, erweiterte und überarbeitete Aufl., Berlin 2013, Christiane Heibach (Hg.), Atmosphären. Dimensionen eines diffusen Phänomens, München 2012. 28 Vgl. dazu insbesondere Rosi Braidotti, Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen, Frankfurt / M. 2014, S. 19– 108. Prägnant heißt es dort: »Das Humane ist eine normative Konvention. Als solche ist es nicht durch und durch negativ, nur hochgradig normierend und damit instrumentalisierbar zum Zwecke der Ausgrenzung und Diskriminierung. Die menschliche Norm steht für Normalität, Normativität und das Normgerechte. Sie macht eine bestimmte Form des Menschseins zu einem allgemeinen Maßstab, der als das Menschliche einen höheren Wert erhält« (ebd., S. 31, Herv. i. O.). Einleitung 25 konkreter Menschen sowie einer unausgesprochenen Privilegierung des Mannes geschuldet ist. Gleichzeitig hält das hier zu entwickelnde Vorhaben aber in zweifacher Hinsicht Abstand zu der von Braidotti offensiv ausgerufenen »posthu- manen Wende«: Zum einen wird keine ausführliche Auseinandersetzung mit Begriffen wie Posthumanismus, Transhumanismus, Humanismus, dem Post- bzw. Inhumanen selbst sowie verwandten, heterogenen und sich teilweise auch widerspre chenden Konzepten geleistet29, sondern sich mit dem Umweltbegriff auf einen, wenn auch weitrei chenden und bedeutenden, Teilaspekt dieses Diskurses beschränkt. Zum anderen – und das scheint mir geradezu ein Argument für die Notwendigkeit einer solchen Beschränkung zu sein – tragen auch sich als posthumanistisch verstehende Theorien zu der be reits mit Blick auf die Medienwissenschaft angesprochenen Verdeckung bei. Wenn etwa Brai- dotti von einem nicht mehr nur menschlichem Subjekt spricht, das »mit seiner Umwelt durch eine strukturelle Wechselbeziehung von Strömen und Datenübertragungen zusammenhängt, die sich als eine komplexe und intensive wechselseitige Verbundenheit charakterisieren lässt«30, so lässt sich darin vielleicht genau das Absinken des Umweltbegriffs in jenes »Reservoir an Plausibili täten« erkennen, vor dem Löffler und Sprenger warnen. Denn durchaus fraglich, aus Braidottis Perspektive als Frage aber kaum zu adressieren, wäre doch, mit welchem Recht und auf welcher systematischen wie historischen Grundlage man von »seiner« statt von »einer« Umwelt spricht – auf welcher Grundlage darüber hinaus von einer »strukturellen Wechselbeziehung« und was ü berhaupt »Ströme« (wovon?) von »Datenübertragungen« unterscheidet oder ob es gerade um de ren Gleichsetzung und Ununterscheidbarkeit ginge. All diese Formulierungen zielen auf je spezifische, in ihrem Geltungs- anspruch und ihren Konsequenzen genauer zu untersuchende Bezugs- weisen – schon die Verwendung des Possessivpronomens »sein«, »seine« oder des unbestimmten Artikels »ein«, »eine« impliziert in diesem Kontext 29 Vgl. zur Übersicht Stefan Herbrechter, Posthumanismus. Eine kritische Einführung, Darm- stadt 2009. Zur Genealogie der Verschränkung von Kybernetik und einem technologisch motivierten Posthumanismus vgl. N. Katherine Hayles, How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature and Informatics, Chicago, IL, 1999. Vgl. auch Marie-Luise Angerer, Vom Begehren nach dem Affekt, Zürich / Berlin, 2007, S. 39−59. Gegen eine allzu leichtfertige Vorstellung einer Überwindung des Humanismus setzte schon Jean-François Lyotard die Frage, ob nicht »das ›Eigentliche‹ des Menschen darin bestünde, dass er von Inhumanem bewohnt wird?« (Jean-Francois Lyotard, Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit, Wien 2001, S. 12), vgl. auch Michael Mayer, Humanismus im Widerstreit. Versuch über Passibilität, München 2012. 30 Braidotti, Posthumanismus, a. a. O., S. 142. 26 Einleitung einen Vorentscheid für bestimmte Konzepte des Handelns, der Subjektivität und der Lebendigkeit, die herauszuarbeiten Aufgabe einer Medienphilo- sophie des Umweltlichen ist. Nicht als Teil eines als »medienökologisch« zu bezeichnenden Diskurses, der das letztlich immer vorausgesetzte Sprechen von »Umwelt« in Diskursen des kritischen Posthumanismus nur am Rande berührt, sondern selbst als Kernbestand eines kritisch posthumanistischen Denkens, das diese Bezeichnung ernst nimmt und sich damit immer auch kritisch gegenüber seiner eigenen Verstricktheit in humanistische und anthropozentrische Subjektkonzeptionen verhält. Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei der Verschränkung des Medienbegriffs mit Umge bungskonzeptionen, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Auf Grundlage der begriffs- und wissenschaftsge- schichtlichen Archäologien Leo Spitzers und Georges Canguilhems lassen sich zwei konkurrierende Modelle des Umgebenden unterscheiden – ein harmonisches, »warmes« Am biente, das auf dem antiken griechischen περίεχον (periechon) basiert, und ein funktionales, me chanisches, »kal- tes« Milieu, das in der Neuzeit mit der Physik Newtons einsetzt. Meine Argumen tation läuft darauf hinaus, dieser zu schematischen Gegenüber- stellung zu widersprechen, besteht doch das Anliegen einer Medienphilo- sophie des Umweltlichen gerade darin zu zeigen, dass »Funktion« nicht mit mechanischer Kausalität verwechselt werden darf, sondern vielmehr ein breites Spektrum von medialen Wirkungen und Bedingungen des Umgebenden meint (A 1.1.1–A 1.1.2). Über Marshall McLuhan und dessen Verwendung des environment- Begriffs wird der Übergang zum Aufstieg der Ökologie zu einem wissens- politischen Leitparadigma in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick genommen, der im Gegensatz zu den von Spitzer und Canguilhem behandelten Ansätzen wesentlich auf kybernetischen und systemtheoretischen Modellen von Ö kologie basiert. Eine Ausweitung des ökologischen Paradigmas als eine in onto-epistemischer Per spektive rele- vanter Form des Denkens, die auch medienphilosophisch interessant ist, bereitet Gregory Bateson vor, doch bleibt dessen Konzept unentschieden zwischen dem Ansatz einer De zentrierung und Schwächung von Subjek- tivität und der Herstellung von Gleichgewichtszuständen (A 1.2.1). An Batesons Verständnis des Ökologischen als Denkfigur schließen aktuelle medien ökologische Positionen Erich Hörls und Mark Hansens an, gehen mit einer radikalen Neufassung von Umweltlichkeit vor dem Hintergrund neuer Medientechnologien aber noch weit über diesen hinaus. Kritisch herausgestellt wird dabei die diesem Ansatz zu Grunde liegende Logik der Erweiterung, die keine Differenz mehr zwischen unterschiedlichen Umgebungskonzeptionen, ins besondere nicht zwischen netzwerkförmi- Einleitung 27 gen und nicht-netzwerkförmigen Strukturen, zu lässt (A 1.2.2). Das erste Kapitel endet mit dem für die Arbeit zentralen Befund, dass ein bloßes Pri mat der Relation, wie es in gegenwärtigen Medienökologien vertreten wird, nicht hinreichend ist, da dabei die modale Seite von Relationen unterbestimmt bleibt und bietet mit Timothy Mortons »dark ecology« eine erste Annäherung an eine mögliche Alternative (A 1.3). Für den Fortgang der Untersuchung leiten sich daraus zwei Aufgaben ab: erstens ein genaues Erschließen der histori schen Genese des Umweltkonzepts, zweitens die mediale Struktur von Umwelten vor dem Hinter grund der Modalität des Bezugs zwischen Subjekt und Umgebendem, der Materialität des Umge benden sowie den damit verbundenen Konsequenzen für das Verhältnis humaner und nonhuma ner Lebewesen neu zu bestimmen. Die Frage nach der historischen Genese führt zur Einführung des Umweltbegriffs in der Biologie durch Jakob von Uexküll. Als Umwelt bezeichnet Uexküll das subjektive Umgebende eines Lebe wesens, das komplementär zu dessen Sinnes- und Bewegungsorganen strukturiert ist. Die Umwelt nimmt insofern eine mediale Funktion ein, als mittels und innerhalb seiner spezifischen Umwelt der Organismus in Bezug zu einem für ihn relevanten Ausschnitt der Welt gesetzt wird (A 2.1−2.2). Den Kern des Kapitels bildet die Herausarbeitung der beiden Strukturmomente des Umweltbe griffs, der Possessiv- und Transparenzstruktur (A 2.3). Der methodische Einsatz einer Medienphilo sophie des Umweltlichen wird im weiteren Verlauf der Arbeit genau in einer Durcharbeitung die ser beiden Strukturmomente des Umweltbegriffs bestehen. Mit Blick auf Uexküll soll sowohl die dessen Modell zu Grunde liegende Immunisierungslogik vermieden werden (A 2.4), als auch die Uexküll-Lesarten aus der Philo- sophischen Anthropologie, die protokybernetische Interpretation sowie die Rezeption von Seiten des sogenannten Spekulativen Realismus um eine medienphilosophische Perspektive bereichert werden (A 2.5). Im Zentrum des zweiten, den Konturen negativer Ambientalität gewidmeten Teils der Arbeit ste hen die philosophischen Uexküll- Auseinandersetzungen Heideggers und Merleau-Pontys. Heideg gers Verwendung des Umweltbegriffs kann dabei zunächst von seiner ersten, noch referenzlosen Verwendung in einer frühen Vorlesung bis hin zur Daseinsanalyse in Sein und Zeit nachverfolgt werden, wobei der Begriff zunehmend in Gegensatz zum transzendental verstandenen Begriff der »Welt« tritt (B 1.1). In der Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik von 1929/30 schließlich wird in Heideggers zentraler »über Uexküll« ausgebildeter These die Differenz von Mensch und Tier mit der je un- terschiedlichen Bezugsstruktur zur Umwelt begründet. Nur der Mensch kann seine Um welt transzendieren – dabei wird die Possessivität jedoch 28 Einleitung nur verschoben, vom Haben der Umwelt zum Haben der »Weltoffen- heit« (B 1.2). Fragwürdig erscheint diese strikte Unterscheidung aus medienphilosophischer Perspektive besonders durch ihre Bindung an die dem Menschen vor behaltene Sprache, während dagegen gezeigt werden kann, wie die Unterscheidung von Welt und Umwelt in anderen Vollzugsmodi – etwa in der Zeuganalyse oder der Analyse der Langeweile (B 1.3) – mit und gegen Heidegger weniger streng gedacht werden kann. Hier setzt die Untersu chung mit Giorgio Agamben das Offene der Welt als ein zuerst Unverfügbares. Was Heidegger als die »Benommenheit« des Tieres bezeichnet, seine unauflösbare Eingebundenheit in seine Umwelt, korrespondiert laut Agamben mit Heideggers Begriff der »tiefen Lange- weile«, einer Erfahrung des Ausgesetztseins und des Entzugs jeglicher konkreter Möglichkeiten des Handelns. War Heidegger aber gerade um die Zementierung des kategorischen Unterschieds von tiefer Langeweile und Be nommenheit bemüht, so zeigt Agamben, dass das Humane des Humanen nur im Durchgang durch diese äußerste Nähe zur Animalität überhaupt denkbar ist (B 1.4). Deutlicher als bei Heidegger bedient sich die Beschäftigung mit Merleau-Ponty einer zunächst dis kursanalytischen Herangehensweise. Merleau-Pontys frühe Auseinandersetzung mit physiologi scher Reflexlehre und Gestaltpsychologie heben eine Affinität zu Uexküll insofern hervor, als der Umweltbegriff eine ganzheitliche und nicht auf mechanistische Erklärungen reduzierte Auffassung vom Verhalten humaner wie non- humaner Lebewesen ermöglicht. In dieser Hinsicht lassen sich dessen Arbeiten selbst noch als Teil jener lebenswissenschaftlicher Diskursfor- mation verstehen, der neben Uexküll auch der für Merleau-Ponty weit bedeutendere Neuropsychologe Kurt Goldstein angehört (B 2.1−2.3). In Bezug auf sein Umweltdenken bleibt Merleau-Ponty damit zunächst einem subjektzentrischen Modell verpflichtet. In werksystematischer Hinsicht kann gezeigt werden, dass dieser Einfluss nicht auf seine Be- schäftigung mit den Lebenswissenschaften beschränkt bleibt, sondern sich bis in die Fundamente seines leibphänomenologischen Ansatzes in der Phänomenologie der Wahr nehmung zieht (B 2.4). In den Vorlesungen zum Naturbegriff seit Mitte der 1950er-Jahre wird schließlich eine kriti- sche Durcharbeitung von Uexkülls Kant-Einfluss und der teleologischen Prä gung des Umweltbegriffs vorgenommen. Damit tritt Merleau-Ponty auch selbstkritisch in Distanz zu seinen frühen Überlegungen (B 2.5). Diese Durcharbeitung stellt einen wichtigen Schritt hin zu dem für seine Ontologie zentralen Begriff des »Fleischs« dar, der in der Folge als ein negatives, diesseits der kategorischen Unterscheidung menschlicher und Einleitung 29 nichtmenschlicher Lebewesen situ iertes Verständnis von Umweltlichkeit gelesen werden kann (B 2.6). Das abschließende Kapitel dient der Vertiefung des bisher noch unterbestimmt bleibenden Ver hältnisses von Umweltlichkeit und Ma- terialität. Das Zentrum bildet dabei Luce Irigarays dekon struktive Lesart des Heideggerschen Begriffs der »Lichtung«. Eingangs ist daher zunächst die Rolle dieses Begriffs in Heideggers Spätphilosophie, insbesondere im Brief über den Humanismus zu klären. Dabei wird ein Ungenügen an Heideggers Auslegung des ek-statischen, passiv vom Sein in Anspruch genommenen Wesens des Menschen deutlich, insofern dieses ausdrück- lich gegen das Tier konzipiert wird (B 3.1). Nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte erscheint diese Phase in Heideggers Denken deutlicher noch als bisher als ein Denken, das vom Bemühen um eine Grün dung ohne Differenz durchzogen ist (B 3.2). Mit ihrem Motiv vom Luftverges- sen Heideggers entwi ckelt Irigaray dagegen ein Konzept von ek-stasis, das nicht auf einen menschlichen Exzeptionalis mus und ein damit verbundenes Heraustreten des Menschen aus der Umwelt hinausläuft, sondern dessen materielle Bedingtheit als Lebewesen unterstreicht (B 3.3). Dieses Materialitätsdenken sollte jedoch nicht wie bei Irigaray im Rahmen einer zur Naturalisierung tendierenden Aufwertung des Weib- lich-Mütterlichen stattfinden (B 3.4.1), sondern vielfältigen Bedingtheiten Rechnung tragen. Eine Aktualisierung unter Vorbehalt ihrer Kritik an der passiven Auffassung von Materie (3.4.2) kann sich besonders vor dem Hintergrund der neomaterialistischen Ansätze Tim Ingolds und Karen Ba rads behaupten, die die Aktivität und Lebendigkeit von Materie überbetonen und damit einen ver einseitigten Lebensbegriff vertreten (B 3.4.3). Ausblickend endet die Arbeit daher mit dem Hinweis auf eine affirmative Biopolitik, die die konstitutive Abhängigkeit jedes Lebewesens von materiellen Praktiken der Hervorbringung und Aufrechterhaltung des Lebens ins Zentrum rückt (B 3.5). A – ZUGÄNGE ZUR MEDIALITÄT DES UMWELTLICHEN 1. Konjunkturen des Umweltlichen – Transformationen des Medialen The essential task we have to carry out in our times is: how to coexist in respect for diffe rence(s)? Luce Irigaray Nothing better than a touch of ecology and catastrophe to unite the social classes … Jean Baudrillard 1.1 Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes Führt man den Begriff des »Mediums« auf seine etymologische Herkunft aus der indoeuropäi schen Wurzel »-medh« bzw. »medhios« zurück, so sieht man sich mit einem weit geknüpften Netz von Bedeutungsver- wandtschaften konfrontiert, das von den deutschen Worten »Mitte« und »Mit tel« (zu einem Zweck) über das französische »milieu« (wörtlich mi- lieu, mittlerer Ort) und das ita lienische »mezzo« bis zu den griechischen Präfixen »meta« (mit, über, in, bei, zu, nach) und »mesos« reicht; das sich sowohl im geologischen Begriff der »Mesosphäre«, der mittleren der fünf Erdschichten, wie auch im Ausdruck des »mesites« aus dem Neuen Testament (Vermittler, Unter händler, in der lateinischen Bibelübersetzung »mediator«) findet. Als lateinisches Wort bezeichnet »medium« sowohl die zeitliche als auch räumliche Mitte ebenso wie das, was sich als Mitte, Mittleres oder Zwischenraum zwischen zwei oder mehreren Objekten befindet und diese damit teilweise oder vollständig umgibt.1 Die Medialität des Mediums, zu nächst in einem allgemeinen und weiten Sinne verstanden als die Art und Weise, wie ein Medium als etwas Mittleres zwischen etwas anderes tritt und damit eine Vermittlung bewirkt, kann daher schon vor diesem etymologischen Hintergrund als Verhältnis zwischen dem vom jeweiligen Medi um Umgebenen und der Beschaffenheit und Charakteristik dieses Mediums als Umgebendes ge fasst werden. 1 Vgl. Stefan Hoffmann, Geschichte des Medienbegriffs, Hamburg 2002, S. 24 f. 34 Konjunkturen des Umweltlichen Nahezu ebenso einschlägig und grundlegend wie diese erste annä- hernde Bestimmung ist in der aktuellen Medientheorie der Rückgriff auf zwei Abhandlungen, an deren kanonisch gewordenen Befunden keine Beschäftigung mit dem begriffshistorischen und systematischen Zusammenhang von Medium und Umgebendem vorbeikommt: der 1942 verfasste Aufsatz »Milieu and Ambiance« des Romanisten Leo Spitzer sowie die erstmals 1952 veröffentlichte, auf einen Vortrag von 1947 zu rückgehende Studie »Le vivant et son milieu« des besonders für seine historisch-epistemologi schen Arbeiten zur Medizin und zu den Lebenswissenschaften bekannten Philosophen Georges Canguilhem.2 Mit dem Rückgriff auf die beiden Studien Spitzers und Canguilhems soll an dieser Stelle aber mehr als nur das Anliegen einer semantischen Sondierung und terminologischen Absicherung der für diese Arbeit zentralen Begriffe und ihrer Entwicklung verfolgt werden. Von mindes- tens ebenso zentraler Bedeutung ist eine dem philologischen Interesse möglicherweise als sekundär erschei nende, aber doch in beiden Texten manifeste Eigenart: So zeichnen Spitzer und Canguilhem nicht nur den historischen Wandel der Bedeutungs- und Verwendungsweisen von Umgebungs- und Me dialitätsbegriffen nach, sondern stellen diese immer auch mit ihren ethischen und politischen Konsequenzen zur Diskussi- on und werfen damit Fragen auf, deren Beantwortung immer wieder neu zu leisten ist. Es sind Fragen, die sich auch heute noch immer mit besonderer Dringlichkeit stellen: Wie, so fragt sich der 1936 über eine Zwischenstation in Istanbul ins Exil an die Johns Hopkins University in Baltimore emigrierte österreichische Jude Spitzer, lässt sich ein Aufent- halt des Men schen in der Welt denken, der nicht schon von Ein- und Ausschlussmechanismen, von Kategorien des Eigenen und Fremden, der Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit durchsetzt ist, dem aber ein Bedürfnis nach einem nichtdeterministischen Verhältnis zum umgeben- den Raum auch nicht zum Vorwand einer gewaltsamen Expansion und (Lebens-)raumaneignung gerät? Spitzers Antwort, so viel sei hier bereits vorgreifend angemerkt, wird darin bestehen, das antike griechische Kon- zept des περίεχον (periechon, Umgebendes, Umschließendes, Atmosphäre, Luft, Klima, Umwelt) als Gegenmodell zu reaktivieren: 2 Vgl. Leo Spitzer, »Milieu and Ambiance. An Essay in Historical Semantics«, in: Philosophy and Phenomenological Research, 3, 1, 1942, S. 1−42; 3, 2, 1942, S. 169−218. Georges Canguilhem, »Das Lebendige und sein Milieu«, in: ders., Die Erkenntnis des Lebens, Berlin 2009, S. 233−279. Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes 35 How rich revelatory of Greek thought is the term ›to periechon‹: it illustrates the ability of the Greeks to con ceive, not a ›cold‹ abstraction but a ›warm one‹: an abstraction which is visualized and which has not ser ved its ties with life, but remains organic and close to the bodily. And the warm nuance of ›to periechon‹ is protective: absent is the modern brand of fatalistic determinism envisaged as a menacing force.3 Nüchterner, weniger nostalgisch und doch von ebenso unveränderter Aktualität ist dagegen Canguilhems Anliegen: Wie lässt sich ein Eigen- sinn des Lebendigen denken, eine biologische Perspektive, die nicht auf die metaphysischen Spekulationen und Abgründe eines wissens- und kulturgeschichtlich überholten Vitalismus zurückfällt und doch kritische Distanz zu naturwissenschaftlichen Positivismen wahrt? Die Methode der (begriffs-)historischen Darstellung verhält sich also in beiden Fällen gegenüber ihrem Gegenstand keineswegs neutral, sondern verfolgt einen (zeit-)kritischen Anspruch, der mit den eigenen Präferenzen, besonders aber den Abneigungen – in Spitzers wie Canguilhems Fall vor allem gegenüber einem deterministischen Milieubegriff – offen umgeht. Gerade diese Haltung mag ein wesentlicher Grund für die ungebrochene Aktualität beider Aufsätze sein, die eher einem je spezifisch zu erneuern- den Reservoir als einer nur historisch ausgerichteten Bestandsaufnahme gleichen. Wenn etwa Canguilhem zu Beginn seines Aufsatzes schreibt »Der Begriff des Milieus ist auf dem Weg, zu einem universalen und notwen- digen Modus der Erfassung von Erfahrung und Existenz der Lebewesen zu werden. Fast könnte man sagen, dass er sich als eine Kategorie des zeitgenössi schen Denkens konstituiert«4, so gilt dies nicht nur in einem analytisch-diagnostischen, sondern ebenso in einem projektiv-kritischen Sinn. Die Aufgabe einer wissenschaftsgeschichtlich infor mierten Philoso- phie in Zeitgenossenschaft mit der ersten Phase der Kybernetik, der zum lebens wissenschaftlichen Leitparadigma aufgestiegenen Molekulargenetik und des damit obsolet gewor denen Richtungsstreits zwischen Vitalismus und Mechanismus um die epistemologische Deu tungshoheit über »das Leben« bestand für ihn nicht zuletzt darin, das Verhältnis des Lebendigen zum Umgebenden auf eine Weise zu bestimmen, die der Begrenztheit und regionalen Geltung na turwissenschaftlicher, historischer wie auch philosophischer Zugriffe gegenüber dem Lebendigen Rechnung trägt. 3 Spitzer, »Milieu and Ambiance«, a. a. O., S. 9−11. Periechon ist ein Kompositum aus der Präposition »peri«, (um, herum, über) und dem Partizip »-echon«, (habend); auf die genauen Bedeutungsnuancen wird noch zurückzukommen sein. 4 Canguilhem, »Das Lebendige und sein Milieu«, a. a. O., S. 233. 36 Konjunkturen des Umweltlichen Als Kategorie, die die Bedingtheit jeder Erkenntnis durch ein Um- gebendes anerkennt, auf das je des Erkenntnissubjekt als Lebewesen notwendig angewiesen ist, ist »Milieu« für Canguilhem ü berhaupt erst noch zu konturieren. In diesem Sinne sah er sich weiterhin einem radikal metaphy sisch entschlackten Vitalismus verpflichtet: nicht um dessen historischen Kern zu konservieren, sondern, wie es Michel Foucault aus- gedrückt hat, als »kritischer Indikator für zu vermeidende Re duktionen«.5 Bevor genauer verfolgt werden kann, welche Reduktionen, Umfor- mungen und Gegenstra tegien Spitzer und Canguilhem innerhalb der Geschichte der Umgebungskonzepte und ihrer jeweiligen Medialitäten identifizieren, ist zunächst zum lateinischen Begriff des »Medium« als Mitte und Mittleres zurückzukehren, der jeder medienphilosophischen Begriffsvergewisserung als Ausgangsbasis dient. Bei näherer Betrachtung erweist sich nämlich schon diese Basis als instabiles und prekäres Fun- dament, das selbst eine begriffsarchäologische Distanznahme erfordert. 1.1.1 Schmuggel und Verdrängung Wie Wolfgang Hagen in einer philologischen Spurensuche gezeigt hat, muss der Begriff »Medium« als Resultat einer folgenschweren Verlegen- heitsübersetzung betrachtet werden, die eng mit seiner Verwandtschaft zu Begriffen wie Milieu, Umwelt, Atmosphäre oder Ambiente verknüpft und einer auf technische Einzelmedien fokussierten Medientheorie lange verborgen geblieben ist. Seinen ersten Auftritt in der abendländischen Geschichte habe das Substantiv »Medium« demnach kostü miert als »Schmuggelgut«: In Thomas von Aquins Übersetzung und Kommentar zur aristoteli schen Wahrnehmungslehre Περὶ ψυχῆς (Peri Psyches, be- kannt im Lateinischen unter dem Titel De Anima, Über die Seele) wird er ab 1268 in einer Weise enggeführt, die seinen weiteren Gebrauch maßgeblich präfiguriert.6 Die entscheidende Stelle, an der Hagen den thomistischen Schmuggel nachweist, findet sich im zweiten Teil von De Anima, in dem sich Aristo- teles mit der Wahrnehmung (aisthesis) als einem Vermögen lebendiger, beseelter Wesen zuwendet. Versteht man wie Aristoteles Wahrneh- 5 Michel Foucault, »Das Leben: die Erfahrung und die Wissenschaft«, in: Marcelo Marques (Hg.), Der Tod des Menschen im Denken des Lebens. Georges Canguilhem über Michel Foucault, Michel Foucault über Georges Canguilhem, Tübingen 1988, S. 52−72, hier S. 66. 6 Vgl. Wolfgang Hagen, »Metaxy. Eine historiosemantische Fußnote zum Medienbegriff«, in: Stefan Münker, Alexander Roesler (Hg.), Was ist ein Medium?, Frankfurt / M. 2008, S. 13−29. Vgl. dazu auch Walter Seitter, Physik der Medien. Materialien, Apparate, Prä- sentierungen, Weimar 2002, S. 22 f. Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes 37 mung als »Bewegtwerden und Erleiden«7 durch etwas außerhalb der Seele liegendes, gilt es zu klären, wo durch diese im Falle der Fernsinne Sehen und Hören bewirkt wird, wenn zwischen Wahrnehmen dem und wahrgenommenem Objekt eine Distanz zu überwinden ist. Gemäß den Prinzipien seiner Physik, nach denen jede Bewegung auf eine Wirkur- sache (causa efficiens) zurückgeführt wer den muss und es keine Leere zwischen den Dingen geben darf, wendet sich Aristoteles gegen De mokrits atomistische, »antimediale« Theorie des Vakuums: Geht diese von der Notwendigkeit eines leeren Zwischenraums zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenen aus, so ist es Aristoteles zufolge unerlässlich, dass »das Wahrnehmungsfähige etwas erleidet. Unmöglich je doch durch die sichtbare Farbe selbst. So bleibt also nur übrig, daß es durch das Medium ge schieht, so daß es notwendig ein Medium geben muß.«8 Das Zwischenliegende, τὸ μεταξύ (to metaxy), bezeichnet Aristoteles durch eine Substantivierung der Präposition metaxyn, die sowohl »zwi- schen«, »mittels«, »nebst«, »mit« oder »im Einklang mit« bedeuten kann. Als Zwischenliegendes, das den Vorgang der Wahrnehmung ermöglicht, ist es weder völlig opak, stellt kein Hindernis dar, »trotz« dessen gesehen wird, noch garantiert es ei nen nahtlosen Übergang zwischen Sehendem und Sichtbarem. Vielmehr begründet sich seine Me dialität gerade in seiner spezifischen materiellen Qualität, seiner Durchlässigkeit. Die Sinnesvermögen sind dabei angewiesen auf unterschiedliche stoffliche Mischungen des Da zwischenliegenden: Wasser für den Ge- schmackssinn, Wasser und Luft für den Geruch, das Hören und – als Durchsichtiges, διάφανος (diaphanos) – für das Sehen. Aristoteles weist jedem Sinn eine spezifische Modalität zu: für den Sehsinn etwa ist es die Farbe. Gesehen wird die Farbe nicht als Eigenschaft eines Objekts, sondern als etwas, das durch das diaphane Zwischen in Verbindung mit dem Licht aktualisiert wird.9 Das Zwischen ist daher nicht einfach ein 7 Aristoteles, Über die Seele, hg. v. Horst Seidl, Hamburg 1995, 416b. 8 Ebd., 419a. Jede Fernwirkung, jede Bewegung eines angestoßenen Körpers, die sich über eine Distanz fortsetzt, benötigt einen Zwischenraum, der kein Vakuum sein darf, nicht völlig leer und materiefrei, sondern von einer bestimmten materiellen Beschaffen- heit: locker, leicht und durchlässig (vgl. Aristoteles, Physik. Vorlesung über Natur. Erster Halbband, hg. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1987, 213a−217b). Auch der Tastsinn ist keineswegs unmittelbar, sondern wird durch das Fleisch vermittelt, das sich Aristoteles zufolge verhält »wie wenn rings um uns herum die Luft angewachsen wäre« (Über die Seele, a. a. O., 423a). 9 Vgl. ebd., 418a ff. Der Wahrnehmungsinhalt (hier: die Farbe) liegt genau an der Schwelle von Wahrnehmungsobjekt und dem Da zwischen; er ist weder ganz dem einen noch dem anderen zugehörig, sondern eher als eine Grenzbewegung zwischen diesen zu denken: »Da nun Farbe an einer Begrenzung in Erscheinung tritt, hat sie wohl an der Grenze des Durchsichtigen ihren Sitz. Farbe ist also die Grenze des Durchsichtigen an einem 38 Konjunkturen des Umweltlichen neutrales Drittes, das eine Verbindung schafft, sondern generativ und für den Wahrnehmungsvorgang mitkonstitutiv, ohne diesen vollständig zu determinieren. In einer Gegenüberstellung des aristotelischen Textes mit Aquins lateinischer Übersetzung exemplifiziert Hagen, dass es keineswegs zwingend ist, ωοτ άναυχαιόν τι ειναι μεταξύ mit »quare necesse est aliquod esse medium« (»Infolgedessen ist das Medium eine Notwendigkeit«) zu übersetzen. Er schlägt daher als Alternative vor: »so dass es not wendig ein Dazwischen geben muss«10. Als Folge von Aquins Verlegenheitsübersetzung lässt sich dann nicht nur eine ontologische Aufla dung des »Dazwischen« zum einen »Medium« identifizieren, deutlich wird auch, dass diese onto logische Aufladung ge- rade der Absicht der aristotelischen Wahrnehmungslehre entgegenläuft. Von der prozessualen Vielgestaltigkeit und zugleich trennenden und verbindenen Mitgängigkeit des Dazwischenliegenden ist das »Medium« nämlich weit entfernt. Verstellt wird so zum einen »die Brüchigkeit der aristotelischen Wahrnehmungsempirie […], die es gerade vermeidet, von ei nem ontologischen Medium der Wahrnehmung zu sprechen«, zum anderen transportiert Aquins Reduktion einer sinnlichen Mannigfaltig- keit auf ein Prinzip bereits die christliche Vorstellung der menschlichen Seele und ihrer Vermögen als Abglanz einer allumfassenden göttlichen Vollkom menheit und Transzendenz.11 Damit ist die Grundlage gelegt für eine in mindestens zwei entgegen- gesetzte Richtungen weisende semantische Auffächerung des Medien- begriffs. Sie wird die abendländische Wissensgeschichte von der frühen Neuzeit an prägen und das Konzept des metaxy als stoffliches, diaphanes begrenzten Körper« (Aristoteles, »Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung«, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia), hg. v. Eugen Dönt, Stuttgart 1997, 439b. Vgl. dazu auch Emmanuel Alloa, Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Zürich 2011, S. 85−91). Inso fern das Metaxy selbst sinnlich erfahrbar sein muss, ohne aber im Sinne der aristotelischen Ontologie schlicht passive Materie zu sein, handelt es sich bei der Wahrnehmungslehre weniger um eine protomechanische Physik der Wahrnehmung als vielmehr um den Entwurf einer medialen Ästhetik (vgl. Peter Mahr, »Das Metaxy der Aisthesis: Aristoteles’ ›De anima‹ als eine Ästhetik mit Be zug zu den Medien«, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 35, 1, 2003, S. 25−58). Von dieser Qualität des Diaphanen, die in seiner stofflichen Beschaffenheit begründet und als solche erfahrbar sein muss, leitet sich die grundlegende Bestimmung des Medialen als ein materiell-performativer Prozess ab, als »durch (dia / per)«, wie sie Dieter Mersch in Differenz zu einem Verständnis des Media len als Übertragung entwickelt hat, das sich vom »meta« des »meta-pherein« (»Hinüber-Tragung«) her denken lässt und damit mediale Prozesse am Leitfaden der Sprache modelliert (vgl. Dieter Mersch, »Meta / Dia. Zwei unterschiedliche Zugänge zum Media len«, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1, 2, 2010, S. 185−208. Ders., »Wozu Medienphilosophie?«, a. a. O., S. 15 f.). 10 Vgl. Hagen, »Metaxy«, a. a. O., S. 24 f. 11 Ebd., S. 26. Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes 39 Dazwi schenliegendes zu einem »spektralen Schwundphänomen, das bes- tenfalls in den immer wieder erfolgten spukhaften Heimsuchungen der kategorialen Ordnungen aufleuchtet«12 degradieren: Ei nerseits verflüchtigt sich das Medium als Umgebendes ins Transzendentale, Kosmo- und Theologi sche – wie es in der Vorstellung eines allgegenwärtig wirkenden Äthers oder Isaac Newtons Rede von Raum und Zeit als »Sensorium Gottes« zum Ausdruck kommt. Andererseits lässt sich für die Rolle des Medialen in konkreten Handlungs- und Wahrnehmungsvollzügen eine gegenläufige, kontraktive Entwicklung diagnostizieren: Ein Medium wird so weniger als eine räumlich ausge dehnte Mitte oder Mittleres, sondern im Sinne eines Mittels zu einem Zweck, eines funktional ein setzbaren Gegenstandes, Instruments oder Werkzeugs verstanden. Bevor die zentralen Stationen dieser Transformation ausgehend von den Studien Spitzers und Canguilhems genauer rekonstruiert werden, sei zunächst auf zwei zentrale Momente hingewiesen, die schon bei Aristoteles zu finden sind und die nicht nur im Zuge dieser doppelten Auffächerung (mit-)verdeckt werden, sondern auch in ihren aktuellen Rehabilitations- und Aktualisierungsvor haben selten deutlich genug herausgestellt werden: Erstens bemerkt schon Aristoteles, dass das metaxy auch Störungen hervorrufen, nicht nur einfach durchlässig, sondern auch verzerrend sein kann. Zwar räumt er – im Gegensatz zum Konsens aktueller Medientheorien – diesem Moment kei nesfalls einen prominenten Platz in seinen Überlegungen zur Wahrnehmung ein, doch gesteht er zumindest den Fernsinnen des Sehens und Hörens und der sie ermöglichenden Luft ein Verzöge rungsmoment zu, das durchaus in Richtung einer medientheoretisch bedeutsamen Interventions- und »Prägekraft«13 weist, die immer auch eine potentielle Verfälschungsge- fahr birgt. In Bezug auf das Hören gesprochener Sprache ist so etwa die Rede von einer »Umformung der Sprachlaute, wenn sie ihren Weg durch den dazwischen liegenden Raum nehmen: Dadurch daß die Luft, indem sie den Zwischenraum durchquert, eine andere Gestalt erhält, hört man offenkundig das Gesagte nicht richtig.«14 Der zweite Aspekt betrifft eine Medienphilosophie des Umweltlichen weitaus deutlicher im Kern: Insofern als das Mediale auch als ein Um- herum auftreten kann, lässt sich eine systematische Affinität des metaxy zu einem anderen, ebenso kaum eindeutig mit einem einzigen Substantiv 12 Alloa, Das durchscheinende Bild, a. a. O., S. 123. 13 Sybille Krämer, »Das Medium als Spur und als Apparat«, in: dies. (Hg.), Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, Frankfurt / M. 1998, S. 73−94, hier S. 78. 14 Aristoteles, »Über die Wahrnehmung«, a. a. O., 446b. 40 Konjunkturen des Umweltlichen zu überset zenden »Zentralbegriff der aristotelischen Philosophie«15 kon- statieren – dem periechon. Doch kommt noch in der Formulierung vom Betreffen im Kern ein leichtes Ausweichen zum Ausdruck. Mehr noch als eine Medienphilosophie des Umweltlichen in ihrem »Kern« zu betreffen, ist die Ver wandtschaft von metaxy und periechon vielmehr Bedingung ihrer Möglichkeit, insofern als auf Basis dieser Beziehung überhaupt erst der genuin mediale Charakter des Umgebenden denkbar wird. Das periechon ist nicht mit der Gesamtnatur gleichzusetzen, eher muss es als ein je spezifisches Umgebendes aufgefasst werden, das bis auf das »limit of the universal space […] the ultimate hea venly sphere«16 immer selbst ein Umgebenes ist. Zwar zieht Aristoteles eine scharfe Grenze zwi schen Umgebendem und den jeweils umgebenen Körpern, doch rückt damit das periechon schon in eine Position, die sich als »intermediary« bezeichnen lässt und auf seine spätere Umschreibung zum »Medium« im Sinne eines mittleren Orts, eines medius locus vo- rausdeutet.17 Vom periechon spricht Aristoteles in der Physik dort, wo er sich mit der Möglichkeit einer von Au ßen angestoßenen Bewegung eines Körpers befasst. Im Gegensatz zu Platon, der das zur Seele gehörende Vermögen der Selbstbewegung zum kategorischen Prinzip erhebt, durch das sich Lebe wesen von unbelebten, nicht zu einer verändernden Bewegung aus sich selbst heraus fähigen We sen unterscheiden, schließt Aristoteles nicht aus, dass die Ursache einer Bewegung natürlicher Dinge in etwas anderem als diesen selbst liegen kann – und zwar grundsätzlich bei allen natürli chen Dingen, belebten wie unbelebten. Explizit auf eine »Mitursache« durch die Umgebung bezo gen werden aber allein qualita- tive Zustandsänderungen, die sich an lebenden Wesen vollziehen: »Die (guten Zustände) des Körpers, wie Gesundheit und Wohlbefinden, setzen wir an als passende Mischung von warmen und kalten (Bestandteilen), entweder in ihrem inneren Verhältnis zueinan der oder im Verhältnis zur umgebenden Außenwelt [περίεχον, J. J.]; ähnlich (ist es mit) Schönheit, Stärke und den übrigen Vollkommenheiten und Unzulänglichkeiten«.18 15 Hagen, »Metaxy«, a. a. O., S. 14. 16 Spitzer, »Milieu and Ambiance«, a. a. O., S. 8. 17 Vgl. ebd., Anm. 10. 18 Aristoteles, Physik. Vorlesung über Natur. Zweiter Halbband, hg. v. Hans Günter Zekl, Ham- burg 1988, 246b. Angestoßen durch das Umgebende werden neben ortsverändernden Bewegungen aber auch weitere Vollzüge lebendiger Wesen wie »Denken oder Begehren« (ebd., 253a) und vegetative Lebensfunktionen wie »Wachsen, Schrumpfen, Atmen«, die neben Menschen und Tieren auch Pflanzen zukommen (vgl. ebd., 259b). Vgl. dazu wei- terführend Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grund- Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes 41 Im Hinblick auf die Medialität des Umgebenden können nun drei cha- rakteristische Merkmale und Anschlussmöglichkeiten der aristotelischen Konzeption herausgestellt werden: Erstens ist die »Mitursache« bzw. der Anstoß durch das Umgebende nicht wie in der neuzeitlichen Mechanik als kausale Beziehung zu verstehen, sondern setzt ein »artspezifisches Sich-bewegen«19 in Gang. Jedes Bewegtwerden durch Äußeres erfordert einen Eigenanteil des Lebewesens, das die Bewegungen aufnimmt und aktualisiert. Das Lebewesen agiert dabei nicht als autonome, bezugslose Einheit, von der allein aus eine Bewegung ihren Ausgang nimmt, viel- mehr müssen die Beziehung des Le bewesens zum Umgebenden und die dadurch hervorgebrachten Vollzüge als heteronom verstan den werden. Zweitens kann die Wahrnehmungslehre im Sinne einer medialen Ästhetik avant la lettre (und eben nicht nur einer protomechanischen Sinnesphysiologie) als paradigmatischer Fall dieses Be wegtwerdens durch das Umgebende angesehen werden: Sehen, Hören, Riechen und Schme- cken sind durch die nicht allein zwischen-, sondern umherumliegenden, lebens- wie vermittlungsnot wendigen Stoffe Wasser und Luft bedingt. An diesem Punkt offenbaren »existenzielle« und »mediale« Bedingungen ihre unauflösliche Verschränkung: »Die Natur wird als wahrnehmbare er faßt, indem wir uns selbst auf sie als Naturwesen beziehen, als Lebe- wesen, die für ihre Erhaltung auf Stoffwechsel mit der Natur angewiesen sind, qua Leib selbst Natur sind.«20 Ohne zu sehr zu spitzen zu müssen, könnte man daher auch von der periechontischen Qualität des metaxy wie um gekehrt vom metaxy als immer auch einem periechon sprechen. Drittens weist die Konzeption des periechon in Richtung eines Primats des Umgebenden gegenü ber dem jeweils Umgebenen und lässt so eine Bezugsstruktur denkbar werden, die das umgebene Lebewesen in einer zuallererst passiven Haltung gegenüber einem nicht restlos verfügbaren Um gebenden situiert. Schon die Semantik des Kompositums periechon legt dies nahe: Kann die Prä position peri sowohl »um«, »herum« als auch »mit« bedeuten, so lässt sich echon als Partizip des Verbs ἔχειν (echein) mit »haben« wie auch »halten« übersetzen. In der Beziehung von Lebewesen und periechon als einem »Umhabenden« »hat« somit nicht so sehr das umgebene Lebewesen (s)ein Umgebendes und bildet dessen legung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles, 3. Aufl., Göttingen 1992, S. 233−246. 19 Wieland, Die aristotelische Physik, a. a. O., S. 237, Herv. i. O. 20 Gernot Böhme, Hartmut Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Ele- mente, München 2004, S. 116 f. Vgl. dazu auch Hoffmann, Geschichte des Medienbegriffs, a. a. O., S. 33 f. 42 Konjunkturen des Umweltlichen Zentrum, vielmehr müsste man sagen, dass es von diesem »gehabt« bzw. »gehalten« wird.21 Vor dem Hintergrund der aristotelischen Kosmologie mag es daher insgesamt zutreffend sein, das periechon als Ausdruck einer »›sympathy‹ between the cosmos and man« zu begreifen, als schüt zendes, haltendes »loving milieu round about him«22. Berücksichtigt man jedoch alle Be- funde, die das Umgebende als Mediales und damit eben auch tendenziell Störendes, als Lebensnotwendiges und damit eben auch tendenziell Lebensgefährdendes ausweisen, erscheint Spitzers Charakteri sierung des Bezugs als schützende, liebende Sympathie bereits als tendenziöse Vereinseitigung. Statt vom Umgebenden gehalten zu werden, könnte man dann auch von einem Ergriffenwerden des Lebewesens durch das Umgebende sprechen, das nicht mehr in der Semantik der Harmonie, des Schutzes und der Sympathie aufgeht. Spitzers historisch in der Exilerfahrung und der Ablehnung determi- nistischer Milieubegriffe ver ortbarer Rehabilitierungsversuch des periechon wäre dann zwar einerseits ein Gegendiskurs, der sich dessen Verdrängung durch eine naturwissenschaftliche Rationalität entgegenstellte, anderer- seits aber selbst noch als ein Fortschreiben dieser Verdrängungsgeschichte anzusehen. Medien philosophisch relevant ist nämlich nicht so sehr die schützende Rolle des Umgebenden, sondern die über diese hinausge- henden Rollen als Mediales in je spezifischen Vollzügen. Gelangt das pe riechon unter Spitzers Regie insgesamt zurück zu seiner Erfolgsrolle als wohltuende, wärmende Behausung, so wird dabei doch vergessen, dass es auch noch in anderen Rollen besetzt werden könnte und sich auch aus Aristoteles’ Schriften selbst Hinweise auf diese anderen, auf vielfältige Weise in Mediationsprozesse involvierten Rollen ableiten ließen. Spitzers Bemerkung »even in Greek the περίεχον was the μέσον [me- son, Mitte, Mittleres; J. J.] of perception«23 mag ein Hinweis sein, dass er diese Option selbst erkannt haben könnte, doch kehrt er sie als quer zu seiner eigenen Narration stehende Ausnahme sogleich wieder unter den Tisch – erst gegen Ende seiner Verlusterzählung, mit dem Hinweis einer Rückkehr des periechon in der postmechanistischen Biologie und 21 Vgl. in diesem Sinne auch die Erläuterungen zur Definition des ἔχειν in der Metaphysik: So »heißt es vom Umfassenden, es halte das Umfaßte, denn worin etwas als umfaßt vorhanden ist, von dem sagt man, werde es gehalten oder in dem sei es enthalten; vom Gefäß z. B. sagen wir, es halte die Flüssigkeit, von der Stadt, sie habe die Menschen, und von dem Schiff, es habe die Schiffer; und so sagt man auch von dem Ganzen, es habe die Teile« (Aristoteles, Metaphysik, hg. v. Ursula Wolf, Reinbek bei Hamburg 1994, 1023a). 22 Spitzer, »Milieu and Ambiance«, a. a. O., S. 5. 23 Ebd., S. 199. Kleine Archäologie des Medialen als Umgebendes 43 in der Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts, wird sich eine mögliche Versöhnung andeuten. Mit Medium und Milieu auf der einen und peri- echon, Ambiente und Umwelt auf der anderen Seite aber stellt Spitzer zwei ontoepistemisch grundlegend verschie dene Umgebungskonzepti- onen einander gegenüber. Das aus dem lateinischen Verb ambire und dessen Partizip ambiens gebildete Ambiente tritt dabei gewissermaßen die Nachfolge des pe riechon an, da es – zumindest in klassischen latei- nischen Schriften wie jenen Ciceros – noch mit warmen, schützenden, »periechontischen« Qualitäten aufgeladen war. Diese Qualitäten werden aber vom erdfixierten, »territorialen« römischen Denken sukzessive verdrängt, sodass mit dem Ambiente bereits Spitzers Verlusterzählung des periechon ihren Lauf nimmt.24 1.1.2 Verlust und Umkehr Die eigentliche Schlüsselstation dieser Verlusterzählung, an der die Be- griffsarchäologien des Me diums und des Ambienten zusammentreffen, sich aufspalten und voneinander fortbewegen, stellt aber die Physik Newtons dar. An dieser Station begegnen sich Spitzers und Canguilhems Studien sowohl thematisch als auch im Hinblick auf ihre Bewertung. Newton verwendet den Begriff »Medi um« in der Regel in Verbindung mit einem Partizip zur Explikation einer spezifischen Übertra gungsfunktion oder räumlichen Stellung. So wird der Äther, das allumfassende und -durchdrin gende, unsichtbare Übertragungsmedium der zentripetalen Gravitationskräfte 1704 in den Opticks als »Aetherial« bzw. »fluid« und »vibrating medium« eingeführt. Während allein der Äther eine aktive, funktionale Rolle als »intermediary (agent)« erfüllt, bleibt jegliche Materie in Newtons Phy sik passiv.25 Mit anderen Partizipien wie »transparent« (für Luft oder Glass) oder »refracting«, »re flecting« nimmt Newton den Begriff »Medium« dagegen zur allgemeinen Kennzeichung von Fakto ren in Experimentalanordnungen in Anspruch. In diesem Zusammenhang findet sich auch das Partizip ambiens bzw. ambient wieder.26 Die Spezifikation eines Mediums als »ambient« betrifft jedoch lediglich die räumliche Lage dieses Mediums als etwas, das einen anderen Körper 24 Vgl. ebd., S. 13−17. 25 Vgl. ebd., S. 36−42 sowie Hoffmann, Geschichte des Medienbegriffs, a. a. O., S. 77ff, Böhme, Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft, a. a. O., S. 158 ff. 26 Exemplarisch sei hier nur eine Stelle zitiert: »A very little variation of obliquity will change the reflected Colour, where the thin Body or small Particles is rarer than the ambient Medium« (Isaac Newton, Opticks, Or A Treatise of the Reflections, Refractions, Inflections & Colours of Light, New York, NY 1952, S. 254). 44 Konjunkturen des Umweltlichen umgibt, ist aber nicht mit einer qualitativen Aufla dung zu verwechseln, bei der ambient eine von anderen Übertragungsfunktionen zu unterschei dende Modalität bezeichnete. Im Gegenteil sei das ambient Medium gerade am Ende eines Spek trums angesiedelt, dessen gegenüberliegenden Pol der aktive und allgegenwärtige Äther dar stellt.27 Mit dieser Degradierung des Ambienten zur beiläufigen Positionskennzeichnung, die mit keiner über die funktionalen und durch die physikalischen Gesetze beschreibbaren mechanischen Eigenschaften hinausgehenden »Prägekraft« ausgestattet ist, erreicht Spitzers Verlusterzählung ihren Höhepunkt.28 Was Spitzer als vorläufigen Endpunkt einer tragischen Verdrängung darstellt, erweist sich in wis senschaftsgeschichtlicher Hinsicht dagegen als Erfolgsgarant des physikalischen Medienbegriffs. Gerade weil dieser nicht mehr mit je spezifischen materiellen Zwischenliegenden und deren ästhe tischer Beschaffenheit assoziiert ist, lässt er sich nun allgemeingültig formalisieren. Diese Verab solutierung und gleichzeitige Neutralisierung seiner Funktion als Übertragungsfaktor erweitert das Beschreibungspo- tential des »Mediums«, es wird selbst nahezu beliebig »übertragbar« und kann in andere, nicht mehr nur physikalische Kontexte eingeschrieben, im doppelten Sinne »ü bersetzt« werden. Eine solche Übersetzung in eine andere Sprache wie zugleich Hinübersetzung in einen anderen Kontext findet in den französischen Newton-Übersetzungen des 18. Jahrhunderts statt. Aus Newtons »Medium« bzw. »Fluidum« der Kräfteübertragung wird »Milieu«. Milieu ist so wohl Mitte, mi-lieu im Sinne eines mittleren Orts zwischen zwei Körpern, wie allumfassendes, uni verselles Umgebendes. Der Transfer auf lebendige Phänomene geschieht dabei auf Basis eines