Verlernte Kultur. Eine Dokumentation. Hrsg.v. Filminstitut Düsseldod. Redaktion: Ute Wiegand.- Düsseldod 1983, 108 S. Bezug über: Filminstitut der Landeshauptstadt DUsseldod, Prinz-Georg- Straße 80, 4000 Düsseldod 30 Neben der 'Gleichschaltung' von Presse und Rundfunk symbolisierte das Fanal der Bücherverbrennung gleichsam stellvertretend den ebenso systematisch wie barbarisch exekutierten Tod auch der übrigen Künste, soweit sie nicht der Ideologie eines arischen Blut-und-Boden-Mythos und sendungsbewußten Herrenmenschturns huldigen wollten. Dominie- rende Bedeutung für eine regimekonforme 'Aufklärung und Propaganda' Wurde schon früh von Joseph Goebbels und seinen 'Kulturideologen' n~mentlich dem Film zugewiesen. "Die nationale Revolution wird sich n~cht nur auf die Politik begrenzen, sondern sie wird übergreifen auf die Gebiete der Wirtschaft, der allgemeinen Kultur, der lnnen- und AUßenpolitik und auch des Films", hatte Goebbels anläßlich der Konsti- tuierung seines Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda prophetisch verkündet. Hier knüpft eine vom Düsseldorfer Filminstitut mit Unterstützung des Kultusministeriums und in Kooperation mit dem Dumont-Lindemann- Archiv, dem Filmarchiv des Bundesarchivs Koblenz, der Stiftung Deut- sche lGnemathek Bedin, dem Deutschen Institut fUr Filmkunde und 92 dem staatlichen Filmarchiv der DDR anläßlich der Ausstellung 'Ver- femte Kultur' und verschiedener ihr thematisch verbundener 'Film- Seminare zur nationalsozialistischen Kulturpolitik' präsentierte Doku- mentation an: Als "Reminiszenz, die uns den Verlust schmerzlich spüren läßt" und zur "kritischen Auseinandersetzung mit einem schmerzlichen Kapitel unserer Vergangenheit" (S 6). Die leider etwas eilfertig (hektographiert und provisorisch geheftet) erstellte Broschüre, die ein wenig mehr 'bibliophiles Bemühen' und genauere Durchsicht (Schreibfehler) verdient hätte, vermittelt in engagierter Weise als 'Anwalt der Betroffenen' einen Eindruck vom unermeßlichen Leid der Diffamierten und Verfolgten, der Ermordeten und Exilierten. Die Ausstellung in ihrer Konzeption und der Auswahl der Fundstücke erschließt sich dem Leser (leider) nur sehr selektiv über einen als Anhang ergänzten Pressespiegel: Erinnert wird an Henny Porten, die wegen ihres jüdischen Ehemanns Berufsverbot erhält, und an Joachi m Gottschalk, der mit seiner Familie den Freitod wählt, an Kurt Gerron, den ein zynisches System mit dem Film 'Der Führer schenkt den Juden eine Stadt' (Theresienstadt) beauftragt, danach in eben einem solchen Konzentrationslager umbringen läßt, und an Wilhelm Thiele, dessen in Hollywood gedrehter Film 'Dschungelprinzessin' unter einem Pseudo,... nym (R.E. Lloyd Sheldon) ins reichsdeutsche Kino kommt. Sieht man von Beiträgen zur politisch-künstlerischen Situation des Düsseldorfer Scbauspielhauses (Dumont, Lindemann, Langhoff und Gründgens) und Hinweisen zu Wolfgang Langhoffs Agit-Prop-Theatergruppe 'Nordwest Iran' einmal ab, scheint das Thema 'Verfemte Kultur' nicht ganz glücklich gewählt zu sein, da offensichtlich dem gesellschaftlichen Stellenwert und der künstlerischen Bedeutung des Films deutlich Priori- tät vor den übrigel1 Künsten (etwa Theater oder Musik) eingeräumt wird. Das illustrieren Referate zu den Genres Kriminalfilm 'Vom Film über das Verbrechen zum Film über staatliche Ordnungs macht' und Kriegs- film 'Von der Bekämpfung des Pazifismus zur Aufrüstungs- und Kriegs- erfolgspropaganda' (Helmut Regel; Archivar am Filmarchiv in Koblenz) sowie zur Komödie 'Die deutsche Filmkomödie vor und nach 1933' (Musikwissenschaftler Lothar Prox aus Bonn), denen eine eher histo- risch-politische Rekapitulation 'Der deutsche Film im Jahre 1933 - Neubeginn oder Vollendung?' (J.P. Kahlenberg; Leiter des Filmarchivs in Koblenz) grundlegend und einführend vorangestellt ist. Daß alle Referenten übereinstimmend eher Momente der Kontinuität (weniger eines Bruchs) zwischen Weimarer Republik und Nationalsozia- lismus betonen, dürfte in der Forschung bereits vielfach konstatiert worden sein, verdient dennoch immer wieder hervorgehoben zu werden. Alfred Rosenbergs Gründung eines 'Kampfbundes für deutsche Kultur' (x928), eine deutliche Weisung des Führers der Deutschnationalen Volkspartei und Chefs der UFA Alfred Hugenberg, "Wochenschauen sollen ein eindringliches Bild über die Schäden des Versailler Diktats" vermitteln (I 92 9}, oder die organisierten Störaktionen bei Vorführungen von 11m Westen nichts Neues' (x930) mit nachfolgendem Verbot der Remarque-Verfilmung können nur schlaglichtartig die Ag ie der Ersten Republik vor der Heraufkunft des 111. Reichs andeuten: "Die Kunst ist frei und die Kunst soll frei bleiben. Allerdings muß sie sich -- -----------~ 93 an bestimmte Normen gewöhnen", diktierte der Propagandachef in seiner programmatischen 'Kaiserhof- Rede' den Film- und Theaterschaf- fenden. Das revidierte Lichtspielgesetz, die Reichsfilmkammer, ein Reichsfilmdramaturg, die Gründung der Filmkreditbank und ein rigides (bis willkürliches) Zensur- und extensives (bis absurdes) Prädikatisie- rungssystem markieren die 'legalen', administrativen und ökonomischen Voraussetzungen, jenen veränderten 'Normen' Nachdruck zu verleihen. Kontinuität der Genres manifestiert sich besonders im "pa triotisch- nationalen" Kriegsfilm (von Heinz Pauls lDouaumont 1 oder Leo Laskos 'Der Weltkrieg' zu Hans Zöberleins 'Stoßtrupp 1917' oder Charles Willy Kaisers 'Im Trommelfeuer der Westfront') und mit gewissen Akzentver- schiebungen auch in Kriminalfilm und Filmkomödie. Ein autobiographi- scher Vortrag von Peter Pewas (exemplarischer Fall eines 'daheimge- bliebenen' Regisseurs zwischen ambitionierten Versuchen kritischer Filmästhetik und ideologisch bornierter Ignoranz der staatlich verwal- teten Kultur) und der Arbeitsgruppenbericht zur politischen und ästhetischen Substanz der Filme Georg Wilhelm Pabsts (eher nicht exemplarischer Fall eines nach I-1itler-Deutschland zurückgekehrten Emigranten) runden den 'seminaristischen Teil' der Dokumentation ab. Fazit: Von den Filmseminaren konnten neuere forschungsrelevante Er- kenntnisse nicht erwartet werden; andere Akzentsetzungen hätte man sich vorstellen können. Gleichwohl bleibt es ein Verdienst des Filmin- stituts, praktische und theoretische Defizite durch (immer wieder not- wendige) Erinnerungsarbeit und kritische Reflexion mit ihrem Doppel- projekt mindern helfen zu wollen. \"Jolfgang Schuchart k ...i