Thomas Waitz Hacking. Selbst machen DOI https://doi.org/10.25365/phaidra.20 Original Thomas Waitz: »Hacking – Selbst machen«, in: Do It Yourself. Die Mitmach-Revolution. Katalog zur Ausstellung im Museum für Kommunikation, Frankfurt/Main. Museumsstif- tung Post und Telekommunikation. Mainz: Ventil 2011, S. 40-47. Kontakt t.waitz@univie.ac.at Hinweis Diese Textfassung weicht in geringfügigen Details von der Druckfassung ab. Thomas Waitz http://www.thomaswaitz.at/ ORCID https://orcid.org/0000-0002-0137-515X Dieses Werk ist unter Creative Commons Namensnennung - Keine kommerzielle Nutzung - Keine Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0) l izenziert. Um die Lizenz anzuse- hen, gehen Sie bitte zu: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/legalcode.de Thomas Waitz Hacking: Selbst machen Richard Stallman, der Gründer der Free Software Foundation, je- ner Organisation, die sich für die prinzipielle Offenheit und ›Frei- heit‹ von Software einsetzt, hat einmal, um zu erläutern, worin sei- ner Auffassung nach Hacking bestehe, eine Anekdote erzählt. Er habe, so berichtet Stallman, in einem koreanischen Restaurant auf sein Essen gewartet, als ihm aufgefallen sei, dass vor ihm nicht wie üblich zwei, sondern gleich sechs Essstäbchen lagen. Anstatt die überzähligen beiseite zu räumen, habe er sich sofort gefragt, ob nicht eine Möglichkeit bestehe, alle sechs zugleich zu benut- zen: »I did not know any way to do that, so I realized that if I could come up with a way, it would be a hack. I started thinking. After a few seconds I had an idea.« 1 Wie Stallman das Problem gelöst hat – worin also der »hack« be- standen hat –, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Aber die kleine Anekdote verdeutlicht ein wesentliches Element des Selbst- bildes der Hacker: Sie verstehen sich als Menschen, die mit eige- nen Mitteln den Dingen auf den Grund gehen. Und doch sind sie nicht allein »Schrauber«, wie eine Übersetzung des Begriffes nahe- legen würde, oder auch nur verschrobene Nerds, wie die Populär- kultur sie häufig zeichnet. In ihrem Tun geht es vielmehr um eine Haltung der Welt, den Dingen, aber auch der eigenen Person ge- genüber. Diese Haltung selbst ist im Begriff des Hackings ange- sprochen. In der Öffentlichkeit allerdings, vor allem in den Massenmedien, steht einem solchen, abstrakten Selbstverständnis eine gänzlich andere Wahrnehmung gegenüber. Als »Hacking« wird hier zumeist die Tätigkeit des Eindringens in Computersysteme bezeichnet. Ei- ne solche Definition ist jedoch verkürzend und leitet fehl. Von dem niederländischen Informatiker Edsger Dijkstra stammt ein vielzitiertes Bonmot. In der Informatik, so Dijkstra, gehe es genau- 1 so wenig um Computer wie in der Astronomie um Teleskope. Mit einigem Recht ließe sich diese Aussage auf die Tätigkeit des Ha- ckers übertragen. Zwar erweist sich die Computer- und Informati- onstechnologie als ein besonders mächtiges Werkzeug. Es ist je- doch lediglich eines von vielen weiteren Feldern des Selbermachens, keineswegs der alleinige Gegenstand. Wenn beim jährlichen Treffen der deutschen Hacker-Gemeinde, dem Chaos Communication Congress, auch die Anhänger der Disziplin des Lockpicking – der sich als Sport verstehenden Öffnung von Schlössern ohne die dazugehörigen Schlüssel – zusammenkom- men, dann ist das kein Zufall, sondern zeigt, dass Hacking weniger durch ein gleichförmiges Instrumentarium und eine überschaubare Zahl an Gegenständen gekennzeichnet ist, als vielmehr durch eine Reihe von verbindenden Voraussetzungen und Strategien. Die Begriffsgeschichte des Verbs »to hack« lässt sich in die USA der 50er Jahre zurückverfolgen. Am Massachusetts Institute of Technology begründet sich zu diesem Zeitpunkt eine Bewegung, die sich in ihren Selbstzeugnissen wie folgt kennzeichnet: »Hacker: […] 1. Eine Person, die Spaß daran hat, die Feinheiten programmierbarer Systeme zu erforschen und ihre Möglichkeiten auszureizen, im Gegensatz zu den meisten Anwendern, die es vorziehen, nur das notwendige Minimum zu lernen. 2. Jemand, der be- geistert (oder sogar obsessiv) programmiert oder der Spaß daran hat, zu programmieren. […] 6. Ein Experte oder ein Begeisterter jeder Art. Man kann beispiels- weise ein Astronomie-Hacker sein. 7. Jemand, der die intellektuelle Herausforderung mag, Behinderungen und Beschränkungen zu überwinden oder zu umge- hen.« 2 Auf den ersten Blick ist die Geschichte des Hackings3 voll von ku- riosen Figuren, abseitigen Gegenständen und denkwürdigen Be- gebenheiten: Von Cap’n Crunchs Spielzeugpfeife, mit der sich, wie John Draper herausfand, das amerikanische Telefonnetz steuern und – ganz nebenbei – kostenlos Ferngespräche führen ließen, bis hin zu dem spektakulären Hack des BTX-Systems in Deutschland, muten solche Erzählungen bisweilen wie eine Sammlung von 2 Lausbubenstreichen, freilich auf technisch avanciertestem Niveau, an. Doch diese Wahrnehmung würde die eigentliche Bedeutung des Hackings in zweifacher Weise verkennen: zum einen die politi- sche Agenda, die das Tun der Hacker und Haecksen (wie sich die wenigen Frauen innerhalb der Szene nennen) auszeichnet; zum anderen aber auch – und zwar in einem weiten, gesellschaftlich umfassenden Sinn – die politische Rationalität, die ihr zugrunde liegt. Die ›Politik‹ des Hackings begründet sich in dessen innerer Logik. Denn dem Hacker gilt es, zunächst einmal Wissen über einen zu hackenden Gegenstand zu gewinnen. Erst im zweiten Schritt er- folgt – abstrakt gesprochen – die Bearbeitung des so formierten Gegenstandsbereiches. Diese folgt jedoch keiner planvollen, vo- rausbestimmten Struktur. Ihre Logiken und Rationalitäten sind – ganz im Gegenteil – Ausdruck eines wechselhaften, widersprüchli- chen und gerade deswegen produktiven Arrangements von Din- gen, Zeichen und Subjekten. Hacking erweist sich als eine Strate- gie, die technische Lösungen als Erfahrungsbereich absolut setzt und Konzepte der Informatik als modellhaft propagiert. Ein pro- grammierbares System kann in diesem Sinne fast alles sein, und gesellschaftliche Konstellationen und Strukturen können zu Verfü- gungsfeldern eines social engineerings werden. Hacking lässt sich deshalb auf zwei unterschiedliche Weisen als Erscheinungsform des Do It Yourself verstehen. Erstens – und mit Betonung auf dem zweiten Teil des Begriffes »Selbermachen« – geht es um das »Machen«, die konkrete Verbesserung einer vorge- fundenen Situation, ganz im Sinne von Eric S. Raymond, der in How to Become a Hacker feststellt: »The world is full of fascinating problems waiting to be solved«4. Zweitens aber – und in diesem Aspekt liegt der entscheidende Unterschied des Hackings zu an- deren Formen des Do It Yourself – geht es immer auch um den ersten Teil des Begriffes: Das »Selbst« und dessen Zurichtung gemäß dem Leitbild des Hackings. So behauptet der Kulturtheore- tiker McKenzie Wark in seinem Hacker Manifest: »Es liegt in der Natur des Hackers, sich von anderen zu unterscheiden, sich im Verlauf der Zeit sogar von sich selbst zu unterscheiden«5. Und auch Steven Levys vielzitiertes Diktum aus der Niederschrift der Hacker-Ethik, »Computers can change your life for the better«6, 3 lässt sich auf dem zweiten Teil der Aussage betonen: Es ist das »eigene Leben«, das eine Bearbeitung erfährt. Organisiert innerhalb einer »Ökonomie der Aufmerksamkeit«7, de- ren Währung die scheinbar postmaterialistischen Güter Ansehen, Einfluss und Respekt darstellen, ist Hacking gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Leistungsdenken und die permanente Über- schreitung und Neuerfindung von Grenzen innerhalb eines libertä- ren Wettbewerbs, dem die Leitbilder von Effizienz und Produktivi- tät in charakteristischer Weise eingeschrieben sind. Ihren ideologischen Begründungszusammenhang liefert dabei der Technoliberalismus, ein politisches Konzept, das, für die Gegen- wart aktualisiert, auf eine Reihe von Fragen zu antworten scheint, die gegenwärtig die Debatte um die sogenannte »Digitalisierung« und die gesellschaftlichen Implikationen ihres Auftretens begleiten – etwa im Hinblick auf geistiges Eigentum, Urheber- und Vervielfäl- tigungsrechte, den Zugang zu Wissen, die marktförmige Organisa- tion von Gesellschaft und schließlich den hegemonialen Entwürfen des Selbst. Die technoliberalistischen Vorstellungen des Hackings münden in ihrer Extremposition in den Glauben an die Selbstregu- lierungskräfte eines entfesselten Marktes, so in der durch die Zeit- schrift Wired bekannt gewordenen »kalifornischen Ideologie« einer Electronic Frontier zu Beginn der 1990er Jahre. Zum anderen re- kurrieren sie auf traditionell von der Linken präferierte ökonomi- sche Modelle – etwa, wenn die Notwenigkeit ›offener‹ Systeme betont wird, sei es im Hinblick auf Open Source-Software, das Li- zensierungsmodell der Creative Commons oder die Idee einer ge- nerellen Gemeinfreiheit kultureller Produktion. Das ›Spiel‹ der Hacker ist damit ein Sinn- wie Vorbild des ›Spiels‹ der Kräfte des Marktes. In der marktförmigen, technoliberalisti- schen Organisation des Hackings liegt das wesentliche Alleinstel- lungsmerkmal im Vergleich zu anderen Strategien des Selberma- chens. Auch der Heimwerker, der in seiner Freizeit den Dachboden ausbaut, wird sich vielleicht mit anderen messen. Er wird aber nicht in der Verfügbarkeit und der Bereitstellung von Baumaterial eine wesentliche Garantie gesellschaftlichen Fort- schritts sehen. Genau das tun jedoch – mit Bezug auf technische Infrastrukturen – Hacker. Die Prinzipien des Hackings fügen sich daher nicht zufällig umstandslos in ökonomische Inanspruchnah- 4 men und können so Modelle gegenwärtigen politischen Handelns bilden.8 Unter dem Schlagwort des »Lifehackings« ist der Aspekt solch spezifischer Subjektivierungen in den vergangenen zehn Jahren verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. 9 Parallel zu einer Renaissance des Do It Yourself, aus der das Hacking ur- sprünglich entstand, ist dabei kennzeichnend, dass nicht nur tech- nische Environments, sondern sämtliche lebensweltlichen Aspekte Strategien des Hackings unterworfen sind. Ganz im Sinne einer ›Sorge um sich‹, ist es das eigene Leben, sind es die hegemonia- len Entwürfe des Selbst, die gehackt werden können. Das Wis- sensgebiet (Life-)Hacking konstituieren Technologien der Lebens- führung und der Selbstoptimierung. Über sie artikuliert sich in kennzeichnender Weise das Ideal eines freien, selbstbestimmten Lebens. Mehr denn je erscheint der Hacker damit als Phantasma einer Gesellschaft, die in ihm eine »digitalen Elite«10 und einen »Avantgarde-Citoyen«11 zu erkennen sucht. Ihr scheinbar spieleri- sches Selbermachen erscheint einer Gesellschaft, die Eigenver- antwortlichkeit und ein leidenschaftliches Verhältnis zur Arbeit als erstrebenswerte Ideale entwirft, als uneingelöstes Versprechen. 5 1 »Ich wusste nicht, wie das gehen sollte, und damit wurde mir klar, dass, sollte es mir gelingen, einen Weg zu finden, dies ein hack wäre. Ich dachte nach. Ein paar Sekunden später hatte ich eine Idee.« — Richard Stallman: On Hacking. http://www.stallman.org/articles/on-hacking.html, Stand 27.03.2007 2 Eric Steven Raymond: The Jargon File, Version 4.2.0. http://catb.org/jargon/, Stand 21.08.2002 3 Vgl. Boris Gröndahl: Hacker. Hamburg 2000 4 Eric Steven Raymond: How to Become a Hacker. Revision 1.43. http://www.catb.org/~esr/faqs/hacker-howto.html. Stand 22.02.2011 5 McKenzie Wark: Hacker Manifest. München 2005, §003 6 »Computer können dein Leben zum besseren verändern« — Steven Levy: Ha- ckers. Heroes of the Computer Revolution. New York 1984, S. 71. 7 Georg Franck: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit. München 1998 8 Vgl. Nicola Phillips: Reality Hacking. Unusual Ideas and Provocations for Rein- venting Your Work. London 1997; Franz Liebl: The Art and Business of Cultural Hacking: eine Bestandsaufnahme. In: Thomas Düllo / Franz Liebl (Hg.): Cultural Hacking. Kunst des Strategischen Handels. Wien 2005, S. 181-228 9 Vgl. Thomas Waitz: Lifehacking. Medien und Selbsttechnologien. In: Andreas R. Becker / Doreen Hartmann / Don Cecil Lorey / Andrea Nolte (Hg.): Medien – Dis- kurse – Deutungen. Marburg 2007, S. 221-228 10 Lutz Ellrich: Die ›Digitale Elite‹ als Impulsgeber für sozialen Wandel. In: Andre- as Ziemann (Hg.): Medien der Gesellschaft – Gesellschaft der Medien. Konstanz 2006, S. 141-160 11 Christoph Engemann: Electronic Government und die Free Software Bewe- gung. Der Hacker als Avantgarde Citoyen. In: Markus Stauff / Daniel Gethmann (Hg.): Politik der Medien. Zürich/Berlin 2005, S. 155-173 6