Mediengeschichten 97 Alexander Braun: Horror im Comic Berlin: avant 2022, 456 S., ISBN 9783964450678, EUR 49,- Spätestens seit der Schau „Comics! zeugend gestalteten Publikation bei- Mangas! Graphic Novels!“, die 2017 in nahe verborgen geblieben. der Bundeskunsthalle in Bonn gezeigt Neben Sex und Gewalt war Horror wurde, sind Ausstellungen über eines der Themen, die ab den späten Comics auch in Deutschland im expo- 1940er Jahren international zur Ein- sitorischen Mainstream angekommen. stufung des Comics als ‚Schmutz und Kuratiert wurde die Schau, die über Schund‘ und zu Zensurmaßnahmen 250 Exponate aus den USA, Japan und führten. In den bezüglich ihrer Bei- Europa vereinte, von Alexander Braun spielwahl immer noch zu homogenen und Andreas Knigge. Gerade solche Comics Studies ist dem Genre Horror Überblicksausstellungen können sich bislang noch vergleichsweise wenig als weichenstellend für Personen Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dies erweisen, die zum ersten Mal in Kon- gilt insbesondere für die deutschspra- takt mit einem bis dato unbekannten chige Forschung, aber auch für den Medium oder Thema treten – und sich angloamerikanischen Bereich, wo ihre Meinung dazu bilden, wessen allerdings gerade mehrere Antholo- Arbeiten populär sind und was zum gien zum Thema in Entstehung sind. Kanon gehört. Dies gilt in geringerem Insofern widmet sich Braun mit Aus- Maß auch für fokussiertere Ausstel- stellung und Katalog einem vernach- lungen. Ein Schwerpunkt solcher lässigten Genre, was eine gewisse Comicausstellungen kann neben der Verantwortung mit sich bringt. Hor- Werkschau einzelner Comicschaf- rorcomics, bisweilen auch als Subgenre fender unter anderem das Genre sein. von Fantasy eingestuft (vgl. Varis, Essi: Ein Beispiel hierfür ist die ebenfalls „Fantasy.“ In: La Cour, Erin/Grennan, von Braun kuratierte Ausstellung Simon/Spanjers, Rik [Hg.]: Key Terms „Horror im Comic“, die 2022 im in Comics Studies: A Guidebook. Lon- schauraum: comic + cartoon in Dort- don: Palgrave Macmillan 2022, S.107) mund zu sehen war. Angesichts des legen den Fokus auf „PSYCHOLO- Formats von 24 x 31 cm, der Papier- GICALLY irrational fears of the qualität sowie der Anzahl und Qua- unknown“ (G errard, Steven: „Horror.“ lität der Abbildungen, die bisweilen In: La Cour, Erin/Grennan, Simon/ fast an Faksimiles heranreicht, nimmt Spanjers, Rik [Hg.]: Key Terms in der Preis von unter 50 Euro wunder. Comics Studies: A Guidebook. London: Da der Verlag nicht bereit war, ein Palgrave Macmillan 2022, S.149, dort gedrucktes Rezensionsexemplar zur auch weiterführende Literatur) und Verfügung zu stellen, wäre mir die- haben ihre Ursprünge in den gothic ser wesentliche Pluspunkt der auch tropes, wie sie sich unter anderem bei (kalli)grafisch aufwändig und über- Percy Bysshe Shelley, Edgar Allan 98 MEDIENwissenschaft 01/2023 Poe und Bram Stoker finden. Zu die- normalen Entität nachgehen. Zwei sen Schauermotiven zählen etwa Gei- Kapitel über die See und das Weltall ster, Dämonen, Untote und Werwölfe. als unheimliche Orte schließen hier Auch Braun erwähnt zu Beginn seiner an. Nach Wahnsinn als weiterem gothic Publikation die literarischen Wurzeln trope beschließen ein Kapitel über ita- des Genres, hält jedoch fest: „Horror lienische Horrorcomics (fumetti neri) [...] impliziert häufig den gewaltsamen und „Horror made in Japan“ (S.423) Verlust der Einheit des Körpers“ (S.7). die Anthologie. Dies ist jedoch nur eine Horrordefini- Auch wenn es sich nicht um eine tion von vielen, was mit einem Hinweis wissenschaftliche Publikation im auf die entsprechende Fachliteratur engeren Sinne handelt, ist das Aus- hätte erwähnt werden sollen. Horror bleiben einer Einbettung der kenntnis- ist mehr als Gore. Die Definition reich geschriebenen und umfangreich erklärt allerdings (teilweise) Brauns bebilderten Kapitel in den (noch über- Auswahl von Beispielen, mit denen er schaubaren) Fachdiskurs bedauerlich. an die Bildtradition von Darstellungen Ein Medienverzeichnis gibt es nicht, anknüpft, die den Verlust der körper- da sich die Angaben zu Filmen und lichen Integrität inszenieren, so zum konsultierter (Fach-)Literatur jeweils Beispiel Heiligenmartyrien und Lei- in den (wenigen) Endnoten am Kapi- chensezierungen. Braun wendet sich in telende finden. Zumal die meisten Bei- erster Linie den EC-Comics zu: „Als spiele aus den USA stammen, hätten erster reiner Horror-Comic gilt Avons hier zumindest Verweise auf weiter- Eerie Comics vom Januar 1947. Das führende englischsprachige Fachlite- Heft kam aber nie über eine erste und ratur erfolgen können. Es hätte auch einzige Ausgabe hinaus“ (S.42). Erst Brauns enge Horror-Definition relati- 1950 gelang die Etablierung des neuen viert werden müssen, der geschuldet ist, Genres am Comicmarkt, dem durch dass deutschsprachige Horror-Comics die Einführung des Comics Codes im für jugendliche Lesende nicht einmal Jahr 1954 erhebliche Einschränkungen erwähnt werden. Es steht zu hoffen, auferlegt wurden. Das Folgekapitel dass sich jemand dieses Desiderats nimmt neben EC auch Horror-Comics annimmt und hier auch den Beitrag anderer Verlage in den Blick, so zum von Peter Mennigen entsprechend Beispiel von Avon, Fawcett, Harvey, würdigt, der in den 1980er und 1990er Quality oder St. John. Jahren unter anderem die Skripte für Das dritte Kapitel schließlich setzt die Bastei-Serien Gespenster Geschichten den Schwerpunkt auf Horror-Comics (1974-2006), Spuk-Geschichten (1978- der 1950er bis 1980er Jahre. Hie- 1995), Manos – Der Dämonenjäger rauf folgen sechs Abschnitte, die mit (1980-1982) und Vanessa (1982-1990) ihrem Fokus auf Teufel und Dämo- verfasste. nen, lebende Tote, Vampire, Wer- Dass das Bildmaterial der Publika- wölfe, Geister und Zombies jeweils der tion mit Unbehagen erfüllt, wird bei Genese einer horror-typischen para- dem Thema niemanden verwundern, Mediengeschichten 99 und das Wort ‚Horror‘ im Titel sollte tierend. Sie wirft Fragen bezüglich hier Triggerwarnung genug sein. Eine des Zielpublikums auf – gerade dann, Sonderstellung nehmen allerdings wenn ihr Abdruck auch noch als anti- Abbildungen ein, in denen es um bigotter Akt gegen die Doppelmoral extreme sexualisierte Gewalt geht, gerechtfertigt wird (vgl. S.394). Hier die sich in erster Linie gegen Frauen wundert man sich auch über den avant- richtet. Die Umschreibung der por- Verlag – nicht zuletzt deswegen, weil nografischen Darstellungen auf der er auch die feministischen Comics von Textebene hätte hier durchaus genügt. Liv S trömquist veröffentlicht. Ihre Doppelung durch die Illustration ist, um es milde auszudrücken, irri- Barbara Margarethe Eggert (Stuttgart)