Alfred Herrhausen Gesellschaft für Internationalen Dialog (Hg.): Multimedia. Eine revolutionäre Herausforderung. Perspektiven der Informationsgesellschaft. 3. Jahreskolloquium 15J17. Juni 1995 Frankfurt/M., Stuttgart: Poeschel 1995, 201 S., ISBN 3-7910-0963-X, DM 24,80 Die Sammelbände von Veranstaltungen zum Thema Multimedia wachsen sprung- haft an. Das Bedeutende an diesem Band ist nicht, daß die Vorträge der Refe- renten (es sind ja fast immer dieselben) viel Neues enthielten, sondern daß der Rezipientenkreis dieser Veranstaltung an Erlesenheit kaum noch zu überbieten ist: Vorstandsvorsitzende und -mitglieder der größten Konzerne, Bundes- und Landesminister, Schriftsteller, hochkarätige Wissenschaftler, Mediengewaltige. Die Diskussionen dieses Auditoriums mit den Vortragenden sind ebenfalls mit abgedruckt. Auch in ihnen findet sich kaum Neues, allenfalls die Einsicht, daß sich in diesem hochkarätigen Kreis die gleichen Fragen und Vorurteile finden, wie überall dort, wo über dieses Thema diskutiert wird. Am Beginn des Bandes steht - nach einer Einführung von Hilmar Kopper (diesmal als Vorsitzender des Kuratoriums)- ein Referat von Neil Postman „Die multiplen Gefahren der multiplen Medien", das eigentlich nicht sehr viel mehr sagt, als daß wir weder die Bibel noch Wissenschaftffechnik als absolute und endgültige Wahrheiten betrachten sollen, insbesondere in Zeiten der Verände- rung. Der Umgang mit der Technik ist ein moralisches Problem, und besonders muß man dabei den Ge chäftsleuten auf die Finger sehen. Eli M. Noam konsta- 424 Medienwissenschaft 4196 tiert in „Visionen des Medienzeitalters: Die Zähmung des Informationsmonsters" ein Überangebot an „Informationen" bzw. an Störgeräuschen und charakteri- siert einige der Reaktionen auf diesen Rausch-Zuwachs: Bekämpfung der neu- en Medien, erhöhte Intensität, Verschließen und Spezialisierung, Umstrukturie- rung, Automatisierung, Ökonomie als Selektionsmittel. Die heutige Revoluti- on der Informationsbeförderung werde ähnliche Auswirkungen haben wie die frühere Revolution in der privaten Personenbeförderung. Nach den beiden (Alibi-) Wissenschaftlern dann die Firmenvertreter: Adri Baan (Philips) befaßt sich in „Elektronische Produkte und Märkte der Zukunft" mit einigen Entwicklungen, weist auf Verzögerungen hin und die Möglichkeit der Entwicklung von „Datenautobahn-Persönlichkeiten" (was immer das sein soll), gibt aber auch zu, daß er vieles nicht überblickt. Hagen Hultzsch (Deut- sche Telekom) über „Die globalinformierte Welt" glaubt immer noch an den Arbeitsplatzgewinn durch die „Infostruktur" oder zumindest an den Ausgleich der dadurch entstehenden Arbeitsplatzverluste (und wird dabei erstaunlicher- weise von C. Christian Weizsäcker unterstützt) und setzt auf die befreienden Potentiale der Technologien, die man sich allerdings erst durch Bildung erar- beiten müsse. Dann die Politik: Jürgen Rüttgers muß natürlich optimistisch sein in Bezug auf die „Politikfähigkeit medial bestimmter Demokratien", wobei er als Reak- tion auf das Leben in der Totalen, das die neuen Medien bieten, eine neue Hin- wendung zum Lokalen und Regionalen sowie die Chance zu mehr demokrati- scher Vitalität von unten sieht. Damit verbinde sich allerdings die Gefahr, daß Politik an vielen Stellen nur noch symbolisch wird. Und dann für die Praxis Lewis A. Friedland über „Multimedien-Journalismus: ein Widerspruch in sich?" Er meint, daß sich der Widerspruch etwa durch eine Ergänzung der Zeitung durch Online-Dienste vermeiden ließe, beschränkt also Journalismus eigentlich nur auf Zeitung und greift damit doch recht kurz. Vor dem Schlußwort von Hilmar Kopper wieder einmal Hilmar Hoffmann: „Lesen - Hören - Sehen - Lernen. Die neue Masse elektronischer Massenme- dien". Natürlich ist der Ausgangspunkt - es hat schon immer Revolutionen ge- geben, wesentlicher Bezugspunkt ist die menschliche Existenz - richtig, daß aber die Zukunft dem Gutenberg-Buch als Inkarnation der Lesemedien gehören wird, ist sicherlich eher eine Wunschvorstellung. Hier hätte man sich doch wenigstens am Ende ein wenig mehr Vision als dieser Pfeifen im Keller gewünscht. Immerhin ist das Buch sehr schnell erschienen, so daß es einige der in der nächsten Zukunft mit Sicherheit publizierten Vorläufer oder Abgüsse der Vor- träge zeitlich überholt hat. Dafür ist es miserabel redigiert und graphisch völlig anspruchslos. Vielleicht haben Bücher auch deshalb eine Zukunft, weil man in ihnen so herrlich mit diesen Textmarkern Markierungen anbringen kann - lei- der nicht in diesem, es ist auf nicht saugfähigem Papier gedruckt, so daß die Seiten dann zusammenkleben. Viel Prominenz und Aufwand, wenig Substanz, II Medien!Kulwr 425 aber einige interessante Diskussionsbeiträge von Leuten, die vielleicht deshalb mitdiskutiert haben, weil sie nicht zu den Standardreisenden gehören (etwa Riesenhuber, Seebacher-Brandt, Catenhusen). Vielleicht war dies aber auch ein Aufgalopp für einen 'Promi-Chat' in America Online. Gernot Wersig (Berlin)