Perspektiven 395 Perspektiven Birgit Althans, Mirjam Lewandowsky, Fiona Schrading & Janna R. Wieland Enacting Media: Zum Verhältnis von Forschungsapparat und Affektforschung In diesem Beitrag geht es um die Handlungsmacht von Apparaturen des Forschens im ethnografischen For- schungsprozess und darum, wie sie bestimmte ‚Unterschiede von Gewicht‘ (vgl. Barad 2012) erzeugen können und das Beforschte in gewissem Sinne mither- vorbringen. In Bezug auf eine feminis- tische neomaterialistische1 Perspek- 1 Ansätze des feministischen New Materia- lism – wir beziehen uns vor allen auf Karen Barad und Donna Haraway – schließen an die Verabschiedung des sozialkonstrukti- vistischen Paradigmas und die Hinwen- dung zu ontologischen Fragstellungen an und betonen unter Auflösung der binären Trennung zwischen Natur und Kultur, Materie und Bedeutung, Ontologie und Epistemologie den Prozess der „onto- logical performance of the world in its ongoing articulation“ (Barad 2008, S.330), in dem auch Materie selbst eine Hand- lungsmacht zukommt. Nichts geht dem relationalen Prozess der Welterzeugung voraus oder liegt ihm zugrunde, Enti- täten gehen ihren Relationen und Intra- aktionen nicht voraus, sondern werden in diesen performativ und iterativ materiali- siert: „matter [...] is a doing“ (Barad 2007, S.151). Barad geht es mit ihrem Begriff der ‚Ontoepistemologie‘ darum, dass auch Wissenspraktiken nicht einfach präexis- tierende Eigenschaften oder Entitäten entdecken oder präsentieren, sondern sie mit hervorbringen. tive kann (ethnografische) Forschung nicht als alleiniges Konstrukt eines Forscher_innensubjekts verstanden werden, sondern als gemeinsame Umsetzung eines Forschungspro- zesses, der Aufzeichnungspraktiken, Instrumente (Kamera, Aufnahmege- räte, Notizbücher, Computer uvm.) und Methoden ebenso umfasst wie Forschungssubjekte, -objekte und wis- senschaftliche Diskurse. Spezifische Forschungsapparate setzen materi- ell-diskursive Differenzierungs- und Grenzziehungsprozesse in Kraft, die nicht alleine vom Forscher_innensub- jekt bestimmt werden, das sich selbst innerhalb der komplexen techni- schen, affektiven, sozialen, politischen Zusammenhänge des Prozesses kon- stituiert (vgl. auch Schadler 2019 zu Ansätzen einer neomaterialistischen Ethnografie). Der vorliegende Beitrag soll sicht- bar machen, wie Forschungsapparaten gerade in der ethnografischen Erfor- schung von Affekträumen Hand- lungsmacht zukommt, wie spezifisch Aufzeichnungstechnologien mitbe- stimmen, was in Affekträumen (nicht) 396 MEDIENwissenschaft 04/2023 sicht-, hör- oder fühlbar wird und wie wir selbst eine kritische Praxis mit diesen entwickeln können (vgl. Hara- way 1988). Affekträume konstituieren sich mit und durch die Medialität der Forschungsapparate und der im For- schungsprozess produzierten Tran- skripte, Beschreibungen, Fotos, Videos und Tondokumente. Affekträume können als Beziehungsgeflechte von mehr-als-menschlichen Welten ver- standen werden, an denen auch nicht-menschliche Akteur_innen wie Landschaften, Luft, Atmosphäre oder Gegenstände mitwirken. Diese Auf- fassung schließt an einen Strang der kulturwissenschaftlichen Affekttheorie an, die den Affekt als konstitutive Rela- tionalität zwischen unterschiedlichen Körpern, Objekten und Umwelten auffasst (vgl. u.a. Slaby/Scheve 2019; Massumi 2002; Gregg/Seigworth 2010; Seyfert 2019). Affekte beziehen sich also nicht auf individuelle, mentale Zustände, sondern auf die relationale Dynamik zwischen Akteur_innen und Umwelten. Affekte, so die Ethnologin Kathleen Stewart, sind „literally moving things“: „things that are in motion and that are defined by their capacity to affect and to be affected—they have to be mapped through different, coexisting forms of composition, habituation, and event“ (Stewart 2007, S.4). Affekte ver- weigern sich der Repräsentation (vgl. ebd.) und erfordern mehr-als-reprä- sentationale Methoden der Affektfor- schung (vgl. Knudsen/Stage 2015). Im Kontext unseres Forschungs- projekts, in dem ländliche Räume als Affektraum und kulturelle Bildung als Pädagogik der Verortung2 untersucht werden, geht es darum, anschließend an Methoden des interdisziplinären Forschungsansatzes der „Sensory Eth- nography“ (Pink 2015) andere Weisen des Wahrnehmens einzuüben (vgl. Blackman/Venn 2010) und (neben ethnografischen auch künstlerische) Forschungspraktiken zu entwickeln, die die multisensorischen und affek- tiven, oft nicht-verbalen Aspekte der Forschungssituationen erfassen können. Zugleich sollen Ansätze aktu- 2 Im BMBF-Forschungsprojekt „Waste- land? Ländlicher Raum als Affektraum und Kulturelle Bildung als Pädagogik der Verortung“ (2020-2023), angesiedelt an der Kunstakademie Düsseldorf, wer- den drei verschiedene Institutionen der kulturellen Bildung (Theater, Kunststif- tung, Museum) in drei unterschiedlichen Regionen Deutschlands und deren lokaler ‚Umraum‘ mit Mitteln der „Sensory Eth- nography“ (Pink 2015) beforscht. Ziel des Projekts ist es, den ländlichen Raum als ‚Affektraum‘ zu untersuchen und die komplexen Zusammenhänge zwischen Zugehörigkeitsgefühlen und Verlusterfah- rungen angesichts von Veränderungen der gewohnten Lebenswelten sowie von Pro- zessen der Dislokation und Lokalisierung und die daraus resultierenden veränderten Anforderungen an Angebote kulturel- ler Bildung zu thematisieren. Um Orte und ihre Geschichten als ‚Affekträume‘, die sich in der täglichen Verschränkung der Aktivitäten menschlicher und nicht- menschlicher Akteur_innen entwickeln, zu beschreiben, werden neomaterialis- tische und affekttheoretische Ansätze (vgl. u.a. Slaby/Scheve 2019; Massumi 2002; Gregg/Seigworth 2010; Seyfert 2019) herangezogen sowie drei partizipative und künstlerische Forschungsformate entwi- ckelt, die auf die drei Forschungsfelder reagieren. Perspektiven 397 eller Affektforschung (vgl. Knudsen/ Stage 2015) und damit neue Wege der Aufmerksamkeit für empiri- sches Material entwickelt werden: „to approach material in ways that are sen- sible to the affective processes leading to, traced or motivated by the empirical material“ (ebd., S.8). Wie Affekträume dabei durch die technisch-medialen Apparate, Gegenstände, Materialien, Methoden, mit denen und durch die wir forschen, hervorgebracht werden, ist dabei eine zentrale Frage affekto- rientierter ethnografischer Forschung. Wie also können die im Forschungs- prozess produzierten Transkripte, Beschreibung en, fotografischen Bilder, Videos und Soundaufnahmen selbst affektiv beziehungsweise affek- tiv ästhetisch wirksam werden (vgl. Althans/Engel 2016)? Wie ko-pro- duzieren Forschungsapparate und Forschungsmaterial affektive Räume? Forschungsapparate verweisen daher auf die Frage nach dem von Haraway (2018) geprägten Begriff der response- ability: die Fähigkeit, zu erkennen, wie auf Probleme geantwortet wird und wie dabei zugleich Verantwortung für Forschungsprozesse übernommen werden kann. Anhand von ethnografischem Material aus dem Forschungsprojekt entwickeln die folgenden drei Unter- kapitel „Was tun fotografische Bilder?“ ( Janna R. Wieland), „Affektive Figu- rationen: Forschen mit performativen Bildern“ (Fiona Schrading) und „Wie entsteht Wissen aus und mit apparativ erzeugten Bildern?“ (Mirjam Lewan- dowsky) unterschiedliche Zugänge zur Handlungsmacht von Forschungs- apparaten in der Beforschung von Affekträumen und fragen danach, wie sich ethnografisches Material, wie Texte, Fotos, Video und Ton, zu den multisensorischen affektiven Aspekten der Forschungssituation verhält. Wie (re-)produzieren diese Materialien überhaupt affektive Räume? Dabei soll besonders die Rolle von fotografischen Bildern und bilderzeugenden Medien thematisiert werden. Bilder verstehen wir nicht als passive Objekte, sondern als aktive Akteure, die als Teil eines größeren Netzwerks von materiellen und sozialen Beziehungen aufgefasst werden. Ein Bild kann somit als ein Element in einer größeren materialen Realität betrachtet werden, die in stän- diger Veränderung und Interaktion steht. Mit diesem Ansatz betonen wir auch die Materialität der Bilder selbst, also ihre physische Struktur und die Art und Weise, wie sie hergestellt und (re-)produziert werden. Bilder werden nicht als bloße Abbilder einer vorgän- gigen Wirklichkeit betrachtet, sondern als materiell-diskursive Objekte, die in einem bestimmten kulturellen, politi- schen und sozialen Kontext produziert werden und damit selbst veränderbar sind. Sie können, wie Haraway (1988) argumentiert, dazu beitragen, kom- plexe Informationen zugänglicher und verständlicher, aber auch Machtver- hältnisse und Voreingenommenheiten sichtbar machen. Was tun Bilder in der ethnografischen Forschung? Wie stellen sie Un/Sichtbarkeit her? Wie 398 MEDIENwissenschaft 04/2023 lässt sich ein spezifisch bildbasier- tes Wissen als Praxis der Erinnerung und des Zeugnisses, zwischen Zeigen und Entzug ausloten (vgl. Huffschmid 2015; Geimer 2022)? Und wie lässt sich mit diesen Apparaturen des For- schens eine kritische Praxis entwickeln (vgl. Haraway 1988)? Die drei folgenden Unterkapi- tel thematisieren, geprägt von unter- schiedlichen disziplinären Perspektiven (kulturanthropologisch, medienkul- turwissenschaftlich und kunstwissen- schaftlich), wie Bilder zu performativen Mit-Akteuren im ethnografischen For- schungsprozess werden. Sie beziehen sich auf ethnographisches Material aus je einem der drei Felder des Forschungs- projekts ( Niedersachsen, Schleswig- Holstein, Brandenburg) und skizzieren – im Sinne einer nicht-repräsenta- tionalen Forschung zu Affekträumen – exemplarisch die unterschiedlichen Bildpraktiken der Forscherinnen im Hinblick auf das jeweilige Forschungs- material. So thematisiert Wieland in ihrem Beitrag anhand einer Theater- probe der Jungen Landesbühne in Wilhelmshaven (Niedersachsen) den performativen Akt des Fotografierens als einen Schnitt, der eine Differenz zwischen dem, was sie als Forschende sieht und dem, was nicht sichtbar wird, in Kraft setzt (enacted) und fragt danach, wie sich in und mit fotografi- schen Bildern ordinary affects einfangen lassen. Schrading geht den ortsge- schichtlichen Figuren in Hohenlock- stedt (Schleswig-Holstein) und der Handlungsmacht performativer Bilder nach, die sich aus dem ethnografischen Forschungsmaterial heraus verdichten lassen und konzipiert diese als Figu- ren, die Affekte transportieren können. Lewandowsky wiederum adressiert anhand einer Umweltkatastrophe im Oderbruch (Brandenburg) fotografi- sche Bilderzeugung im Spannungsfeld zwischen Evidenz, Ästhetik und Bild- gedächtnis, deren mediale Rückkopp- lungen ethnografische Fotografien erzeugen. Das Fazit von Birgit Althans formuliert einen Ausblick darauf, wie Akte des Bildermachens als eine Praxis der Verortung auch für die Bildungs- wissenschaften von Bedeutung sind. Was tun fotografische Bilder? ( Janna R. Wieland) Im Durchblättern der Fotografien, die ich innerhalb der sensorisch eth- nografischen Forschung während Theaterproben an der julabü ( Junge Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven) gemacht habe, fällt auf, dass viele Bilder nicht das zeigen, was ich einzufangen versuchte. Der Eigensinn des technisch-medialen Apparats in seiner Performativität und Handlungsmacht (agency) voll- zieht einen Schnitt, der eine Differenz zwischen dem, was ich als Forschende sehe, und dem, was nicht sichtbar wird, in Kraft setzt. Dieser ,gemeinsame‘ Schnitt bildet etwas anderes ab als das, was ich während des Fotografierens auf der Linse sehe, spüre oder imaginiere – und doch drücke ich auf den Auslöser Perspektiven 399 der digitalen Spiegelreflexkamera. Ich versuche, durch die ,Linse‘ gewöhnli- ches Affektgeschehen (ordinary affects) (vgl. Stewart 2007) einzufangen, das sich im Forschungsfeld während Thea- terproben ereignet – zumeist in flüch- tigen Moment(aufnahmen), die dann geschehen, wenn etwas schon vorbei und passiert ist: wie beispielsweise eine schüchterne Geste oder die hei- tere oder auch gedrückte Stimmung während der Theaterproben zwischen Pandemie-Lockdowns in 2020/2021 beim Jugendtheaterprojekt By the Sea der julabü. By the Sea ist ein kooperatives Pro- jekt zwischen dem Theater-Jugendclub der julabü und der Kunsthalle Wil- helmshaven mit einer gleichnamigen Ausstellung, die 2021 gezeigt wurde. Mit Referenzen zu Land-Art-Künst- ler_innen der Ausstellung By the Sea haben Jugendliche aus Wilhelms- haven in Theaterproben künstlerisch und performativ Bezüge zu Wasser und Landschaften hergestellt. Vor dem Hintergrund der Bedingungen der COVID-19-Maßnahmen wurde zunächst online, später am Südstrand in Wilhelmshaven in Einzel- und Kleingruppenproben gearbeitet, aus denen später ein Film entstand, der in der Kunsthalle Wilhelmshaven im Rahmen des Begleitprogramms der Ausstellung gezeigt wurde. Während der Proben des Jugendclubs machte ich teilnehmend beobachtend Notizen und Fotografien. Fotografische Bilder dienten mir im Forschungsprozess als Werkzeug, als Erinnerungsstütze und als Archiv. Sie sind eine Auswahl, ein Schnitt, und sie sind nicht immer ‚schön‘, sie sind flüchtig, können etwas in Kraft setzen ohne ein Abbild zu sein, sie sind voller Spuren, die auf Affekt- geschehen und auf Ausschnitte von Materialitäten, Räumlichkeiten, Stim- mungen und Handlungen verweisen. Fotografieren als ein Ereignis zwischen der fotografierten Situa- tion und dem/der Fotografierenden erhebt immer auch den Anspruch, sich einzumischen, einzudringen oder zu ignorieren (vgl. Sontag 2016). Die Rolle des ‚Sich-Einmischens‘ ist ins- besondere in der ethnografischen For- schung, die sich dadurch auszeichnet, vor Ort zu sein, stets eine Gradwan- derung zwischen einem Innen und Außen – ein Involviert-Sein (vgl. Pink 2015) – einerseits mittendrin und zugleich (mit dem Blick, der Kamera) von außen drauf. Mit einer neomate- rialistischen Perspektive lassen sich meine Position als Forscherin, der Forschungsapparat und -objekt jedoch nicht binär in ein Innen (subjektiv) und Außen (objektiv) trennen, indem ich als Forschende aus externer Posi- tion ein separates Objekt mit ihm innewohnenden Eigenschaften durch meine Forschungsergebnisse repräsen- tiere (vgl. Schadler 2019, S.217). In der teilnehmenden Beobachtung werden permanent Entscheidungen getroffen – oder, mit Barad (2012) gesprochen, ‚agentielle Schnitte‘ vollzogen – über das, was wahrgenommen wird und worauf ich mich besonders in Auf- zeichnungs- und Darstellungsprak- 400 MEDIENwissenschaft 04/2023 tiken fokussiere. Agentielle Schnitte (agential cuts) geschehen Barad zufolge durch den Untersuchungsapparat selbst. (Forschungs-)Apparate versteht Barad als materielle Bedingungen der (Un-)Möglichkeit einer Materialisie- rung. Sie sind weder neutrale Unter- suchungsinstrumente, noch nehmen sie ein bestimmtes Ergebnis deter- ministisch vorweg (vgl. ebd., S.34f.). Vielmehr nimmt der (Forschungs-) Apparat Schnitte vor und setzt so bestimmte Differenzen in Kraft (enac- ting). Dies ist wiederum an die For- schungsperspektive der Forscherin gekoppelt, ihr emplacement (vgl. Pink 2015), an ein ‚situiertes Wissen‘ (vgl. Haraway 1988), das die ,bestimm- ten‘ Fragen, die gestellt werden, erst ermöglicht. In ihrem Konzept des situierten Wissens hinterfragt Hara- way die Idee von orts- und körperlo- ser, scheinbar neutraler Objektivität und setzt dem entgegen, ‚Objektivi- tät als positionierte Rationalität‘ zu betrachten. Dabei geht es nicht darum, den Anspruch auf Objektivität gene- rell aufzugeben, sondern spezifische Verortungen, auch die eigene, mit- zudenken. Die eigene partiale Veror- tung und Situierung – Wissen als ein stets verkörpertes – kann somit nicht wegobjektiviert werden. Als situierte Forscherin, die sich als Teil des For- schungsapparats und somit als Teil des Phänomens versteht, agiere/reagiere ich nicht ,über‘, sondern ,mit‘ im Sinne eines „thinking with“ (Neimanis 2018, S.244) innerhalb des Felds und seiner materiell-diskursiven Praxis und der Abb.1: Abdrücke im Watt, Foto: Janna R. Wieland, WHV Südstrand, 2021 Perspektiven 401 damit einhergehenden agency (oder Wirkkraft/Wirkmacht) von Affekten, Dingen, Orten, Zeitlichkeiten, Klän- gen und Bildern (vgl. Wieland 2019). Durch/mit dem (Forschungs-) Apparat, dem Forschungsdesign, den beteiligten menschlichen und nicht- menschlichen Akteur_innen, den For- schenden selbst werden die Relevanzen, die in der Forschung entstehen, erst als solche hervorgebracht – ein gemeinsa- mes Inkraftsetzen: „shared enactment“ (Schadler 2019, S.217; vgl. auch Barad 2007, S.178). Eine Fotografie, die ich immer wieder in die Hand nehme, ist die Momentaufnahme, die ich Abdrücke im Watt nenne (Abb.1). Für mich verknüpft das fotografische Bild als Medium verschiedene Zeitlichkei- ten und Stimmungen der Theater- proben. Die Fotografie erscheint als „ein Medium, das verschiedene Zeitlichkeiten direkt miteinander zu verknüpfen vermag und Vergan- genes (scheinbar) unmittelbar in die Gegenwart des Betrachtens holt. In Erinnerungsprozessen […] in denen Schritte, Schichten und Zeitlichkei- ten einander überlagern“ (Huffschmid 2015, S.377). Die Umrisse des recht- eckigen Abdrucks im Sand zeichnen die jeweiligen Zimmer der Jugend- lichen nach, in denen sie am Strand mit dem Sand und Meer ihre jewei- lige Situation während der COVID- 19-Lockdowns nachspielten (Abb.1). Eine Jugendliche rennt von einer Ecke der Linie im Sand zur anderen, möchte den engen Ecken des Zim- mers – hier die Linien im feuchten Sand – schnell entwischen und durch- lebt theatral das Zurückgeworfen-sein in die eigenen vier Wände während der letzten Lockdowns. Ein anderer Jugendlicher wiederum liegt zufrieden in seinem großen Zimmer herum, er lässt sich Zeit, genießt, lauscht. Eine weitere Jugendliche drückt mit ihrem Körper ,Negative‘ – wie Negative von Fotos – in den Sand, so dass ein Abdruck von ihr bleibt. Sie geht sehr langsam und bedacht von einer Pose in die nächste und hinterlässt Spuren im Sand. Ein Abdruck von der Hand, von ihren Füßen, dem gesamten Körper, dem Kopf. Später sagt sie: „Da muss doch etwas bleiben“ (Wieland, For- schungstagebuch, Theaterprobe am 28.7.21). Der Strand wird zur Bühne, auf der an Erinnerungen, Vergangen- heiten, Unsicherheiten und Formen des Ausdrucks gearbeitet wird. Es wird improvisiert, bereits in Online-Proben Improvisiertes verfestigt, zu Hause im Lockdown geschriebene Texte beim Vorlesen am Strand mit der Umge- bung verbunden. Es ist ein flüchtiger Moment, in dem das Foto entstanden ist – die gleichzeitige Beobachtung der Situation in einem multisensorischen Setting, in dem auch das Rauschen des Windes und Wassers, Stimmen aus der Ferne, die Bewegungen und die theatralen Momente der Thea- terprobe zusammenkommen. Diese Stimmung fängt das fotografische Bild nicht ein, und doch bleibt eine Spur. Diese Spur verweist auf die Probe, das Zimmer der Jugendlichen und ihre 402 MEDIENwissenschaft 04/2023 Situation während der Pandemie, die sie in der Performance im Zusammen- spiel mit Sand, Wind, Wasser ganz unterschiedlich zum Ausdruck brin- gen und auf performative Weise in Gesten und Bewegungen artikulieren. Das Bild eröffnet im Zusammenspiel mit Erzählungen und Beschreibungen möglicherweise flüchtige und gewöhn- liche Affekte der Theaterprobe, die weder die textliche Beschreibung noch das fotografische Bild allein für sich wiedergeben könnten, sondern es kommt erst in ihrem Zusammenspiel eine Annäherung an das zustande, was sich tatsächlich ereignet, was ich als Forschende und zugleich Affizierte als ,gewöhnliche Affekte‘ versuche ein- zufangen: „The ordinary is a shifting assemblage of practices and practical knowledges, a scene of both liveness and exhaustion, a dream of escape or of the simple life. Ordinary affects are the varied, surging capacities to affect and to be affected that give everyday life the quality of a continual motion of relations, scenes, contingencies, and emergences“ ( Stewart 2007, S.1f.). Affektive Figurationen: Forschen mit performativen Bildern (Fiona Schrading) Während meiner Forschung in Hohen- lockstedt, einer kleinen Gemeinde in der Mitte Schleswig-Holsteins, begegneten mir ‚die Kartoffel‘ und die ‚finnischen Jäger‘ in unterschiedlicher Weise als matters of concern (vgl. Latour 2007), die für die Weise, wie sich Hohenlockstedt selbst als Ort erzählt, für landwirtschaftliche und Erin- nerungspraktiken, Traditionen und Dorffeste eine große Rolle spielen und um die herum sich Bedeutungsfrag- mente, Geschichten, Spekulationen, kulturelle Praktiken, Ambivalenzen, Gesagtes und Ungesagtes anlagern. Sie stellen spezifische Bezüge zum Vergangenen her, das in Bezug auf aktuelle Transformationsprozesse der Gemeinde zugleich aktualisiert und umgearbeitet wird. Die im ehemali- gen Truppenübungsplatz Locksted- ter Lager militärisch ausgebildeten sogenannten ,finnischen Jäger‘, die während des Ersten Weltkrieges zu zentralen Akteuren eines blutigen Bürgerkriegs in Finnland wurden, bilden in Hohenlockstedt eine zentrale Figur einer aktiven Erinnerungskul- tur und sind zugleich auf ambivalente Weise in Zugehörigkeiten im Nachle- ben der militärischen Vergangenheit verwickelt. Sie sind untrennbar mit der Ortsgeschichte verschränkt, mit Praktiken des Vereins für Kultur und Geschichte, mit weitergetragenen und teilweise niedergeschriebenen Fami- liengeschichten, mit Anekdoten und Legenden, mit zahlreichen persönli- chen Kontakten zu Freund_innen in Finnland. Auch die ‚Kartoffel‘ ist in die Ortsgeschichte eingewoben, ist mit der Erzählung von den aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrenden ,Baltikumskämpfern‘ verknüpft, die den ehemaligen Truppenübungs- platz Lockstedter Lager in mühsamer Arbeit in Ackerland verwandelt haben Perspektiven 403 und das begründeten, was einmal das größte zusammenhängende Kartof- felanbaugebiet Schleswig-Holsteins werden sollte. Heute sind nur noch vier Kartoffelbauer_innen übrig. Der Kartoffelanbau verschwindet langsam. Sehr lebendig ist aber die jährliche Tradition der ‚Pellkartoffeltage‘ – einer zentralen kulturellen Veranstaltung, um die herum sich viele kulturelle Praktiken wie die Wahl der Pellkartof- felkönigin, der Erntedankumzug, der Pellkartoffellauf und vieles mehr ent- wickelt haben. In zwei künstlerischen Projekten mit jungen Menschen in Hohenlockstedt tauchte die ‚Kartoffel‘ wiederum auf ganz andere Weise auf, wurde zum Material, mit dem gedacht, befragt und experimentiert werden konnte. 3 Ich folgte der ‚Kartoffel‘ und den ‚finnischen Jägern‘ als zwei ,Figuren‘ durch das Forschungsmaterial, folgte ihrem Erscheinen und Verschwinden in Fotos (Abb.2, S.405), Interviews, Feldnotizen und Videos. Wo und wie hinterlassen sie Spuren? Wie werden 3 Das kollaborative und sozial engagierte Kunst- und Aktionsprojekt Holo Rampe wurde 2021 im M.1, dem zentralen Ver- anstaltungsort der Arthur Boskamp-Stif- tung, gemeinsam mit jungen Menschen aus der Region von Christian Limber, Miriam Trostorf, Christian Diaz Oreja- rena, Lara Dade und Claudia Dorfmüller umgesetzt. Der Workshop Welche Farbe hat die Zukunft? Holo in 100 Jahren wurde im Kontext des Forschungsprojekts von Schrading und Insa Schülting entwi- ckelt und fand 2022 in Kooperation mit der Arthur Boskamp-Stiftung und dem Jugendzentrum Hohenlockstedt im M.1 statt. sie im Forschungsmaterial sichtbar, wie gewinnen sie an Dichte und Kontur, wo verfestigen sie sich und wo sind Momente der Reibung, der Ambiva- lenz, der losen Enden zu finden? Wie durchqueren sie als „tangle of poten- tial connections [...] disparate scenes and incommensurate forms and regi- sters“ (Stewart 2007, S.4)? Welche Elemente, welche unterschiedlichen Zeiten und Orte versammeln diese Figuren, welche affektive Relatio- nen ,haften‘ an ihnen, wie bilden sich um sie affective arrange ments‚ Muster koordinierter Relationen (vgl. Slaby 2019)? Wie und wo intervenieren sie in den Forschungsprozess, rekonfigu- rieren ihn, inwiefern perspektivieren sie Fragen neu, bleiben widerspenstig und unabgeschlossen? Wie lassen sich ‚die Kartoffel‘ und die ‚finnischen Jäger‘ in einem Prozess des ,Figurierens‘ aus Bildern, Erzählungen, Feldnoti- zen, Videos (neu) zusammensetzen? Figurieren sei hier als ein Prozess ver- standen, aus dem ethnografischen For- schungsmaterial heraus ‚performative Bilder‘ zu verdichten, die als Knoten- punkte und „entry points“ (Haraway 1998, S.138) der Wissensproduktion/ eines analytischen ethnografischen Prozesses fungieren können, der aus neomaterialistischer Perspektive als rebuilding worlds (vgl. Schadler 2019) beschrieben werden kann: „out of each [figure] you can unpack an entire world“ (Haraway 1998, S.138). Die ‚Kartoffel‘ und die ‚finnischen Jäger‘ als Figuren zu reformulieren, ermöglicht es, sie als zugleich real wie 404 MEDIENwissenschaft 04/2023 imaginär zu denken, als mit Haraway (1997) untrennbar materiell-diskur- siv-kulturelle Entitäten, die in unter- schiedlichen Praktiken, Gefügen und Kontexten jeweils unterschiedlich hervorgebracht werden und wirken. Figurationen können mit Haraway als relationale Denkformen gedacht werden, die nicht auf einer repräsen- tationalen Trennung zwischen Mate- rialität, Worten und Welten basieren. Im Verfolgen dieser Figurationen in unterschiedlichen Zusammenhängen geht es mir darum, danach zu fragen, wie diese Figuren mit den Transfor- mationsprozessen und Gefühlen von Zugehörigkeit des Orts verstrickt sind, wie sie in verschiedenen Prak- tiken inszeniert und in Kraft gesetzt werden, welche affektiven Relationen an ihnen ‚haften‘ und wie diese Figu- ren als ein Teil dessen wirken können, wie sich Hohenlockstedt ‚zusam- menhält‘, wie sie als eine Art ‚Kleber‘ fungieren, die eine bestimmte Erzäh- lung dessen, was der Ort ist und sein kann, zusammensetzen. Die ‚Kartoffel‘ und die ‚finnischen Jäger‘ spielen eine zentrale Rolle in den Präsentations- weisen und kulturellen Praktiken der Gemeinde und stehen im Mittelpunkt der beiden zentralen, jährlich von der Gemeinde ausgerichteten Veranstal- tungen: die Pellkartoffeltage und der Finnentag. Aber es sind mehr-als- repräsentative ‚Dinge‘, sie sind viel- mehr in affektive Zugehörigkeiten verwickelt und werden in nachleben- den und andauernden Transforma- tionsprozessen verhandelt. Mit Sara Ahmed (2004) lassen sie sich als sticky objects beschreiben: „Such objects become sticky, or saturated with affect, as sites of personal and social ten- sion“ (S.11). Zentral ist dabei, dass, Ahmed folgend, Affekte und Emotio- nen nicht einfach ‚in‘ Objekten (oder Subjekten) angesiedelt sind, vielmehr bringen zirkulierende Affekte Grenz- ziehungen zwischen Objekten und Subjekten mit hervor. Sticky objects stellen (ambivalente) attachments her, die anziehen und abstoßen können, sie sind mit bestimmten ways of feeling verknüpft ebenso wie mit affektiven Zugehörigkeiten: „What moves us, what makes us feel, is also that which holds us in place, or gives us a dwel- ling place“ (ebd.). Ich begegne diesen sticky objects in ganz unterschiedlichen Forschungssituationen: bei dérives und Interviews, in walking interviews (vgl. z.B. Kühl 2016; Kuntz/Presnall 2012) mit Bewohner_innen, die mich durch den Ort und die umgebende Landschaft führen; ich treffe auf sie auf dem Acker und in den Lagerhal- len des Kartoffelhofs, bei der Krönung der Pellkartoffelkönigin, beim Ern- tedankumzug und in der ehemaligen Kartoffelhalle, im Heimatmuseum, im Holsteiner Wald und auf dem ‚Ehren- hain‘, in militärischen Gedenkzere- monien, Ansprachen, auf Webseiten, in Geschichtsbüchern und Pressearti- keln. All dies sind Forschungssituatio- nen, in die ich selbst affektiv verstrickt bin, die ich mit meinen Methoden, Aufzeichnungspraktiken, Fragen und Vorannahmen mit hervorbringe. Perspektiven 405 Abb.2: Kartoffelmutant, Videostill aus Holo Rampe, © rampe:action, Hohen- lockstedt 2021 (links oben); Kartoffelernte, Foto: Fiona Schrading, Hohen- lockstedt 2022 (links Mitte); Erntedankumzug der Pellkartoffeltage, Foto: Fiona Schrading, Hohenlockstedt 2022 (links unten); Die finnische Abteilung im Museum am Wasserturm, Foto: Fiona Schrading, Hohenlockstedt 2021 (rechts oben); Schützengraben im Holsteiner Wald, Foto: Fiona Schrading, Hohen- lockstedt 2022 (rechts Mitte); Gedenkkranz für die finnischen Jäger, Foto: Fiona Schrading, Hohenlockstedt 2021 (rechts unten) 406 MEDIENwissenschaft 04/2023 Die Figuren, die ich später aus dem Forschungsmaterial zusammen- setze, sind keinesfalls Repräsentatio- nen der Forschungssituationen, noch gar realer ‚Objekte da draußen‘. Figu- ren sind immer lokal, spezifisch, situ- iert. Sie sind nicht repräsentativ oder selbst-identisch, sondern beinhalten mit Haraway (1997) Verschiebun- gen, „that can trouble identifications and certainties“ (S.11). Diese Figuren stellen eine bestimmte Optik her, die mich als Forscherinnensubjekt mitbe- inhaltet ebenso wie den Forschungs- apparat, der sie mit hervorgebracht hat. Sie fordern dazu auf, affektive Zugehörigkeiten in Hohenlockstedt nicht von ‚außen‘ zu erklären oder zu interpretieren, sondern sie fordern zu einem thinking with mit diesen Figuren auf – dazu, von der Partiali- tät und Situiertheit des Wissens, der Unmöglichkeit einer unschuldigen Position auszugehen (vgl. Haraway 1988). Apparate der Forschung setzen aus neomaterialistischer Perspek- tive Schnitte in Kraft, die bestimmte Differenzen innerhalb der materiell- semiotischen Welten erzeugen, für die Rechnung getragen werden muss. Die Figuren ‚Kartoffel‘ und ‚finnische Jäger‘ sind durch und durch medial: durch zahlreiche Instanzen hindurch vermittelt ohne einen ursprünglich realen Referenten. Das bedeutet nicht, dass sie nicht ‚real‘ sind – es sind reale materiell-diskursive, naturkulturelle Existenzweisen – oder gar arbiträr sind, vielmehr geht es darum, die Figu- ren auf eine Weise herzustellen, die „as loyal as possible to the context, negot- iations and intersubjectivities through which the knowledge was produced“ (Pink 2001, S.18) bleibt – also mög- lichst eng den Welten verpflichtet, die dabei involviert sind, in und mit denen diese Figuren gedacht werden. Wie entsteht Wissen aus und mit apparativ erzeugten Bildern? (Mirjam Lewandowsky) Am 9. August 2022 beobachtete ein Schiffskapitän in der Oder eine große Anzahl toter Fische und informierte die zuständigen Behörden. Im Laufe weniger Tage wuchs sich diese Beob- achtung zur bisher größten Umwelt- katastrophe der Oder aus. Massenhaft trieben Kadaver auf der Wasseroberflä- che der Oder im Oderbruch: Quappen, Hechte, Brassen, Welse, Karpfen, Rot- augen, Muscheln, Krebse, Schnecken und viele mehr. Zwischen 200 und 400 Tonnen schätzte das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnen- fischerei zu Beginn der Katastrophe laut der Berichterstattung der Märki- schen Oderzeitung (Winkler/Weigle/ Dahrendorf/Hutzelmann/Schröder/ Jastram 2022), bis zu 50% des gesam- ten Fischbestands sollen verendet sein (vgl. Tagesschau Online 2022). Zum Tod der Tiere führte eine starke Ver- mehrung der Goldalge, die durch einen hohen Salzgehalt im Wasser verursacht wurde. Dies wurde am 30.9.2022 in einem Expertenbericht unter der Lei- tung des Umweltbundesamts bestä- Perspektiven 407 tigt, den das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicher- heit und Verbraucherschutz veröffent- licht hat (vgl. Pressemitteilung des BMUV 2022). ,Prymnesium parvum‘, so ihr Fachbegriff, ist für die Fische giftig. Sie enthält Toxine, die die Zell- membranen der Fische, insbesondere die dünnhäutigen und gut durchblu- teten Kiemen auflösen und die Fische ersticken ließen (ebd.). Und die Katastrophe könnte sich – so die Warnung im Bericht – jeder- zeit wiederholen, wenn der Wasser- stand im nächsten Sommer aufgrund der Hitze wieder niedrig sei, was wie- derum zu hohem Lichteinfall führe, was wiederum das Algenwachstum noch weiter anrege, was wiederum zum Tod der Fische führe (vgl. Baier 2023; Biermann/Dmitruczuk/Lüdemann/ Nejezchleba/Polke-Majewski/ Vernohr 2023). Woher genau der hohe Salz- gehalt des Oderwassers ursprüng- lich gekommen ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die zugelasse- nen Einleitungen seien alle genehmigt gewesen. Im Zuge der Ermittlungen konnten allerdings allein in Polen 282 illegale Einleitungsstellen festgestellt werden. Zu einer Anklage reichten die Ermittlungen bislang aber nicht (vgl. Pallokat 2022). Viele der genannten Details waren mir bekannt, als ich im September, ein paar Wochen nach der Katastrophe, in Groß Neuendorf im Oderbruch an einer Anlegestelle stand und Videos und fotografische Aufnahmen des Flusses machte. Die Aufnahmen (vgl. Abb.3-5) erzeugten bei mir schon beim ersten Wiederbetrachten ein Abb.3: Oder, Foto: Mirjam Lewandowsky, Oderbruch 2022 408 MEDIENwissenschaft 04/2023 Unbehagen wegen ihrer vermeintlich romantischen Stimmung, die durch Unschärfen, Nebel, Pastelltöne erzeugt wird. Wie kommen diese Bilder mit dieser oft zu Werbezwecken für Tou- rist_innen eingesetzten Ästhetik mit der Tatsache zusammen, dass dort Tonnen von Fischen qualvoll veren- det sind? Welche Allianzen gehen die Bilder, die nachträglich am Tatort gemacht wurden, mit den Bildern aus den Medien ein? Wie re- oder dekon- struieren sie das Ereignis? Die Aufnahmen aus dem Feld sind keine gezielt produzierten Fotos, viel- mehr spontan und im Vorbeigehen schnell aufgenommene, lose konzi- pierte Aufnahmen, die beim Wieder- betrachten zu Hause eine Stimmung andeuten, die dort frühmorgens, wenn die Luft kalt und feucht ist und der Nebel sich lichtet, anzutreffen ist. Die Bilder sind genauso ‚leise‘ wie die lang- sam dahinströmende Oder an diesem Morgen. Nur von weitem sind ein paar Enten und Schwäne zu hören. Gleichzeitig zeugen die vage durchscheinenden Oberflächen von einem Massengrab, in dem vor kurzem Tausende von Fischen verendet sind, die von freiwilligen Helfer_innen und der Feuerwehr säckeweise aus dem Wasser geholt wurden, und das von den Bedrohungen durch den Klima- wandel genauso erzählt wie von dem regen Treiben der Freiwilligen vor Ort, die zur Stelle waren und die Fisch- kadaver aus dem Wasser geholt, in Säcke gepackt und abtransportiert haben, damit sie verbrannt werden konnten. Der Gestank toter Fische sei unerträglich gewesen. Aber die Oder- brüchler_innen halten zusammen, wie sie es schon bei anderen Katastrophen wie dem Hochwasser von 1997 getan haben, so heißt es oft in Gesprächen mit Bewohner_innen (vgl. Anders/ Fischer 2020). Und während die einen von der größten Naturkatastrophe sprechen, die die Oder je erlebt hat, geben sich andere, vor allem die ältere Generation, zuversichtlicher. „Die Oder wird sich schon wieder erholen“, erzählt mir ein Journalist der Märki- schen Oderzeitung in einem Gespräch vor Ort. Auf den bedrohlichen und zugleich friedlichen Fotos sind Spuren zu sehen, die vergangen sind und – durch die Fotos, durch das Vor-Ort-sein, aber auch in den Landschaften selbst – aktualisiert werden. Schon im 19. Jahrhundert hat Theodor Fontane, ein Reisender im Oderbruch, diese Aura- tisierung wie folgt beschrieben: „Wer nach Küstrin kommt und einfach das alte graugelbe Schloss sieht, das, hinter Bastion Brandenburg, mehr häßlich als gespensterhaft aufragt, wird es für das Landarmenhaus halten und ent- weder gleichgültig, oder wohl gar in ästhetischem Mißbehagen an ihm vorübergehen; wer aber weiß, ‚hier fiel Kattes Haupt; an diesem Fenster stand der Kronprinz‘, der sieht den alten unschönen Bau mit anderen Augen an“ ( Fontane 2002, Vorwort 1864). Doch was genau wird hier mit den Bildern der Oder aktualisiert? Zunächst handelt es sich um eine Perspektiven 409 Abb.4: Oder, Foto: Mirjam Lewandowsky, Oderbruch 2022 Überlagerung verschiedener Zeit- schichten – dem Wissen um das im August stattgefundene Fischsterben, das ich zu dem Zeitpunkt nur medial verfolgt habe, das Aufsuchen des Tat- ortes wenige Wochen später, sowie das Wissen darum, dass auch fotografi- sche Bilder Vergangenes aktualisieren können – ungeachtet ihrer repräsenta- tiven Eigenschaften. Fotografische Bilder sind häufig als Zeugen des Realen verstanden worden. Ihre Evidenz bestünde darin, zu bestä- tigen, dass Etwas an einem bestimm- ten Ort zu einer bestimmten Zeit vor der Kamera gewesen ist. Doch welche Realität, welche Emanation des Wirk- lichen, die schon bei Roland Barthes Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, ist hier gemeint (vgl. Barthes 1985; Vogel 2009)? Die Besonderheit des fotografischen Bildes läge darin, so Barthes, eine „Botschaft ohne Code“ (Barthes 1990, S.12) zu sein, die erst kodiert wird durch den Kontext, der ihr gegeben wird oder eine semiolo- gische Interpretation. Aber das Bild- liche, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aufgenommen wurde, sei unhintergeh- bar. In meinen Aufnahmen, so scheint mir, erzeugt gerade der Entzug von Information ein imaginäres foto- grafisches Objekt. Nur im Entzug kann sich ein Bild konturieren, das zugleich die fotografische Unmittel- barkeit preisgibt. Hellblaue Flecken, die den Aufstieg der Sonne anzei- gen, das Licht, das durch den Nebel die Umrisse der Landschaft erahnen lässt, die Feuchtigkeit, die in der Luft liegt, wie eine Decke über dem Was- serbett, unter der nicht nur der Fluss 410 MEDIENwissenschaft 04/2023 Abb.5: Oder, Foto: Mirjam Lewandowsky, Oderbruch 2022 als Lebensader erscheint, sondern auch als Ressource, Müllbett, Naher- holungsgebiet, Grenze zu Polen: ein politisches, wirtschaftliches, soziales Gefüge, durchtränkt von Gedanken an die Farbverläufe romantischer Landschaftsmalerei, insbesondere die Ruinen von Caspar David Friedrich kommen mir in den Sinn. Bekanntermaßen ist die Fotogra- fie ein Lichtbild, das heißt ein Bild, das durch Einwirkung von Licht auf eine fotosensible Oberfläche erzeugt wird. Diese „Naturmagie“, wie Wil- liam Henry Fox Talbot den Licht- abdruck noch bewundernd nannte, wurde zum bescheideneren „Fetzen“ der Wirklichkeit, wie es bei Georges Didi-Huberman heißt, und ist keines- wegs unschuldig (zit. nach Amelunxen 1988, S.33; Didi-Huberman 2007, S.113). Fotografien werden gemacht, konstruiert, entsprechen einer opti- schen Norm, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und im digitalen Zeitalter weiterentwickelt wird, gefil- tert, bearbeitet, ausgewählt, ausge- schnitten etc. Auf der Website der Tagesschau vom 12. Dezember 2022 blickt mir ein ruhig daliegendes, in schillernden Farben schimmerndes Tier mit offe- nem Mund aufgebahrt auf der opaken Wasseroberfläche entgegen (vgl. Tages- schau Online 2022). Die Oder leuchtet in rosa, rot und Blautönen, fast wie barocke niederländische Stillleben, in denen Fische oft religiös konnotiert Perspektiven 411 sind. Kann man das Fischsterben auf so obszön schöne Weise sehen? Wie wird hier eine ökologische Katastrophe medial ästhetisiert? Reale Katastro- phen werden in der Fotografie oft mit Überwältigungsstrategien visualisiert. Optisch gewaltsame Bilder sind es jedoch nicht, eher optische Weichma- cher. Dieses Bild geht eine merkwür- dige visuelle Allianz mit den Bildern aus dem Forschungsprozess ein und vermischt sich mit einem kollektiven Bildgedächtnis. In einer durch und durch mediatisierten Welt kann ich die Bilder nicht mehr ohne andere Bilder denken. Die Fotografien sind hier weniger als Zeichen von Evidenz, sondern als eine nicht sichtbare Aus- einandersetzung mit einem Ereignis zu verstehen. Es geht im Grunde um eine Art diskontinuierliche Spur, die der Ort bewahrt, obwohl das Vergangene vergangen ist, uneinholbar bleibt, aber in der Erinnerung aktualisiert werden kann (zur Debatte um fotografische Evidenz vgl. Geimer 2022). Dennoch zögere ich beim Wie- derbetrachten der Fotografien, sie für einen wissenschaftlichen Artikel zu verwenden. Sind sie aussagekräf- tig genug? Sind sie zu schön? Sind sie zu stümperhaft im Vergleich zu den werbewirksamen Medienbil- dern? Letztendlich entscheide ich mich doch dafür, dieses Zaudern als eine produktive Kraft zu sehen. Mein Zaudern als ein „kritisches, krisen- haftes Verhältnis“ (Vogl 2007, S.25) verweist auch auf die Affekträume, die sich innerhalb der Forschung auftun. Diese können nicht unabhän- gig von ihrem jeweiligen Habitat und Milieu gedacht werden, in dem sie ihre Wirksamkeit entfalten: „there is no identity of a practice independent of its environment“ (Stengers 2005, S.187). So ist das Erforschen affekti- ver Praktiken mit spezifischen Milieus verschränkt, sie sind also verortet und erfordern daher ein situiertes Denken, in welchem auch zufällig geschossene, spontan produzierte Fotografien, wenn auch zögerlich, eine Relevanz erlangen können. Ein Fazit als Perspektive der Bildungstheorie: Enacting Media als Praktik der Verortung (Birgit Althans) Die vorhergehenden ethnografischen, neomaterialistisch und affekttheore- tisch gerahmten Beispiele thematisie- ren aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven (kulturanthropologisch, medienkulturwissenschaftlich und kunstwissenschaftlich), wie Bilder zu performativen Mit-Akteur_innen im ethnografischen Forschungsprozess werden. Sie präsentieren sowohl indi- viduelle wie transdisziplinäre Aus- einandersetzungen mit dem Akt des Fotografierens, dem Bilder-machen – mit der Kamera, dem Licht, der Ein- stellung – sowie mit dem, was Bilder machen beziehungsweise tun, ihrer agency, ,Intra-Aktivität‘ und perfor- mativen Materialität im Forschungs- apparat. In dieser Auseinandersetzung 412 MEDIENwissenschaft 04/2023 mit dem‚ ‚was Bilder tun‘ (Wieland), wurde gezeigt, wie sich die eigene foto- grafische Bilderzeugung mit den vor Ort gefundenen Bildern verschränkt und in ihren medialen Rückkopplun- gen aktualisiert (Lewandowsky), und so entstanden Neu-Verwendungen beziehungsweise Neu-Verdichtungen von Begriffen, wie dem der ‚affekti- ven Figuration‘ (Schrading). Wichtig erscheint aus bildungstheoretischer Perspektive jedoch auch der Aspekt der affektiven Verortung, der aus dieser Auseinandersetzung mit der medialen Materialität der fotografischen Bilder hervorzugehen scheint. Theorien und Praxen der Bil- dung zeig(t)en sich von jeher eng mit dem Konzept des Bildes verknüpft: Die (pädagogische und historische) Anthropologie weist auf die Frühge- schichte hin und zeigt das menschli- che Bedürfnis, Abwesendes in Bildern präsent zu machen und so festzuhal- ten; die platonische Paideia arbeitete mit Trugbildern und Bildern des Schö- nen als Ideal des Wahren und Guten; Aufklärung und Alexander von Hum- boldts Bildungsbegriff forderten dazu auf, sich selbst ein Bild von der Welt zu machen und sich zugleich – in Wech- selwirkung – in dieser abzubilden; aktuell untersuchen Medienpädagogik und digitale Bildungstheorien, wel- chen Gebrauch Kinder und Jugend- liche von den Bildtechnologien und Medien zwecks Wissensproduktion in digitalen Lebenswelten machen. Bil- dung erscheint so als reflexive Praxis des Selbst- und Weltverhältnisses, oder wie Benjamin Jörissen (2019) in Bezug auf aktuelle digital-kultu- relle Bildungserfahrungen formuliert, implizieren „Bildungsprozesse […] im genannten Verständnis immer Pro- zesse der Positionierung.“ Ergänzt man diese zunächst bildungstheore- tisch gerahmte Setzung einer notwen- digen Positionierung der Subjekte mit Blick auf die expansiv wachsenden Praktiken der technologisch ermög- lichten Produktion von ‚Selbstbildern‘ in den sozialen Medien lassen sich diese auch als Praxis der medial-mate- rialen Selbst-Verortung lesen. Jörissen beschrieb diese schon 2008 als krea- tive Samplingtechniken im ‚medialen sozialen Raum‘, die von den Subjek- ten nicht selbst geschaffen werden, sondern „gefunden und kreativ ein- gebunden; de- und rekontextualisiert im Kontext einer habitualisierten und beinahe beiläufigen, eben ‚verna- kulären‘ medialen Handlungspraxis“ ( Jörissen 2008, S.45). Susan Sontag vertrat in ihrer Theo- rie der Fotografie wiederum schon 1973 die These, dass Fotos dabei nicht nur dokumentieren, sondern auch mental stabilisieren. Sie könnten helfen, „Besitz von einer Umwelt zu ergreifen, in der er sich unsicher fühlt. […] Allein schon das Hantieren mit der Kamera ist beruhigend und mil- dert das Gefühl der Desorientierung“ (Sontag 2016, S.15). Auch die Bild- anthropologie, hier Hans Belting, die den Körper als Ort der (inneren) Bild- produktion, der Wahrnehmung der Welt und zugleich als Ort „für Projek- Perspektiven 413 tion und den Empfang von Bildern“ (Belting 2007a, S.53) auffasst, sieht dabei „Medien mit Körpern koope- rieren“ (ebd.). Dabei gesteht Belting, mit Bezug auf die psychoanalytische Bildtheorie Serge Tissorons (1998), den Bildern eine privilegierte Position der Differenzsetzung zu, „eine Art und Weise, uns von der Nicht-Koinzidenz zwischen der realen Welt und der Welt der Repräsentationen zu überzeugen“ (Tisseron zit. in Belting 2007b, S.14). Diese bildtheoretischen Ergänzungen zur bildungstheoretischen These der notwendigen reflexiven Positionierung der Subjekte weisen auf eine aktive Rolle der Bilder, eine performative Wirkung des ‚Bildakts‘ hin, den der Kunsthistoriker Horst Bredekamp schon bei klassischen Kunstwerken wirken und bei Platon beschrieben sieht (vgl. Bredekamp 2015, S.59ff.; Althans 2019). Bildungstheoretische Perspekti- ven wie die hier skizzierten fokussie- ren jedoch primär die Bildrezeption und Reflexion, weniger den Akt des Bilder-machens, das konkrete Zusam- menspiel von Körpern, performati- ver Materialität des Ortes, von Licht, Luft, Atmosphäre, den Sinnesein- drücken und ‚Bild-mach-Entschei- dungen‘, die daraus resultieren. Aus bildungstheoretischer Perspektive lässt sich abschließend sagen, dass eine verschränkte Perspektive auf mediale Bildproduktionen als ,Praxis der Verortung‘ bisher fehlt. In einer verschränkten Perspektive unterstüt- zen Medien, wie Kameras, aufgefasst als Apparate im ‚Forschungsapparat‘, nicht nur die Forschenden dabei, sich in neuen Umgebungen, ‚Affekträu- men‘ und lokalen Geschichten zu verorten, sondern auch ein ‚situiertes Wissen‘ zu erzeugen und in einem „shared enactment“ (Schadler 2019, S.217) auch durch die Bilder, deren agency und Performativität irritieren, affiziert zu werden. In Barads Auffas- sung (2007) des enactment als Intra- Aktion setzen nicht die Forschenden die ‚agentiellen Schnitte‘, sondern sind vielmehr als Teil des Forschungsappa- rats verwickelt in sowie Teil der Welt, die sie beforschen (vgl. Barad 2007). Eine ,Praxis der Verortung‘ könnte gerade in der aktuellen Phase der Transformation der globalen Welt- und Sicherheitsordnung, Klima- und Energiekrisen erzeugten Ent-Hei- matung und Entwurzelung, die große Menschengruppen zu „Nomadic Sub- jects“ (Braidotti 2011) macht, wichtig werden. Eine mediale, neomaterialisti- sche und affekttheoretisch gerahmte Praxis der Verortung könnte, so die Vermutung, die durch den Mobilitäts- imperativ des globalen digitalen Kapi- talismus erzwungenen Prozesse, die „Menschen und Dinge zu beweglichen Gütern“ machen und „Verflechtungen des Lebensraumes negiert“ (Tsing 2022, S.19f.), kreativ begegnen und somit einer kollektiven Erfahrung von Entfremdung und Bodenlosigkeit (vgl. Flusser 1992) entgegenwirken. Die Kartierung des Feldes wird ungleich schwieriger, da die Diszi- plin der Medienwissenschaft nicht so 414 MEDIENwissenschaft 04/2023 Literatur Ahmed, Sara: The Cultural Politics of Emotion. Edinburgh: Edinburgh UP, 2004. Althans, Birgit: „Lam Gods – Der Genter Altar: Materielle Zugänge und die Geste der Scham.“ In: dies./Maier, Carla J. (Hg.): Arenen transkultureller Bildung: Resonanzen / Interferenzen. Special Issue der Zeitschrift Paragrana, Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Berlin: De Gruyter, 2019, S.109-118. Althans, Birgit/Engel, Juliane (Hg.): Responsive Organisationsforschung: Feedback- kulturen im Übergang. Wiesbaden: Springer VS, 2016. klar umrissen ist – bisweilen sind die Grenzen zur Kommunikationswissen- schaft rein nominell. Mögen Lehr- stühle und Institute noch eindeutiger zugewiesen sein, so straft spätestens ein Blick auf die Biografien der dort Arbeitenden diese Zuweisungen Lüge. Zudem wird Medienwissenschaft insbesondere in Deutschland auch in anderen Disziplinen geübt, teils finden sich entsprechende Lehrstühle in der Kunstwissenschaft, der Germanistik oder auch der Pädagogik. Es gilt also zu entscheiden: Wer sollen die Teil- nehmenden des zu beobachtenden Feldes sein – diejenigen, die über eine Denomination oder institutionelle Zugehörigkeit angezeigt Medienwis- senschaft betreiben oder entscheidet man sich für einen weiter gefassten Begriff, der über Selbstverständnisse oder konkrete Praktiken in bestimm- ten Bereichen definiert wird? Neben den äußeren Grenzen des Feldes gilt es auch innerhalb zu struk- turieren, um die Menge an zu erwar- tenden Daten zumindest grundlegend in ein Ordnungssystem zu überfüh- ren, welches der späteren Auswer- tung zuträglich ist. Denn nicht alles, was Medienwissenschaft ist, muss für eine Wissenschaftsforschung von Medien wissenschaft relevant sein, bei- spielsweise würde eine Untersuchung von Schwerpunktsetzungen an Lehr- stühlen vermutlich eine studentische Sichtweise von vornherein aus der Kartierung des Feldes ausklammern. Eine Frage nach Hierarchien jedoch würde eine klare Differenzierung von Statusgruppen und Berücksichtigung all ihrer Vertreter_innen in der Unter- suchung nahelegen. Zudem gibt es eine Reihe for- schungsethischer Grundsätze zu beachten; die Verletzlichkeit der beforschten Individuen sowie Sensibi- lität von Daten gilt es abzuwägen und daran orientiert eine Einwilligung der Informant_innen einzuholen und/oder Anonymisierungen des Materials vor- zunehmen, die einen Rückschluss auf die Beforschten unmöglich machen (vgl. u.a. Heise/Schmidt 2014). Perspektiven 415 Amelunxen, Hubertus von: Die aufgehobene Zeit: Die Erfindung der Photographie durch William Henry Fox Talbot. 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