l'.!0 .HED/E.Vwissem,·/wfi /,]()/)() Mediengeschichten Wiedergelesen Michel Foucault: Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader. Diskurs und Medien. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Jan Engelmann. Mit einem Geleitwort von Friedrich Kittler Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. 230 S., ISBN 3-421-05300-6. DM 29.80 Wie kann es - kann es'! - eine Textkompilation eines Autoren geben, dessen x- fach zitierte Dekonstruktion des Autorenkonzepts längst zum Standardrepertoire von Proseminarsarbeiten degeneriert ist'! Wie kann es - kann es? - angesichts ei- nes Denkers, der die Dispersion des sprechenden Subjekts in verschiedene Diskurs- felder zu einem seiner zentralen Themen gemacht hat, gar einen „Foucault-Reader" geben, der - ungeachtet der Rubrizierung der hierin abgedruckten Texte Foucaults unter verschiedenen (vagen) Meta-Kategorien - doch so etwas wie eine auktorial verbürgte Einheitlichkeit des Geschriebenen suggeriert? Die Lösung des Dilem- mas könnte bestenfalls in jenem bewussten Verzicht auf nachträgliche Kohärenz- stiftung oder Diskurszuordnung liegen. die Martin Jay angesichts der unzähligen Kategorisierungsversuche, die Foucaults Werk im Laufe der Zeit zuteil geworden sind, vorgeschlagen hat: .. Man kann daher den verschiedenen Rubriken, unter de- nen Foucault eingeordnet wurde, durchaus ihren jeweiligen Wahrheitsgehalt zuge- stehen, ohne zugleich eine Übereinstimmung zwischen ihnen herstellen zu müs- sen. Foucault besetzt gleichsam den dynamischen Knotenpunkt unterschiedlicher diskursiver Impulse, die sich einer Vereinheitlichung zu einem kohärenten Ganzen widersetzen." (Martin Jay: Im Reich des Blicks. Foucault und die DUJ'amierung des Sehens im Fran=össichen Denken des 20.Jhd. In: Leviathan, Nr. 19, 1991, S.131) Die Wiederbegegnung mit den hier versammelten, z. T. erheblich gekürzten Essays, Interviews und Vorträgen lässt Jays Perspektive auf Foucault als die wo- möglich einzig überzeugende erscheinen: zu disparat das Feld der von Foucault bearbeiteten Gegenstandsbereiche. zu weit gespannt die methodischen und disziplinären Referenzen und Instrumentarien, als dass der Streuungsgrad dieses Denkens noch unter eine homogene Bewegung subsumiert werden könnte. Sozio- logische Fragestellungen (,,Andere Räume") finden hierin ebenso ihren Platz wie epistemologisch-sprachanalytische Erörterungen (,,Das historische Apriori und das Archiv") oder literaturhistorische Paradigmen ( .. Die Phantasmen der Bibliothek"). Und so liegen letztlich eben in jeder - auch und gerade in qualitativer - Hinsicht ganze Welten zwischen dem Foucault. der sich einer akribischen Analyse der skopischen Regime in Velazques· Die Ho.ffi"äulein verschreibt. dem Foucault. der sich in Abgrenzung von Sartre immer wieder um ein post-marxistisches Verständ- :\ f ed1engt.'s, ·h i, ·h te11 121 nis von Machtmechanismen bemüht (z. B. in Technologien der IViihrhcir. Die .\fa- schen der 1'vlachr oder Die Ordnung des Diskurses) und jenem Foucault. der in Botschaft oder Rauschen:> ein medizinisches Auditorium schwadronierend über den notwendigen Einzug von Kybernetik. Semiotik und Informationstheorie in die medizinische Theorie belehren zu müssen glaubt. So scheint es. auch unter Ein- bezug seiner in dieser Textsammlung unberücksichtigt gebliebenen umfangreiche- ren Studien zur Geschichte der Epistemologie. der Disziplinargewalt und der Se- xualität, nach wie vor ( oder mehr denn je?) ein lohnendes Unterfangen darzustel- len. diese Heterogenität, Vielschichtigkeit und eben auch Widersprüchlichkeit als den eigentlichen Kern des Foucaultschen Denkens anzuerkennen und herauszu- stellen. Dem steht indes bis auf weiteres immer noch die zumeist reduktionistisch an- mutende Rezeptionsgeschichte der Foucaultschen Schriften entgegen. v. a. seine Instrumentalisierung fiir eine technizistisch-materialistische Medienwissenschaft. die auch dem vorliegenden Band unübersehbar ihren Stempel aufgedrückt hat: Schon die Rubriken ( .. Wissen und Sagen··. ,,Speichern und Infonnieren", .. Steuern und Prüfen", ,,Schalten und Walten"). unter die die einzelnen Texte hier eingeord- net wurden. bestechen durch ihren so technizistischen wie letztlich nichtssagenden Duktus. Vor allen Dingen aber suggerieren sie eben jene problematische. weil ein- heitliche Fluchtlinie des Foucaultschen Denkens. die es \orgeblich erlaubt. ihn als •. frühen Softwareexperten" (S.220). als Begründer eines „Strukturalismus der Materialitäten" ( S.8) oder als Ahnvater einer „übertragungswissenschaftlich fun- dierten Medientheorie" (S.222) zu installieren. \Ver Foucault bislang nur im Zu- sammenhang mit eben diesem auratischen Raunen. das seinen N'amen in Teilen der Medienwissenschaft umgibt, kennengelernt hat und hier nun erstmals mit des- sen eigenen Texten konfrontiert werden sollte. wird sich mutmaßlich verwundert die Augen reiben, wie dünn die konkret medienwissenschaftlichen Aspekte seines Schreibens eigentlich gesät sind. Und dies bei einem Denker. den (nicht nur!) Fried- rich Kittlers Medienmaterialismus immer wieder als einen der Diskursbegründer der ganzen Disziplin inthronisiert hat. Auch und gerade die rnrliegende Textaus- wahl kann an keiner Stelle eine solche Indienstnahme eines letztlich ganz anderen Zusammenhängen verschriebenen Werkes hinreichend legitimieren. auch wenn der Untertitel des Bandes Gegenteiliges verspricht. Doch wen kümmert's. wer spricht? Wo sich ganze Paradigmen ( und Lehrstühle) auf derart dünnen Säulen abstützen müssen. kann und darf man es wohl nicht so ganz verbissen angehen. Zwar müs- sen Jan Engelmann wie Friedrich Kittler in ihrem Vor- bzw. Nachwort durchaus einräumen. dass Foucault sich kaum zu den Medien geäußert hat. doch lassen ihre Geleittexte keinen Zweifel daran. dass Foucault gefälligst dennoch als Medien- theoretiker amnt !a !ettre. als Prophet des Internet ( S.216) und als ein Erforscher des „medialen Dispositivs in seiner dunklen Frühfonn" (S.220) gelesen zu werden hat. Dass Foucault in seinen eigenen \Vorten die Erforschung der „Rationalität von Herrschaft" mittels der Darstellung von „Schaltungen" ( S.221) zu gewährleisten 122 MEnIF.V\\ iS.\l'll.\Chafi /,]()/)/) versuchte, muss da allemal als Beleg für solche mühsam konstruiert wirkende Vor- denkerschaft ausreichen. Schließlich und endlich kann so doch irgendwie alles je von Foucault Geschriebene als visionärer Vorgriff auf den Computer postuliert werden: ,,Der Körper als Datenspeicher - eine Denkfigur, die Foucault auch bei seiner Flaubert-Lektüre anwendet. Die Halluzination figuriert dort als Datenvirus, der den heiligen Antonius erfaßt, weil - so könnte man sagen - durch das Lesen sein ·Arbeitsspeicher', die Random Access Memory, schlicht überlastet wurde. Foucault deutet an, wie erst die Gesamtheit der Lektüren Flauberts, dessen Literatur- gedächtnis - als Read Only Memory -, diesen vielschichtigen Text triggern und prozessieren konnte." (S.221 f.) Derartige Aneignungs- und Zuweisungsformeln sind bekanntlich durchaus re- präsentativ für weite Bereiche der medienwissenschaftlichen Rezeptionsgeschichte Foucaults, sodass die Erst- oder Wiederbegegnung mit der Heterogenität und Disparatheit seines Denkens unter dem homogenisierenden Zugriff dieser Diskurs- felder und ihrer Herrschaftsgesten buchstäblich verschüttet erscheint. Foucault hier- von zu befreien und dadurch als Referenzautoren der ganzen Breite der Medien- wissenschaft wieder zugänglich zu machen, dürfte jedoch gegenwärtig noch kaum möglich sein - wohl eher eine Ausgrabungsstätte künftiger· Archäologen des Wis- sens'. Kay Kirchmann (Konstanz)