Riefenstahls Parteitagsfilme zwischen Bergfilm und Kriegswochenschau von Martin Loiperdinger Martin Loiperdinger, Dr. phil., geb. 1952, Filmhistoriker und Politologe, Professor für Me- dienwissenschaft an der Universität Trier. Seit 1992 Mitbegründer und -herausgeber von „KINtop - Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films“, seit 1999 Leiter des DFG-Projekts „Geschichte und Ästhetik des dokumentarischen Films in Deutschland 1895-1918“. Buch- veröffentlichungen u.a.: „Rituale der Mobilmachung. Der Parteitagsfilm Triumph des Willens von Leni Riefenstahl“ (Opladen: Leske+Budrich 1987); Hg. (zusammen mit Rudolf Herz und Ulrich Pohlmann): „Führerbilder. Hitler, Mussolini, Roosevelt, Stalin in Fotografie und Film“ (München, Zürich: Piper 1995); „Film und Schokolade. Stollwercks Geschäfte mit te- benden Bildern“ (Frankfurt am Main: Stroemfeld 1999).- Der vorliegende Beitrag beruht auf einem im November 1997 in Wien gehalteten Vortrag. Er erscheint demnächst in vol- ler Länge im Rahmen der Synema-Publikationen, Wien. E-Mail: loiperdinger@uni-trier.de Im Spielfilm des „Dritten Reichs“ ist der Nationalsozialismus selbst als Sujet kaum präsent. Die propagandistische Selbstdarstellung blieb den dokumenta- rischen Filmgenres vorbehalten. Für ein publikumswirksames Selbstporträt des Nationalsozialismus bedurfte es hier jedoch einer gründlichen Umgestal- tung: - Die von Privatkonzernen betriebenen Wochenschauen richteten ihre Ein- Minuten-Sujets überwiegend auf Unterhaltung aus. Erst im Zweiten Weltkrieg wurden sie, verstaatlicht und zusammengefasst zur „Deutschen Wochen- schau“, mit einer völlig veränderten Programmstruktur unter der persönli- chen Aufsicht von Hitler und Goebbels zum wichtigsten Propagandamedium der deutschen Kriegsführung. - Die NSDAP-eigene Filmproduktion beschränkte sich vor 1933 auf Kurzfilme von SA-Umzügen und Wahlreden Hitlers sowie anderer führender Nationalso- zialisten.' Der erste Versuch eines längeren Tonfilms nach dem 30. Januar 1933 misslang. Der Filmbericht von Hitlers „Aufruf an das deutsche Volk“ vom 10. Februar 1933, im konventionellen Wochenschau-Stil gedreht? schien Zweifel an der gewünschten Wirkung beim Kinopublikum zu nähren - ein „Hitlerfilm” sollte neue Wege beschreiten. Goebbels erteilte der Hauptabtei- lung Film der Reichspropagandaleitung der NSDAP zwar am 11. Mai 1933 das Monopol für Filmaufnahmen von Parteiveranstaltungen, war aber zugleich für den „Hitlerfilm“ außerhalb der Partei auf Talentsuche. Wie aus seinen Auf- zeichnungen hervorgeht, wurde er bald fündig: „17. Mai 1933: Gestern: (...) Nachm. Leni Riefenstahl: Sie erzählt von ihren Plänen. Ich mache ihr den Vorschlag eines Hitlerfilms. Sie ist begeistert davon. Abends mit Magda [Goebbels] und L. Riefenstahl in die Butterfly. Es wird gut gesungen und ge- spielt. Danach plaudern wir in der Traube. (...) 14. Juni 1933: Gestern: (...) 12 Die Riefenstahl hat mit Hitler gesprochen. Sie fängt nun mit ihrem Film an.“’ Gemeinsame Ausflüge, Abendessen, private Filmvorführungen und nächtliche Plaudereien im kleinen Kreis festigten das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen der Regisseurin und den beiden maßgeblichen Propagandisten der neuen Staatsmacht.* Am 23. August wurde offiziell mitgeteilt, dass Leni Rie- fenstahl „auf besonderen Wunsch des Führers” die künstlerische Leitung des Films vom „Reichsparteitag des Sieges“ Anfang September in Nürnberg über- nimmt. Hitler und Goebbels hatten eine ungewöhnliche Entscheidung getroffen: Sie wählten eine Frau, die kein Parteimitglied war, dazu aus, beim ersten NSDAP- Parteitag nach der „Machtergreifung“ den repräsentativen „Hitlerfilm” zu ma- chen. Diese Frau hatte den Vorteil, dass sie als Außenstehende, die nur Hitler selbst verpflichtet war, keine Rücksicht auf Proporzstreitigkeiten nehmen musste. So konnte die Tänzerin und Bergfilm-Darstellerin bei den Arbeiten an insgesamt drei Parteitagsfilmen ihre künstlerischen Ambitionen im Hinblick auf die Ideale von „Kraft und Schönheit“ ungehindert umsetzen. Schon vom ersten Parteitagsfilm Der Sieg des Glaubens. Der Film vom Reichs- parteitag der N.5.D.A.P. (Uraufführung: 1. Dezember 1933) zeigte sich die Of- fentlichkeit sehr angetan, obwohl diesen „Hitlerfilm“ mehrere Umstände be- einträchtigten: Bei den Dreharbeiten Anfang September 1933 herrschten Un- stimmigkeiten zwischen der Regisseurin und der Filmabteilung der NSDAP, Riefenstahl hatte nur drei Kameramänner unter ihrem Kommando und muss- te beim Schnitt des gut einstündigen Films auch auf Wochenschaumaterial zurückgreifen; die Inszenierung des Parteitags zeigte noch Schwächen, Hitler war noch nicht unangefochten der alleinige „Führer“ - neben ihm stand der zweite Mann im neuen Staat, Emst Röhm, der Stabschef der SA.’ Für den „Reichsparteitag der Einheit und Stärke“ im September 1934 erhielt Riefenstahl am 19. April 1934 den Auftrag, den endgültigen „Hitlerfilm” zu drehen. Die Voraussetzungen waren günstig: Der Regisseurin standen jetzt 16 Kameramänner ihrer Wahl zu Gebote, bauliche Maßnahmen Albert Speers auf dem Parteitagsgelände verbesserten den sakralen Rahmen für die nationalso- zialistischen Rituale, die Parteitagsregie gewährte Sondergenehmigungen für privilegierte Kamerapositionen und politisch war Hitler inzwischen der un- umschränkte „Führer” des deutschen Volkes - er vereinigte in seiner Person die Funktionen Reichskanzler, Reichspräsident, Vorsitzender der Staatspartei, Oberster Befehlshaber des Heeres und „oberster Gerichtsherr”. Aus den 128.000 Metern Aufnahmematerial schnitt die Regisseurin in fünf Monaten einen knapp zweistündigen Kinofilm. Hauptdarsteller Adolf Hitler gab ihm den Titel Triumph des Willens. Er nahm die Endfassung vier Tage vor der Pre- miere am 28. März 1935 persönlich ab, ohne etwas zu beanstanden, wie Rie- fenstahl damals stolz berichtete. Am 5. April lief ihr zweiter Parteitagsfilm in 70 deutschen Erstaufführungskinos an.’ 13 Irtumph des Willens ist die Ikone des deutschen Faschismus, denn dieser Film präsentiert den Nationalsozialismus bei den Nürnberger Appellen und Gelöbnissen genau so, wie Hitler sich und seine Gefolgschaft gerne gesehen haben wollte: als das Idealbild absoluter Zucht und bedingungslosen Gehor- sams. Zur politischen Erziehung des deutschen Volkes machte der NSDAP-ei- gene Filmverleih regen Gebrauch von diesem Parteitagsfilm bei Schülern, HJ und BdM, KdF, Arbeitsdienst usw. Unzufrieden mit Triumph des Willens waren die Generäle der Reichswehr, weil Riefenstahl den militärischen Vorführungen auf dem Reichsparteitag nur 90 Sekunden Filmzeit zugestand. Sie erklärte sich bereit, beim Reichspartei- tag 1935 einen eigenen Film ausschließlich dem Militär zu widmen.? Am 16. März 1935 - zwei Wochen vor der Premiere von Triumph des Willens - führte das NS-Regime gegen die Auflagen des Versailler Friedensvertrags die allge- meine Wehrpflicht ein. Die NSDAP feierte im September 1935 den „Reichspar- teitag der Freiheit”. Riefenstahls dritter Parteitagsfilm hieß dementsprechend Tag der Freiheit - Unsere Wehrmacht - Nürnberg 1935. Die Premiere des halb- stündigen Films war am 30. Dezember 1935, zusammen mit Der höhere Be- fehl, einem historischen Preußenfilm der Ufa, der zur Zeit der napoleonischen Besatzung spielt.’ Ein neuer Stil im deutschen Dokumentarfilm Das Parteitagsgeschehen konfrontierte die Regisseurin mit dem Problem, die Wiederholung ritualisierter Vorgänge dem Kinopublikum auf eine Weise zu präsentieren, die nicht langweilig und ermüdend wirkt: „Ich mußte mir über- legen, mit welchen Mitteln man den Film über das Niveau von Wochenschau- Aufnahmen hinausheben könnte. Es war nicht leicht, aus Reden, Vorbeimär- schen und so vielen sich ähnelnden Veranstaltungen einen Film zu machen, der die Zuschauer nicht langweilt. Eine Spielhandlung einzubauen, wäre aber Kitsch. Ich kam auf keine andere Lösung, als die dokumentarischen Ereignis- se so vielseitig wie nur möglich aufnehmen zu lassen. Das Wichtigste war, daß die Motive nicht statisch, sondern bewegt aufgenommen wurden.” Bereits Riefenstahls erster Parteitagsfilm Der Sieg des Glaubens etablierte einen neuartigen Stil für die Darstellung politischer Großveranstaltungen. Die gleichgeschaltete Presse feierte ihn als „filmisches Oratorium”, '! als „giganti- sche und triumphale Bildsinfonie”."” Das Parteiorgan der NSDAP, der „Völki- sche Beobachter“, bescheinigte der Regisseurin, dass sie ihre Absicht ver- wirklicht hatte: „vor allem keinen spießigen chronologischen Film, keine Wo- chenschau, nicht irgendein gefilmtes Festprogramm, sondern den Geist des Reichsparteitages festhalten“.' Auch unvoreingenommene Beobachter beurteilten die Ästhetik von Triumph des Willens als außergewöhnlich innovativ. Iris Barry, die Kuratorin der 1935 14 gegründeten Film Library des Museum of Modern Art, reiste im Sommer 1936 nach Berlin, um im Reichsfilmarchiv deutsche Filme auszuwählen. Über Tri- umph des Willens schrieb sie in einem Reisebericht: „Elsewhere, an entirely new and significant tendency is apparent in an attempt to record out-stan- ding national events by means of film. (...) The use of film for such purposes is new. (...) Lately, the British Government has been the producer of a num- ber of lively ‚shorts‘ dealing specifically with its own activities in the dome- stic realm of communications - radio, post-office, wheather bureau, and the like. Technically, it is these which have the most likeness to the new kind of German films of which I speak, though the latter take a much larger canvas. The mass meeting of the Nazi Party at Nürnberg in the autumn of 1934 was not merely filmed, the whole meeting was organized in such a way that a di- rect and living record of the celebration could be made. Camera emplace- ments had been carefully worked out and installed, a battery of cameras was trained on the gathering so as to provide close shots, long shots, traveling shots - and so that the speeches and other sounds might be properly recor- ded. The Triumph of the Will, as this full-length picture made for domestic consumption only is called, proved one of the most brilliantly assembled and edited films imaginable: it enables a remote member of the general public to participate as at first hand in the meeting.” Welche Gestaltungsmittel setzt Riefenstahl ein, damit ihr Parteitagsfilm Tri- umph des Willens, wie sie seinerzeit sagt, „den Hörer und Zuschauer von Akt zu Akt, von Eindruck zu Eindruck überwältigender emporreißt”?’> Um die Filmzuschauer als virtuelle Parteitagsbesucher an den Ritualen der Aufmärsche und Gelöbnisse zu beteiligen, nutzt Riefenstahl die privilegierten Kamerapositionen, die ihr die Veranstalter einräumen. So lässt sich das Par- teitagsgeschehen aus ganz unterschiedlichen Winkeln und Perspektiven auf- nehmen und kann am Schneidetisch abwechslungsreich montiert werden. Am wichtigsten ist das Privileg, die Hauptperson Adolf Hitler bei allen Zere- monien und Reden aus nächster Nähe filmen zu dürfen. Niemals zuvor ist ein deutscher Politiker so ausgiebig in Nahaufnahmen gezeigt worden wie Hitler in Der Sieg des Glaubens und Triumph des Willens. Überhaupt ist Hitler der einzige Politiker des zwanzigsten Jahrhunderts, der als Staatschef in abend- füllenden Filmen verewigt wird, für die er sich selbst als Hauptdarsteller zur Verfügung stellt.!° Die Parteitagsfilme bieten den Zuschauern das Privileg, den „Führer“ aus unmittelbarer Nähe erleben und beobachten zu können. In einer Gesellschaft, die kein Fernsehen kennt, ist das für viele Deutsche schon Grund genug für einen Kinobesuch. Hitlers Auftritte werden dramaturgisch sorgfältig vorbereitet und gestal- tet.” Riefenstahl durchwirkt ihre Dokumentarfilme von den Reichsparteita- gen mit Montagetechniken des Spielfilms. Wichtig für die Beteiligung der Zu- schauer sind die Schnitt-Gegenschnitt-Folgen von Großaufnahmen, die den 15 Redner Adolf Hitler im Wechsel mit Zuhörern zeigen, in Der Sieg des Glaubens und Triumph des Willens beispielsweise bei seinen Ansprachen an die HJ. Die Hitlerjungen werden meist zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort ge- dreht - die Schnittfolge legt aber nahe, dass sie gerade aufmerksam dem „Führer“ lauschen. Die Technik, am Schneidetisch frei erfundene Begegnun- gen zu arrangieren, ist so einfach wie wirkungsvoll. So ist z. B. in Triumph des Willens in die Nürnberg-Einfahrt Hitlers eine Katze einmontiert: Die Ka- mera fährt in starker Untersicht an der Katze vorbei, die auf einem Fenster- sims sitzend nach rechts unten blickt. Die folgende Einstellung zeigt Hitler im fahrenden Wagen, während er kurz nach rechts hoch schaut - und sugge- riert damit einen Blickkontakt zwischen Hitler und der Katze. Anforderungen an die Kameraarbeit Kaum hatte das NS-Regime seine innenpolitischen Gegner und die im Weg stehenden eigenen Parteigänger ausgeschaltet, zuletzt mit der Liquidierung der SA-Führung um Ernst Röhm am 30. Juni 1934 - da erhielt es mit Triumph des Willens eine audiovisuelle Visitenkarte, die bis heute die meistzitierten Embleme liefert, wenn es darum geht, ein bewegtes Bild des Nationalsozia- lismus zu präsentieren. Es scheint, als mussten Hitler und Goebbels nur die richtige Frau finden, um für das Leitmedium Kino ein ideales Porträt der na- tionalsozialistischen Herrschaftsform zu bekommen. Der neue Stil der Partei- tagsfilme ist indes nicht das alleinige Verdienst von Riefenstahl. Das Auto- renkonzept, wie es im herkömmlichen Kunstverständnis üblich ist, geht bei den Parteitagsfilmen völlig fehl. Die Dreharbeiten für diese Filme waren hochgradig arbeitsteilige Prozesse, weil viele Kameras ohne Drehbuch gleich- zeitig aufnehmen mussten. Die Dispositionen für den täglichen Einsatz der Kameras wurden bei Riefenstahls abendlichen Regiebesprechungen mit den Kameramännern getroffen. Vor Ort musste dann jedes Kamerateam in Eigen- verantwortung arbeiten. Mit Tonfilmapparaturen wurden nur die Reden auf- genommen, alle anderen Aufnahmen wurden stumm gedreht. Über die Ver- wendung des Filmmaterials und seine Vertonung bestimmte Riefenstahl bei der Nachbearbeitung am Schneidetisch.'® Auch wenn die rhythmische Gestaltung der optisch oft eintönigen Partei- tagsgeschehnisse durch die Montage immer wieder als entscheidendes Ver- dienst Riefenstahls hervorgehoben wird: Die Regisseurin kann nur dann wir- kungsvoll montieren, wenn dafür geeignetes Ausgangsmaterial zur Verfügung steht. Die komfortable Ausstattung mit Rohfilm, die ein Drehverhältnis von eins zu vierzig möglich macht, ist dafür allein noch keine Garantie. Riefen- stahl selbst belichtete in Nürnberg keinen einzigen Meter Film. Alle Aufnah- men, aus denen sie ihre „Bildsymphonien“ der NSDAP-Parteitage komponier- te, wurden von den Kameramännern weitgehend in Eigenregie gedreht. Als Zulieferer haben sie keinen Einfluss auf die Montage, umgekehrt war die Re- gisseurin für ihren Part der „künstlerischen Gestaltung“ am Schneidetisch völlig davon abhängig, wie die Kameramänner vor Ort gearbeitet hatten. In Riefenstahls Buch „Hinter den Kulissen des Reichsparteitag-Films” heißt es dazu: „Unsere Operateure sind überall verteilt. An allen interessanten Plätzen hockt einer; entweder in einem Fenster oder auf einem Dachgiebel, auf der Feuerwehrleiter oder im Straßengraben. Es gilt hier blitzschnell zu arbeiten. Jeder Augenblick bringt etwas Neues und verlangt ganze Konzentration. Trotz größter Eile muß technisch einwandfrei gearbeitet werden. Denn diese Aufnahmen sind einmalig und können nicht, wie im Spielfilm, wiederholt werden. Ein Fehler ist hier nicht mehr gutzumachen. Bei dieser Arbeit müßte der Kameramann im idealen Falle auch Regisseur sein, da er ja meist sich selbst überlassen ist und nicht nur fotografieren muß, sondern auch filmisch gestalten soll. Er steht hier nicht vor einer gestellten Szene, sondern mitten in der Wirklichkeit. Seiner Kamera bietet sich in jeder Sekunde etwas Uner- wartetes. Dieser Wechsel und das vorher nicht zu berechnende Geschehen ist bei dieser Art von Filmen das Reizvollste.”'° Die Regisseurin braucht also unbedingt Kameramänner, die gewohnt sind, selbstständig zu arbeiten. Operateure mit dieser Qualifikation sind weder in den großen Filmstudios in Babelsberg und Geiselgasteig zu finden, weil hier der ganze Produktionsbetrieb auf die Kontrolle der Aufnahme durch die Regie eingerichtet ist, noch bei den Wochenschauen, deren eingefahrene Aufnah- metechniken beim Drehen vor Ort dem Diktat der Aktualität gehorchen. Aus eigener Erfahrung weiß Riefenstahl, wo sie Kameramänner rekrutieren kann, die für die Dreharbeiten in Nürnberg geeignet sind. Dass sie diese Kamera- männer selbst sehr gut kennt, ist überhaupt die wichtigste Qualifikation ge- wesen, die Leni Riefenstahl für die von Hitler und Goebbels gewünschte Überwindung des Wochenschau-Stils aufzubieten hatte. Die Freiburger Kameraschule Es gibt im deutschen Spielfilm der zwanziger Jahre ein Genre, das in der Sub- stanz von Außenaufnahmen lebt, die in freier Natur gedreht wurden. Das ist der von Arnold Fanck geprägte Bergfilm, in dem Schönheit und Schrecken der Naturgewalten im alpinen Hochgebirge die Hauptrolle spielen. Die Kame- ramänner der Fanck-Filme sind als „Freiburger Kameraschule“ in die Filmge- schichte eingegangen. Sie übten freiberuflich ein hoch spezialisiertes Hand- werk aus und waren trainierte Bergsteiger und Skiläufer, die ein heroisches Berufsethos pflegten. Mit Mut, Geschick und Ausdauer nahmen sie jederzeit körperliche Strapazen auf sich, um gelungene Filmaufnahmen zu erzielen. Diverse Geschichten dazu sind nachzulesen in Sepp Aligeiers 1931 erschiene- nem Buch „Auf der Jagd nach dem Bilde“ - laut Klappentext „ein heldisches Buch, das Zeugnis gibt von den Schönheiten der Erde und vom zähen Wage- mut echter Männer.“ 17 Naturgemäß ist eine Abstimmung mit der Regie bei Außenaufnahmen im Hochgebirge oft gar nicht möglich. Die Bedienung der Kamera fordert nicht nur hohen Körpereinsatz und sportliches Können, sondern der rasche Wechsel der Lichtverhältnisse, Wetter bedingte Umstände und Kalamitäten im Gelände verlangen geradezu, dass die Kameramänner über ihre Aufnahmen schnell und sicher selbst entschieden. Aus dieser Produktionsästhetik des Bergfilmgenres, die von den Gegeben- heiten der Außenaufnahmen und den dramatisierenden Erfordernissen der Spielfilmhandlung bestimmt ist, ergeben sich auch die Eigenarten des Kame- rastils der Freiburger Schule: die Ausnutzung des Raums, auch und gerade in der Vertikalen, sowie der Wechsel von weit auseinander liegenden Kamerapo- sitionen, die durch Zwischenschnitte - Nahaufnahmen von Gesichtern oder andere Detailaufnahmen - überbrückt werden. Stark voneinander abweichen- de Bildausschnitte werden ohne Übergang ‚hart‘ montiert, direkte Wechsel von Nahaufnahmen und Totalen sind keine Seltenheit. Die dadurch geschaf- fene Dramatisierung und Rhythmisierung der Filmbilder verstärkt die Mobili- tät der Kamera, die auf Skiern, am Seil, im Flugzeug oder einfach mit einem Panoramaschwenk die weiten Räume des Hochgebirges erfasst. In sechs von Fancks Bergfilmen stand Leni Riefenstahl als Hauptdarstellerin vor der Kamera, darunter Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929) und Stürme über dem Montblanc (1930), zuletzt in dem Grönland-Film S0$ Fisberg (1933). Aus langjähriger intensiver Zusammenarbeit kennt sie die Kameramänner Sepp Allgeier, Hans Schneeberger, Richard Angst, Kurt Neubert und Albert Benitz. Walter Traut und Heinz von Jaworsky sind ihr als Assistenten be- kannt, Hans Ertl als Bergführer bei der Grönland-Expedition. Walter Riml und Guzzi Lantschner hatte sie als Skiläufer in Der weiße Rausch kennen gelernt. Ihren eigenen Bergfilm Das blaue Licht drehte sie 1932 mit Hans Schneeber- ger. Bergfilm-Aufnahmen von den Nürnberger Parteitagen der NSDAP Für den stilistischen Durchbruch der Parteitagsfilme Der Sieg des Glaubens und Triumph des Willens erbringt Riefenstahl bereits im Vorfeld eine ganz entscheidende Leistung. Sie macht das, was sich jeder Filmregisseur für seine Dreharbeiten wünscht: Sie engagiert Kameramänner, die sie aus der Erfahrung gemeinsamer Arbeit schon gut kennt. So holt sie Fancks Kameramänner von den Dolomiten, vom Mont Blanc und aus dem Engadin ins Flachland nach Nürnberg. Von der gewaltigen hochalpinen Naturkulisse versetzt sie ihre Bergfilm-Ope- rateure in die künstlichen Kulissen einer politischen Masseninszenierung, die sich auf Nürnbergs Straßen und dem Parteitagsgelände abspielt. In der neuen Umgebung arbeiten die Kameramänner nicht anders, wie sie es vom Hochge- 18 birge her gewohnt sind. Sie drehen das Parteitagsgeschehen aus allen denk- baren Perspektiven und Aufnahmewinkeln. Wo die gewünschten Kameraposi- tionen fehlen, werden Aufnahmetürme und sogar ein Fahrstuhl gebaut, schwenkbare Feuerwehrleitern benutzt oder Hausdächer bestiegen. Der Ka- merastil der Fanck-Schule wird so nach Nürnberg transferiert: Die Parteitags- filme Der Sieg des Glaubens und Triumph des Willens werden wie Bergfilme aufgenommen. Zu Beginn von Triumph des Willens fliegt die Kamera hoch in den Wolken über Nürnberg. Dass dieses Motiv an die Wolkenaufnahmen in Fancks Bergfil- men erinnert, vor allem an Stürme über dem Mont Blanc, ist schon Siegfried Kracauer aufgefallen, der im Weimarer Kino Prototypen des Nationalsozialis- mus entdeckt und damit seine These von der Disposition der deutschen Be- völkerung für den Faschismus zu beweisen sucht: „Der Hang zu Wolkenbil- dern belegt die schließliche Verschmelzung von Berg- und Hitlerkult.””? Jenseits der analogen Wolkenaufnahmen ist die Anknüpfung an den Berg- film vom Bild her schlagend in den Kamerablicken, welche Fancks Operateure auf Nürnberg richten. Als zu Beginn von Triumph des Willens die morgendli- chen Wolkenschleier zerreißen, erscheint die Stadt wie eine Gebirgsland- schaft: Die Burg und die großen Kirchen ragen als Felsformationen aus dem Häusermeer heraus. Hitlers Einfahrt in Nürnberg ist mit Kamerafahrten unter- schnitten, die aus extremer Untersicht beflaggte historische Häuser zeigen. Sie schweben mit scheinbarer Leichtigkeit am Auge des Zuschauers vorbei und erscheinen zugleich massiv wie Berge. Unverkennbar ist der Kamerastil der Fanck-Schule auch in der Sequenz, die den Vorbeimarsch vor Hitler auf dem Nürnberger Hauptmarkt zeigt, beson- ders in den Einstellungen 925-965 (Zahlen in Klammern verweisen auf das Einstellungsprotokoll von Triumph des Willens?) mit Abordnungen vom Natio- nalsozialistischen Kraftfahrer-Korps (NSKK), von SA und Arbeitsdienst.’* Die Zuschauertribünen erinnern an terrassenförmig ansteigende Steilwiesen (926), hinter denen sich die Frauenkirche wie ein Dolomitfelsen erhebt (933). Das Schiff der Sebalduskirche im Bildhintergrund gleicht einer dunk- len Felswand, an der die Marschierenden vorbeiströmen. Die Kolonnen der NSRK-Männer mit ihren dunklen Lederhelmen ergießen sich in den Bildhin- tergrund auf eine mittelalterliche Kapelle zu. Sie bildet den felsförmigen Fluchtpunkt für die Stromlinien aus schwarzen Punkten, auf die sich diese Marschsäulen mit zunehmender Entfernung grafisch reduzieren (942). Indem die gotischen Spitztürmchen des Schönen Brunnens in den Vordergrund ge- rückt sind, erscheinen die Zuschauer, die sich im Hintergrund über eine Ba- lustrade lehnen, eingepasst in eine bizarre Felslandschaft, als hätte der Ka- meramann bei der Aufnahme die Formationen des Rosengartens bei Bozen vor seinem inneren Auge gehabt (949). Ähnlich sind Marschkolonnen in eine Felslandschaft integriert, indem sie in den Öffnungen steinerner Rundbögen 19 sichtbar werden (954). Die Kamera besteigt auch die steinernen Gipfel der Nürnberger Stadtlandschaft und schwenkt von einem Turm der Sebalduskir- che über das Panorama der Altstadt (950) und vom Turm der Frauenkirche über den Hauptmarkt (957). Auf einer dreh- und schwenkbaren Feuerwehrlei- ter postiert, fliegt sie förmlich über den Hauptmarkt durch die Luft (960). Mehrfach blickt die Kamera aus der Vogelperspektive in dunkle Häuser- schluchten, wo weit unten auf dem hell von der Sonne beschienenen Grund die Formationen der Marschkolonnen fließen (950, 952, 956, 958). Umge- kehrt ragt Adolf Hitler, in starker Untersicht, den rechten Arm zum „deut- schen Gruß“ nach oben weggestreckt, als übergroßes Standbild in den Him- mel, wie zu Stein geworden. Die damals strapazierte Redewendung vom „Füh- rer, der wie ein Fels steht“, erscheint hier wie gemeißelt in Zelluloid (965). Ein Pendant zum Bergsteigen ist das Schluchtenwandern. In den Gebirgen Europas, wo die Schluchten meist Wasser führen, ist das Gleiten im Kajak die geeignete Art der Fortbewegung. Neben den Routiniers Sepp Allgeier und Franz Weihmayr engagierte Riefenstahl für ihren ersten Parteitagsfilm Der Sieg des Glaubens als dritten Kameramann Walter Frentz, einen Anhänger des Wildwassersports. Ihn hatte Albert Speer empfohlen, der Frentz von einer Ka- jakfahrt auf dem Balkan kannte. Bei dieser Flusswanderung hatte Walter Fr- entz seinen Erstlingsfilm Wildwasserfahrt durch die Schwarzen Berge (1932) aufgenommen, den die Deutsche Universal für das Beiprogramm verlieh.” Hitlers Nürnberg-Einfahrt von 1933 filmte teils Sepp Allgeier, der direkt hinter Hitler im offenen Fond Platz nehmen durfte, teils drehte sie Walter Fr- entz, der dafür eine ganz ungewöhnliche Perspektive einnahm. Der Wildwas- ser-Sportfilmer Frentz arbeitete ähnlich wie in den Schwarzen Bergen und drehte die Einfahrt so, als würde er in einem Kajakboot sitzen. Er ließ sich halb sitzend, halb liegend auf dem Trittbrett eines mitfahrenden Mercedes festschnallen. Vier Einstellungen der Spalier bildenden Bevölkerung aus die- ser gleitenden Untersicht sind in Hitlers Nürnberg-Einfahrt einmontiert. So erhält sie Akzente einer Kajakfahrt auf einem Gebirgsfluss, als dessen Ufer die Zuschauerspaliere auf beiden Seiten der Straße vorüber gleiten.’® Filmischer Film Zur filmischen Stilisierung des Parteitagsgeschehens wurden nicht nur beim Bergfilm und Sportfilm Anleihen gemacht, sondern auch beim „Neuen Se- hen”, wie es am Bauhaus gelehrt worden war. Mit ungewohnten Kameraper- spektiven überraschen vor allem die eingefügten Detailaufnahmen. So fährt etwa die Kamera in Triumph des Willens zum Auftakt der HJ-Veranstaltung frontal auf die Öffnung einer Fanfare zu, bis sie unscharf das Bild ausfüllt (525). Beim Chorspiel des Freiwilligen Arbeitsdienstes erscheinen zwei Hände in Großaufnahme, auf einen Spatenknauf gelegt (404); dann die Vervielfa- 22 chung, eine ganze ausgerichtete Reihe solcher Hände von Arbeitsdienstmän- nern, die zum Appell angetreten sind (405). Diese Perspektive ist wiederum mehrfach als Gegenschnitt zu Groß- und Nahaufnahmen von Gesichtern mon- tiert.”” Unverkennbar ist die Übernahme von Sehweisen der „neuen Sachlich- keit”, wenn marschierende Kolonnen oder Zuschauerränge von den Kamera- männern als grafische Muster aufgenommen werden. Das ist etwa der Fall, wenn die Kamera von einer Feuerwehrleiter senkrecht nach unten auf das Straßenpflaster gerichtet ist, auf das die Schatten einer Zwölferkolonne fal- len, die mit gestrecktem Arm im grellen Sonnenlicht durchs Bild marschiert. Körperschatten und dunkle Helme bilden mit den hell beschienenen Armen der Männer eine geometrische Struktur, die sich gleichförmig nach rechts schiebt. (934) Dieses Streben nach visueller Abstraktion erinnert unweigerlich an die Filmavantgarde der Weimarer Republik, insbesondere an Walter Ruttmann. Sein programmatisches Ziel als Filmkünstler war die „rhythmische Organisati- on der Zeit durch optische Mittel“? Arnold Fanck und Sepp Allgeier verfolgten in ihren dokumentarischen Berg- und Skifilmen Anfang der zwanziger Jahre ähnliche Ziele, auch sie strebten die „reine Form“ an und suchten sie, wie in Das Wunder des Schneeschuhs (1920), der Wirklichkeit abzugewinnen: „Diese Filme sind am ehesten dem abstrakten Film verwandt: diagonale Teilung der Leinwand, Spuren, Kurven und Zeichen im Schnee, Jugendstil-Ornamente, kreisförmige Bildausschnitte, kleine Punkte, die am Horizont auftauchen, rasch auf die Kamera zuschießen und riesig aus dem Bild verschwinden...” 1934 verhinderte Leni Riefenstahl, dass Walter Ruttmann beim Parteitags- film Triumph des Willens als Co-Regisseur in Erscheinung trat.’ Mit ihren Ka- meramännern teilte sie aber weiterhin die Auffassung vom Primat der Kame- ra’! und bekannte sich wie Ruttmann zum „filmischen Film“, d. h. einer Film- gestaltung, die rein optischen Gesetzen zu folgen sucht, ähnlich der Harmo- nielehre in der Musik. Die grafische Reduktion von Parteitagssujets auf abstrakte Bilder bringt nicht nur visuell reizvolle Abwechslung. Große Menschenansammlungen tre- ten in Nürnberg als Formationen in Erscheinung - Zuschauer auf den Rängen des Stadions, angetretene Karrees im Luitpoldhain und auf der Zeppelinwiese, Marschsäulen auf dem Hauptmarkt. Die Bergfilm-Operateure nehmen sie wie Landschaften auf, als seien sie von sich aus geordnete, formierte Natur, und veranschaulichen damit die nationalsozialistische Idee der deutschen Nation: Die Zuschauer im Stadion, welche die Rechte zum „deutschen Gruß” strecken (655), verschmelzen als grafische Struktur zu einem Ganzen. Sie bilden einen Volkskörper. Die Individuen erscheinen dabei nur noch als bloße Elemente, so wie Bäume einen Wald bilden oder Grashalme eine Wiese. Dieser Eindruck entspricht der Situation, die sich während der Aufnahme vor dem Objektiv 23 abspielt: Wenn sich die Zuschauer auf den Rängen erheben und mit gestreck- ten Armen in frenetisches „Heil!“-Geschrei verfallen, dann ist der von den Nationalsozialisten beschworene Volkskörper tatsächlich im Stadion präsent. Die Individuen gehen sichtbar und hörbar auf im uniformen Zeichen ihrer n- tuellen Selbstaufgabe. Diese Bilder und Töne werden in Zusammenarbeit von Parteitagsregie und Filmregie produziert und dann tausendfach projiziert, um das nationalsoziali- stische Ideal, dass alle Deutschen ihren Willen und ihr Handeln auf Deutsch- land und den „Führer“ ausrichten sollen, als Faktum zu präsentieren. In dem Wald von deutschen Armen, der sich überall in Nürnberg, wo Adolf Hitler gesichtet wird, dem „Führer“ entgegenstreckt, folgen die Parteitagsbe- sucher spontan Hitlers Forderung, nur noch Deutsche zu sein. Sie gleichen jenem Wald von Hakenkreuzfahnen, der in Triumph des Willens geisterhaft durch die Nacht wabert und im unterschiedslosen Gewimmel der Fahnen die Idee der Nation symbolisiert (767). So erscheint die Losung „Alles für Deutschland”, die Adolf Hitler in seinen Parteitagsreden ständig im Munde führt, „Filmisch“ umgesetzt in geradezu abstrakten Filmbildern. Der Standpunkt „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“ findet auf diese Weise einen sinnfälligen Ausdruck, den allenfalls die endlosen Reihen gleichförmi- ger Grabkreuze auf Soldatenfriedhöfen überbieten können. Anfang 1938 stellt die von der Reichsfilmkammer herausgegebene Zeit- schnift „Der deutsche Film“ die Frage: „Gibt es einen deutschen Kamerastil?“ Sie kommt zu dem Befund, dass es eine Stilrichtung gibt, „die sicherlich den Nichte von Leni Riefenstahl: Postkartenansicht vom Zeltlager Langwasser. Reichsparteitag 1934. (Archiv Goergen) 24 deutschen Kamerastil am eindeutigsten repräsentiert, - das ist die Schule, die sich um Dr. Fanck und seine Bergfilme bildete”, und gelangt ohne Um- schweife zu Riefenstahl: „[Diese Linie] prägt sich auch aus in den deutsches- ten Filmen der letzten Jahre, den Reichsparteitagfilmen und dem Olympia- Film. Mit diesen Filmen ist eine völlig neue Gattung von Filmen überhaupt geschaffen worden: der heroische Reportagefilm, wie er dem Geschehen unse- rer Tage entspricht.” Inkunabel der nationalsozialistischen Kriegswochenschau Reichlich Gelegenheit für den „heroischen Reportagefilm” bot sich ab Sep- tember 1939 mit der Eröffnung des Zweiten Weltkriegs durch den deutschen Überfall auf Polen. An dem Wehrmachtsfilm Feldzug in Polen waren mit Wal- ter Frentz, Heinz von Jaworsky und Guzzi Lantschner allein drei Kameramän- ner von Riefenstahl beteiligt. Im Juni 1940 war die Zusammenführung der privaten Wochenschauen zur staatlichen „Deutschen Wochenschau“ abgeschlossen. Unter den Kameramän- nern der Propagandakompanien, die seit 1938 für den Ernstfall der Kriegsre- portage trainierten, gehörten die Operateure der Berg-, Sport- und Partei- tagsfilme von Arnold Fanck und Leni Riefenstahl zu den Spitzenkräften. Sepp Allgeier drehte zwischen 1941 und 1945 keinen einzigen Spielfilm mehr, son- dern war als sog. Kriegsberichterstatter im Einsatz. Walter Frentz wurde ins Führerhauptquartier abkommandiert, um vom Oberbefehlshaber Hitler jeder- zeit Filmaufnahmen für die „Deutsche Wochenschau” machen zu können. Die langjährigen Erfahrungen der Freiburger Kameraschule bei Außenauf- nahmen für Spiel- und Dokumentarfilme trugen nicht wenig zur Wirkung der nationalsozialistischen Kriegswochenschauen bei. Es ist kaum bekannt, dass der Prototyp der wöchentlichen „Kriegsberichter- stattung” des NS-Regimes bereits 1935 unter der Regie von Leni Riefenstahl gedreht wurde: Die dritte Rolle ihres dritten und letzten NSDAP-Parteitags- films Tag der Freiheit zeigt Manövervorführungen der Wehrmacht auf der Nürnberger Zeppelinwiese. Die Branchenpresse bezeichnete die Dreharbeiten als „Großkampftage der Kameraleute”.’* Riefenstahls Mitarbeiter Rolf Lantin schildert für die Verleihinformationen der Ufa, was den Kameramännern ab- verlangt wurde: „Keinerlei Arbeitsprogramm konnte man vorher aufstellen. Man mußte bereit sein und der Dinge harren, die da kommen sollten. - Vor allem hieß es für die Operateure - es waren sechs Mann - beweglich zu sein und ohne Zögern jeden Entschluß, den die Sekunde eingab, auszuführen. Groß war auch das Gefahrenmoment, wenn man seine Augen nicht überall hatte, 16.000 Mann aller Waffengattungen und Wehrmachtsteile zeigten Ge- fechtsvorführungen. Wenn die motorisierte Aufklärungsabteilung eine Sperre öffnete, wenn schwere Artillerie in Stellung ging, wenn Bombengeschwader 25 das Zieldorf in Brand setzten, wenn Kampfwagenbataillen und Panzerabwehr- abteilung in Tätigkeit traten, hieß es für sie, blitzschnell hierhin und dorthin zu spritzen, zu drehen und aufzupassen, daß man nicht unter die Räder kam.”” Die Operateure hatten die schwierige Aufgabe, die Manövervorführungen im bewährten Freiburger Kamerastil aus nächster Nähe zu drehen. Sie mischten sich also mitten unter die Soldaten, die den Ernstfall probten, und riskierten dabei ihr Leben. Im Unterschied zu den Formationen von SA und SS in Nüm- berg war die Wehrmacht auf dem Manöverfeld mit schwerem Gerät unterwegs, nahm den Kameramännern mit Geschützqualm und Nebelkerzen die Sicht und folgte dabei keiner vorhersehbaren Choreografie. Wie Riefenstahl selbst sagt, kommt es in diesem Parteitagsfilm auf die Wir- kung der Kriegsaufnahmen ganz besonders an: „Wir waren eigentlich selbst erstaunt, was aus den vielen Einzelaufnahmen geworden ist: kein fotografier- tes Tagesereignis, sondern ein lebendiger, spannender Film, der kaum noch den Eindruck von militärischen Vorführungen macht, sondern wie eine tat- sachliche Gefechtshandlung wirkt und ein lebendiges Bild von der Schlag- kraft unseres jungen Reichsheeres vermittelt.“’ Siebzehn Jahre nach dem verlorenen Stellungskrieg in Frankreich führte die Wehrmacht dem Kinopub- likum in Tag der Freiheit vor, dass der zukünftige Krieg ein motorisierter Be- wegungskrieg sei, in dem eine überlegene Panzerwaffe den Sieg davonträgt. Bei seinen erfolgreichen „Blitzkriegen” hat das NS-Regime später die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf seiner Seite. Mit der modernen Kriegsführung, die sich abkehrt von den Schützengräben des Ersten Welt- kriegs, wurde das deutsche Kinopublikum erstmals in Riefenstahls drittem Parteitagsfilm bekannt gemacht. Für eine überzeugende Wirkung der militäri- schen Vorführungen auf dem „Reichsparteitag der Freiheit” ist der „deutsche Kamerastil” der Fanck- und Riefenstahl-Operateure essentiell - sie waren im- stande, schon im Jahr 1935 dokumentarisch ein „lebendiges Bild” des kom- menden Kriegs zu liefern. | Einzige Ausnahme ist der lange Stummfilm vom NSDAP-Parteitag 1929, gedreht unter der Leitung Baldur von Schirachs. Zur Filmproduktion der NSDAP vor 1933 vgl. Thomas Hanna-Daoud: Die NSDAP und der Film bis zur Machtergreifung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996 (= Medien in Geschichte und Gegenwart; 4). ?Vgl. Karl Friedrich Reimers et al., Hitlers Aufruf an das deutsche Volk vom 10. Februar 1933. Begleitpublikation zur Filmedition G 126 des Instituts für den Wissenschaftlichen Film. Göttingen: IWF 1971.Vgl. als Überblick: Stephan Dolezel, Martin Loiperdinger: Hitler in Parteitagsfilm und Wochenschau. In: Martin Loiperdinger, Rudolf Herz, Ulrich Pohlmann (Hg.): Führerbilder. Hitler, Mussolini, Rooseveit, Stalin in Fotografie und Film. München, Zü- rich: Piper 1995, S. 77-100. ’ Elke Fröhlich (Hg.}: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Teil I: Aufzeichnungen 1924-1941, München, New York, London, Paris: K.G. Saur 1987. 26 * Ebd., Eintragungen in 1933 vom 16.6., 20.6.,4.7.,9.7., 14.7., 18.7., 19.7., 14.8., 16.8., 17.8. In Ray Müllers Dokumentarfilm Die Macht der Bilder (1993) bestreitet Riefenstahl Goebbels‘ Angaben. Sie erscheinen jedoch glaubwürdig, vgl. das Foto, das Goebbels mit Leni Riefen- stahl beim Besuch der Dreharbeiten zu dem Film Du sollst nicht begehren am 8. Juli 1933 zeigt, abgedruckt bei Martin Loiperdinger: Sieg des Glaubens. Ein gelungenes Experiment nationalsozialistischer Filmpropaganda. In: Ulrich Herrmann, Ulrich Nassen (Hg.): Formati- ve Ästhetik im Nationalsozialismus. Intentionen, Medien und Praxisformen totalitärer äs- thetischer Herrschaft und Beherrschung. Zeitschrift für Pädagogik, 31. Beiheft, Weinheim, Basel: Beltz 1993, S. 31-42, hier S. 37. ° Vgl. dazu ausführlich David Culbert, Martin Loiperdinger: Leni Riefenstahl, the SA, and the Nazi Party Rally Films, Nuremberg 1933-1934. Sieg des Glaubens and Triumph des Willens. In: Historical Journal of Film, Radio and Television, Vol.8, No. !, 1988, 5. 3-38. ° Film-Kurier, Nr. 80, 4.4.1935. ”Vgl. die Ankündigung in: Der Kinematograph, 22.3.1935. ® Vgl. Leni Riefenstahl: Memoiren. München: Knaus 1987, S. 227 ff. ’Vgl.David Culbert, Martin Loiperdinger: Leni Riefenstahl‘s Tag der Freiheit.The 1935 Nazi Party Rally Film. {n: Historical Journal of Film, Radio and Television, Vol. 12, No. I, 1992,5.3-40. '° Riefenstahl: Memoiren, a.a.0., 5.223 f. '' Film-Kurier, Nr. 283, 2.12.1933. * LichtBildBühne, Nr. 284, 2.12.1933. "Völkischer Beobachter, 2.12.1933. * Iris Barry: Hunting the Film in Germany. In: The American-German Review, Vol. 3, No. 4, juni 1937. Für den Hinweis auf diesen Artikel danke ich David Culbert, Baton Rouge. '° Leni Riefenstahl: Hinter den Kulissen des Reichsparteitag-Films. München: Eher 1935, 5. 28. '* Alle anderen wichtigen Politiker zwischen den beiden Weltkriegen lassen sich lediglich für Wochenschauen oder Kurzfilme ablichten. Stalin lässt sich in mehreren Spielfilmen durch Schauspieler vertreten.Vgl. dazu Oksana Bulgakowa: Der Mann mit der Pfeife oder Das Leben ist ein Traum. Studien zum Stalinbild im Film. In: Martin Loiperdinger, Rudolf Herz, Ulrich Pohlmann (Hg.): Führerbilder, a.a.0.,5. 210-231. "Vgl. Martin Loiperdinger: Rituale der Mobilmachung. Der Parteitagsfilm Triumph des Wil lens von Leni Riefenstahl. Opladen: Leske+Budrich 1987,5.68-72 u. 83-90. '* Zur Funktion der Musik in Riefenstahls Filmen vgl. den Beitrag von Reimar Volker in die- sem Heft. Riefenstahl: Hinter den Kulissen des Reichsparteitag-Films, a.a.0.,S. 19. Vgl. Helmut K.Ammon, Gisela Pichler: Die Freiburger Kameraschule. Operateure/Kame- raleute unter Fanck. In: Jan-Christopher Horak (Hg.): Berge, Licht und Traum. Dr. Arnold Fanck und der deutsche Bergfilm. München: Bruckmann 1997. * Sepp Allgeier:Auf der Jagd nach dem Bild. 18 Jahre Kameramann in Arktis und Hochge- birge. Stuttgart: Engelhorn 1931.Vgl. auch die Schilderungen von Arnold Fanck: Der Kampf mit dem Berge. Berlin: Hobbing o.]. [1931]. ” Siegfried Kracauer:Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (Schriften; 2), hg. von Karsten Witte, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, Bildunter- schrift zu Abb. 59 und 60, siehe auch im Text $. 271. Die telaologische Sichtweise Kracau- ers visualisiert das Deckblatt der amerikanischen Paperback-Ausgabe: Hinter Dr. Caligari türmen sich die Wolken aus dem Prolog von Triumph des Willens.Vgl. zu Kracauers Ver- ständnis des Bergfilms Eric Rentschler: Hochgebirge und Moderne. Eine Standortbestim- 27 mung des Bergfilms. In: Film und Kritik, Heft |, 1992, S. 8-27; zur Kritik von Kracauers Aus- sagen über Triumph des Willens vgl. Loiperdinger: Rituale der Mobilmachung, 2.2.0.5. 35 ff. 2 Martin Loiperdinger: Triumph des Willens. Einstellungsprotokoll. Frankfurt am Main: Insti- tut für historisch-sozialwissenschaftliche Analysen e.V. 1980 (= Arbeitspapier; 10). Zu be- ziehen über IWF Wissen und Medien, Göttingen. 4 Ebd., S. 154-160. 25 Wildwasserfahrt durch die Schwarzen Berge. Ein Kajaksportfilm von Walter Frentz. P: Curt Oertel und Rudolf Bamberger, Berlin-Schöneberg. Prüfnummer B 32524, 12.11.1932, 705 m. Uraufführung: 3.1.1933, Berlin (Ufa-Pavillon, zu Iglu - Das ewige Schweigen). ® Für die Nürnberg-Einfahrt Hitlers in Triumph des Willens werden nur Aufnahmen verwen- det, die das Zuschauerspalier aus einem fahrenden Auto heraus in Augenhöhe oder leich- ter Aufsicht zeigen. Frentz‘ Aufnahmen aus der Untersicht in Sieg des Glaubens sind etwas unscharf ausgefallen. Vgl. die Einstellungen 422, 424, 426, 428, 432, 434, 437. 2 Walter Ruttmann: Kino als Kunst. In: Die Premiere, Heft 3, 1925, S. 14, zit. nach Jeanpaul Goergen: Walter Ruttmann. Eine Dokumentation. Berlin: Freunde der deutschen Kinema- thek o. |. [1989], 5. 78. ” Thomas Brandlmeier:Arnold Fanck. In: Hans-Michael Bock (Hg.): CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. München: edition text + kritik 1984 ff.; erweiterte Neufas- sung: Ders., Sinnzeichen und Gedankenbilder.Vier Abschnitte zu Arnold Fanck. In: Jan- Christopher Horak (Hg.): Berge, Licht und Traum. Dr. Arnold Frank und der deutsche Bergfilm, a.2.0.,5. 69-83. "Vgl. Loiperdinger: Rituale der Mobilmachung, a.a.0.,5. 75 ff.; Goergen: Walter Ruttmann, a.a.0,5. 161 ff. *! Walter Frentz sagt 1992 über sein Verhältnis als Kameramann zur Regisseurin Riefen- stahl, er habe sich mit ihr „sehr gut verstanden in der Auffassung, daß der Film eine Parti- tur ist, bei der die Kamera Primat haben muß. Zitiert nach: Das Auge des Kameramanns - Walter Frentz (R: Jürgen Stumpfhaus, P: Süädwestfunk 1992), Minute 15. #2 Laut Ruttmann vereinigt ein filmischer Film „wie eine große symphonische Dichtung alle kontrapunktischen, optischen und akustischen Gesetze in seiner Partitur.“ Auch Eisen kann Filmstar sein. 5. Pfankuch im Gespräch mit Walter Ruttmann. Undatierter Zeitungs- ausschnitt im Nachlass Ruttmann, zitiert nach Goergen: Walter Ruttmann, a.a.0.,5.93. Ende November 1938 bekennt sich Leni Riefenstahl bei einem Vortrag in Paris zum „filmi- schen Film“. Vgl. Riefenstahl: Memoiren, a.a.O., 5. 339. Walter Frentz spricht im Februar !938 an der Berliner Lessing-Hochschule zum Thema „Der filmische Film“: Die „Bildmelo- die des Films“ gehorche optischen Gesetzen, die der „Harmonie- und Kompositionslehre der absoluten Kunstform, der Musik“ vergleichbar seien und noch erforscht und formu- liert werden müssten. Zitiert nach: Film-Kurier, Nr. 28, 3.2.1938. ®? Gibt es einen deutschen Kamerastil? In: Der deutsche Film, 3. )g.. H. 7, Januar 1938, 5. 176. * LichtBildBühne, Nr. 218, 17.9.1935. #5 Tag der Freiheit - Unsere Wehrmacht — Nürnberg 1935. Ufa-Information, 8.1.1936. 36 \Wie der neue Wehrmachtfilm entstand. Leni Riefenstahl erzählt. In: Filmwelt, Nr. 52, 29.12.1935. 28