F O R U M A N G E W A N D T E L I N G U I S T I K F.A.L. B A N D 68 Hrsg. von der Gesellschaft für Angewandte Linguistik Die in dieser Reihe erscheinenden Arbeiten The quality of the work published in this werden vor der Publikation durch die series is assured both by the editorial staff F.A.L.-Redaktion geprüft sowie einem Double- of the F.A.L. and by a double-blind peer Blind-Peer-Review-Verfahren durch mehrere review process by several external referees. Gutachter/innen unterzogen. Gesellschaft für Angewandte Linguistik e.V. Gesellschaft für Angewandte Linguistik e.V. Der Vorstand der Gesellschaft für Angewandte Linguistik Prof. Dr. Markus Bieswanger Prof. Dr. Karin Birkner Dr. Matthias Knopp Prof. Dr. Martin Luginbühl Prof. Dr. Matthias Schulz Der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für Angewandte Linguistik Dr. Heiner Apel PD Dr. Undine Kramer Dr. Birte Arendt Prof. Dr. Beatrix Kreß Prof. Dr. Michael Beißwenger Dr. Anta Kursiša Prof. Dr. Albert Busch Prof. Dr. Lisa Link Dr. Florian Busch Prof. Dr. Karin Luttermann Dr. Alexandra Ebel Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker Prof. Dr. Juliana Goschler Prof. Dr. Bernd Meyer PD Dr. Volker Harm Dr. Florence Oloff Prof. Dr. Inga Harren PD Dr. Steffen Pappert Prof. Dr. Stefan Hauser Prof. Dr. Karola Pitsch Dr. Franziska Heidrich Prof. Dr. Kersten Sven Roth Assoc. Prof. Dr. Carmen Heine Dr. Peter Schildhauer Dr. Jana Kiesendahl Joachim Schlabach Dr. Dagmar Knorr Prof. Dr. Jürgen Spitzmüller Prof. Dr. Markus Kötter Dr. Till Woerfel Das Redaktionsteam der F.A.L. Prof. Dr. Hajo Diekmannshenke Prof. Dr. Ulrich Schmitz Jun.-Prof. Dr. Antje Wilton F O R U M A N G E W A N D T E L I N G U I S T I K F.A.L. B A N D 68 Stefan Hauser / Simon Meier-Vieracker (Hrsg.) Fankulturen und Fankommunikation Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Ort, Univ., Diss., Habil., Jahr Die Produktionskosten für diese Publikation wurden vom Open Access Publikationsfonds der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek gefördert. Umschlaggestaltung: © Olaf Gloeckler, Atelier Platen, Friedberg ISSN 0937-406X ISBN: 978-3-631-81421-5 (Print) ISBN: 978-3-631-86701-3 (Ebook) ISBN: 978-3-631-86702-0 ( EPub) DOI: 10.3726/b19029 Open Access: Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internationalen Lizenz (CC-BY) Weitere Informationen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ © Stefan Hauser / Simon Meier-Vieracker 2022 Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Berlin 2022 Peter Lang – Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com Gesellschaft für Angewandte Linguistik e.V. Die Reihe Forum Angewandte Linguistik (F.A.L.), herausgegeben von der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e.V., vereint Monografien und Sammelbände zu allen aktuellen Themen der Angewandten Linguistik. Angewandte Linguistik wird hierbei verstanden als wissenschaftliches Betätigungsfeld, das sich in Forschung, Lehre und Weiterbildung mit der Analyse und Lösung von sprach- und kommuni- kationsbezogenen Problemen auf allen Gebieten menschlicher und gesellschaftli- cher Interaktion befasst. Diese Zielsetzung erfordert oftmals eine interdisziplinäre Arbeitsweise sowie eine Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Die Reihe will den Dialog über die Grenzen traditioneller Sprachwissenschaft hinweg und zwischen den verschiedenen Arbeitsfeldern der Angewandten Linguistik fördern. Zu diesen Arbeitsfeldern gehören der Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht ebenso wie die Herausforderungen, die beispielsweise migrationsinduzierte Mehrsprachig- keit und interkulturelle Kommunikation mit sich bringen, Fachkommunikations- und Verständlichkeitsforschung, Gesprächsforschung, Lexikographie, die Kommunikation in und mit neuen Medien sowie die Phonetik und Sprechwissenschaft, um nur einige Beispiele zu nennen. Die GAL als Herausgeberin der Reihe verfolgt das Ziel, die wissenschaftliche Entwick- lung in allen Bereichen der Angewandten Linguistik zu fördern und zu koordinieren, den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse zu beleben und ihren Transfer in die Praxis zu sichern sowie die Zusammenarbeit der hieran interessierten Personen und Institutionen national und international zu intensivieren. Hierzu gehört auch der Kon- takt mit Wirtschaft und Industrie, Behörden, Bildungseinrichtungen sowie Institutio- nen des öffentlichen Lebens. Die GAL ist Mitglied der Association Internationale de Linguistique Appliquée (AILA), des internationalen Dachverbands der Gesellschaften für Angewandte Linguistik. Kontaktdaten der GAL: http://www.gal-ev.de/ Inhaltsverzeichnis Stefan Hauser / Simon Meier- Vieracker Fankulturen und Fankommunikation – einleitende Anmerkungen �������� 9 Thomas Schmidt- Lux „One more cup of coffee ‘fore I go“� Anmerkungen zum Stand der Fanforschung �������������������������������������������������������������������������������� 15 Christiane Dahms Messages for the Masses – Fankommunikation inter- / transmedial ������� 29 Daniel Pfurtscheller Nachrichtenfans� Fankommunikation in der interaktiven Nachbearbeitung von österreichischen Fernsehnachrichten auf Twitter ������������������������������������������������������������������������������������������������ 51 Dorothee Meer / Anastasia- Patricia Och Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik – Zur graduellen Einordnung von Fanpraktiken auf YouTube und Twitter ��� 79 Karina Frick „ich heule Rotz und Wasser!“ – Metaperspektiven auf Online- Fan-T rauer ���������������������������������������������������������������������������������������� 107 Michael Wetzels Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation – Zur kommunikativen Konstruktion von Deutungshoheiten in Fankommunikationen am Beispiel von Hertha BSC �������������������������� 133 Anna Mattfeldt Social Reading als Fankommunikation? Ein Blick auf den digitalen Austausch über Bücher ������������������������������������������������������� 155 Andreas Wagenknecht „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ Online-R ezensionen auf Amazon als Form der Fankommunikation �� 177 newgenprepdf 8 Inhaltsverzeichnis Simon Meier- Vieracker / Stefan Hauser Fancalls: Kommunikative Beziehungsgestaltung zwischen Stars und Fans im transmedialen Kontext �������������������������������������������������� 199 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ������������������������������������������� 227 Stefan Hauser / Simon Meier- Vieracker Fankulturen und Fankommunikation – einleitende Anmerkungen Während die Kategorie „Fan“ in der soziologischen und medien- und kul- turwissenschaftlichen Literatur schon seit geraumer Zeit viel Beachtung findet,1 hat sich die linguistische Forschung im deutschsprachigen Raum lange nur in vereinzelten Studien mit Fankulturen und Fankommunikation beschäftigt (z� B� Androutsopoulos 2001; Brunner 2007; Klemm 2012)� Da sich aber die Ausdrucksformen des Fan-S eins auf einer grundlegenden Ebene in performativen Kommunikationsakten manifestieren, bietet es sich an, das Phänomen gerade auch aus linguistischer Perspektive umfas- sender in den Blick zu nehmen� In jüngerer Zeit zeigt sich in der medien- und kulturanalytisch orientierten Linguistik denn auch ein zunehmendes Interesse an Fans, Fanpraktiken und Fankulturen (z� B� Michel 2018; Frick 2019; Hauser 2019; Meier 2019; Meer / Staubach 2020; Meier- Vieracker 2021)� In diesen Kontexten findet etwa der Umstand vermehrt Beachtung, dass Fantum an vielfältige individuelle und kollektive Erlebnis- und Insze- nierungsformen gebunden ist, die in unterschiedlichen Medialitäten zur Darstellung kommen� Die Beobachtung, dass Fantum typischerweise im Verbund mit einer äußerlich manifesten emotionalen Involviertheit auftritt, wirft die Frage auf, welche Funktion unterschiedliche Performanzausprä- gungen für die Konstitution von Fankulturen haben� Wie auch die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes zeigen, gibt es unter Fans kommunikative Regeln und Rituale zur Sicherung der je persönlichen Fan- Identität einer- seits und der Fan- Identität der Gruppe als Kollektiv andererseits� Fans sind Teil des rezipierenden Publikums und verfügen über charakteristische Praktiken der Medienaneignung (vgl� Fiske 1992: 30; Costello / Moore 2007; Jenkins 2006); um ihr Fan- Sein zu demonstrieren sind sie aber ihrerseits auf Publikum angewiesen� In dieser besonderen Akteurs- und 1 vgl� Fiske 1992; Winter 1993; Harrison / Bielby 1995, Baym 2000; Ferris 2001; Hills 2002; Sandvoss 2005; Hellekson / Busse 2006; Jenkins 2006; Wegener 2008; Roose / Schäfer / Schmidt- Lux 2010; Cuntz- Leng 2014� 10 Stefan Hauser / Simon Meier-Vieracker Kommunikationskonstellation des Fantums haben sich verschiedenste Textsorten und kommunikative Praktiken herausgebildet (etwa Fanzines, Fanforen, Fanchoreographien, Fanfictions usw�), die es mit Blick auf ihre medialen Prägungen genauer zu untersuchen und zu verstehen gilt� Im Rahmen des vorliegenden, interdisziplinär angelegten Sammelban- des gilt das Interesse besonders auch der Frage, welche Rolle den Sozia- len Medien in den jüngeren Ausprägungen von Fankulturen zukommt� Auch für Fans bieten Soziale Medien zusätzliche Partizipations- und Per- formanzmöglichkeiten, die zur Konstruktion individueller und kollektiver Fanidentitäten beitragen� Daran lassen sich vielfältige Fragen anschlie- ßen, welche zugleich die klassischen Problemstellungen der Fanforschung (vgl� etwa die Beiträge in Roose et al� 2010) für die veränderten medien- kommunikativen Verhältnisse aufbereiten: Welche Rolle spielen Soziale Medien für die von Fans praktizierten Distinktionsprozesse (etwa gegen den ‚Mainstream‘)? Wie verhält sich der oftmals subversive Charakter von Fanpraktiken zur Medien- und Unterhaltungsindustrie, die Fankulturen zu kommerziellen Zwecken reinszenieren? Inwiefern lässt sich Fangeschichte als eine Geschichte der Massenmedien und in neuerer Zeit eben auch der Sozialen Medien (vgl� Barton / Lampley 2014) beschreiben? Wie manifes- tiert sich aus einer kulturanalytischen Perspektive das Phänomen Fantum und worin besteht der spezifisch (medien)linguistische Beitrag zu einer Schärfung und Ausdifferenzierung bestehender Konzepte und Befunde der Fanforschung? Zum einen kommen durch den Fokus auf Soziale Medien jüngere Phä- nomene der aktuellen Fankommunikation in den empirischen Blick und somit ein Thema, das in vorliegenden Überblicksdarstellungen zum Thema Fankommunikation bislang eher wenig beleuchtet wurde (vgl� erneut Roose et al� 2010)� Zum anderen kann dies zu einer entsprechenden The- oretisierung des Gegenstandsbereichs genutzt werden, indem bestimmte Aspekte von Fankulturen und Fankommunikation in den digitalen Kom- munikationssettings besonders gut sichtbar und beobachtbar werden� Der Sammelband vereint deshalb medienanalytische Beiträge verschiedener dis- ziplinärer Provenienz, die sich empirisch und theoretisch mit unterschiedli- chen Dimensionen aktuellen Fantums befassen� Mehrere Beiträge befassen sich auch mit der Verhältnisbestimmung von „klassischem“ Fantum und anderen Admirationskontexten� Als eine schwer zu operationalisierende Fankulturen und Fankommunikation – einleitende Anmerkungen 11 Kategorie hat sich etwa die „leidenschaftliche Beziehung“ zum Fanobjekt erwiesen, die in der vielzitierten soziologischen Begriffsbestimmung von Roose / Schäfer / Schmidt-L ux (2010) als zentrales Merkmal von Fantum erscheint� Auch für die Medienlinguistik stellt sich die Frage, worin sich die besondere Beziehung von Fans zu ihrem Fanobjekt sprachlich und mul- timodal manifestiert� Obschon diese Frage auch mit den hier vorliegenden Beiträgen noch nicht abschließend geklärt sein mag, zeigt die Verbindung empirischer Medientext- und Mediendiskursanalysen mit theoretischen Überlegungen nicht nur den Reichtum fankultureller Praktiken, sondern führt auch den großen heuristischen Wert vor Augen, den dieser Gegen- stand für die gegenwärtige Medienlinguistik haben kann� Den empirischen Studien vorangestellt ist ein einführender Beitrag zum Stand der Fanforschung von Thomas Schmidt-L ux, der durch die Mit- herausgabe des Bandes Fans. Soziologische Perspektiven (2010) der Fan- forschung im deutschsprachigen Raum wichtige Anstöße geliefert hat� Der Beitrag skizziert aus soziologischer Sicht sowohl die Entwicklungen neuerer Fankulturen als auch die sich daraus ergebenden wissenschaftli- chen Fragen� Mit der immer wichtiger werdenden Rolle des Internets und den sich hier ergebenden Möglichkeiten der Partizipation, aber auch mit der Ausdifferenzierung des Fanbegriffs und dem Fokuswechsel hin zu Fan- praktiken werden die Fäden ausgelegt, die dann in den empirischen Stu- dien aufgegriffen werden� Literatur Androutsopoulos, Jannis, 2001: „Textsorten und Fankulturen“� In: Klein, Josef / Stephan Habscheid / Ulla Fix (Hrsg�): Kulturspezifik von Textsorten� Stauffenburg: Tübingen, 33– 50� Barton, Kristin M� / Lampley, Jonathan Malcolm (Hrsg�), 2014: Fan CULTure. Essays on participatory fandom in the 21st century� McFarland et Company: Jefferson� Baym, Nancy, 2000: Tune In, Log On. Soaps, Fandom and Online Community� Sage: London� Brunner, Georg, 2007: „Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballsta- dion“� Der Deutschunterricht 59(5), 32–4 2� 12 Stefan Hauser / Simon Meier-Vieracker Costello, Victor / Moore, Barbara, 2007: „Cultural Outlaws: An Examination of Audience Activity and Online Televison Fandom“� Television and New Media 8(2), 124– 143� Cuntz-L eng, Vera (Hrsg�), 2014: Creative Crowds. Perspektiven der Fanforschung im deutschsprachigen Raum� Büchner: Darmstadt� Ferris, Kerry O�, 2001: „Through a Glass, Darkly The Dynamics of Fan- Celebrity Encounters“� Symbolic Interaction 24(1), 25– 47� Fiske, John, 1992: „The cultural economy of Fandom“� In: Lewis, Lisa A� (Hrsg�): The Audoring Audience. Fanculture and Popular Media� Routledge: London, New York: 30– 49� Frick, Karina, 2019: „#RIP – kollektive Fan- Trauer auf Twitter“� In: Hauser, Stefan / Luginbühl, Martin / Tienken, Susanne (Hrsg�)� Mediale Emotionskulturen� Lang: Bern, 179– 201� Harrison, C� Lee / Bielby, Denise, 1995: Soap Fans. Pursuing Pleasure and Making Meaning in Everyday Life� Temple University Press: Philadelphia� Hauser, Stefan, 2019: „Fanchoreografien als koordinierte Formen kommunikativen Kollektivhandelns: Beobachtungen aus semiotischer Perspektive“� Zeitschrift für Semiotik 41(1– 2), 117– 140� Hellekson, Karen / Busse, Kristina, 2006: Fan Fiction and Fan Communities in the Age of the Internet. New Essays� McFarland: Jefferson, NC� Hills, Matt, 2002: Fan cultures. Routledge: London� Jenkins, Henry, 2006: Fans, Bloggers and Gamers. Exploring Participatory Culture� New York UP: New York� Klemm, Michael, 2012: „Doing being a fan im Web 2�0: Selbstdarstellung, soziale Stile und Aneignungspraktiken in Fanforen“� Zeitschrift für Angewandte Linguistik 2012, 3– 32� Meer, Dorothee / Staubach, Katharina, 2020: „Social media influencers’ advertising targeted at teenagers: The multimodal constitution of credibility“� In: Thurlow, Crispin / Dürscheid, Christa / Diémoz, Federica (Hrsg�): Visualizing Digital Discourse� De Gruyter Mouton: Berlin, Boston, 245–2 70� Meier, Simon, 2019: „mitfiebern – Mediatisierte emotionale Kommuni- kationspraktiken in Fußball- Livetickern und Livetweets“� In: Hauser, Stefan / Luginbühl, Martin / Tienken, Susanne (Hrsg�)� Mediale Emo- tionskulturen� Lang: Bern, 155– 178� Fankulturen und Fankommunikation – einleitende Anmerkungen 13 Meier- Vieracker, Simon, 2021: „Diskurslinguistik für Fans: Kritisches Medienmonitoring von Fußballfans als Gegenstand und Ziel der Diskurslinguistik“� Zeitschrift für Diskursforschung� Im Druck� Michel, Sascha, 2018: „Die Echtzeitkommentierung von Fußballspielen im Social TV: Praktiken der Aneignung des Fernsehformats „Sport“ im Netz“� In: Hauser, Stefan / Meier, Simon (Hrsg�)� Fußballkultur und Sprachkultur. Aptum Sonderheft (2018/ 2), 119–1 37� Roose, Jochen / Schäfer, Mike / Schmidt-L ux, Thomas (Hrsg�), 2010: Fans. Soziologische Perspektiven. VS Verlag: Wiesbaden� Sandvoss, Cornel, 2005: Fans. The mirror of consumption� Polity Press: Cambridge� Wegener, Claudia, 2008: Medien, Aneignung und Identität. „Stars“ im Alltag jugendlicher Fans. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden� Winter, Rainer, 1993: „Die Produktivität der Aneignung – Zur Soziologie medialer Fankulturen“� In: Holly, Werner / Püschel, Ulrich (Hrsg�): Medienrezeption als Aneignung. Methoden und Perspektiven qualitativer Medienforschung� Westdeutscher Verlag: Opladen, 67– 79� Thomas Schmidt- Lux „One more cup of coffee ‘fore I go“. Anmerkungen zum Stand der Fanforschung Abstract: The essay presents some thoughts on the current state of fan research� Ove- rall, the topic has by no means lost its relevance� More and more fan research and analyses are being offered� Connections to existing work and specialized research are being sought; a field of fan studies has long since established itself� This develop- ment of fan research is accompanied by an ongoing transformation of fandom itself� One aspect that has dramatically gained in importance is the role of the Internet� A second dimension, which I believe will continue to be important in the future, is the question of the social influence of fans� Key words: Fans, Fandom, Internet, Participation, History 1 „ I turned the key and broke it off and I crossed the Rubicon“. Einleitung Mehr als zehn Jahre sind mittlerweile vergangen, seit Jochen Roose, Mike Schäfer und ich beschlossen, einen Band mit soziologischen Perspektiven auf Fans zu konzipieren� Das Buch war keineswegs von Beginn an geplant� Wir hatten uns unabhängig voneinander und an unterschiedlichen Insti- tuten der Universität Leipzig mit Fans befasst� Über Umwege fanden wir dann zueinander und begannen, uns über das Thema und unsere Sicht auf das Phänomen auszutauschen� Wir waren uns schnell über einige Grund- fragen einig� Insgesamt existierte damals vergleichsweise wenig Forschung� Zudem war diese sehr verstreut, kaum aufeinander Bezug nehmend, methodisch stark auf qualitative Zugänge konzentriert und theoretisch selten wirklich fundiert� Die meisten Texte entstanden außerdem nicht im deutschsprachigen Raum� Auch wenn Sammelbände damals schon an Attraktivität eingebüßt hat- ten, schien uns ein solches Buch gleichwohl eine gute Idee, um die existie- renden Forschungen zu Fans einer Art zusammenfassenden Expertise zu unterziehen und künftige Arbeiten sowohl anzuregen als auch systema- tische Linien vorzuschlagen� Ein Buch also, das wir selbst und in unseren 16 Thomas Schmidt-Lux Lehrveranstaltungen gern gehabt hätten� Wir konnten hierfür eine Reihe von Autor: innen gewinnen, von denen sich etliche selbst schon mit Fans befasst hatten� Für viele jedoch waren Fans bisher kein primäres For- schungsfeld gewesen; sie waren aber gern bereit, sich mit der existierenden Literatur auseinanderzusetzen und aus ihrer spezifischen, soziologischen Perspektive zu schauen, ob hier etwas zur Fanforschung beigetragen wer- den könnte� Dass der Band und damit die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Fans für uns, aber auch für Andere ‚funktionierte‘ und bisher tatsächlich gefehlt hatte, bemerkten wir an der Rezeption: Selten bekamen wir so viele Anfragen und Reaktionen aus unterschiedlichsten Richtungen – bis hin zur Bitte, diesen Text hier zu schreiben� Einerseits war damit eigentlich das Feld bereitet, auf dem wir selbst die kommenden Jahre weiter hätten arbeiten und forschen können� Anderer- seits sah die Realität dann so aus, dass keiner von uns drei Herausgebern das Thema systematisch weiterverfolgte� Niemand schrieb eine Habilita- tion zu Fans, kein Forschungsprojekt wurde beantragt� Das war vielleicht ein Fehler� Man hätte sehr gut weitere, im besten Fall empirische Arbeiten anschließen können, inhaltliche und methodische Ideen existierten genug� Zugleich spiegelt sich darin vielleicht auch die mindestens damals noch prekäre Stellung des Themas in unseren wissenschaftlichen Feldern� Denn bei allem Aufstieg, den Fans als sozial- oder medienwissenschaftlicher Gegenstand erlebt hatten, schien es uns eben doch kein zwingendes, seriö- ses Thema, das man ins Zentrum einer Qualifikationsschrift stellte� 2 „Time passes slowly“. Was geschah seither? Zwei Auflagen später wäre das noch einmal zu überdenken� Das Thema hat jedenfalls keineswegs an Relevanz verloren – sowohl empirisch als auch aus wissenschaftlicher Sicht� Es wird weiterhin und, so mein Ein- druck, zunehmend zu Fans geforscht und Analysen angeboten (vgl� etwa die Sammelrezension von Berndt 2014; Duffett 2013; Booth 2018; Lame- richs 2018; Kelly 2018; Gumbrecht 2020)� Die Publikationen müssen sich nicht verstecken, sondern erscheinen an sehr respektablen Orten der Wis- senschaftslandschaft (vgl� Duits/ Zwaan/ Reijnders 2014)� „One more cup of coffee ‘fore I go“ 17 Mehr und mehr werden auch Anschlüsse an bestehende Arbeiten und spezialisierte Forschung gesucht� Das heißt einerseits, dass es so etwas wie ein Feld der Fan Studies gibt, das durchaus interdisziplinär und heterogen zusammengesetzt ist� Andererseits existiert aber auch disziplinär mittler- weile oft eine so belastbare Menge an Forschung, dass aufeinander aufbau- ende Arbeiten möglich werden und über die Thematik Fans und Fantum hinaus systematisch bspw� soziologische oder linguistische Grundfragen bearbeitet werden können� Methodisch überwiegen aus meiner Sicht Fall- studien bzw� qualitative Arbeiten; mit Massendaten arbeitende quantita- tive Studien sind nach wie vor die Ausnahme (etwa Ostrovsky 2018)�1 Man kann all dies exemplarisch an der Forschung zu Fußballfans zeigen� Diese waren insbesondere im europäischen Raum schon früh so etwas wie die Lieblinge der Fanforschung (vgl� etwa die Studien bei Klein/ Schmidt- Lux 2006); dass es sich bei der Beschäftigung mit Fans speziell um Fuß- ballfans handelt, ist sicherlich nicht nur mir als häufigste Unterstellung begegnet� Auch in unserem Band von 2010 stellen die Studien zum Fußball den größten Teil der Texte, auf die sich die jeweiligen Beiträge stützen� Seitdem sind etliche interessante und auf intensiver empirischer Forschung basierende Studien erschienen, die viele neue Aspekte erhellt haben, etli- che Punkte nun aber auch fundierter diskutieren lassen (von der Heyde/ Kotthaus 2016; Grau et al� 2017)� Dies zeigte sich vor allem an den Dis- kussionen um Ultras in Deutschland, die mittlerweile auf eine ganze Reihe von Expert: innen zurückgreifen können (von der Heyde 2017)� Zudem existiert nun auch mit „Fußball und Gesellschaft“ eine Zeitschrift, die sich zwar nicht ausschließlich mit Fans befasst, dieses Thema aber immerhin systematisch aufnehmen kann� Diese Entwicklung der Fanforschung wird begleitet von einer fort- laufenden Transformation des Fantums selbst (vgl� Schmidt-L ux 2013)� Deutlich erkennbar ist zum einen die Ausweitung des Begriffes; die Rede vom Fan wird ubiquitär� Wer sich oder andere als Fan bezeichnet, meint 1 Die Ursache hierfür ist schwer zu bestimmen� Sicherlich hängt dies mit Feldzu- gängen zusammen, aber vermutlich auch mit unterschiedlichen Forschungskul- turen innerhalb der methodischen Paradigmen� Kurz gesagt scheint sich etwa im Bereich der Soziologie die qualitativ arbeitende Community offener gegenüber vergleichsweise neuen Forschungsfeldern zu zeigen� 18 Thomas Schmidt-Lux damit nicht mehr die unbedingte Gefolgschaft etwa einer Band, sondern häufig auch ein eher konsequenzloses ‚Mögen‘ von Dingen oder Personen (vgl� dazu Meer/ Och sowie Pfurtscheller in diesem Band)� Mit dieser Aus- weitung des Begriffes geht zum anderen seine Eingrenzung einher� Nicht jeder soll sich als Fan bezeichnen dürfen� Das Fantum wird in vielen Berei- chen – am deutlichsten ist dies derzeit beim Fußball zu beobachten – von seinen Ecken und Kanten, von seinen rohen Seiten befreit� Der Fan wird zunehmend zivilisiert, oder anders: er soll zivilisiert werden� Das Stadion soll eben kein Raum der Ausnahme und Außeralltäglichkeit sein, sondern ein berechenbares, sicheres und gesittetes Erlebnis bieten� Wer sich daran nicht hält, wird ausgeschlossen: materiell und diskursiv („Wer so etwas tut, ist kein Fan“) (vgl� Meier- Vieracker i� E�)� All dies hat wiederum Aus- wirkungen auf Definitionsfragen, auf die ich aber später nochmal genauer eingehe� 3 „For the wheel’s still in spin“. Spezifische Entwicklungen Im Folgenden will ich kurz auf zwei Linien eingehen, bei denen ich deutli- che Entwicklungen und Veränderungen in den letzten Jahren sehe� Keines- wegs soll damit behauptet sein, dass das die wichtigsten Veränderungen sind; sie scheinen mir jedoch gerade im Moment wichtig und augenschein- lich zu sein� 3.1 „I contain multitudes“. Fantum und Internet Ein Aspekt, der im Vergleich mit der Publikation von 2010 dramatisch an Bedeutung gewonnen hat, ist die Rolle des Internets und aller damit zusammenhängenden Möglichkeiten und Angebote� Zwar gab es auch damals ein Kapitel zu „Fans und Medien“, doch weder spielt in diesem, noch im Rest des Buches die Online- Sphäre eine solche Rolle, wie man dies heute einräumen müsste� Nur zur Illustration: Bei der Frage, wie man eigentlich zum jeweiligen Fanobjekt gekommen ist, lag bei den Musik- fans die Antwort „Radio“ noch deutlich vor allen Internet-O ptionen (Ohr 2010: 345)� Das ist vor dem Hintergrund plausibel, dass beispielsweise spotify erst 2008 online ging (und anfangs auch nur in Schweden)� Gleich- wohl verdeutlicht dies die Rasanz der jüngsten Entwicklungen, die tech- nisch und damit auch im Feld von Fans und Fantum stattgefunden haben� „One more cup of coffee ‘fore I go“ 19 Online- Angebote und Fans sind massiv miteinander verflochten, und das auf unterschiedlichsten Dimensionen� Um nur einige zu nennen: Erstens findet mittlerweile ein Großteil von Aktivitäten und Kommu- nikation online statt� Dazu gehören Präsentationen der Fanclubs, Interak- tionen von Fans untereinander in Foren und Chats, und nicht zuletzt auch direkte bzw� indirekte Kommunikation von Fans und Fanobjekten (vgl� Meier- Vieracker/ Hauser in diesem Band) – und dies mit allen damit einher- gehenden Folgen� Fan- Communities können sich nun schneller, intensiver und über geographische Grenzen hinweg konstituieren und miteinander diskutieren (vgl� Dahms in diesem Band)� Dies hat sicherlich die Findung Gleichgesinnter besonders dort erleichtert, wo es sich um eher abseitige und seltene Fanobjekte handelt� Natürlich geht damit aber auch einher, dass Grenzen schwieriger zu ziehen sind und neue Reibungspunkte und Differenzen innerhalb von Fan- Communities auftauchen (vgl� Mattfeldt in diesem Band)� Ein großer Teil aktueller Forschungen befasst sich dem- entsprechend auch mit genau diesen Online-K ommunikationen von Fans untereinander (etwa Lamerichs 2018)� Zweitens hat sich mit allen Online- Plattformen und Social Media die (potentielle) Sichtbarkeit des Fanobjektes erhöht, vor allem dann, wenn es sich bei den Fanobjekten um lebende Personen handelt� Leichter sind nun Berichte und Fotos zugänglich, schneller können die Fans sich über aktu- elle Projekte und Pläne informieren, und ebenso können die Stars selbst viel schneller und direkter mit ihren Fans in Kontakt treten� Zugleich, und auch dies ist mittlerweile schnell gelerntes Allgemeinwissen, erhöht sich die Gefahr für Stars, Erwartungen zu enttäuschen, Fehltritte zu begehen oder in anderer Weise ihrer Rolle nicht zu entsprechen� In Windeseile ver- breiten sich Fotos und Videos, und gewissermaßen über Nacht können solche Verfehlungen die Runde machen und zum Prestigeverlust führen� Doch es bleibt nicht dabei, dass sich für die bisherigen Fanobjekte die Lage verändert hat� Damit einher geht der Umstand, dass unter den Bedin- gungen des WorldWideWeb ganz neue Leute nun zu Fanobjekten werden können� Nicht mehr angewiesen auf die herkömmlichen medialen Kanäle, erlangen nun zahlreiche Personen mit Video-B logs, Youtube- Kanälen oder Instagram- Accounts eine teilweise beachtliche Berühmtheit und Reich- weite oder werden in der digitalen Begleitkommunikation auf Twitter zu Fanobjekten gemacht (vgl� Pfurtscheller in diesem Band)� Das Feld von 20 Thomas Schmidt-Lux Fanobjekten wird hier möglicherweise auch qualitativ erweitert, denn bei vielen dieser neuen Stars steht nicht ihre Besonderheit und Unerreich- barkeit, sondern gerade im Gegenteil ihre ‚Normalität‘ und mindestens potentielle Erreichbarkeit im Mittelpunkt (vgl� Meier-V ieracker/H auser in diesem Band)� Drittens können unter Online- Bedingungen Fans selbst auch leichter und direkter beobachtet werden, was dann wiederum neue mediale Inhalte kreiert� Fanaktivitäten selbst werden damit eher zum eigentlichen Nach- richteninhalt als die Fanobjekte selbst� So kann dann von „Besorgnis bei Britney Spears- Fans“, von Fantrauer (vgl� Frick in diesem Band) oder „Wut bei Bayern- Fans“ berichtet werden, unabhängig davon, wie viele Personen tatsächlich an solchen Zuständen partizipieren; entscheidend sind online beobachtbare Kommunikationen� Solche Kommunikationen und auf sie bezogene Berichterstattung kann dann aber wiederum weitere Folgen haben, wenn etwa die Verantwortlichen eines Fußball- Clubs mit dem angeblichen Unmut ihrer Fans konfrontiert werden, wobei es sich tatsächlich aber nur um eine Facebook-D iskussion in einem kleineren Fan- Forum handelte� Für die wissenschaftliche Forschung bedeutet das natürlich, solche Online- Orte systematisch mit in Analysen einzubeziehen, wie es die Bei- träge im vorliegenden Band auch ausdrücklich tun� Dies ist mittlerweile im Grunde auch selbstverständlich geworden, zumal gerade die Fanforschung hier früh sensibilisiert war� So wies schon 2010 eine Rezension zu Eth- nographien im Netz darauf hin, dass „frühe Beispiele angewandter For- schung […] überraschend häufig von Fan-C ommunities, wie etwa der Star Trek Community [handelten], 1996 Thema der ersten unter Netnography firmierenden Studie“ (Janowitz 2010)� Zugleich gilt aber auch im Feld der Fanforschung, dass bei aller Auf- merksamkeit für Online- Orte und ihre eigenen Kommunikationsweisen das offline ablaufende Geschehen nicht aus den Augen verloren werden darf� Gerade aus journalistischer Sicht wird schnell fürs Ganze genom- men, was sich etwa in sozialen Netzwerken abspielt, und dabei geraten wichtige Strukturen und der konkrete Einfluss von spezifischen Fanszenen und Personen schnell aus dem Blick� Analytisch ist es aus meiner Sicht hier wie auch in anderen Feldern so, dass keine simplen Ablösungsprozesse „One more cup of coffee ‘fore I go“ 21 stattfinden, sondern online und offline geschehende Praktiken sich wech- selseitig verschränken und damit auch nicht nur eindimensionale Folgen haben (vgl� Schmidt- Lux/ Wohlrab- Sahr 2020, Meier-V ieracker i� E�)� 3.2 „See the Ghosts of Slavery Ships“. Partizipation und Politisierung Eine zweite Dimension, die ich auch künftig für (sehr) bedeutsam halte, ist die Frage nach dem sozialen Einfluss von Fans� Gewöhnlich werden damit zusammenhängende Probleme unter dem Stichwort Partizipation diskutiert, und auch in unserem Band gab es dazu einen Beitrag (Roose/ Schäfer 2010)� Aus meiner Sicht hat dieses Thema mittlerweile an Bedeu- tung gewonnen, und das hängt auch mit den eben skizzierten Entwicklun- gen („Digitalisierung“) zusammen� Partizipation kann nun verschiedenes meinen, vom Einfluss von Fans auf die Produktion ihrer Fanobjekte (wie etwa TV-S erien) bis hin zu politischem Einfluss (vgl� Meer/O ch in diesem Band)� Und genau auf diesen beiden Feldern möchte ich kurz darstellen, wo derzeit lohnende Forschungsfelder auszumachen sind� Der Einfluss von Fans auf die Herstellung bzw� den Umgang mit ihren Fanobjekten hat sich vor allem dort noch einmal neu konstituiert, wo dieses Fanobjekt selbst medialer Art ist; hier schlagen sich die digitalen Transformationen ganz spezifisch nieder (vgl� viele Beiträge in Cuntz-L eng 2014)� Fans können sich nun noch einmal deutlich wahrnehmbarer als vor zwanzig Jahren in Foren, Websites, in Online-P etitionen usw� formieren� Und dies hat auch Folgen: „‚Participation Culture‘ is no longer a niche phenomenon, but has become the new normative standard“ (Reijnder et al� 2017: 3)� In einem Aufsatz von Kristin Barton lassen sich etliche Beispiele nachlesen, in denen Fans sich für die Fortsetzungen ihrer von der Absetzung bedrohten Fernsehserien einsetzten – und dies in etlichen Fällen auch erfolgreich erreichten (Barton 2014)� Und Jennifer Garlen illustriert am Beispiel von LEGO, wie einerseits langjährige Fanbeziehungen sich wandeln (aus mit LEGO spielenden Kindern werden spielende Erwach- sene), sich dabei auch die Bedürfnisse wandeln (von einfachen Türmen hin zu Spielfilmkulissen, die nun mit LEGO nachgebaut werden), dies dann auch an die Firma kommuniziert wird und diese mit einer entsprechenden Produktpalette reagiert (Garlen 2014)� 22 Thomas Schmidt-Lux Beide Analysen sind instruktiv, wenn es um Beispiele für die „Mit- entscheidung beim Fanobjekt“ (Roose 2010: 370) geht� Zugleich zeigen sie aber auch an, dass eine Romantisierung dieser Beziehung, gerade in ökonomisch relevanten Sphären, kaum angebracht ist� Die Gemengelage, die letztlich zur Entscheidung über die Fortsetzung einer Serie führt, ist doch deutlich komplexer, als eine simple Wirkung von Fans auf Entschei- der: innen unterstellen würde� Zugleich stehen beide Beispiele aber für eine andere Entwicklung: Der Fan wird zum Kunden (vgl� Wagenknecht in diesem Band)� Natürlich waren auch schon die Anhänger der römischen Wagenrennen Kunden in dem Sinne, dass sie für die Veranstaltungen, die sie besuchten, auch Eintritt zahlten� Aber mittlerweile ist kaum noch ein Fanfeld unbetroffen von gezielten Marketing- Maßnahmen, Merchandising- Offerten und ähnli- chem (vgl� Mikos 2010)� Einige Fans gehen damit recht offensiv bzw� offen um, und manche Fanszene existiert vielleicht auch nur (noch) aufgrund des massenhaften Merchandising- Krams, der hergestellt wird; zwischen Fans und Kunden ist kaum noch zu trennen� Auf anderen Feldern wird weitest- gehend auf Abstand zu solchen Entwicklungen gegangen – oder wenigstens dieser Versuch unternommen� Meistens sind jedoch beide Interpretationen des ‚richtigen‘ Fantums innerhalb eines Lagers zu finden, und entlang die- ser Grenze verlaufen dann die internen Fronten (vgl� Schmidt- Lux 2013)� Partizipationsfragen sind vielleicht immer auch politische Fragen� In jedem Fall lassen sich gerade in jüngster Zeit Phänomene ausmachen, bei denen Fans auch in politischen Konflikten zu einem wahrnehmbaren Fak- tor werden, sei es als eigens auftretende Akteure, sei es als Zielgruppe politischer Ansprache� So organisierten sich durchaus überraschend K- Pop- Fans im Zuge der „Black Lives Matter“- Proteste und unterstützten diese auf vielfältige Weise2, und auch andere Fan- Communities wurden hier deutlich sichtbar�3 Und nicht nur im US- Sport ließen sich zahlreiche Statements, aber auch Konflikte innerhalb von Fans ausmachen, was den Umgang mit der aktuellen politischen Situation betraf� 2 https:// www�bbc�com/ news/w orld- asia- 52996 705� 3 http:// bosto nrev iew�net/ arts- soci ety- polit ics/ byrd- mcdan iel- new- age- prot est- music#�XvJH cPPr ozA�email� „One more cup of coffee ‘fore I go“ 23 Insbesondere im deutschsprachigen Kontext lassen sich dazu schon seit einigen Jahren interessante Debatten im Feld des Fußballs verfolgen� Kon- kret wird das dann an Fragen von Ausgliederungen von GmbHs oder der zulässigen politischen Artikulation im Stadion verhandelt� Im Kern geht es aber wohl um die Frage, wer welchen Einfluss auf das Agieren des Vereins haben sollte und im Speziellen um die Beteiligung von Fans (vgl� Wetzels in diesem Band)� Dabei treiben neuartige Projekte wie „Rasenballsport Leip- zig“ im Grunde die Transformation des Fans zum reinen Kunden auf die Spitze, kommen aber zugleich nicht um kritische Diskussionen herum und müssen sich selbst, wenigstens verbal, als inklusiv und an Mitsprache inte- ressiert darstellen� Zugleich können sie auch auf ein durchaus beachtliches Segment von Publikum verweisen, das an solchen Dingen kaum Interesse zeigt und sich in der Tat auf eine rein konsumierende Haltung beschränkt� Insofern haben wir es hier keineswegs mit eindeutigen Entwicklun- gen zu tun, und die Fanforschung tut gut daran, diese weiter im Auge zu behalten� Nicht nur auf diesen beiden Feldern bietet sich auch die Chance, Forschungsbefunde auch in weitere Teile der jeweiligen Disziplin zu kom- munizieren und somit Fan Studies weiter anschlussfähig zu machen� 4 „ So easy to look at, so hard to define“. Theoretische Anmerkungen Wir haben Fans seinerzeit definiert als „Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entwe- der personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/o der Geld investieren“ (Roose/ Schäfer/S chmidt- Lux 2010: 12)� Das war nicht grundstürzend neu, sondern schloss an eigene frühere Vorschläge und die anderer Autor: innen an� Gleichwohl war es ein Vorschlag, um andere und eher weitschweifige Bestimmungen halbwegs einzugrenzen� Auch mit etwas zeitlichem Abstand scheint mir der damalige Defini- tionsvorschlag weiterhin sinnvoll� Empirisch mag natürlich fallweise die Entscheidung nicht leichtfallen, ob die Beziehung zu einem etwaigen Fanobjekt tatsächlich „emotional“ ist und damit tatsächlich von einem Fan gesprochen werden kann (vgl� Mattfeldt in diesem Band)� Auch die Frage, wovon man alles Fan sein kann und damit die Entscheidung zwi- schen einem engen und einem weiten Fanbegriff haben wir selbst viel 24 Thomas Schmidt-Lux diskutiert� Je nach methodologischem Standpunkt stellt sich dann ja ohne- hin noch einmal die Frage, wie viele Parameter man bereits vor Beginn der Forschung festlegen will� Über solche Grundsatzfragen hinaus hat die Forschung inzwischen aber viele sinnvolle Differenzierungen diskutiert und auf notwendige Relati- vierungen hingewiesen� Um nur einige zu nennen: Hills hat auf die bio- graphische Prägung und damit Veränderlichkeit von Fanbeziehungen hingewiesen, die oft zugunsten eines eher statischen Verhältnisses verges- sen wird (2014; so auch Kotarba 2013)� Giuffre und andere haben auf das Phänomen von Anti- Fans aufmerksam gemacht, das die Bandbreite von Fans noch einmal deutlich und interessant erweitert (2014)� Und Sandvoss und Kearns (2014) haben die Bedeutung eines „ordinary fandom“ betont; eine Fangruppe, die sich eben nicht durch sonderlich affektive und osten- tative Aktivitäten bemerk- und beobachtbar macht, gleichwohl aber einen wichtigen Teil des Feldes darstellt� Zudem widmen sich viele Studien nicht vordergründig solchen Klassifizie- rungsfragen, sondern analysieren vor allem Praktiken des Fanseins (vgl� Bar- ton/ Lampley 2014; Cottingham 2012)� Dies scheint auch mir ein sinnvoller Weg zu sein, um sowohl empirisch forschen zu können, als auch, um einen weiteren Schritt weg von der Exotisierung des Gegenstandes zu machen� Verschiebt man nämlich den Fokus von der Rede von „Fans“ hin zur Beob- achtung von Praktiken etwa des leidenschaftlichen Sammelns oder Besu- chens von Veranstaltungen, dann wird deutlich, dass keine Person nur und jederzeit Fan ist� Vielmehr wechseln sich solche Fanpraktiken mit anderen ab, haben ihre Schwerpunkte im Tages- und Wochenverlauf, stehen neben beruflichen oder anderen Tätigkeiten und werden, kurzum, normalisiert� Auch für die linguistische Fanforschung, der sich viele Beiträge des vor- liegenden Bandes widmen, ist dieser Fokuswechsel hin zu den Praktiken instruktiv� Ob und inwiefern eine ‚leidenschaftliche Beziehung‘ zu einem Fanobjekt vorliegt, wird sich auch daran ersehen lassen, wie dem sprach- lich und multimodal Ausdruck verliehen wird� Fansein ist Kommunika- tionsanlass und Kommunikationsgegenstand, und die Frage, wie Fans ihr Fansein performativ inszenieren oder auch Normen des Fanseins aushan- deln (vgl� Klemm 2012), eröffnet gerade für die Linguistik und – mit Blick auf die zentrale Rolle, welche Medien in der Fankommunikation spielen – vor allem auch für die Medienlinguistik vielversprechende Perspektiven� „One more cup of coffee ‘fore I go“ 25 5 „You’re gonna quit me, baby“. Schluss Das Nachdenken über ein Ende dieses Textes landete beim Nachdenken über das Beenden des Fanseins� Während weite Teile der Religionssozio- logie sich mit der Abwendung vom Religiösen (oder wenigstens seinen Organisationen) befassen, scheint dieser Punkt im Feld von Fans für die Forschung wenig bedeutsam zu sein� Dabei waren solche Phänomene zuletzt massiv beobachtbar� Im Zuge der Debatten um Rassismus in den USA und der zahlreichen Solidarisierungen in den amerikanischen Sport- Ligen äußerte ein nicht geringes Segment der Fans seine Unzufriedenheit� Dies lief entweder über das Argument, dass Sport und Politik getrennt werden wollten, oder es widersprach den Protesten inhaltlich und bestritt systematische Benachteiligungen� Oftmals ging dies aber auch mit dem quasi offiziellen Beenden der eigenen Anhängerschaft mit einem Ver- ein einher� Fans erklärten dann etwa auf Facebook, nicht länger den Dallas Cowboys und der NFL zu folgen, obwohl sich die gleichen Personen noch wenige Wochen zuvor noch als glühende Fans präsentiert hatten� Solche Beispiele stellen einige unserer Annahmen über die Leidenschaft- lichkeit bzw� deren Haltbarkeitsdatum in Frage� Möglicherweise schließen wir zu oft von einer beobachtbaren Fan- Praktik auf feste Überzeugungen und die tiefe Verankerung im Individuum� Zwar existieren schon einige Studien zum Verlauf der Fanbeziehung im Lebensverlauf, aber auch diese fokussieren tendenziell auf die Perpetuierung des Fanseins� Sich dagegen auch mit Nicht-F ans bzw� Ex- Fans zu befassen, auch dies zeigt das Beispiel der Religionssoziologie, kann jedoch umso erhellender sein für die Analyse des eigentlich interessierenden Feldes� 6 Literatur Barton, Kristin M�, 2014: „Chuck versus the Advertiser� How Fan Activism and Footlong Subway Sandwiches Saved a Television Series“� In: Barton, Kristin M� / Lampley, Jonathan Malcolm (Hrsg�): Fan CULTure: essays on participatory fandom in the 21st century� Jefferson: McFarland et Company, 159–1 72� Barton, Kristin M� / Lampley, Jonathan Malcolm (Hrsg�), 2014: Fan CULTure: essays on participatory fandom in the 21st century� Jeffer- son: McFarland et Company� 26 Thomas Schmidt-Lux Berndt, Thorsten, 2014: „Fans und Vergemeinschaftungsprozesse“� Sozio- logische Revue 37(3), 283– 296� Booth, Paul (Hrsg�), 2018: A Companion to Media Fandom and Fan Stu- dies� Hoboken: John Wiley and Sons� Cottingham, Marci D�, 2012: „Interaction Ritual Theory and Sport Fans: Emotion, Symbols, and Solidarity�“ Sociology of Sport Journal 29, 168– 185� Cuntz-L eng, Vera (Hrsg�), 2014: Creative Crowds. 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Doing ethnographic research online: Standards zur Online-F eldforschung (https://n bn- resolv ing�org/ urn:nbn:de:0168- ssoar- 1062 27)� Kelly, William K�, 2018: „Sport Fans and Fandom“� In: Giulianotti, Richard (Hrsg�): Routledge Handbook of the Sociology of Sport, London/ New York: Routledge, 313– 323� Klein, Constantin / Schmidt-L ux, Thomas, 2006: „Ist Fußball Religion? Theoretische Perspektiven und Forschungsbefunde“� In: Thaler, Engelbert (Hrsg�): Fußball. Fremdsprachen. Forschung. Aachen: Shaker, 18– 35� Klemm, Michael (2012): „Doing being a fan im Web 2�0� Selbstdarstellung, soziale Stile und Aneignungspraktiken in Fanforen“� In: Zeitschrift für angewandte Linguistik 56 (1), 3– 32� Kotarba, Joseph A�, 2013: Baby Boomer Rock ‘n’ Roll Fans: The Music Never Ends� Lanham, Md�: The Scarecrow Press� Lamerichs, Nicolle, 2018: Productive Fandom. Intermediality and Affective Reception in Fan Cultures. Amsterdam: Amsterdam University Press� Meier-V ieracker, Simon, i� E�: Im Fadenkreuz. 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The article focuses on current phe- nomena of border crossings via digital media, used by music fans and their stars, notably on aesthetic and intermedia related communication and reception (i�e� on Depeche Mode and their Fandom)� Key words: Fan Communication, Fan Culture, Pop Music and Media, Inter- / Transmediality 1 „Where does a band end and its fans begin?“ Mit dieser Frage titelte die britische Band Depeche Mode den Trailer zu ihrer jüngsten Fan- Aktion, mit der sie für die im April 2019 ausgeschriebe- nen Webby Awards kandidierte�1 Depeche Mode bewarben sich mit ihrem Facebook-T akeover, wobei sie für ein Jahr ihre Seite jeden Tag einem anderen Fan überließen� Die Aktion wurde über 13 Millionen Mal ange- klickt, kommentiert und geteilt und überführte, wie es in der Präsentation abschließend heißt, die Facebookpage der Band „[…] into a publishing 1 „The Webby Awards is the leading international award honoring excellence on the Internet“, sie werden jährl ich von der International Academy of the Digital Arts and Sciences in diversen Kategorien vergeben, vgl� https:// www�webby awa rds�com/ about, retrieved 1�6�2020� 30 Christiane Dahms platform, putting the fans in charge of what they love and making them part of the bands success and blurred the lines between Depeche Mode and their fans forever�“2 Zielt der kleine Film damit vor allem auf eine emo- tionale Rezeptionshaltung, so gibt die einleitende Frage doch auch Anstoß zu einer kritischen Reflexion� Denn sie spielt auf Verfahren an, mit denen sich die Diskursgrenzen zwischen den gemeinhin distinkt verhandelten Bereichen Fan und Fan- Objekt offenbar verwässern, möglicherweise sogar auflösen lassen, und die, so ließe sich anhand des Beispiels bereits schluss- folgern, moderne mediale Kommunikations- und Präsentationsformen selbst generieren und thematisieren� In welchen Textsorten und mit Hilfe welcher Medien können derartige Phänomene erzeugt werden? Tatsächlich scheinen mit der Etablierung neuer Informations- und Kom- munikationsformate wie z� B� Social Media-P lattformen nicht nur tradierte Genres der Fan/ Star- Kommunikation (wie Fanpost, Fanzines, Radio- und Fernsehinterviews etc�) sekundär oder gar obsolet zu werden, und sich ent- sprechend konventionelle, d�h� lineare, sequentielle Lesarten als unzurei- chend zu erweisen, um die Affordanzen eines multimedial präsentierten, multimodal organisierten Angebots gänzlich erfassen und nutzen zu können� Das für diese (modernen) Medien signifikante Relationsgeflecht aus Text- , Bild- und Tonelementen weist auf komplexe Kombinations- und Transfor- mationsprozesse, die über ein hohes Gestaltungs- und Steuerungspotential verfügen� Damit wird, so meine These, ein Textmodell etabliert, das sich als multimodal konzipiertes, trans- und intermedial agierendes Referenzsys- tem lesen lässt, in dem sich einerseits Autor*innen und Leser*innen, Fakten und Fiktionen und ihre jeweiligen Erzähl- und Darstellungsmodi miteinan- der vermischen, andererseits Diskurs-K onturen geschärft werden� Wobei in dieser Perspektive auch Text- / Bild- Verknüpfungen sowie kulturelle Praktiken als Texte begriffen werden (vgl� Endres 2016: 36; Bachmann- Medick 2004; Wolf 2014: 11, 20 f�; Rajewsky 2002: 13 f�)� Welche Inhalte, Akteur*innen, Textsorten und - formate dieses Medien- , Kommunikations- und Zeichenspiel regeln, steht im Mittelpunkt nachfolgender Überlegun- gen, die sich exemplarisch an der aktuellen Kommunikationskultur der 2 https:// www�depech emod efan3 65�com ist nicht mehr erreichbar, vgl� aber auch: https://w ww�youtu be�com/ watch?v=l Lqvp qdTQ 4M; http://w ww�depe chem ode�com/a rti cle/ faceb ook- takeov er, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 31 Band Depeche Mode und ihren Fans orientieren� Dabei gilt das Interesse zunächst dem ästhetischen Kommunikationsangebot der Band sowie ihrer Fankultur, bevor einzelne Medien in den Blick genommen werden, die als Fundstellen für jene Verflechtungen in Frage kommen�3 2 D evotees und Distinktionen Mit ihrer bis heute andauernden, 40jährigen Karriere sind Depeche Mode Teil der modernen Populär- Musikgeschichte, Fan- und Mediengeschichte (vgl� Burmeister/ Lange 2017)� Die Band, die aus dem Komponisten, Musi- ker und Sänger Martin L� Gore, dem Keyboarder Andrew Fletcher und dem Leadsänger und Songwriter David Gahan besteht, ist eine der erfolg- reichsten und einflussreichsten Musikgruppen der letzten Jahrzehnte, die stilbildend für die Weiterentwicklung und Popularisierung des (Synth-/ ) Elektro- Sounds zeichnet�4 Ihre Fan-G emeinde, die mittlerweile zwei G enerationen umfasst und eine hohe Diversität, enorme Größe und interna- tionale Reichweite aufweist, gilt als eine der loyalsten und treuesten inner- halb der Szene� Die Bezeichnung Black Swarm spielt auf ein äußer liches Merkmal der Fans an, dessen Semantik sich jedoch erst im kollektiven wie öffentlichen Kontext erhellt� Devotee dient hingegen der Markierung ex- wie interner Distinktionen, da der Begriff einerseits als Selbst- und Fremddeklaration exklusiv für Fans dieser Band fungiert, andererseits jene unter ihnen hervorhebt, die eine intensive und lange Verbundenheit mit Musik und Musikern charakterisiert�5 Wie andere Spezifizierungen (vgl� 3 Nachfolgende Beobachtungen stützen sich auf den Zeitraum März 2017 bis Juni 2020 und berücksichtigen ausschließlich jene Medieninhalte, die allgemein zugänglich sind, also keine Mitgliedschaft oder Registrierung voraussetzen� 4 Auszeichnungen, die explizit den Jahrzehnte umspannenden, einflussreichen Status der Band honorieren, waren zuletzt der Moog Innovation Award für Martin L� Gore (2019) und die Aufnahme der Band in die Rock Hall of Fame (2020)� 5 Ein fingierter Lexikonartikel, der sporadisch auf einschlägigen Fan- Seiten auf- taucht, definiert Devotee als „[a] person who is extremely addicted to Depeche Mode and ardently devoted to each member of the band� An ardent believer in a particular faith that heals heart and soul� A person who finds consolation and support in Martin Gore and Dave Gahans’s lyrics�“ https://w ww�instag ram�com/ p/ B2w0W JWI fwo/, retrieved 1�6�2020� Die Bezeichnung Black Swarm für die 32 Christiane Dahms Krischke- Ramaswamy 2007: 31– 36, 69– 70) lässt sich Devotee unter die Nominaldefinition von Roose/S chäfer/ Schmidt- Lux 2017 fassen, die unter Fans „Menschen [verstehen], die längerfristig eine leidenschaftliche Bezie- hung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kol- lektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/ oder Geld investieren“, und in ihre Definition diverse Ausprägungen, „unterschiedliche Intensitä- ten“ (Roose/ Schäfer/ Schmidt- Lux 2017: 4, 5), inkludieren� Depeche Mode haben sich sowohl inner- wie außerhalb von Indepen- dent bzw� Mainstream installiert und gelten nicht nur als Musikgruppe, sondern als Ausdruck eines Lifestyles, sie haben Kult-S tatus (vgl� Bur- meister/ Lange 2017)�6 Selbst- und Fremdwahrnehmung als „outsider artists“ (Gittins 2019: 238) mit entsprechender Semantik ermöglichen simple Abgrenzungsmechanismen,7 z� B� gegenüber Gruppen mit ande- ren Genre-S chwerpunkten� Zudem generiert die Band ein ausgesprochen breites Identifikations- und Kommunikationsangebot, welches durch eine spezifische Bild- und Zeichensprache protegiert wird� Sie ist wesentlicher Bestandteil ihres Images und speist sich aus dem Repertoire, das im Zuge der Vermarktung eines neuen Albums produziert wird, sowie aus den indi- viduellen Merkmalsangeboten der Bandmitglieder� Zusammen mit weite- ren musikalischen und optischen Stilelementen aus Rock und Blues, des Brit-P op- Dandyismus‘ (vgl� Hawkins 2009: 33) etc� entstehen kompatible Orientierungsgeber für Rock-/ P op-M usik affine Massen� Der 1987 für das 6� Studioalbum gewählte, ironisch konnotierte Titel Music for the Masses scheint daher nach wie vor treffend die Reichweite und den Status einer schwarz gekleideten (europäischen) Konzertbesucher* innen wird auch seitens der Band verwendet, sie geht möglicherweise auf sie zurück, vgl� z� B� Gore im Interview 2015: https:// www�youtu be�com/ watch?v= 25r7W Vew8 S0, retrieved 1�6�2020� 6 „We’re more than a band� We’re cult“, so auch Titel und Titelstory des Q Maga- zine zu Depeche Mode, 26�09�2017, https://w ww�qthemus ic�com/ artic les/ uncate gori zed/ were- more- than- a- band- were-a - cult-e xclus ive-d epe che- mode- intervi ew- in- the- new- q?rq=d epe che%20m ode, retrieved 1�6�2020� 7 Auch (selbstironische) Äußerungen seitens der Band forcieren und festigen Dis- tinktionen, vgl� z� B� Gahan im Interview mit Lee Hawkins in The Wall Street Journal 2017, https:// www�youtu be�com/w atch?v=- S C4 BI40 TjA, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 33 Band zu bezeichnen, die mit Erwartungshaltungen spielt und sich mit die- ser Strategie eine komfortable Position innerhalb der Musikszene und der Kulturindustrie erobert hat� 3 Bildästhetik und Bildsprache Für die Bild- und Zeichensprache der Band ist seit 1986 hauptsächlich der niederländische Fotograf und Regisseur Anton Corbijn zuständig� Als Art Director gestaltet er Plattencover, Booklets, Tourbücher, entwirft Bühnen- designs und Fotostrecken, führt in Musik- und Konzertvideos Regie und hat damit nicht nur sukzessive das Image der Band kreiert, sondern auch Einfluss auf ihre Kommunikation mit dem Publikum genommen: „Depe- che Mode sind eine Band, die nicht viel kommuniziert� Albumcover und Bühne sind ihre Wege der Kommunikation� Die Musik ist natürlich das Wichtigste� Aber an zweiter Stelle kommen die Visuals� Was auch immer du für sie machst, ist also Teil ihrer Sprache�“8 Corbijns Kunst ergänze ihre Musik und ihre Texte, so die Band rückblickend: „He understood our music […] and he understood that our music needed a visual, and the visual wasn’t necessarily us� […] it was his photography, his imagery, it was landscapes�“9 Corbijns Sprache ist die Portraitfotografie, deren Ästhetik Einflüsse aus der Theater- , Star- , Musik- und Dokumentarfotografie wie des Environ- mental Portraits erkennen lässt (vgl� Corbijn 2018; van Sinderen 2018)� Typisch für seine Handschrift sind u�a� Aufnahmen, auf denen die Musi- ker inmitten urban- industriell geprägter Ödnis, alternativ in tristen wei- ten Landschaften platziert sind oder als theatral inszenierte und maskierte Figuren ironisch arrangierte Innen- und Außenräume bewohnen� Die atmo- sphärische Dichte der Bilder resultiert aus einem Transformationsprozess, 8 Corbijn im Interview mit der Berliner Zeitung, 18�08�2018, vgl� https://w ww� berli ner- zeit ung�de/ men sch- metrop ole/ anton- corb ijn- ueber- ber lin- die- bes ten- fotos- zei gen-m en schli chk eit-l i�68552, retrieved 1�6�2020� 9 Gahan im Interview mit Joseph Patel, Mai 2017, https:// www�yout ube�com/ watch?v= Xru_V qG8h 38, retrieved 1�6�2020� Die Rolle, die Corbijns künst- lerische Arbeit für die Imagebildung der Band übernimmt, haben die Musiker vielfach skizziert, vgl� zuletzt http://d epe chemo de�com/m edia/ video/6 , retrieved 1�6�2020� 34 Christiane Dahms bei dem musikalisch evozierte Emotionen in Landschaften übersetzt wer- den� Neben solch „eskapistische[n] Bilder[n]“ (Diederichsen 2014: 75) konzentrieren sich die Aufnahmen, die während der Live- Shows entstehen, auf die Dynamik, die aus den Interaktionen zwischen den Bandmitglie- dern und zwischen ihnen und den Fans erwächst� Ferner fixieren sie das Repertoire der Posen und besonderen Merkmale von Gahan und Gore, mit denen diese ihre Musik „körperlich“ (Diederichsen 2014: 76) in Szene setzen� Derart gestaltete Portrait-, Konzert- und Musikvideoaufnahmen modellieren also keine, für die Rockfotografie außerdem typischen „Heili- genbild[er]“ oder „sozialen“ Bilder (Diederichsen 2014: 74 f; vgl� Corbijn 2018), sondern kreieren Stimmungen, auch mittels Symbolen�10 Hierzu gehören die diversen Albumcover- und Song- Symbole wie Königskostüm und Megaphon, Vorschlaghammer, Rose, Flags & Boots, an Hieronymus Bosch angelehnte Chimären etc�, aber ebenso die Körperbilder der Musi- ker wie ihre Tattoos, ihr Make-u p, ihr Schmuck und ihre Kleidung sowie einzelne, zu Symbolen geronnene Gesten� 4 Fanaktivitäten und Medienpraktiken Damit ist, neben Musik und Songtexten, das (Bild-) Vokabular der Band- und der Fansprache benannt, das den Primärtext anreichert und den Sekundär- und Tertiärtexten (vgl� Fiske 2008: 56– 58) zur Verfügung steht� Als Marken- und Erkennungszeichen werden (jene) Symbole von Fans ver- schiedener Sprach- / Kulturgemeinschaften in zahlreichen Varianten repro- duziert, remedialisiert und international verbreitet (vgl� Androutsopoulos 2001: 47)� Die kollektive Akkumulation eines (populär- ) kulturellen Kapi- tals kommt in diversen kommunikativen Praktiken und Partizipations- formen zum Ausdruck (vgl� Fiske 1992: 37–4 5), die in diesem Fall nur skizziert werden können: Die aktuelle Fankultur ist international, ana- log, digital und multimedial organisiert, was diverse Aktivitäten ermög- licht� So gibt es nahezu weltweit Fan-C lubs, regelmäßig veranstaltete 10 Als Paradebeispiel kann der Clip zu Enjoy the Silence (dir� by Anton Corbijn 1990) gelten; zudem werden hier Königsfigur, Albumsymbol und Bandmitglieder innerhalb eines Sekundenbruchteils übereinandergeblendet, d�h� sinnstiftend miteinander verschmolzen, vgl� https:// www�youtu be�com/ watch?v= aGSKr C7d GcY, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 35 Fan-P artys, zahlreiche Tribute- Bands, außerdem Fan- Homepages, die mit den zentralen Social Media-P lattformen, Videoportalen, Rezensions- organen, Soundclouds, Fanzines etc� verknüpft sind�11 Die zunehmende „Professionalisierung“, „Kommerzialisierung“ und „Individualisierung“ (Schmidt-Lux 2017: 47), die massenmedial agierende Fankulturen kenn- zeichnet, zeigt sich u�a� in Fan- Präsentationen via Youtube und Wiki: so z� B� das Projekt DM Live, „an ever-e xpanding encyclopedia about Depe- che Mode“12, das seit 2014 besteht und alles zu den Live-A uftritten Ver- fügbare, nicht von offizieller Seite Veröffentlichte katalogisiert, zum Lesen, Ansehen und Anhören zur Verfügung stellt� Dieses Angebot ist einerseits mühelos, d�h� oberflächlich zu rezipieren, erfordert andererseits Sach- kenntnis und „Interaktionskompetenz“ (Bucher 2011: 146), um den diver- sen Affordanzen, die online- medialen Texten wie Wikis zugrunde liegen (vgl� Pentzold/ Fraas/M eier 2013: 85–8 6, 96–9 8), letztlich mit Vergnügen folgen zu können� DM Live ist ein kollaboratives Unternehmen, das zur Mitarbeit und Diskussion auffordert und hierfür spezielle Foren etabliert hat� Ein Manual of Style sorgt für die homogene Präsentation der Informa- tionen� Seit dem Relaunch im August 2019 ist das Projekt mit Homepages und Fan-P rojekten anderer Bands verlinkt� Dadurch ergibt sich eine irritie- rende Gemengelage, mit der die Referenzquelle, Depeche Mode, einerseits verstärkt, andererseits aufgeweicht wird� Denn Verknüpfungen offerieren Alternativen und suggerieren Genealogien, womit sich das Interesse der Fans (ab-) lenken, aber auch die zentrale Rolle der Band im Musikdiskurs akzentuieren lässt� Unter den auf YouTube agierenden Kanälen mit relevantem Depeche- Mode- Bezug sticht Piano & Keyboard-A rtist13 hervor, dessen Betreiber kompetent und unterhaltsam Alben, Instrumente, Gesang und technisches Equipment der Gruppe kommentiert und analysiert, sporadisch Inter- viewpartner aus dem früheren Umfeld der Band zu Gast hat und über 11 Das Angebot reicht von www�depechemode�de bis www�depechemode�mx, die bei Facebook, Instagram und Twitter angemeldeten Accounts stammen von britischen, skandinavischen, russischen, australischen, US- amerikanischen u�a� Fan- Communities, entsprechend hat sich die Club- und Partyszene installiert� 12 https://d ml ive�wiki/ wiki/ Main_ P age, retrieved 1�6�2020� 13 https://w ww�youtu be�com/ chan nel/U Csf NB- YXXgs zKQ5 9i-- R CKQ, retrieved 1�6�2020� 36 Christiane Dahms den Kommentarteil und eine angeschlossene Facebookgruppe in die Dis- kussion mit seinem Publikum tritt� Zugehörigkeit zum Fantum kann hier, wie bei DM Live, durch band- und genrespezifisches Wissen zum Aus- druck gebracht werden, welches vornehmlich durch „Rereading“ (Jenkins 2013: 67) bezogen wird� Indem beide Formate dieses Verfahren des Kom- petenzerwerbs demonstrieren, initiieren und reflektieren, zudem diverse Partizipationsmöglichkeiten offerieren, machen sie die Prozesse der Aneig- nung und Anhäufung von Wissen sichtbar� 5 Fan/ Star- Kommunikation: mediale Selbstdarstellungen und Interaktionen Depeche Mode sind, wie ihre Fans, auf allen einschlägigen Kommunikati- onsplattformen vertreten�14 Publiziert wird nur das, was Nachrichtenwert hat, entsprechend ist der Stil sachlich-i nformativ, wenngleich humorvoll� Diese Strategie ist ein Balanceakt, denn sie provoziert auch kritische Kom- mentare, darunter solche, die explizit adressiert sind� So richtet ein Fan seine Kritik an den Sondereditionen abschließend, noch recht vage, an die Mitarbeiter der Produktionsstätte („Abbey Road Guys, work with pro- fessional people please!“15), während sein einige Monate später verfasster Kommentar am Ende die Bandmitglieder selbst anruft: „Dave, Martin, Andrew … are you conceits that millions of fans are very disappointed for this products?“16 Die Anredeform weist das zentrales Medienmerkmal aus, nämlich eine dialogische Situation implizieren zu können, ohne sie einlö- sen zu müssen,17 doch ist ihr Gebrauch in diesem Kontext die Ausnahme� 1 4 http:// depec hemo de�com ist mit den Seiten der Band bei Facebook, Twitter und Instagram verlinkt, welche nahezu redundant bedient werden, aber, anders als die Homepage, eine Kommentarmöglichkeit bieten� 1 5 https:// www�facebo ok�com/ pg/ depe chemo de/ posts/? ref=p age_ in tern al, 2�1�2019, retrieved 1�6�2020� 1 6 Die gesamte, harsch und fehlerhaft formulierte Kritik wurde wiederholt zu den Annoncen vom 6�, 8�, 9�, 13� und 17�6�2019 gepostet, https:// www�facebo ok�com/ pg/d epec hem ode/ posts/? ref= page_i n ter nal, retrieved 1�6�2020� – Etwaige stilis- tische, grammatikalische und orthografische Fehler wurden in den nachfolgend zitierten Beiträgen ebenfalls nicht korrigiert, Emoticons etc� hingegen getilgt� 17 Das Unternehmen kommentiert keinen Beitrag, und auch seine Protagonisten sind nicht über einschlägige Medien erreichbar oder dort identifizierbar, was Fans bekannt sein dürfte� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 37 Die Beiträge der Fans zu den Anzeigen der Wiederveröffentlichungen sind vornehmlich Bewertungen, die sich daran bemessen, welche Relevanz ein- zelne Titel und Alben für die eigene Fangenese haben, z� B�: With Some Great Reward and Black Celebration, my entire world of music was defined for life� [���]�18 Iconic for me� This song set the foundation for my love of Depeche Mode from an early age with Music for the Masses� It instantly takes me back to 1987 and music has never, EVER been the same since [���]� One of my favorite songs� First heard it on 101 and then bought Music for the Masses� Saw them for the first time back in 1993 at McNicols Arena in Denver [���]� Still one of my all time favorite bands� Their music still makes me dance, smile, cry and love [���]� First time saw it on TV� I still remember havin' chills all over my body� I'm still havin' them whenever I hear it� […]�19 Jene Formate, die seitens der Fans betrieben und genutzt werden, sind auf eine interpersonale wie massenmediale Kommunikation ausgerichtet und insze- nieren Fankultur auch als „Emotionskultur“ (Hauser/L uginbühl/ Tienken 2019: 11)� In den unzähligen Accounts bei Facebook und Instagram, die sich nach der Band, ihren Mitgliedern, Alben, Tourneen, Songtiteln usw� nennen, mischen sich Darstellungsformen und Sprachkompetenzen, authentisches und fingiertes, altes und neues Material� Es sind Showrooms, in denen Fans ihre Stars und sich selbst ausstellen� Insbesondere bei Instagram werden die zentralen Symbole neben weiteren Fotos, Filmausschnitten und Artikeln aus einem 40jährigen Zeitraum in hoher Frequenz gepostet� Mehrfach adressiert und mit kurzen, meist überdekorierten Bildkommentaren und Grußtexten versehen, werden sie zu digitalen Postkarten, die Fans und Fangruppen transnational miteinander vernetzen� Die offiziellen Seiten der Band erreicht diese Bilderflut nicht� In- und externe Medienwechsel erfolgen vollständig oder fragmentiert, es ist kaum ersichtlich, woher z� B� ein Bild stammt, welche Texte und Emoticons es zuerst zierten, da es sich an verschiedenen Orten, identisch oder variiert, wiederfinden lässt� Genau genommen ließen sich 18 https://w ww�facebo ok�com/ pg/d epe chem ode/ posts/? ref=p age_ i ntern al, 9�6�2019, retrieved 1�6�2020� 19 https:// www�faceb ook�com/p g/ depec hemo de/ posts/ ?ref=p age_ i ntern al, 5�6�2019, retrieved 1�6�2020� 38 Christiane Dahms natürlich alle Beiträge referenzieren� Doch in dieser, rein auf Akkumulation und Affirmation gerichteten Kommunikation liegt das Augenmerk auf den virulent gehandelten Medien, nicht auf Absender*i nnen und Autor* innen� Repetitions- und Überschreibungsverfahren erscheinen daher typisch für die digitalen Medienarchive der Fans� Im vorliegenden Beispiel füllen die ikonisch und symbolisch konnotierten Texte und Bilder das Internet- Archiv der Depeche Mode- Dinge, das als Speicher- und als Funktionsgedächtnis (vgl� Assmann 2009: 168– 175) die Band- , aber auch ihre Fan- und Medien- geschichte enthält� Auf- und Abwertungen zeigen sich in der permanenten Überlagerung der Medien, welche ihre Qualität aus ihrem kommunikativen Potential, d�h� aus ihrer Anschlussfähigkeit beziehen� Ein erheblicher Teil des in den Kommunikationskanälen der Fans produzierten Textes Depeche Mode speist sich aus derartigen Re- Narrationen� In der Quantität und Vielfalt der Bilder spiegeln sich die Langlebigkeit der Band wie die anhaltende Treue ihrer Fans� Die geposteten Jugendauf- nahmen von Gahan, Gore und Flechter, erkennbar aus einer vor- digitalen Ära stammend, sind, wie die eigenen Bilder aus dieser Zeit, Dokumente einer (gemeinsam erlebten) Vergangenheit, die jetzt, remedialisiert, im digi- talen Album zusammengestellt und betrachtet werden können� Auf diese Weise gelangen auch private Erinnerungsfotos von Konzertbesuchen, Fan- Partys etc� in „öffentliche Erinnerungs- und Gedenkprozesse“ (Sommer 2018: 54; vgl� Sebald 2018: 43–4 9) und sichern aktuelles wie vergangenes Fan-W issen� Das zur Fan- „Fassade“ gehörende, selbst erstellte „Bühnen- bild“ (Goffman 2011: 23, vgl� Gebhardt 2017: 169–1 71) ist ebenfalls Teil dieses Präsentations- und Speicherprozesses: Zahlreiche Fotos, die Fans über ihre Medien teilen, zeigen die mit Band-S ymbolen dekorierten Innen- räume des Fan(- Darstellers), ferner Selfies, die einen mit entsprechender Kleidung und typischem Schmuck, auch Körperschmuck, ausgestatteten Devotee zu erkennen geben� Die doppelte Codierung von „Tätowierung als Stigma und Auszeichnung“ (Kampmann/H errmann 2011: 11) wird im Fan-K ontext evident, denn hier sind die Körperbilder sichtbarer Bestand- teil der „Persönlichkeits- und Identitätsproduktion“ (ebd�) Depeche Mode- Fan – der im Extremfall zur Star- Kopie bzw� zum Cosplayer20 mutiert� 20 Da Gore und Gahan auf der Bühne jeweils eine Kunstfigur kreieren, die von Fans kopiert wird, erscheint diese Analogie schlüssig� Im Übrigen formieren sich die Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 39 Als Selbstdarstellungen eines Fans im öffentlichen, medialen Raum können auch einige Bilder Anton Corbijns gelten, die dieser über seine Instagramseite zugänglich machte� Allerdings sind sie weit mehr, näm- lich vieldeutig angelegte, ironisch konnotierte Selbstreflexionen über das eigene Verhältnis zur Band als Künstler, Geschäftspartner, Freund und Fan� So richtet die Farbaufnahme, die bei einem Konzert im Januar 2018 ent- stand, den Blick frontal aus der vordersten Zuschauerreihe auf die Band und die aufscheinenden Projektionen, die von Corbijn selbst stammen� Der Kommentar zum Bild ist nur vordergründig eine Anspielung auf die eigene Doppelrolle sowie auf die mittels Objektiv eingenommene Fan-P erspek- tive: „DM playing again a sold out show in Amsterdam on the second leg of their SPIRIT tour� I probably sound like their PR man haha! Anyway I’m not there as I’m down with flu but I’m there if u get my drift� I’m unli- kely to b objective but it’s a great show!“21 [Herv� C�D�] Das Foto scheint den Konzertbesuch Corbijns zu dokumentieren, während die Textaussage dies zunächst dementiert, dann eine metaphorische Auflösung suggeriert, womit wiederum die Urheberschaft des Bildes in Frage gestellt wird� Denn lassen sich die Projektionen des Künstlers auch als dessen Stellvertreter begreifen, so wäre jetzt zu klären, wer in diesem Fall das Bild gemacht hat� Dieses medial inszenierte Verwirrspiel um die An-/ Abwesenheit des Sprechers/ Beobachters insistiert gleichermaßen auf Nähe wie auf Distanz zu Stars und Konzertereignis� Wer hier spricht und sieht, lässt sich, streng- genommen, nur über den Publikationsort identifizieren, der Corbijns Copyright trägt� Die Texte zu zwei weiteren Fotos, ebenfalls in Farbe und erneut aus der Perspektive des Publikums aufgenommen, machen implizit auf den Designer der Screens sowie auf den Absender der Text-/ Bild- Nach- richt aufmerksam („A horse on stage @ Depeche Mode show in Stock- holm last night!“, „Depeche Mode doing a ‚sheep‘ show during Enjoy The Silence courtesy of our humble instaman […]“)22� Bildgestaltung und Textaussage eines weiteren Posts zielen hingegen auf eine Amalgamierung Musiker alle paar Jahre zu Depeche Mode, sie sind auch als Solokünstler (mit anderen Images) aktiv� 2 1 https://w ww�instag ram�com/ antonc orbi jn4re al/, 13�1�2018, retrieved 1�6�2020� 22 https:// www�instag ram�com/a ntonc orbij n4re al/, 6�5�2017 und 26�11�2017, retrieved 1�6�2020, wobei das zuerst genannte Foto, allerdings ohne Text, 40 Christiane Dahms der diversen Images: „Running the risk of repeating myself with yet anot- her DM iPhone image, but I’ll take that risk as the Antwerp concert was that good!! Or, maybe I just can’t get enough … ouch!“23, steht neben dem Schwarz- / Weiß- Bild, welches einen Konzertmoment nicht wieder aus der Front of stage-P erspektive, sondern aus der des Art Directors on stage ein- fängt� Es zeigt einen Höhepunkt innerhalb der Aufführungsdramaturgie, der durch die Hell-/ Dunkel- Ästhetik des Fotos stark akzentuiert wird� Der letzte Satz des Referenztextes zitiert einen frühen Songtitel, der zudem als Fan-C horus gilt� Enthüllen hier Bildkomposition und - ästhetik die Signatur des Künstlers, so verraten Inhalt und Stilistik des Textes den Fan Corbijn� Depeche Mode haben in der Vergangenheit zahlreiche Fan-A ktionen ini- tiiert, die einen innovativen Umgang mit neuen Medien demonstrierten und Reichweiten- Rekorde aufstellten,24 und die eingangs erwähnte Takeover- Aktion25 lässt sich hier sicherlich einreihen� Sie gibt nicht nur Aufschluss über die Vielfalt der Rezeptionsmöglichkeiten, sondern erhellt zudem jene Kommunikationsprozesse, die für die Etablierung und Steuerung einer weltweit agierenden Fangemeinschaft relevant sind� So veranschaulichen die im Rahmen der Kampagne veröffentlichten Fotos von u�a� selbsterstell- ten, erkennbar die Symbolsprache aufgreifenden Kunst- und Designobjek- ten, mit denen Fans „their own Depeche Mode stories“26 präsentieren, eine intensive ästhetische Auseinandersetzung mit dem Fan-O bjekt� Beigefügte ebenfalls über eine deutsche Fanseite geteilt wurde, vgl� https:// de- de�faceb ook�com/% 20dmfo rum�eu/ phot os/ a�3702 2425 3083 975/1 1364 7220 31258 39/ ?type=3 &theat er, retrieved 1�6�2020� 23 https://w ww�instag ram�com/a ntonc orbi jn4re al/ , retrieved 28�11�2017, ebenso https:// www�faceb ook�com/ dmfo rum�eu/ pho tos/ a�4135 0549 2089 184/ 13137 7546 87288 44/? type=3 , retrieved 1�6�2020� 24 So u�a� mit „the world’s first live internet video interview“, das 1997 gesendet wurde, und der 2017 veranstalteten, weltweit erfolgreichsten Live-K onzert- Übertragung, vgl� https:// dmli ve�wiki/w iki/1 997- 05- 13_ Hou se_O f_ Blues,_ West_ Hollywood,_L os_ Angeles,_C A,_U SA und https://w ww�rollin gsto ne�de/ im- video- str eam- depe che- mode- live- bei- den- tele kom- str eet- gigs- ber lin- 1219 439/ , retrieved 1�6�2020� 2 5 Vgl� https://w ww�facebo ok�com/ depec hemo de, März 2017 bis März 2018, retrieved 1�6�2020� 2 6 https:// www�faceb ook�com/d epec hem ode/ vide os/1 01557 1847 3990 329/? _ _s o_ _= c han nel_t ab&_ _ rv __ = all_ videos_ card, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 41 Texte skizzieren die individuelle Fangeschichte und markieren Momente hoher Emotionalität� Derartige Rezeptionen bestätigen die Ton- , Bild- und Textmedien der Band in ihrer Funktion als multikompatible Reflexions- geber, welche letztlich die Grundlage bildet für die Konstruktion indivi- dueller wie kollektiver Fan- Identitäten� Eine Medialisierung von Fantum lässt sich hier in gleich mehrerer Hinsicht ausmachen, wobei verschiedene Künste und Kommunikationsformen ineinandergreifen: So sind die Arte- fakte der Fans Ausdruck einer medialen Transformation, bei der die Musik und die Bildästhetik der Band in andere Kunstformen übersetzt und dort reflektiert werden� Die fotografischen Aufnahmen resultieren aus einem erneuten Medienwechsel, durch welchen die Objekte kompatibel werden für die massenmediale Verbreitung und Rezeption im Rahmen der Fan- Aktion� Doch erst diese Aktion macht die Diversität und die Akkumula- tion des Kapitals jener Fan- Gemeinschaft auch transparent� Ihre Rückübernahme der Facebookseite kündigte die Band durch kurze Video-, Bild- und Textbotschaften der drei Bandmitglieder an� Die Reaktio- nen auf Gores und Fletchers Thank you- Clips27 quittieren den überraschend evozierten Realitätseffekt, den die Videonachrichten der Stars auslösen („This message feels like the closest I’ve ever been to speaking to Martin and (as I’d expect) I can’t find words“, ebd�), mit zumeist wort- und bildreichen Dankes- und Verehrungsbekundungen� Die diversen Anredeformeln referie- ren zwar auf Konventionen des Briefgenres (z� B� „Dearest Martin“, „Hi Andrew“, ebd�), doch tritt anstelle eines namentlich ausgewiesenen Absen- ders häufig nur der Hinweis auf die eigene Nationalität, und richten sich die abschließenden Grußworte an alle Bandmitglieder („Thanks a lot guys and everyone of you will be always welcome in Bogotá!“, „Love you guys!“ u�a�, ebd�)� Die Kommentare reflektieren die eigene Fan-I dentität, wobei Inten- sität und Dauer der Verbundenheit („devoted since“, ebd�) als wichtigste Gradmesser deutlich werden� Dass sich die deutschen, italienischen, ameri- kanischen etc� Fans zudem als Vertreter einer nationalen sowie als Teil einer internationalen Community verstehen, wird ferner explizit, z� B�: 2 7 Vgl� https://w ww�faceb ook�com/d epec hem ode/v ide os/1 01575 7338 1340 329/ ?_ _s o _ _ = chann el_ tab&__ r v_ _ = all_ videos_ card und https://w ww�faceb ook�com/ depe chem ode/v ide os/1 015757 3350 5253 29/ ?__ s o__ c hann el_ tab&_ _ rv__ = a ll_ videos_c ard, retrieved 1�6�2020� 42 Christiane Dahms As somebody has said it already: Martin, you have written the soundtrack of my life� Thank you very much for that and for all these great moments, emotions, goo- sebumps and thrills while listening to your music� Love you, guys forever and ever Thank you for sharing your thoughts, fears, hopes and all kind of feelings with us! It's always a pleasure if I can see you live and it's been an honor to grow up with your music� [���] You unite masses of people from all over the world with your music� That's a huge achievement! You wrote the songtext of my life Devooted since 1984 Thank you so much for all magical moments your music brought to me and hopefully will bring Germany love you endlessly Thank you Mr� Gore and the rest is you guys who bring people of all race, gender, ethnic backgrounds, social class together through your music� I've been a huge fan since the 80's and have grown to love your music more and more with each album! So needless to say I'm totally and utterly in love with Depeche Mode!! Keep doing what you're doing!! [���]� Almost 40yrs in business and the great memories you guys have brought to every single one of us, we all shared those gigs with you, travelled to places that just made the to- do list because of scheduled DM gigs, the black swarm grew bigger and bigger and brought up a new generation as well – I wouldn't call myself a devotee but fell in love with Dm in 1985 and can't and won't shake off the disease� Your music has accompanied us through all those years lifted and encou- raged us in bad times and gave us the lil extra in good times [���]� Thanks to you Martin for being part of my life and for thousands of devotees in the world because with your compositions and your music you have made us identify with you� [���] Thanks Martin to you we love you!28 Der Bekenntnischarakter, der diesen wie den meisten der rund 1500 Kom- mentaren gemein ist, scheint allein aus der medialen Präsenz der Stars zu resultieren� Denn die Texte der Fans sind nahezu referenzfrei, sie beziehen sich inhaltlich weder auf die Aussagen der Stars, noch sind sie dem Ereignis Videopost zuzuordnen� Allerdings verstärkt das filmische Arrangement die medienspezifischen Effekte: Ein provisorisches Setting, Geräusche im Hin- tergrund und vor allem die sicht- und hörbare Nervosität der Stars lassen den Eindruck einer spontan realisierten Live- Schaltung entstehen und ver- leihen Sprechern und Nachrichten Glaubwürdigkeit und Authentizität, was sich in den Emotionsartikulationen der Fans widerspiegelt� 2 8 https://w ww�faceb ook�com/ depe chem ode/ vide os/ 101575 73381 3403 29/? _ _ s o_ _ =c han nel_ tab&_ _ r v_ _ = all_ videos_ card, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 43 Interessanterweise resultierten aus den beiden Posts, mit denen sich Gahan für die (An- ) Teilnahme an der Takeover-A ktion bedankte, ähn- liche Reaktionen,29 obwohl diese Text- /B ild- Kompositionen ungleich kom- plexer angelegt sind als jene aus bewegtem Bild plus Ton: Das erste Foto zeigt den Künstler, handschriftlich einen Brief an alle Fans verfassend� Eine Großaufnahme des Briefes und ein weiterer Kurzgruß im Kommentarteil komplettieren die Sequenz� Auch diese Szene erzeugt, wie die beiden Video- botschaften, die Illusion von Nähe und Echtheit, welche jedoch durch die mediale Rahmung zugleich irritiert wird� Sie offenbart die Artifizialität der „Schreib- Szene“ (Stingelin 2004: 15)� Nicht nur Handschrift und Maschi- nenschrift konkurrieren hier miteinander – die auratische Dimension der persönlichen Körperspur mit der referenzfreien, entpersonalisierten Textur (vgl� van Dijck/ Neef 2006: 10– 13; Grusin 2006) – , sondern auch private und öffentliche Person� Denn Gahan ist zwar nicht im Star-O utfit, aber in seiner Show- Garderobe, umgeben von Star- Symbolen, zu sehen� Hatte der Videoclip, in dem Gahan die Fans zur Teilnahme einlud,30 die Anwesen- heit des Sprechers beweisen können, so deuten in dieser Szene Handschrift wie Maschinenschrift auf eine Dekontextualisierung, auf das Fehlen einer Präsenz, was die Abbildung von Gahan als Schreibenden zu kompensie- ren sucht� 6 Medienreflexionen Die Takeover- Aktion macht auf die kommerzielle Bedeutung der eige- nen Fankultur aufmerksam� Indem sie z� B� als Nachrichtenträger für weitere Tourneetermine und als bemerkenswerte Sammler* innen oder Künstler* innen in Erscheinung treten, tragen Fans zu einer quantitati- ven und qualitativen Dimensionierung ihres Fan-O bjekts bei� Vor diesem Hintergrund folgt die Medialisierung von Fantum einer Popularisierungs- strategie, mit der im Idealfall bestehende Bindungen gestärkt und neue 2 9 Vgl� https:// www�facebo ok�com/d epec hemo de/ pho tos/a �14868 8865 328/ 101575 7412 28303 29/ ?type= 3&theat er und https:// www�facebo ok�com/d epe chemo de/ phot os/a �148688 8653 28/ 101575 7412 28003 29/? type=3 &thea ter, retrieved 1�6�2020� 3 0 Vgl� https:// www�faceb ook�com/ depec hemo de/ vide os/ 101557 1847 39903 29/? _ _ so _ _ =c hann el_ tab&%20__ rv __ = all_ videos_c ard, retrieved 1�6�2020� 44 Christiane Dahms generiert werden können� Insbesondere aber leuchten Medienaktionen dieses Formats die wechselseitige Bedingtheit von Stars und Fans aus� Und sie setzen dies wirkungsvoll ins Bild, wenn beide kurzzeitig sogar auf der gleichen Plattform, der Facebookpage der Band, posieren� Eine subtile Variante der Werbeträger-/ Botschafterrolle haben jene Teil- nehmer* innen der Aktion übernommen, die aus dem Umfeld der Band stammen� Ungleich intensiver lassen sich mit ihnen Verstärkereffekte erzeu- gen, mit denen distinkte Zuordnungen – Band- oder Fan-S eite? – unmög- lich werden� Dies führt zurück zur Ausgangsfrage „Where does a band end and its fans begin?“, die interessanterweise nach dem Ort (nicht nach dem Zeitpunkt)31 fragt, welcher hier exemplarisch und in möglichst breiter Per- spektive auf das aktuelle Kommunikationsgefüge kartiert wurde� So lassen sich jetzt die diagnostizierten Schnittstellen und ihre dort angesiedelten Akteur*innen für eine nähere Bestimmung ins Feld zu führen: Zunächst sind jene zu nennen, die sich explizit zwischen Stars und Fans platzieren, indem sie z� B� als Freund*i nnen, als Mitarbeiter*innen und Geschäfts- partner*innen der Band oder als Initiator* innen und Betreiber* innen von Fan-P rojekten in Erscheinung treten� Hier graduelle Unterschiede vorzu- nehmen, erscheint müßig, relevant hingegen sind ferner jene inter- und transmedialen Kommunikationsstrategien: Alle skizzierten Kommunika- tionsformate und Textsorten animieren zu einer (inter-) aktiven Partizipa- tion, die darauf ausgerichtet ist, am Text Depeche Mode mitzuschreiben� Medienkonvergenzbewegungen sichern den Austausch zwischen Bildern, Dokumenten, Artefakten, digital erstellten und nachträglich digitalisier- ten, wobei letztere, angesichts der langen Band- und Fanhistorie, unver- zichtbar erscheinen für die Identitätskonstruktionen Depeche Mode und Depeche Mode- Fan� Dabei gleichen die Kommunikationsmedien (moder- nen) Archiven, und in Archiven wird Wissen bekanntlich nicht nur aufbe- wahrt, sondern auch produziert (vgl� Foucault 1997: 188; Ebeling/G ünzel 2009: 7–2 6), d�h� bewegt� Die Bewegungen in den Archiven der Fans dienen 3 1 Auf die Relevanz der Zeit spielt der Trailer bereits an: „Depeche Mode is being around for almost four decades� And after that much time the band isn’t just a band anymore� They belong to their fans […]�“ https:// www�youtu be�com/ watch?v= lLqv pqdT Q4M, retrieved 1�6�2020� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 45 der Sicherung des Prä- bzw� „Hypotext[es]“ (Genette 2018: 14) Depeche Mode, der trotz permanenter Überschreibungen und selbst bei Verfrem- dungsverfahren durch z� B� Collagen oder Memes sicht- und lesbar bleibt� Dafür sorgt die spezifische Symbolästhetik, in der Musik, Bilder und Song- texte der Band kondensieren, und die, inventarisiert, als „medial[e] cues“ (Erll 2017: 149) fungieren� Vielfach variiert und kontextualisiert finden sie sich in den Kommunikationsmedien der Fans wieder, sie sind manifeste Träger des kollektiven Fan- Gedächtnisses und selbst Speichermedien für Erinnerungen (vgl� Erll 2017: 148f)� Diese Medienarchive der Fans sind daher ungleich umfassender als die der Band, außerdem immer flüchtig und auffällig repetitiv, und sie sind immer auch Fan-F iktionen, die trans- medial weitererzählt werden� Erzeugen national verankerte Homepages und Projekte der Fans mit ihrem weitgehend monolingualen, monomodalen Sprachgebrauch ent- sprechend eindimensionale Texte, so durchdringen sich in jenen Forma- ten, die international rezipiert werden, Sprachen und Sprachkompetenzen, interpersonale wie massenmediale Kommunikationselemente gegenseitig und damit auch die ihnen zugrunde liegenden kulturellen Normen (vgl� Schmitz 2015, 21f�)� Dass dadurch komplexe, aber weiterhin erkennbare (Para- )Texte entstehen, liegt an den medientypischen Homogenisierungs- verfahren, vor allem aber am spezifischen Bild- und Textinventar, das Signalfunktion übernimmt (vgl� Androutsopoulos 2001, 47)� Variations- reichtum, hohe Frequenz und Reichweite machen Quellen jedoch schnell unleserlich� Denn eine Unterscheidung zwischen gesichertem und unge- sichertem Wissen, Aktuellem und Vergangenem, zwischen Fan- Fiktionen und von offizieller Seite verlauteten Star- Narrativen lässt sich unter diesen Palimpsest-S trukturen z�T� schwerlich vornehmen� Avancieren Fans selbst zu (Medien-) Stars, wie im Rahmen der Takeover- Aktion, werden Verfahren transparent, mit denen sich die Kommunika- tion mit und unter den Fans steuern lässt� Der kürzlich von Corbijn für Depeche Mode realisierte Film Spirits in the Forest (2019)32 und die daran 3 2 Der Film Spirits in the Forest (dir� by Anton Corbijn, Trafalgar 2019) wurde zuerst, weltweit und zumeist einmalig am 21�11�2019 im Kino gezeigt, kurz darauf auf dem TV- Sender Arte ausgestrahlt und ist mittlerweile in diversen Formaten im Handel erhältlich� 46 Christiane Dahms angeschlossene Medienkampagne drehen diese Schraube noch etwas weiter: So präsentiert der Film nicht, wie zunächst erwartet wurde, die Abschlusskonzerte der letzten Tournee, sondern konzentriert sich auf sechs Teilnehmer der Takeover- Aktion, während die Auftritte der Band nur aus- schnittsweise zu sehen sind� Eine Social Media Wall, die das Ereignis ins Web überführt und (bis heute!) zeitlich verlängert, fordert Fans dazu auf, den Film zu kommentieren und sich ebenfalls zu präsentieren�33 Während der Film also lediglich den Anstoß für eine multiperspektivische Aktuali- sierung des Populärtextes gibt, ermöglicht die Kommunikationsplattform, auf der unablässig neue Kontexte produziert und der gemeinsame Bezugs- punkt bestätigt werden, eine nahezu ungehemmte Potenzierung� Mit der Veröffentlichung des Konzertfilms Live Spirits (2020) schließlich, die ein halbes Jahr später erfolgte, sorgten Depeche Mode für einen weiteren Aktualitätsschub im Diskurs, der nun, erneut fokussiert, wieder den Fans überlassen wird�34 Mit Medienplattformen und - aktionen dieser Art etablieren Depeche Mode Kommunikationsräume, in denen sich Fans als Akteur*i nnen und als Rezipient* innen begegnen� Dass hier, nicht nur auf Fanpages, über Auf- tritte, Alben etc� durchaus kontrovers diskutiert wird, ist aufschlussreich, für den abschließendem Blick auf die Funktion von Fankommunikation 33 Der Aufruf „Join the conversation about #spiritsintheforest and share your own DM story at https://w ww�spi rits inthe for est�com/ conve rsat ion/“ erfolgte bereits drei Wochen vor der Ausstrahlung, vgl� https:// www�faceb ook�com/d epe chem ode/ pho tos/ a�14868 88653 28/ 1015949 9414 5753 29/ ?type= 3&theat er, retrieved 1�6�2020� Zudem konnten sich einige Monate nach der Premiere Fan- Darsteller* innen und Zuschauer* innen im Rahmen einer #AMA- Aktion begegnen, vgl� https:// www�red dit�com/ r/ Music/ comme nts/ eysh0h/w e _a re_t he_f ans_i n_t he_ depeche_m ode_d ocumentary/ , https:// www�faceb ook�com/ even ts/6 072 3070 3178 230/ , retrieved 1�6�2020� 3 4 Die Box Spirits in the Forest (Colombia/S ony 2020) enthält u�a� den Konzertmit- schnitt Live Spirits (dir� by Anton Corbijn), dessen Weltpremiere zeitgleich am 25�6�2020 als Livestream erfolgte� Einen Tag später, dem offiziellen Verkaufs- start, folgte der Aufruf: „Did you take pictures while you watched? Post them with the hashtag #SpiritsInTheForest�“ https://d e- de�facebo ok�com/ depec hem ode/ phot os/ a�1015212 799 22753 29/ 10160483649135329/ ?type =3 &theater, retrieved 28�6�20� Die Social Media Wall zeigt Fotos, Texte und Bilder von Fans und Film(erlebnis), die Konversation wird parallel in den Kommunikationsme- dien der Band und der Fans geführt� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 47 jedoch sekundär� Ihre Frequenz ist entscheidend, die, auf unterschiedli- che Formate verteilt, für eine Vervielfachung und Variation der Lesarten Depeche Mode sorgt� Diese Vielstimmigkeit wird über die spezifische (Bild- )Sprache kanalisiert, in der sich die Band, ohne selbst verbal kommu- nizieren zu müssen, mise en abyme spiegelt� Dass die aktuelle Box neben den Konzertmitschnitten auch den Fan-F ilm enthält, erstmals aber kein Bonusmaterial wie Footages oder Interviews, wird in dieser Perspektive plausibel und macht den rhetorischen Gehalt der eingangs aufgeworfenen Fragen nach verortbaren Distinktionen – „Where does a band end and its fans begin?“ – offensichtlich� Denn aus aktueller, medienkommunikativer Fan- / Star- Perspektive erscheint sie anachronistisch� Nachsatz: Die Webby Awards gewannen Depeche Mode mit ihrer Fan- Aktion gleich in zwei Kategorien, „Music“ und „Arts & Entertainment“35, eine Kombination, mit der sich das weiträumige Kommunikationskonzept, das die Band ihren Fans offeriert, auf eine prägnante Formel bringen lässt� 7 Literatur Androutsopoulos, Jannis K�, 2001: „Textsorten und Fankulturen“� In: Fix, Ulla/ Habscheid, Stephan/ Klein, Josef (Hrsg�): Zur Kulturspezifik von Textsorten� Stauffenberg: Tübingen, 33– 50� Assmann, Aleida, 2009: „Archive im Wandel der Mediengeschichte“� In: Ebeling, Knut/G ünzel, Stephan (Hrsg�): Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten� Kadmos: Berlin, 165–1 75� Bachmann-M edick, Doris, 22004: Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft� Francke: Tübingen� Bucher, Hans- Jürgen, 2011: „Multimodales Verstehen oder Rezeption als Interaktion� Theoretische und empirische Grundlagen einer syste- matischen Analyse der Multimodalität“� In: Diekmanns henke, Hajo/ Klemm, Michael/S töckl, Hartmut (Hrsg�): Bildlinguistik. Theorien – Methoden – Fallbeispiele� Erich Schmidt: Berlin, 123–1 56� Burmeister, Dennis/ Lange, Sascha, 2017: Depeche Mode. Monument. Limited extended version� Blumenbar (Aufbau): Berlin et al� 35 Vgl� https:// winn ers�webby awar ds�com/# /2 019/s oc ial/s oc ial- cont ent- ser ies-c am- pai gns/a rts- entert ainm ent- ser ies-c ampaig ns/ 85241/d epec he- mode:- 365-d ays,- 365-f ans, retrieved 1�6�2020� 48 Christiane Dahms Corbijn, Anton, 2018: „‚1- 2- 3- 4‘ – Auftakt zu einem Bekenntnis“� In: Corbijn, Anton: 1-2 - 3- 4� Erw� Neuaufl�, Prestel: München, o�S� Diederichsen, Diedrich, 2014: Über Pop- Musik� Kiepenheuer & Witsch: Köln� Ebeling, Knut/ Günzel, Stephan, 2009: „Einleitung“� In: Dies� (Hrsg�): Archi- vologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten� Kadmos: Berlin, 7– 26� Endres, Odile Brigitte, 2016: „Der Textbegriff und die Grenzenlosigkeit des World Wide Web“� In: Baechler, Coline/ Eckkrammer, Eva Martha/ Müller- Lancé Johannes/T haler, Verena (Hrsg�): Medienlinguistik 3.0 – Formen und Wirkung von Textsorten im Zeitalter des Social Web� Frank & Timmer: Berlin, 31– 45� Erll, Astrid, 32017: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung� J�B� Metzler: Stuttgart, retrieved 1�6�2020, from https:// doi�org/10�1007/978-3-476-05495-1_5� Fiske, John, 42008: „Populäre Texte, Sprache und Alltagskultur“� In: Hepp, Andreas/W inter, Rainer (Hrsg�): Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse� Springer VS, GWV: Wiesbaden, 41– 60� Fiske, John, 1992: The Adoring Audience. Fan Culture and Popular Media� Ed� by Lisa A� Lewis� Routledge: London et al� Foucault, Michel, 81997: Archäologie des Wissens� Übers� v� Ulrich Köppen� Suhrkamp: Frankfurt� Gebhardt, Winfried, 2017: „Fans und Distinktionen“� In: Roose, Jochen/ Schäfer, Mike S�/ Schmidt- Lux, Thomas (Hrsg�): Fans. Soziologische Perspektiven� Springer VS: Wiesbaden, 161– 179� Genette, Gérard, 82018: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe� Aus d� Franz� v� Wolfram Bayer, Dieter Hornig� Suhrkamp: Frankfurt� Gittins, Ian, 2019: Depeche Mode. Faith and Devotion� Palazzo: London� Goffman, Erving, 102011: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag� Piper: München� Grusin, Richard, 2006: „Signature Identity Content� Handwriting in an Age of Digital Remediation“� In: Neef, Sonja/V an Dijck, José/K etelaar, Eric (Hrsg�): Sign here! Handwriting in the Age of New Media� University Press: Amsterdam, 95–1 15, retrieved 1�6�2020, from www� jstor�org/ stable/ j�ctt46mzz3�8� Messages for the Masses – Fankommunikation inter-/transmedial 49 Hauser, Stefan/L uginbühl, Martin/ Tienken, Susanne, 2019: „Mediale Emotionskulturen� Einführende Bemerkungen“� In: Dies� (Hrsg�): Mediale Emotionskulturen� Peter Lang: Berlin et al�, 9–1 7� Hawkins, Stan, 2009: The British Pop Dandy. Masculinity, Popular Music and Culture� Routledge Taylor & Francis Group: London et al� Jenkins, Henry, 202013: Textual Poachers. Television Fans and Participatory Culture� Routledge: New York et al� Kampmann, Sabine/H errmann, Anja, 2011: „Editorial“� Querformat. Zeitschrift für Zeitgenössisches, Kunst, Populärkultur (4), 11– 12� Krischke-R amaswamy, Mohini, 2007: Populäre Kultur und Alltagskultur. 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Handwriting in the Age of Technical Reproduction: Introduction“� In: Neef, Sonja/ Van Dijck, José/K etelaar, Eric (Hrsg�): Sign here! Handwriting in the Age of New Media� University Press: Amsterdam, 7–1 9, retrieved 1�6�2020, from www�jstor�org/ stable/ j�ctt46mzz3�8� Van Sinderen, Wim, 2018: „Eine große Liebe, seziert“� In: Corbijn, Anton: 1- 2-3 -4 � Erw� Neuaufl�, Prestel: München, o�S� Wolf, Werner, 2014: „Intermedialität: Konzept, literaturwissenschaftli- che Relevanz, Typologie, intermediale Formen“� In: Dörr, Volker C�/ Kurwinkel, Tobias (Hrsg�): Intertextualität, Intermedialität, Trans- medialität. Zur Beziehung zwischen Literatur und anderen Medien� Königshausen & Neumann: Würzburg, 11– 45� Daniel Pfurtscheller Nachrichtenfans. Fankommunikation in der interaktiven Nachbearbeitung von österreichischen Fernsehnachrichten auf Twitter Abstract: This paper deals with fan communication in relation to news media orga- nizations and media practitioners� Using a corpus of live tweets posted in parallel to news broadcasts by the Austrian Broadcasting Corporation, I examine news-r elated fan practices in the Austrian media landscape� The qualitative analysis reveals how “being a news fan” is expressed in social media, elaborates exemplary fan practi- ces, and sheds light on the specifics of news- related fan cultures in the interplay of legacy and digital media� Key words: news fans, digital fandom, social media practices, real person fanfic- tion, TV new 1 Einleitung In der Fanforschung geht man grundsätzlich davon aus, dass alles ein potentielles Fanobjekt ist: „Zu im Grunde jedem Gegenstand hat sich wenigstens eine Handvoll Bewunderer zusammengetan und geht ihrem – mitunter absichtsvoll abseitigen – Interesse nach“ (Schmidt- Lux 2017: 46– 47)� Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch auf den ersten Blick so wenig fan- taugliche Angelegenheiten wie journalistische Nachrichtensen- dungen, politische Analysen und innenpolitische Belange ihre begeisterten Liebhaber*innen haben� Ich fokussiere im Folgenden nachrichtenbezogene Fanpraktiken in der österreichischen Medienlandschaft anhand digitaler Begleitkommunika- tion zu Fernsehnachrichten auf Twitter� Auf dieser empirischen Grundlage versuche ich auszuleuchten, wie sich Fan- Sein in Bezug auf Nachrichten- formate in digitalen Medien ausdrückt und welche spezifischen Fankultu- ren sich im Bereich der österreichischen Fernsehnachrichten finden lassen� Als erstes Beispiel kann der folgende Tweet herangezogen werden, in dem 52 Daniel Pfurtscheller es um einen Auftritt des Politikwissenschaftlers Peter Filzmaier geht, der für den Österreichischen Rundfunk (ORF) alle wichtigen innenpolitischen Groß- Ereignisse kommentiert und aufgrund dieser Bildschirmpräsenz ent- sprechend prominent ist� Begleitend zur der Nachrichtensendung Zeit im Bild 2, die am Abend des 9� Oktober 2017 über den damals laufenden Wahlkampf in Österreich berichtet, teilt ein Twitter- Nutzer seine Freude über Filzmaiers Auftritt (Abbildung 1)� Abb. 1: Live-T weet von Fabian Pimminger zu Zeit im Bild 2 (Quelle: https:// twit ter�com/ i_a m_ f abs/s ta tus/ 917 4818 8510 5905 665, Verwendung mit Einverständnis des Autors)� Der Tweet ist ein kurzer Entzückungsausdruck, der auf mehreren Ebe- nen expressiv angelegt ist: Im sprachlichen Teil wird die Zuneigung zum Politikwissenschaftler durch die Verwendung eines Spitznamens („Filzi“), die Ausrufequalitäten imitierende Majuskelschreibweise mit Graphemwie- derholung und das Herz-E moticon (<3) ausgedrückt� Gleichzeitig ist ein animiertes GIF eingebunden, das die sprachlich ausgedrückte Zuneigung Nachrichtenfans 53 nochmals anschaulich werden lässt: Zu sehen ist ein Standbild von Filz- maier vor einer typischen Fernsehkulisse (als Brustbild im Halbprofil vor einem blauen Studiohintergrund, mit einer vermutlich links im Abseits stehenden Gesprächsperson); vor diesem statischen Hintergrund steigen etliche rosa Herzen nach oben� In dieser Form kann der Live- Tweet als Fanbeitrag zur Nachrichtensendung interpretiert werden� Ähnlich wie bei einem Sport- oder Musikfan wird der Auftritt des eigenen Favoriten beju- belt und mit anderen Fans gefeiert� Im Rahmen der nachrichtenbezogenen Fankommunikation und Fankul- turen ist dieses erste Beispiel aus mehreren Gründen aufschlussreich: Ers- tens zeigt es, dass typische Fanpraktiken auf Nachrichtensendungen und politische Kommunikation übertragen werden, also auf einen Bereich, der gemeinhin als nicht besonders ‚fan-t auglich‘ gilt� Die Sachebene (was wird gesagt?) tritt hier gegenüber der Darstellungsebene der Person (wer spricht?) völlig in den Hintergrund� Zweitens findet der Transfer dieser Fanpraktiken vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Wissens über die Komik statt, das aus dieser Nicht-P assung resultiert; im integrierten GIF ergibt sich komisches Potenzial durch den Kontrast zwischen der sicht- baren und geäußerten Herzlichkeit auf der einen und der nüchternen Stu- dioatmosphäre und Filzmaiers professoralen Erscheinungsbild auf der anderen Seite� Und drittens sind es digitale Medien, die solche fanähnli- chen Formen der Medienaneignung erst ermöglichen und es der linguis- tischen Medienforschung erlauben, mediatisierten Fanpraktiken und die kommunikative Vergemeinschaftung eines potentiellen Fanpublikums zu erforschen� Nach einer Begriffsbestimmung von Nachrichtenfans skizziere ich den Stand der Forschung von Nachrichtenfankulturen in der mediatisierten Anschlusskommunikation (Abschnitt 2)� Dann gehe ich auf den Gegen- stand der Studie ein und stelle die Social- Media- Daten als Untersuchungs- material vor (Abschnitt 3)� Meine Analyse bietet eine Bestandsaufnahme des Fanverhaltens in der Begleitkommunikation zu österreichischen Fern- sehnachrichtensendungen auf Twitter, ermittelt zentrale Fanobjekte und erörtert exemplarische Fanpraktiken im Detail (Abschnitt 4)� Am Schluss stelle ich die Besonderheiten der hier untersuchten nachrichtenbezogenen Fankulturen heraus (Abschnitt 5)� 54 Daniel Pfurtscheller 2 Nachrichtenfans und mediatisierte Fanpraktiken Ausgehend von der allgemeinen Begriffsbestimmung von Roose / Schäfer / Schmidt- Lux (2017: 4) lassen sich Menschen, die längerfristig eine emotio- nale Beziehung zu Medienorganisationen, Nachrichtenformaten und den daran beteiligten Personen haben und in diese Beziehung Zeit und/ oder Geld investieren, als Nachrichtenfans zusammenfassen� Nachrichtenfans zeichnen sich dadurch aus, dass sie Nachrichtenformate mit einer gewis- sen, nicht mehr selbstverständlichen, leidenschaftlichen Intensität verfol- gen� Nachrichtenfans lassen sich gewissermaßen als „extreme Version der Zuschauer“ (Busse 2014: 27) konzipieren� Angesichts des hohen gesellschaftlichen Prestiges, das Nachrichtensen- dungen als Medienformate genießen, sind potenzielle Nachrichtenfans aber grundsätzlich keine Subkultur, sondern bewegen sich im Bereich der „sozial akzeptable[n] Formen und Ausprägungen von Fandom“ (Busse 2014: 27)� Online- Befragungen im Rahmen des weltweiten Digital News Report zei- gen, dass der Anteil der Menschen, die angeben, dass sie sich überhaupt nicht für Nachrichten interessieren, im einstelligen Bereich liegt; den reprä- sentativen Anteil der „Nachrichten- Enthusiasten“, einer äußerst nachrich- tenaffinen Gruppe, die mehr als sechsmal täglich Nachrichten nutzen, lässt sich auf rund 20 Prozent schätzen (vgl� Gadringer et al� 2019)� In Öster- reich hat diese Gruppe in den letzten Jahren Zuwächse zu verzeichnen und lag im Jahr 2019 bei rund 25 Prozent� Allerdings wäre es recht ver- kürzt, Vielseher*innen von Nachrichtenformaten automatisch mit Nach- richtenfans gleichzusetzen� „Natürlich ist Fan- Sein nicht gleichbedeutend mit Mediennutzung� Dem Fan bieten sich aber in der entwickelten Medi- engesellschaft vielfältige Optionen, sein Fan- Sein mithilfe der Medien zu gestalten“ (Ohr 2017: 296)� Um aktiv zu werden und spezifische Formen der Medienaneignung zu verwirklichen, bieten Social- Media- Plattformen den Nachrichtenfans verschiedene Vernetzungs- und Ausdrucksmöglich- keiten� Social-M edia- Daten bieten daher eine gute empirische Basis für die Erforschung von spezifischen Aneignungspraktiken� Von der linguisti- schen Forschung wurden insbesondere rezeptionsbegleitende Äußerungen auf Twitter untersucht, das fernsehbegleitend als „Second Screen“ genutzt wird, und als „Plattform für Politikfans“ (Vondun / Schönbach 2014: 207) zu einer wichtigen Arena der politischen Kommunikation zählt� Formen Nachrichtenfans 55 der Zuschauerbeteiligung auf Twitter lassen sich als mediatisierte Prakti- ken beschreiben� Mediatisierte Praktiken sind Bündel von Handlungen mit prä- digitalen Vorläufern, die mithilfe von Technologie vollzogen werden (vgl� Androutsopoulos 2016)� Im Folgenden möchte ich den „kommunikativen Spuren der Fan- Aneig- nung“ (Klemm 2012: 8) in der digitalen Begleitkommunikation zu Nach- richten nachgehen� Eine solche Studie zu Fankommunikation im Kontext von Nachrichten steht im Zusammenhang mit vielfältigen Forschungsar- beiten, die sich mit der Rolle eines aktiven und partizipierenden Publikums im Kontext digitaler Medien befassen� Bereits Jenkins (2006) hat darauf hingewiesen, dass aktive Rezipient*innen sich im Internet wie Fans ver- halten� Unter den Bedingungen neuer Medien würden sich – spontan oder entlang strategischer Anreize der Medienindustrie – partizipative Rezep- tionsgemeinschaften mit Ähnlichkeit zu schon länger beschriebenen Fan- gemeinschaften herausbilden� Solche digitalen Rezeptionsgemeinschaften beschränken sich aber nicht nur auf jene Bereiche des Sports, der Popmusik oder der fiktionalen Unterhaltung� Zuletzt hat sich die Fanforschung inten- siver mit der Vermischung von politischer Kommunikation und Fantum befasst (z� B� Hinck / Davisson 2020) und neben dem politischen Aktivismus von Fans auch Formen von Fankultur in der Politik untersucht (z� B� Win- ter 2020, Virino / Ortega 2019)� Auch im Zusammenhang mit politischen Informationssendungen und Nachrichtenformaten haben sich – spontan oder von journalistischer Seite gesteuert – Formen einer aktiven Zuschau- er*innenbeteiligung herausgebildet, die von bisheriger Fanforschung jedoch nur am Rande beachtet wurden� Ein Ziel des Beitrags ist es daher, solchen „fan-l ike forms of engagement with mediatized politics“ (Wilson 2011: 445) in der österreichischen Medienlandschaft nachzuspüren� Forschungsfrage 1: Welche fanähnlichen Formen der Beteiligung sind in der digitalen Begleitkommunikation zu Nachrichten erkennbar? In seiner Untersuchung von Fanforen betont Klemm (2012: 24) das viel- fältige Spektrum des kommunikativen Fan- Handelns und arbeitet einige exemplarische Fanpraktiken heraus: u� a� das emphatische Bekennen zum und die Verehrung des Fanobjekts, das diskursive Aushandeln von gemein- samen Werten und die Unterscheidung in „echte“ Fans sowie das gemein- same Lästern mit Gleichgesinnten (vgl� Klemm 2012: 18, 20– 22)� Mit 56 Daniel Pfurtscheller einer detaillierten Analyse von Livetweets im Fußball hat Meier (2019) die mediatisierte Fanpraktik des „Mitfieberns“ beschrieben� Seine Posi- tionierungsanalyse im Anschluss an Du Bois (2007) zeigt, dass Ausdruck und Thematisierung von Emotionen für die Twitternutzer*innen kommu- nikative Ressourcen sind, um sich im Feld der Fans zu positionieren sowie Situativität und Unmittelbarkeit im schriftlichen Medium zu inszenieren� Durch kommunikativ- performative Praktiken, die als Begleithandlungen zur Medienrezeption erscheinen, wird mediatisiertes Mitfiebern so für andere rezipierbar gemacht� Ungeklärt ist angesichts der fehlenden ver- gleichenden Arbeiten, was Live- Tweets von Sportfans (vgl� Meier 2019), das Nebenbei-T wittern zum sonntäglichen Tatort (vgl� Androutsopoulos / Weidenhöffer 2015) oder Äußerungen zu politischen Talkshows (z� B� Bucher 2019; Klemm / Michel 2014) gemeinsam haben� Forschungsfrage 2: Was sind die Besonderheiten von Nachrichtenfans und wo liegen die Gemeinsamkeiten mit den digitalen Aneignungspraktiken anderer Fankulturen? 3 Forschungsgegenstand und Datenkorpus Um diese Fragen zu beantworten, werden im Folgenden Live- Tweets zu Fernsehnachrichten untersucht� Das Gesamtkorpus besteht aus mehreren Datensätzen von Twitterbeiträgen, die begleitend zu Nachrichtenangebo- ten im Fernsehen veröffentlicht wurden� Alle Twitter- Beiträge wurden in einem maschinellen Scraping-V erfahren mithilfe von Python extrahiert und mitsamt aller verfügbaren Metadaten (u� a� Anzahl der Antworten, Favorisierungen und Retweets) in eine CSV-D atei gespeichert� Der Schwer- punkt der Datensammlung liegt auf den öffentlich- rechtlichen Angeboten des ORF, die zu den am intensivsten besprochenen österreichischen Medi- eninhalten auf Twitter zählen� Das größte Teilkorpus der Studie besteht aus Tweets zum österreichischen Nachrichtenmagazin „Zeit im Bild 2“ (ZIB2-K orpus, insgesamt 149�580 Tweets)� Das Gesamtkorpus der Studie besteht aus 208�158 Twitter-N achrichten, die im Zeitraum von Februar 2008 bis September 2019 veröffentlicht wurden� Dieser lange Zeitraum ermöglicht diachrone Betrachtungen, was insbesondere für die Beurteilung der längerfristigen Beteiligung einzelner Nutzer*innen relevant ist� Diese längerfristige Beteiligung ist für die Analyse entscheidend, weil es unter Nachrichtenfans 57 anderem die längerfristige Beziehung zu einem Fanobjekt ist, die Zuschau- er*innen von Fans unterscheidet� Bei der Exploration dieser umfangreichen Datenmenge wurde ein ite- ratives Samplingverfahren für Social- Media- Daten genutzt, das sich an der Grounded- Theorie- Methodologie orientiert (Latzko- Toth / Bonneau / Millette 2017)� Ich habe die Daten in mehreren Schritten mit verschiede- nen korpuslinguistischen Verfahren durchforstet und Auszüge in ATLAS�ti offen codiert� Auf Grundlage dieses Auswertungsschritts wurden dann weitere Daten mittels gezielten Samplings ausgewählt� Wurden dabei wei- tere für die Fragestellung relevante Hashtags und Teildiskurse identifiziert, wurden auch diese Daten über eine Twitter-S uche ausfindig gemacht und so ebenfalls in die Analyse miteinbezogen� Ganz im Sinne eines korpus- pragmatischen Zugangs verbindet dieses iterative Verfahren die Suchmög- lichkeiten größerer Korpora mit der qualitativen Analyse von maschinell und manuell gesammelten Social-M edia- Daten (vgl� Pfurtscheller 2020) Um Fankulturen in der interaktiven Aneignung von Fernsehnachrichten aufzuspüren, habe ich deduktive und induktive Analysestrategien kombi- niert� Bei der qualitativen Sichtung der Daten habe ich mit einem mikro- analytischen Fokus (vgl� Giles et al� 2015) auf spezifische Ausdrucksformen auf der lexikalischen Ebene sowie auf fanspezifische Sprachhandlungsmus- ter geachtet sowie nach der expliziten Thematisierung von Fantum und den spezifischen Fanobjekten im Kontext der Sendungen gesucht� Zudem habe ich mich an in der Literatur bereits beschriebenen Aneignungsprak- tiken von Fernsehsendungen orientiert und als Heuristik auf meine Frage- stellung bezogen� Mit Rückgriff auf Androutsopoulos und Weidenhoffer (2015) habe ich in drei zentralen Handlungsbereichen von mediatisierter Anschlusskommunikation auf Twitter – das Rezeptionsereignis rahmen, die Sendung global bzw� lokal kommentieren – vertieft nach Spuren von Fankulturen gesucht� 4 Analyse Ich präsentiere meine Analyse in drei Schritten: Zuerst gehe ich auf grund- sätzliche Aspekte der Fankommunikation im Nachrichtenkontext ein und erläutere, welche spezifischen Fanobjekte in der Begleitinteraktion auf Twitter identifiziert werden können� Danach konzentriere ich mich auf die 58 Daniel Pfurtscheller exemplarische Darstellung einzelner Fanpraktiken, die bei der Rahmung des Rezeptionsereignisses sowie der globalen oder lokalen Kommentie- rung der Nachrichtensendung eine zentrale Rolle spielen� Schließlich kon- zentriere ich mich auf einen spezifischen Aspekt der ZIB2- Fankultur und untersuche, wie einzelne Fanobjekte mit (semi)-f iktionalen Motiven ange- reichert und im Zuge einer gemeinsamen Scherzkommunikation ironisch überzeichnet werden� 4.1 Fanbeziehungen und Fanobjekte Zunächst stellt sich die Frage, welche potenziellen Nachrichtenfans und spezifischen Fanobjekte (‚Lieblinge‘) sich in den sendungsbegleitenden Live-T weets finden lassen, und wie mögliche Fanbeziehungen in den Daten sprachlich verhandelt werden� Hinweise auf eine längerfristige und einigermaßen leidenschaftliche Fanbeziehung können erstens der Intensitätsgrad der Nutzung und die zeitliche Konstanz der Zuwendung liefern� Betrachtet man die reine Frequenz der Beteiligung als Kennzahl, lassen sich in den Daten rela- tiv schnell einzelne Nutzer*innen aufspüren, die man in Anlehnung an Gadringer et al� (2019) als Nachrichten-E nthusiast*innen bezeichnen könnte: Diese sehr aktive Gruppe investiert Zeit und Mühe, um über mehrere Jahre hinweg beinahe täglich zur ZIB sendungsbegleitend zu twittern� Spitzenreiter*innen kommen über einen längeren Zeitraum auf 50 bis 90 Live-T weets pro Monat� Man kann in diesen Fällen also von einer längerfristigen Hinwendung und intensiven Beziehung zur Nach- richtensendung sprechen: Es sind treue und regelmäßige Zuschauer*in- nen der ZIB, zudem schätzen diese Personen die Möglichkeiten, sich auf Twitter öffentlich über Nachrichten am Second Screen austauschen und vernetzen zu können� Eine hohe Frequenz allein (die z� B� auch Teil der Berufspraxis sein kann) lässt jedoch nicht per se auf einen Fan- Status schließen� Mögliche Fanbeziehungen können zweitens durch explizite Thematisie- rung in den Daten evident werden� Damit sind Äußerungen gemeint, bei denen sich jemand über das eigene (oder fremde) Fan- Sein äußert� Hin- sichtlich dieses Aspekts hat die Analyse ergeben, dass im Kontext des sen- dungsbegleitenden Twitterns keine ausführliche Reflexion über das eigene Nachrichtenfans 59 Fansein unternommen wird� Elaboriertere metapragmatische Fanprakti- ken, etwa diskursive Aushandlungen dessen, was „echte“ Fans ausmacht (vgl� Klemm 2012, 18), finden sich in den untersuchten Daten keine� Es gibt aber durchaus explizite Fan- Positionierungen, die im Rahmen von lokalen Kommentierungen zur Bewertung von Sendungsaspekten genutzt werden� Die Bekundung des Fan- Seins ist dabei in der Regel funktionali- siert: Wie in den folgenden zwei Beispielen zu erkennen, positioniert man sich dabei selbst als Fan, um einen Aspekt der Nachrichtensendung zu loben oder zu kritisieren (Angaben in Klammern: Twitter-H andle, Datum, Antworten/ Retweets/ Favorisierungen): (1) Bin ein fan von christian wehrschütz! #ZiB2 #chapeau (leingruber, 2014- 08- 06 22:06:13, 0/ 0/ 1) (2) verabschiedung in gebärdensprache anlässlich des int� tags der behin- derung� wie kann man kein fan von @lou_ lorenz sein? #zib2 (jhas- lauer, 2016- 12- 02 22:39:56, 1/8 / 31) Durch die eigene Fanbekundung wird ein Aspekt der Sendung hervor- gehoben und positiv evaluiert, in beiden Beispielen geht es konkret um zwei Personen: In (1) ist der ORF- Korrespondent Christian Wehrschütz als Fanobjekt angegeben; die implizite Bewertung, die sich durch diese Selbstpositionierung als Wehrschütz-F an ergibt, wird durch die Verwen- dung des Hashtags #chapeau zusätzlich unterstrichen� In (2) ist die Fan- Positionierung in eine rhetorische Frage verpackt; als Fanobjekt wird die Moderatorin Lou Lorenz-D ittelbacher angesprochen, die über ihr Twitter- Handle auch direkt adressiert wird� Während (1) ganz an den Sendungs- kontext gebunden ist, findet sich bei (2) ein vorangestellter Hinweis, der die spezifische Leistung der Moderatorin nennt – es geht um eine anlass- bezogene Verabschiedung in Gebärdensprache – und damit als Grund des Lobs angibt; mit diesem Kontexthinweis wird der Live- Tweet auch für eine größere Öffentlichkeit auf Twitter verständlich gemacht� Ob es sich bei solchen Fanbekundungen nur um ein Formulierungsmuster han- delt oder hier ‚echte‘ Fans am Wort sind, lässt sich auf der Grundlage der Daten nicht sagen� Beachtenswert erscheint aber, dass Fan im Kontext des sendungsbegleitenden Twitterns zu Informationsangeboten als geeignete Selbstbezeichnung erscheint� 60 Daniel Pfurtscheller Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die Fanbeziehung stark per- sonalisiert ist: Im Zentrum der Beziehung von Nachrichtenfans und dem Medienprodukt Nachrichtensendung stehen weniger die Inhalte oder die journalistischen Leistungen, sondern einzelne Personen, die man zu den eigenen Favoriten zählt und zu denen man eine besondere (parasoziale) Beziehung hat� Vor diesem Hintergrund der intimacy at a distance (Hor- ton / Wohl 1956) betrifft das Aushandeln der eigenen Fanbeziehung dann häufig auch den Emotionsausdruck in Bezug auf einen ‚Liebling‘ (Lieb- lingsmoderator*in, Lieblingskommentator*in, Lieblingsjournalist*in etc)� Kontext des folgenden Beispiels ist die Berichterstattung im Zuge der österreichischen Regierungskrise 2019, die von mehreren, teils mehr- stündigen Sondersendungen im ORF begleitet wurde� In diesem Zusam- menhang ist ein junger Moderator (Tobias Pötzelsberger) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden� In der folgenden Sequenz, die aus einem initialen Live-T weet und zwei Antwort-T weets besteht, erscheint der Moderator Pötzelberger als Fanobjekt� Die Sequenz wird mit der Klage eines Pötzelsberger- Fans eröffnet, dass ihr Lieblingsmoderator („Pötzi“) heute nicht zu sehen sei (3)� In den Anschlusszügen wird in dieses gemein- same Leid eingestimmt (4) und mit dem tröstlichen Hinweis beantwortet, dass man immerhin mit einem Auftritt des Politikwissenschaftlers Peter Filzmaier („Filzi“) rechnen könne (5)� (3) sonder #zib ohne pötzi macht keinen sinn� köma #poetzelsbergerul- tras trenden lassen?! 😎 (frau_ _ karl, 2019- 05- 20, 20:59:27, 2/ 0/ 5) (4) Ka pötzi, ka filzi�� i drah wieda o (bavarian_ poetry, 2019-0 5- 20, 21:01:09, 0/ 0/ 1) (5) Später kommt #filzi #filziforkanzler (giftigeblonde, 2019- 05- 20, 21:01:27, 0/ 0/ 2) In den Tweets, die zeitlich parallel zur laufenden Nachrichtensendung geschrieben und rezipiert werden, wird an mehreren Stellen eine Fan- aneignung von Nachrichtensendungen greifbar� Auf der inhaltlichen Seite zeigt sich die Fanbeziehung, da es anscheinend nicht nur um die Inhalte der Sondersendung geht (die ja jemand anderes ähnlich gut vermitteln könnte), sondern um einzelne Personen (Pötzelsberger, Filzmaier), die als Fanobjekte erscheinen� Sprachlich zeigt sich das an der Verwendung Nachrichtenfans 61 von Koseformen (Pötzi, Filzi) und Fan- Hashtags (#poetzelsber gerultras, #filziforkanzler)� Bezogen auf die gesamten Daten erscheinen als solche ‚Lieblinge‘ unter- schiedliche Mitarbeiter*innen aus dem ZIB- Team (Moderator*innen, Kor- respondent*innen)� Im Speziellen hat die Analyse aber gezeigt, dass auch der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, der in regelmäßigen Abständen in ORF-S endungen zu Gast ist und besonders in Wahlkampfzeiten mit sei- nen Analysen viel Bildschirmpräsenz hat (in der Regel kommentiert Filz- maier alle größeren Wahlkampfduelle und wichtigen politischen Auftritte), eine zentrale Fan- Figur ist� Filzmaier hat auch bei allen Personen, die sich am sendungsbegleiten- den Twittern beteiligen, eine große Fancommunity: Aus rein quantitativer Sicht lässt sich diese zentrale Stellung von Filzmaier in der ZIB2-F ankultur zeigen, indem man die Personennamen, die Nutzer*innern bei ZIB2-L ivet- weets als Hashtags verwenden, hinsichtlich ihrer Frequenz untersucht� Der Zeitraum von 2008 bis 2019 war politisch eine recht turbulente Zeit in Österreich� Es gab mehrere Nationalratswahlen und eine aufgrund von Wiederholungen und Verschiebungen ungewöhnlich lange Bundesprä- sidentenwahl 2016; zuletzt führte im Mai 2019 die sogenannte „Ibiza- Affäre“ zum Bruch der Koalition, Bildung einer Expertenregierung und vorgezogenen Neuwahlen� In der Liste der Personen- Hashtags stehen österreichische Politiker aus diesem Zeitraum daher ganz oben (in abstei- gender Reihenfolge: #strache, #kurz, #kern, #pilz), auf Platz fünf folgt aber Peter Filzmaier (#filzmaier), der es als einziger auch mit einem Spitz- namen (#filzi) in die die Top Ten schafft� Während das politische Personal gewechselt hat, ist der Fernseh- Experte Filzmaier eine Konstante� Ein Auf- tritt des ‚Lieblingsexperten‘ Filzmaier wird von den Nutzer*innen auch mit unterschiedlichen Hashtags verschlagwortet und in der Community geteilt� Im gesamten Datenkorpus findet sich #filzmaier (1�626 Tweets), #filzi (972), #thefilz (93), und #teamfilzi (37)� Für die Annahme einer beständigen und ausgereiften Filzmaier-F ancommunity spricht auch, dass sich Filzmaierfans in den Daten zeitlich weit zurückverfolgen lassen� Das lässt sich beispielsweise am Account von giftigeblonde belegen, die sich im Jahr 2019 als Fan positioniert (5), jedoch bereits Jahre zuvor eine Fanbe- ziehung zu Filzmaier öffentlich gemacht hat: 62 Daniel Pfurtscheller (6) #zib2 mit #filzi😍😍 (giftigeblonde, 2016- 12- 01 21:57:52, 0/ 0/ 0) (7) #zib2 #wahl17 #filzi 😍😍😍 (giftigeblonde, 2017- 09- 19 22:12:37, 0/ 0/ 0) 4.2 F anpraktiken Einige Fanpraktiken, wie die Verwendung von Spitznamen für die eigenen Lieblinge oder der Gebrauch spezifischer Fan-H ashtags, wurden im vorhe- rigen Abschnitt bereits erwähnt� Im Folgenden greife ich drei exemplarische Bereiche heraus und zeichne nach, wie Nachrichtenfans ihr gemeinsames Fernsehritual inszenieren, Darbietungen antizipieren und genießen sowie gemeinsam an eigenen Fanerzählungen weiterschreiben� 4.2.1 Gemeinsames Fernsehritual inszenieren Vernetzte Fans inszenieren auf Twitter ein gemeinsames Fernsehritual, indem sie das Rezeptionsereignis rahmen (Androutsopoulos / Weidenhof- fer 2015: 36)� Insbesondere in Tweets, die kurz vor Sendungsbeginn (die ZIB2 beginnt in der Regel gegen 22�15 Uhr) abgesetzt werden, lassen sich auch für Nachrichtenfans Spuren dieser mediatisierten Praktik nachwei- sen� Nachrichtenfans drücken in solchen Tweets ihre Vorfreude über die anstehende Sendung aus, die dann besonders groß ist, wenn der eigene Liebling zu erwarten ist� So wird in den folgenden drei Tweets die Rezep- tion der Nachrichtensendung angekündigt und die Vorfreude auf „The Filz“ oder „Filzi“ (gemeint ist wiederum der politische Analyst Peter Filz- maier) zum Ausdruck gebracht: (8) Also jetzt noch die @lou_ lorenz und The Filz anschauen, dann habe ich fertig für heute� #zib2 (julia_ ortner, 2017- 12- 18 21:54:53, 3/ 0/ 13) (9) Warte nur mehr auf Filzi in der #zib2 und dann gehts ab ins Bett wer noch? ☺ #zib2 (i_a m_f abs, 2019- 08-2 6 22:02:12, 0/ 0/8 ) (10) Jetzt noch den #Filzi und dann ab in die Hapfe� #zib2 #wahl19 pic� twitter�com/g U9yoEUBus (malex1102, 2019-0 9-1 1 22:13:25, 0/ 0/5 ) Alle drei Tweets realisieren ein gemeinsames Muster („Jetzt ZIB2 mit meinen Lieblingen, dann ab ins Bett“)� Man kann diese Tweets als Äußerungen von Nachrichtenfans deuten, weil hier die Rezeption der Nachrichtenfans 63 Lieblingsnachrichtensendung Teil eines abendlichen Rituals ist: Die ZIB2 wird als letzter und abschließender Akt des Medienkonsums inszeniert, danach hat man „fertig“ (8) und ist reif fürs Bett (9) bzw� die „Hapfe“ (10)� Die gemeinsame Rahmung des Rezeptionserlebnisses auf Twitter erlaubt der Hashtag-C ommunity eine Versammlung vor dem virtuellen Fernse- her; die Tweets haben die Funktion mitzuteilen, wer in diesem Moment auch die Sendung verfolgt� Damit sind diese Tweets auch Angebote für Anschlussreaktionen und für das gemeinsame Gespräch über die Lieb- lingssendung (und in diesem Fall: der Lieblingsexperte „Filzi“)� Dabei ist auch der Ausdruck des persönlichen Empfindens wichtig� Dieser Ausdruck kann auch multimodal ausgestaltet sein: In (10) ist ein GIF eingebunden, das einen Büroarbeiter zeigt, der sich mit dem Gesicht auf den Schreib- tisch legt – ein möglicher Hinweis auf die Müdigkeit des Schreibenden� Die dialogische Interaktionsorientierung der Tweets kann aber auch explizit gemacht werden, wie in (9), wo nachgefragt wird („wer noch?“)� 4.2.2 Darbietungen antizipieren und Leistungen genießen Eng mit der Praktik der Inszenierung eines gemeinsamen Rezeptionser- eignisses verbunden sind Äußerungen, mit denen sich die Beteiligten auf Leistungen ihrer Lieblinge freuen, diese Leistungen gemeinsam antizipie- ren und genießen� Äußerungen von Nachrichtenfans sind daran erkenn- bar, dass der Fokus auf die Performance gelegt wird� In Beleg 11 wird die Hoffnung ausgedrückt, dass Filzmaier wieder die erhoffte Leistung bringt: (11) Hoffentlich ist Filzi wieder ordentlich on fire� 🔥 #orfsg19 #zib2 (_ landrin, 2019- 08- 19 21:56:56, 0/ 0/ 4) Der Ausdruck „on fire“ bedeutet hier, dass jemand enthusiastisch, auf- geregt oder leidenschaftlich bei einer Sache ist und dabei versiert oder erfolgreich agiert� Bei der geäußerten Hoffnung, dass Filzmeier für seine im Sendungsverlauf anstehende Analyse Feuer und Flamme ist, steht ein erhoffter Unterhaltungseffekt im Vordergrund� Im Vergleich zu solchen Antizipationsäußerungen zeigen Live- Bewertungen eine persönliche Erleb- nisperspektive� Solche Praktiken des gemeinsamen Genießens oder Feierns der Performance kann man beispielsweise an folgenden sendungsbeglei- tenden Tweets sehen, bei denen die Leistung der ZIB-M oderator*innen hervorgehoben wird: 64 Daniel Pfurtscheller (12) Herr Wolf heute wieder mal in Höchstform :) #ZiB2 (stefaniegraber, 2013- 02- 04 22:11:55, 0/ 0/ 0) (13) @ArminWolf heut on fire 🔥 #zib2 (joh_ willi, 2019- 07- 30 22:11:56, 0/ 0/ 0) (14) @lou_ lorenz heute in Höchstform! wo lernt man so zu fragen… uni oder doch die Taktik einer mutter?!?!? Respekt! #zib2 (pferdlhuber, 2015- 01- 09 22:50:51, 0/ 0/ 1) (15) Tarek Leitner ist in Höchstform!! #zib2 (eugenschmidt79, 2015- 11- 06 22:22:53, 0/ 0/ 2) Kontext dieser Äußerungen sind jeweils Live- Gespräche zwischen den hier angesprochenen ZIB- Moderator*innen und verschiedenen Studiogästen� In den Tweets wird die Leistung der Moderator*innen gelobt und im Rah- men einer globalen Bewertung als Hoch- oder Höchstleistung gefeiert� Angesichts dieser Konzentration auf die Performanz einzelner Liebings- moderator*innen und ihrer konzisen Form kann man diese Tweets auch als Ausdruck eines nachrichtenbezogenen „Fanjubels“ sehen, der jedoch noch deutlich expressiver kürzer ausfallen kann (vgl� Abschnitt 4�2�3)� Im Gegensatz zu anderen Live- Tweets, die inhaltliche Aspekte der Live- Inter- views thematisieren, wird aber bereits an dieser Stelle die Unterhaltungs- funktion deutlich, die Fernsehnachrichten einem solchen Fanpublikum bieten kann� Dass man sich von den Nachrichtensendungen nicht nur gut informiert, sondern auch gut unterhalten fühlt, wird auf ähnliche Weise in der Begleit- kommunikation immer wieder zum Ausdruck gebracht� Folgende zwei Tweets sind Belege für sendungsabschließende Kommentare, die ebenfalls die „Form“ einzelner Akteur*innen thematisieren, dabei aber zusätzlich den Moment der Spannung hervorheben: (16) #zib2 heute besser als jeder Krimi und ein #filzmaier in Hochform� So muss #orf sein� (peterkarlat, 2019- 08- 16 22:31:24, 0/ 0/ 4) (17) Beste ZIB seit langem� Spannende Regie wie ein Krimi Danke @ PatrickGruska @lou_l orenz und alle anderen dabei� Vor allem aber den heutigen Strahlemann des Abends „The Filz“ Politik- Höchstrichter in Höchstform #ZiB2 (wideralalalala, 2019-0 8- 16 23:31:29, 0/ 0/ 4) Nachrichtenfans 65 Durch den Vergleich mit dem Unterhaltungsgenre des Krimis wird in bei- den Tweets der Unterhaltungseffekt deutlich� Die Nutzer*innen positio- nieren sich selbst als gut unterhaltenes Publikum� Gekoppelt ist diese Form der Selbstpositionierung mit einem Lob an den gesamten ORF (16) oder an einzelne Journalist*innen (17), die über die Adressierung direkt ange- sprochen werden� Den Fokus auf die zu erbringende Leistung einzelner Akteur*innen – Moderation, Kommentar, Regie – kann man daher auch als Hinweis auf eine spezifische Aneignungspraktik sehen, die politische Auseinanderset- zungen in Fernsehgesprächen als dieses unterhaltsame Spektakel sieht� Dabei zeigen sich durchaus auch Parallelen zu anderen mediatisierten Fanpraktiken, wie dem von Meier (2019) beschriebenen „Mitfiebern“ im Bereich des Sports: Auch Nachrichtenfans erwarten von ihren Lieblingen eine besondere Leistung, freuen sich im Voraus und feiern die Performance in Begleitäußerungen� 4.2.3 Jubeln Neben den bisher beleuchteten globalen oder lokalen Kommentierungen des Sendungsgeschehens lassen sich Spuren des gemeinsamen Genießens auch anhand von „Herausplatzern“ rekonstruieren, wie sie von Baldauf (2001: 199) für das Sprechen beim gemeinsamen Fernsehen beschrieben worden sind� Nach Goffman (1981: 99) sind Herausplatzer (blurtings) kurze Ausrufe (response cries), Flüche oder andere, nichtlexikalisierte Interjektion oder unsegmentierte Sprachlaute� Auch in der geschriebenen Begleitkommunikation zur ZIB2 kommen solche Herausplatzer und Aus- rufe immer wieder vor� Besonders intensiv und gehäuft zeigen sich solche response cries bei Fans von Peter Filzmaier, die das Erscheinen von „Filzi“ nicht nur herbeisehnen, sondern ihrer Begeisterung auch mit Minimal- reaktionen Ausdruck verleihen� Ein Beispiel für eine solche minimale Form des Aufjubelns ist (18), der als Live- Tweet aus dem Namen des eigenen Lieblings, einem Emoji- Triplett (lachendes Gesicht mit Herz-A ugen) und dem Sendungshashtag besteht: (18) FILZMAIER 😍😍😍 #zib2 (perilladerafa, 2017-1 2- 16 20:28:38, 1/ 0/ 0) 66 Daniel Pfurtscheller Am häufigsten nutzen Nachrichtenfans aber den Spitznamen Filzi, um ihrem Liebling zuzujubeln� Um Ausrufe im schriftlichen Modus anzu- deuten, werden Graphemwiederholungen genutzt, um eine Lautdehnung anzudeuten� In den Daten lässt sich eine Reihe von verschiedenen Varian- ten dieser Graphemwiederholungen mit Ausrufqualität finden (Tabelle 1)� Tab. 1: Zusammenstellung von Filzmaier- Ausrufen mit dehnungsindizierenden Graphemwiederholungen Variante Beispielbeleg Filzi #Filzi now! 😍😍😍 (googlehupferl, 2017- 10-1 1 22:05:42, 0/ 0/ 1) Filzii #filzii ❤❤ #wahl19 #Europawahl2019 (swintschnig, 2019- 05- 26 17:29:07, 0/ 0/ 1) Filziii FILZIIII <3 #nrw17 #wahl17 #zib2 #orfwahl17 pic�twitter�com/ l7mikGon1b (i_a m_ fabs, 2017- 10- 09 22:08:22, 1/ 8/ 43) Filziiii FILZIIII� #orfsg16 #zib2 (i_ am_ fabs, 2016-0 8- 22 22:01:15, 0/ 0/ 2) Filziiiii filziiiii! #zib2 #orfsg14 (jimmytesch, 2014-0 8- 11 22:16:58, 0/ 0/0 ) Filziiiiii FILZIIIIII #zib2 pic�twitter�com/Y KegCw4IQa (i_ am_f abs, 2017- 10- 05 22:09:44, 1/ 1/ 10) Filziiiiiiii FILZIIIIIIII #ZIB2 (blauer_ elefant, 2019-0 5- 20 22:30:00, 0/0 /1 ) Filziiiiiiiiii FILZIIIIIIIIII 😁 #Zib2 (evakalla, 2017-0 9-0 7 22:05:55, 0/ 0/ 2) Als Jubeläußerungen von Nachrichtenfans sind diese Tweets durch die angedeutete Silbendehnung und die gehäufte Verwendung von Emojis zu erkennen� Der Auftritt von Filzmaier führt zu einer Aktivierung; in den Live-T weets wird dann ein fanspezifisches emotionales Erleben des Erre- gungsmoments ausgedrückt� Dieses emotionale Erleben ist auch darin zu erkennen, dass die Fans ihren schriftlichen Jubel mit Emojis und teilweise auch mit GIF- Animationen ausgestalten� Die Valenz des emotionalen Erle- bens ist im untersuchten Ausschnitt der Begleitkommunikation durchwegs positiv; negative Äußerungen sind sehr selten, es dominieren die zunei- gungsausdrückenden Emojis� 4.2.4 Gemeinsames Fabulieren und Scherzen Eine Fankultur lebt auch von gemeinsamen Geschichten und Anspielun- gen� Abschließend möchte ich beleuchten, wie Nachrichtenfans spezifische Nachrichtenfans 67 Fanerzählungen aufgreifen, kollektiv fortschreiben und für ein gemeinsa- mes Scherzen mobilisieren� Es ist dabei nicht zu erwarten, dass sich in der Begleitkommunikation zu Fernsehnachrichten ausgebaute Erzählungen finden lassen� Vielmehr zeigen sich in den Tweets mediatisierte Praktiken eines vernetzten und fragmentarischen Erzählens� Im Zusammenhang mit solchen „shared stories“ hat Page (2018) die Relevanz von intertextuellen Bezügen für diese kollaborativen Praktiken eines weiterführenden Erzäh- lens in digitalen Medien deutlich gemacht� Dabei greifen die Beteiligten einzelne Motive auf und setzen sie in Bezug zur aktuell laufenden Sendung� Bei dieser Stilisierung werden einzelne Personen mit fantastischen, überle- bensgroßen Eigenschaften in einer Weise ausgestattet, die dem Prozess der Produktion von Fan- Fiction ähnelt (Kolehmainen 2017)� Auf diese Weise wird im Social-M edia- Diskurs kollaborativ eine Fan- Erzählung weiterge- sponnen, die um einzelne Personen kreist und somit als eine Art „real per- son fan fiction“ (Winter 2020) verstanden werden kann� Die fokussierten Personen werden dabei von den Fans überzeichnet, mit fiktiven Attributen versehen und so zu einem bestimmten Typus hoch- stilisiert� Wie sich ein solches personenbezogenes Fabulieren mit einem gemeinsamen Scherzen verbindet, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel von Peter Filzmaier zeigen, der ein Hauptbezugspunkt für diese kollaborativen Praktiken der österreichischen Nachrichtenfans ist� In der untersuchten Begleitkommunikation wird der Universitätsprofessor Filzmaier zu einer Persona stilisiert, der teilweise übermenschliche Fähigkeiten zugeschrieben werden� Zentrale Bezugspunkte dieser gemeinschaftlichen Fiktionalisie- rung von Filzmaier sind das Aufgreifen einer wahrgenommenen „Dauer- präsenz“ in den ORF-P rogrammen und die ironische Überhöhung seiner rhetorischen und menschlichen Fähigkeiten: (18) Der Filzmaier wird nie müde� Der Filzmaier schläft nie ein� Der Filzmaier ist immer vor dem Chef im ORF und analysiert die Wahl schweißfrei� (derkirchner, 2017- 10- 16 09:21:39, 0/ 0/1 ) In (18) wird Filzmaier zu einem fast roboterhaften Wesen übersteigert („schläft nie ein“), der immer zur Stelle ist („immer vor dem Chef im ORF“) und keine Ermüdungserscheinungen kennt („wird nie müde“, „analysiert (…) schweißfrei“)� Ein zentraler Aspekt dieser Stilisierung zu einer fast mythischen Figur ist Filzmeiers Eloquenz: In vielen Fanäußerungen wird 68 Daniel Pfurtscheller die Redegewandtheit als Attribut aufgegriffen und als Motiv eines „atem- losen“ Analysten ironisch überzeichnet� Jeder Auftritt von Filzmaier bietet Nachrichtenfans einen Anlass, dieses Motiv der Filzmaier-F anfiction auf- zugreifen und sendungsbezogen zu variieren: (19) ohne punkt und komma� ohne zu atmen�� filzmaier wie wir ihn lie- ben� #zib2 (bobbi- lein1, 2018- 07- 20 22:12:50, 0/ 0/ 4) (20) mal wieder eine meisterleistung von #filzi heute in der #zib2 in sachen analyse und atem- technik (muellerclaudia1, 2019- 04- 03 22:19:02, 1/ 0/ 3) (21) Der Atemlose kommentiert heiße Luft� #bpw16 #filzmaier #zib2 (schobiz, 2016- 04- 21 22:13:40, 0/ 0/ 0) (22) Filzmaier muss Apnoetaucher sein� #zib2 (christophfreina, 2019- 08- 05 22:06:46, 1/ 0/ 2) (23) #zib2 jetzt redet der Hautatmer #filzmaier unglaublich er redet ohne Luft zu holen (24) #ZiBspezial Ich hab jetzt genau gschaut� Der #Filzi atmet durch die Oawaschl…� pic�twitter�com/ G5Gt2Kj5kd (santorin1, 2019- 05- 27 20:40:27, 0/ 1/ 1) Dieses gemeinsame Fabulieren ist eine sendungsübergreifende und kol- laborative Praktik, die sich hier deutlich mit einem gemeinschaftlichen Scherzen verbindet� Das Kommentieren der Analyseleistung wird in (19) und (20) begleitet von witzelnden Hinweisen auf die besondere „Atem- technik“, die von seinen Fans geschätzt wird� Filzmaiers Eloquenz und die beim Fanpublikum verbreitete Routine, dieses Attribut scherzhaft zu überzeichnen, gehört zum geteilten Wissen der Rezeptionsgemeinschaft der Nachrichtenfans� Auf diesen Wissensbestand kann in der sendungs- begleitenden Fankommunikation angespielt werden, etwa wenn Filzmaier als „der Atemlose“ (21), „Apnoetaucher“ (22) oder „Hautatmer“ (23) angesprochen wird� Ganz ähnlich verläuft auch die gemeinschaftliche Scherzkommunika- tion bei der Überhöhung der Dauerpräsenz� Hier wird Filzmaier in den Fanerzählungen zu einer Art ORF- Inventar stilisiert: Nachrichtenfans 69 (25) #imzentrum #orf … Filzmaier: Maskottchen oder Inventar? (super- klass, 2012- 09- 23 22:40:27, 1/ 0/ 0) (26) Peter Filzmaier, der nun schon fast zum fixen Inventar der #ZIB2 (mit @ArminWolf & @Lou_ Lorenz) gehört, finde ich ja ungeheuer sympathisch! (marcel_ frederic, 2014- 09- 27 12:03:32, 0/ 0/ 0) (27) Gehört jetzt Filzmaier schon zum #zib2 Inventar? (phobia091186, 2015- 02- 03 22:48:05, 0/ 1/ 0) (28) orf inventarnummer 65�474: peter filzmaier� #zib2 (sirtobey, 2015- 02- 26 22:15:20, 0/ 0/ 2) (29) Filzmaier gehört im ORF bereits zum Inventar – ist der dort schon festgeschraubt? #im- zentrum (pfmayer, 2018- 05- 27 22:25:20, 0/ 0/ 2) Auch hier ist zu erkennen, dass derselbe Scherz (Filzmaier gehört zum Inventar) über die Jahre hinweg immer wieder gemacht wird� Die zeitliche Dimension dieser fanspezifischen Scherzkommunikation – der älteste der exemplarisch ausgewählten Tweets stammt immerhin aus dem Jahr 2012 – scheint mir besonders relevant für die Frage nach dem Status einer eigen- ständigen nachrichtenbezogenen Fangemeinschaft zu sein� Wie man hier erkennen kann, hat Filzmaier schon lange ein Fanpublikum auf Twitter (und vermutlich auch darüber hinaus)� Während sich die genannten Inventarwitze auf ein eher allgemeines Idiom beziehen und dieses situativ aktualisieren, lassen sich auch spezi- fischere Fan- Erzählungen identifizieren� Ein Kernstück der stilisierten Anreicherung der Filzmaier-F igur ist die Behauptung, dass Filzmaier gar nicht mehr nach Hause geht, sondern die Nacht im Fernsehstudio ver- bringt: In einem Schlafsack unter dem Tisch� (30) Sagt’s und verschwindet wieder in seinem Schlafsack unter dem Tisch� #filzifilzmaierin- ger #zib2 (friedrichpendl, 2017- 09- 19 22:22:04, 2/ 1/ 9) (31) #Filzi hat sicher schon einen Schlafsack unterm Rednerpult im #zib- Studio 😂 (caro234, 2019- 05- 27 20:36:02, 1/ 1/ 25) (32) “Peter Filzmaier, danke fürs Kommen” Wo doch wirklich jeder weiß, dass #Filzi unterm #ZiB2- Tisch wohnt… #TeamFilzi (googlehupferl, 2017- 10- 09 22:08:19, 1/ 1/ 23) 70 Daniel Pfurtscheller Auf der Grundlage dieser Betrachtungen könnte man sagen, dass Praktiken des gemeinsamen Fabulierens, des Nacherzählens und fragmentarischen Weiterschreibens solcher Fangeschichten zu einer spezifischen nachrich- tenbezogenen Fankultur gehören� Jede Fankultur hat ihre (visuellen, typo- grafischen, verbalen) ‚Markenzeichen‘, die von Kommunikator*innen in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften gezielt aufgegriffen und von den Rezipient*innen als „Signale kultureller Zugehörigkeit“ (Androutsopou- los 2001: 47) gelesen werden� Für österreichische Nachrichtenfans gehört zu diesen Signalen sicherlich auch das Wissen um die Fiktionalisierung von Filzmaier� Gerade Filzmaiers allgemeine Bekanntheit und Berühmtheit macht es schwierig, diese Formen des gemeinsamen Scherzens nur auf die ZIB2- Nachrichtenfans zu beschränken� Dies zeigen zum Beispiel die folgenden beiden Tweets, die Stilisierungen von Filzmaier außerhalb des ZIB2- Kon- textes stellen und den hier beschriebenen Typus des allzeit bereiten politi- schen Analysten dabei narrativ entfalten: (33) Glawischnig tritt zurück� Peter Filzmaier zippt seinen Schlafsack auf, klettert unter dem Tisch des ORF Newsroom hervor und ist…bereit! (friedrichpendl, 2017- 05- 18 09:09:00, 5/ 54/ 339) (34) Es wird erzählt, Filzmaier sei heute Nachmittag schon seufzend, und mit Schlafsack und Zahnbürschtl, am Küniglberg aufmarschiert… (fellnandreas, 2019- 05- 18 21:52:44, 0/ 1/ 2) Beide Tweets greifen Fan- Narrative von Filzmaier im Kontext von aktuel- len politischen Ereignissen auf: Ausgangspunkt für die Miniaturerzählung in (33) ist der angekündigte Rücktritt einer Politikerin, also ein Nach- richtenereignis außerhalb des ZIB-S endungskontexts� Beleg (34) ist zeit- lich zwar als sendungsbegleitender Tweets identifizierbar, richtet sich aber ebenfalls nicht explizit an die ZIB2-R ezeptionsgemeinschaft� Beide Fälle zeigen, dass Fanerzählungen von Filzmaier in einem größeren Zusammen- hang auf Twitter geteilt werden� Für eine weitere Verbreitung solcher fan- kulturellen Praktiken spricht auch, dass die Filzmaier- Fanfiction auch von journalistischen Accounts weitererzählt wird: So hat der ZIB-M oderator Armin Wolf das Fanmotiv vom im Studio wohnenden Filzmaier schon in einem Tweet aus dem Jahr 2017 aufgegriffen und damit quasi offiziell bestätigt: Nachrichtenfans 71 (35) Filzmaier schläft unter dem ZiB- Tisch� Verlässt Studio nur, um in der ORF-K antine zu essen� 1x die Woche� (arminwolf, 2017- 01- 02 23:43:30, 5/ 5/ 51) Endgültig im österreichischen Mainstream angekommen ist das Filzmaier- Fantum schließlich im September 2019, als Peter Filzmaier und Armin Wolf im ORF in einem Sketch für die Satire- Show Willkommen Österreich aufgetreten sind� Nach der (nicht ernst gemeinten) Studioanalyse verab- schiedet sich Armin Wolf mit den Worten: „Vielen Dank für diese gewohnt präzise Analyse Herr Professor, Sie können damit wie immer wie gewohnt in den Schlafsack unter den Zeit-i m-B ild- Moderationstisch“, worauf Filz- maier unter dem Tisch verschwindet�1 Dieses Beispiel verdeutlicht mithin auch, wie einzelne Motive subkultureller Fankulturen fortgeschrieben, von massenmedialen Formaten aufgegriffen und sekundär verwertet werden, bis sie schließlich Eingang in den ‚Kanon‘ der Fankultur finden� 5 Fazit und Ausblick Nachrichtenfans sind nicht nur nachrichtenaffine ‚Newsjunkies‘, sondern haben eine leidenschaftliche Beziehung zu bestimmten Medienformaten und den damit verbundenen Nachrichtenmacher*innen� Mit der Analyse des rezeptionsbegleitenden Twitterns zur österreichischen Fernsehsendung Zeit im Bild konnte ich Onlineaktivitäten rekonstruieren, die man als fan- artige Aneignungspraktiken bezeichnen und zu einer spezifischen Fan- kultur der Medienaneignung rechnen kann� Dazu gehören Praktiken des gemeinsamen Antizipierens und Genießens, des Verehrens und des Mitfie- berns, die in der Regel einem Emotionsausdruck dienen� Zu Fanpraktiken werden die untersuchten kommunikativen Aktivitäten aber vor allem auch dadurch, dass sie vor dem Hintergrund des Wissens um eine Rezeptionsge- meinschaft von ZIB2-F ans vollzogen werden� Auch das Weitergeben von „shared stories“ (Page 2018), das gemeinschaftlichen Fabulieren und Fik- tionalisieren im Kontext von „real person fan fiction“ (Winter 2020) ist Teil dieser mediatisierten Praktiken� 1 Der Satireclip wurde in der 435� Ausgabe der Sendung Willkommen Österreich ausgestrahlt und ist auf YouTube abrufbar: https://y outu�be/ -R Kue 4bMb k0?t= 844, retrieved 20�5�2021� 72 Daniel Pfurtscheller In der Analyse habe ich einige spezifische Gesichtspunkte von Nachrich- tenfankulturen beleuchtet� Im Gegensatz zu anderen Formen mediatisier- ter Fanaktivitäten (z� B� Chagas / Fonseca 2020) geht es hier nicht um eine Übernahme und Transformation von politischen Diskursen in Fankommu- nikation, sondern um ein fan- artiges Spiel mit (politischer) Nachrichten- Kommunikation� Die Trennlinie zwischen politischer Kommunikation im engeren Sinne und einer Diskussion, in der sich journalistische Akteur*in- nen und interessierte Bürger*innen (auch als Expert*innen) zu politischen Themen äußern, lässt sich dabei im Social- Media- Diskurs nicht sauber ziehen� Im Kontext des fernsehbegleitenden Twitterns zeigen sich Fan- kulturen vielmehr als mediatisiertes Spiel mit politischer Kommunikation� Zum einen sind Live-T weets voraussetzungsreiche Sprachspiele, die in der Regel nur im Moment der Rezeption für die anderen Beteiligten verständ- lich werden und kraft dessen auch eine vernetzte Rezeptionsgemeinschaft etablieren können� Über den Moment hinaus ist Fanverhalten in der poli- tischen Kommunikation aber auch ein mediatisiertes Spiel mit Sprache� Das gemeinsame Finden und Verwenden von Spitznamen, die Bravo- Rufe, kurz: Die inszenierte Emotionalität aller Äußerungen wird durch und mit der Schriftlichkeit umgesetzt� Zentrales Moment dieser vernetzten digita- len Praktiken ist das geteilte Vergnügen� Die gemeinsame Rezeption von Fernsehnachrichten im Modus des mitschreibenden Mitfieberns dient der sozialen Signalisierung von Unterhaltung, macht Unterhaltung mitteilbar und ist augenscheinlich auch in der Lage, einen eigenen Unterhaltungswert hervorzubringen� Vor dem Hintergrund der österreichischen Medienlandschaft sind für die untersuchte Gruppe der ZIB2-F ans zwei weitere Aspekte charakteristisch, die man auch im Spannungsfeld von globalen und lokalen Bezügen sehen kann: Die Verwobenheit mit globalen digitalen Medien (hier: Twitter) und lokalen Nachrichtenkulturen einzelner Medienformate (hier: ZIB2)� Für Nachrichtenfans sind digitale Medien und die darin vollzogenen media- tisierten Praktiken nicht nur nützlich, sondern konstitutiv� Fanpraktiken in anderen Domänen, sei es der Sport oder die fiktionale Unterhaltung, werden durch digitale Medien verändert und in mediatisierter Form voll- zogen� Nachrichtenbezogene Fanpraktiken, wie ich sie hier untersucht habe, wären ohne die vernetzte Öffentlichkeit digitaler Medien nicht in dieser Form möglich� Man könnte sich Nachrichtenfans zwar auch im Nachrichtenfans 73 Kaffeehaus oder im Wohnzimmer vorstellen, wo sie hinter Zeitungen ver- steckt oder vor dem Fernseher versammelt in einem open state of talk (vgl� Goffman 1981: 134) wechselseitig Äußerungen in den Raum stellen� Als öffentliche und vernetzte Formen setzen nachrichtenbezogene Fanprakti- ken aber digitale Medien voraus� Die Persistenz der Äußerungen, die über Hashtag und Follower- Netzwerke verbunden sind, trägt zur „Fanartig- keit“ im entscheidenden Maße bei� Nachrichtenfans unterscheiden sich von anderen Fans aber auch dadurch, dass ihre selbstdefinierten Bezugs- punkte in intensiver und selbstreferentieller Weise mit nationalen Kultu- ren der Nachrichtenrezeption verbunden sind� Diese Nachrichtenkulturen haben eine gewisse Stabilität, stehen aber immer auch im Zusammenhang mit dem lebendigen, sich ständig verändernden Zuschauererlebnis beim Akt des Schauens von Nachrichten� Die Anerkennung einer kollektiven Fangemeinde und einer Loyalität gegenüber Nachrichtenformaten ist um diese Zuschauererfahrungen herum strukturiert� Nachrichtenfans sind somit Teil einer medienaffinen Welt und des vernetzten Bedeutungsraums des Internets, durch den ein kollektiv geteiltes Wiederaufleben von nach- richtenbezogenen Zugehörigkeitsgefühlen erst möglich ist� Für Fankulturen generell ist gesagt worden, dass die Beziehung zwi- schen Fan und Fanobjekt mit einer Bedeutungsverschiebung einhergeht� „Ändert oder verschiebt sich die Bedeutung, die bestimmten Objekten zugeschrieben wird, können diese in der Folge auch zu Fan- Objekten werden“ (Schmidt- Lux 2017: 44)� Beispielsweise wurde im mittelalterli- chen Turnier der Bogen nicht mehr als Jagd- oder Kriegsgerät, sondern im Kontext eines Schau- und Sportwettkampfs verwendet und damit als Gegenstand potentielles Fan- Objekt� Ebenso zweckentfremden Numisma- tiker*innen, Philatelist*innen und andere seit Jahrhunderten ihre Gegen- stände im Zuge ihre Sammelleidenschaft� Für den trainspotter sind Züge viel mehr als nur Transportmittel� Ebenso lassen sich für Nachrichtenfans die Fernsehnachrichten nicht auf ihr Informationsangebot reduzieren� In der Mediennutzungsforschung geht man davon aus, dass der Umgang der Menschen mit Medien recht differenziert ist: Wer sich infor- mieren will, schaltet Nachrichtensendungen oder politischen Magazine ein; wer Unterhaltung und Ablenkung sucht, greift zu Spiel- und Reality- Shows oder Comedysendungen; und wer in anderen Erzählwelten versin- ken will, wird bei Serien und Fernsehfilmen fündig� Die hier untersuchten 74 Daniel Pfurtscheller Aneignungspraktiken von Nachrichtenfans machen aber deutlich, dass Nachrichtensendungen für diese Personen Informationsquellen, aber gleichzeitig auch Quellen der Unterhaltung sind, mit eigenen Charakteren und Geschichten, die abseits der Nachrichten stehen� Eine vergleichende Untersuchung der kommunikativen Aneignung dieser und anderer Medi- enformate könnte ein genaueres Bild des Verhältnisses von Information und Unterhaltung zeichnen und das nach wie vor verbreitete Vorurteil kor- rigieren, wonach Informationsangebote nur in einem sachlich- nüchternen Modus konsumiert werden� „We have entered an historical moment in which political communication is filled with fandom“, schreiben Hinck und Davisson (2020)� Neben der Aneignung von populärer Fankulturen durch die Politik sollte die Forschung auch Fankulturen der Aneignung von Politik im Blick behalten� 6 Literatur Androutsopoulos, Jannis / Weidenhöffer, Jessica, 2015: „Zuschauer- Engagement auf Twitter: Handlungskategorien der rezeptionsbeglei- tenden Kommunikation am Beispiel von #tatort“� Zeitschrift für Angewandte Linguistik 62(1), 23– 59� Androutsopoulos, Jannis, 2001: „Textsorten und Fankulturen“� In: Klein, Josef / Habscheid, Stephan / Fix, Ulla (Hrsg�): Kulturspezifik von Textsorten� Stauffenburg: Tübingen, 33– 50� Androutsopoulos, Jannis, 2016: „Mediatisierte Praktiken� Zur Rekon- textualisierung von Anschlusskommunikation in den Sozialen Medien“� In: Deppermann, Arnulf / Feilke, Helmuth / Linke, Angelika (Hrsg�): Sprachliche und kommunikative Praktiken� De 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wc�2020�1679� Dorothee Meer / Anastasia- Patricia Och Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik – Zur graduellen Einordnung von Fanpraktiken auf YouTube und Twitter Abstract: The presented paper discusses (teenage) fan practices on social media and methodological implications for their analysis� Therein, examples from two distinct social media platforms – beauty and styling videos on YouTube and FridaysFor- Future tweets on Twitter – demonstrate how fan practices are embedded in different contexts and in (teenage) identity negotiations in different ways� Applying Klemm’s (2012) approach for analysis, we argue that forms of doing being a fan cannot be declared as fandom generally, but instead need to be described on a variable scale between more or less fan-a ffine actions� Thus, fan- affine actions could be the main focus in (fan) practices as well as combined with or integrated in various other practices� Key words: fan practices, fandom, fan- like actions, prototypical description, hyper- media, social media communication 1 Einleitung Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bildet die Annahme, dass sich das Verhalten von Fans mit Michael Klemm (2012) gesprochen als ein ‚Doing being a fan‘ beschreiben lässt� Aus empirischer Perspektive bieten sich in diesem Zusammenhang ein Vielzahl von Ansatzpunkten für Unter- suchungen: Studien zu den Verhaltensweisen von Fans auf Konzerten oder in Stadien (Millward 2011; Schwenke 2014), zu Kommentarlisten von Tutorials und Hauls (Böckmann et al� 2019; Meer 2018; Meer/ Staubach 2020), zu Let‘s Plays auf YouTube (Marx/S chmidt 2019; Reiss 2014), zu T- Shirtaufdrucken (Staubach 2020) und zu anderen Merchandising-P ro- dukten (Affuso/ Santo 2018; Ströbel/W oratschek/ Durchholz 2019), um nur einige zu nennen� Geht man von solchen Varianten des Fanverhaltens aus, so kann das Fan- Sein als spezifische Form der Identitätsarbeit begrif- fen werden, mit der ein Fan sich durch optisch wahrnehmbare Formen des Körperausdrucks, durch verbale Äußerungen bzw� körpersprachliche 80 Meer / Och Gesten oder durch Formen der Interaktion – sei es face-t o- face oder digital vermittelt – als Fan zu erkennen gibt� Allerdings verbergen diese evidenten Annahmen ein methodisches Prob- lem, das seit dem Beginn der Fanforschung zu beobachten ist� So lässt sich auf der Ebene des empirischen Zugangs feststellen, dass Fragen des Fan- doms vorrangig anhand von typischen Korpora untersucht werden, Kor- pora also, bei denen es ohne jeden Zweifel um Verhaltensweisen von Fans geht� Ziel ist es hierbei häufig, dem Wesen des Fan-S eins aus unterschied- lichen Perspektiven und mit unterschiedlichen methodologischen Implika- tionen auf den Grund zu gehen (Busse 2014: 19)� Dieses nachvollziehbare Anliegen hat auf der Ebene der empirischen Gegenstände allerdings zur Folge, dass bereits bei der Korpusbildung Vorentscheidungen getroffen werden, die auf (vermeintlich) gesicherte Vorannahmen zurückgehen, wer und was ein Fan ist� So bezieht sich Michael Klemm (2012) im Rahmen seines medien- und handlungstheoretischen Zugangs zum Verhalten von typischen Fangrup- pen beispielsweise auf ein Fanforum von Andrea Berg und eines der TV- Serie ‚Lindenstraße‘� Ein solches Vorgehen macht bereits durch die Wahl der medialen Plattform des Fanforums erkennbar, dass ein bestimmter Fall des Fan- Seins untersucht werden soll, der des bekennenden Fans� Dabei soll keineswegs übersehen werden, dass Klemm zu einer in sich geglie- derten Binnendifferenzierung von Unterschieden kommt, sowohl inner- halb des jeweiligen Fanforums als vor allem auch zwischen den beiden unterschiedlichen Fangruppen (Klemm 2012: 26 f�)� Ungeklärt bleibt bei Untersuchungen wie dieser jedoch die Frage, welche Rolle dem Fan- Sein außerhalb solcher typischen Kontexte zukommt� Dass es sich hierbei nicht um eine überflüssige Frage handelt, wird deut- lich, wenn man auf den Bereich der Politik schaut� Hier analysiert Wilson (2011) ‚politische Fans‘ als eine andere Variante des Fandoms, an der sich die Problematik der Orientierung auf typische Formen des Fan-S ein ver- deutlichen lässt: Denn während wir (vielleicht nach einem kurzen Zögern) vermutlich bereit wären, das Verhalten von Wahlkampfunterstützer*in- nen von Donald Trump, die beispielsweise 2016 mit den entsprechenden Devotionalien euphorisch ihre Unterstützung demonstrieren, als Fandom zu bezeichnen, ist die Frage, ob es sich bei den Unterstützer*innen von Angela Merkel auf einer Wahlkampfveranstaltung 2016 auch um Fans Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 81 oder vielleicht doch besser um politisch aktive Bürger*innen (bestenfalls um Anhänger*innen) gehandelt hat, nicht so klar zu beantworten� Das Problem, das sich an der simulierten Kontrastierung unserer Wahr- nehmung von Anhänger*innen Trumps im Gegensatz zu Anhänger*in- nen von Merkel bezogen auf die Fan-F orschung festmachen lässt, ist an dieser Stelle keines der politischen Inhalte� Vielmehr geht es im Rahmen dieses Beitrags darum, zu fragen, welche Teilhandlungen konkreter Ver- haltensweisen dazu beitragen, als Fandom wahrgenommen zu werden und welche Funktion anderen Teilhandlungen in einem solchen Kontext zukommt� Diese Vorüberlegungen verweisen auf das in Teilen empirisch (mit)erzeugte Problem, dass Fragen des Fandoms stark anhand eines Bina- rismus aus Fan- oder Nicht- Fan- Sein betrachtet werden� Dies gilt sowohl auf der Ebene des Verhaltens im Feld, wenn man beispielsweise Diskussio- nen in Fanblöcken im Fußballstadion berücksichtigt, die sich auf die Frage beziehen, ob jemand denn eigentlich ein ‚richtiger Fan‘ sei1, als auch auf die hier relevant gesetzte methodische Frage der Zusammenstellung empi- rischer Korpora als Korpora typischen Fandoms� Unter Bezug auf diese Problematik wird es in diesem Beitrag darum gehen, das Konzept des Fan- Seins stärker als ein graduelles Konzept zu begreifen� Dazu werden Handlungen, die als typisches Fan-V erhalten beschrieben werden können, im Anschluss an Kristina Busse (2014: 27) als fanaffine Teilhandlungen unter anderen begriffen� Hieran anschließend soll davon ausgegangen werden, dass konkretes Fanverhalten häufig nicht binär als ‚Entweder – Oder‘ begriffen werden kann, sondern eher prototy- pisch anhand von unterschiedlichen Graden der Fanaffinität, die zwischen den Polen von ‚fanaffinen‘ und ‚nicht fanaffinen‘ Verhaltensweisen ange- siedelt sind, unterschieden werden muss�2 Ein solcher gradueller Ansatz lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass fanaffine Verhaltenswei- sen eben nicht zwingend und nicht immer auf die gleiche Weise, mit der gleichen Intensität und mit der gleichen Deutlichkeit auf Fanidentitäten verweisen, wie dies der Begriff des Fandoms unterstellt� Um diese Überlegungen empirisch gestützt motivieren zu kön- nen, haben wir zwei Teilkorpora zusammengestellt, die sich deutlich 1 Siehe dazu bezogen auf die Fans von Andrea Berg auch Klemm 2012: 13, 18, 28� 2 Zum Aspekt prototypischer Beschreibungen siehe Sandig 2000� 82 Meer / Och unterscheiden: Konkret geht es zum einen um ein Korpus mit Kommen- tarlisten zu (Styling- )Hauls3 und Tutorials auf YouTube, ein Korpus, bei dem fanaffine Handlungen in größerem Umfang zu erwarten sind, und zum anderen um Formen der Positionierung von jungen Erwachsenen auf Twitter im Umfeld der Schüler*innen- und Studierendenbewegung ‚Fri- daysForFuture‘, ein Korpus, bei dem es nicht primär um Fanhandlungen zu gehen scheint� Thematisch teilen die beiden Korpora wenig� Beim ersten Teilkor- pus werden sogenannte ‚Beauty‘-F ragen bezüglich ‚Styling‘ und ‚Outfit‘ behandelt� Hier wurden die ersten 50 Topkommentare von 12 aktuel- len Tutorials/ Hauls aus der Zeit von März bis August 2019 erfasst� Im anderen Teilkorpus geht es um Formen der politischen Kommunikation im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit� Dieses Teilkorpus besteht aus den ersten 100 Tweets von 15 Twitter-A ccounts aus dem Bereich der Schüler*innenbewegung ‚FridaysForFuture‘, die zu vier Zeitpunkten der Monate Mai bis August 2019 zu finden waren� In beiden Fällen bil- den rein pragmatische Überlegungen die Grundlage für die Zusammen- stellung der Korpora im Hinblick auf den Erstellungszeitraum und die gewählte Größe� Beide Korpora können ethnographisch nicht sinnvoll aufeinander bezo- gen werden� Zwar kommunizieren in beiden Fällen (vorrangig) junge Menschen, aber während sich in den Kommentarlisten in erster Linie pubertierende Jugendliche äußern, werden die Twitter-A ccounts vor allem von jungen Erwachsenen genutzt� In einigen Fällen muss ergänzt werden, dass in den Kommentarlisten Individuen ihre Einschätzungen mitteilen, während auf Twitter, beispielsweise auf den Accounts von F4F- Germany, kollektive Subjekte auftreten, die Informationen zu Fragen des Klimawan- dels teilen, politische Einschätzungen vornehmen und politische Aktionen planen� Außerdem stellen die Twitter-P osts sehr häufig interaktional ini- tiative Äußerungen dar, während es sich bei den Kommentarlisten um For- men der Anschlusskommunikation unter Bezug auf ein vorgängiges Video handelt (vgl� Meer 2018)� 3 Bei Hauls handelt es sich um ein Format, in dem Einkäufe vor der Kamera präsentiert und bewertet werden� Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 83 Auf diese erste Charakteristik aufbauend ist es uns wichtig herauszustel- len, dass es in diesem Beitrag weder um eine empirische Korpusanalyse im eigentlichen Sinne geht, noch um einen Vergleich der beiden Teilkorpora, die aus den angeführten Gründen nicht vergleichbar sind� Vielmehr sollen die beiden Korpora auf Hinweise befragt werden, die Evidenzen für die Notwendigkeit der Nutzung einer graduellen Beschreibung von Formen der Fanaffinität ergeben� Bezogen auf die zentrale Frage des vorliegen- den Bandes wird dabei zusätzlich zu zeigen sein, dass ein Kern fanaffiner Handlungen auch dann angenommen werden kann, wenn unterschiedli- che Grade von Fanaffinität zu beobachten sind� Dieser zweite Aspekt ist gerade dann von Belang, wenn fanaffine Handlungen außerhalb von typi- schen Fan- Kontexten miterfasst werden sollen� Konkret werden wir in einem nächsten Schritt (Kapitel 2) auf Teilaspekte der vorliegenden Diskussionen aus dem Bereich der Fanforschung einge- hen, um hierauf aufbauend unser graduelles Verständnis von Formen des Fan-S eins methodisch zu verdeutlichen� In einem anschließenden zweiten Schritt sollen diese Vorüberlegungen unter Bezug auf zwei Datenbeispiele verdeutlicht werden (Kapitel 3), bevor anschließend kriterienorientiert ein größeres Spektrum von Detailanalysen vorgenommen wird (Kapitel 4)� Im abschließenden Fazit wird es darum gehen herauszustellen, dass sich auch mit den Mitteln einer graduellen Beschreibung von Fanverhalten zentrale Merkmale des ‚Doing being a fan‘ erfassen lassen� 2 Fanspezifische Verhaltensweisen als Gegenstand: Ein methodischer Zugang zu Fragen der Graduierung von Fanverhalten Schaut man auf die Fanforschung seit den 1990er Jahren, so liegt eine der entscheidenden Leistungen sowohl der soziologischen als auch der medi- enwissenschaftlichen und linguistischen Forschung darin, verdeutlicht zu haben, dass die u� a� auf Adornos und Horkheimers zurückgehende Kritik am „Massengeschmack“ (Horkheimer/A dorno 1988) und die damit ver- bundene Abwertung der großen Mehrzahl der Produkte „moderner Kul- turindustrie“ nicht unhinterfragt haltbar ist� Dieser Wandel, der im Kern durch den Perspektivwechsel von einer dominant (bildungsbürgerlich- ) werteorientierten Produktorientierung hin zu einer rezeptionstheoretisch 84 Meer / Och orientierten Betrachtung des Verhaltens von Nutzer*innen möglich wurde, ist für unsere folgenden Überlegungen von entscheidender Bedeutung� So wird es um einen doppelten Zugriff auf die beiden beschriebenen Daten- korpora gehen: – Es soll mit Klemm davon ausgegangen werden, dass das Fan- Sein eine spezifische Form der Identitätsarbeit darstellt, bei der die Aktivitäten eines Individuums als Produzent*in und Rezipient*in und die Rele- vanz einer Gruppe als Ort der Artikulation beobachtbarer Formen des „impression managements“ gleichermaßen zu berücksichtigen sind (Klemm 2012: 24 f)� Eine solche Betrachtungsweise von Fanverhalten ist durch den medialen Wandel im Web 2�0 erleichtert worden, da der empirische Zugriff auf beide Aspekte durch hypermediale Formate, die sowohl den einzelnen Fan als auch die Interaktion von Fans daten- gestützt sichtbar werden lassen, möglich wurde (vgl� Busse 2014: 26; Meer 2018: 311)� – Hierauf aufbauend wird es darum gehen aufzuzeigen, dass gerade die grundsätzlichen identitätsmanifestierenden Aspekte der Verhaltenswei- sen von Fans den Grund dafür bilden, dass Teilaspekte von Fanver- haltensweisen sich auch in Zusammenhängen finden, die üblicherweise nicht als typische gesellschaftliche Orte des Auftretens von Fandom betrachtet werden� In diesem Sinne soll herausgearbeitet werden, dass Fan- Praktiken integriert in eine Vielzahl anderer sozialer Praktiken und Handlungen beobachtet werden können� Diese Überlegungen lassen im Rückgriff auf die Fanforschung den Schluss zu, dass Fandom möglicherweise nicht nur bzw� nicht so sehr als ein mehr oder weniger deutlich abgegrenzter Gegenstandsbereich entlang der Opposition + / - Fan betrachtet werden kann� Diese Annahme findet sich den Forschungsstand resümierend auch in den folgenden Beobachtungen von Busse wieder: Einerseits identifizieren Fan- Forscher Fans als eine ganz spezifische Gruppe von Menschen, anderers eits wird aber auch ein breites Spektrum von Verhaltens- weisen aufgezeigt, wo Fans lediglich am extremen Ende eines Fandomkontinu- ums stehen� Fans werden daher entweder einfach als eine extreme Version der Zuschauer begriffen oder als Rezipienten, die sich mit Medien in unterschied- licher Intensität auseinandersetzen, die bestimmten identitätspolitischen Ausein- andersetzungen gleicht� (Busse 2014: 27) Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 85 Die Ausführungen Busses beinhalten die Unterscheidung zwischen (rekur- renten) Formen kohärenter „Fanidentitäten“ (= fandom) einerseits und einzelnen auch nur punktuell mitgenutzten „Fanverhaltensweisen“ (fan- like actions) andererseits (ebd�: 27)� Für die vorliegende Analyse sind diese Überlegungen insoweit relevant, als sie es erlauben, Fanverhalten auch dort zu identifizieren, wo es nicht als Fandom dominant im Vordergrund medialer Praktiken steht� Damit geht es insgesamt darum, Teilhandlungen als „fan- like actions“ bzw� fanaffine Verhaltensweisen zu diagnostizieren, um so nicht nur unterschiedliche Grade von Fanverhaltensweisen unter- scheiden zu können, sondern auch zu zeigen, dass fan-l ike actions viel all- gegenwärtiger sind als ein binäres Beschreibungsmodell unterstellt� Bezieht man diese Überlegungen auf unsere Teilkorpora – im empi- rischen Detail kommen wir hierauf im nächsten Kapitel zurück – , dann lässt sich vermuten, dass sich in den Kommentarlisten zu den analysierten Beauty- Videos eine Vielzahl von Kommentaren findet, die nahe am Pol ‚echter‘ Fanidentitäten und dementsprechend kohärenter Fanverhaltens- weisen angesiedelt sind� Im Gegensatz dazu kann zusätzlich angenommen werden, dass sich auf den untersuchten Twitter- Accounts der Schüler*in- nenbewegung F4F nicht nur weniger Fanverhaltensweisen finden, sondern darüber hinaus weitere Teilhandlungen, die nicht dominant im Zusammen- hang mit Fragen des Fandoms stehen� Bezogen auf dieses Teilkorpus bleibt damit die Frage, ob es sich um Fandom handelt, zunächst einmal offen� Auf diese Vorüberlegungen aufbauend wird in der weiteren Analyse – wie Wilson (2011) mit seinen Überlegungen zum ‚political fan‘ herausstellt – zu berücksichtigen sein, dass auch Aktivitäten wie politisches Engagement nicht per se für nicht ‚fandom- verdächtig‘ erklärt werden können� Gleich- zeitig gilt jedoch nicht die umgekehrte Unterstellung, mit der man davon ausgehen könnte, dass nun jegliche politische Äußerung als ein Fall von Fandom interpretiert werden kann� Eben dieses Spannungsverhältnis soll im Weiteren in den Blick genommen werden� Damit geht es auch darum, die durch die Cultural Studies motivierte Annahme zu berücksichtigen, dass jede*r irgendwo Fan von irgendetwas ist, eine Vorstellung, die im Weiteren dahingehend präzisiert werden soll, dass Fanaktivitäten in ex- tremer Dichte auf einen Kern von für Fandom typische Verhaltensweisen verweisen, die gestreut und häufig unbemerkt in unser Alltagsverhalten einfließen können� 86 Meer / Och Wovon reden wir im Detail, wenn wir uns im Weiteren auf mehr oder weniger dominante Aspekte des Fan-S eins beziehen? Leitend sind einige der von Klemm (2012) ermittelten Aktivitätstypen, die sich in beiden Teilkor- pora finden� So soll davon ausgegangen werden, dass es für die Diagnose von Fandom ebenso wie von fan- like actions notwendig ist, eine Beziehung zwischen einem (medial) kommunizierenden Fan und einem Fanobjekt nachweisen zu können (ebd�: 5)� Hierbei ist zu beachten, dass das Fan- Objekt nicht zwangsläufig eine konkrete Person sein muss, sondern dass auch ein Zusammenschluss verschiedener Personen zu einer Gruppe (von Fans) und die mit diesem Zusammenschluss verbundene ‚Idee‘ ein Fan- Objekt bilden können (ebd�)� Weiter schließen wir uns Klemms Annahme an, dass die konkreten Handlungen von Fans darauf abzielen (müssen), die positiven Seiten des Fanobjekts zu betonen und sich hierbei gleich- zeitig aktiv zum Fanobjekt (oder auch der Gruppe, die dem Fanobjekt folgt) zu bekennen (ebd�: 17)� Als dabei beobachtbare Verfahren, auf die wir uns beziehen werden, nennt Klemm u� a� das Auftreten spezifischer Elemente von Wissen (ebd�: 6, 21, 27), die regelmäßige Wiederholung bereits bekannter Standpunkte (ebd�: 17), aber auch Verfahren der Ironie (ebd�: 23)� Anders als bei Klemm geht es in diesem Beitrag jedoch nicht um die Rekonstruktion von Fan- Interaktion, sondern es sollen einzelne Fanäu- ßerungen als semiotische Produkte im Schnittfeld zwischen Rezeption und Produktion betrachtet werden� Die sequenzielle Einbindung einzelner Äußerungen in ein Davor und Danach werden wir in diesem Rahmen nur ganz vereinzelt und aus konkretem Anlass berücksichtigen� Dies hat seinen Grund in unserer Fragestellung, mit der es zunächst einmal darum geht, einzelne Fanhandlungen kontrastiv als Teil einer spezifischen Praktik zu identifizieren� Konkret bedeutet das, dass wir uns den einzelnen Kommentaren/ Tweets nähern, indem wir zunächst mögliche Rezeptionsvorgänge rekonstruie- ren, bevor wir in einem zweiten Schritt ausgehend von den ermittelten Textfunktionen über deren Ausdrucksfunktion nachdenken� Der Aspekt des Fan-S eins ist somit ein analytischer Rückschluss im Anschluss an eine multimodale Rekonstruktion der semiotischen Struktur der Kommentare und Tweets� Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 87 3 Eine erste exemplarische Analyse: Varianten von Bekenntnissen zum Fanobjekt In einem ersten analytischen Zugriff soll ausgehend von den vorhergehen- den Überlegungen an zwei unterschiedlichen Beispielen aus den beiden analysierten Teilkorpora verdeutlicht werden, worum es uns mit den ange- dachten Erweiterungen traditioneller Zugänge zum Bereich des Fandoms geht� Dazu wird zunächst ein sehr typischer Beitrag aus der Kommentar- liste eines Hauls der YouTuberin BarbaraSofie mit dem Titel „XXL dm HAUL März 2019: Neues von Balea, Foreo, Essence… ♡ BarbaraSofie“ genauer betrachtet� In den Kommentarlisten zu diesem Haul heißt es: Abb. 1: Kommentar zu einem Haul der YouTuberin BarbaraSofie (https:// www� yout ube�com/ watch?v=E 6km tRjiL U4; aufgerufen am 08� August 2019) Bezogen auf den in Abb� 1 wiedergegebenen Kommentar lässt sich festhal- ten, dass in seinem Mittelpunkt die von Klemm herausgestellte Betonung der positiven Seite des Fanobjekts steht� Diese Wahrnehmung wird von der Userin/ dem Fan Ami – chitta dadurch erzeugt, dass sie ihre Bewun- derung für BarbaraSofie durch eine Vielzahl positiver Attribuierungen zum Ausdruck bringt: Sie bezeichnet ihr Fanobjekt als „wunderschön“, „besonders“ und „einzigartig“ und spricht ihr ein „Kämpferherz“ zu� Bezogen auf den Kern typischer Fanverhaltensweisen lassen sich diese Beobachtungen dahingehend auswerten, dass in dem analysierten Kom- mentar die Ebene der positiven Beziehung eines Fans zu ihrem Fan-O bjekt so dominant gesetzt wird, dass sich Ami – chitta unzweifelhaft als Fan von Barbara Sofie zu erkennen geben kann� Schaut man sich vor dem Hintergrund dieser ersten (bezogen auf die bisherige Fan- Forschung unauffälligen) Beobachtungen nun den folgenden Tweet aus dem Teilkorpus des Twitter-A ccounts an, so lassen sich einige grundlegende Unterschiede ausmachen: 88 Meer / Och Abb. 2: Retweet eines Tweets von F4F Berlin vom 12� Juli 2019 durch F4F Germany Zunächst einmal ist der vorhergehende Retweet auf eine für die beiden Teil- korpora insgesamt typische Weise aus multimodal- textueller Perspektive komplexer als der zuvor analysierte Kommentar� So erblicken User*innen bei der Betrachtung des Retweets auf dem Account von FridaysforFuture Germany zunächst das Bild von Greta Thunberg, bevor sie am Ende der Bilddiagonalen auf ein Datum, eine Uhrzeit und einen Ort schauen (vgl� Meer/P ick 2019: 66 f�)� Während das Foto von Thunberg aufgrund seiner Größe durchaus als potenzieller Hinweis auf eine Form des Fandoms inter- pretiert werden könnte, verweisen die Angaben von Datum und Ort nicht nur aufgrund ihrer Position am Ende der Bilddiagonalen, sondern auch aufgrund von Größe, farblicher Hervorhebung und Positionierung vor dem Foto Thunbergs eher auf einen informativen Kontext� Berücksichtigt man diese Perspektive, erfüllt auch das Foto von Thunberg als ‚Gesicht der Schüler*innenbewegung‘ vorrangig informative Funktionen: Es benennt, worum es thematisch am 19� Juli auf dem Invalidenplatz gehen soll� Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 89 Die Annahmen einer dominant informativen Funktion wird durch die Lektüre des übrigen schriftsprachlichen Textes zu Beginn des Retweets bestätigt und ausdifferenziert: Hier wird darauf hingewiesen, dass Greta Thunberg am 19� Juli 2019 nach Berlin kommt (und es um den dorti- gen „Invalidenpark“ geht)� Zusätzlich wird die informative Funktion im Rahmen des schriftlichen Textes durch eine explizit appellative Funktion ergänzt, indem alle Rezipient*innen aufgefordert werden, ebenfalls zusam- men mit Familien und Freunden „mit dem Zug“ nach Berlin zu kommen� Auch wenn damit die informative- darstellende Funktion des Tweets zusammen mit seiner appellativen Funktion als dominant angesehen wer- den muss, so ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass das Foto von Greta Thunberg nicht auch als Form der Ehrerbietung4 gegenüber einem Fanobjekt (mit- )interpretiert werden kann oder sogar muss� Natür- lich ist das Bild ausgewählt worden, weil sich die Macher*innen vom Sta- tus Thunbergs als (potenziellem) Fanobjekt eine positive Verstärkung der appellativen Funktion versprochen haben� Insgesamt kommt Thunberg in diesem Tweet damit als schwache, aber dennoch relevante Version eines Fanobjekts in den Blick� Zwar fehlen über das Bild hinausgehende positive Attribuierungen von Thunberg, wie sie im vorher analysierten Kommentar beobachtbar waren� Auch stellt die positive Beziehung zum Fanobjekt nur eine Funktion unter anderen dar: Dennoch kann der Tweet in seiner Wirkung nicht völlig losgelöst von der zentralen Rolle Thunbergs beschrieben und verstanden werden� Diese ersten beiden Beispielanalysen abschließend kann festgehalten werden, dass die Betrachtung des Kommentars und des Tweets unsere Ein- gangsannahme unterstreicht, dass Fan- Sein zwar durchaus auch als die Form eines ‚Entweder – Oders‘ betrachtet werden kann (vgl� die Analyse zu Abb� 1), dass dies jedoch nicht die einzige Variante ist, in der Fanhandlun- gen auftreten können (vgl� die Analyse zu Abb� 2)� So können Fanhandlun- gen in andere komplexere Praktiken integriert auftreten (im vorliegenden 4 Mit dem Begriff der Ehrerbietung beziehen wir uns auf den gleichlautenden Begriff von Goffman (1975: 90 f�), mit dem er davon ausgeht, dass es sich bei Formen der Ehrerbietung um rituelle kommunikative Handlungen handelt, mit denen Kommunikationspartner*innen ihrem Gegenüber die gesellschaftlich zuerkannte Achtung entgegenbringen� 90 Meer / Och Fall in die politische Praktik der Ankündigung einer Demonstration), ohne dass sie in diesem Rahmen zwingend die Gesamtpraktik im Sinne eines eindeutigen Fandoms dominieren müssen� Ob es sich damit beim zweiten diskutierten Beispiel um eine Form des Fandoms handelt, soll im Rahmen der weiteren Diskussion von Beispielen kontinuierlich mitdiskutiert wer- den� In jedem Fall hat sich aber in beiden Beispielen die Annahme Klemms bestätigt, dass der Aspekt der Bekenntnisse zu einem Fanobjekt von hoher Relevanz für die Annahme von fanaffinen Verhaltensweisen ist� Damit soll auch im nächsten Kapitel anhand weiterer Beispielanalysen der Frage nachgegangen werden, ob sich aus beiden Teilkorpora trotz der erwartbaren unterschiedlichen Formen und Grade der Intensität des ‚Doing being a fan‘ ein Kern fanaffiner Handlungen auch dann heraus- arbeiten lässt, wenn unterschiedliche Grade der Fanaffinität beobacht- bar sind� 4 Grade des Fan-S eins – Ausdifferenzierungen von Fanverhalten Ausgehend von den bisherigen Annahmen sollen in diesem Kapitel weitere von Klemm analysierte Aktivitätstypen im Detail betrachtet werden: die Tendenz zur Wiederholung bekannter Standpunkte, der Rückgriff auf den Einsatz von Wissen als Form der Kritik, die Relevanz von Bekennt- nissen zur eigenen Gruppe und die Nutzung von Formen der Ironie als Mittel der Erzeugung von Einstimmigkeit (vgl� Klemm 2012: 10, 17, 18, 21, 23)� Anhand dieser Kategorien soll exemplarisch herausgearbeitet wer- den, inwiefern sie in andere Teilhandlungen eingebettet und als mehr oder weniger fanaffin bewertet werden können� 4.1 Wiederholung bekannter Standpunkte Einen zweiten von Klemm im Zusammenhang mit Formen des Fandoms herausgestellten Aktivitätstyp bildet die „Wiederholung bekannter Stand- punkte“ (Klemm 2012: 17)� Auch diese Kategorie lässt bereits intuitiv vermuten, dass sie neben den oben beobachteten Bekenntnissen zu einem Fanobjekt einen Kern fanaffiner Verhaltensweisen darstellt� Gleichzeitig handelt es sich allerdings, anders als bei Formen des Bekenntnisses zu einem Fanobjekt, nicht um einen Aktivitätstyp, der auf fanaffine Kontexte Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 91 beschränkt ist, sodass sich an dieser Kategorie gut verdeutlichen lässt, warum es bezogen auf das Gesamtphänomen nicht ausreicht, Fandom als ein Entweder – Oder zu denken, sondern dass es notwendig ist, die konkrete Einbindung eines Aktivitätstyps im Rahmen eines graduellen Beschreibungsmodells zu erfassen� Um dies zu verdeutlichen, soll ein Beispiel von mehreren aufeinander folgenden Kommentaren im Anschluss an ein Make- up- Tutorial von MRS� BELLA betrachtet werden: Abb. 3: Kommentare zu einem Tutorial von MRS� BELLA (https:// www�yout ube� com/ watch?v= eHFu zLKP Jfo; aufgerufen am 07� August 2019) Interessant sind diese Kommentare aufgrund ihrer Redundanz von inhaltlich Gleichem� Dabei ist es für den vorliegenden Beitrag entschei- dend, dass jeder der zitierten Kommentare sprachlich nichts anderes tut, als Ausdruck von Anhänger*innenschaft zu sein� So handelt es sich nicht nur um das Klischee eines ‚reinen‘ Fandoms, sondern dieses Klischee unterstreicht aufgrund seiner Einseitigkeit die Annahme, dass die dort beobachtbaren und sich wiederholenden Formen der Ehrerbietung als 92 Meer / Och prototypischer Kern eines Modells der Beschreibung von Fanhandlungen betrachtet werden können� Anders sieht dies aus, wenn man den folgenden Posts des Accounts von FridaysForFuture Germany betrachtet: Abb. 4: Tweet von FridaysForFuture Germany vom 08� August 2019 Auch anhand des Tweets in Abb� 4 lässt sich der Aspekt der Wieder- holung bekannter Standpunkte erfassen, allerdings findet sich hier eine deutlich komplexere Perspektive: Zunächst einmal verweist das Bild eines (kultivierten) Baumgebiets, das zur Hälfte brennt, auf einen Artikel aus der Wochenzeitung Die Zeit, der zum einen über die Folgen des Klima- wandels informiert, zum anderen zusätzlich vor diesem warnt� Der Qualm des Brandes und die Headline „Sonderbericht zum Klimawandel: So geht es nicht weiter“ belegen beide Aspekte: Indem dieser Bericht im Tweet von FridaysforFuture Germany aufgegriffen wird, wird er bestätigt und durch die sprachliche und indexikalische Bearbeitung inhaltlich weiter Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 93 verstärkt: Dadurch, dass durch einen Hashtag („#“) zu Beginn des Berichts eine Verknüpfung mit dem IPCC-R eport (IPCC 2018) vorgenommen und Teile des Berichts schlagwortartig hervorgehoben werden, kommt es zu einer Verknüpfung der Benennung von Umweltschäden mit der Benen- nung von wissenschaftlich diagnostizierten Ursachen� Unterschiedliche Aspekte nachhaltigkeitspolitischen Wissens werden hier also so kombiniert, dass sie an Komplexität zunehmen und gleich- zeitig den dargestellten Standpunkt untermauern, dass es höchste Zeit sei, auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren� Unterstützt wird diese Ein- schätzung durch einen zweiten Hashtag� Dieser verweist mit dem Slogan „UniteBehindTheScience“ auf die Forderung der Klimabewegung im Anschluss an Greta Thunberg, die vorliegende Expertise (natur- )wissen- schaftlicher Befunde ernst zu nehmen und dementsprechend zu handeln� Damit ist dieser Tweet nicht nur als sehr komplex zu beschreiben, sondern er weist für sich genommen außer durch das grüne Logo der Schüler*in- nenbewegung keine offensichtlichen Hinweise auf fanaffines Verhalten auf� Damit kann man hinsichtlich der Frage nach unterschiedlichen Graden des Fan- Seins bezogen auf den analysierten Tweet (Abb� 4) herausstellen, dass auch hier bekannte Standpunkte wiederholt werden� Dies unterstrei- chen sowohl Inhalte, auf die referiert wird, als aus medialer Perspektive auch die Hashtags� Aber trotz dieser Gemeinsamkeit mit typischen Fan- handlungen fehlen im betrachteten Tweet weitere explizit erkennbare Hin- weise auf Aspekte der Ehrerbietung einem Fanobjekt gegenüber, wie sie in den Beispielen in Abb� 1 und Abb� 3 zu finden waren� Insoweit deutet sich mit Blick auf die hier analysierten Beispiele an, dass die Wiederholung bekannter Standpunkte zwar einen Kern fanaffiner Verhaltensweisen bil- det, dass diese Aktivitätsform aber gleichzeitig so allgemein ist, dass sie auch jenseits der Grenze fanaffiner Verhaltensweisen zu beobachten ist� In diesem Zusammenhang wäre allerdings zu diskutieren, ob nicht auch die reine Quantität von Wiederholungsaktivitäten einen Hinweis auf eine Nähe zu Fanaktivitäten darstellt� Diese Annahme könnte für den Bereich der Politik beispielsweise dann von Bedeutung sein, wenn es darum geht, Fanhandlungen durch die konstante Wiederholung sogenannter Sach- argumente sowohl zu nutzen als auch zu kaschieren� Wäre dies der Fall, so müssten vermutlich auch die politischen Vorannahmen von Rezipi- ent*innen berücksichtigt werden: So wäre hier zu überprüfen, ob es eine 94 Meer / Och Korrelation gibt zwischen dem Aspekt der Zustimmung zum geäußerten Argument und der Einschätzung, es handele sich um ein Sachargument und nicht um fanaffines Verhalten, im Gegensatz zu der umgekehrten Ein- schätzung, die eine Fanaktivität aufgrund einer unsachgemäßen Einschät- zung zu erkennen glaubt� Nachdem damit anhand der Kategorie der Wiederholung bekannter Standpunkte sowohl der Kern, aber auch die unscharfen Grenzen fanaffi- ner Verhaltensweisen betrachtet worden sind, soll es nun auch anhand der Kategorie des Einsatzes von kontroversem Wissen darum gehen, unter- schiedliche Grade von Fandom (zwischen Kern und Grenzen) analytisch zu berücksichtigen� 4.2 (Spezial- )Wissen und Fandom – Der Einsatz von Wissen als Form der Kritik Klemm führt die Kategorie des (Spezial-) Wissens sehr pointiert für eine bestimmte Art des Wissens ein, das nur innerhalb des konkreten Fankon- textes einen Wert besitzt, außerhalb jedoch „wenig zählt“ (ebd�: 27)� Ohne diese Diagnose bestreiten zu wollen, soll das Augenmerk an dieser Stelle jedoch weg von einzelnen, außerhalb von konkreten Fankontexten „nutz- losen“ (ebd�) Formen des Wissens hin zum Einsatz von Wissen als Mittel des Dissens gelenkt werden, da diese Aktivität im Rahmen unserer Teilkor- pora immer wieder zu beobachten ist und sich bei der Ausdifferenzierung von Graden und Intensitäten des Fanseins als nützlich erweist� Hierzu soll zunächst ein weiteres Beispiel aus einer Kommentarliste zu einem Tutorial von MRS� BELLA („Heftige neue Produkte! 😍 Summer Night Out! | MRS� BELLA“) betrachtet werden� Abb. 5: Kommentar von Jenni Stone zu einem Tutorial von MRS� BELLA (https://w ww�yout ube�com/ watch?v = eHFuzLKPJfo; aufgerufen am 07� August 2019) Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 95 Schaut man sich diesen Kommentar von Jenni Stone an, so rahmt die Schreiberin den Kommentar in ihrem ersten Zug „Du bist wunderschön 😊“ und ihrem finalen Zug „Daumen hoch“ eindeutig als Ausdruck von Zustimmung und Bewunderung (Ehrerbietung)� Auch der Hinweis, „es macht total Spaß dir zuzugucken“, weist in die gleiche Richtung� Neben diesen lobenden Teilhandlungen finden sich allerdings weitere Elemente, die aufgrund ihres potenziell kritischen Gehalts zunächst einmal nicht eindeutig als fanspezifische Teilhandlungen beschrieben werden können� So wird im zweiten Zug des Kommentars von Jenni Stone der Hinweis anmoderiert, dass sie den von MRS� BELLA präsentierten „look“ so nicht tragen würde� Diesen Dissens baut sie in ihrer anschließenden Bemerkung, dass sie „dieses ‚Glass Skin‘ “ bevorzuge, aus� Dabei unterstreicht sie durch die Wahl eines Terminus ebenso ihr Wissen, wie in der anschließenden Erklärung, was sie unter dieser Technik versteht� Mit dem folgenden Hin- weis („eher aussehen wie Wasserfarbe auf der Haut“) verstärkt sie die Wahrnehmung ihrer von der YouTuberin abweichenden Expertise, indem sie erneut ihre Kritikfähigkeit unter Beweis stellt� Und auch der Metakom- mentar zum „Make- up“ als „Kunstform“ ist geeignet, um Kompetenz und beurteilenden Überblick zu demonstrieren und damit die Berechtigung ihrer Einschätzung zu unterstreichen� Dass es sich dabei um ein kontex- tuell als dispräferiert eingeschätztes Verhalten handelt, wird auch durch die überdurchschnittliche Länge des Kommentars unterstrichen (vgl� dazu Levinson 2000: 334)� Diese Annahmen werden durch die an den Kommentar anschließende ‚Reaktion‘ von JessDance (vgl� Abb� 5) dadurch bestätigt, dass sie die kri- tischen Überlegungen von Jenni Stone weiter ausbaut� Auch sie verdeut- licht die Relevanz von spezifischen Formen der Kompetenz, indem sie ihr Fachwissen durch die erweiternde Beschreibung des Make-u p- Looks als „glowy“ nachweist und hierauf aufbauend durch ihren Vorschlag, dazu ein Video zu machen� Bezogen auf die Überlegungen unseres Beitrags ist hieran entscheidend, dass es sich bei allen genannten Elementen, dem Gebrauch von Termini, der begründenden Erklärung, der Kritik und dem Metakommentar, um Wissensparzellen handelt, die sich erneut auch in anderen (keineswegs fanaffinen) Situationen der Wissensdarstellung finden lassen� Sie kommen im Rahmen der in unserem Korpus untersuchten Kommentarlisten zwar, 96 Meer / Och wie das vorhergehende Beispiel zeigt, vor, sind jedoch markiert� Diese Markiertheit beruht auf ihrer geringen Anzahl bei gleichzeitiger über- durchschnittlicher Länge� Darüber hinaus weichen Kommentare wie der vorhergehende ab von der oben beschriebenen dominant begeistert loben- den Grundatmosphäre von Kommentarlisten (vgl� Abb� 1)� Damit soll zunächst herausgestellt werden, dass sich auch in dominant fanaffinen Zusammenhängen, wie den Kommentarlisten von Stylingtuto- rials, Aktivitäten finden, die nicht ausschließlich den prototypischen Kern von Fanhandlungen darstellen�5 Darüber hinaus geht es bezogen auf den zuletzt analysierten Kommentar aber vor allem darum, Formen des Fan- handelns zu beschreiben, die sich deutlich vom oben markierten Kern pro- typischen Fandoms wegbewegt haben� In diesem Zusammenhang macht das vorhergehende Beispiel deutlich, dass der Einsatz potenziell strittigen Wissens durch Fans trotz gleichzeitig rahmender Ehrerbietung die Inten- sität des Fangehalts in den Hintergrund treten lässt� Insoweit muss der vorliegende Fall eines Kommentars eher am Rande eines Feldes fanaffiner Verhaltensweisen angeordnet werden� Dass hierfür Formen von Expert*in- nenwissen genutzt werden, ist nicht verwunderlich, da es sich dabei um eine prinzipiell nicht fanaffine ‚Währung‘ handelt, die gerade außerhalb des vorliegenden Kontextes Wert besitzt� Damit verweist auch der Kommentar aus dem Beautybereich ähn- lich wie die Tweets in Abbildung 2 und 4 auf die Notwendigkeit, Grade abgestufter Fanaffinität anzunehmen, wobei die Art und Weise, diese Graduierung durchzuführen, sich zwischen den Beispielen unterscheidet� Gemeinsamkeiten ergeben sich insoweit, als in allen Fällen Formen der strukturell erzeugten ‚Mehrstimmigkeit‘6 von Bedeutung sind: Während in den Beispielen 2 und 4 neben informativen und appellativen Aspekten untergeordnet schwache Formen der Ehrerbietung zu beobachten waren, wurde der Einsatz von strittigem Wissen im vorliegenden Beispiel 5 genau umgekehrt erzeugt, indem Formen der Ehrerbietung durch Formen der Kritik abgeschwächt wurden� Die angesprochene Gemeinsamkeit der 5 Vgl� dazu auch die Beobachtungen von Klemm zum Fanforum der Lindenstraße� 6 Mit dieser Benennung beziehen wir uns ebenso wie mit dem Gegenbegriff der Einstimmigkeit auf Bachtins Konzept zum „dialogischen Wort im Roman“ (1990)� Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 97 Mehrstimmigkeit passt dabei zu der Überlegung, dass die abnehmende Intensität von Fanhandlungen unter Umständen auch mit ihrer semioti- schen Komplexität korreliert� 4.3 Bekenntnisse zur Gruppe der Fans Während in Kapitel 3 Bekenntnisse zum Fanobjekt selbst als Kern fanaf- finer Verhaltensweisen betrachtet worden sind, soll es in diesen Abschnitt darum gehen, Bekenntnisse zur Gruppe der Fans bzw� der (politischen) ‚Bewegung‘ als Formen von Fanverhalten zu untersuchen� Den Gegenstand bildet hierbei ein Post von Greta Thunberg vom 10� August 2019� Konkret tweetet Thunberg von dem internationalen Treffen von Nachhaltigkeits- gruppen SMILE (Summer Meeting in Lausanne Europe) im August 2019 in Lausanne, in dessen Rahmen die Teilnehmer*innen konkrete Konzepte für ihre weitere Arbeit entwickelt haben: Abb. 6: Tweet von Thunberg am 10� August 2019 von einem Treffen von SMILE Aus der Perspektive der Rezeption nimmt man entlang der Bilddiago- nale im Tweet (potenziell) zunächst das Profilbild von Thunberg und daran anschließend das (deutlich größere) Foto einer Gruppe von (kon- zentriert) arbeitenden jungen Menschen wahr, wobei Thunberg selbst auf 98 Meer / Och dem Foto nur im Hintergrund am rechten oberen Rand zu sehen ist� Es gibt somit zwei Ansatzpunkte, über den Aspekt des Fandoms nachzuden- ken: Der Post könnte sich auf Thunberg selber beziehen (und damit eine Form von Selbstdarstellung sein, was ihr von Kritik*innen immer wieder vorgeworfen worden ist)� Oder es geht um die Gruppe der hier pars pro toto abgebildeten Mitstreiter*innen in Lausanne� Zieht man zusätzlich den sprachlichen Teil des Posts hinzu, so wird deutlich, dass Thunberg sich mit ihrem Lob und ihrem Dank primär an die beteiligten Teilneh- mer*innen und damit die Gruppe in Gänze wendet, wobei ihr Formulie- rung „I’m amazed how much we’ve accomplished in such a short time“ unterstreicht, dass sie sich als Teil dieser Gruppe („we“) begreift, was jedoch kaum ausreicht, diesen Tweet als Form der Selbstdarstellung zu interpretieren� Damit stellt sich die Frage, inwieweit die hier beobachtbare Form des Lobs zwar nicht als Selbstlob, aber als Lob der Gesamtgruppe dennoch als Form des Fandoms zu betrachten ist� Eine solche Annahme scheint sowohl aufgrund der Menge der positiven Attribuierungen der in Lausanne arbei- tenden Gruppe und dem Fehlen inhaltlich konkreter Ergebnisse dieser Arbeit durchaus angemessen� Informiert wird lediglich über die Größe und die Arbeitseffizienz des Treffens, die die Stärke der Bewegung zeige� Einen solchen Tweet aufgrund der Zusammensetzung seiner Teilhandlun- gen als Form von Fandom zu beschreiben wird über dieses Beispiel hinaus auch dadurch nahegelegt, dass Tweets wie dieser in unserem Teilkorpus sehr häufig zu beobachten sind� Damit deutet auch dieser Tweet darauf hin, dass sich auch im politischen Kontext der Schüler*innenbewegung (mehr oder weniger) ausgeprägte Formen von fanaffinen Verhaltensweisen finden� Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung wäre es jenseits ihres kon- kreten Inhalts über das hier analysierte Korpus hinaus jedenfalls nicht erstaunlich, wenn sich in politischen Kontexten Bekenntnisse zur Gruppe der Fans mit hoher Frequenz fänden: So geht es in der politischen Aus- einandersetzung immer auch darum, die eigene politische Stärke bzw� die Relevanz der eigenen Position zu unterstreichen� Dies kann impliziter oder expliziter geschehen, aber in allen Fällen spielen fanaffine Aspekte poten- ziell eine Rolle, da in der Öffentlichkeit stehende Vertreter*innen einer Position zwangsläufig mit der Position zusammengedacht werden und Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 99 umgekehrt� Insoweit gibt es keinen Grund, ein derartiges Verhalten nicht als fanaffin zu begreifen� Relevant im Hinblick auf das analysierte kontrastive Teilkorpus der Kommentarlisten ist an dieser Stelle, dass sich Bekenntnisse zur Gruppe der (kommentierenden) Fans nicht finden� Der Unterschied zum Tweet- Korpus besteht somit nicht darin, dass anders auf die Gruppe der Gleich- gesinnten referiert wird, sondern diese spielt (explizit) gar keine Rolle� Ob dies eine Folge des Alters der User*innen, der individuellen Praxis des Schminkens ist oder ob der mediale Kontext von Kommentarlisten, die nicht auf komplexere Formen der Interaktion angelegt sind, entscheidend ist, kann auf der Grundlage unserer Daten nicht sinnvoll beurteilt werden� Gezeigt hat sich jedoch, dass Fragen des Fandoms nicht prinzipiell auf eine bestimmte Thematik oder mediale Praxis hin entscheidbar sind, sondern nur kontextaffin analysiert werden können� 4.4 Relevanz ironischer Markierungen für den Aspekt der Einstimmigkeit Unsere Überlegungen empirisch abschließend soll in diesem Abschnitt die ebenfalls von Klemm eingeführten Kategorie der ‚Ironie‘ (Klemm 2012: 10– 12, 18 f�) betrachtet werden� Hierbei ist es für die weiteren Beobachtungen entscheidend, dass Klemm einen relevanten Einsatz von „ironisch- spielerischen, teils ruppigen bis zynischen“ Umgangsformen nur in seinem zweiten Teilkorpus, dem Fanforum der Lindenstraße, beobach- tet hat (ebd�: 19)� Es geht ihm dabei vor allem darum, unter Verweis auf Formen der Selbstkritik die Spannbreite beobachtbarer Formen des ‚Doing being a fan‘ zu betonen (ebd�)� Damit weist er indirekt auf die prinzipielle Mehrstimmigkeit ironischer Verfahren in Fankontexten hin� Aus der Per- spektive unserer Überlegungen liegt hier die Vermutung nahe, dass der von Klemm analysierte zweite Fall eines Fanforums eher an den Grenzen typischen Fanverhaltens liegt�7 Bezogen auf die vorliegende Untersuchung lässt sich in diesem Zusam- menhang festhalten, dass sich ironische Teilhandlungen in beiden 7 Hier wäre es aus unserer Sicht relevant zu klären, wie häufig sich solche Formen des Fandoms finden und ob sie nicht für sehr spezielle Kontexte typisch sind� 100 Meer / Och Teilkorpora finden, dass diese jedoch gerade nicht dominant dazu genutzt werden, Mehrstimmigkeit zu erzeugen, sondern genau entgegengesetzt darauf abzielen, die eigene Perspektive zu verstärken, indem sie vorrangig der Abwertung des adressierten Gegenübers dienen� Damit sind sie ein Mittel der Herstellung von Einstimmigkeit� Dies entspricht Beobachtun- gen, die Wilson (2011: 454 f�) anhand eines Satire- Accounts politischer Fans auf Twitter macht� Bezogen auf unser Korpus kommt das Mittel der Ironie somit als Verfahren in den Blick, das die Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch die ironische Abgrenzung von anderen politischen Überzeu- gungen markiert� Dies soll empirisch abschließend an einem letzten Tweet aus dem Nachhaltigkeitskorpus verdeutlicht werden (vgl� Abb� 6): Abb. 7: Tweet von FridaysForFuture Germany vom 13� Juli 2019 Die Nähe zwischen Formen der Ironisierung des Verhaltens des politischen Gegners und der Wahrheitsanspruch der eigenen Position werden im vor- liegenden Tweet vor allem in der Kombination aus informativen Aspek- ten über die Folgen des menschengemachten Klimawandels („Der wohl größten Brand, den es jemals auf unserem Planeten gab, passiert gerade in Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 101 der Arktis“), der ironisch- moralischen Abwertung der Position von Geg- nern der Annahme eines menschengemachten Klimawandels („Aber lasst uns ruhig weiter die #Klimakrise relativieren“) und der Formulierung der eigenen Opferposition („und auf die Ökos in unserem Land schimpfen“) deutlich� Um fanaffine Verhaltensweisen handelt es sich dabei insoweit, als die Diffamierung des Gegners zwangsläufig mit einer Aufwertung der eigenen Position verknüpft ist� Ob derartige Tweets dabei als stark oder schwach fanaffin bewertet werden, hat – wie oben bereits herausgestellt – zum einen vermutlich mit der Menge und der Komplexität der übrigen Teilhandlun- gen (hier der Menge der Information und des Fachwissens) zu tun, aber möglicherweise auch mit der interpretativen Bewertung der Relevanz die- ser Information durch potenzielle Rezipient*innen� So wäre zu vermuten, dass ein*e Klimaleugner*in einen solchen Tweet eher als fanaffin begreifen würde als ein*e Klimawissenschaftler*in� 5 Fazit Im vorliegenden Beitrag ging es darum, auf der Basis von zwei heteroge- nen Teilkorpora Konzepte zur Analyse von Fankommunikation empirisch fundiert zu überprüfen und theoretisch auszudifferenzieren� Dabei hat sich jenseits aller Detailbefunde und offenen Fragen unsere Annahme bestätigt, dass das Feld der Fankommunikation sinnvoll als graduell strukturiert und als an den Grenzen unscharf beschrieben werden kann� Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnis, dass die aus einer solchen Perspektive beobachtbare Praxis nur anhand unterschiedlicher Praktiken erfassbar ist, die keineswegs ausschließlich im Feld der Kommunikation unter Fans auftreten� Eben diese Beobachtung bildet den empirisch ent- scheidenden Grund für den Vorschlag, Phänomene der Fankommunikation als graduell differenziertes Feld von Teilhandlungen zu begreifen und hier- bei zu akzeptieren, dass die Grenzen dieses Felds nicht eindeutig definier- bar sind und fanspezifische Verhaltensweisen auch in Zusammenhängen beobachtbar sind, die nicht zwingend und nicht von jeder*m dominant als Fandom wahrgenommen werden� Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass dennoch ein Kern fanspezifischer Verhaltensweisen beobachtbar ist, der kontextabhängig mit unterschiedlichen Effekten verknüpft ist� 102 Meer / Och Konkret haben sich im Rahmen der Analysen einige der von Klemm empirisch entwickelten Kategorien erneut als sinnvoll erwiesen, auch wenn die Notwendigkeit zu ihrer Ausdifferenzierung für Fanpraktiken in spezifischen Kontexten deutlich geworden ist� - Konkret bestätigt hat sich die Erkenntnis, dass implizite und explizite Bekenntnisse zum jeweiligen Fanobjekt und das Herausstellen dessen positiver Eigenschaften zum Kern der Definition von Fandom gehö- ren� Hierbei ist (vor allem auch) in politischen Kontexten (vgl� Wilson 2011) zu berücksichtigen, dass das Fanobjekt eben auch die eigene Gruppe der Fans selbst sein kann� - Ebenfalls bestätigt hat sich die Annahme, dass die Wiederholung bekann- ter Standpunkte zum genuinen Kern von fanspezifischen Verhaltenswei- sen zu zählen ist� Hier könnte man sich im Anschluss an die bisher kaum diskutierte hohe Redundanz bestimmter Forderungen fragen, ob nicht auch die reine Quantität gleicher Standpunkte bereits einen Hinweis auf fanaffines Verhalten darstellt� - Der Aspekt des Wissens wurde unter Bezug auf das analysierte Material verglichen mit Klemms Beobachtungen um den Aspekt der Kritik erwei- tert� So scheint Wissen in Fanzusammenhängen (wie in anderen Kon- texten auch) ein genuin kritisch graduierendes Potenzial zu haben, das dazu beitragen kann, dass eine Äußerung als mehr oder weniger fanaffin wahrgenommen wird, oder aber, dass sie als in Gänze nicht fanaffin ver- standen wird� - Klemms Überlegungen zum Einsatz von Ironie haben in einem letzten empirischen Schritt die Vermutung genährt, dass das von ihm analy- sierte Teilkorpus zum ‚Fanforum Lindenstraße‘ an sich bereits ein Kor- pus an der Grenze fanaffinen Verhaltens ist� Darüber hinaus hat aber gerade dieses Kriterium die Annahme unterstützt, dass unter Umständen die Berücksichtigung einer weiteren Kategorie für die graduelle Betrach- tung von Fanverhalten relevant sein könnte, die wir als die Differenz zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit gefasst haben� An diese Befunde anschließend haben sich weitere Aspekte ergeben, die für die Einordnung und Wahrnehmung von Äußerungen als fanaffin relevant sein können, ohne dass diese Einflussfaktoren auf der Grundlage des unter- suchten Materials und ohne die Berücksichtigung von unterschiedlichen Formen von Fanverhalten zwischen Beauty und Politik 103 Rezeptionshaltungen abschließend eingeordnet werden können� Dennoch lassen sich auswertend einige Hypothesen formulieren: - So deuten die Analysen darauf hin, dass die Menge und die Komplexität in einer Äußerung genutzter Teilhandlungen für die Wahrnehmung des fanaffinen Gehalts der Äußerung zu berücksichtigen sind� - Weiter hat sich gezeigt, dass nicht die summative Betrachtung der Teil- handlungen alleine entscheidend ist� Vielmehr scheinen auch die se- miotisch Ausgestaltung einer Äußerung und die kontextspezifischen Vorerwartungen der Rezipient*innen zu beachten zu sein� - Ein weiterer vor dem Hintergrund unseres Korpus relevanter Aspekt stellt der Einsatz von kontroversem Wissen dar� Für Fragen der Graduie- rung könnte an dieser Stelle entscheidend sein, ob das eingesetzte Wissen vorrangig auf den Aspekt der Ehrerbietung ausgerichtet ist oder ob es sich primär auf einen Sach- und/ oder Disput- Zusammenhang bezieht� Insgesamt sollte sich im Verlauf der Untersuchung damit gezeigt haben, dass es jenseits eines Kerns fanspezifischer Verhaltensweisen weniger darum geht, die Grenzen zwischen dem Bereichen ‚Fandom‘ und ‚Nicht- Fandom‘ eindeutig zu ziehen, als vielmehr in den Blick zu nehmen, welche kontextuellen Aspekte und welche Rezeptionsperspektiven für die Wahr- nehmung des einen bzw� des anderen entscheidend sind� 6 Literatur Affuso, Elizabeth / Santo, Avi, 2018: “Mediated Merchandise, Merchan- disbale Media: An Introduction�” In: Film Criticism, Film and Mer- chandise, 42(2), 72– 87� Bachtin, Michail, 1990: Literatur und Karneval. 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Res- pekt bye bye #GoetzGeorge (undrauch, Twitter, 26- 06- 2016, 21:34) (2) Dass das heutzutage geht, dass man den Tod inkl Beerdigung eines so berühmten Menschen eine Woche lang geheimhalten kann…nn#Götz- George (KevClaSec, Twitter, 26- 06-2 016, 20:29) Das Geheimhalten der Todesmeldung wird in diesen beiden Beispielen – in Anbetracht offenbar „heutzutage“ gegenläufiger medialer Tendenzen – zur Leistung erklärt� Damit wird gleichsam deutlich, dass mit dem Tod „berühmter Menschen“, wie es im zweiten Tweet heißt, Erwartungen ver- bunden sind: und zwar erstens was die Öffentlichkeitmachung der Todes- nachricht im Generellen betrifft und zweitens aber auch, was deren zeitliche Dimension im Speziellen anbelangt� Darüber hinaus gibt es drittens auch Erwartungen hinsichtlich der Reaktionen auf solche Nachrichten; darauf wird weiter unten (siehe Beispiele (3) und (4)) eingegangen� Die ersten beiden Punkte haben, wie bereits angedeutet, auf der einen Seite sicher- lich mit (massen)medialen Dynamiken zu tun, die eine möglichst aktuelle Berichterstattung zur (je nach Format obersten) Priorität erklären�3 Auf der anderen Seite wird damit dem Umstand Nachdruck verliehen, dass der Tod solcher Personen in der Regel zu einem öffentlich aushandelba- ren Diskursgegenstand insbesondere in sozialen Medien, aber auch im Rahmen massenmedialer Partizipationsstrukturen (z� B� Kommentare zu Online- Zeitungsartikeln) wird� Das trifft allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, vorwiegend (aber nicht ausschließlich) auf solche Nutzer*innen zu, die sich als Fans der verstorbenen „berühmten Menschen“, die in die- sem Sinne als Fanobjekte fungieren, verdient gemacht haben� Über die Etablierung eines Fanobjekt- Todesfalls als Diskursgegenstand hinaus erweisen sich die daran anschließenden Reaktionen als Ausprägun- gen von Online- Fan- Trauer als relevant� Zur Veranschaulichung seien hier zunächst zwei Beispiele aus einem Online- Kondolenzbuch für den Musiker Lemmy Kilmister abgebildet: 3 vgl� dazu auch Burger/ Luginbühl (2014: 469), die darauf hinweisen, dass bei vielen Online- Artikeln die Aktualität relevant gesetzt wird, indem die genaue Uhrzeit der letzten Aktualisierung prominent angezeigt wird� „ich heule Rotz und Wasser!“ 109 (3) Mit Lemmy verbinde ich ungezähmten, schnörkellosen, geradlinigen, harten und aufrichtigen Rock� Auch wenn er selbst lange gesagt hat, das wäre keine Kunst, so ist sie es umso mehr für mich� Ich werde ihn vermissen, er hat mich seit meiner Jugend begleitet und ich dachte, er würde nie aufhören� Sehr traurig, dass ich falsch lag� (crimson1968, Süddeutsche Zeitung Online- Kondolenzbuch, 12- 2015) (4) […] Es wird keine neuen Platten mehr von Lemmy geben und ich merke erst jetzt, wie mir der Klos im Hals sitzt und ich heulen könnte� Ein Teil meiner Jugend ist mit Lemmy endgültig gestorben� R�I�P�, Lemmy� PS: Und schon wieder läuft Motörhead in heavy rotation und ich heule Rotz und Wasser! (Peter Ludwig, Süddeutsche Zeitung Online- Kondolenzbuch, 12- 2015) In den Beispielen werden mehrere Aspekte digital artikulierter Fan-T rauer manifest: Abgesehen von der (unterschiedlich gearteten) Referenz auf die Emotion Trauer und deren Empfindung demonstrieren die Autor*innen der Kommentare ihr Fantum, indem sie bspw� ihr Wissen über das Fan- objekt preisgeben (vgl� (3)) oder ihre persönliche Beziehung zu selbigem schildern (vgl� (4))� Diese Darstellung des eigenen Fantums bzw� diese Form des Fan- Identitätsmanagements ist eng an die Artikulation von Trauer über den Tod des Fanobjekts geknüpft; oder anders ausgedrückt und von den hier gezeigten Einzelbelegen abstrahiert: Digitale Fan- Trauer- praktiken scheinen bestimmten, diskursiv ausgehandelten Bedingungen zu unterliegen� Damit wird neben dem Tod auch die im Anschluss digital arti- kulierte Trauer zum Diskursgegenstand� Im Fokus des vorliegenden Beitrags stehen entsprechend digitale Aus- handlungsstrategien im Kontext von Fan- Trauer – und damit in erster Linie Metaperspektiven auf online artikulierte bzw� (nicht oder in bestimmter Form) zu artikulierende Fan- Trauer, die ihrerseits konstitutive Merkmale für Fantum und - kultur im Allgemeinen indiziert� Im Folgenden wird dazu zunächst die theoretisch-m ethodische Grundlage für die Analyse gelegt, indem auf die linguistische Emotionsforschung (siehe 2�1) sowie das Verhältnis von Fantum und Emotionen (siehe 2�2) eingegangen und die für die Untersuchung verwendeten Beispielquellen erläutert werden (siehe 2�3)� Anschließend werden die Aushandlungsstrategien im Kontext 110 Karina Frick von Fan- Trauer in den Blick genommen (siehe 3)� In diesem Zusammen- hang wird auf zwei zu Tage tretende Aushandlungsphänomene genauer eingegangen: Erstens auf die grundsätzliche und im Diskurs sehr promi- nent vertretene Frage nach der Angemessenheit digital artikulierter Fan- Trauer (und die daraus sich ergebende nutzer*innenseitige Modellierung der Emotion Trauer) (siehe 3�1)� Zweitens auf die damit eng zusammen- hängenden Legitimationsstrategien (siehe 3�2), die eine grundlegende Bedingung zur Berechtigung für digitale Fan-T rauer darzustellen scheinen� Im Fazit (siehe 4) wird schließlich aufgezeigt, wie die untersuchten Fan- Praktiken Konzeptualisierungen von (Online- )Trauer mitprägen� 2 Theoretisch- methodischer Hintergrund 2.1 Zur Emotion Trauer und ihrer Erscheinungsformen im Internet Bevor im Folgenden auf die Emotion Trauer und ihre Online- Ausprägun- gen im Speziellen eingegangen wird, soll zunächst im Allgemeinen die Frage geklärt werden, was überhaupt unter Emotionen verstanden werden kann� Es gibt – wie dies bei vielen für die Linguistik besonders zentralen Begriffen der Fall ist – bedeutende Unterschiede im Verständnis von Emo- tion oder Gefühl, wobei diese schon bei der theoretischen Trennung dieser in der Alltagssprache häufig synonym verwendeten Begriffe beginnen (vgl� Ortner 2014: 17)� Ohne auf den umfangreichen wissenschaftlichen Dis- kurs dahinter im Einzelnen eingehen zu können (vgl� dazu Ortner 2014), schließe ich mich der Unterscheidung bei Schwarz-F riesel (2013: 143) an, die für die lexikalische Bedeutungen von Emotion und Gefühl jeweils die folgenden Komponenten aufführt: – Emotion: Menschlich, Syndromkomplex, mehrdimensional, Bewertungssystem – Gefühl: Menschlich, Erlebenskomponente von Emotion, bewusst, subjektiv Obwohl, wie Ortner (2014: 18) treffend schreibt, „[…] nicht Emo- tionen, sondern bestenfalls Gefühle – noch genauer formuliert: die sprachliche Repräsentation von Gefühlen – linguistisch untersucht wer- den können“, verwende ich im Folgenden (ebenfalls in Anlehnung an „ich heule Rotz und Wasser!“ 111 Ortner) ausschließlich den Ausdruck Emotionen� Denn das Ziel der Ana- lyse digitaler Fan- Trauer liegt nicht darin, den subjektiven oder inneren (Gefühls- )Zustand der an solcher Kommunikation beteiligten User*innen zu ergründen – das wäre m� E� ohnehin pure Spekulation4 – , sondern viel- mehr darin, medial schriftliche Emotionsartikulationen in sozialen Medien und deren metadiskursive Reflexion zu erfassen – und somit letzten Endes auch sich  darin (implizit oder explizit) manifestierende Bewertungssys- teme� Emotionsartikulationen dienen denn auch, wie Schwarz- Friesel (vgl� 2013: 178) festhält, häufig (und gerade auch) der Kommentierung, Bewer- tung und Perspektivierung von Sachverhalten oder Geschehnissen; sie sind damit ein – in Online-U mgebungen zunehmend relevantes – Instrument sozialer Positionierung, im Sinne einer „[…] Verortung als diskursive Praktik“ (Spitzmüller/ Flubacher/ Bendl 2017: 8)�5 Relevant für die in die- sem Beitrag zu leistende Untersuchung ist dabei insbesondere das „[…] Konzept des Stancetaking in Discourse, das betont, dass Positionierung immer mit Bewertungshandlungen (und mithin mit Ideologien) einher- geht“ (Spitzmüller/ Flubacher/ Bendl 2017: 8)� Diese Bewertungshandlun- gen werden im Rahmen digitaler Fan-T rauerpraktiken mithilfe von, aber auch in Bezug auf (und der Zuordnung zu) emotionale(n) Kategorien und deren diskursiv ausgehandelten definitorischen Merkmalen vorgenommen� 4 Dieser Ansicht ist auch Ortner (2014: 97), die betont: „Meines Erachtens kann auf keinen Fall aufgrund eines Textes auf die Emotionen der Textproduzen- tin oder des Textproduzenten geschlossen werden […]�“ Für die linguistische Analyse von Emotionen ist das aber auch nicht wichtig, wie Fiehler (2002: 81) betont: „one can examine the function and value of emotional manifestations in interaction, independent of whether the participants also actually feel the manifested emotion“� 5 Praktiken hingegen verstehe ich mit Alkemeyer et al� (2015) als „[…] typi- sierte und sozial intelligible Bündel nicht-s prachlicher und sprachlicher Aktivi- täten […]“; mit anderen Worten als sozialsymbolisch aufgeladene, kulturell geformte, wiederkehrende Handlungsmuster bzw� - strategien� Digitale Praktiken sind entsprechend technologisch basiert; das kann „[…] die Art und Weise der Durchführung einer Praktik verändern oder gänzlich neue Praktiken entstehen lassen� Daher sind digitale Praktiken stets im Verhältnis zu ihren prä- digitalen oder digitalen Vorgängern zu bestimmen“, wie Androutsopoulos (2016: 342) schreibt� 112 Karina Frick Ausgehend von Emotionen und ihrer Funktion als soziale Bewertungs- handlungen im Allgemeinen soll nun spezifischer auf die Frage eingegangen werden, welche Aspekte als prägend für die Emotion Trauer gelten� Schwarz- Friesel (2013: 278) beschreibt Trauer „[…] als Reaktion auf einen Verlust […]“, der an die Todeserfahrung, aber auch an andere Ereignisse (bspw� Trennung, Verlassenwerden, Flucht etc�) geknüpft ist� Die (sprachliche) Aus- einandersetzung mit der durch Verlust ausgelösten Trauer wird dabei in der Regel als Trauerarbeit bezeichnet (vgl� Schwarz- Friesel 2013: 278), deren konkrete Umsetzung ihrerseits stark von gesellschaftlichen und historischen Normen geprägt ist�6 Jakoby/H aslinger/G ross (2013) zeigen anschaulich den historischen Wandel von Trauernormen auf, wobei insbesondere die Verla- gerung der Trauer von der (Gemeinde- )Öffentlichkeit im Mittelalter hin zur nicht- öffentlichen, als privat und individuell reklamierten Trauer im 20� Jahr- hundert prägend ist�7 Das 21� Jahrhundert scheint – jedenfalls in Sachen Öffentlichkeit, nicht jedoch was die Individualität anbelangt – wiederum einem gegenläufigen Trend zu folgen, besteht doch, wie weiter unten zu zei- gen sein wird, vermehrt das Bedürfnis, Trauer im (teil- )öffentlichen Raum des Internets zu teilen (vgl� Marx 2019; Frick 2019)� Online artikulierte Trauer in diesem Sinn ist in unterschiedlichen digi- talen Kommunikationsräumen zu finden und tritt in vielfältigen Formen auf� Zunächst ist zu unterscheiden zwischen individuell- beziehungsba- sierten Formen von Online- Trauer einerseits, die mehrheitlich auf dafür spezialisierten Plattformen zu finden sind – also beispielweise auf virtu- ellen Friedhöfen oder Gedenkseiten –, auf denen vorwiegend Angehö- rige oder Nahestehende betrauert und die von den Nutzer*innen in der Regel als geschützte Räume wahrgenommen werden�8 Zum anderen 6 Hochschild (1979: 564– 566) prägt in diesem Zusammenhang den Begriff der feeling rules� Dabei handelt es sich um situativ, historisch und gesellschaftlich- kulturell geprägte Normen, die vorgeben, wie sich ein Individuum in einer bestimmten Situation fühlen soll und welcher emotionale Ausdruck (display rules) jeweils als angemessen beurteilt wird� 7 Vgl� dazu auch Linke (2001), die diese Individualisierungstendenz anhand von Todesanzeigen in Zeitungen zeigt� 8 In Frick (2021) zeige ich auf, dass Trauerkommunikation auf solch spezialisier- ten Webseiten von den Nutzer*innen grundsätzlich als privater wahrgenommen wird als jene auf sozialen Netzwerken; das ist unter anderem sicherlich auf den Umstand zurückzuführen, dass Trauer auf sozialen Netzwerken aufgrund ihres „ich heule Rotz und Wasser!“ 113 werden Plattformen zur Trauerartikulation genutzt, die nicht eigens dafür konzipiert wurden – allen voran soziale Netzwerke, auf denen kollek- tiv und (teil-) öffentlich um Fanobjekte oder im Nachgang zu tragischen Ereignissen wie Terroranschlägen oder Flugzeugabstürzen (vgl� Marx 2019) getrauert wird� Bei dieser Form spielen die medientechnologischen Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle: Das äußert sich beispielsweise in den Hashtag-b asierten Vernetzungsstrukturen, die über kollektive Zita- tionen entstehen – bspw� die Entstehung, Verbreitung und Variation des #jesuis- Hashtag (vgl� Giaxoglou 2018) – oder aber in der Ausnutzung multimodaler Ressourcen, etwa in spezifischen Text- Bild- Kombinationen: Abb. 1: Tweet im Nachgang zum Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016�9 „everydayness“- Charakter (vgl� Brubaker/ Hayes/D ourish 2013: 156) nur eines von vielen und womöglich sogar eher ein randständiges Thema ist� Zudem sind Reichweite und Präsenz von sozialen Medien bedeutend größer� Dies zeigt sich auch darin, dass die Konventionen der digitalen Trauerartikulation kaum Gegen- stand eines diskursiven Aushandlungsprozesses sind, während der Metadiskurs zu Online- Trauer in sozialen Netzwerken sehr rege geführt wird (siehe unten, vgl� Marx 2019; Frick 2019)� 9 UrbanPoetry, Twitter, 19- 12- 2016� 114 Karina Frick Der Tweet, der sich durch die Bildüberschrift („Trauer und Mitgefühl“) der emotionalen Kategorie Trauer zuordnet, enthält einen durch eine Folge von Bildern bzw� Fotos zusammengesetzten und verschlagworteten Text, der eine Variation des ursprünglichen #jesuis-H ashtags darstellt�10 Er verweist damit gleichsam unter Einbezug multimodaler Ressourcen auf die im Kontext kol- lektiver Online- Trauer so relevanten Vernetzungsstrukturen� Allerdings gelten auch für diese kollektiven Formen unterschiedliche Vollzugsbedingungen: Um eine öffentliche Person bzw� ein Fanobjekt, zu dem jemand als Fan womöglich eine parasoziale Beziehung11 gepflegt hat, wird anders getrauert als dies bei einem zahlreiche (nicht persönlich bekannte) Menschenleben fordernden Terroranschlag der Fall ist� Kol- lektive Trauer oder Solidarität, die auf tragischen Ereignissen beruht, hat häufig eine politische Dimension, die über die Trauer um die verstorbenen Personen hinausgeht� Digitale Fan- Trauerpraktiken hingegen weisen ihrer- seits, vom verbindenden kollektiven Moment abgesehen, viele Ähnlich- keiten mit individuell- beziehungsbasierter Trauer auf, indem gerade der Betonung dieses persönlichen Aspekts hohe Relevanz beigemessen wird� Damit einher geht häufig die (Forderung nach der) Legitimation des eige- nen Fantums im Rahmen solch digitaler Trauerpraktiken; sie sind daher auch eine Quelle, um etwas über emotional geprägte und prägende Online- Fankultur und - kommunikation in Erfahrung bringen zu können� Daher komme ich im nächsten Abschnitt auf das Verhältnis von (Online- )Fantum und Emotionen zu sprechen� 2.2 Fantum – Emotionen – Medien Fantum lässt sich mit Klemm (2012: 4) bestimmen als „[…] geteilte soziale und kulturelle Praxis unzähliger Gleichgesinnter […]“� Dabei 10 Der Tweet ist damit sicherlich auch die sprachlich- visuelle Vollzugsform einer Solidarisierungspraktik; dass dabei die Emotion Trauer eine zentrale Rolle spielt, wird durch die explizite Referenz darauf manifest� 11 Sanderson/ Cheong (2010: 328– 329) sprechen in diesem Zusammenhang auch von parasocial grieving: „that is, mourning for the loss of a celebrity with whom they had parasocial interaction�“ Letzteres wiederum beschreibt, wie Medien- nutzer*innen sich mit Personen des öffentlichen Lebens identifizieren und eine in der Regel einseitige, aber vor allem asymmetrische (kommunikative) Beziehung zu ihnen aufbauen� Zum Konzept der Parasozialität vgl� auch Otte (2017)� „ich heule Rotz und Wasser!“ 115 bilden Emotionen ein wesentliches Fundament dieser Praxis, wie Schäfer (2017: 93) in seinem Aufsatz zu Fans und Emotionen betont: […] Emotionen [stellen] ein konstitutives, vielleicht das konstitutive Charakte- ristikum von Fans dar, die […] als Personen verstanden werden, die sich vor- nehmlich durch ihre intensive emotionale Beziehung zu einem für sie externen Fanobjekt auszeichnen […]� Fantum ist demnach ohne Emotionen nicht denkbar; deren geteiltes, gemeinsames Empfinden – bzw� die sprachliche Äußerung dieses Empfin- dens – dient der Gemeinschaftsbildung nach innen, bspw� in Form reprodu- zierbarer Rituale, ebenso wie der kollektiven Abgrenzung nach außen – und damit der Abgrenzung von Nicht- Fans (vgl� Schäfer 2017: 98)�12 Die dabei jeweils gültigen Emotionsregeln im Sinne der Hochschild‘schen feeling und display rules (siehe Fussnote 6) sind Gegenstand expliziter metaprag- matischer Aushandlungen, wobei es durchaus auch zur konkurrenzieren- den Ansichten verschiedener Akteur*innen und damit einhergehend zu Konflikten um die „[…] emotionale Geltungsmacht […]“ kommen kann (Schäfer 2017: 105; vgl� auch Klemm 2012: 26)�13 Dass solche Aushandlungen überhaupt stattfinden können, dazu tra- gen die durch digitale Technologien ermöglichten medialen Partizipati- onsstrukturen, auf deren Relevanz einleitend bereits hingewiesen wurde, wesentlich bei� Deren besondere Bedeutung für die aktive Ausübung von Fantum im Internet beschreibt Winter (2017: 143) wie folgt: „[…] so machen die neuen Medien eine intensivierte Verdichtung, Spezialisierung und Differenzierung von Fanwelten möglich, die offen zugänglich sind und zur Partizipation einladen�“ Eine solche Partizipation ist unter Fans nicht nur erwünscht, sondern wird nachgerade erwartet (vgl� Winter 2017: 151); in diesem Sinne ist es nicht erstaunlich, dass soziale Medien (aber auch 12 Als relevant erachtet Schäfer (2017: 99) dabei insbesondere die Emotion Ver- ehrung, „[…] die sich auf etwas Abwesendes, Imaginiertes richtet und dieses stark überhöhend emotional besetzt�“ 13 Klemm (2012: 26) beschreibt solche Aushandlungsprozesse für Fanforen und kommt dabei zu folgendem Schluss: „Innerhalb der Fanforen geht es vielmehr um eine permanente Aushandlung der Fankultur, um das Vermitteln und Aus- handeln von ‚Gefühls- und Darstellungsregeln‘ […], mit denen die Beziehung zum Fanobjekt gestaltet werden soll und darf�“ 116 Karina Frick andere internetbasierte Plattformen) dazu genutzt werden, Fanobjekte im Falle ihres Ablebens zu betrauern: Thus it seems plausible that when a celebrity passes away, particularly when their death is unexpected, fans will use social media to express their grief and interact with other fans who are also mourning� (Sanderson/C heong 2010: 329) In diesem Zitat klingt ein für online stattfindende Fan-K ommunikation im Allgemeinen und Fan- Trauerkommunikation im Speziellen konstitutives Moment an: Die Option zur interaktiven, kommunikativen Vernetzung mit anderen Fans, wodurch die oben erwähnten Aushandlungen einer als angemessen erachteten Emotionalität überhaupt erst möglich werden� Insofern stellen solche „[…] mediated events of bereavement […]“ (Sand- erson/ Cheong 2010: 330) eine wichtige Quelle für ein besseres Verständnis von Fantum einerseits und Konzeptualisierungen von (Fan-) Trauerprakti- ken andererseits dar� 2.3 Datenquellen zu Fan- Trauer Den Beobachtungen zu Aushandlungsstrategien im Kontext von Fan-T rauer im nächsten Abschnitt liegen drei Datenquellen zugrunde� Zum ersten ist das die in Fußnote 2 bereits erwähnte Tweetsammlung, die 2240 Tweets zum Tod von Götz George umfasst, welche in den ersten sechs Tagen nach der Todesmeldung mithilfe des Programms Chorus Tweet Catcher kom- piliert worden sind�14 Diese Sammlung enthält damit vorwiegend direkte (und mehrheitlich zeitnahe) Reaktionen von Social- Media- Nutzer*innen auf die Nachricht vom Tod des Schauspielers, wobei eine Teilmenge dieser Tweets diese Reaktionen gleichsam metadiskursiv reflektiert� Gemeinsam ist den Tweets, dass sie dem übergreifenden Kontext der Trauer(anschluss) kommunikation zugeordnet werden� Die zweite Datenquelle stellen 34 Kondolenzbucheinträge zum Tod des amerikanischen Musikers Lemmy Kilmister auf einer eigens dafür eingerichteten Website der Süddeutschen 14 Dabei wurden Retweets aufgrund ihres identischen Inhalts automatisch vom Programm entfernt� Die Daten liegen im txt�- Format vor, wobei Emojis leider nicht angezeigt bzw� mit einem Ersatzelement (n) repräsentiert werden� Eine eingehende Analyse der in dieser Sammlung enthaltenen Daten findet sich bei Frick (2019)� „ich heule Rotz und Wasser!“ 117 Zeitung dar�15 Nutzer*innen antworten dabei auf die von der Redaktion als Anregung gestellte Frage „Wie erinnern Sie sich an Lemmy Kilmister?“ Die Einträge sind in der Tendenz deutlich länger als die Tweets aus der ersten Quelle (was auch auf die zum Zeitpunkt der Sammlung noch vorherrschen- den Beschränkung auf 140 Zeichen rückführbar ist) und zeugen durch ihre teilweise narrative Gestaltung insgesamt von einer geringeren Unmittelbar- keit als die Tweets� Als dritte Quelle schließlich wurden die 54 Kommentare zu einem Artikel aus der ZEIT ONLINE ausgewertet�16 Der Artikel stellt unter dem Titel „#RIP“ den Wert digitaler Trauerpraktiken als Reaktion auf prominente Todesfälle grundsätzlich in Frage und nimmt dabei eine sehr kritische Perspektive ein (so wird darin beispielsweise von „Instant Trauer“ gesprochen); entsprechend kontrovers wird in den Kommentaren diskutiert, die einer Metaebene zuzurechnen sind� Dadurch fokussieren alle drei ausgewählten Quellen einen etwas anderen Aspekt von Fan- Trauer und legen somit unterschiedliche Konzeptualisierungsaspekte offen; gemeinsam ist ihnen hingegen ihr Status als ‚authentische‘ Daten: Über die Aufzeichnung und Auswertung der Kommunikation erhält man Einbli- cke in die Verarbeitungs- und Aneignungsprozesse, als ‚Relektüre‘ authentischer Daten, die unabhängig vom Forschungsvorhaben entstehen� (Klemm 2012: 8) Ziel der in diesem Beitrag ausschließlich qualitativen Untersuchung dieser drei Datenquellen ist die Aufdeckung von „[…] kommunikativen Spuren der Fan- Aneignung […]“ (Klemm 2012: 8) mit dem Fokus auf die Emo- tion Trauer� 3 Fan-T rauer: Aushandlungsstrategien Die im folgenden dargestellte Analyse von digitaler Fan-T rauerkommuni- kation gliedert sich in zwei Teile, wobei jeweils unterschiedliche Aushand- lungssachverhalte auf der Metaebene im Fokus stehen� Zunächst geht es grundlegend um die Frage, ob die Äußerung von Trauer im Zusammen- hang mit dem Tod eines Fan- Idols überhaupt angemessen ist (siehe 3�1)� 15 Siehe online unter https://w ww�suedd eutsc he�de/ kul tur/i hr-f orum- ihre-e rinn erun gen-a n-l emmy- kilmis ter-1 �2799 335 <01�12�2021>� 16 Siehe online unter https://w ww�zeit�de/ 2016/ 20/t rau er-d avid- bowie-l emmy-k il- mis ter-p ri nce- oeff entl ichk eit <01�12�2021>� 118 Karina Frick Anschließend steht die Frage nach der Berechtigung zur Teilhabe an der Trauer zur Diskussion (siehe 3�2)� Dabei werden, wie zu zeigen sein wird, vor allem auch Merkmale ‚guter‘ bzw� besonders verdienter Fans als Voraussetzung zur Teilhabe relevant gesetzt – es geht dabei auf dieser Metaebene also in erster Linie weniger um Trauerarbeit als vielmehr um Fan-I dentitätsmanagement� 3.1 Trauern oder Nicht- Trauern: Zur Angemessenheit von Online- Trauer Dass der Wunsch nach digitaler Artikulation von Trauer im Falle des Able- bens eines Fan-I dols durchaus nachvollziehbar ist, darauf wurde weiter oben bereits hingewiesen� Daraus folgt allerdings keineswegs, dass die Ausübung einer solchen Praktik in der Fangemeinschaft und außerhalb davon unkritisch aufgenommen würde� Vielmehr wird insbesondere kol- lektiven Online- Trauerpraktiken – sicherlich auch aufgrund ihres Status als „[…] Praktiken im Entstehen […]“ (Beißwenger 2016: 281) – häufig ihre Berechtigung abgesprochen, wie der nachfolgend abgebildete Screen- shot exemplarisch verdeutlicht� Abb. 2: Header des ZEIT ONLINE- Artikel zu digitaler Trauer� Der Autor des Artikels kritisiert hier eine durch öffentliches Teilen in sozialen Netzwerken vermittelte Vorstellung von Trauer� Dass er diese Kri- tik an digitalen Fan- Trauerpraktiken dabei in seiner Rolle als Journalist „ich heule Rotz und Wasser!“ 119 und nicht als Fan, trotzdem aber direkt unter Bezugnahme auf Fanobjekte (Lemmy, David Bowie, Prince) übt, dürfte zumindest mit ein Grund für die zahlreichen kontroversen Reaktionen in den Kommentaren sein� Denn die vom Autor vertretene Ansicht, dass Trauer weder teil- noch mitteilbar sein, ist sowohl generell mit digitalen Trauerpraktiken im Netz als auch spezifisch mit Fan-T rauerartikulationen unvereinbar – erweist sich doch gerade dieses Teilen respektive die Praxis des Sharing als zentral für die Partizipation an digitalem Fantum (siehe 2�2�) und überhaupt als konstitu- tives Merkmal neuer Medien (vgl� Tienken 2013: 19)� Sharing ist auf die Anwesenheit anderer Nutzer*innen ausgerichtet, die sich entsprechend zur geäußerten Emotion – in diesem Fall der Trauerbekundung – positionie- ren können, indem sie diese bspw� ihrerseits teilen und somit reproduzie- ren (alignment) oder indem sie sich kritisch dazu äußern (disalignment)�17 Anhand solcher Positionierungen lassen sich wiederum Normvorstellun- gen ablesen, wie Giaxoglou/ Döveling/ Pitsillides (2017: 3) festhalten: „It is in and through such acts of alignment and disalignment online that norms for displaying loss-r elated emotions emerge�“ Das zeigt sich auch in Abb� 2, die ein Beispiel für einen solchen act of disalignment darstellt; das Glei- che trifft auf den folgenden Screenshot eines Kommentars zu besagtem Artikel zu: Abb. 3: Kommentar zum ZEIT ONLINE- Artikel� 1 7 Natürlich besteht theoretisch auch die Möglichkeit, sich gar nicht zu äußern; praktisch ist das aber aufgrund der Dynamiken und Erfordernissen auf sozialen Medien keine gute Option, wie Marx treffend feststellt: „Wer aber im Web 2�0 schweigt, existiert nicht� Als Ausweg aus dem Dilemma generierte sich ein Dis- kurs, in dem Normen zum adäquaten Umgang mit Tod und Trauer ausgehandelt wurden�“ (Marx 2019: 127) 120 Karina Frick Im Fokus der Kritik steht hier ebenfalls das im zitathaften (und nicht genuinen) Teilen und Reproduzieren sich manifestierende Kollektive, dem emotionale Authentizität abgesprochen wird� Trauer als Emotion wird dadurch als etwas modelliert, das ‚echt‘ und ‚ungeheuchelt‘ sein soll, wobei sich diese Echtheit hier ex negativo über Individualität und Uni- kalität zu definieren scheint; oder anders ausgedrückt: Trauer als Emotion soll eben keine Gruppenangelegenheit, sondern Sache von Einzelpersonen sein – was allerdings aufgrund der bereits erwähnten Sharing- Kultur und den Partizipationsanforderungen im Web 2�0 nur schwer vereinbar ist, insbesondere in Fangemeinschaften, die sich ja wesentlich über geteilte, kollektive Emotionen für das Fanobjekt definieren (siehe oben)� Diese Unvereinbarkeit zwischen medialem Äußerungsdruck einerseits und der diskursiv etablierten Privatheitsnorm von Trauer andererseits ist auch Thema einiger Kommentare�18 (5) […]� Dieses medial aufgebauschte Trauern ist etwas, was mir persön- lich sehr missfällt, wobei es natürlich sein kann, dass einige Menschen öffentlich ihre Trauer zum Ausdruck bringen möchten oder gar müssen und es ernst meinen� Ich halte Trauern für eine solch wichtige Sache, dass es im engeren, privaten Kreis wesentlich besser aufgehoben ist, statt es (gezwungen) öffentlich zur Schau zu stellen� […] (TOtORO, ZEIT ONLINE Kommentar, 08- 05- 2016, 01:47) Die kommentierende Person bringt hier zunächst ihren Unmut über digitale Trauerpraktiken zum Ausdruck, wobei insbesondere der Fak- tor Öffentlichkeit als problematisch empfunden wird� Im Weiteren wer- den davon Personen ausgenommen, die „es ernst meinen“ und dadurch Legitimation erhalten� Hier ist also wieder das Authentizitätsargument ausschlaggebend für die Bewertung, wobei in diesem Fall unklar bleibt, worin sich diese Echtheit manifestieren soll� Auch im Fan- Trauerkontex- ten spielt die Aushandlung von Authentizität im Sinne ‚echten‘ Fantums 18 Nicht selten geschieht das ausschließlich in Form von expliziter Kritik, etwa wenn ein*e User*in von „[…] mediale[r] Ausschlachtung […]“ (Alpha26, ZEIT ONLINE Kommentar, 08- 05- 2016, 0:37) spricht� „ich heule Rotz und Wasser!“ 121 (und damit: ‚echter‘ Verehrung für das Fanobjekt) eine zentrale Rolle (siehe unten)�19 Davon abgesehen wird Trauer im Beispiel als private Emotion konzep- tualisiert, die in einen „engeren“ Kreis gehört und die darüber hinaus von so großer Wichtigkeit ist, dass sie in einem schwer zu vereinenden Kontrast zum everydayness-C harakter (vgl� Fussnote 55) sozialer Medien zu stehen scheint� Insgesamt zeigt sich jedenfalls auch über diese Einzelbelege hinaus, dass disalignment häufig eine Konzeptualisierung der Emotion Trauer betrifft, gegenüber der Ablehnung signalisiert wird� Dabei bringen die partizipativen Strukturen im Web 2�0 kollektive, durch die technischen Voraussetzungen besonders einfach reproduzierbare (Trauer- )Rituale hervor (bspw� den #jesuis- oder #RIP- Hashtag), wobei es im Metadiskurs häufig genau diese Einfach- heit, diese scheinbare Umstandslosigkeit ist, die kritisch aufgenommen und als nicht vereinbar mit der Emotion Trauer betrachtet wird (siehe Abb� 3)� Demgegenüber thematisiert Beispiel (6) einen act of alignment: (6) […] Als ich von seinm Tod erfahren habe, habe ich natürlich als Medien- nutzer an geeigneter Stelle öffentlich ein RIP gepostet, aus Respekt vor der Person� Und war durchaus melancholisch, und hab mir an dem Tag gezielt und ausgiebig Motörhead gegeben� […] (reimer_h rolf, Zeit Online Kommentar, 07- 05-2 016, 23:57) Der Kommentator wertet im Rahmen dieser narrativen Sequenz, die sich auf eine zurückliegende Handlung bezieht, das Posten eines öffentlichen RIPs einerseits als Zeichen von Respekt gegenüber der verstorbenen Per- son und erklärt es andererseits gleichsam zum Indiz für Medienkompetenz� Er beschreibt im weiteren Verlauf seinen emotionalen Zustand und seine damit einhergehende Handlung zum Zeitpunkt des Vollzugs der digitalen Trauerpraktik� Während er sich also aufgrund vergangener Handlungen grundsätzlich als Befürworter kollektiv-d igitaler Trauerpraktiken positio- niert, differenziert er diese Positionierung im weiteren Verlauf seines Pos- tings, indem er sein Verständnis von Trauer ausführlich darlegt: 1 9 Die Aushandlung ‚authentischer‘ Emotionen ist für Fangemeinschaften aber auch über die Trauersituation hinaus von großer Bedeutung, wie Schäfer (2017: 110) schreibt: „Es wird darüber diskutiert, welche Emotionsausdrücke legitim sind und welche nicht, inwieweit ‚authentische‘ Emotionen eine Einstiegsvorausset- zung für die Beteiligung an Fan- Gemeinschaften sein sollten usw�“ 122 Karina Frick (7) […] Geheult hab ich deshalb freilich nicht� Ich hatte schließlich keine private Beziehung zu ihm� Geheult hab ich, als mein Vater starb� Ich würde sagen, sowohl die formalisierte als auch die private Trauer haben institutionell beide ihre Berechtigung� Und die Trauer medial bekann- ter Personen in Medien ist halt natürlich eine formalisierte Trauer� Man sollte sie allerdings zu unterscheiden wissen� Vor allem als Trau- ernder� (reimer_ hrolf, Zeit Online Kommentar, 07- 05- 2016, 23:57) Trauer ist demnach nicht gleich Trauer, es gibt unterschiedliche Aus- prägungen, denen jeweils eine Daseinsberechtigung zugesprochen wird� Allerdings sind sie gemäß dem Kommentierenden durch unterschiedliche display rules geprägt: Körperliche Reaktionen wie weinen scheinen nur dann angebracht zu sein, wenn eine private Beziehung zur verstorbenen Person nachgewiesen werden kann� Bei „medial bekannten Personen“ hingegen kann, wie der erste Teil des Kommentars nahelegt (vgl� (6)), Melancholie ein angebrachter emotionaler Zustand sein� Solche Diffe- renzierungen unterschiedlicher Trauerkonzepte finden sich in zahlreichen alignment- Kommentaren; zur Illustration seien im Folgenden zwei weitere Ausschnitte zitiert: (8) […] Es ist selbstverständlich, dass dies nicht mit der Trauer um einen geliebten Menschen vergleichbar ist, der einem nah stand� Ich finde aber dennoch, dass man diese Traurigkeit äußern darf� Weil man das Gefühl hat, dass nun jemand fehlt, der nie wieder einen Song wird schreiben können� […] (BPecuchet, Zeit Online Kommentar, 08- 05- 2016, 0:39) (9) […] Das alles ändert aber nichts daran, dass der Tod von bekannten Persönlichkeiten einen tatsächlich nahegehen kann, schließlich ver- bindet im Regelfall insbesondere im Falle von Musikern das Wirken und Schaffen, nämlich die Musik, die Fans mit der bekannten Per- sönlichkeit� […] (arsch- konservativ, Zeit Online Kommentar, 08- 05- 2016, 3:24) In diesen beiden Auszügen zeigt sich, dass Trauer eben nicht nur den Verlust der Person als Mensch, sondern auch in der jeweiligen Rolle als Musiker*in, Schauspieler*in, Sportler*in etc� betreffen kann� Gerade in Fangemeinschaf- ten ist dieser Aspekt von zentraler Bedeutung: Über die grundsätzliche (aber „ich heule Rotz und Wasser!“ 123 im Grunde genommen obsolete) Frage nach der ‚Existenzberechtigung‘ von Online- Trauer hinaus ist in Fangemeinschaften nämlich eine andere Frage besonders virulent: die nach der individuellen Berechtigung zur Beteiligung an der Trauer� Diese will verdient und legitimiert sein, wie nun im Folgenden ausgeführt werden soll� 3.2 Fan- Sein oder Nicht- Sein: Legitimationsstrategien Zunächst ist vorauszuschicken, dass nicht nur ausgewiesene Fans sich an den digitalen Trauerpraktiken beteiligen, sondern auch Personen, die sich im Zuge dessen explizit als Nicht-F ans positionieren, wie das folgende Beispiel aufzeigt:20 (10) Nein, wir waren keine Schimanski-F ans, aber #GötzGeorge war ein toller Schauspieler! R�I�P� (BalouPenning, Twitter, 26- 06-2 016, 20:27) (11) Mit seiner Musik konnte ich nicht so viel anfangen� Aber als Mensch war er schon ganz schwer in Ordnung! Mach’s weiterhin gut, wo auch immer� (brunftbrt, Süddeutsche Zeitung Online- Kondolenzbuch, 12-2 015) Es handelt sich hierbei jedoch um eine Minderheit, in der Tendenz beteiligen sich vorwiegend gleichgesinnte Personen, die eine emotionale Beziehung zu ihrem Fan- Idol aufweisen� Im Folgenden stehen daher jene Personen im Fokus, die sich explizit als Fans positionieren – und sich damit auch von Nicht- Fans abgrenzen bzw� diese von der Teilnahme an den digitalen Trauerpraktiken exkludieren�21 Das ist mit einem erheblichen Mehrauf- wand verbunden als die Positionierung als Nicht- Fan, denn das Fan-S ein 20 Solche expliziten Positionierungen als Nicht-F ans scheinen im Übrigen insbe- sondere im Zusammenhang mit ‚umstrittenen‘ Persönlichkeiten, die z� B� von Reality-F ormaten bekannt sind, häufig vorzukommen� Beim Tod des deutschen Mallorca- Auswanderers Jens Büchner beispielsweise gab es zahlreiche Stimmen auf Twitter, die betonten, dass sie keine Fans von ihm waren oder ihn nicht ein- mal mochten, seinen Tod aber dennoch bedauerten� 21 Diese häufig dichotom konzipierte entweder-o der-U nterscheidung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Praxis Abstufungen vom Fan- Sein zum Nicht-F an-S ein gibt (z� B� anderes Publikum)� In den hier untersuchten Daten spielen diese jedoch kaum eine Rolle, vielmehr positionieren sich die an den Trauerpraktiken Beteiligten in der Regel entweder als Fans oder als Nicht- Fans� 124 Karina Frick muss mithilfe unterschiedlicher Strategien legitimiert werden� Dies trifft indes nicht nur auf die Trauersituation als solche zu: Der „[…] Topos des ‚wirklichen Fans‘ […]“ spielt in Fangemeinschaften allgemein eine sehr zentrale Rolle; in diesem Zusammenhang kommt es auch zu Aushandlun- gen, die etwa die Frage danach betreffen, wie sich ‚echte‘ Fans verhalten oder warum jemand ein ‚echter‘ Fan ist im Gegensatz zu jemand anderem (vgl� Klemm 2012: 13)� Dazu gehört stets auch „[…] das Ausgrenzen von damit nicht kompatiblen Praktiken und Personen […]“ (Klemm 2012: 18), wie im folgenden Beispiel, das der Sammlung an Tweets aus Anlass von Götz Georges Tod entstammt: (12) Es wird wieder Zeit vorzugaukeln das man sein Leben lang schon Fan war | #GoetzGeorge (zwiebelmetthh, Twitter, 27- 06- 2016, 04:08) Einerseits erfolgt hier wiederum eine Anspielung auf das im Diskurs so präsente Authentizitätsargument (siehe oben), das eine unabdingbare Vor- aussetzung darzustellen scheint� Anderseits wird in dem Tweet ex nega- tivo deutlich gemacht, dass die zeitliche Dauer des Fanseins offenbar ein zentrales Argument für ‚echtes‘ Fantum darstellt; unterstützt wird diese Haltung in (13): (13) oh nein� das ist jetzt nicht wahr� meine mutter ist sicher fünfzig jahre schon fan von dem… #götzgeorge #rip (Glitzerkeksi, Twitter, 26- 06- 2016, 20:44) Die tweetende Person positioniert sich hier zwar nicht selbst als Fan, ver- weist aber auf ihre Mutter, deren Fantum durch den Faktor Dauerhaftig- keit legitimiert wird� Neben der zeitlichen Dimension ist für das zu legitimierende Fanka- pital ein weiterer Aspekt ausschlaggebend: Spezialwissen, bzw� in Attons (2004: 140) Worten, „[…] displays of specialised knowledge […]“� Die folgenden Beispiele veranschaulichen die Relevanz dieses Aspekts: (14) Was unterschied ihn von anderen? Sein Lebensstil? Seine Musik? Seine Intelligenz? Ja, auch� ABER: Er erfand keine neue Richtung des Heavy Metal� Er war kein neuer Trendsetter in einer bestehenden Strömung� Er war es, der zusammen mit Ozzy überhaupt erst die Tür aufmachte� Der den Zündfunken für all das was wir heute an hervor- ragender Rockmusik hören dürfen setzte� Danke dafür� Farewell old „ich heule Rotz und Wasser!“ 125 man …� (PCookInc, Süddeutsche Zeitung Online- Kondolenzbuch, 12- 2015) (15) PS: RIP Prince� Ich empfehle allen Fans, sich neuere Konzertaufnah- men mit seiner letzten Band 3eyedgirl anzuhören� Es ist großartig, wie er seine Hits zum Teil noch einmal ganz neu arrangiert hatte, wobei die Qualitäten seiner Mitstreierinnen maßgeblich herauskom- men� Schade, dass er mit dieser Band nicht in Deutschland gespielt hat� Der Mann hatte nichts von seiner Begabung eingebüßt� (BPecu- chet, Zeit Online Kommentar, 08- 05- 2016, 0:39) Die Verfasser*innen dieser Beiträge legitimieren durch die Präsentation ihres Spezialwissens nicht nur grundsätzlich ihr Fantum und damit ihre Berechtigung, sich im Trauerdiskurs zu äußern und ihre Trauer über das verstorbene Fanobjekt zu bekunden, sondern positionieren sich gleichsam als besonders ‚gute‘ Fans, da die Aneignung dieses extensiven Wissens (und dessen eigene Interpretation) ein Beleg für die intensive Auseinanderset- zung mit dem Fanobjekt darstellt – und damit der Bekundung der Trauer über den Tod desselben besonderen Nachdruck verleiht� Insofern ist sol- ches Spezialwissen, das im Übrigen außerhalb von Fankontexten wenig wert ist, verdientes Fankapital, das „[…] für Prestigebildung und Status- sicherung eingesetzt werden“ (Klemm 2012: 21) kann� Beide Beispiele sind überdies auch hinsichtlich der darin zum Ausdruck kommenden Adressie- rungswechsel interessant: Während in Beispiel (14) zunächst Lemmy Kil- misters Lebenswerk gewürdigt wird, indem in der dritten Person Singular auf ihn referiert wird, schließt der Beitrag mit der direkten Adressierung des verstorbenen Fanobjekts, mit dem schließlich auch ein Sprachwechsel (in die Sprache des Fanobjekts) einhergeht: „Danke dafür� Farewell old man …�“� In Beispiel (15) hingegen wird das Fanobjekt vor der darauf folgenden Darlegung des Spezialwissens adressiert, wobei die darin ent- haltene Empfehlung explizit an Fans gerichtet ist (und Nicht-F ans exklu- diert werden)� Zwar ist die direkte Adressierung verstorbener Personen im Rahmen digitaler Trauerpraktiken kein grundsätzlich neues Phänomen (vgl� dazu bspw� Kasket 2012: 64 f�); zusammen mit der Danksagung für seine zuvor evaluierte künstlerische Hinterlassenschaft – zu der in anderen Beispielen häufig ein persönlicher Bezug hergestellt wird (siehe Beispiel (3)) – dem Code-S witching und der persönlich-v ertraulichen Personenrefe- renz („old man“), liegt hier möglicherweise eine Kombination sprachlicher 126 Karina Frick Verfahren vor, die (in unterschiedlichen Variationen) als spezifisch für die Artikulation digitaler Fantrauer – oder mindestens fanspezifischer Emotio- nalität – sein dürfte� Über die Aneignung und (öffentliche) Darlegung von Spezialwissen hin- aus ist, wie angedeutet, die persönliche parasoziale Bindung zum verstor- benen Idol ein weiteres bedeutungsvolles Legitimationsargument� Dazu sei an dieser Stelle abschließend der gesamte Kondolenzbucheintrag abgebil- det, der in der Einleitung schon auszugsweise gezeigt wurde: (3) Gestern, ich wartete auf meine Liebste und wollte noch die Bude auf Vordermann bringen hab ich Musik angemacht� Das erste Lied war “Overkill”� Spontan habe ich mich entschlossen, entgegen meiner Angewohnheit die Titel zufällig laufen zu lassen, mir Motörhead only auf die Ohren zu geben und habe ganz entspannt und gut gelaunt auf- geräumt, gesaugt, gespült und was man alles so macht� Stundenlang lief Motörhead, wie seit Jahren nicht mehr … als ich heute morgen aufwachte sagte meine Liebste: “Lemmy ist tot!” Der Mann, dessen Musik mich begleitet seit ich 14 oder 15 bin, dessen Musik über Jahre der pure Ausdruck meines Lebensgefühls war, Aggression, Wut und Rock’n’Roll� Motörhead bot mir ein Ventil für diese Wut� Ich musste nicht raus gehen und andere verprügeln, Motörhead aufgelegt und airband gespielt; im Geiste und auch ganz körperlich das grandiose “buddabuddabudda” von “Philthy Animal” Taylor auf der Kick mit- gekickt; mit hochgerecktem Kopf wie Weiland Lemmy, das imaginäre Mike angebrüllt und jede Schleife, jeden Lick und jedes Solo auf der unsichtbaren Gitarre mitgegniedelt� Lemmy war eher Beatles als Stones, wie ich auch� Hab ich zwar nie verstanden, aber fand es gut� Später erst wurde mir klar, was er damit meinte� Man hört es gut auf der angeblich schlechtesten Motörhead- Platte, “Another perfect day”� Die hat Lemmy Jahre später mal als seine Lieblingsplatte bezeichnet� War auch meine und ich stand mit dieser Meinung ziemlich alleine� Und gestern? Ich bin irgendwann plötzlich aus dem Fan- Sein aufgetaucht und habe bemerkt, dass auf den alten Scheiben die Gitarren kaum verzerrt waren� Wie jetzt? Kein Metal-G ewummer, Accorde klingen aus, angezerrt, aber nicht verzerrt� Nach 30 Jahren fällt mir sowas auf� Hat mich gereizt mal „ich heule Rotz und Wasser!“ 127 wieder selbst Musik zu machen� Lemmy hat mein Leben geprägt� Ob er oder ich wollten oder nicht� Ich bin mit seiner Musik durch dick und dünn gegangen, habe ich stets verteidigt und war schon Fan, als das noch nicht cool war� Ich habe ihn aber auch nie live gesehen� Viel- leicht blieb ich ihm deshalb immer treu, enttäuscht werden konnte ich so ja nicht� Wenn ich darüber nachdenke, finde ich so viele Gelegen- heiten, bei denen mir Motörhead geholfen hat� War ich mies drauf, die “No Sleep ‘til Hammersmith” oder die “Ace of Spades” aufge- legt, oder die grandiose “St� Valentine’s Day Massacre” (ja, ich besitze die Originalplatte), hat stets geholfen� Die “Another Perfect Day” hat mich durch das Abi begleitet, auch wenn es danach in Richtung Post- Punk und Indie weiterging� Aber allen Joy Division, Cure, Sisters und Bauhaus Erleuchtungen zum Trotz, ich blieb immer Motörhead Fan� Obwohl viele meiner Freunde das eher als Schrulle oder Spleen sahen, die Langmatte war eh schon weg� Es wird keine neuen Platten mehr von Lemmy geben und ich merke erst jetzt, wie mir der Klos im Hals sitzt und ich heulen könnte� Ein Teil meiner Jugend ist mit Lemmy endgültig gestorben� R�I�P�, Lemmy� PS: Und schon wieder läuft Motörhead in heavy rotation und ich heule Rotz und Wasser! (Peter Ludwig, Süddeutsche Zeitung Online-K ondolenzbuch, 12-2 015)22 In diesem bereits durch seinen Umfang und seine narrative Gestaltung auffälligen Posting können zahlreiche der oben beschriebenen Strategien beobachtet werden� Das betrifft zum einen die Fan-L egitimationsstra- tegien: Es werden sowohl einzelne Episoden wie auch ganze Lebensab- schnitte des Schreibers in Beziehung zum verstorbenen Idol und dessen Musik gesetzt, während gleichzeitig eine Demonstration von Spezialwis- sen stattfindet� Diese ausführliche und sehr persönliche Darstellung der parasozialen Beziehung legitimiert schließlich das beitragsabschließende 2 2 Die Absätze entsprechen dem Original- Screenshot, Zeilenumbrüche wurden jedoch nicht übernommen, da sie für die Argumentation nicht relevant sind� 128 Karina Frick PS, in dem die kommentierende Person ihre starke körperliche Trauerre- aktion („heule Rotz und Wasser“) beschreibt� Die stilistische Drastik die- ser Trauerbeschreibung stellt ein weiteres Merkmal fanspezifischer Trauer dar, mit dem ‚echte‘ Fans die Intensität der von ihnen empfundenen Trauer zu betonen suchen� Daran wird auch ersichtlich, dass neben der Demons- tration der Zugehörigkeit zur Fangemeinschaft auch die Inszenierung der eigenen Besonderheit als Fan relevant ist (vgl� Klemm 2012: 24)� Das zeigt sich hier etwa auch daran, dass der Kommentierende eine Platte als seine Lieblingsplatte bezeichnet, die ansonsten als „angeblich schlechteste[…] Platte“ gilt; darüber hinaus betont er an verschiedenen Stellen den Aspekt der zeitlichen Dauer seines Fantums, das sogar so weit zurückreicht, „als das noch nicht cool war�“ Er inszeniert sich damit einerseits als beson- ders früher Fan und distanziert sich andererseits von „Erfolgsfans“ (vgl� Klemm 2012: 6)� Zum anderen finden sich im Kommentar auch viele der oben genannten sprachlichen Verfahren, die im Rahmen digitaler Fan- Trauerpraktiken typischerweise in unterschiedlichen Kombinationen auf- treten: darunter die direkte Adressierung des verstorbenen Fanobjekts, die implizite Sprachhandlung des Dankens oder Code- Switching- Sequenzen� Es zeigt sich also insgesamt, dass insbesondere die Faktoren Dauerhaf- tigkeit, Spezialwissen und individuelle Beziehbarkeit bei der Legitimation von Fantum im Generellen und – damit eng verknüpft – der Berechtigung zur Teilhabe an digitalen Trauerpraktiken im Speziellen von den Schrei- benden relevant gesetzt werden� 4 Fazit Die Untersuchung von Beispielen online artikulierter Fan-T rauer hat zum einen Vorstellungen über das Fan- Sein und damit verbundene Anforde- rungen offenbart – etwa betreffend die zeitliche Dauer, das Wissen über das oder die Individualität der Beziehung zum Fanobjekt� Das Aushandeln solcher Fan- Anforderungen ist allerdings keineswegs spezifisch für Trauer- kontexte; so stellt beispielsweise Klemm (2012: 18) in seiner Untersuchung von Fan- Foren bereits fest: „Angemessene Werte und Praktiken werden aber in beinahe allen Foren diskutiert und deren laufende Aushandlung gehört zur Fankultur offenbar konstitutiv dazu�“ Anhand der Kommentar- , Kondolenzbuch- und Tweet-B eispiele lassen sich aber eben zum anderen „ich heule Rotz und Wasser!“ 129 auch darin vertretene Konzeptualisierungen von (Online- )Trauer heraus- arbeiten; es werden, mit anderen Worten, Emotions- und Emotionsaus- drucksregeln (feeling and display rules) für digitale (Fan-) Trauerpraktiken als „Praktiken im Entstehen“ (Beißwenger 2016: 281) verhandelt� Dabei wurde in der Analyse deutlich, dass insbesondere die Diskrepanz zwischen der partizipativen Öffentlichkeit des Web 2�0 und der als privat reklamier- ten Emotion Trauer einen neuralgischen Punkt darstellt� Das ist darauf zurückzuführen, dass durch die Verortung in einem solchen Setting – das mit seinen technischen Ermöglichungen noch dazu die umstandslose Reproduktion von kollektiven Routineformeln maßgeblich vereinfacht – die relevant gesetzte Anforderung der Authentizität kaum erfüllbar ist� Deswegen müssen trauernde Fans sich doppelt positionieren und damit legitimieren: einerseits in ihrer Rolle als Fans und andererseits als dadurch zum Trauern Berechtigte� 5 Literatur Alkemeyer, Thomas / Buschmann, Nikolaus / Michaeler, Matthias, 2015: „Kritik der Praxis: Plädoyer für eine subjektivierungstheoretische Erweiterung der Praxistheorien�“ In: Alkemeyer, Thomas / Schürmann, Volker / Volbers, Jörg (Hrsg�): Praxis denken: Konzepte und Kritik� Wiesbaden: Springer, 25– 50� Androutsopoulos, Jannis, 2016: „Mediatisierte Praktiken� Zur Rekon- textualisierung von Anschlusskommunikation in den Sozialen Medien�“ In: Deppermann, Arnulf / Feilke, Helmut / Linke, Angelika (Hrsg�): Sprachliche und kommunikative Praktiken� Berlin/ Boston: De Gruyter, 337–3 68� Atton, Chris, 2004: An Alternative Internet: Radical Media, Politics and Creativity� Edinburgh: University Press� Beißwenger, Michael, 2016: „Praktiken der internetbasierten Kommuni- kation�“ In: Deppermann, Arnulf / Feilke, Helmut / Linke, Angelika (Hrsg�): Sprachliche und kommunikative Praktiken� Berlin/ Boston: De Gruyter, 279–3 09� Brubaker, Jed R� / Hayes, Gillian R� / Dourish Paul, 2013: „Beyond the Grave: Facebook as a Site for the Expansion of Death and Mourning�“ The Information Society 29, 152– 163� 130 Karina Frick Burger, Harald / Luginbühl, Martin, 2014: Mediensprache. Eine Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien� 4�, neu bearbeitete und erweiterte Auflage� Berlin/B oston: De Gruyter� Fiehler, Reinhard, 2002: „How to Do Emotions With Words: Emotionality in Conversations�“ In: Fussell, Susan R� (Hrsg�): The Verbal Communication of Emotions. Interdisciplinary Perspectives� Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates, 79–1 06� Frick, Karina, 2019: „#RIP – kollektive Fan- Trauer auf Twitter“� In: Hauser, Stefan / Luginbühl, Martin / Tienken, Susanne (Hrsg�): Mediale Emotionskulturen� Bern: Lang, 179– 201� Frick, Karina, 2021: „Verbalised speechlessness: Online mourning prac- tices�“ In: Bulletin suisse de linguistique appliquée No spécial, vol� 1, 251–267� Giaxoglou, Korina / Döveling, Katrin / Pitsillides, Stacey, 2017: „Networked Emotions� Interdisciplinary Perspectives on Sharing Loss Online�“ Journal of Broadcasting & Electronic Media 61(1), 1– 10� Giaxoglou, Korina, 2018: „#JeSuisCharlie? 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Soziologische Perspektiven� 2� Auflage� Wiesbaden: Springer, 141– 160� Michael Wetzels Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation – Zur kommunikativen Konstruktion von Deutungshoheiten in Fankommunikationen am Beispiel von Hertha BSC Abstract: This paper focusses on distinction and conflict in professional football� To get deeper insights into those conflicts, researchers should not only look at offline, but also on online discourses, where people discuss with each other happenings in their fan culture� To illuminate this, the paper will present an example based on the conflict over the club song ‘Nur nach Hause’ of the professional football club Her- tha Berlin in using an episode of the podcast ‘Damenwahl’, which is autonomously operated by fans of the club� Key words: fans, distinction, football, internet, conflict 1 What’s going on here? – Konflikte im deutschen Profifußball „aber Fakt ist dann mit Auflaufen der Mannschaft wurden eben die ersten Sounds von ‚Dickes B‘ eingespielt und zwar wirklich in einer wie du schon sagtest in einer infernalischen Lautstärke die mir im Stadion da um die Ohren jeflogen is gleich- zeitig Riesenpfiffe gleichzeitig stimmte die Ostkurve und zwar unten und dann auch ziemlich schnell die ganze Ostkurve ‚Nur nach Hause‘ an und ick befinde mich ja dann auch immer eher im Rentnerbereich und auch da wurden sehr viele Schals jehoben und es wurde laut mitgesungen.“ (Minute 24:35–2 5:05) Als ich diese Zeilen aus dem Podcast Damenwahl1, ein Onlinemedium zur Diskussion um den Profiverein Hertha BSC, gelesen habe, kam mir direkt Erving Goffmans (1986: 8) berühmter Satz „What is it that‘s going on here?“ in den Sinn� ‚Dickes B‘ im Stadion? Riesenpfiffe aus der Ostkurve 1 Da das gesprochene dem geschriebenen Wort hier vorzuziehen ist, wird emp- fohlen sich den Beitrag online anzuhören: https:// www�damenwa hl-p odc ast�de/ 2018/ 08/2 8/ dawa- 090-z ande rstr uck/� 134 Michael Wetzels und ‚Nur nach Hause‘ wird gegen ein anderes Lied gesungen? Eine toxi- sche Mischung von Emotionen, welche sich im Olympiastadion Berlin am 25� August im Jahre 2018 anscheinend ereignet hat und etwas markiert, was nicht unüblich im Fußball ist, nämlich Konflikte� Zumeist wird, wenn an Konflikte im Fußball gedacht wird, an negative Extremsituationen gedacht� Eskalation oder Gewalt werden dabei hauptsächlich einer Forma- tion, nämlich aktiven Fans (Heitmeyer/ Scherer/ Winands 2010), zugeschrie- ben� So wird einzig das Sichtbare zum Gradmesser dessen, was Konflikte im Fußball auszuzeichnen scheint� Diese Perspektive verdeckt aber gleich- zeitig, dass Konflikte keiner Einseitigkeit unterliegen� Das Gezeigte, in diesem Fall Pfiffe, Gesänge und das Heben der Schals, ist eine Inszenie- rung, ein situatives ‚In- Szene- setzen‘ mit einer bestimmten Adressierung an etwas, was möglicherweise nicht sofort eindeutig zuzuordnen ist� Dies ist soziologisch interessant, denn hier entfaltet sich etwas, was als die Wis- senskonstellationen des Fußballs bezeichnet werden kann� Inszenierungen, seien diese mündlicher, schriftlicher oder bildlicher Art (Schwenzer 2002; Winands 2015; Wetzels 2022), sind routinisierte Bestandteile des Fuß- balls� ‚Presenting‘ gehört zu diesem ‚Bühnenstück‘ (Goffman 1956) nicht nur dazu, sondern es bedient auch einen wissenskonstellativen Kern� Bestimmte Ereignisse stellen keinen spontanen ‚Ausbruch‘ von negativen Emotionen dar, sondern entfalten sich wissenskonstellativ über mehrere Jahre als sinnhafte Diskurs- und Strukturkonstellationen zwischen den unterschiedlichen Deutungshoheiten von Akteur*innen in einer Debatte� Zur Illuminierung dieses Arguments soll in drei Schritten vorgegangen werden� Zunächst werden die Termini ‚Distinktion‘ und ‚Konflikt‘ näher betrachtet und aus einer wissenssoziologischen Perspektive für den vorlie- genden Fall geschärft (2�)� Als zweiter Schritt wird das method(olog)ische Vorgehen skizziert, welches die Besonderheit aufwirft, dass hier digitale Praktiken im Vordergrund stehen (3�)� Anhand des Beispiels des Konflikts um das Vereinslied ‚Nur nach Hause‘ des Fußballvereins Hertha, Berliner Sportclub (Hertha BSC), wird deswegen der Fokus auf die Folge eines Pod- cast gelegt werden (4�)� Den Abschluss bildet ein Ausblick auf künftige Forschungsstrategien und das sich nun medial on- wie offline Zeigende im Fußball (5�)� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 135 2 K onflikt? Distinktion? Wissenskonstellation! – Vorannahmen zu einer analytisch- empirischen Untersuchung 2.1 Soziologische Debattenstränge zu Distinktion und Konflikt Die Termini verweisen aus sozialtheoretischer Perspektive zunächst der Markierung von Differenz� Hillebrandt (2001) zufolge lassen sich zwei Formen unterscheiden: horizontale und vertikale Differenzierungen� Wäh- rend horizontale Differenzierungen die Bedeutung von Rollendifferenzie- rung (z� B� Arbeitsteilung) und unterschiedlichen Handlungslogiken von Gesellschaften thematisieren (vgl� ebd�: 50), sind für diesen Artikel Diffe- renzierungstheorien vertikaler Art bedeutsamer, da sie soziale Ungleichheit und die für die Akteur*innen „[…] relevanten soziokulturellen Repräsen- tationen […]“ (ebd�: 60) thematisieren� ‚Distinktion‘ und ‚Konflikt‘ fallen in das Begriffsrepertoire dieser Denkart, wobei auch hier eine Differenz vorgenommen werden muss� Zunächst ist der Begriff der ‚Distinktion‘ nicht gleichzusetzen mit Differenz� Während Differenz grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen zwei Entitäten markiert, ist die Distinktion die Art und Weise, wie Differenz erzeugt wird (vgl� Müller 1995: 927)� Aus- führungen hierzu lassen sich insbesondere bei Pierre Bourdieu (1987) finden, für den es Distinktion nur gibt „[…] aufgrund der Auseinander- setzungen um exklusive Aneignung der Merkmale, die ‚natürliche Distink- tion‘ ausmachen�“ (ebd�: 389) Die Aneignung bestimmter Merkmale ist ein Prozess der Auseinandersetzung, sodass Positionen in sozialen Feldern Ergebnisse von Distinktionsprozessen durch Konflikt sind� ‚Konflikt‘ ist begrifflich auf unterschiedlichen Ebenen situiert� So kann dieser als Merk- mal von Wechselwirkungen wie z� B� Streit (Simmel 1992) verstanden wer- den oder als Strukturmerkmal zwischen Klassen (Dahrendorf 1959)� Auch Bourdieu verschreibt sich dieser Betrachtung, wobei weniger der physische Kampf zwischen herrschenden und beherrschten Klassen hervorgehoben wird, sondern vielmehr die Erzeugung „[…] objektiv klassifizierbarer For- men von Praxis und Klassifikationssystem[en] […]�“ (Bourdieu 1987: 277, Herv� im Orig�) Die Popularität der Sichtweisen Bourdieus ist deswegen auch in der Fußballforschung im Bereich der Ungleichheits- und Diskri- minierungsforschung verbreitet (Schwenzer 2002; Fürtjes/ Hagenah 2011; 136 Michael Wetzels Sülzle 2011)� Dennoch ist anzumerken, dass Bourdieus Konzept Schwä- chen aufweist, welche sich in dessen objektivistischer Logik begründen: „Die theoretisch zu kritisierende Anthropologie des Objektivismus besteht in der Auffassung des Menschen als Automaten bzw� als Marionette, die an den Fäden fest definierter Regeln hängt� Diese lassen sich genauso leicht durchtrennen wie der Freiheitsfaden des Subjektivismus, wenn man das Modell mit der empirischen Wirklichkeit konfrontiert�“ (Bongaerts 2008: 53) Bourdieus Konzept fehlt es an einer Konfrontation mit empirischen Daten und der Reflexion, dass Akteur*innen ihr Handeln verändern können (vgl� Knoblauch 2017: 225)� Ausdrücke, Worte, Zeichen – all dies ist in einem raumzeitlichen Prozess zu betrachten, welcher abhängig ist von den Kon- stellationen von Wissen und deren Legitimationen, wie es bereits Peter L� Berger und Thomas Luckmann (2010) in ihrem Werk „Die gesellschaft- liche Konstruktion von Wirklichkeit“ beschrieben haben� 2.2 Legitimierung und Wissenskonstellationen – Vorschlag zur Erweiterung des Begriffs- und Analysespektrums im Bereich der Fußballforschung Wissenssoziologisch betrachtet spielen ‚Distinktion‘ und ‚Konflikt‘ als Legitimierungspraktiken der Konzeptionen unterschiedlicher Sinnwelten eine große Rolle. Damit ist gemeint, dass unterschiedliche Sichtweisen auf ein Phänomen bestehen können: „Zwei Gesellschaften, die sich widersprüchlichen Sinnwelten entgegensetzen, ent- wickeln beiderseits Konzeptionen, um die jeweils eigene Sinnwelt abzusichern� […] Welche gewinnen wird, hängt von der Macht, nicht vom theoretischen Genie der Legitimatoren ab� […] Wer den derberen Stock hat, hat die bessere Chance, seine Wirklichkeitsbestimmung durchzusetzen, eine Faustregel, die für jede grö- ßere Gemeinschaft gilt […]�“ (Berger/L uckmann 2010: 117, eig� Herv�) ‚Distinktion‘ und ‚Konflikt‘ können so genauer betrachtet werden� Einer- seits darin, dass Distinktionen wesentlicher Bestandteil von Sinnwelten sind, um diese in der Praxis innerlich wie äußerlich vor anderen zu legiti- mieren� Es findet eine Inszenierung von Distinktion statt, eine „[…] affec- tive line, the expressive status quo […] for a display of proscribed affect […] [that] also implicitly extend to the audience the status of team mem- ber�“ (Goffman 1956: 138, Herv� im Orig�) Es kann aber auch andererseits ein Nicht- oder Halb- Wissen über die Sinnwelt(en) der Anderen vorhanden Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 137 sein, was einen „in- group bias“ (Tajfel/ Turner 1979: 38) darstellt� Auf- grund dessen können so über dasselbe Wort, wie etwa Fankultur, unter- schiedliche Vorstellungen vorherrschen und sich in nationalen Kontexten voneinander unterscheiden (Waine/N aglo 2014)� ‚Konflikte‘ sind dabei keine Seltenheit, da sich die Deutung, je nach Wichtigkeit, in den Sinn- welten voneinander unterscheidet� Personen aus den jeweiligen ‚Welten‘ stehen sich nicht automatisch feindlich gegenüber, sondern die jeweiligen Interpretationen von Situationen, Begriffen und Handlungen als raum- zeitliche Verkettungen lassen ‚Konflikte‘ entstehen, schwelen oder ausbre- chen� Um dies empirisch genauer fassen zu können, habe ich anhand der empirisch- induktiven Methodologie des Kommunikativen Konstruktivis- mus (vgl� Knoblauch 2017: 52) das Konzept der Wissenskonstellationen entwickelt (Wetzels 2022), welches methodisch mit drei Analyseebenen operiert: Diskurs- , Struktur- und Situationskonstellationen� Diskurskon- stellationen sind als Produkt und ‚Anleitung‘ für kommunikatives Wirk- handeln zu verstehen, ein Komplex von Aussageereignissen und Praktiken über rekonstruierbare Strukturzusammenhänge in Gesellschaften, welche „als Struktur- und Signifikationszusammenhang ‚wirklich‘ [werden]�“ (Knoblauch 2017: 236, Herv� im Orig�) Strukturkonstellationen bilden hieran anschließend ab, dass ein implizites Wissen über materialisiert erfahrbare Strukturen im kommunikativen Wirkhandeln wiederzufinden ist� Handeln ist nicht ‚strukturlos‘, sondern Struktur wird bewusst repro- duziert und legitimiert� Dies ist insbesondere an Institutionen sichtbar (vgl� Berger/L uckmann 2010: 56), welche durch bestimmte Regeln und Kano- nisierungen soziohistorische und aktuelle Wirkungssphäre entfalten kön- nen (vgl� Knoblauch 2017: 279)� Situationskonstellationen sind die Ebene des Aktuellen und geprägt von Sequenzen des kommunikativen Wirkhan- delns und den konstellativen Wirkungen von Diskurs und Struktur� Die Handelnden zeigen dabei anderen sowohl, was ihre Handlung erreichen soll, als auch, wie diese in einem spezifischen, räumlichen Setting verstan- den werden soll (vgl� ebd�: 199)� Es ist dieses Zusammenwirken unter- schiedlicher Konstellationen, welches im kommunikativen Wirkhandeln unterschiedliche Interpretationen über ein Zeichen oder ein Wort auslösen und so die Durchsetzung von Wirklichkeitsbestimmungen zwischen unter- schiedlichen Sinnwelten in Gang bringen kann� Die raumzeitliche Dimen- sion der Wissenskonstellationen erlaubt es, den Prozess der Veränderung 138 Michael Wetzels von Interpretationen in den jeweiligen Sinnwelten als dauerhaften Bestand- teil von „on- going social systems“ (Goffman 1956: 8) zu bestimmen� Es ‚sortiert‘ praktisch das empirisch sich Zeigende in analytisch trennbare Dimensionen, ohne zu negieren, dass je nach Fall andere empirische oder analytische Gewichtungen (z� B� mehr Diskurs- als Strukturkonstellatio- nen) vorliegen können� Die (Re- )Produktion von Legitimation und Dis- tinktion muss nämlich dauerhaft auf unterschiedlichen Ebenen betrieben werden, um die eigene Wirklichkeitsbestimmung aufrecht zu erhalten und ein doing distinction2 zu erzeugen� Um dies näher zu erläutern, soll nach einer method(olog)ischen Einordnung (3�) der Streit um das Vereinslied ‚Nur nach Hause‘ diskutiert werden (4�)� 3 M ethod(olog)ische Verhandlung – Fokussierte Ethnographie und Diskursethnographie Da Theorie, Methode und Daten nicht getrennt voneinander zu betrach- ten sind, muss anhand der Ebenen der Diskurs-, Struktur- und Situa- tionskonstellationen eine Methodik angestrebt werden, welche für ausreichende empirische Sättigung sorgt� Hierfür sollen zwei mögliche Methoden qualitativer Sozialforschung, Fokussierte Ethnographie und Wissenssoziologische Diskursethnographie (3�1), präsentiert werden, welche sich für das Feld des Fußballs als fruchtbar herausgestellt haben (Wetzels 2019; Wetzels 2022)� Den Abschluss bildet ein Einblick in das Datenkorpus (3�2)� 3.1 Fokussierte Ethnographie und Diskursethnographie Die fokussierte Ethnographie und die Wissenssoziologische Diskursethno- graphie (WDE) sind als interpretative Verfahren sozialwissenschaftlicher Forschung an der Gewinnung ‚natürlicher‘3 Daten interessiert� Im Falle 2 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Schwenzer (2002) und Winands (2015), die in ihren Arbeiten zu Fußballfanszenen herausstellen, wie Fans untereinan- der sich ihre Legitimierungen als ‚wahre Fans‘ in bestimmten Fußballkulturen abgesprochen haben� 3 ‚Natürlich‘ bedeutet einerseits, dass nicht das Forschungsproblem an das zu erforschende, soziale Feld herangetragen wird, sondern sich aus dem Feld ergibt und andererseits die Forschenden durch ihre Feldposition die Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 139 der Fokussierten Ethnographie steht die Verwendung von Videotechno- logie im Vordergrund, um die Betrachtung kommunikativer Prozesse zu ‚konservieren‘ und datenintensiv Informationen in kurzen Zeiträumen zu generieren (vgl� Knoblauch 2001: 130)� Die Methode erlaubt die Analyse von face-t o- face Interaktionen (vgl� Rebstein/S chnettler 2018: 613) und die Betrachtung und Integration von Prozessen strukturierender sozia- ler Ordnung, sprich Sozialkultur� Ethnographische Notizen, Interviews und der Einbezug von Diskursmaterial sind wesentlicher Bestandteil Fokussierter Ethnographien� Hier liegt auch die Herausforderung dieser Methode� Die Integration von Prozessen strukturierender Ordnung erfor- dert eine hinreichende Kenntnis von Forschungsfeldern, sodass die fokus- sierte Ethnographie eine ‚Expert*innen‘- Ethnographie ist (vgl� Knoblauch 2002: 130)� Darum ist es wichtig, ein Logbuch mit detaillierten Überbli- cken (Daten, Vorkodierungen, Strategien etc�) zu führen, um Strategien, aber auch theoretische Abstraktionen skizzieren zu können� Die WDE wiederum ist als Anschluss zur fokussierten Ethnographie zu verstehen (vgl� Keller 2019: 53) und Teil der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller 2011)� Deren Datengrundlage erschöpft sich nicht in der Analyse und Generalisierung situativer Ereignisse, sondern sie betrachtet zusätzlich „[…] die sozio- historisch geformten und institutionell stabilisierten Regeln […]“ (ebd�: 186, Herv� im Orig�) von Diskursen als raumzeitliche Prozesse (vgl� ebd�: 192)� In diesen Prozessen wird auch die Normalität des Wett- streits von Wissensdiskursen, wie bereits bei Berger/L uckmann ausgeführt (s� 2�2), hervorgehoben� Diskurse, verstanden als Strukturzusammen- hänge mit einem „typisierbaren Kerngehalt“ (ebd�: 205), sind deswegen ein fruchtbarer Anschlusspunkt für die vorzunehmende, empirische Ana- lyse� Die WDE entbindet ethnographische Forschung durch ihre Fokus- sierung auf Diskurse dem Verdacht, dass nur eine situative Betrachtung vorgenommen wird, und bietet durch den Einbezug diskursiver Konstel- lationen ein höheres Erklärungspotential� Sie greift auch auf textförmi- ges Material, audiovisuelle Daten oder Beobachtungen vor Ort als Teil von ‚natürlichen‘ Daten zurück, so dass diese „[…] als Bestandteile der kommunikativen Prozesse und Handlungen nicht aktiv beeinflussen (Rebstein/ Schnettler 2018: 624- 625)� 140 Michael Wetzels diskursiven Wahrheitsproduktion und der dispositiven Produktion bzw� Intervention in den jeweilig interessierenden Feldern untersucht werden [können]“ (ebd�: 55)� 3.2 Datenkorpus Um dem Modell der Wissenskonstellationen gerecht zu werden und die Bedeutung digitaler Medien für die Erforschung von Fans im Allgemeinen zu pointieren, wird im Folgenden das Augenmerk auf diskursiv erzeugte Daten aus dem Bereich Social Media gelegt� Die Erforschung internetba- sierter Daten ist zwar wissenschaftlich durchaus etablierter (Friese et al� 2020), aber bisher nur punktuell auf den Fußball angewendet worden� Während der derzeitige Fokus vor allem auf dem Social-M edia- Auftritt von Sportler*innen und Fußballteams (Theobalt/ Grimmer/H orky 2019; Kallischnigg 2019) liegt, wurde das Potential auf Seiten der Fans, mit Aus- nahme von Ultras (Schwier 2005), nur wenig beachtet (siehe aber Meier- Vieracker i�E�)� Dabei ist das Internet hierfür eine ‚Daten- Goldgrube‘� Ob Fanseiten wie Faszination Fankurve4, Blogs zu Fußballklubs wie die Seite schwatzgelb.de5 zum Verein Borussia Dortmund oder der Podcast Damen- wahl zu Hertha BSC: Fans reden dauernd über Fußball und Fankultur, wes- wegen ein diskurs- und strukturkonstellativer Blick hier zielführend ist�6 Es wird aus dem zur Verfügung stehenden virtuellen Korpus auf 14 diskur- siv erzeugte Daten zurückgegriffen werden: zwei Statements des Vereins, zwei Statements der Ultras, ein Statement eines generellen Fanverbandes, fünf Zeitungsberichte und der Podcast� Der besondere Fokus liegt hier auf Folge Nr� 90, welche den bedeutungsschwangeren Namen ‚Zanderstruck‘ trägt und sich aus drei verschiedenen Perspektiven der Situation, welche 4 https://w ww�fasz inati on-f ankur ve�de/� 5 https:// www�schwa tzge lb�de/� 6 Die Betrachtung von Social Media verdeutlicht, dass es aus empirischer Pers- pektive sinnvoll ist, Diskurs und Struktur voneinander getrennt zu betrachten� Es mag stimmen, dass textbasierte Beiträge in den Bereich des Diskurses fallen, aber sie finden strukturkonstellativ auf Twitter statt� Dieses Unternehmen stellt nicht nur die Plattform bereit, sondern es herrschen auch bestimmte Regeln und Verwendungsformen (Hashtags), damit ein Thema überhaupt sichtbar wird (Bruns 2020)� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 141 im Stadion zu beobachten war, gewidmet hat�7 Die goffmansche Bühne ist nun bereit für einen Konflikt der besonderen Art, nämlich um das Vereins- lied ‚Nur nach Hause‘, für welche der Bereich 10 Minuten und 45 Sekun- den bis 36 Minuten und 43 Sekunden fokussiert wurde�8 4 Der Konflikt um das Vereinslied ‚Nur nach Hause‘ – Wissenskonstellative Inszenierung von Distinktion und Konflikt Um die nötigen Konstellationen und deren Verwebung aufzeigen zu können, wird auf zwei Ebenen diskutiert� Zunächst wird der in der Einleitung situa- tiv gezeigte Konflikt im Olympiastadion Berlin anhand seiner vergangenen wie auch zukünftigen Konstellationen nachgezeichnet (4�1)� Der analytische Schwerpunkt (4�2) liegt darin eine differenzierte Sichtweise auf den sich zei- genden Konflikts über die wissenskonstellative Diskrepanz (4�2�1) und die strukturkonstellative Kommunikationsherrschaft (4�2�2) darzubieten� 4.1 Der situativkonstellative Moment: Proteste im Olympiastadion Berlin am 25. August 2018 „Und dann kam aber die Phase und dann kam die Phase diesmal zuerst Zander stellt sich mit der äh ne diesmal ohne Gitarre aber er stellt sich vor die vor die Kurve und singt ‚Nur nach Hause‘ und da war es zum ersten Mal zu sehen hier gibts nen Dissens also das war auch zu sehen denn die äh der untere Kern der Kurve hat eben nicht wie sonst üblich die Schals gehoben sondern sie haben dit verweigert wat aber nich gegen den Zander geht sondern nur oder ging sondern nur gegen die gegen die Positionierung dieses Liedes.“ (Minute 24:05–2 4:30) Dass ein Lied ein solches Konfliktpotential auslöst, erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich� Um die Geschichte hierzu verstehen zu kön- nen, lohnt es sich, das Vereinslied von Hertha BSC in seinem diskursiven Konstellationssetting genauer zu betrachten� So ist zu nennen, dass die- ses Lied des Sängers Frank Zander eigentlich ein Kneipenlied ist, welches auf Rod Stewards Song ‚Sailing‘ basiert9 und erst seit den 1990er Jahren 7 https://w ww�damenwa hl- podca st�de/2 018/0 8/ 28/d awa-0 90-z ande rstr uck/� 8 Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Wetzels (2022)� 9 https:// www�suedd eutsc he�de/s port/ her tha- bsc-d ie-m erkt en- oh-o h- oh-d a-l aeu ft- was-s ch ief- 1�4107 677� 142 Michael Wetzels etablierter Bestandteil der Hertha aus Berlin ist� Zwei Gründe sind ent- scheidend gewesen, dass dieses Lied zur Vereinshymne wurde� Der erste Grund ist, dass ein bestimmtes Spiel, nämlich das Halbfinale des DFB- Pokals gegen den Chemnitzer FC am 31� März 1993, gewonnen und das Lied hier zum ersten Mal live von Frank Zander vor der Ostkurve, dem Fanbereich im Olympiastadion Berlin, gesungen wurde�10 Seit diesem Zeitpunkt ist es eine positive Erinnerung für das Hertha- Kollektiv und nicht nur eine, sondern die Verbindung der Akteur*innen zueinander� Der zweite ist, dass Frank Zander nicht irgendwer ist, sondern Berliner und Fan von Hertha BSC und somit ein legitimes, „kommunikativ konstruier- te[s] Symbol“ (Kirschner/W etzels 2017: 273)� Durch und mit ihm wird das Vereinslied repräsentiert� All dies wissend und nun wieder auf die aktu- elle Situation blickend, könnte konstatiert werden, was Winands (2015) als Legitimationsentzug von Capos durch ihr eigenes Ensemble beschrieb (vgl� ebd�: 125)� Nämlich, dass Frank Zander seine repräsentative Funk- tion gegenüber der Kurve verloren hat� Diese Beschreibungsebene ist allerdings zu unterkomplex, denn es wird die wissenskonstellative Kom- ponente der ‚Verweigerung‘ vergessen� Der Prozess der Verweigerung war gegen die strukturkonstellative Entscheidung der organisatorischen Neu- gliederung der Schlussviertelstunde, kurzum gegen den eigenen Verein und nicht gegen Frank Zander gerichtet, wie die Beschreibung im Podcast illuminiert� Aber was ist zuvor passiert, dass diese Diskrepanz überhaupt ausgelöst wurde? 4.1.1 Vergangenheit: Frontbildungen Der Konstellationspunkt, welcher zu diesem Konflikt führt, war eine offi- zielle E- Mail des Vereins, welche einen Tag zuvor an jedes Vereinsmitglied verschickt wurde: „[…] Das Spieltagserlebnis an Heimspielen von Hertha BSC im Olympiastadion Berlin ist uns ein besonderes Anliegen. Aus diesem Grund haben wir einige Ver- änderungen an unser Stadionshow um unsere Moderatoren Fabian von Wachs- mann und Udo Knierim, der beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg aufgrund eines privaten Termins nicht anwesend sein kann, vorgenommen. Neben der 1 0 https:// www�tages spie gel�de/b er lin/d as- wund er-d er- amate ure- von- 1993- ja-b er lin- kann- auch- poka lwund er/ 134577 18�html� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 143 Einführung von einzelnen, voneinander abgetrennten thematischen Rubriken rund um Hertha BSC, werden wir auch den Einlauf der beiden Mannschaften verändern. Selbstverständlich wird unser bisheriges Einlauflied „Nur nach Hause“ von Frank Zander weiterhin die ganze Saison fester Bestandteil der Stadionshow sein. Am morgigen Samstag wird Frank Zander das Lied vor dem Spiel live im Stadion singen. Darüber hinaus haben wir uns dafür entschieden, dass wir ab sofort „Nur nach Hause“ zeitlich etwas vorziehen und möchten zudem ein neues Einlauflied etablieren. Eines, welches die Verbindung von Hertha BSC zu Berlin unterstreicht. Als neues Einlauflied haben wir daher ein Lied ausgewählt, mit dem sich jede Berlinerin und jeder Berliner identifizieren kann: „Dickes B“ von der Gruppe Seeed. Es ist uns hierbei wichtig, die Liebeserklärung an die Stadt Berlin, rund um unsere aktuellen Aktionen, auch bei einem der emotionalsten Momente eines jeden Heimspiels, dem Einlauf der Mannschaften, zu zelebrieren.“11 Es fand nicht nur eine Umstrukturierung des Vorprogramms statt, son- dern es wurden Einwirkungen auf die ‚klassische‘ Einsingphase der Kurve insgesamt vorgenommen� Als Einsingphase ist ein Zeitablauf definiert, in welcher bestimmte Lieder geübt werden� Diese sollte den Vorstellungen des Vereins nach reduziert bzw� abgeschafft werden� Dieses Vorgehen von Seiten der Vereinsführung bestätigt auch eine Ultragruppierung von Her- tha BSC, die Harlekins Berlin ´98 am selben Tag auf ihrer Website: „[…] Es schien als habe unser Verein, besser gesagt die Herren der Geschäftsfüh- rung, verstanden, dass Basisarbeit das Fundament darstellt. Leider währte dieses positive Gefühl nur kurz. Denn heute am frühen Abend wurden wir per Telefon darüber informiert, dass es einige, aus unserer Sicht massive, Änderungen in der Einsingphase geben wird. Kurz zur Erklärung: In Zeiten des konstruktiven Dia- logs wurde sich mit der Geschäftsführung auf eine Einsingphase für die Kurve geeinigt, beginnend um 15:15 und abschließend mit dem Anpfiff. Diese sollte nur durch die Mannschaftsaufstellung und unserer traditionellen Einlaufhymne „Nur nach Hause“ von außen beeinflusst werden. Darüber hinaus ist auch das „Einha- ken“ zur Tradition der Kurve, des Oberrings und den angrenzenden Blöcken auf Gegen- und Haupttribüne geworden. Diese Einsingphase hat uns der Verein nun genommen. In besagtem Telefonat wurde uns nun folgendes mitgeteilt: 1 1 Da der Inhalt der E- Mail auf offiziellen Seiten nicht mehr gefunden werden kann, wird auf Kommentar #7867 des folgenden Forums rekurriert: https://f orum�digit alfe rnse hen�de/t hrea ds/d er-h ert ha- bsc-f anthr ead�3165 35/p age-7 87� 144 Michael Wetzels • die Einsingphase wird es in abgesprochener Form nicht mehr geben • das traditionelle „Nur nach Hause“ wird als Einlaufhymne durch ein Lied von Seeed abgelöst • für das „Einhaken“ (ohne Stadionbeschallung) wird im zukünftigen Ablauf kein Platz mehr sein Aus unserer Sicht ist das ein herber Einschnitt in das Stadionerlebnis aller Her- thaner. Dieser kleine Freiraum, der uns noch geblieben ist, wurde uns jetzt genommen. Der Zeitpunkt der Bekanntmachung tut sein übriges dazu. Inner- halb weniger Tage wurde hier die unermüdliche Arbeit der aktiven Fans zunichte gemacht […].“12 Diese Stellungnahme verdeutlicht ein schlechtes Verhältnis zwischen orga- nisierter Fanszene und den Verantwortlichen der operativen Geschäftsfüh- rung, welche auch maßgeblich für das hier aufgeführte ‚Bühnenstück‘ ist� Obgleich sich das Verhältnis in den Monaten zuvor durch Basisarbeit in den Berliner Kiezen gebessert hatte, ist dieser Top-d own- Eingriff, in wel- chem auch die Person Paul Keuter13 aus Sicht der Harlekins eine entschei- dende Rolle spielte, ein Rückschlag im Kampf gegen die fortschreitende Kommerzialisierung des deutschen Profifußballs� Die Interpretation der Gruppierung ist dabei, dass das Vereinslied ‚Nur nach Hause‘ den Sta- tus eines Bauernopfers inne hat: Es ist zwar noch Bestandteil der Vier- telstunde vor Spielbeginn, soll aber nicht mehr zum Einlauf der Teams gespielt werden� Stattdessen, um die Verbindung von Hertha BSC und Berlin zu betonen, soll der Song ‚Dickes B‘ der Band Seeed als Vereinslied gespielt werden� Es wird sichtbar, dass Konflikt und Distinktion von bei- den Seiten als strategische Interaktionen benutzt werden (Goffman 1981)� Während der Verein aus seiner organisationalen Machtposition (Struktur) per E-M ail eine Bestimmung über die Strukturierung der Ablaufzeit vor Spielbeginn erlässt („Neben der Einführung von einzelnen, voneinander 12 https:// hb98�de/n ur- nach- hause-j etzt/� 1 3 Paul Keuter ist Geschäftsführer und Verantwortlicher der Bereiche Digitale Transformation, Kommunikation, Markenführung und Corporate Social Responsibility im operativen Geschäft bei Hertha BSC� Allerdings steht er seit seinem Beginn bei Hertha BSC im Jahre 2016 in einem Konflikt mit der aktiven Fanszene, die ihn für sein Digitalisierungs- und Vermarktungsmanagement auf Kosten der Tradition des Vereins massiv kritisiert, s� https:// www�spo rt1�de/ fussb all/ bund esl iga/2 018/ 10/ hert ha- bsc- farba nschl ag-a uf- haus- von-g escha efts fuehr er-p aul- keu ter� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 145 abgetrennten thematischen Rubriken rund um Hertha BSC, werden wir auch den Einlauf der beiden Mannschaften verändern�“), wird auf der anderen Seite über das Onlineformat des Internets (Diskurs) versucht, die Kurvenpotentialität (Wetzels 2022) zu aktivieren, indem auf die Dramatik der Situation („herber Einschnitt in das Stadionerlebnis aller Herthaner“) hingewiesen wird� Um die Deutungshoheit über ein Ereignis zu erlangen, bringen sich unterschiedliche Formationen in Position gegeneinander, um die Legitimation des eigenen Handelns in der oder den eigenen Sinn- welt(en) zu behaupten� Die Initiierung des ‚neuen‘ Vereinsliedes ist, wie in der Einleitung beschrieben, nicht nur mit Pfiffen quittiert worden, sondern es erfolgte über die Kurve eine Gegenreaktion, nämlich, dass das ‚richtige‘ Vereinslied ‚Nur nach Hause‘ gesungen wurde� Die Sinnwelten brachten sich in diesem Moment situativ sichtbar in eine agonale Position zuein- ander: auf der einen Seite die Vereinsebene und auf der anderen Seite das ‚Fanlager‘ von Hertha BSC� 4.1.2 Zukunft: Das ‚dicke‘ Ende vom ‚B‘ Der Konflikt schlug große Wellen� Nicht nur wurde thematisiert, wie plump sich die Vereinsverantwortlichen den Zorn ihrer eigenen Fans zuzo- gen�14 Auch Frank Zander kritisierte in einem Interview, dass die Fans schon zeigen würden, dass die Ersetzung des Vereinsliedes die falsche Ent- scheidung sei�15 Das mediale Echo führte zwei Tage später zu einer Ent- scheidung, welche im Podcast wie folgt geschildert wurde: „und zwar wurde der eine beteilichte dieser ganzen Angelegenheit und zwar unser guter Freund Paul Keuter der heute Vormittag noch bestätigt hat es ginge so wei- ter wie bisher laut B.Z. wurde äh öffentlich entei nich nein es gab ein Gespräch zwischen Keuter, Gegenbauer und Zander […] Und da wurde ihm da wurde ihm gesagt dass er ähm dass jetzt dass es nich mehr so stattzufinden hat wie er sich das vorstellt“ (Minute 33:04– 33:36) Paul Keuter, der Verantwortliche des Ressorts Kommunikation, Marken- führung und digitale Transformation von Hertha BSC, der als Vertreter 1 4 https:// www�tages spie gel�de/ sport/ kolu mne- auslau fen- mit- luede cke- hert has- liedg ate-v era erg ert-d ie- fans/ 229555 62�html� 15 https://w ww�tagess pieg el�de/b erl in/ oly mpia stadi on-d ebat te- um-s tadio nhy mne- frank-z and er- krit isie rt- hert ha/ 22954 356�html� 146 Michael Wetzels der Strukturkonstellation und des hyperkommerzialisierten Fußballs auf Seiten der Fans ‚verachtet‘ wird, bestätigte in einem Interview zunächst, dass am ‚neuen‘ Vereinslied festgehalten werde�16 Am Nachmittag aber folgte eine Pressemitteilung des Vereins, in welcher der Präsident von Hertha BSC, Werner Gegenbauer, Frank Zander und Paul Keuter einen gemeinsamen ‚Schulterschluss‘ betonten�17 Das Lied ‚Nur nach Hause‘ durch ‚Dickes B‘ zu ersetzen war zurückgenommen und als Entmachtung von Keuter interpretiert worden� Dies wird auch in der Darstellung von Zander vertreten, indem er betonte, dass bei dem geführten Gespräch vom Verein nicht mit so einer Ablehnung gerechnet wurde�18 4.2 Analyse: Deutungshoheiten als wissenskonstellative Diskrepanz und strukturkonstellative Kommunikationsherrschaft Was ist aber so besonders an dieser Debatte um ein Vereinslied? Vereins- lieder sind zunächst in ihrer Identitätsstiftung hoch zu bewerten, da eine Verbindung zwischen Verein und Fans in einer Repräsentationsfunktion hergestellt wird (s� 4�1)� Das Singen des Vereinsliedes in der Einsingphase vor dem Spiel ist der bedeutsamste Moment, welcher die Zugehörigkeit zum eigenen Verein markiert� Dies macht den Konflikt um eine Vereins- hymne auch dramatisch, da hier ein Song etabliert wurde, welcher für den Verein auf Grundlage des Liedes ‚Sailing‘ von Rod Stewart geschrieben wurde und seit 25 Jahren vor jedem Heimspiel gemeinsam gesungen wird� Sowohl die Historie wie auch die materialisierte Bedeutung machen jed- wede Diskussion um dieses Lied zu einem Kampf der Deutungshoheit um die Einheit des Ganzen (vgl� Knoblauch 2017: 284), zu einem Kampf um ein Kollektivsymbol� Die Vereinshymne ist der geteilte kommunika- tive Ausdruck der emotionalen Relevanz des eigenen Vereins (Thonhau- ser/ Wetzels 2019), sodass dieses Kollektivsymbol von hoher Signifikanz 1 6 https://w ww�bz- berl in�de/b erl in- sport/ hert ha-b sc/ her tha- ste llt-k lar-d ic kes-b -b le ibt-d as- einla uf-l ied� 1 7 https:// www�hertha bsc�de/ de/ int ern/ - einla ufmu sik- zan der/ page/ 14958- - 17- 17- �html� 18 https://w ww�mor genp ost�de/ berl in/a rtic le215 1889 97/H ymn en-A er ger-b eigel egt- Zan der-s ingt-v or-A npfi ff- bei- Hert ha�html� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 147 für das gemeinsame Erleben erscheint� Der Inhalt des Liedes ist nicht der ‚Kampfplatz’, sondern die kommunikativen Handlungen, welche die asymmetrische Machtkonstellationen zwischen Struktur und Diskurs mar- kieren und zu den beschriebenen Konflikten überhaupt erst führen: die wissenskonstellative Diskrepanz (4�2�1) und die strukturkonstellative Kommunikationsherrschaft (4�2�2)� 4.2.1 Wissenskonstellative Diskrepanz Mit wissenskonstellativer Diskrepanz ist der Wirkungsprozess struktur- konstellativer Art auf den Ablaufprozess der letzten Viertelstunde vor Spielbeginn gemeint, welcher Irritationen und Widerstand produzierte� Konkret bedeutet dies, dass die Entscheidung des Vereins diskurskonstella- tiv umgedeutet und als Kampf um eine ‚geliebte‘ Tradition, das kollektive Symbol ‚Vereinslied‘, verstanden wurde� Dies wird auch im Podcast deut- lich, in dem diese Diskrepanz negativ hervorgehoben wird: „es kann doch wirklich niemanden überrascht haben dass die Reaktion dann so kommt wie sie kommt das sind Rituale das sind Fanrituale und wir leben in einer Zeit in der es immer wieder in diesem Spannungsfeld Monetarisierung des Fußballs und Wahrung von irgendwelchen Freiräumen Fankultur diese ganzen Geschichten leben“ (Minute 15:59–1 6:20) Dass die Reaktion der Kurve keine Überraschung darstellte, zeigt, dass der ausgefochtene ‚Kampf‘ nicht spontan, sondern strategisch gegen die zunehmende Eventisierung des Fußballs gerichtet war� Diese Einschätzung steht konstellativ in Verbindung mit dem zitierten Positionspapier der organisierten Fanszene (s� 4�1�1) und zeigt, dass die eigentliche Diskrepanz das Fehlen von Kommunikation ist: „also ich versteh es einfach nich man kann über alles diskutieren man kann drü- ber diskutieren ob man andere Songs spielt man kann drüber diskutieren wann man und wie man irgendwelche Einsingphasen macht man kann über alles dis- kutieren bloß man muss drüber diskutieren und es wurde nichts diskutiert rein gar nichts“ (Minute 13:33– 13:50) Das Geäußerte zeigt, dass die Ablehnung nicht gegen das Lied ‚Dickes B‘ per se gerichtet war� Dies lässt sich zweifach begründen: Zum einen wurde ‚Dickes B‘ immer wieder im Stadion gespielt und stieß dort auf Akzeptanz� Auf der anderen Seite, wesentlich wichtiger, ist Seeed eine (West-) Berliner Band und der Frontsänger Peter Fox zudem Herthaner� Somit ist es aus 148 Michael Wetzels Sicht des Vereins zunächst plausibel gewesen ‚Dickes B’ als Verbindung zum Hertha-K ollektiv etablieren zu wollen� Die unterbliebene Kommu- nikation über die bevorstehende Änderung ist aber die kritisierte Form (‚man kann über alles diskutieren man kann drüber diskutieren ob man andere Songs spielt und es wurde nichts diskutiert rein gar nichts‘)� Die Entscheidung des Vereins war nicht nur ein ‚Einschnitt in Fanriten‘, son- dern ein Bruch routinisierter und sedimentierter Muster kommunikativer Handlungssequenzen (vgl� Knoblauch 2017: 229) durch die Methode der strukturkonstellativen Kommunikationsherrschaft� 4.2.2 Strukturkonstellative Kommunikationsherrschaft Mit dem Begriff der Kommunikationsherrschaft wird eine besonders asym- metrische Machtkonstellation bezeichnet� Der Begriff der ‚Herrschaft‘ mag zwar scharf klingen, beschreibt aber heuristisch zunächst eine mas- sive Konzentration von Kommunikationsmacht (Reichertz 2009) auf einer bestimmten Seite, in diesem Fall auf Seiten des Profivereins� Die Informa- tionsverbreitung der Änderung des Stadionprogrammes per E-M ail zeigt diesen Umstand, denn sie hatte nicht nur informativen Charakter, sondern war ein strukturkonstellatives Dekret: So wird’s gemacht und nicht anders! Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Geschäftsführung von Hertha BSC über die institutionelle Macht verfügt, Änderungen gegen den Wil- len der Kurven durchzusetzen, und dies nicht zwingend legitimieren muss, da sie hierfür bereits strukturkonstellativ durch die Vereinssatzung(en) legitimiert ist� Zwar ist festzustellen, dass Fußballvereine keine ‚Allmacht- stellung‘ innehaben und in Abhängigkeit zu ihren Fans betrachtet wer- den müssen� Aber durch die Verwandlung klassischer Fußballvereine in weltweit operierende Unternehmen (Oppenhuisen/ Zoonen 2006) und von Fans in Kunden (Adam 2016) ist eine seit Jahren andauernde Transfor- mation des Fußballs zu betrachten, welche die Einflussnahme und Macht von Fans in Bezug auf ihren Verein erheblich schwächt� Zudem besitzt der Verein machtvolle Handlungsmöglichkeiten materieller Art, wie Stadion- technik, welche auch gegen eine Kurve eingesetzt werden kann� Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber den Partizipierenden, welche nur über begrenzte, kommunikative Möglichkeiten verfügen� Das Übertönen mit der eigenen Musikanlage (‚in einer infernalischen Lautstärke die mir im Stadion da um die Ohren jeflogen is‘) ist eben nicht nur eine institutionelle Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 149 Umsetzung der vorher in Umlauf gebrachten Information, sondern ein Machtinstrument, welches genutzt wurde, um den eigenen Willen im ohnehin schon asymmetrischen Kommunikationsverhältnis durchzu- setzen� Es ist mitnichten so, dass hier zwei gleichberechtigte Sinnwelten einander gegenüberstehen, sondern die Machtkonstellationen auf beiden Seiten unterscheiden sich wesentlich voneinander� Fans sind auf den ‚good will‘ des Vereins angewiesen, denn dieser besitzt das Hausrecht und kann Gruppen oder gar ganze Fraktionen des Stadionraums bei Zuwiderhand- lung gegen die Hausordnung verweisen�19 Dies bedeutet aber nicht, dass Fans komplett machtlos sind, im Gegenteil� Die ‚Vermarktung‘ der Kurven durch ihre Choreographien und Gesänge sind wesentlicher Bestandteil der Strategien der bundesdeutschen Verbände und Vereine, sodass die Durch- setzung des eigenen ‚Willens‘ gegen andere schädlich sein kann und wie in diesem Fall auch gescheitert ist�20 Die Macht der Kurve ist allerdings wesentlich kraftaufwändiger herzustellen als die hegemoniale Macht des Vereins über seine Strukturressourcen� Die unterschiedlichen Formationen im Stadion müssen einen gemeinsamen Nenner finden, damit eine ausglei- chende Formation zum Verein hergestellt wird, und das Lied ‚Nur nach Hause‘ in seiner emotionalen Deutung war so ein Nenner� Der ‚Kampf‘ um ‚Nur nach Hause‘ spiegelt den Konflikt zwischen modernem und traditio- nellem Fußball wider� Frank Zander und Paul Keuter, als jeweilige Reprä- sentanten der Konstellationen, stehen sich als kommunikativ konstruierte Symbole der Distinktion zweier Sinnwelten gegenüber, dessen Kampf noch lange nicht ausgefochten ist und die Stadien der Republik sowie Fußball- forschende weiterhin beschäftigen wird� 5 ‚You should never walk alone‘ – Abschlussbemerkungen Die Diskussion zeigt: Emotionalisierte Situationen im Fußball unterliegen immer einer wissenskonstellativen Interpretation� So wird nachvollzieh- bar, dass Fußball Spiel und Politikum zugleich ist� Die Wissenskonstella- tionen um ein bestimmtes Ereignis haben sich unlängst von einer Off- zu 19 https://w ww�hertha bsc�de/ fileadm in/ downloa ds/ tick ets/ atgb- herthab sc- mai19_ 01�pdf� 2 0 https:// www�unse rekur ve�de/ blog/ pos ition en/f ankult ur/� 150 Michael Wetzels einer Onlinedebatte gewandelt� Waren Wissensbestände bestimmter Sinn- welten früher oftmals unzugänglich, hebt das Internet und seine Vielzahl an produzierten Daten diesen Umstand auf� Fankommunikation ist nun online und die Wissenskonstellationen um einen bestimmten Konflikt erscheinen in ihren Distinktionsmechanismen nun wesentlich greif- und nachvollziehbarer� Die skizzierte Debatte zeigt diesen Umstand: E-M ail- Kommunikation (Newsletter des Vereins) führte zu einer Stellungnahme im Internet einer aktiven Fangruppierung (Harlekins ´98)� Dies führte zu einer koordinierten Gegenreaktion im Stadion und schließlich zu einer Distanzierung von Seiten des Vereins auf seiner Homepage und dem Reden über diesen Konflikt in einem Podcast� Anhand dieser Auf- zählung wird deutlich, dass sich Fankommunikation nicht nur mehr an lokalen Orten (Kneipe, Stadion) abspielt, sondern dass Entscheidun- gen und Handlungen zwischen On- wie Offlinewelten zirkulieren� Ob per E-M ail oder auf Faninternetseiten, die sozialen Medien können als Informationsquelle einen wesentlichen Einfluss auf lokale Handlungen haben� Sie sind allerdings abhängig von Themenschwerpunkten, denn nicht jedes Thema garantiert einen Zusammenschluss unterschiedlicher Stadionformationen� Für Forschende ist die Aufarbeitung der Medienkommunikation von Fans für soziologische Interpretationen, hier anhand des Modells der Wissenskonstellationen, somit äußerst fruchtbar� Nicht nur Fußball, sondern auch andere populäre Sparten (Musik, Schauspiel, Let’s Play- Videos) können in den Blick genommen werden, um anhand spezifischer Fragestellungen und Gewichtungen konstellative Verknüpfungen aufzu- zeigen, welche bestimmte Ereignisse und Allianzen hervorbringen� Ob Podcasts, Twitter oder Instagram, das Internet bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten für Forschende, Distinktionen und Konflikte, so nicht- einsehbar sie zu Anfang erscheinen mögen, als Wissenskonstellationen des Sozialen aufzuarbeiten und empirisch nachzuvollziehen� Dabei sind interdisziplinäre Zusammenarbeiten, etwa Soziologie und Angewandte Linguistik, von Vorteil, um mehrere Blickwinkel auf die Gegenstände zu bieten, welche vorher durch fachdisziplinäre Sichtweisen eventuell aus- geblendet wurden� Gemäß einer alten Fußballweisheit: Getrennt in den Farben, vereint in der Sache� Konflikt und Distinktion als Wissenskonstellation 151 6 Literatur Adam, Steven, 2016: „Fans als Kunden und Vereine als Unternehmen� Implikationen des „Modernen Fußballs“”� In: Czoch, Peter (Hrsg�): Ult- ras in Deutschland� Berlin: Hirnkost KG, 15– 38� Berger, Peter L� / Luckmann, Thomas, 2010: Die gesellschaftliche Kons- truktion der Wirklichkeit. 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Fußball- kultur in England und Deutschland | Football Culture in England and Germany� Wiesbaden: Springer VS� 154 Michael Wetzels Wetzels, Michael, 2022: Affektdramaturgien im Fußballsport. Die Entzauberung kollektiver Emotionen aus wissenssoziologischer Perspektive� Bielefeld: transcript� Wetzels, Michael, 2019: „“Alles nur Massenspaß?“ – Zur wissenskonstel- lativen Erweiterung des wissenssoziologischen Eventbegriffes am Bei- spiel der Bordeauxer Fanmeile zur Fußballeuropameisterschaft 2016“� FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft 1(2), 196– 219� Winands, Martin, 2015: Interaktionen von Fußballfans. Das Spiel am Rande des Spiels� Wiesbaden: Springer VS� Anna Mattfeldt Social Reading als Fankommunikation? Ein Blick auf den digitalen Austausch über Bücher Abstract: Reading a book may appear to be a deeply solitary activity� However, digital formats that allow for an exchange of ideas and opinions on books are beco- ming more and more popular� Many of the practices that can be observed in these contexts of social reading are similar to the forms which Klemm (2012, 1) descri- bes as “doing being a fan”� This article analyses in which ways these practices are similar to and differ from fan communication in other areas� First, definitions of fans and fandom are outlined� Then, the article discusses how social reading and its linguistic practices may be regarded as a form of constituting a fan identity� This is illustrated using examples from the digital platforms Goodreads and Lovelybooks� Key words: social reading, Goodreads, Lovelybooks, emotion, fan communication 1 Einleitung Denkt man an das Lesen als Tätigkeit, erscheint vermutlich vielfach ein ähnliches Bild vor dem inneren Auge: Eine in ein Buch vertiefte Person, die ruhig dasitzt oder - liegt, sich möglicherweise auch konzentriert an einem Schreibtisch Notizen macht – jedoch auf jeden Fall prototypisch diese Tätigkeit allein ausübt� Lesen erscheint uns spontan zunächst als etwas, das jede*r für sich allein tut und an dem andere keinen Anteil haben� Vielleicht denkt man sogar ans Lesen als Rückzugsmöglichkeit aus einem Alltag mit viel sozialer Interaktion� Einen größeren Kontrast zu einer gemeinschaft- lich erlebten Situation mit vielen anderen Personen, wie sie sich in Fußball- stadien in der Fankurve oder bei einem Musikfestival gestaltet, kann man sich zunächst einmal kaum vorstellen� Daher mutet die Überschrift des Beitrags, die das Lesen in Form des Social Reading in den Kontext von Fandasein und Fankommunikation einordnet (wenn auch fragend), möglicherweise erst einmal seltsam an, gerade wenn man an andere Gruppenbildungen denkt, die tendenziell eher unter dem 156 Anna Mattfeldt Terminus Fan perspektiviert werden� Eine Abfrage des Wortprofils von Fan aus dem Korpus des Digitalen Wörterbuchs der Deutschen Sprache ergibt denn auch ein bezeichnendes Bild, z� B� beim Blick auf die ersten zehn Genitivattribute von Fan, die aufgeführt werden (FC, Klub, Eisbär, Schal- ker, Fußballverein, Dynamo, Borussia, Mannschaft, Fußball- Bundesligist, Fußballclub):1 Es dominieren Verwendungskontexte, in denen es um Sport (und dabei vorwiegend um Fußball) geht (vgl� zum entsprechenden Fokus wiederum der Fanforschung Schmidt-L ux in diesem Band)� Setzt Fan-S ein also eigentlich prototypisch andere Objekte der Begeisterung als Bücher und vor allem gemeinschaftliches Erleben voraus, welches das Lesen von Büchern nicht bieten kann? Gleichzeitig wird in der langen Tradition von Lesezirkeln und Buchclubs auch im analogen Bereich ein Wunsch nach Vernetzung zwischen Leser*innen (vgl� dazu Long 2003) deutlich; eine emotionale Beteiligung und teils hohe Empathie – etwa mit Charakteren eines Buches – kann man ebenfalls als Gemeinsamkeit mit Fans anderer Domänen sehen (sowie in Ausdrücken wie Bücherwurm oder Leseratte als sprachlich verfestigten Bezeichnungen für Menschen, die gerne lesen)� Digitale Formate bieten nun andere Möglichkeiten, sich zu vernetzen, die Begeisterung (oder auch Enttäuschung) zu teilen oder sich als Gemein- schaft zu konstituieren, z� B� wie hier in einem Review auf Lovelybooks, der explizit aus der Warte einer Wir- Gruppe enthusiastisch formuliert: „Im November bekommen wir “Fantastic Beasts” und der Trailer sieht fan- tastisch aus und verursacht Gänsehaut und jetzt haben wir endlich den sogenannten 8� Band in unserer Lieblingssaga vorliegen“2� Der vorliegende Beitrag blickt zunächst auf Definitionen von Fan in der Fanforschung und betrachtet verschiedene Aspekte, die dabei als konsti- tutiv für Fantum betrachtet werden (Abschnitt 2)� Dabei werden einige Aspekte ersichtlich, die durchaus auch dem Erleben von Leser*innen und ihrem Verhalten zum Fanobjekt (in diesem Fall dem Buch) entsprechen� 1 https:// www�dwds�de/ wp/F an (letzter Zugriff 29�03�2021)� Die Belege für Eisbär beziehen sich dabei größtenteils auf einen Berliner Eishockeyverein� 2 https:// www�love lybo oks�de/ autor/ Joa nne- K�- Rowl ing/ Harry- Pot ter- and- the-C urs ed-C hild- 1227 0519 70- w/r ezens ion/ 175 1293 572/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� Eine ausführliche Analyse des Belegs ist in Abschnitt 3�2�1 zu finden� Um die Persönlichkeitsrechte der Nutzer*innen zu schützen, werden die User*innennamen in diesem Beitrag nicht genannt� Social Reading als Fankommunikation? 157 Dies gilt insbesondere für Phänomene, die sich dabei im digitalen Bereich zeigen (Abschnitt 3): Hier wird auf Leseplattformen, auf Instagram- Accounts und auf YouTube ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, welches die eigentlich einsame Tätigkeit des Lesens in größere gemeinschaftliche Kontexte rückt und eine Vernetzung von Leser*innen in digitalen Medien ermöglicht� Dies kann als „Social Reading“ bezeichnet werden, welches viele verschiedene Phänomene der Vernetzung bezogen auf die Buchlektüre umfasst: “ʻSocial reading,’ as a concept, is actually quite simple: people want to share what they have read with other people and receive feedback about their thoughts and ideas�”3 Angesichts der teils intensiven Nutzung dieser Angebote zeigt sich, dass hier durchaus über die individuelle Lesetätigkeit hinaus Bedürfnisse im Kontext des Lesens und Parallelen zu Praktiken in der Fankommunika- tion bestehen� Dies sollen einige Beispiele aus digitalen Leseplattformen (im Speziellen Goodreads und Lovelybooks) verdeutlichen, deren sprach- liche Formen der Konstitution von Fanidentität hier von besonderem Inte- resse sind� 2 F andefinitionen und - merkmale, der Bezug zum Lesen und Auseinandersetzungen um Deutungshoheit: Ein Blick in die Forschung Den folgenden Ausführungen soll die nunmehr klassische Definition von Roose, Schäfer und Schmidt-L ux vorangestellt werden: Fans werden darin beschrieben als Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/ oder Geld investieren (Roose/S chäfer/S chmidt-L ux 2010, 12)� Kann dieses Fanobjekt auch das Buch sein? Die angesprochene „emotio- nale Beziehung“ (s� zur Empathie mit fiktionalen Charakteren auch Wan- ning/ Mattfeldt 2020), die Zeit und Intensität der Beschäftigung, die mit der Lektüre von Büchern einhergehen, sowie die (wenn auch im Vergleich 3 https:// tam ethew eb�com/2 011/0 6/1 4/w hat-i s-s oc ial-r eadi ng- and-w hy-s ho uld- librar ies-c are- a-t tw- guest- post- by- alli son- mennel la/ (letzter Zugriff 30�03�2021)� 158 Anna Mattfeldt mit anderen Freizeitbeschäftigungen eher geringe) finanzielle Aufwendung für das Hobby: All dies sind Aspekte, die begeisterte Leser*innen durch- aus mit Fans anderer Domänen teilen� Etwas schwieriger wird es bei dem Kriterium „längerfristig“, da zumindest die Lektüre eines einzelnen Buches irgendwann abgeschlossen ist� Es zeigt sich hier bereits, dass differenziert werden muss: Das Lesen stellt zunächst einmal ein Hobby dar (wie Fußballspielen, Tanzen, Musi- zieren, Gärtnern etc�); Fan ist man damit weniger vom Lesen (da man dieses selbst betreibt – so wie man nicht Fan einer Sportart ist, wenn man sie selbst intensiv betreibt, vgl� zu dieser Differenzierung auch Sandvoss 2005, 52)� Man ist vielmehr Fan von bestimmten Produkten, nament- lich den Büchern; die wichtigste Praktik, in der man dieses Fansein aus- lebt, ist das Lesen� Die in der Definition angesprochene Langfristigkeit kann dabei zum Beispiel durch die über Jahre andauernde Begeisterung für Werke bestimmter Autor*innen oder bestimmter Genres gegeben sein� Es scheint kein Zufall zu sein, dass Bücher im Kontext von Fanforschung vor allem als Buchreihen, ggf� mit Verfilmungen, in den Fokus rücken, etwa mit Bezug zu Joanne K� Rowlings Harry- Potter- Reihe und J� R� R� Tolkiens Herr- der- Ringe- Büchern (vgl� etwa Cuntz- Leng 2014, 10, die in beiden Reihen sogar ein Ankommen des Fan- Seins im gesellschaftlichen Mainstream sieht)� Wie in anderen Bereichen auch ist die Lektüre der Fans dabei oft Aus- gangspunkt für eigene Äußerungen und kreative Beiträge� Winter (1993) differenziert hier zwischen verschiedenen Praktiken: „Interpretation und Fortsetzung“ (74), „Wissenschaftliche Analyse“ (74– 75), „Die Kreation“ (75– 76), „Umfunktionierung“ (76)� Die Textproduktion eigener Beiträge (bis hin zur eigenen Fanfiction als kreatives Fortschreiben des Quellenma- terials) ist in diesem literarischen Kontext besonders interessant� Als Aus- gangspunkt und Fanobjekt ist ein kreatives Werk, ein Text, zu sehen, an den wiederum (oft) textuell mit eigenen Kreationen angeknüpft wird� Die Leser*innen äußern sich dabei im selben Medium wie die Produzent*in- nen des Textes, der ihnen als Ausgangspunkt dient� Vor der Analyse der sprachlichen Praktiken soll hier ein Blick auf den gesellschaftlichen Stellenwert des Lesens geworfen werden� In diesem Kontext muss auch thematisiert werden, wie Praktiken des Fandaseins im Bereich des Lesens beurteilt werden� Die Verortung fällt hier durchaus Social Reading als Fankommunikation? 159 zwiespältig aus� Einerseits ist Lesen eine in der schulischen Bildung ver- mittelte Kompetenz und damit Teil dessen, was Fiske als „official culture“ einordnet: This cultural system promotes and privileges certain cultural tastes and com- petences, particularly through the educational system, but also through other institutions such as art galleries, concert halls, museums, and state subsidies to the arts, which taken together constitute a ‘high’ culture (ranging from the tradi- tional to the avant- garde)� This culture is socially and institutionally legitimated, and I shall refer to it as official culture, in distinction from popular culture which receives no social legitimation or institutional support� (Fiske 1992, 31, H� d� A�) In Schulen und geisteswissenschaftlichen Studiengängen an Universitäten wird als Teil dieser offiziellen Kultur etwa ein bestimmter Literaturkanon besprochen� Die Autor*innen dieses Kanons als „official culture“ werden in digitalen Leseplattformen ähnlich wie aktuell publizierende Schriftstel- ler*innen der „popular culture“ aufgegriffen; so werden auch ältere, kano- nisierte Werke und bei weitem nicht nur Neuerscheinungen rezensiert und hochemotional diskutiert (vgl� Neuhaus 2017, 48–4 9 sowie Beispiele aus Rezensionen zu Jane Austens Roman Emma in Abschnitt 3)� Gleichzeitig werden auch Werke rezensiert und besprochen, die institu- tionell weniger im Bildungskanon verankert sind und nach Fiske (1992) eher der „popular culture“ zugerechnet werden können� Fiske baut bei dieser Distinktion auf Bourdieus Modell des Habitus und der verschie- denen Formen von Kapital in einer Gesellschaft auf� Gemeinsam ist den unten in Abschnitt 3 untersuchten Formen – egal ob sie sich auf die Werke J� K� Rowlings oder Jane Austens beziehen –, dass sie anders als in schu- lischen oder universitären Kontexten nicht darauf abzielen, letztendlich wirtschaftliches Kapital im Sinne Fiskes und Bourdieus aus den entstan- denen Textprodukten wie etwa Fanfiction zu schlagen� Kulturelles Kapi- tal im Sinne des immateriellen Ansehens und Respekts innerhalb einer bestimmten Community, die sich etwa in begeisterten Kommentaren aus- drücken können, und abseits der institutionellen Verankerung steht hier eher im Vordergrund�4 4 Selbstverständlich ist es auch möglich, mittelbar aus dem Lesen literarischer Werke kulturelles Kapital in Form eines formellen, institutionell verankerten Bildungsabschlusses zu erlangen und damit dann beruflichen Aktivitäten nach- zugehen, die wirtschaftliches Kapital im Sinne eines Einkommens bedeuten� 160 Anna Mattfeldt Dabei darf nicht vergessen werden, dass neben den Äußerungen von Fans auch wirtschaftliche Zusammenhänge und einflussreiche Akteur*in- nen des Literaturmarkts wie z� B� Verlage existieren, die diese Aktivitäten teils wohlwollend, teils abwertend betrachten� Anders als z� B� professio- nelle Rezensent*innen in Zeitungen oder Kritiker*innen in TV-S endun- gen wie Das Literarische Quartett verdienen Fans kein Geld mit ihren Rezensionen oder ihrer Fanfiction� Dass Lai*innen sich überhaupt der- artig äußern, wird von Akteur*innen des Literaturmarkts unterschiedlich bewertet� Einerseits wächst die Nutzung dieser Plattformen stetig (im Juli 2019 nutzten 90 Millionen User*innen beispielsweise die Plattform Good- reads)�5 Gleichzeitig trifft auf den Bereich des Lesens und die Äußerun- gen der Leser*innen in besonderem Maße zu, was Winter (1993, 70) als abwertende Feminisierung in Fankontexten charakterisiert� Katharina Herrmann analysiert den Blick der etablierten literaturkritischen Welt auf Buchblogger*innen und Bookstagrammer*innen mit Bezug zu Bourdieu� Sie sieht ein teilweise in Feuilletons praktiziertes Einfordern der Praktiken und des Habitus einer etablierten literarischen Welt für die Lai*innen nicht zuletzt als Angriff auf spezifisch weibliche Lese- und Rezensionspraktiken: […] [Z]u r Kritik des Feuilletons an den Bloggern: Die kulturell legitime Lese- praxis ist natürlich die männliche – es gibt ja auch erst seit ein paar Jahrzehnten weibliche Literaturkritiker� Seit dem 18� Jahrhundert machen Männer Witze über die weibliche Lesepraxis, wird das weibliche Lesen als Krankheit verteufelt, mit- unter wird es Frauen sogar verboten zu lesen (s� auch dazu: S� Bollmann: Frauen und Bücher, 2015)� Wenn nun also heute Feuilleton-J ournalisten in einem spezi- fischen Kontext und abwertenden Ton die Beobachtungen aneinanderreihen, dass Blogger: weiblich sind, viel lesen, gefühlsbezogen urteilen – dann ist das nicht neutral, sondern bedient existierende, Jahrhunderte alte Disktinktionsmuster, und bedient zudem misogyne Muster� Das weibliche Lesen ist nicht vom selben Wert wie das männliche Lesen�6 Dies ist in diesem Kontext auch deshalb interessant, weil sich neben der von Herrmann konstatierten Abgrenzung zwischen männlichem und Diese z� B� universitären Aktivitäten und Abschlüsse sind aber nicht Teil des Social Reading und von Fanaktivitäten, wie sie hier im Fokus stehen� 5 https:// www�statis ta�com/ sta tist ics/ 252 986/n um ber-o f-r eg ister ed-m embe rs- on- goodr eads com/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� 6 https://k ultu rgesc hwa etz�wordpr ess�com/ 2018/1 1/2 2/ zur-k ri tik- des- norm ier ten- lese ns/ (letzter Zugriff 29�03�2021)� Social Reading als Fankommunikation? 161 weiblichem Leseverhalten auch Grenzziehungen zwischen fachlich kriti- sierendem, offiziellem Betrieb einerseits und den Fans als emotional reagie- rendem Publikum andererseits zeigen� Welche Art von Selbstdarstellung wo akzeptiert wird, unterscheidet sich Herrmann zufolge zwischen der professionellen Welt mit ökonomischem Kapital und der Fankultur mit anderen Formen kulturellen Kapitals und anderen Bewertungskriterien� Die Debatten über die Aktivitäten der Buchblogger*innen zeigen zudem, dass auch viele der Fanaktivitäten im Kontext des Lesens online statt- finden� Online- Communities spielen allgemein für Fans eine zunehmend wichtige Rolle� Klemm (2012) untersucht wegweisend Praktiken des Fan- seins („Doing being a fan“) in Onlineforen, z� B� von Fans der Schlagersän- gerin Andrea Berg, der Serie Lindenstraße und klassischer Musik� Dabei zeigt er auf, dass Abgrenzungen und Grenzziehungen stattfinden können (etwa, wenn es darum geht, wer nach der Definition einer Community ein wirklicher Fan ist), und dass in einigen Communities auch durchaus har- sche Kritik am Fanobjekt mit dem Fandasein vereinbar ist� Klemm (2012, 21) verweist auf die Rolle des Spezialwissens als besonderes Kapital und stellt verschiedene Arten der Stilisierung fest, die eng mit dem Fanobjekt zusammenhängen: „In puncto Selbstdarstellung und sozialer Stilisierung in Fanforen spielt die Art des Fanobjekts und das Selbstbild der Commu- nity offenbar eine wesentliche Rolle�“ Dies verdeutlicht die Relevanz, die dem Fan- Sein für die persönliche Selbstkonstitution zukommt� Die persönlichen Vorlieben und Einstellun- gen sind für die Ausprägung einer Rolle, die man einnimmt und die Teil der eigenen Identität wird (vgl� dazu Sandvoss 2005, 47–4 8), mitverant- wortlich� Gerade in digitalen Welten ist dies von Bedeutung: In der (rela- tiven) Anonymität der Internetkommunikation entstehen neue Optionen für eine sprachliche Identitätskonstitution (vgl� dazu auch mit Blick auf Positionierungen Mattfeldt in Vorb� und zu Aspekten von sexueller Identi- tät Mattfeldt 2020)� Einen zentralen Bestandteil dieser Identität kann das Fan-S ein darstellen� Mehr noch: Online kann eine Fan-C ommunity entste- hen, die sich vielleicht sonst so nicht gezeigt und konstituiert hätte� Gerade in Bezug auf die prototypisch isolierte Tätigkeit des Lesens entsteht so erst die Gemeinsamkeit, besonders wenn andere im analogen Umfeld das Buch nicht gelesen haben, dennoch aber das Bedürfnis nach Austausch besteht� 162 Anna Mattfeldt 3 L esen und Fankommunikation 3.1 V irtuelle Orte des Social Reading: Ein Überblick Bevor konkrete Praktiken der Fankommunikation in Abschnitt 3�2 unter- sucht werden, soll ein Blick auf die verschiedenen digitalen Möglichkeiten und Räume für Social Reading geworfen werden� In der digitalen Kommu- nikation bestehen vielfältige Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden und das Lesen als gemeinsames Erlebnis in einer Community zu gestal- ten� Bereits angesprochen wurden Buchblogs (vgl� Lukoschek 2017) und Instagram- Accounts (das sogenannte Bookstagram)�7 Letztere wählen als semiotische Ressource vor allem das Bild: Es werden Fotografien der eigenen Bücher präsentiert, oft in einem ästhetisch ansprechenden Arran- gement� Auch Videos stellen eine mögliche Ressource dar, etwa auf You- tube oder TikTok, wenn neue Bücher gezeigt und/o der nach ihrer Lektüre besprochen werden�8 Wie in anderen Fan- Communities auch (vgl� zum Beispiel Klemm (2012) zu Konstituierung von Spezialwissen über die Serie Lindenstraße) ist spezifisches Wissen über das Fanobjekt ein kulturelles Kapital inner- halb der Leseportale (s� auch die in Abschnitt 3�2 geschilderten Prakti- ken)� Dies betrifft nicht nur Wissen über das Buch, sondern auch über die Welt des Lesens online; so werden Ausdrücke wie SUB (Stapel ungelesener Bücher) und spoilern als typische Ausdrücke in der Community auf Blogs erklärt�9 Dadurch konstituiert sich wiederum ein besonderes Expertentum der erklärenden Instanz, die z� B� auch mit den englischsprachigen Aus- drücken einer internationalen Community vertraut ist� Einen besonderen Aspekt stellt der Bereich der Fanfiction dar� Dabei handelt es sich um von Fans verfasste Texte, die auf den gelesenen Büchern 7 S� verschiedenste Bildverwendungen unter https:// www�instagr am�com/e xpl ore/ tags/b ooks tagr am/ ?hl=d e (letzter Zugriff 14�05�2021)� 8 S� etwa als deutschsprachige Beispiele die Kanäle von expectobooktronum unter https:// www�youtu be�com/u ser/ MrsTro ttlc hen (letzter Zugriff 06�04�2021) oder Phils Osophie unter https://w ww�yout ube�com/ chan nel/U Cn1co a2D WaY5S 22k y_ 4c2 hQ (letzter Zugriff 06�04�2021)� 9 S� zum Beispiel das Glossar mit Beispielen von liz.liebt.buecher unter https://w as lies tdu�de/m agaz in/ 2018/ buch blog ger-b egri ffe (letzter Zugriff 30�03�2021)� Social Reading als Fankommunikation? 163 (oder auch Serien, Filmen etc�) aufbauen und diese ausgestalten� Thorne und Black betonen vor allem die Rolle der Fanfiction für junge Leser*in- nen und ihre Identitätskonstitution (z� B� auch in einer Zweitsprache) und definieren wie folgt: „Fan fiction refers to texts based on existing popu- lar cultural materials, such as books, movies, television shows, and video games, to name just a few�“ (Thorne/ Black 2012, 268)� Hier äußert sich die Nähe des Lesens zur Fankommunikation im Allgemeinen besonders deutlich� Es zeigt sich, wie sich Leser*innen als Fans das Material aneignen (vgl� Klaus/ O’Connor 2010, 48) und Eigenes schaffen, was Winter (1993, 75) als Praktik der Kreation beschreibt� Dies ist im Fall von Fanfiction zu Büchern besonders interessant, weil sich Fans damit als Schriftsteller*in- nen positionieren und in eine Rolle eintreten (wenn auch ohne das sonst damit verbundene ökonomische Kapital), die sonst den Schöpfer*innen ihrer Fanobjekte vorbehalten ist� Dafür kann in anderer Form das Ansehen in der Community Ausdruck finden, z� B� durch Likes und positive Kom- mentare� Jenkins (2010) sieht in seinem Buch Convergence Culture. Where Old and New Media Collide in solchen kreativen Werken von Fans quasi eine Rückkehr zu frühen Kulturformen: If, as some have argued, the emergence of modern mass media spelled the doom for the vital folk culture traditions that thrived in nineteenth-c entury America, the current moment of media change is reaffirming the right of everyday people to actively contribute to their culture� (Jenkins 2010, 132) All diese Formen bieten interessante Ansatzpunkte für die Analyse von Fankommunikation im Bereich des Social Reading� Es zeigt sich ein Kalei- doskop mit immer wieder neu entstehenden und sich weiterentwickelnden Formen, die im Alltag Chancen für eigene Konstitutionen von Persönlich- keit durch die Fanidentität bietet� Genauer betrachtet werden soll aber in diesem Beitrag eine Form, die vor allem Bewertungscharakter aufweist und schriftlich verfasst ist� Foren wie Goodreads und Lovelybooks bieten die Möglichkeit, Bücher zu rezensieren und die Rezensionen anderer Leser*innen zu lesen und zu kommentieren (vgl� auch Wanning/M attfeldt 2020)� Auch dabei gibt es gemeinschaftsstiftende Funktionen und Praktiken� Wie sich Praktiken der Fankommunikation dabei konkret zeigen, wird nun in Abschnitt 3�2 untersucht� 164 Anna Mattfeldt 3.2 Praktiken der Fankommunikation am Beispiel von Reviews und Kommentaren Für die folgende Analyse wurden Reviews und Kommentare zu den Büchern Emma von Jane Austen, Harry Potter und das verwunschene Kind von Jack Thorne, Joanne K� Rowling und John Tiffany sowie Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers untersucht� Eine qua- litative Vorgehensweise erschien hier am geeignetsten, um Praktiken des Fan-S eins induktiv für eine Community herauszuarbeiten, um dabei auch Reaktionen und Interaktionen betrachten zu können (s� dazu auch Klemm 2012, 7)� Die Auswahl der drei Bücher erscheint vielleicht zunächst hete- rogen; tatsächlich eignen sie sich zur Analyse der Fankommunikation im Social Reading aus unterschiedlichen Gründen� Bei Emma handelt es sich um einen Klassiker der englischen Literatur, der mehrfach verfilmt wurde und eindeutig der „official culture“ nach Fiske (s� Abschnitt 2) angehört� Harry Potter und das verwunschene Kind ist ein Theaterstück, das als Buch veröffentlicht wurde und an die erfolgreiche Harry- Potter- Buch- reihe der Autorin Joanne K� Rowling anknüpft� Die Stadt der träumenden Bücher gehört als Fantasyroman zur Genreliteratur� Wie auch Filmgenres haben Buchgenres Fans, die längerfristig verschiedene Bücher aus dem Genre rezipieren� Der Roman enthält zudem auf einer Metaebene zahl- reiche Anspielungen auf literarische Werke und den Literaturbetrieb, so dass sich gerade Personen, die viel und gerne lesen, besonders angespro- chen fühlen könnten� Bei Walter Moersʼ Buch handelt es sich wie bei dem Theaterstück um ein Werk aus einer Reihe� Die Reviews und Kommentare entstammen den digitalen Plattformen Goodreads10 und Lovelybooks11� Während Goodreads eine internationale Plattform ist, in der das Englische von Personen mit verschiedenen Erstsprachen als digitale lingua franca (vgl� Vettorel 2014) häufig genutzt wird, wird auf der Plattform Love- lybooks meist das Deutsche verwendet� Angesichts der Internationalität der Fan-C ommunities werden im Folgenden entsprechend deutsch- und englischsprachige Belege analysiert� Dabei stehen die sprachliche Kons- titution von emotionaler Beteiligung, die Etablierung eines virtuellen 10 https:// www�goodre ads�com/ (letzter Zugriff 08�04�2021)� 1 1 https://w ww�lovel ybo oks�de/ (letzter Zugriff 08�04�2021)� Social Reading als Fankommunikation? 165 Communitygefühls mit bestimmten akzeptierten und nicht- akzeptierten Praktiken sowie die Konstitution von Expertenwissen im Fokus� 3.2.1 Emotionale Beteiligung Die emotionale Anteilnahme am Fanobjekt, die als konstitutiv für das Fan- Sein gilt, zeigt sich vielfach in den online geposteten Reviews der Bücher� Prototypisch ist bei Fans von einer Buchreihe oder von Autor*innen eine positive Reaktion auf das Fanobjekt, was auch in den folgenden Belegen deutlich wird: (1) What a time to be alive! Dieses Jahr hat sich ja schon großartig ange- kündigt für HP Fans und es hat bisher Wort gehalten� Im November bekommen wir “Fantastic Beasts” und der Trailer sieht fantastisch aus und verursacht Gänsehaut und jetzt haben wir endlich den sogenann- ten 8� Band in unserer Lieblingssaga vorliegen!12 (Lovelybooks, Harry Potter und das verwunschene Kind) (2) (deep breath) AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA- AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA- AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA AAAAAAAAAAAHHHH!!!! Okay� Sorry about that� I just remembered the words “If I loved you less, I might be able to talk about it more,” and any time that happens I’m obliged to find the nearest abyss and scream into it for the next 3–5 business days� Now that we’ve wrapped that up, let’s get to it: This is a perfect book�13 (Goodreads, Emma) (3) Wow! Amazing! Mindblowing! A true masterpiece!14 (Goodreads, Die Stadt der träumenden Bücher) 12 https:// www�love lybo oks�de/ autor/ Joa nne- K�- Rowl ing/ Harry- Pot ter- and- the- Curs ed-C hild-1 227 0519 70-w / rezensi on/ 1751 293 572/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� Sämtliche Belege wurden in Orthographie und Zeichensetzung im Original belassen� 1 3 https://w ww�goodre ads�com/ revi ew/ show/1 23 3002 003?book_ show_ a ct ion= true&from_ revi ew_p a ge= 1 (letzter Zugriff 01�04�2021)� 14 https:// www�goodre ads�com/ rev iew/ show/ 674904 746?book_ show _ act ion= true&from_r evie w_p age= 1 (letzter Zugriff 16�04�2021)� 166 Anna Mattfeldt Mit verschiedenen rhetorischen Mitteln wird hier emotionale Beteiligung zum Ausdruck gebracht� In (1) geschieht das durch wertende Adjektive wie „fantastisch“, Verweise auf langes Warten („endlich“) und körper- liche Reaktionen („Gänsehaut“) auf Neuigkeiten aus der Welt von Harry Potter� „Unserer Lieblingssaga“ und „HP Fans“ verweist auf ein Gemein- schaftsgefühl, in dem andere ebenso Vorfreude und Begeisterung empfin- den� In Beleg (2) wird in Majuskeln ein langgezogener Schrei imitiert, der die emotionale Reaktion auf das Buch und eine als besonders gelungen empfundene Textzeile im Roman Emma, die wörtlich zitiert wird, dar- stellt� Mit dem Adjektiv „perfect“ wird das Buch positiv wertend einge- ordnet� Auffällig ist hier, dass gerade auch ein Buch, das dem Lesekanon der „official culture“ (s� o�) angehört, ganz eindeutig Teil eines emotiona- len Lesens werden kann� Damit zeigt sich bereits, dass auch eine Faniden- tität im Zusammenhang mit lang verstorbenen und längst kanonisierten Autor*innen konstituiert werden kann� Beleg (3) zeigt in positiv werten- den Ausrufen ein Beispiel aus einer Rezension zu Die Stadt der träumenden Bücher� Mit „true masterpiece“ wird das Buch hier in einen Kanon beson- ders hochbewerteter Bücher aus Perspektive des Reviewers eingeordnet� Eine langfristige emotionale Beteiligung wird vor allem im Kontext der Buchreihe „Harry Potter“ konstituiert, etwa im folgenden Beleg, der die fiktionale Wiederbegegnung der Charaktere mit dem Wiedersehen alter Freunde vergleicht: (4) As a person who grew up with Harry Potter, and who is in her early 30s now, I feel like I grew up with Harry Potter and the crew, and with the advent of this book, I have, in fact, grown old with them� It was lovely to see them again� It was like meeting old friends�15 (Goodreads, Harry Potter und das verwunschene Kind) Gleichzeitig ist gerade die langfristige Anteilnahme Teil der Aneignung und damit auch Quelle für mögliche Kritik, wenn etwa Fortsetzungen nicht zum eigenen Bild des Fanobjekts passen� Dies wird in den folgenden Bele- gen deutlich: 1 5 https://w ww�goodre ads�com/ rev iew/s how�html?id= 154 43068 64&page=2 (letz- ter Zugriff 01�04�2021)� Social Reading als Fankommunikation? 167 (5) I did not enjoy this journey as much as the first two� I wasn’t as atta- ched to the main character, way more interested in a character that appeared towards the end of the story�16 (Goodreads, Die Stadt der träumenden Bücher) (6) Ich tue jetzt etwas, was mir nicht leicht fallen wird� Ich werde das gehypte Buch auf dem Bild kritisieren, obwohl es eins von meiner Lieblingsautorin ist beziehungsweise sie hat daran mitgeschrieben�17 (Lovelybooks, Harry Potter und das verwunschene Kind) Aufgrund der Langlebigkeit der Buchreihen von Walter Moers (5) und Joanne K� Rowling (6) sowie dem besonderen Status (siehe (6) mit „das gehypte Buch“ und „Lieblingsautorin“) ist die Gefahr der Enttäuschung groß� In Beleg (5) wird das emotionale Erlebnis mit der Lektüre der ersten beiden Bände verglichen und schneidet dabei negativ ab� Diese mögliche Kritik am Fanobjekt trotz der langjährigen Treue erwähnt auch Klemm (2012, 27)� Gerade Fans, die schon lange Anteil am Fanobjekt wie etwa einer Buchreihe nehmen, können sich damit auch als besonders differen- ziert Urteilende zeigen, die nicht alles, was mit dem Fanobjekt zu tun hat, begeistert annehmen, sondern gerade aufgrund ihrer genauen Kenntnis des Materials bestimmte Standards haben� 3.2.2 Die Community: Praktiken der Übereinstimmung und der Abgrenzung Wie bereits angedeutet konstituieren sich um bestimmte Bücher Fan-C om- munities� Das Social Reading schafft dabei auch eine Vernetzung und eine Verbundenheit für die Leserschaft von Autor*innen, die anders als etwa J� K� Rowling nicht mehr schreiben (wie z� B� Jane Austen) oder weniger international bekannt sind� Zu diesem Gemeinschaftsgefühl tragen etwa Kommentare zu Reviews oder andere Verweise auf die Meinung der Community bei, die eine 1 6 https:// www�goodre ads�com/ rev iew/ show/ 145 7948 942?book_s how _ acti on= true&from_ revie w_p age= 1 (letzter Zugriff 16�04�2021)� 1 7 https:// www�love lybo oks�de/ autor/ Joa nne- K�- Rowl ing/ Harry- Pot ter- and- the- Cur sed-C hild-1 22 7051 970- w/ rezensi on/1 956 137 839/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� 168 Anna Mattfeldt vergleichbare Reaktion oder doch zumindest Respekt vor der Position des* der anderen darstellen, z� B�: (7) Erst, als ich mich etwas länger mit diesem auseinandergesetzt habe, habe ich gemerkt, dass das Buch wohl schon etwas älter ist und sehr gute Bewertungen hat� Das hat mich umso neugieriger gemacht und auch aus meinem Bekanntenkreis konnte ich zahlreiche positive Mei- nungen erhalten� Diesen wollte ich auf den Grund gehen und mich selbst davon überzeugen�18 (Lovelybooks, Die Stadt der träumenden Bücher) (8) You don’t know how excited I am that you loved Jane Austen but then add that you gave one of her books 5 stars…� I’m smiling like a goober now haha�19 (Goodreads, Emma) Beide Belege verdeutlichen, welcher Stellenwert anderen Leser*innen zukommt – und damit auch dem Social Reading, dem Gemeinschafts- erlebnis beim Lesen� In Beleg (7) zu Moersʼ Die Stadt der träumenden Bücher trägt die gute Meinung im „Bekanntenkreis“ dazu bei, dass das Buch mit Spannung gelesen wird; gleichzeitig wird der Enthusiasmus nicht unkritisch übernommen� Eine nüchterne narrative Schilderung leitet hier die folgenden Reflexionen ein� In Beleg (8) äußert die schreibende Person dagegen in einem Kommentar Begeisterung für die positive emotionale Reaktion der Reviewautorin auf Emma und freut sich vor allem über das ähnliche Urteil und die gute Wertung des Buchs� Es erscheint relevant, in der Community eine gemeinsame Meinung zu teilen und nicht zuletzt dar- über ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen� Dass die Reviewautorin viele Follower*innen auf Goodreads hat und damit das positive Urteil in der Rezension von vielen anderen rezipiert wird, verstärkt hier möglicherweise noch die Wirkung und die Freude anderer Fans von Jane Austen� Abweichende Meinungen und Abgrenzungen von anderen werden aller- dings ebenfalls geäußert, etwa: 18 https:// www�love lyboo ks�de/a utor/W al ter-M oers/ Die- Stadt-d er- Tr%C3%A4u- men den- B%C3%BCc her- 41937 880- w/ rezensi on/ 1868 220 053/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� 19 https://w ww�goodre ads�com/ rev iew/s how/ 239 5779 229?book_ show _a ct ion= true&from_ revi ew_ pa ge=1 , Kommentarbereich (letzter Zugriff 01�04�2021)� Social Reading als Fankommunikation? 169 (9) Es gibt scheinbar Leute, die das Buch nicht kaufen / lesen, weil es kein Roman, sondern ein Theaterstück ist� SEID BLOß NICHT SO DOOF!!!20 (Lovelybooks, Harry Potter und das verwunschene Kind) Hier geht eine Abgrenzung von anderen Leser*innen einher mit einer ein- dringlichen, in Majuskeln verfassten Empfehlung, sich nicht von deren Vorurteilen beeinflussen zu lassen� Die direkte Ansprache der Leser*innen des Reviews verdeutlicht wiederum das Gefühl der Gemeinschaft im Social Reading� Konflikte innerhalb der Community ergeben sich bei voneinander abweichenden Meinungen ebenfalls� Dies wurde in der Analyse vor allem an einem längeren Kommentarstrang zu einem Review von Austens Emma deutlich�21 Die ironische und eher negative Bewertung des Romans durch den Reviewer wird von vielen Kommentator*innen geteilt; insgesamt wird viel Lob für die Rezension ausgesprochen (vgl� zu diesen Praktiken auch Mattfeldt in Vorb�)� Ein schlichtes „Lol� you didn’t get it“ durch einen anderen User durchbricht diese positive Reihe� Auf diesen Kommentar reagieren wiederum der Reviewautor sowie andere Forennutzer*innen abwertend, etwa mit Formulierungen wie: (10) If I did not like or enjoy a book, it doesn’t automatically mean that I did not ‘get it’� And I don’t need pseudo-i ntellectuals to tell me otherwise� (Goodreads, Emma) Daraufhin sieht sich der Kommentator genötigt, seine gegenüber dem Reviewautor kritische Position in verschiedenen weiteren Kommentaren auszuführen� Interessant erscheint dies hier insbesondere mit Blick auf die in Abschnitt 2 geschilderte Auseinandersetzung zwischen Kulturbetrieb und Social Reading Communities: Auch hier gibt es unterschiedliche Auf- fassungen, was angemessene Herangehensweisen und Interpretationen für literarische Werke angeht, und auch zum Stellenwert des gefühlsbetonten 2 0 https:// www�love lybo oks�de/ autor/ Joa nne- K�- Rowl ing/ Harry- Pot ter- and- the- Cur sed- Child- 122 7051 970- w/ rezensi on/ 175 1293 572/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� 21 Der komplette Strang, aus dem die folgenden Zitate stammen, ist hier zu fin- den: https:// www�goodrea ds�com/r ev iew/s how/1 286 0017 19?book_s how_ act ion= true&from_r evi ew_ p age= 1 (letzter Zugriff 30�03�2021)� 170 Anna Mattfeldt Lesens gibt es geteilte Meinungen� Diese Sphären scheinen hier im Kom- mentarbereich aufeinanderzustoßen: (11) I understand your framework of “subjective opinions” and “pre- ferences” (and of course agree that there’s room for opinion and preference)� But the whole discourse of it’s-a ll- subjective-c an’t- you- understand- that? can be as limiting as it is freeing, as it suggests that all opinions are equally well- informed and deserving of attention – and that there’s no point in rigorously discussing something or of entertaining the idea that one might have missed some of the most important aspects of the novel (because after all, one’s opinion is one’s opinion, etc�)� If someone has thought long and hard about a book for a long time and striven to understand its context and structure and themes, etc�, and another person has only given enough thought to dismiss it without identifying a single one of its merits, their “subjective opinion” is very possibly unsound� […] I’m sorry for being so aggressive and grumpy� I just have such a soft spot for Austen and Emma in particular, which is one of the greatest and most ingenious 19th- century novels� (Goodreads, Emma) Relevant mit Blick auf Auseinandersetzungen zwischen Fans und der Legitimation der eigenen Meinung erscheint hier die Perspektive, wer mit welchem Fachwissen welche Art von Kritik äußern darf und wie intensiv man sich mit dem Objekt der Kritik befasst hat („striven to understand its context and structures and themes“)� Ob die Analyse des Werks (s� auch Winter 1993, 74– 75) ganz frei ist oder an bestimmtes Wissen geknüpft sein sollte, wird gerade bei einem kanonischen Werk wie diesem Roman kontrovers diskutiert� Anders als in der von Herrmann geschilderten Tren- nung zwischen Literaturbetrieb und Buchblogger*innen ist hier allerdings durchaus im Laufe des Kommentarstrangs Verständnis für die andere Position zu erkennen, sowie interessanterweise eine Rechtfertigung und Entschuldigung, dass dies quasi die emotionale Reaktion eines Fans sei, dessen „soft spot“ hier getroffen wurde� Diese explizite Begründung der Reaktion damit, ein Fan und emotional involviert zu sein, wird von dem Autor des Originalreviews wiederum im Verlauf des weiteren Kommentar- strangs respektiert und versöhnlich anerkannt� Social Reading als Fankommunikation? 171 3.2.3 Wissen als kulturelles Kapital des Fans Kognitiv äußert sich Fantum in einer Art selektiver Wahrnehmung, in dem man sich konzentriert dem Fanobjekt zuwendet und anderes ausblendet, möglichst viel (und meist möglichst Positives) über es in Erfahrung bringt und dadurch ein breites Wissen, eine Expertenschaft aufbaut� (Klemm 2012, 5–6 , Hervorh� i� O�) Wissen über das Gelesene und darüber hinaus ist auch beim Social Reading relevantes Kapital in der Community� Dies wurde im letzten Abschnitt bei Beleg (11) bereits ersichtlich� Spezielles Wissen um die Entstehung eines Werks kann hier die eigene Interpretation und Bewertung plausibler machen� In Kommentaren werden auch explizit Informationen erfragt� Reviewer*innen mit vielen Follower*innen wird dabei ein besonderer Status zugesprochen; ihnen traut man breites Wissen um den eloquent besprochenen Gegenstand zu� So wird eine Reviewerin etwa gefragt, ob sie die Ticketpreise des Theaterstücks Harry Potter und das verwun- schene Kind kenne und wie schwierig der Erwerb von Karten sei, und sie antwortet: (12) Ridiculously hard unless you have about £700 to spare per ticket (about $920)� To avoid having to pay that much, you have to be online as soon as the initial tickets go on sale – you’ll be put in an online queue and you’ll have to hope you get through before they sell out :(22 (Goodreads, Harry Potter und das verwunschene Kind) Wie man hier sieht, geben die Fans einander konkrete Hinweise und Tipps und in anderen Kontexten Leseempfehlungen� Das Gefühl, eine Commu- nity zu sein (s� 3�2�2), konstituiert sich auch durch solche konstituierte Hilfsbereitschaft, die ein eigenes Expertentum beinhaltet� Eine sehr beliebte sprachliche Form, eigenes Wissen zu zeigen und ande- ren Fans zu signalisieren, dass man „dazugehört“, besteht in Anspielungen auf das Fanobjekt� Hier zeigen sich auch Stilisierungen, die speziell für die Bücher typisch sind: 22 https://w ww�goodre ads�com/r evi ew/ show/ 1571 7985 17, Kommentarbereich (letzter Zugriff 01�04�2021)� 172 Anna Mattfeldt (13) In diesem Autoren brodelt das Orm�23 (Lovelybooks, Die Stadt der träumenden Bücher) (14) The adults have grown, they’ve changed� Some have changed so much that I hardly recognize them, Draco, for instance� I like that he’s, well, nicer now, but he doesn’t feel like Draco, you know?24 (Goodreads, Harry Potter und das verwunschene Kind) Der Ausdruck Orm in Beleg (13) stammt aus Moersʼ Werk; Dichter aus dem fiktiven Zamonien- Universum, die das sogenannte Orm erworben haben, schreiben auf besonders geniale Art und Weise� Darauf spielt dieser Beleg humorvoll an� Ein solches Insiderwissen wird von anderen Leser*in- nen des Werks mühelos verstanden, so dass sich auf solche Weise auch implizit eine Ingroup von Fans konstituiert� In Beleg (14) wiederum wird auf die Vertrautheit mit den Charakteren der Harry- Potter- Reihe ver- wiesen� Fans wie die Reviewerin konstituieren eine so gute Kenntnis der Charaktere, dass sich ein verändertes Verhalten (wie hier vom Charak- ter Draco Malfoy) nicht authentisch anfühlt� Geteiltes Wissen wird hier mit „you know?“ am Ende angesprochen; die Autorin des Reviews geht davon aus, dass auch andere Leser*innen des Buchs sich ihr eigenes Bild des Charakters gemacht haben und wissen, was sie mit ihrem Empfinden von mangelnder Authentizität gemeint haben könnte� 4 Fazit Die in Abschnitt 3 gezeigten Praktiken zeigen, dass sich selbst in Bezug auf die eigentlich so einsame Tätigkeit des Lesens Onlinecommunities mit einem Bedürfnis nach Austausch über die Leseerfahrungen bilden� Dies geschieht in verschiedenen Bereichen und mit eigenen Produkten von Rezensionen über Kommentare bis zu eigenen fiktionalen Texten� Dabei weist die Kom- munikation viele Parallelen zu anderen Domänen auf, in denen Fankom- munikation bereits untersucht wird� Die Praktiken, die dabei Anwendung 23 https:// www�lovel yboo ks�de/ autor/ Wal ter-M oers/D ie- Stadt- der- Tr%C3%A4u- mend en-B %C3%BCc her-4 1937 880- w/ rezensi on/ 2813 4880 32/ (letzter Zugriff 01�04�2021)� 24 https://w ww�goodre ads�com/ revi ew/ show�html?id=1 54 43068 64&page=2 (letz- ter Zugriff 01�04�2021, H� i� O�)� Social Reading als Fankommunikation? 173 finden, betreffen vor allem emotionale Bindungen an das Fanobjekt, die Bewusstmachung einer Community mit Grenzziehungen zu anderen Fans bzw� Nicht- Fans und die Darstellung von Spezialwissen� Gleichzeitig zeigen sich in den Belegen auch andere Tendenzen, die dar- auf hindeuten, dass das Fan-S ein im Kontext des Lesens sich etwas anders gestaltet und eigene Facetten aufweist� Dazu gehören etwa Auffälligkeiten im Duktus: So finden sich auch nüchtern gehaltene, narrative Darstellungen, wie man auf das Buch aufmerksam wurde (s� Beleg (7)) oder auf hohem sprachlichem Niveau gehaltene Kommentare, die literaturwissenschaftliche Aspekte aufgreifen (s� Beleg (11))� Gerade letztere könnten darauf hinweisen, dass Lesen und das Sprechen über Gelesenes stärker als andere, prototypi- schere Domänen, in denen Fanaktivitäten stattfinden (z� B� Sport), mit einem bildungsbürgerlichen Kontext verbunden werden� Auch wenn auf Grundlage der Analyse in diesem Beitrag das Social Reading als Fanaktivität eingeordnet wird, sollten die Spezifika der Domäne Lesen im Blick behalten werden� Auffällig erscheint abschließend der sehr wertschätzende Umgang der Fans miteinander im Vergleich zu anderen Communities (vgl� etwa den harschen Umgang der Schlagerfans miteinander, den Klemm (2012) unter- sucht)� Abweichende Meinungen werden tendenziell akzeptiert, auch wenn unterschiedliche Bewertungen und Bewertungsmaßstäbe durchaus offensichtlich werden� Der Austausch wird als wichtig und bereichernd empfunden und bietet Möglichkeiten, das eigene Leseerlebnis zu intensi- vieren� Insgesamt zeigt sich hier eine Entwicklungstendenz zwischen offi- cial culture und popular culture nach Fiske (vgl� Abschnitt 2) in Form des Social Reading, das eigene Aktivitäten ermöglicht und dessen zunehmende Beliebtheit ein Bedürfnis zeigt, das möglicherweise vom etablierten Litera- turbetrieb nicht geleistet werden kann (vgl� dazu auch Lukoschek 2017)� 5 Literatur Cuntz-L eng, Vera, 2014: „Einführung: konsumieren, partizipieren, kreieren“� In: Cuntz- Leng, Vera (Hrsg�): Creative Crowds. Perspektiven der Fanforschung im deutschsprachigen Raum. Darmstadt: Büchner Verlag, 9–1 6� Fiske, John, 1992: „The Cultural Economy of Fandom“� In: Lewis, Lisa A� (Hrsg�): The Adoring Audience. London & New York: Rout- ledge, 30– 49� 174 Anna Mattfeldt Jenkins, Henry, 2010: Convergence Culture. Where old and new media collide. New York et al�: New York University Press� Klaus, Elisabeth / O’Connor, Barbara, 2010: „Aushandlungsprozesse im Alltag: Jugendliche Fans von Castingshows“� In: Röser, Jutta / Thomas, Tanja / Peil, Corinna (Hrsg�): Alltag in den Medien – Medien im Alltag� Wiesbaden: Springer VS, 48– 72� Klemm, Michael, 2012: „Doing being a fan im Web 2�0� Selbstdarstellung, soziale Stile und Aneignungspraktiken in Fanforen“� In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 56(1), 3–3 1� Long, Elizabeth, 2003: Book clubs. Women and the uses of reading in everyday life. Chicago u� a�: University of Chicago Press� Lukoschek, Katharina, 2017: „‘Ich liebe den Austausch mit euch!ʼ Aus- tausch über und anhand von Literatur in Social-R eading-C ommunities und auf Bücherblogs“� In: Bartl, Andrea / Behmer, Markus (Hrsg�): Die Rezension. Aktuelle Tendenzen der Literaturkritik. Würzburg: Königs- hausen & Neumann, 225– 252� Mattfeldt, Anna, 2020: „Marginalisierung in der Marginalität? Ein Blick auf digitale Räume anhand sprachlicher Konstruktionen von randständigen Positionen im Kontext von Asexualität“� Zeitschrift für Angewandte Linguistik 73(2), 213– 238� Mattfeldt, Anna, in Vorb�: „Reflexionen über sich und andere in digitalen Räumen� Soziale Positionierungen in Onlineforen“� In: Busch, Florian / Droste, Pepe / Wessels, Elisa (Hrsg�): Sprachreflexive Praktiken. Empirische Perspektiven auf Metakommunikation. Stuttgart: Metzler (erscheint voraussichtlich 2022)� Neuhaus, Stefan, 2017: „Vom Anfang und Ende der Literaturkritik: Das literarische Feld zwischen Autonomie und Kommerz“� In: Bartl, Andrea / Behmer, Markus (Hrsg�): Die Rezension. Aktuelle Tendenzen der Literaturkritik. Würzburg: Königshausen & Neumann, 33– 57� Roose, Jochen/ Schäfer, Mike S�/ Schmidt-L ux, Thomas, 2010: „Einlei- tung: Fans als Gegenstand soziologischer Forschung“� In: Roose, Jochen / Schäfer, Mike S� / Schmidt- Lux, Thomas (Hrsg�): Fans. Soziologische Perspektiven� Wiesbaden: Springer VS, 9–2 6� Sandvoss, Cornel, 2005: Fans: The Mirror of Consumption� Cam- bridge: Polity Press� Social Reading als Fankommunikation? 175 Thorne, Steven L� / Black, Rebecca, 2012: “Identity and Interaction in Internet-m ediated Contexts”� In: Higgins, Christina (Hrsg�): Identity formation in globalizing contexts. Language learning in the new millennium� Berlin, Boston: de Gruyter, 257– 278� Vettorel, Paola, 2014: English as a lingua franca in wider networking. Blogging practices. Berlin, Boston: de Gruyter (Developments in English as a lingua franca 7)� Wanning, Berbeli / Mattfeldt, Anna, 2020: „Empathie beim Verstehen fik- tionaler Texte“� In: Jacob, Katharina / Konerding, Klaus- Peter / Liebert, Wolf- Andreas (Hrsg�): Sprache und Empathie. Linguistische und inter- disziplinäre Zugänge� Berlin et al�: de Gruyter (Sprache und Wissen 42), 543– 579� Winter, Rainer, 1993: „Die Produktivität der Aneignung� Zur Sozio- logie medialer Fankulturen�“ In: Holly, Werner / Püschel, Ulrich (Hrsg�): Medienrezeption als Aneignung. Methoden und Perspektiven qualitativer Medienforschung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 67– 79� Andreas Wagenknecht „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen.“ Online- Rezensionen auf Amazon als Form der Fankommunikation Abstract: Using the example of online reviews of the Black Metal album Sons of Northern Darkness by the band Immortal on the eCommerce platform Amazon, the following article illustrates that this variant of electronic word-o f-m outh can also be described as a form of fan communication and fan productivity� In this context online reviews are considered in the tradition of fanzines and discussed regarding how fan and scene knowledge is specifically communicated� The aim of this article is not to work out stylistic characteristics and review criteria of the reviews or to describe Black Metal reviews on Amazon as a separate genre that can be distingu- ished from other music reviews� Rather, it shows how the reviews on Amazon are used by fans for textual production and how a marketing tool is thus appropriated and creatively decoded in the sense of Cultural Studies� This is considered creative, as the reviews are not only used for the sole purpose of valuation and making a possible buy recommendation but also to highlight a form of expertise as a fan, to get in touch with other fans and to communicate with them� Key words: Online reviews, Fan communication, Black Metal, Fan productivity, eCommerce, Electronic word- of- mouth 1 Einleitung Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf Rezensionen von Tonträgern aus dem Heavy Metal-G enre im Allgemeinen und solchen aus dem Sub- Genre Black Metal im Besonderen� Dabei wird der Frage nachgegangen, in welcher Art und Weise die Möglichkeit der Bewertung von Tonträgern auf Amazon von Fans genutzt wird und inwieweit sich die Rezensionen sowie die sich um diese entfaltende Kommunikation vor dem Hintergrund der Fanforschung diskutieren lassen� So ist beispielsweise die Betonung von Experten_ innenwissen ein wesentliches Merkmal der Kommunikation unter Fans� Dieses zeigt sich beispielhaft in folgendem Auszug aus einer Rezension des Albums Sons of Northern Darkness der Band Immortal: Ich 178 Andreas Wagenknecht würde es als Mischung aus At the heart of winter und Damned in Black bezeichnen1� Der Rezensent zieht hier einen Vergleich zwischen dem besprochenen Album und dessen beiden Vorgänger-A lben� Dieser konkrete Verweis ist eine Entäußerung des spezifischen Wissens des Rezensenten über eine Band, welches sich in ähnlicher Art und Weise sowohl in zahl- reichen professionellen Musik- Rezensionen aus dem Bereich des Heavy Metal (vgl� Diaz-B one 2010) als auch in Metal- Fanzines beobachten lässt� Es ist somit einerseits ein Merkmal von Musik-R ezensionen, aber ander- seits auch wiederum eine Form der Generierung von populärem kulturel- lem Kapital unter Fans (vgl� Fiske 1997) – in diesem Fall auf den Seiten des Onlineversandhändlers Amazon� Das Ziel des Beitrags ist es zu zeigen, dass Online- Reviews für die Fan- forschung fruchtbar gemacht werden können, da sie sich im Spannungs- feld zwischen Emergenz und Strategie der Fans verorten lassen� Dazu werden Online- Rezensionen auf Amazon als eine Art Ausweitung der Fanproduktivität über spezifische Fanzines und andere Online- Angebote hinaus in das eigentlich als Marketing-T ool angelegte Rezensions-u nd Bewertungssystem des Online-H ändlers Amazon betrachtet und dis- kutiert� Die Analyse der stilistischen Eigenschaften und der dezidierten Bewertungskriterien der Rezensionen oder die Frage danach, ob Black Metal- Rezensionen auf Amazon eine eigene, zu anderen Musik-R ezen- sionen abgrenzbare Gattung darstellen, ist hier nicht von Interesse bzw� allenfalls Mittel zum Zweck, um beispielhaft zu verdeutlichen, wie ein spezifisches Fansein vermittelt wird und auf welche Art und Weise Rezen- sionen auf Amazon als eine Form von Fankommunikation betrachtet werden können – unabhängig davon, ob sich dieses auf andere Musik- Fandoms überragen lässt� 1 Die Online-R eviews bzw� die Auszüge aus diesen oder Angaben von Amazon wurden im Original übernommen – d�h� Rechtschreibfehler, Zeichensetzung, Formatierungen etc� wurden nicht bereinigt� Die Reviews und Auszüge wurden kursiv gesetzt und gegebenenfalls (wie längere Literaturzitate) formal abgesetzt� Alle zitierten Online-R eviews finden sich unter: https://w ww�amaz on�de/S ons- Northe rn-D arkn ess-I mmor tal/p rodu ct-r evie ws/B 000 05V 6QB/ ref=c m_c r_g etr_ d_ pag ing_ b tm _ pre v_1 ?ie= UTF8&revie werTy pe= all_ revie ws&page Numb er= 1&sort By=r ece nt (retrieved: 01�10�2020)� „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 179 Was das Verständnis und die Verwendung des Begriffs Fan betrifft, ori- entiere ich mich an Roose / Schäfer / Schmidt- Lux (2010)� Sie definieren Fans als Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/ oder Geld investieren (12)� Weiterhin stehen Fans einer bestimmten Musikrichtung – und besonders die des Musikgenres Heavy Metal – in enger Verbindung zur entsprechen- den Szene, was nachfolgend auch immer wieder argumentativ von Bedeu- tung sein wird� Unter Bezug auf Hitzler / Bucher / Niederbacher (2005) werden nachfolgend als Szenen thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte mate- riale und/ oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabili- sieren und weiterentwickeln (20) verstanden� Im Szenekonzept der Autoren nehmen Musik und Medien sowie deren spezifische Stellung und Verwendung innerhalb der Szene eine zentrale Rolle ein2� 2 ( Online-) Rezensionen: Begriffsdiskussion, Entwicklung und Perspektiven Rezensionen von neuen aber auch bereits etablierten Musik- Alben sind von jeher ein fester Bestandteil des (pop)musikalischen Diskurses� Als journa- listische Gattung finden sie sich im Feuilleton von Tageszeitungen ebenso wie in einschlägigen professionellen Print- Musikmagazinen oder Fanzines� Seit der Entwicklung des Web 2�0 und der Möglichkeit der Erstellung von nutzergenerierten Inhalten hat sich das Internet zu einem Sammelplatz von Reviews3 jeglicher Form und jeglichen Inhalts entwickelt – von denen Kri- tiken und Bewertungen populärer Musik nur einen Bruchteil darstellen� 2 Zu den spezifischen Merkmalen der Heavy Metal- Szene vergleiche Weinstein (2000) und zu denen der Black Metal- Szene Chaker (2014)� 3 Die Begriffe Rezension und Review werden im weiteren Verlauf synonym verwendet� 180 Andreas Wagenknecht Damit geht neben dem Anstieg der Anzahl professioneller Rezensionen vor allem eine Explosion der Anzahl von Laienrezensionen einher, da nun nahezu alle, die einen Internetzugang besitzen, ihre Meinung zu aktuel- len oder auch historischen Tonträgern online stellen und damit öffentlich machen können� Sei es auf der eigenen Homepage, in professionellen oder von Fans herausgegebenen Webzines oder auf den Seiten von Online- Händlern wie Amazon, die die technische Möglichkeit zur Bewertung jeglicher dort gehandelter Produkte und somit auch von Produkten der Musikindustrie (CD, LP, DVD, mp3 etc�) fest in ihren Online-A uftritt inte- griert haben� 2.1 O nline- Reviews von Tonträgern als Form des Electronic Word-o f- Mouth Die Entscheidung, ein Produkt zu kaufen, geht nicht selten auf die Emp- fehlung von Bekannten zurück� Soll beispielsweise ein neues Auto ange- schafft werden, holt man sich Informationen und Rat von der Person im Bekanntenkreis, die sich mit Autos auskennt, oder man erinnert sich an Freund_ innen, die erwähnt haben, dass sie mit ihrem neuen Fahrzeug einer bestimmten Marke sehr zufrieden sind� Auch der Kauf von Tonträgern oder das Downloaden und Streamen von Musik kann auf persönliche Empfehlungen von Arbeitskolleg_ innen, Freund_ innen oder Verwand- ten zurückgehen, die im Gespräch ein bestimmtes Album lobend erwäh- nen� Nicht selten tauschen sich Fans im Gespräch mit anderen Fans einer bestimmten Musikrichtung oder Band über die neuesten Veröffentlichun- gen des Genres oder auch über kanonische Alben aus und geben Kaufemp- fehlungen – unter anderem dadurch motiviert, dass sie an ihrem Fanobjekt partizipieren und dieses unterstützen wollen� So zeigt eine Untersuchung von Roose / Schäfer (2010), dass 55 Prozent der Musikfans bereit sind, ihr Fanobjekt (beispielsweise eine Band oder ein Genre) zu unterstützen (vgl� 374–3 75) – ideologisch, aber auch monetär, so zum Beispiel durch den Kauf der Musik, in welchem Format auch immer� Tonträger (audiovisuelle Medien inklusive) stellen die wichtigsten Medien des Black- und Death Metal dar� SzenegängerInnen inverstieren nach eigener Aus- kunft einen Großteil des Geldes, das ihnen für Szene- Produkte zur Verfügung steht, in Tonträger� […] Das zentrale Tonträgermedium ist nach wie vor die CD, unter Sammlern ist ferner Vinyl verbreitet� MP3s werden vorwiegend als „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 181 Ergänzung zu physischen Tonträgern oder zum ‚Reinhören‘ in Musik verwen- det� Gerade die Musik ihrer Lieblingsbands wollen die meisten AnhängerInnen aber nach wie vor in den Händen halten� […] Wenn Black- und Death Metal- AnhängerInnen MP3s also primär ergänzend gebrauchen, ist dies nicht auf eine prinzipielle ‚Technikfeindlichkeit‘ zurückzuführen, sondern dieses Trägermedium widerspricht häufig der erwünschten Art der Musikaneignung im Metal� (Chaker 2014: 177) Der wirtschaftswissenschaftliche Fachbegriff für die sehr gut erforschte Form der mündlichen Produktwerbung – umgangssprachlich formu- liert: der Mundpropaganda – lautet Word- of- Mouth� Arndt (1967) defi- niert diese wie folgt: „oral, person-t o- person communication between a perceived non- commercial communicator and a receiver concerning a brand, a product, or a service offered for sale“ (190)� Mit der Entwick- lung des Web 2�0 ist durch die Möglichkeit der nutzergenerierten Pro- duktbewertungen dem interpersonalen Word-o f- Mouth das Electronic Word- of- Mouth an die Seite getreten� So finden sich auf den Seiten des Onlineversandhändlers Amazon Reviews und Bewertungen zu nahezu allen dort gehandelten Produkten und damit eben auch Rezensionen von Heavy Metal respektive Black Metal- Alben� Hennig- Thurau et al� (2004) beschreiben Electronic Word- of- Mouth als „any positive or negative state- ment made by potential, actual, or former customers about a product or company, which is made available to a multitude of people and instituti- ons via the Internet“ (39)� Vor diesem Hintergrund werden die hier im Mittelpunkt der Darstel- lung stehenden Rezensionen von Musikveröffentlichungen auf den Seiten des Online- Händlers Amazon aus dem Bereich des Heavy Metal respektive des Black Metal als Online- Reviews und damit als eine Form des Electro- nic Word- of- Mouth verstanden� 2.2 Fanzines, Webzines und Online- Reviews als Formen der Textproduktivität von Fans Veröffentlichte und damit anderen Personen als Leser_ innen zugängliche Rezensionen von Tonträgern durch (musik- )journalistische Laien gab es bereits lange vor Rezensionen auf Amazon in musikbezogenen Fanzines� Fanzines sind von Fans für Fans produzierte Magazine, die prinzipiell jedes 182 Andreas Wagenknecht Fandom zum Gegenstand haben können – von Fußball über Horrorfilme bis hin zum Black Metal� Sie zirkulieren als Sprachrohr und Meinungsmacher in Szenen� Fanzines verfol- gen inhaltlich ein ʻspecial interest‘, und sind an bestimmte Zielgruppen gerichtet� Das herausgegebene Organ ist Teil der Zielgruppe und besitzt hohe Kompetenz bezüglich des Gegenstandes� Die Gründungsmotivation erfolgt primär aus ide- ellem Interesse� Erscheinungsweisen, Auflagen und formale Kriterien (wie z� B� Umfang, Format, Druckqualität, Layout etc�) sind uneinheitlich und variabel� Der Vertrieb erfolgt größtenteils über alternative Strukturen an die relevanten Plätze des Szene- Netzwerkes, durchaus auch über Postzustellung aus privaten Haushalten� (Greiner 2001: 11f�) Fanzines und somit auch die in ihnen enthaltenen Rezensionen von Ton- trägern werden in der Fanforschung als Form der textuellen Fan-P roduk- tivität verstanden� „Fans stellen Texte her, die sie untereinander tauschen“ (Fiske 1997: 62)� Damit erzeugen sie in einer Art kultureller Schattenöko- nomie populäres kulturelles Kapital (vgl� Fiske 1997)� Dieses Kapital hat keinen monetären Wert für die produzierenden Fans� „Die Dividenden werden in Form von Spaß und Anerkennung innerhalb einer Gemein- schaft mit den gleichen Vorlieben durch Gleichgesinnte ausbezahlt“ (Fiske 1997: 57)� Gerade für die Entstehung der Heavy Metal- Szene spielen Fan- zines eine wichtige Rolle� Laut Shuker (2005) schufen Heavy Metal-F an- zines in den 1980er Jahren ein globales Informationsnetzwerk zwischen Fans und Bands und hatten einen Einfluss auf die Verbreitung der Musik, die von den Radiostationen ignoriert wurde� Weinstein (2000) schreibt in dem für die Heavy Metal- Forschung grundlegenden Buch Heavy Metal. A Cultural Sociology, „Fanzine editors are fans in the true sense of that termʻs etymology� They adhere fanatically to the metal conventions, stan- dards, and practices“ (178, Herv� i� O�)� Aus vielen Fanzines – nicht nur denen der Heavy Metal- Szene – entwi- ckelten sich mit der Zeit regelmäßig erscheinende und kommerziell vertrie- bene Musikzeitschriften� So ging beispielsweise das heute sehr etablierte deutsche Heavy Metal- Magazin Rock Hard aus einem Fanzine hervor� Neben dem Abwandern zahlreicher Fanzines in den Markt der offiziel- len Presse führte die Entwicklung des Internets und vor allem des Web 2�0 zur Veränderung der Produktion und Distribution von Fanzines� „In den 1990er Jahren wurde das Internet zum bevorzugten Medium die- ser Publikationen, die sich nun entsprechend e-Z ines nennen“ (Wicke / „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 183 Ziegenrücker / Ziegenrücker 2007: 241)� Neben e- Zines bzw� Webzines wie Bloodchamber, Metal.de oder Powermetal.de sind jedoch auch wei- terhin gedruckte Fanzines wichtige Medien der Heavy Metal- Szene� So zählt Chaker (2014) in ihrer Studie über die Black- und Death-M etal- Szene Deutschlands Fanzines wie Mystical Music oder Carnage auf und beschreibt diese als „Gegenpol zu den gewerbsmäßigen Magazinen“ (174)� Reviews von Tonträgern aus dem Bereich des Heavy Metal respektive Black Metal finden sich aber nicht nur in von Fans physisch und/o der online herausgegebenen Magazinen, sondern ebenso in physisch vertrie- benen oder online abrufbaren Mailorder-K atalogen, auf privaten oder von Labeln betriebenen Home- und Fanpages, auf einschlägigen Info- Portalen, in Foren und Communities oder eben auf den hier im Fokus stehenden Seiten des Onlineversandhändlers Amazon� Generell ist es bei den Online-A ngeboten zum Thema Black und Death Metal „teilweise schwierig, zwischen gewerbsmäßigen und nicht-g ewerbsmäßigen Angebo- ten zu unterscheiden, da sich die Übergänge fließend gestalten“ (Chaker 2014: 388)� Auch wenn sich Diaz-B one (2010) mit Musik-R ezensionen von profes- sionellen Journalist_ innen aus dem Bereich des Heavy Metal beschäftigt, sind seine Analysen auch für den Bereich der Fankommunikation bzw� Fan-R ezensionen relevant� Einerseits stellen sie die einzige mir bekannte detaillierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rezensionen zu Heavy Metal- Alben dar, andererseits sind – wie bereits im Vorfeld verdeut- licht – im Heavy Metal die Grenzen zwischen professionellen Magazinen und Fanzines fließend und beide werden in der Szene gleichermaßen gele- sen und akzeptiert� So beschreibt Weinstein (2000) die identitätsstiftende Funktion von Rezensionen für den Heavy Metal während Chaker (2014) in ihrer Studie über die Black- und Death-M etal- Szene Deutschlands Fan- zines wie Mystical Music oder Carnage als „Gegenpol zu den gewerbsmä- ßigen Magazinen“ (174) bezeichnet� Konkret hat sich Diaz- Bone (2010) im Rahmen einer vergleichenden Diskursanalyse der Musikwelten des Techno und des Heavy Metal mit dem Heavy Metal- Diskurs und wie sich dieser in den Printausgaben des Heavy Metal- Magazins Metal Hammer darstellt, auseinandergesetzt� Neben Arti- keln, Konzertberichten etc� analysierte er dazu auch Musik- Rezensionen� 184 Andreas Wagenknecht Die Rezension von Heavy Metal-A lben hat ihr eigenes Regelwerk, ein eigenes Repertoire von Kategorien und Adjektiven� Die Aufgabe der Rezension ist es, die Leser über den Neuigkeitswert und die Klasse einer Neuveröffentlichung zu infor- mieren� Hier werden Alben zu Ereignissen oder zu Ärgernissen, wird bestätigt, was man erwartet hatte, wird Qualität zertifiziert oder Durchschnittlichkeit und Minderwertigkeit bescheinigt� (Diaz-B one 2010: 244) Ein wesentliches Moment der Rezension ist laut Diaz-B one (2010), die Musik und den Sound innerhalb der Kulturwelt Heavy Metal zu dis- kursivieren, was dadurch geschieht, dass sie metaphorisiert und evalua- tiv kategorisiert werden� Das zentrale Wissenskonzept, in welches – so könnte man es formulieren – die Musik und der Sound übersetzt werden, sind Genre- und Subgenrebezeichnungen� Die Rezensionen als solche fol- gen – so Diaz- Bone (2010) – einem Schema, welches sich vor allem an den Dimensionen der Musik orientiert� Die Qualität der Musik wird bestimmt anhand der stilistischen Verortung – z� B� der (Sub)Genrezugehörigkeit und einer Beschreibung des Sounds – sowie hinsichtlich der Größen Melodie / Rhythmus, Komposition / Text, Instrumenteneigenschaften (wozu auch die Gesangsleistung zählt) und der Erlebnisintensität der Musik und des Sounds� Aus dem Zusammenspiel aller skizzierten Dimensionen unter besonderer Berücksichtigung der (Sub)Genreverortung und des Verhält- nisses zu anderen Genres ergibt sich dann letztlich die Bewertung in Form einer Punktevergabe und der Abgabe einer Empfehlung oder Nicht-E mp- fehlung� Die in den Rezensionen angelegten positiven oder negativen Beschreibungen und Beurteilungen innerhalb der einzelnen Dimensio- nen sowie innerhalb der abschließenden (Gesamt)Bewertung geben den Leser _i nnen die Möglichkeit, sich ein Bild von dem rezensierten Tonträger zu machen� 3 Rezensionen von Tonträgern auf Amazon als Form der Fankommunikation am Beispiel des Black Metal- Albums Sons of Northern Darkness der Band Immortal Amazon wurde 1994 als Online- Buchhandel in den USA gegründet und ist mittlerweile einer der größten Onlineversandhändler der Welt� Alle auf Amazon verkauften Produkte können über ein integrier- tes Bewertungstool durch die (potentiellen) Kund_i nnen über die Ver- gabe von maximal fünf Sternen als Höchstnote evaluiert und mit einer „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 185 Online- Rezension versehen werden� Amazon selbst überwacht und regu- liert die Online-R ezensionen hinsichtlich rassistischer, sexistischer usw� – kurz strafrechtlich relevanter Inhalte� Was jedoch nicht kontrolliert werden kann, ist, ob die Reviews tatsächlich von Laien bzw� Kund_ innen geschrie- ben wurden, ob Reviews gekauft sind, von PR- Profis stammen oder von den Herstellern und Händlern gar selbst verfasst wurden� Unabhängig von diesen Unsicherheiten in Bezug auf die Verfasser_ innen und deren Glaubwürdigkeit, sowohl für diejenigen potentiellen Kund_ innen, die an dem bewerteten Produkt interessiert sind, wie auch für die Wissenschaftler_i nnen, die sich mit diesen Online- Rezensionen beschäf- tigen, stellen die Rezensionen und Kommentare ein ständig wachsendes Archiv nicht nur an produktbezogener Kommunikation dar, sondern wie die nachfolgenden Ausführungen veranschaulichen sollen, auch eine Res- source für die Fanforschung� Online- Rezensionen sind Texte, die in der Regel nach dem Hören des Mediums Tonträger (CD, LP, mp3 etc�) entstanden sind und damit als mediale Anschlusskommunikation und Form der kommunikativen Aneignung verstanden werden können� Sie können – wie bereits erläu- tert – beschrieben werden als: “any positive or negative statement made by potential, actual, or former custumers about a product or company, which is made available to a multitude of people and institutions via the Internet“ (Hennig- Thurau et al� 2004: 39)� Besonders affin für Musik sind Fans dieser Musik, eines Genres oder von konkreten Künstler_i nnen� Diese Fans haben nun die Möglichkeit – neben Rezensionen in spezifischen Medien (Fanzines, Webzines etc�) zu verfassen und zu lesen – auch auf Amazon Online- Reviews zu veröffent- lichen und zu rezipieren� Neben der Tatsache, dass in vielen der hier im Mittelpunkt der Analyse stehenden Rezensionen mit Formulierungen wie Ich muss echt sagen das dieses Album wirklich eines der besten der Black Metal Geschichte ist sogar ich als Cradle fan bin süchtig nach dem Teil! oder Immortal legen mit ihrem letzten Album ein super Ergebnis nieder, dass kein Fan von der “unsterblichen” Band nicht in der Platten- sammlung haben sollte! direkt auf das eigene Black Metal- Fansein oder auf Black Metal-F ans als Zielgruppe der Rezensionen verwiesen wird, spricht auch theore- tisch einiges dafür, die Verfasser_ innen als Fans zu beschreiben und die 186 Andreas Wagenknecht Rezensionen als Musik- Kritiken von Fans (für Fans) zu verstehen� Denn in das Schreiben einer Rezension muss der_ die Autor_i n – zieht man die ein- gangs aufgeführte Fandefinition von Roose / Schäfer / Schmidt- Lux (2010) heran – „Zeit und/o der Geld investieren“ (12)� Zeit für das Schreiben und Onlinestellen der Rezension sowie für das Hören der Musik und, wenn nicht auf kostenfreie Varianten von Streamingdiensten wie Spotify aus- gewichen wird, Geld für den Erwerb des Albums� Es ist zu vermuten, dass der Fan durch das Schreiben einer Rezension an seinem Fanobjekt partizi- pieren möchte und durch eine positive Kritik Einfluss auf den Status und den Erfolg – in diesem Fall eines speziellen Musik-A lbums einer konkreten Band – nehmen möchte� „Gerade das Internet mit seinen Diskussionsforen bietet hier ein günstiges Medium“ (Roose / Schäfer 2010: 372)� An dieser Stelle sollen nun einige konkrete Beobachtungen und Refle- xionen vorgestellt werden, die darauf hinweisen, dass – so die Vermu- tung – Online-R eviews von Musikalben als Fanaktivität und -p roduktivität verstanden werden können� Im Fokus steht hier nicht die konkrete Analyse der stilistischen Eigenschaften der Rezensionen oder das Eruieren, ob diese eine eigene Gattung darstellen, sondern die Frage, wie hier beispielhaft ein spezifisches Fansein kommuniziert wird und auf welche Art und Weise die Rezensionen als Form von Fankommunikation betrachtet werden können, unabhängig davon, ob sich dieses auf andere Musik-F andoms übertragen lässt� Die hier beispielhaft an Online- Rezensionen aus dem Bereich des Black Metal gemachten Beobachtungen sind erste Erkundungen des Feldes und gehen nicht über den Status eines konzeptionellen Ordnens des Mate- rials in Anlehnung an die Grounded Theory (Glaser / Strauss 1998) hin- aus� Sie beziehen sich auf den deutschen Internet- Auftritt von Amazon� „Black Metal entstand als eine Spielart des Heavy Metal bereits zu Beginn der 1980er-J ahre“ (Wagenknecht 2011: 153) und kreiert musika- lisch und soundtechnisch „ein dreckig verwaschenes, atmosphärisch hoch- töniges und dichtes Klanguniversum aus keifendem und textlich zumeist unverständlichem Gesang, einfachem Rhythmus, hoher Geschwindigkeit bei minimaler und sehr direkter Produktion“ (Wagenknecht 2011: 154)� Die Texte drehen sich in der Regel um „Okkultismus, Satanismus, Natur- verbundenheit, Heidentum sowie skandinavische und germanische Folk- lore und Mythologie“ (Wagenknecht 2011: 155)� „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 187 Alle im weiteren Verlauf erklärend herangezogenen Beispiele sind Online- Reviews zum Album Sons of Northern Darkness der norwegischen Black Metal- Band Immortal oder Auszüge aus diesen� Immortal wurden 1990 gegründet (vgl� Patterson 2013) und gehört zu den führenden Bands der zweiten Welle des Black Metal (vgl� Wagenknecht 2011)� Das Album Sons of Northern Darkness wurde 2002 veröffentlicht und erreichte Platz 58 der deutschen Albumcharts� Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Oktober 2020) wurde es 58mal auf Amazon rezensiert� Aus Deutschland stam- men dabei 25 Rezensionen – diese bilden die Grundlage der vorliegenden Betrachtungen� Die älteste Rezension stammt vom 02� Februar 2002, die aktuellste vom 11� Oktober 2020� Formal bewegen sich die Online- Rezensionen vom Umfang her zwischen einem Satz und mehreren hundert Wörtern� Etliche Texte sind hochelabo- riert und sorgfältig komponiert� Auch stilistisch vermitteln die Texte den Eindruck, dass einige der Verfasser_ innen sehr viel Wert auf sprachliche und sachliche Präzision legen, wie z� B� folgende Rezension verdeutlicht� “Sons of Northern Darkness” aus dem Jahr 2002 ist nicht nur das letzte Album, das Immortal vor ihrer temporären Auflösung veröffentlicht haben, sondern auch eines der besten Alben der Norweger. Ob Immortal nun wirklich dem Black Metal zugeordnet werden können, soll an dieser Stelle mal nicht zur Diskussion stehen – ich werfe sie einfach mal mit in den Topf. Jedenfalls zeigte sich das Trio kurz vor dem vorübergehenden Aus auf seinem musikalischen Höhepunkt: “Sons of Northern Darkness” hat für mich alles, was diese Band ausmacht. Es gibt rasante Blastbeat- Passagen, epische Midtempo-A bschnitte und beinahe schon hymnenhafte Stampfer, alles verbunden mit instrumentalem Können und hervorragen- dem Songwriting. Und welche Black-M etal- Band kann schon von sich behaupten, dass man sie auf Anhieb an den Riffs und dem Gitarrensound erkennt? Übertroffen wird dieses meisterhafte Werk nur durch “At the Heart of Winter” (1999), welches mein liebstes Immortal- Album ist – aber das ist eine andere Geschichte. So wird hier einerseits mit Bewertungskriterien wie der Beschreibung von Sound und Rhythmus sowie der Schilderung der Erlebnisintensi- tät der Musik und des Sounds gearbeitet, die Diaz- Bone (2010) bereits auch anhand professioneller Rezensionen in Heavy Metal- Magazinen 188 Andreas Wagenknecht herausgearbeitet hat� Anderseits erfolgt ein Verweis auf das Lieblings- album des_d er Rezensierenden, was kein neutrales Bewertungskriterium darstellt, sondern eher den Charakter einer persönlichen Einschätzung hat, wie sie von einem Fan an andere Fans weitergegeben wird� Lieb- lingsalben spielen unter (Black) Metal- Fans eine wichtige Rolle, wie zum einen beispielsweise die Kategorie „Listenwahn“ im weit verbreite- ten und fanbasiertem Heavy Metal- Magazin Deaf Forever verdeutlicht, unter der Lieblingsalben der Redakteur_i nnen und Rezensent_i nnen hin- sichtlich der unterschiedlichsten und abwegigsten Kriterien aufgeführt werden� Zum anderen stellt die Diskussion um kanonische Alben und persönliche Lieblingsalben einen wichtigen Bestandteil der Fan- und Sze- nekommunikation dar� Die Rezensions- Texte sind unterschiedlich formatiert – die Spanne reicht von Textblöcken ohne Absätze bis zu Texten mit Zwischenüber- schrift und Großschreibungen zur Hervorhebung von Textelementen oder einzelnen Wörtern� Die Reviews sind bis auf eine Ausnahme in deutscher Sprache verfasst� Die Regeln der deutschen Orthographie und Grammatik werden in unterschiedlichem Maße befolgt� Die Rezensionen sind mit einer Überschrift versehen, die meist den Inhalt der Kritik kurz auf den Punkt bringt� Wie beispielsweise im nachfolgenden Fall recht lakonisch und evaluativ formuliert: Absolut perfekt! Bereits in den Überschriften wird oft spezifisches Fanwissen transportiert und zur Einordnung benutzt: Modern und doch traditionell – Immortal mit Ihrem eingängigsten Album� So erfolgt in dieser Überschrift eine gezielte und kenntnis- sowie voraussetzungsreiche Bewertung vor dem Hintergrund der Diskografie der Band� Überschriften wie: Kings of northern Black Metal huldigen der Band und ordnen sie in den Kanon anderer Black Metal- Bands ein, wodurch sie Immortal eine bestimmte Position und Stellung innerhalb der Szene zuweisen – im erwähnten Fall die der Könige des Black Metal� Die Betonung der herausragenden Stellung der Band Immortal zeigt sich auch in den Rezensionstexten direkt, so beispielsweise in folgendem Auszug: Mit diesem Album beweisen Immortal, dass sie neben Dimmu Borgir zu den vielleicht besten Black Metal Bands gehören. Unmittelbar vor dem Rezensionstext steht, von wem die Kritik stammt und wann sie verfasst wurde� Die Rezensent_ innen können ihren Klarna- men angeben, in den meisten Fällen werden jedoch Pseudonyme verwendet� „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 189 Im Bereich der Rezensionen zu Black Metal- Alben haben die Pseudonyme nicht selten einen Bezug zur Welt des Heavy Metal� So verweist zum Bei- spiel Crueltybeast auf einen Albumtitel namens Cruelty and the Beast der Black Metal- Band Cradle of Filth� Außerdem sind Pseudonyme vor allem bei Musiker_ innen in Black Metal- Bands sehr verbreitet und ein zentrales Merkmal der Szene (vgl� Wagenknecht 2011, Chaker 2014), welches die Rezensent_i nnen hier sicherlich auch benutzen, um sich als Mitglieder der Fankultur des Black Metal auszuzweisen� Konkret können zwei Formen von Rezensionen unterschieden werden – solche ohne direkte Kaufaufforderung und solche mit konkretem Kauf- appell� Bei der ersten Form wird ein Album bewertet und die Leser_ innen können aus dem Text ableiten, ob das Album ihren Geschmack trifft oder nicht� Die Rezension gibt jedoch einerseits keine direkte Kaufempfehlung und rät andererseits aber auch nicht direkt vom Erwerb ab, wie folgende Rezension verdeutlicht� Ein episches Album. Punkt. Es erwischt einen doch auf einer Ebene, die man von sich ggf. nicht kannte. Dieses Album erzählt einem etwas von sich selbst indem es von sich erzählt. Schwer zu beschreiben, muss man erleben. Ich habe das Album seit Veröffentlichung und ich höre immer wieder gerne hinein…es wird nicht alt, überholt oder oder oder…es ist episch und nicht jeder wird das greifen können. Die zweite Form von Rezensionen arbeitet mit einem direkten Appell an die Leser_i nnen, ein Album zu kaufen oder es auf gar keinen Fall zu erwerben� Der positive oder negative Appell wird in der Rezension direkt herausgestellt, wie folgendes Beispiel zeigt� Ich will nicht viele Worte verlieren, also: Ein absolutes GEILES, BRACHI- ALES und MITREISSENDES BM- Album!!! Für mich neben “Enthrone Darkness Triumphant” von Dimmu Borgir das beste Black-M etal- Album, was jemals hervorgegangen ist!!!! Einfach wahnsinn, was die da abliefern! Schade ist nur, dass sie sich aufgelöst haben…. echt traurig! also, wer dieses Album wirklich noch nicht hat, der MUSS es einfach KAUFEN!! 190 Andreas Wagenknecht Eine besondere Form des Appells ist der an das Fansein, wie folgende Aus- züge aus verschiedenen Reviews veranschaulichen: Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen; Es lohnt sich auf jeden Fall dieses Album zu holen, und es sollte in keinem Black Metal-R egal fehlen, besonders nicht bei Immortal Fans; Keine Lückenfüller, volles Programm für Metaller mit gutem Geschmack� Formulierungen wie diese geben nicht nur eine Kaufempfehlung ab, son- dern verknüpfen den potentiellen Besitz eines Albums direkt mit dem Fan- sein� Ist man ein Fan der Band oder ist man ein Heavy Metal- Fan mit sicherem Musikgeschmack, muss dieses Album besessen werden� Anderer- seits kann das Fansein in Frage gestellt werden� Fanwissen und Fanexpertise spielen auch bei der Bewertung und Ein- ordnung der Musik- Alben eine entscheidende Rolle und stellen eine feste Größe in den Rezensionen dar� Neben Bewertungskriterien wie Sound, Produktion, technischem Können an den Instrumenten und am Gesang, Gestaltung der Cover und Inhalt der Texte – die sich mit den von Diaz- Bone (2010) für professionelle Rezensionen in Heavy Metal- Magazinen herausgearbeiteten Kriterien vergleichen lassen – ist es besonders das aus- gestellte und angewandte (Fan)Wissen über die Heavy Metal- Szene und/ oder die Band, welches kennzeichnend für die untersuchten Rezensionen auf Amazon ist� Zum Anzeigen des Expertentums bedienen sich die Rezen- sent_ innen verschiedener Strategien und lassen unterschiedliche Formen von (Fan)Wissen in die Texte einfließen� Häufig erfolgt, um die Bedeu- tung und die Qualität eines Albums einzuschätzen, der Verweis auf andere Veröffentlichungen der Band und damit eine Ausstellung des spezifischen Wissens über diese konkrete Band� Formulierungen wie – Ich würde es als Mischung aus At the heart of winter und Damned in Black bezeichnen – ziehen einen Vergleich zwischen dem rezensierten Album Sons of Northern Darkness und dessen beiden Vorgänger- Alben� Ein noch differenzierterer Bezug in diesem Kontext wird an folgendem Auszug aus einer anderen Rezension deutlich� Immortal sind wieder etwas klirrender und kälter geworden im Vergleich zu dem Vorgänger “Damned in Black”. Zurück zu den Wurzeln kann man „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 191 allerdings nicht sagen, dazu ist die Produktion zu druckvoll. Sons ist eher ein Bastard aus “Damned..” und “At the Heart of…” geworden� Kenntnisse über die Band werden aber auch demonstriert, wenn in den Online- Reviews die Namen der Bandmitglieder verwendet werden bzw� die im Black Metal üblichen Pseudonyme (vgl� Wagenknecht 2011)� Das Zusammenspiel zwischen Abbath, Horgh und Iscariah stimmt einfach, und das hört man auch raus. Das Wissen über die Szene wird ebenfalls expliziert, in dem auf andere Bands des Genres verwiesen wird� So schreibt ein Rezensent: Meiner Meinung nach neben “Rebel Extravaganza” und “Under a funeral Moon” eines der größten Blackmetalalben aller Zeiten und verweist damit auf Alben der Black Metal- Bands Satyricon und Dark- throne, die innerhalb des Genres eine prominente Stellung einnehmen (vgl� Patterson 2013)� Dadurch, dass das rezensierte Album in eine Reihe mit diesen beiden kanonischen Werken der Black Metal-S zene gestellt wird, verleiht ihm der Rezensent einerseits eine gesonderte Stellung und verortet es andererseits gleichzeitig innerhalb der Geschichte des Black Metal� Die Historie wird häufig auch in anderer Hinsicht bemüht, um Fanwissen aus- zustellen und anzuwenden� So stellen drei der 25 Rezensionen Bezüge zu der schwedischen Band Bathory her� Diese gilt mit ihrem 1984 erschienen Debüt Bathory als einer der Begründer des Black Metal und kann als eine der Säulenheiligen des Black Metal- Genres bezeichnet werden (vgl� Patter- son 2013, Wagenknecht 2011)� Die Stellung von Bathory im Black Metal- Kanon zeigt sich auch in folgendem Auszug aus einer Rezension� Der Song ist eine Verbeugung vor den großartigen Bathory, deren Kopf Quorthon leider allzu für verstarb. Doch solange es solche Heroen gibt, die die Fahne des epischen Metals so hoch halten wie es Immortal tun, solange ist das Vermächtnis des Vaters des Black Metals gesichert. Abstrakteres Szenenwissen wird deutlich, wenn sich in zwei der 25 Rezensionen Anspielungen und Verweise auf den Trueness- Diskurs im Black Metal finden� Die Diskussion, ob eine Band true ist und damit im Sinne des Black Metal- Kontextes glaubwürdig, spielt eine zentrale Rolle in der Szene (vgl� Chaker 2014, Wagenknecht 2011)� Der Bezug auf die Trueness- Diskussion wird beispielsweise in folgender Art und Weise formuliert� 192 Andreas Wagenknecht Ein Album, das gute Kritiken bekommen hat, sich sehr gut verkauft hat und wohl auch immer noch verkauft bei einem großen Label (keine Dis- kussion um Trueness und Ausverkauf – bitte!), das es versteht Werbung gut umzusetzen…aus und vorbei. Der_d ie Rezensierende verteidigt Immortal hier sozusagen und weist jeden Verdacht, dass die Band nicht (mehr) true ist, da sich ihr aktuelles Album gut verkauft etc�, von sich und bittet, die Diskussion um die True- ness gar nicht erst zu beginnen� Ebenfalls eher ironisch nimmt folgende Aussage Bezug auf das Thema� Alle Fans von Immortal oder Blackmetal im Allgemeinen, kann ich dieses Album in der Vinylversion wärmstens empfehlen. Das ist dann nicht nur grim and true, sondern auch black und analogue … Aber Spaß beiseite Das Expertwissen der Fans wird weiterhin ausgestellt, wenn die Rezen- sent_ innen darauf verweisen, dass sie Immortal im Konzert gesehen haben oder betonen, wie oft sie das Album hören oder wie lange sie es schon besitzen� So schreibt ein_ e Rezensent_i n: Mittlerweile habe ich das gute Stück schon 4 Jahre im Regal und regelmäßig wandert es immer wieder in meinen Player. Interessant ist, dass sich neben der Demonstration von Fanwissen auf Amazon regelrechte Diskussionen zwischen Fans entfalten� So wird die Kommentarfunktion genutzt, um auf Aussagen in Rezensionen durch Zustimmung, Kritik oder auch Korrektur zu reagieren� In Bezug auf den obigen Auszug wurden Kommentare dahingehend formuliert, dass der_ die Rezensent_i n das Album nicht schon vier Jahre besitzen kann, da die Rezension 2003 verfasst, das Album aber erst 2002 veröffentlicht wurde und somit zum Zeitpunkt der Rezension erst ein Jahr auf dem Markt war� Geil, das Album kam 2002 raus und du behauptest 2003, dass du es schon 4 Jahre im Regal stehen hast. Hast nachträglich editiert? Hier wird deut- lich, was in der Fanforschung als „gegenseitige Infragestellung der Authen- tizität und somit auch der Legitimation des Fandoms von Mitgliedern der gleichen Community“ (Einwächter 2014: 159) beschrieben wird� Kommunikation zwischen den Fans entfaltet sich aber nicht nur über die Kommentarfunktion, sondern auch dadurch, dass Rezensionen „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 193 aufeinander intertextuell Bezug nehmen – Ich kann meinem Vorredner da nur zustimmen� Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Anzahl der negativen Rezensionen auf Amazon verschwindend gering ist� Das bezieht sich nicht nur auf die Rezensionen zu Immortals Album Sons of Northern Dar- kness, sondern ist eine allgemeine Beobachtung� Es dominieren positive Bewertungen, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass Fans – so die Erkenntnis der Fanforschung – ihr Fanobjekt unterstützen und nicht verunglimpfen wollen (vgl� unter anderem Roose / Schäfer 2010)� Dafür spricht auch die Beobachtung, dass immer wieder Alben, die seit Jahren oder Jahrzehnten existieren, bewertet und damit in der Diskussion und im Bewusstsein der Fans und Szene gehalten werden (sollen)� So ist das Album von Immortal bereits 2002 erschienen und rezensiert worden – es folgten jedoch kontinuierlich und über die Jahre hinweg weitere Rezensionen, so die aktuell letzte Rezension im Oktober 2020� 4 Fazit und Ausblick Für die betrachteten Rezensionen aus dem Bereich des Black Metal lässt sich vermuten, dass Amazon Fans hier einerseits sicher nicht gezielt eine Platt- form zur Verfügung stellt, damit diese an ihrem Fanobjekt partizipieren und dieses durch positive Bewertungen unterstützen können� Andererseits profitiert Amazon aber ganz klar davon, dass – wie zahlreiche Arbeiten zum Phänomen des Word- of- Mouth es beschreiben – Empfehlungen von Privatpersonen gegeben werden, denen eine hohe Relevanz zugeschrieben wird� Cheung / Lee / Rabjohn (2008: 229) „found comprehensiveness and relevance to be the most effective components of the argument quality construct (…), making them key influencers of information adoption“� Damit macht sich Amazon die Motivationen der Nutzer_ innen des Onlineversandhandels und genauer der (potentiellen) Käufer_ innen von Produkten, ihre erworbenen Waren für andere zu beschreiben und zu bewerten, zunutze� So hat eine Studie zum Antrieb, Online- Reviews zu verfassen, das Folgende herausgefunden: Our results suggest social benefits, economic incentives, concern for others, and extraversion/s elf- enhancement to be the primary reasons consumers publish their experiences on opinion platforms (Hennig-T hurau et al� 2004: 50)� 194 Andreas Wagenknecht Die hier beschriebenen Motivationen lassen sich nahezu direkt zu dem in Beziehung setzen, was in der Fanforschung als Gründe und Ziele von Fanproduktivität, zu der auch das Verfassen von Rezensionen zu zählen ist, beschrieben wird� Aus der Perspektive der Fanforschung lassen sich nun konkret vor allem Erkenntnisse aus dem Bereich der Media Fan Studies spezifisch zur Beschreibung und Diskussion des Phänomens der Rezensionen von Ton- trägern auf Amazon heranziehen� So kann dieses mit Jenkins (2006) als eine Folge der Convergence Culture beschrieben werden� Mit dem Ter- minus beschreibt er, „wie der mediale Wandel befördert, dass die immer stärker involvierten und aktiver partizipierenden Rezipienten in ihrem Verhalten stark an klassisches Fanverhalten erinnern“ (Busse 2014: 26 unter Verweis auf Jenkins 2006)� Das Verfassen von Rezensionen könnte demnach einerseits als Verhalten betrachtet werden, welches mit den text- produktiven Verfahren von Fans fassbar wird und jede_ n Rezensent_ in in die Nähe eines Fans rücken würde� Andererseits eröffnet sich vor die- sem Hintergrund auch die Möglichkeit, die Rezensionen von Tonträgern auf Amazon als konkrete Fantexte zu verstehen, zu deren Verbreitung die Fans die Möglichkeit des Verfassens von Rezensionen auf Amazon nutzen und mehr noch, sich diese im Sinne der Cultural Studies aneignen und sie kreativ dekodieren� Kreativ daher, da die Rezensionen nicht nur allein zur Bewertung genutzt werden, sondern auch dazu, eine Form der Exper- tise als Fan auszustellen, mit anderen Fans in Kontakt zu treten und zu kommunizieren� Oder wie Gebhardt (2010) es formuliert: „Fans verfügen über ein enormes Faktenwissen und sind immer bereit, es zu präsentie- ren, um ihre Kennerschaft und ihr Expertentum unter Beweis zu stellen“ (197)� Kurz, Fans nutzen Amazon, um populäres kulturelles Kapital zu produzieren, welches ihnen eine Vielzahl von Distinktionen ermöglicht – die Abgrenzung gegenüber Nichtfans oder die Hierarchisierung innerhalb ihrer Fankultur� Das Verfassen und damit das Ausstellen eines Experten- wissens lässt sich vergleichen mit dem Status von Herausgeber_ innenn von Fanzines, die Tulloch (1995) als „executive fans“ (150) beschreibt� Damit sind Fans gemeint, die in der Fanhierarchie weiter oben stehen als andere� So ist der Fanforschung seit langem bekannt, dass Fancommunities hier- archisch strukturiert sind (vgl� u�a� Fiske 1997)� Die Expertise, also der Besitz und Erwerb, aber auch das Ausstellen von Wissen (wie anhand der „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 195 Rezensionen gezeigt) nimmt dabei eine zentrale Stellung ein� Ebenso ver- schafft das Ausstellen des spezifischen Fanwissens in den Rezensionen den Verfasser_ innen eine Art Authentisierung und Legitimierung als Fan, da auch das gegenseitige Infragestellen des Status als Fan ein Teil des Fan- diskurses darstellt� Auf diese Weise wird „diskursiv verhandelt, was ein ‚richtigerʻ oder ein ‚echterʻ Fan eines bestimmten Gegenstandes sei“ (Ein- wächter 2014, 159)� In der Nutzung der Rezensionsmöglichkeit auf Amazon zeigt sich nun allerdings kein subversives Potential der Fans, sondern vielmehr, „wie sich die Medienindustrie dieser Verschiebung im Rezeptionsverhalten profita- bel bedienen kann“ (Busse 2014: 27 unter Verweis auf Jenkins / Ford / Green 2013)� Amazon nutzt – so verstanden – die Möglichkeiten des Elec- tronic Word- of- Mouth und macht sich die Expertise der Fans zu Nutze, in dem es ihnen ein Sprachrohr bzw� eine Kommunikationsmöglichkeit bie- tet, die sie annehmen� Damit vermischen sich vormals getrennte Sphären, da auf diese Weise Fanproduktivität nicht nur populäres kulturelles Kapi- tal generiert, sondern auch zur Steigerung des ökonomischen Kapitals – in diesem Fall sowohl des Onlineversandhandels Amazon als auch der Bands und Labels, was mehr als die Steigerung des Profits von Amazon auch im Interesse der Support leistenden Fans liegen sollte – beiträgt� Eine Tendenz zur Ökonomisierung von Fankulturen und Fanproduktivität, die sich als „Transformation von Fankultur“ (vgl� Einwächter 2014) in Folge organi- satorischer und ökonomischer Veränderungen durch die globale Vernet- zung im Online- Zeitalter beschreiben lässt� Digital transformiert wird hier jedoch nicht nur die Fankultur, sondern auch die Musikwirtschaft erfährt Veränderungen, da Online- Rezensionen zu einem Faktor im Marketing- Mix der Produkte der Musikindustrie werden� Inwieweit sich diese ersten Beobachtungen und Reflexionen zu den Online- Reviews von Tonträgern aus dem Black Metal- Genre auf andere Musikstile übertragen und verallgemeinern oder konkretisieren lassen, müssen weitere systematische Untersuchungen zeigen� Auch, ob es Unter- schiede zwischen verschiedenen Musik- Szenen und Fans unterschiedlicher Musik- Genre gibt, gilt es zu sondieren� Hierzu müsste der Fokus jedoch konkret auf die Analyse der stilistischen Eigenschaften und dezidierten Bewertungskriterien der Rezensionen gelegt werden und nicht allein die Entäußerung und Kommunikation des Fanseins oder die Betrachtung 196 Andreas Wagenknecht der Art und Weise, wie Rezensionen als Form der Fankommunikation beschrieben werden können, im Mittelpunkt stehen� Ebenfalls wäre es mit Sicherheit ertrag- und erkenntnisreich, Fans konkret nach ihrer Motiva- tion zum Verfassen von Rezensionen gerade auf Amazon zu befragen bzw� zu interviewen und somit auch zu eruieren, inwieweit sie ihre Position und Funktion als Werbende im Sinne eines Electronic Word- of- Mouth reflek- tieren� Es bleibt zu hoffen, dass doch noch etwas Subversion und fankom- munikatives Unterwandern des Online- Händlers im Spiel ist, da im Sinne Lawrence Grossbergs (1999) allein die potentiellen Möglichkeiten zum widerständigen Verhalten Residuen des Alltags sind, die das Leben erst erträglich machen� 5 Literatur Arndt, Johan, 1967: „Word of Mouth Advertising and Informal Commu- nication“� In: Cox, Donald F� (Hrsg�): Risk Taking and Information Handling in Consumer Behavior� Graduate School of Business Admi- nistration Havard Univ: Boston, 188– 239� Busse, Kristina 2014: „Media Fan Studies� Eine Bestandsaufnahme“� In: Cuntz-L eng, Vera (Hrsg�): Creative Crowds. Perspektiven der Fanforschung im deutschsprachigen Raum� Büchner- Verlag: Darm- stadt, 17– 34� Chaker, Sarah, 2014: Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death- Metal-S zenen Deutschlands� Archiv der Jugendkulturen Verlag: Berlin� Cheung, Christy M�K / Lee, Matthew K�O / Rabjohn, Neil, 2008: „The Impact of Electronic Word- of- Mouth� The Adoption of Online Opinions in Online Customer Communities“� In: Internet Research 18(3), 229– 247� Diaz-B one, Rainer, 2010: Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Erweiterung der Bourdieuschen Distinktionstheorie� VS Verlag: Wiesbaden� Einwächter, Sophie G, 2014: Transformationen von Fankultur. Organi- satorische und ökonomische Konsequenzen globaler Vernetzung. Phil� Diss�, Goethe-U niversität Frankfurt am Main, retrieved 1�10�2020, from http://p ublika tio nen�ub�uni-f rankfu rt�de/f rontdo or/ index/i ndex/ docId/3 6146� „Trotzdem sollte man als Metalfan dieses Album besitzen�“ 197 Fiske, John, 1997: „Die kulturelle Ökonomie des Fantums“� In: SPOKK (Hrsg�): Kursbuch Jugend Kultur. Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausendwende� Bollmann: Mannheim, 54– 69� Gebhardt, Winfried, 2010: „Fans und Distinktion“� In: Roose, Jochen / Schäfer, Mike S� / Schmidt- Lux (Hrsg�): Fans. Soziologische Perspektiven� VS Verlag: Wiesbaden, 183– 204� Glaser, Barney G� / Strauss, Anselm L�, 1998: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung� Hans Huber: Bern� Greiner, Kerstin, 2001: „Fanzines in der Technoszene“� In: Husslein, Uwe / Surey, Lothar (Hrsg�): Zines! Fandom Research 2001. Reader und Indes zur Fanzine-S zene� Ventil Verlag: Mainz, 10– 31� Grossberg, Lawrence, 1999: „Zur Verortung der Populärkultur“� In: Brom- ley, Roger / Göttlich, Udo / Winter, Carsten (Hrsg�): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, zu Klampen: Hamburg, 215– 236� Hennig-T hurau, Thorsten / Gwinner, Kevin P� / Walsh, Gianfranco / Gremler, Dwayne D�, 2004: „Electronic Word-o f- Mouth via Consumer- Opinion Platforms� What Motivates Consumer to Articulate Themselves on the Internet?“� In: Journal of Interaktive Marketing 18(1), 38– 52� Hitzler, Ronald / Bucher, Thomas / Niederbacher, 2005: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Leske + Budrich: Opladen� Jenkins, Henry, 2006: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide� University Press: New York� Jenkins, Henry / Ford, Sam/G reen, Joshua, 2013: Spreadable Media. Creating Value and Meaning in a Networked Culture� University Press: New York� Patterson, Dayal, 2013: Black Metal. 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Schott: Mainz, 240– 241� Simon Meier- Vieracker / Stefan Hauser Fancalls: Kommunikative Beziehungsgestaltung zwischen Stars und Fans im transmedialen Kontext Abstract: In this paper, we describe fan calls as a practice of communicative rela- tional work between YouTube stars and fans� Fan calls are conversations that are conducted in front of and for an internet audience and are thus integrated into a whole series of preceding, accompanying and subsequent media practices� With interaction analytical methods, we show that stars as well as fans align themselves with the audience� As extraordinary as the fancall conversations themselves may seem, and as much as their extraordinariness is performatively constructed by the interactants together, they are woven into ongoing digital interactions� Accordingly, our hypothesis is that fans and stars can only be characterised relationally: Fans are fans of their stars and stars are stars for their fans� The example of fan calls can be used to show how and with which media resources this relationship between fans and stars is expressed linguistically and communicatively� Key words: Fancalls, relational work, communicative asymmetries, conversation analysis 1 Einleitung Persönliche Gespräche zwischen Stars und ihren Fans sind üblicherweise auf Ausnahmesituationen beschränkt� Wollen etwa Fans berühmter Musi- ker*innen oder Sportler*innen ihren Idolen auch abseits der eigentlichen Performance begegnen und über einen zufällig erhaschten Blick hinaus mit ihnen in Interaktion treten, so müssen sie das aktiv anbahnen und ihnen möglicherweise sogar nachstellen (Ferris 2001) – zumindest sofern sie sich nicht auf sogenannte Meet and Greets oder vergleichbare, durch Agenturen vorstrukturierte Veranstaltungen verlassen wollen� Durch die digitalen und insbesondere die Sozialen Medien haben sich die Voraus- setzungen für Star- Fan-I nteraktionen jedoch gewandelt� Besonders deut- lich wird dies am Beispiel von YouTube- Stars, jenen manchmal auch Influencer genannten Stars also, die ihren Status primär ihrer Präsenz auf 200 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser YouTube und meist auch anderen Sozialen Netzwerken verdanken� Viele YouTube- Stars setzen sich in ihren medialen Formaten denn auch betont nahbar in Szene, etwa indem sie sich in (vermeintlich) privaten Alltags- situationen und - umgebungen präsentieren, durch eine Vielzahl impliziter und expliziter Adressierungen einen gemeinsamen Interaktionsraum mit ihren Rezipient*innen imaginieren (Böckmann et al� 2019) und insgesamt einen auffällig informellen Kommunikationsstil pflegen, der besonders nähestiftend wirken soll (Riboni 2020: 23)� Die Herstellung von Intimi- tät auf Distanz durch parasoziale Interaktion, wie sie schon Horton & Wohl (1956) für klassische TV- Formate beschrieben haben, machen sich YouTube- Stars in besonderer Weise zum Programm (Meer 2018; Meer & Staubach 2020)� Die Affordanzen der Plattform YouTube mit ihren viel- fältigen Partizipationskanälen etwa durch Likes oder Kommentare spielen hier eine wichtige Rolle (Androutopoulos & Tereick 2015)� Hinzu kommt das Phänomen, um das es im vorliegenden Beitrag gehen soll: YouTube- Stars selbst induzieren und inszenieren Begegnungen mit ihren Fans als konstitutiven Teil der Identität des nahbaren Stars� Sie schaffen selbst vielfältige Räume, in denen Interaktionen mit ihren Fans möglich wer- den, welche die YouTube- typische „conversationality“ (Riboni 2020: 24) in tatsächliche conversations münden lassen� Fankommunikation ist hier nicht allein Anschluss- und Begleitkommunikation zu den Performances des Stars, sondern wird zum Teil der Performances selbst� Im Folgenden wollen wir mit sogenannten Fancalls, bei denen YouTu- ber*innen (vermeintlich zufällig) ausgewählte Fans anrufen, eine spezifi- sche Ausprägung solcher Star- Fan- Interaktionen in den Blick nehmen und die hier beobachtbaren Formen der Beziehungsgestaltung zwischen Stars und Fans analysieren� Dabei stehen Fancalls nicht für sich� Ähnlich wie beim verwandten Interaktionstyp des Fantreffens, bei dem sich YouTu- ber*innen mit ihren Fans an einem öffentlichen Ort verabreden, werden Fancalls über die Sozialen Medien vorbereitet und auch selbst in YouTube- Videos dokumentiert� Sie werden also für neue YouTube-V ideos regelrecht produziert und können abermals vielfältige Social Media- Kommunikatio- nen nach sich ziehen� Die Star- Fan- Interaktionen stehen also in transme- dialen Verkettungen, welche der kommunikativen Beziehungsgestaltung Fancalls 201 zwischen Stars und ihren Fans eine spezifische mediale Prägung verleihen� Diesen medialen Prägungen gehen wir im vorliegenden Beitrag mit inter- aktionsanalytischen Methoden nach� Wir erschließen uns das Videoformat der Fancalls im Folgenden sozusa- gen von innen her: Wir beginnen nach einführenden Bemerkungen zum hier untersuchten Videoformat mit den Telefongesprächen zwischen den YouTu- ber*innen und ihren Fans und beschreiben zunächst einige gattungsspezi- fische Merkmale, bevor wir auch die erweiterten Rahmenkommunikationen in den Sozialen Medien in den Blick nehmen� Dabei werden wir zeigen, dass gerade die medialen Rahmungen und Rekontextualisierungen die Bezie- hungskonstitution und -g estaltung auf spezifische Weise prägen, indem sie eine Reihe von (teilweise auch technisch basierten) Handlungsoptionen bereitstellen, mit denen die kommunikativen Asymmetrien zwischen Stars und Fans interaktiv bearbeitet werden können� 2 Datenbasis Unsere Ausführungen beruhen auf einer kleinen Sammlung von fünf Fancall- Videos von drei verschiedenen YouTuber*innen in einer Gesamtlänge von 1:09 Stunden� In allen Videos werden jeweils mehrere Gespräche nacheinan- der geführt� Insgesamt umfasst unser Korpus 31 einzelne Anrufe� Tab. 1: Korpus Fancalls YouTuber*in Videotitel Video-I D Länge Zahl der Anrufe Dagi Bee “OMG” FANCALLS ♡ #1 M5YedqyrcF4 23:19 5 | Dagi Bee Dagi Bee FANCALLS #2 ♡TEIL 1♡ u5op_ U0cohM 9:55 11 | Dagi Bee Dagi Bee Fans auf dem Klo treffen & mr1zZXlRd7A 15:28 4 Fanpages auf Insta folgen – FANCALLS ♡ | Dagi Bee Faye Fancalls | Ich rufe EUCH an! Ug3stiBZLpo 12:44 5 Montana Puuki ICH RUFE EUCH AN! 😂 AYM4pHI3cig 8:55 6 Fancalls 202 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Dagi Bee1 zählt mit derzeit knapp 4 Mio� Abonnenten zu den reichweiten- stärksten YouTuber*innen überhaupt, aber auch Puuki (1 Mio�) und Faye Montana (350�000) haben eine beträchtliche Reichweite� Die Videos wurden mit der Software FOLKER nach den Konventionen von cGAT als Basistranskripte transkribiert�2 3 Was sind Fancalls? Fancalls funktionieren so, dass YouTuber*innen vorab in einem oder meh- reren Sozialen Medien Fancalls ankündigen und ihre Fans bitten, ihnen ihre Mobilnummern zu schicken� Unter den eingegangenen Nummern werden dann einzelne Fans ausgewählt und vor laufender Kamera ange- rufen� Typischerweise filmen sich die YouTuber*innen in ihrer privaten Umgebung, etwa auf dem Bett sitzend, oder wenigstens in einem Setting, das Privaträumen nachempfunden ist (s� Abb� 1)� Abb. 1: Videostill aus Faye Montana „Fancalls | Ich rufe EUCH an!“ 1 Zu Dagi Bee hat Meer eine Reihe von Arbeiten vorgelegt (vgl� u� a� Meer 2018; Meer & Staubach 2020)� 2 Für die Unterstützung bei der Transkription danken wir Anna- Marie Kiank� Fancalls 203 Telefoniert wird mit einem Smartphone auf Lautsprecherfunktion, das als notwendige Requisite immer sehr deutlich sichtbar ist� Es werden meh- rere Fans nacheinander angerufen, die einzelnen Gespräche werden durch kommentierende und direkt an die Videozuschauenden adressierten Passa- gen verbunden� Aus den Videoaufnahmen werden schließlich Videos pro- duziert, die meist stark nachbearbeitet, d� h� geschnitten und teilweise auch durch Schriftzugeinblendungen ergänzt sind� Für die allgemeine gesprächslinguistische Charakterisierung der Fan- calls – und hier meinen wir zunächst die Telefonate mit den Fans und nicht das Videoformat der Fancalls – ist an erster Stelle eine grundle- gende Wissens- und Statusasymmetrie der Beteiligten festzuhalten (Linell & Luckmann 1991: 5)� Die Fans kennen ihre Stars, d� h� wenigstens die öffentlichen Figuren, sehr genau und verfolgen nicht selten jeden Schritt, den die YouTuber*innen in den Sozialen Medien tun� Hinzu kommt, dass die YouTuber*innen wie eingangs bereits geschildert systematisch Intimi- tät auf Distanz konstruieren, indem sie mit ihren Adressat*innen in sehr nähesprachlicher Weise kommunizieren� Umgekehrt kennen die Stars die Fans kaum bis überhaupt nicht� Den Aussagen von Dagi Bee zufolge sind ihr zwar einzelne Fans über häufig in ihren Mentions3 auftauchende Pro- file bekannt („ich seh dich so so oft bei twitter in meiner timeline“), und Faye Montana gibt an, einen Fan, den sie anruft, schon einmal getroffen zu haben� Dennoch dürften aus der Perspektive der YouTuber*innen die einzelnen Fans in der großen Masse verschwinden� Die Stars werden von ihren Fans bewundert; umgekehrt ist eine gewisse Verbundenheit, die Stars ihren Fans gegenüber empfinden, wohl zu erwarten, aber schon aufgrund der fehlenden persönlichen Kenntnis ist sie kaum vergleichbar mit der Bewunderung der Fans� In dieser asymmetrischen Konstellation ist die Chance, dass Fans mit ihren Stars persönliche Gespräche führen können, eigentlich äußerst 3 Wenn auf auf Social Media Plattformen in Postings andere Accounts genannt werden, auf Twitter etwa durch den Adressierungsoperator @, erhalten die Inhaber*innen dieser Accounts je nach Einstellung eine Systembenachrichti- gung in einem Bereich, der „Mentions“ genannt wird� Dass Dagi Bee mit knapp 2 Mio� Twitter-F ollowern Mentions aktiviert hat und auch tatsächlich liest, kann jedoch bezweifelt werden� 204 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser gering� Die „Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation“, die Luhmann (1981: 25) allgemein konstatiert und zum Ausgangspunkt seiner Gesell- schaftstheorie macht, gilt für gesprächsförmige Star-F an- Interaktion in besonderem Maße� Fans dürfen zwar inständig hoffen, aber kaum erwar- ten, dass sie mit ihren Stars Gespräche führen können� Im Folgenden gehen wir der Frage nach, wie unter diesen Voraussetzun- gen der Asymmetrie und der Unwahrscheinlichkeit Interaktion zustande kommt und wie in dieser Interaktion die Beziehung zwischen Stars und Fans ausgestaltet wird� 4 Zur Gattungsspezifik der Eröffnungssequenzen in Fancalls Angesichts der Unwahrscheinlichkeit der gesprächsförmigen Kommuni- kation zwischen Stars und Fans sind bereits die Gesprächseröffnungen aufschlussreich, jene Phase also, in der der Übergang zum – aus Fansicht unverhofften – Miteinander gestaltet wird und „in der die Gesprächspart- ner eine wechselseitig akzeptierte Situationsdefinition hinsichtlich ihrer sozialen Beziehungen als Gesprächspartner erreichen“ (Henne & Rehbock 2001: 15; Hervorh� i� O�)� Wie Telefongesprächseröffnungen typischer- weise ablaufen, hat Schegloff (1968) gezeigt: Auf das Telefonklingeln, das als Einladung zum Gespräch beschrieben werden kann, erfolgt nach dem Abnehmen die Antwort der angerufenen Person, darauf folgt meist eine selbstidentifizierende Gegenantwort der anrufenden Person, die durch die angerufene Person ratifiziert wird, indem sie das Erkennen der Gegenseite signalisiert� Auf diese Weise kann der wechselseitige Kenntnisstand so kalibriert werden, dass Interaktion möglich wird� Schegloffs Beobachtun- gen, die er anhand von Festnetztelefongesprächen gemacht hat, sind für das Verständnis von Gesprächseröffnungen bis heute bedeutsam geblie- ben (vgl� Birkner et al� 2020), wenngleich sich mit der Mobiltelefonie die Muster der Gesprächseröffnung verändert haben (vgl� z� B� Laursen & Szymanski 2013; Licoppe & Morel 2013)� Schegloff verweist nun auf die Möglichkeit, dass die anrufende Person die Selbstidentifizierung (typischerweise durch Namensnennung) unter- lässt und zur Fremdidentifizierung einlädt, im Vertrauen darauf, bereits durch die Stimme erkannt zu werden (s� a� Birkner et al� 2020: 53)� Dies kann Schegloff zufolge dazu dienen, „to establish or confirm the intimacy Fancalls 205 or familiarity of a relationship“ (Schegloff 1968: 1077)� Die Gesprächs- eröffnungen der Fancalls passen einerseits hierzu, da sich die YouTuber*in- nen so gut wie nie selbst identifizieren�4 Sie überlassen die Identifizierung fast immer den Fans, wohl wissend, dass das Fanwissen genau das erlaubt� Nicht nur dürfen sie darauf vertrauen, an der Stimme erkannt zu werden� Auch haben die Fans ja auf die Ankündigung von Fancalls hin ihre Num- mern eingereicht und wissen um die (wenn auch nur sehr geringe) Chance, tatsächlich angerufen zu werden� Andererseits weisen Fancalleröffnungen auch eine eigene Struktur auf, denn die Einladung zur Fremdidentifizie- rung wird häufig auf eine ratespielähnliche Weise gestaltet� Eine typische Gesprächseröffnung läuft so ab: #1 Dagi Bee 0004 V hallo? 0005 DB bin ich da bei vicki? 0006 (1.31) 0007 V ja (.) DAGI? 0008 DB dagi? ich KENN keine dagi wer ist dagi 0009 (1.51) 0010 V dagi verArsch mich nicht 0011 !OH MEIN GOTT! 0012 (0.61) 0013 DB HI:: 0014 V OH 0015 DB ahaha 0016 V ↑↑HI (- ) OH MEIN GOTT 0017 DB wie GEHTS dir süße ((lacht)) Dagi Bee umgeht mittels der fragenden Rückversicherung, tatsächlich mit Vicki zu sprechen, die an dieser Stelle eigentlich konditionell relevante Selbstidentifizierung� Auf die in Frageintonation vorgebrachte Fremdiden- tifizierung (DAGI?) hin spielt Dagi zunächst die Ahnungslose und baut auf diese Weise Spannung auf� Sie wird aber dennoch erkannt, wie an der anschließenden Anrede mit Namen deutlich wird (dagi verArsch mich nicht)� Das Erkennen der Anruferin und mithin auch die Auflösung der 4 Auch die in der Mobiltelefonie übliche Übermittlung der eigenen Rufnummer, welche die Identifizierungspraktiken gegenüber der klassischen Festnetztelefo- nie verändert haben (Birkner et al� 2020: 56), haben die YouTuber*innen bei Fancalls deaktiviert� 206 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser zunächst unklaren Situation wird dann durch heftigen Emotionsausdruck der Angerufenen, erkennbar an dem gleich doppelt vorgebrachten Ausruf oh mein Gott, begleitet� Ihren Abschluss findet die Eröffnung in Dagi Bees Frage nach Vickis Wohlergehen, die durch die Nähe indizierende Anrede „Süße“ eine gewisse Vertrautheit der Interaktionspartnerinnen suggeriert� Aber auch schon in dem Ausruf des Fans „verarsch mich nicht“ wird ein Sprachregister aktiviert, das eher in Interaktionen unter Vertrauten mit einer gemeinsamen Interaktionsgeschichte beobachtbar ist, obwohl sich die Interagierenden hier zum ersten Mal miteinander unterhalten� Im folgenden Beispiel tritt das Ratespiel um die Identität der Anrufenden in Kombination mit einer Strategie auf, die man als prosodische Spiege- lung („intended intonation echo“ (Schegloff 1979: 32)) bezeichnen kann: #2 Dagi Bee 0004 E ja? 0005 DB ja:? 0006 (1.11) 0007 E wer ist da, 0008 DB rate mal, 0009 (1.42) 0010 E dagi? 0011 DB elena? 0012 (1.11) 0013 E elenI 0014 DB elenI? ((lacht)) 0015 (0.91) 0016 E oh mein gott nEIn oder? Dagi Bees Entgegnung auf die erste Antwort ist nicht nur lexikalisch eine Wiederholung, sondern ist ebenfalls mit einer Frageintonation versehen� Sie kann darum auch nicht einfach ratifiziert werden, sondern muss durch Erraten aufgelöst werden� Die prosodische Spiegelung wiederholt sich auch in den nächsten Paarsequenzen, bis auch hier die Angerufene durch den Ausruf oh mein Gott deutlich macht, die Anruferin und mithin auch die Situation erkannt zu haben� Durch derartige Praktiken, welche die gesprächseröffnenden wechselsei- tigen Identifizierungen gezielt in die Länge ziehen, ändert sich auch deren Funktion: Sie sind nicht mehr nur notwendige Durchgangsstation zum dann folgenden Gespräch, sondern werden selbst als Ziel angesteuert� Sie dienen Fancalls 207 dem Spannungsaufbau und werden, wie man etwa am vergnügten Lachen von Dagi Bee in Transkript #2 in Z 0014 sehen kann, geradezu lustvoll aus- gekostet�5 Und auch in den übrigen Gesprächseröffnungen in unserem Korpus zeigt sich, dass der Ausruf oh mein Gott als „recognitional display“ (Birkner et al� 2020: 60) eine typische, geradezu konditionell relevante Reaktion auf die so in Szene gesetzte Identifizierung darstellt und jene Stelle besetzt, die in Festnetztelefongesprächen typischerweise für den Gegengruß durch die Ange- rufenen genutzt wird� Mit 148 Belegen insgesamt ist diese Wendung im vorlie- genden Korpus hochfrequent und gehört gerade in den Eröffnungssequenzen zum gattungsspezifischen Emotionsdisplay der Fans� Als formelhafter Aus- druck des Erstaunens und der Überwältigung, der in seiner Formelhaftigkeit auch eine Orientierungshilfe darstellt (Ayaß 2011: 278), dient die Wendung als Ausweis, die – aus Fanperspektive ebenso unwahrscheinliche wie herbei- gesehnte – Situation erkannt zu haben, die Situation nämlich, tatsächlich mit dem bewunderten Star ein Gespräch zu führen� Besonders deutlich wird das dort, wo der Ausruf oh mein Gott sogar die für die Fremdidentifizierung eigentlich erforderliche Namensnennung ersetzt: #3 Faye Montana 0358 V ((Abnehmgeräusch)) 0359 FM hallo:? 0360 (1.24) 0361 V [!OH! (.) !MEIN! (.) !GOTT!] 0362 FM [((lacht)) ] 0363 ist da vIcky? #4 Dagi Bee 0632 V hallo? 0634 DB hallo:? 0635 (1.23) 0636 V < !OH MEIN GO:::TT! > 0637 DB ((lacht)) HI: verOnica:: hehe 0638 V < hallo? > 0639 DB < hallo? > 0640 V oh mein gott DAgi 0641 DB JA:::: 5 In ihrer spannungsaufbauenden Funktion ist diese lustvoll ausgekostete Ver- zögerungstaktik auch an die Videorezipierenden adressiert� Wir gehen unten noch näher darauf ein (Kap� 5)� 208 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser #5 Dagi Bee 0719 D hallo? 0721 DB hallo:? 0722 (0.81) 0723 D ↑oh mein gott 0726 DB HI: dEbbie: Wie insbesondere bei Dagi Bee an den nachfolgenden Turns mit den um namentliche Anrede ergänzten Begrüßungen deutlich wird, wird durch und mit diesem Emotionsausdruck eine geteilte Situationsdefinition etabliert� Und indem dies in größter Emotionalität geschieht, wird die bereits erwähnte „Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation“ (Luhmann 1981: 25) gemeinsam zum Ausdruck gebracht und die Ungewöhnlichkeit des Ereignisses durch beide Beteiligten gemeinsam konstruiert� Wie sehr gerade der Ausruf oh mein Gott zum unverzichtbaren Inventar der Gattung Fancalls gehört, und zwar gerade auch in der Eröffnungs- phase, zeigt sich auch in folgender Sequenz mit dem YouTuber Puuki: #6 Puuki 0002 P hallo? 0003 (1.18) 0004 F hallo? 0005 (0.68) 0006 P hallO::? 0007 F ((hustet)) puuki:? 0008 P oh mein gott ja? 0009 (1.09) 0010 F oh mein gott oh mein gott ((lacht)) Puuki scheint so sehr verinnerlicht zu haben, dass die Identifizierung des Stars normalerweise mit dem Ausruf oh mein Gott hervorgeht, dass er die- sen kurzerhand selbst vorwegnimmt, bevor der angerufene Fan die Identi- fizierung durch abermaliges oh mein Gott ratifiziert� Dass nun aber gerade ein so formelhafter Emotionsausdruck ein typi- scher Bestandteil der Eröffnungssequenzen ist, ist für den besonderen Gesprächstyp der Fancalls auch funktional� Dazu sei an ein weiteres Prin- zip von Gesprächseröffnungen erinnert: „The caller provides the first topic of conversation“ (Schegloff 1968: 1078)� Wer anruft, bestimmt das erste Gesprächsthema und muss dies auch tun� Indem nun aber eine durch Rate- spiele bewusst verzögerte Identifizierungsphase dem Emotionsausdruck Fancalls 209 Raum gibt, wird die Pflicht zum Thematischwerden aufgehoben, und auch der Grund des Anrufs muss nicht genannt werden� Die für die Fancalls geradezu konstitutive Form der Gesprächseröffnung kann somit, wie man in Anlehnung an Harvey Sacks Beobachtungen zum „task of ‚avoiding giving one’s name‘ “ (Hutchby & Wooffitt 2008: 17) sagen kann, als eine Ethnomethode des avoiding providing a topic beschrieben werden� Dann aber wird die unerwartete und überwältigende Tatsache des Gesprächs als solchem thematisch, wie etwa exemplarisch folgender Beleg zeigt: #7 Faye Montana 0494 S oh mein gott du hast mich angerufen 0495 FM ja klAr ich hab dich ausgewählt 0496 S oh mein gott In folgendem Beleg erkundigt sich Dagi Bee zwar mit der Frage „Wie geht’s?“ nach dem Befinden des Fans, doch der Fan überhört das hierin beschlossene Gesprächsangebot und insistiert geradezu auf der Tatsache des Angerufenwerdens: #8 Dagi Bee 0173 DB hi ((lacht)) 0174 [wie gehts dir] 0175 S [oh mein gott ] 0176 du rufst mich wirklich an 0177 DB ich ruf dich an ((lacht)) Diese hochemotionalen Thematisierungen der Tatsache des Gesprächs als solchem bestimmen typischerweise auch den Fortgang der Gespräche� Zwar kommen verschiedentlich auch andere Themen zur Sprache, etwa die geplanten Wochenendaktivitäten oder der anstehende Urlaub� Deutlich im Vordergrund stehen aber Themen wie das lange Hoffen der Fans, angerufen zu werden, oder auch die andauernden Zweifel, ob sich das Hoffen denn überhaupt lohnt� Die „Schwellen der Entmutigung“ (Luhmann 1981: 27), die zum Unterlassen einer für aussichtslos gehaltenen Kommunikation füh- ren, werden durch die Fans immer wieder thematisiert, was die Ausnahme- stellung des gerade stattfindenden Gesprächs umso mehr unterstreicht: #9 Dagi Bee 0578 M oh mein gott 0579 ich hätte nicht gedacht dass du mich anrufst 0580 ich dachte du hast schon aufgehört 210 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Immer wieder finden sich denn auch über die gesamten Gespräche hinweg eingeschobene Phasen des Überwältigungsausdrucks und der Fassungs- losigkeit, mit denen das Fehlen eines Gesprächsthemas abgefangen wer- den kann� #10 Dagi Bee 0818 S bester tag in meinem ganzen leben 0819 DB O:::H 0820 S ich kann das nicht glAUben 0821 ich hab das gefühl ich trÄUme oder so 0822 DB ne::in das is alles ECHT Aufschlussreich sind hierbei auch die Reaktionen der Anrufenden auf diese Ausdrücke der emotionalen Überwältigung, welche die Emotionalität der Fans weiter affirmieren� Dazu sei die Fortsetzung des Gesprächs mit Eleni (#2) in den Blick genommen: #2 Dagi Bee (Fortsetzung) 0016 E o mein gott nein oder? 0017 DB °h doch hier IST dagi HI hehe 0018 (1.27) 0019 E jetzt ernst? 0020 DB JA::: 0021 (0.73) 0022 E ja? 0023 DB JA::: 0024 (0.99) 0025 E < oh ich bin am weinen > 0026 DB oh nEI::n nich wEIn_ hohoho 0027 °h och nÖ::: 0028 E ((schluchzt)) 0029 DB och nein wie sÜ:::ß Die durch den Ausdruck von Ungläubigkeit seitens der Angerufenen noch- mals in die Länge gezogene Identifizierungsphase mündet schließlich darin, dass diese weint und Dagi Bee sie tröstet, allerdings auf eine Weise, die etwa durch den Ausruf „wie süß“ eher ein gemeinsames Frönen der Emo- tionalität ist� Emotionale Involviertheit erscheint hier als Praxis des „doing being a fan“ (Klemm 2012), die für das Fansein geradezu konstitutiv ist und entsprechend durch Dagi Bee selbst honoriert wird, indem sie ihrer- seits emotional reagiert, bis hin zu regelrechten Emotionalitätsschlaufen: Fancalls 211 #11 Dagi Bee 0815 DB woah das freut mich so wie ihr euch immer freut 0816 das ist SO SÜ:SS In den Fancalls findet sich also, vorbereitet schon durch die besonderen Weisen der Gesprächseröffnung und im Gespräch selbst laufend fortge- setzt, eine hochemotionale Variante dessen, was Malinowski (1974: 350) „phatische Kommunion“ genannt hat� Die Informationsfunktion des Gesprächs tritt ganz zurück zugunsten der gemeinsamen sprachlichen Herstellung von Sozialität und, so wollen wir hier ergänzen, geteilter Emotionalität, bei der die Themen, welche über das Gespräch als solches hinausreichen, letztlich irrelevant sind� Dieser phatisch- emotionale Modus ist es, mit dem die Stars und Fans gemeinsam die Außergewöhnlichkeit des Geschehens konstruieren und damit auch die Star-F an- Beziehung als eine solche konturieren, in der zwar vorderhand vertraute, aber eben doch exzeptionelle Kommunikation möglich ist� 5 Fancalls als Gespräche vor und mit dem Publikum: Mehrfachadressierung Eine charakteristische Eigenart der im vorangegangen Abschnitt fokus- sierten Fancallgespräche ist, wie oben bereits erwähnt, darin zu sehen, dass sie vor laufender Kamera geführt werden mit dem Ziel, daraus ein Video zu produzieren� Insbesondere das Verhalten der YouTuber*innen ist durch eine offenbar bewusste Mehrfachadressierung geprägt (Burger & Luginbühl 2014: 24)� Einerseits richten sie sich an die Rezipierenden der Videos, die zu Beginn oder zwischen den einzelnen Anrufen auch aus- drücklich angesprochen werden� Andererseits sprechen sie mit den ange- rufenen Fans, wobei während der Gespräche über das Blickverhalten stets der Kontakt zum Publikum gehalten wird (s� o� Abb� 1)� Wir finden im Videoformat der Fancalls mithin zwei verschiedene Beziehungsgrade und - qualitäten, die zwar kommunikativ unterschiedlich ausgestaltet werden, dabei aber vielfach miteinander verwoben sind� Aufschlussreich sind hier bereits die Videoeröffnungssequenzen, in denen die Zuschauenden begrüßt und zugleich auch als Gruppe derer angesprochen werden, aus deren Reihen die Angerufenen stammen� 212 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser #10 Puuki 0001 P !YO! leute was geht willkommen zu einem neuen video 0002 P ICH mach heute mal fancalls das heißt ich ruf (.) euch (.) an Die in der direkten Adressierung „ich ruf euch an“ referenzierte Gruppe umfasst zum einen die tatsächlich Angerufenen, die mit Sicherheit auch das Video schauen werden� Zum anderen werden eben alle Videozuschau- enden angesprochen und es wird deutlich, dass die Angerufenen der Fan- community entstammen und hier alle zumindest die Möglichkeit haben bzw� gehabt hätten, selbst angerufen zu werden�6 Dass sich hierbei zwei verschiedene Kommunikationssituationen mit unterschiedlichen Beteiligten und Beteiligungsformaten überlagern, wird auch in folgender Einstiegssequenz deutlich: #12 Dagi Bee 0001 DB woah HI ihr lieben ICH bins eure dagi 0002 u::nd HERZlich willkommen zu einem neuen video 0003 und wie ihr vielleicht schon da unten gelesen habt, 0004 °hh ↑es geht um fAncalls ich werde euch in diesem video live 0005 ↓also was heißt live 0006 ich werde euch jetzt in diesem video anrufen Der Livecharakter betrifft allenfalls die Angerufenen, nicht aber die Video- rezipierenden, denen das Geschehen erst im Nachhinein zugänglich wird� Anhand der Selbstkorrektur in Z 0005 zeigt sich jedoch, dass sich die Rednerin Dagi an beide Rezipierendengruppen zugleich richtet – auch der Verweis auf die Lesbarkeit des unterhalb des Videofenster eingeblendeten Videotitels in Z 0002 deutet darauf hin – und deshalb zugleich live als auch non- live spricht� Der von Marwick & boyd (2011: 122) für Social Media Konstellationen mit ihrer potenziell unbegrenzten Öffentlichkeit beschriebene „context collapse“, der verschiedene Publika ineinanderfal- len lässt, wird an dieser Stelle ganz explizit gemacht� Auch in den Passagen zwischen den einzelnen Anrufen finden sich gele- gentlich solche durch die Redner*innen selbst markierten Überlagerungen� 6 In den Kommentaren zu den YouTube- Videos finden sich dementsprechend auch viele Hoffnungsbekundungen von Fans, dass auch sie einmal angeru- fen werden, etwa: „ich liebe dich dagi ich finde dich soooo nett und schön usw!♥♥♥♥du bist mein idol ♥♥ ich hoffe du rufst mich mal an?♥“ (https://w ww� youtu be�com/ watch?v=u 5op_ U 0co hM, retrieved 14�5�2021)� Fancalls 213 Unmittelbar nach Beendigung eines Fancalls kommentiert etwa Faye Mon- tana das Gespräch wie folgt: #13 Faye Montana 0234 FM äh (.) die war grad mega cute (.) muss ich sagen 0235 die war sehr nett 0236 ((blickt von Handy auf in die Kamera)) 0237 liebe grüße (- ) an (.) dich Nach dem Sprechen über den Fan wechselt Faye Montana, unterstützt durch einen deutlichen Blickrichtungswechsel, zur direkten Adressierung des Fans, den sie unter den Videorezipierenden vermuten darf – allerdings in einer Formulierung „liebe Grüße an…“, die doch eher als Aufruf zum Gruß an Dritte üblich ist (Schröter 2016: 302; Bergmann 1994)� Schließlich lassen sich noch während der Fancalls selbst solche Über- lagerungen beobachten� Wie bereits erwähnt, halten die YouTuber*innen über das Blickverhalten durchgehend Kontakt mit den Videorezipierenden� Mitunter finden sich hier auch gestische Kommentierungen der Gesprächs- beiträge der Fans, die erkennbar an die Videorezipierenden adressiert sind� So deutet Dagi Bee in Z0011 des Beispiels #1, wo der Fan ein oh mein Gott geradezu herausschreit, eine durch ein Lachen begleitete Duckbewegung an – ein dezentes, aber doch ‚lesbares‘ Kommunikationsangebot an die Zuschauenden� Puuki lacht während der Eröffnungsphasen immer wieder hinter vorgehaltener Hand zwischen den selbst ruhig und ernst formulier- ten Ansprachen der Angerufenen und macht so für die Videorezipierenden die Doppelbödigkeit des Geschehens deutlich (s� Abb� 2)� Für die Video- rezipierenden sind die Anrufe ganz deutlich Inszenierungen zum Zwecke der Unterhaltung, worüber die Angerufenen selbst jedoch im Unklaren gelassen werden� Und auch die oben beschriebenen gezielten Verzögerun- gen in den Eröffnungssequenzen werden, wie man nicht zuletzt am Blick- verhalten sehen kann, im Besonderen für die Videorezipierenden in Szene gesetzt� Gerade Puuki, der vor allem für seine Prank-V ideos bekannt ist, macht die Videorezipierenden sozusagen zu Komplizen beim Pranken der angerufenen Fans, was gegenüber dem Publikum als hochintegrative Pra- xis beschrieben werden kann�7 7 Als Pranks (= engl� ‚Streich‘) werden im Jargon Videos bezeichnet, in denen meist harmlose Streiche auf Video dokumentiert werden� 214 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Abb. 2: Videostill aus Puuki: ICH RUFE EUCH AN! Fancalls Sobald indes nach der Identifizierungsphase klar ist, dass es sich um einen Fancall handelt, wird der Inszenierungscharakter für die anschließende Publikation auf YouTube häufig auch im Gespräch selbst thematisiert� Das kann durch die Anrufenden geschehen: #14 Dagi Bee 0584 DB und ich filme auch fleißig mIt 0585 (1.34) 0586 M oh mein gott 0587 DB ja du bist grad live dabEI Häufiger aber sind es die Fans, welche in dem Wissen darum, wie das For- mat Fancalls funktioniert, die Aufzeichnung thematisieren� Dazu sei eine Sequenz mit Puuki zitiert: #15 Puuki 0072 P hier ist puuki 0073 (2.57) 0074 S Echt jetzt, 0075 (- ) 0076 P ja, 0077 (3.05) 0078 S ich bin ein fAn von dir 0079 (1.26) Fancalls 215 0080 P ich weiß, 0081 S kommt das in dein vIdeo, 0082 P < ja > 0084 willst du irgendwas sagen oder so? (- ) 0085 oder irgendwen grüßen? 0086 S ich grüße jason becker Zögerlich und ungläubig versichert sich der angerufene Fan der Tatsa- che, dass aus dem Gespräch ein Video entstehen wird� Dies nimmt Puuki sogleich zum Anlass, zu einer bereits für klassische massenmediale Formate typischen Praxis einzuladen: dem Grüßen von Dritten, denen das Gespräch aufgrund seiner medialen Dissemination auch zugänglich sein wird (Berg- mann 1994: 221)� Und tatsächlich nimmt der Fan das Angebot sogleich und in großer Routiniertheit auch an� Das Zwiegespräch zwischen YouTu- ber und Fan wird so ausdrücklich für ein erweitertes Publikum geöffnet, und die Mehrfachadressierung wird durch beide Beteiligten des Gesprächs gemeinsam vollzogen� So außergewöhnlich und unerwartet für die Fans die Gespräche mit den Stars auch sein mögen, der auf verschiedene Weise thematisierte Inszenie- rungscharakter und die oft explizit reflektierte Mehrfachadressierung die- ser Gespräche zeigt fortdauernd an, dass ein tatsächlich rein persönliches Zwiegespräch eben doch unerreichbar und die Beziehung zwischen Star und Fan bei aller suggerierten Vertrautheit eine distanzierte bleiben muss� Und so wird auch die Serialität des Geschehens, der Umstand also, dass das jeweilige Gespräch nur eines von vielen ist, verschiedentlich angesprochen� #16 Dagi Bee 0617 DB vielleicht bist du ja irgendwann mal wieder dran ((lacht)) 0619 M ja oh mein gott °h 0621 DB ((lacht)) 0622 M okee dann tschüss und viel spAß noch beim anrufen Nicht nur Dagi Bees Formulierung irgendwann mal wieder verweist auf eine lange Reihe ganz ähnlicher Gespräche� Auch im Abschiedswunsch des Fans „viel Spaß noch beim Anrufen“ kommt das Wissen zum Ausdruck, letztlich nur eine unter vielen zu sein, die sozusagen als subjektiv glück- liche, aber objektiv ersetzbare Komparsen auf die Bühne gebeten werden� Im Übrigen finden sich solche Verweise auf andere Fancalls vor allem am Ende der Anrufe und werden geradezu als „pre-c losings“ (Schegloff 216 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser & Sacks 1973: 303) eingesetzt� In den nahezu themenlosen Gesprächen mit ihren Emotionalitätsschlaufen wird oftmals recht abrupt das Ende ein- geleitet, und die Pflicht zur Tätigung weiterer Anrufe ist hier ein willkom- mener Anlass� #17 Dagi Bee 0516 DB ähm ich muss dann aber jetzt mal auflegen 0517 weil ich muss ja noch andere anrufen Die Tatsache, dass es noch andere Fans gibt, die für das zu erstellende Videoformat ebenfalls angerufen werden „müssen“, wird hier, angezeigt durch die Modalpartikel ja, als geteiltes Wissen angeführt, das die Been- digung des Gesprächs rechtfertigen kann� Die zuvor durch den vertraut wirkenden Kommunikationsstil aufgebaute Nähe wird so bereits wieder unterlaufen� Zugleich nimmt Dagi Bee damit aber auch auf die größere Fancommunity Bezug und weist den angerufenen Fan eben dieser Com- munity zu, so dass sie mit Akzeptanz dieses Grundes für die abrupte Gesprächsbeendigung rechnen kann� 6 Digitale (Re)Kontextualisierungen Über die Dokumentation der Fancalls in YouTube-V ideos hinaus, die sich bereits deutlich in das Dialoggeschehen einschreibt, sind noch vielfältige weitere digital-m ediale Prägungen für dieses Interaktionsformat typisch� Ein weites Spektrum an Sozialen Medien und der für sie typischen Prakti- ken umlagert und durchdringt die Star- Fan- Interaktionen� Wie bereits erwähnt, werden Fancalls in den Sozialen Medien vorberei- tet, indem die Stars typischerweise auf einer Plattform, die Direktnachrich- ten erlaubt (etwa Instagram, Facebook oder Twitter), Fancalls ankündigen und dazu um Zusendung der Mobilnummern bitten� Dementsprechend treten die Fans mit den Stars zunächst als Social Media-P rofile in Kontakt und werden von den Stars in den den eigentlichen Anrufen vorgeschalteten Passagen auch so eingeführt: #18 Dagi Bee 0001 DB rUfen wir mal die (- ) dAgis vIcky an 0002 bienchenvicky heißt sie auf twitter, Üblich ist dabei auch, dass einzelne Fans auf einer der genannten Platt- formen Fanpages betreiben, etwa auf Instagram, wo dann z� B� digitale Fancalls 217 Collagen von Bildern des Stars oder abfotografierte Fanbriefe und -p lakate gepostet werden� Eben solche Fanpage-b etreibenden Fans ruft etwa Faye Montana gezielt und sozusagen in Honorierung der Fanaktivitäten an: #19 Faye Montana 0238 FM als nächstes rufen wir auch ne fanpage von mir an 0239 die heißt dress like faye 0240 und es gibt einfach fanpages die posten SO VIEL 0241 des ist so krass 0242 und deswegen rufen wir euch mal an Aufschlussreich ist hier die metonymische Formulierung „eine Fanpage anru- fen“, die deutlich zeigt, dass die Fans weniger als Einzelpersonen denn als ‚Profil- Subjekte‘ (Reckwitz 2017: 245) in Erscheinung treten� Fanpages sind also offenbar Formate, in denen die in den Fancalls in direkte Interaktion mündende Beziehung zwischen den Stars und ihren Fans vorbereitet werden kann� Bereits Fiske (1992: 30) verweist auf die beson- ders produktiven Medienrezeptionsweisen von Fans, die selbst Bilder und Texte produzieren� Die Sozialen Medien mit den zahllosen Fanpages, Fan- blogs, Fanforen usw� sind hier ein zusätzlicher Motor und eröffnen durch die Möglichkeiten des Likens und Teilens auch neue Kommunikationskanäle� Über die oben bereits erwähnten Mentions mit den damit einhergehenden Systembenachrichtigungen können sich die Fans zumindest theoretisch die Aufmerksamkeit der Stars verschaffen� Umgekehrt besteht die Möglich- keit, dass auch die Stars die Fanpages mit Likes honorieren� Was Marwick für Social Media- Aktivitäten von Stars im Kontrast zu klassischen Formen der medialen Präsenz beobachtet, zeigt sich hier in deutlicher Form: “Social media transform the parasocial into the potentially social and increase the emotional ties between celebrity and fan” (Marwick 2015: 139)� Die mit digitalen Mitteln vollzogene Beziehungsgestaltung, welche die dann stattfindenden Gespräche rahmt und vorbereitet, kann sogar in die Fancalls selbst hineingezogen werden� Dagi Bee spricht die Angerufenen routinehaft als „treue Bienchen“ an, was sich auf besonders ausdauerndes Posten und Liken in den Sozialen Medien beziehen dürfte, das durch eben diese Anrede gewissermaßen belohnt wird�8 Ein besonders eindrückliches 8 Dies ist eines von vielen Beispielen, an denen Dagi Bees Performances und damit auch die Interaktionen mit den Fans als „self- branding“ (Marwick 2015: 140) erkennbar werden� 218 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Beispiel dafür, wie sich die digitalen Beziehungsgestaltungen mit der münd- lichen Kommunikation verschalten, findet sich in der folgenden Sequenz� Nachdem ein Fan von Dagi Bee seine Fanpage auf Instagram erwähnt hat, geht Dagi Bee direkt darauf ein: #20 Dagi Bee 0149 wie heißt die denn 0150 kannst du mir den namen mal verraten 0151 B äh ja die heißt infinity dagi || 0152 DB gut dann ähm (.) like ich mal n paar bilder dort 0153 B °hh whAt the fUck 0154 DB ((lacht)) 0155 B du verarscht mich grade so ernsthaft ne? 0156 DB och [wieso ] 0157 B [oh mein] gott 0158 alter jetzt jetzt weiß ich gAnz genau dass DU nicht lügst 0159 DB ((lacht)) 0160 B oah okay °h || 0161 DB komm ich fOlg dir einfach mal. 0162 sO jetzt hab ich dir gefolgt 0163 B < !WAS! °h !NEIN! °h OH MEIN GOTT 0164 nein nein nein 0165 dAgi du du verARSCHST mich grad oder? > 0166 DB ((lacht)) 0167 B < oh mein gott (.) du FOLGST mir jetzt nich 0168 Ach du schEIße > Dagi Bees Liken der Bilder – technisch betrachtet ein Doppeltippen der in einer Timeline untereinander angeordneten Bilder – führt ebenso wie das Folgen des Accounts unmittelbar zu Systembenachrichtigungen bei der Angerufenen, die damit über einen Authentizitätsnachweis verfügt� Den- noch bringt sie ihre Überwältigung und ihren Unglauben über das maxi- mal Unerwartete in einer Reihe von – wie bereits in #1 nähesprachlich markierten – Vulgarismen zum Ausdruck, was von Dagi Bee wiederum nur mit einem affirmativen Lachen kommentiert wird� Das Folgen, das hier so effektvoll in Szene gesetzt und sogar in einem Video dokumentiert wird, hat dabei auf Seiten beider Beteiligten Konse- quenzen: Bei Dagi Bee werden fortan die Bilder des gefolgten Accounts in der Timeline angezeigt� Bei dem Fan wird im eigenen Profil für alle ande- ren sichtbar angezeigt, dass Dagi Bee (bzw� ihr Account) diesen Account abonniert hat, und auch bei den einzelnen geliketen Bildern ist dies für Fancalls 219 allen anderen Nutzenden, welche ebenfalls Dagi Bee folgen, sichtbar� In den sozialen Netzwerken können solche durch die Affordanzen des Medi- ums ermöglichten und geformten Zuwendungen gleichsam als kulturel- les Kapital erworben (Fiske 1992: 31) und dieses Kapital in einer klar zu beziffernden Währung auch ausgestellt, d� h� sichtbar gemacht werden� So finden sich gerade auf Dagi Bee Fanpages häufig in den sog� Bios regel- rechte ‚Kontostände‘ (s� Abb� 3): Abb. 3: Dagi Bee Fanpage�9 In den dauerhaft verfügbar gehaltenen Instastories werden als Belege Screenshots von den entsprechenden Systembenachrichtigungen über Likes durch Dagi Bee vorgehalten und mit den üblichen Formen des Emo- tionsdisplays wie OMG und ich kann es nicht glauben kommentiert, wel- che die Likes trotz des beträchtlichen Kontostandes als außergewöhnliche Ereignisse ausweisen (s� Abb� 4)� Es scheint also ein geteiltes, die digital- multimodalen wie auch die schriftlichen Formen Star- Fan- Interaktion umfassendes Set an emotionalen Reaktionsweisen zu geben, das gerade auf der Bühne der Sozialen Medien sorgsam ausgespielt wird� 9 Interessant ist auch das Profilbild, das den Fan gemeinsam mit dem Star zeigt, also eine leibliche Begegnung für alle sichtbar dokumentiert, die als besonderes Statussymbol innerhalb der Fancommunity gelten kann� 220 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Abb. 4: Instagram- Story auf Dagi Bee Fanpage An solchen emotional aufgeladenen Auflistungen und Dokumentationen lässt sich sehen, dass auch diese Formen der Beziehungsgestaltung einen Inszenierungscharakter aufweisen, der von den Fans gezielt ausgestaltet wird�10 Im Wissen darum, dass die vielfältigen Interaktionen mit den Stars 1 0 Dabei weisen diese Formen eine typische sequentielle Organisationsstruktur auf, die sie als – wenn auch zeitlich zerdehnte – Interaktion erkennbar machen: Die Postings der Fans, die selbst meist Adaptionen und Remixes der Star-P ostings sind, werden von den Stars geliket, was anschließend in neuen Postings doku- mentiert wird und hier abermals durch die Stars geliket werden kann� Fancalls 221 stets vor Publikum und sogar für dieses Publikum stattfinden, dienen sie immer auch als Ausweis gegenüber anderen Fans� Dabei ist, wie in Abb� 3 und hier vor allem im Profilbild zu sehen, ein reales Treffen offenbar die wertvollste Variante� Auf dem „medialen Attraktivitätsmarkt“ des Inter- nets, wo nach Reckwitz das digitale Subjekt „zu einem kulturellen Gut [wird], das um Aufmerksamkeit und Valorisierung kämpft“ (Reckwitz 2017: 252), wird auch die Beziehungsgestaltung zwischen Fans und ihren Stars so gestaltet, dass sie hier bestehen kann� Und so sind es auch nicht nur die Stars, die in den Interaktionen mit ihren Fans die Fankommunikation für die Konstitution der Identität des nahbaren Stars nutzbar machen� Komplementär dient auch den Fans die vor Publikum ausgetragene Interaktion mit den Stars, vom empfangenen Like bis hin zum persönlichen Gespräch, als fanidentitätskonstitutive Pra- xis schlechthin� 7 F azit Im vorliegenden Beitrag haben wir Fancalls als eine Praxis der kommuni- kativen Beziehungsgestaltung zwischen Stars und Fans beschrieben, die in komplexe (trans-) mediale Rahmungen eingelassen und somit von Grund auf medial geprägt ist� Fancalls sind Gespräche, die vor und für ein Inter- netpublikum geführt werden und somit durch eine ganze Reihe vorausge- hender, begleitender und nachfolgender medialer Praktiken geprägt sind� An den Gesprächseröffnungen konnten wir zeigen, dass sich die angeru- fenen Fans überwältigt und emotional berührt zeigen und die ratespielähn- lichen Identifizierungssequenzen durch die Suspension von Themen einem solchen phatisch- emotionalen Modus auch Raum geben� Zugleich bedie- nen sich die Fans in ihrem Bewältigungsausdruck einem weithin geteilten und medienübergreifend nachweisbaren Set an Emotionsausdrucksfor- men, welche in ihrer Routiniertheit die Produktion und Interpretation orientierend anleiten� Die Fans sind überwältigt, aber in einer Weise, die unter Fans sozial etabliert und akzeptiert ist und die zudem von den anru- fenden Stars für das entstehende Produkt der Fancall-V ideos auch gezielt induziert wird� Dass sich in den Fancalls die Interagierenden am Publikum orientie- ren, konnten wir an den variablen und teilweise auch explizit durch die 222 Simon Meier-Vieracker / Stefan Hauser Interagierenden selbst thematisierten Mehrfachadressierungen zeigen� Die laufenden expliziten und impliziten Mitadressierungen der Videorezipie- renden, aber auch der Rückgriff auf etablierte massenmediale Repertoires wie die Grußbotschaften machen deutlich, wie sehr sich Stars und Fans am Publikum ausrichten� Die Telefongespräche, die aufgrund ihres dia- logischen Settings und der wechselseitig vertrauten Adressierungen wie persönliche Gespräche anmuten, werden dadurch als Inszenierungen erkennbar, in denen die Fans weniger als Einzelpersonen denn als Ver- treter*innen der Fancommunity (oder gar gleich als Urheber*innen von Fanpages) auftreten� Schließlich konnten wir anhand der digitalen (Re- )Kontextualisie- rungen zeigen, wie sehr gerade die eigentlichen Fancallgespräche durch komplexe Social Media-K ommunikation gerahmt und geformt werden� Indem Stars und Fans bereits vorab über Likes und Mentions miteinan- der in Kontakt treten können, wird bereits eine im Prinzip wechselseitige Beziehung etabliert, die dann bei den für die Fancalls ausgewählten Fans in ein tatsächliches Gespräch mündet� Zugleich wird eben diese Kulmina- tion der Star- Fan- Beziehung in der anschließenden Social Media- Kommu- nikation in einer Weise ausgestellt, die unter Fans als Ausweis des eigenen Fanstatus dient und auch durch die Stars durch Likes honoriert werden kann� So außergewöhnlich die Fancall-G espräche selbst auch erscheinen mögen und so sehr ihre Außergewöhnlichkeit auch durch die Interagieren- den gemeinsam performativ konstruiert wird, so sind sie doch in laufende digitale Interaktionen eingewoben, welche die Star- und Fanidentitäten und damit auch die Beziehung zwischen den Stars und Fans grundlegend durchwirken� Fans und Stars lassen sich nur relational charakterisieren – Fans sind eben Fans von ihren Stars und Stars sind Stars für ihre Fans� Am Beispiel von Fancalls lässt sich detailliert zeigen, wie und mit welchen medialen Ressourcen sich diese Beziehung zwischen Fans und Stars sprachlich-k om- munikativ ausprägt und dabei auch performativ ausgestaltet wird (Linke & Schröter 2017: 16)� Gerade in ihrer komplexen und vielschichtigen medialen Rahmung werfen diese – freilich exponierten und auch als exzep- tionell markierten – sozialen Veranstaltungen Licht auf fankulturelle Prak- tiken im Zeichen digitaler Medien (Barton & Lampley 2013)� Fancalls 223 8 Literatur Androutopoulos, Jannis K� / Tereick, Jana, 2015: „YouTube: Language and discourse strategies in participatory cultures“� In: Georgakopoulou, Alexandra / Spilioti, Tereza (Hrsg�): The Routledge Handbook of Language and Digital Communication� Routledge: London, 354– 370� Ayaß, Ruth, 2011: „Kommunikative Gattungen, mediale Gattungen“� In: Habscheid, Stephan (Hrsg�): Textsorten, Handlungsmuster, Ober- flächen� De Gruyter: Berlin, Boston, 275– 295� Barton, Kristin M� / Lampley, Jonathan Malcolm, 2013: Fan CULTure. 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Jahrhundert� De Gruyter: Berlin, Boston� Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Christiane Dahms, Dr�, Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Ruhr- Universität Bochum, Institut für Germanistik, Sektion Komparatistik� Studium in Göttingen, Bochum (M�A�) und Münster (Dr� phil)� For- schungsschwerpunkte: Thematologie, Intermedialität, Diskursgeschichte� Karina Frick, Dr�, Postdoc im universitären Forschungsschwerpunkt Digital Religion(s) an der Universität Zürich� Studium an der Universität Zürich, Promotion in Zürich und Leipzig� Forschungsschwerpunkte: Medienlingu- istik, kulturanalytische Diskurslinguistik, Grammatik� Stefan Hauser, Prof� Dr�, Leiter des Zentrums Mündlichkeit an der PH Zug und Privatdozent am Deutschen Seminar der Universität Zürich� Lizentiat, Promotion und Habilitation an der Universität Zürich� Forschungsschwer- punkte: kulturanalytische Text- und Medienlinguistik, geprächslinguisti- sche Unterrichtsanalyse, Phraseologie Anna Mattfeldt, Dr�, Lecturer für das Arbeitsgebiet Deutsche Sprach- wissenschaft (mit Ergänzungsbereich Mehrsprachigkeit/D eutsch als Zweit- und Fremdsprache) an der Universität Bremen im Fachbereich 10 (Sprach- und Literaturwissenschaften)� Studium und Promotion an der Universität Heidelberg� Forschungsschwerpunkte: Diskurslinguistik, Mehrsprachigkeit (Fokus deutsch- englischer Sprachvergleich), Internetlin- guistik, Soziolinguistik� Dorothee Meer, Prof� Dr�, Professorin für Angewandte Linguistik und Didaktik am Institut für Germanistik der Ruhr- Universität Bochum, M�A� (Ruhr- Universität Bochum, Staatliche Universität Wolgograd, Universi- tät Konstanz), Dr� phil� (Ruhr- Universität Bochum), Forschungsschwer- punkte: Diskursanalyse, Medienlinguistik, Multimodalitätsforschung, Kommunikation und Werbung, Kommunikation von Nachhaltigkeit� Simon Meier- Vieracker, Prof� Dr�, Professor für Angewandte Linguistik am Institut für Germanistik der TU Dresden� M�A� (Universität Duisburg- Essen), Dr� phil� (Universität Bern)� Forschungsschwerpunkte: Korpuslin- guistik, Diskurslinguistik, Medienlinguistik, Sprache und Fußball� 228 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Anastasia- Patricia Och, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Graduierten- kolleg Locating Media an der Universität Siegen� M�A� (Ruhr-U niversität Bochum)� Forschungsschwerpunkte: Medienlinguistik, Social Media Stu- dies, Gender Studies, Influencing� Daniel Pfurtscheller, Mag� Dr�, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck� Diplomstudium Deutsche Phi- lologie und Promotion in Sprach- und Medienwissenschaft an der Univer- sität Innsbruck� Forschungsschwerpunkte: Medienlinguistik, multimodale Diskursanalyse, qualitative Medienforschung Thomas Schmidt-L ux, PD Dr�, Mitarbeiter im Bereich Kultursoziologie am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig� M�A� und Dr� phil� (Universität Leipzig)� Forschungsschwerpunkte: Kultursoziologie, Architektursoziologie, Soziologie von Recht und Gewalt� Andreas Wagenknecht, Dr�, Akademischer Oberrat am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim� M�A� (TU Dresden), Dr� phil� (Universität Mannheim)� Forschungsschwer- punkte: Musik in/ und audiovisuelle(n) Medien, qualitative Medienana- lyse, Film, Populär- und Fankultur� Michael Wetzels, Dr�, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozio- logie der Technischen Universität Berlin� M�A� und Dr� phil� (TU Berlin)� Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Wissenssoziologie, Raumsoziolo- gie, Kollektivforschung, insb� (Mega- )Events, Emotions- und Affektfor- schung, qualitative Sozialforschung, insb� ethnografische Ansätze� Forum Angewandte Linguistik – F.A.L. Publikationsreihe der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) Die Bände 1 17 dieser Reihe sind im Gunter Narr Verlag, Tübingen, erschienen. Band 18 Bernd Spillner (Hrsg.): Sprache und Politik. Kongreßbeiträge zur 19. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1990. Band 19 Claus Gnutzmann (Hrsg.): Kontrastive Linguistik. 1990. Band 20 Wolfgang Kühlwein, Albert Raasch (Hrsg.): Angewandte Linguistik heute. Zu einem Jubiläum der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. 1990. Band 21 Bernd Spillner (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Kongreßbeiträge zur 20. Jahres- tagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1990. Band 22 Klaus J. Mattheier (Hrsg.): Ein Europa – Viele Sprachen. Kongreßbeiträge zur 21. Jah- restagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e. V. 1991. Band 23 Bernd Spillner (Hrsg.): Wirtschaft und Sprache. Kongreßbeiträge zur 22. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1992. Band 24 Konrad Ehlich (Hrsg.): Diskursanalyse in Europa. 1994. Band 25 Winfried Lenders (Hrsg.): Computereinsatz in der Angewandten Linguistik. 1993. Band 26 Bernd Spillner (Hrsg.): Nachbarsprachen in Europa. Kongreßbeiträge zur 23. Jahresta- gung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1994. Band 27 Bernd Spillner (Hrsg.): Fachkommunikation. Kongreßbeiträge zur 24. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1994. Band 28 Bernd Spillner (Hrsg.): Sprache: Verstehen und Verständlichkeit. Kongreßbeiträge zur 25. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. GAL e.V. 1995. Band 29 Ernest W.B. Hess-Lüttich, Werner Holly, Ulrich Püschel (Hrsg.): Textstrukturen im Me- dienwandel. 1996. Band 30 Bernd Rüschoff, Ulrich Schmitz (Hrsg.): Kommunikation und Lernen mit alten und neuen Medien. Beiträge zum Rahmenthema "Schlagwort Kommunikationsgesellschaft" der 26. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. 1996. Band 31 Dietrich Eggers (Hrsg.): Sprachandragogik. 1997. Band 32 Klaus J. Mattheier (Hrsg.): Norm und Variation. 1997. Band 33 Margot Heinemann (Hrsg.): Sprachliche und soziale Stereotype. 1998. Band 34 Hans Strohner, Lorenz Sichelschmidt, Martina Hielscher (Hrsg.): Medium Sprache. 1998. Band 35 Burkhard Schaeder (Hrsg.): Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Beiträge zu ihrer Geschichte, Diskussion und Umsetzung. 1999. Band 36 Axel Satzger (Hrsg.): Sprache und Technik. 1999. Band 37 Michael Becker-Mrotzek, Gisela Brünner, Hermann Cölfen (Hrsg.), unter Mitarbeit von Annette Lepschy: Linguistische Berufe. Ein Ratgeber zu aktuellen linguistischen Be- rufsfeldern. 2000. Band 38 Horst Dieter Schlosser (Hrsg.): Sprache und Kultur. 2000. Band 39 John A. Bateman, Wolfgang Wildgen (Hrsg.): Sprachbewusstheit im schulischen und sozialen Kontext. 2002. Band 40 Ulla Fix / Kirsten Adamzik / Gerd Antos / Michael Klemm (Hrsg.): Brauchen wir einen neuen Textbegriff? Antworten auf eine Preisfrage. 2002. Band 41 Rudolf Emons (Hrsg.): Sprache transdisziplinär. 2003. Band 42 Stephan Habscheid / Ulla Fix (Hrsg.): Gruppenstile. Zur sprachlichen Inszenierung sozialer Zugehörigkeit. 2003. Band 43 Michael Becker-Mrotzek / Gisela Brünner (Hrsg.): Analyse und Vermittlung von Ge- sprächskompetenz. 2004. 2. durchgesehene Auflage. 2009. Band 44 Britta Hufeisen / Nicole Marx (Hrsg.): Beim Schwedischlernen sind Englisch und Deutsch ganz hilfsvoll. Untersuchungen zum multiplen Sprachenlernen. 2004. Band 45 Helmuth Feilke / Regula Schmidlin (Hrsg.): Literale Textentwicklung. Untersuchungen zum Erwerb von Textkompetenz. 2005. Band 46 Sabine Braun / Kurt Kohn (Hrsg.): Sprache(n) in der Wissensgesellschaft. Proceed- ings der 34. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewande Linguistik. 2005. Band 47 Dieter Wolff (Hrsg.): Mehrsprachige Individuen – vielsprachige Gesellschaften. 2006. Band 48 Shinichi Kameyama / Bernd Meyer (Hrsg.): Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz. 2006. Band 49 Susanne Niemeier / Hajo Diekmannshenke (Hrsg.): Profession & Kommunikation. 2008. Band 50 Friedrich Lenz (Hrsg.): Schlüsselqualifikation Sprache. Anforderungen – Standards – Vermittlung. 2009. Band 51 Andreas Krafft / Carmen Spiegel (Hrsg.): Sprachliche Förderung und Weiterbildung – transdisziplinär. 2011. Band 52 Helmuth Feilke / Katrin Lehnen (Hrsg.): Schreib- und Textroutinen. Theorie, Erwerb und didaktisch-mediale Modellierung. 2012. Band 53 Iris Rautenberg / Tilo Reißig (Hrsg.): Lesen und Lesedidaktik aus linguistischer Per- spektive. 2015. Band 54 Bernd Rüschoff / Julian Sudhoff / Dieter Wolff (Hrsg.): CLIL Revisited. Eine kritische Analyse zum gegenwärtigen Stand des bilingualen Sachfachunterrichts. 2015. Band 55 Alexandra Groß / Inga Harren (Hrsg.): Wissen in institutioneller Interaktion. 2016. Band 56 Susanne Göpferich / Imke Neumann (eds.): Developing and Assessing Academic and Professional Writing Skills. 2016. Band 57 Anja Steinlen / Thorsten Piske (Hrsg.): Wortschatzlernen in bilingualen Schulen und Kindertagesstätten. 2016. Band 58 Rolf Kreyer / Steffen Schaub / Barbara Ann Güldenring (Hrsg.): Angewandte Linguistik in Schule und Hochschule. Neue Wege für Sprachunterricht und Ausbildung. 2016. Band 59 Christian Ludwig / Kris Van de Poel (eds): Collaborative Learning and New Media. New Insights into an Evolving Field. 2017. Band 60 Ina Pick (Hrsg.): Beraten in Interaktion. Eine gesprächslinguistische Typologie des Beratens. 2017. Band 61 Saskia Kersten / Monika Reif (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der angewandten Grammatikforschung. Korpora – Erwerb – Schnittstellen. 2017. Band 62 Britta Hufeisen / Dagmar Knorr / Peter Rosenberg / Christoph Schroeder / Aldona So- pata / Tomasz Wicherkiewicz (Hrsg.): Sprachbildung und Sprachkontakt im deutsch- polnischen Kontext. Unter Mitarbeit von Barbara Stolarczyk. 2018. Band 63 Michael Beißwenger / Matthias Knopp (Hrsg.): Soziale Medien in Schule und Hoch- schule: Linguistische, sprach- und mediendidaktische Perspektiven. 2019. Band 64 Ulrike Haß / / : Germanistik für den Beruf. 2020. Band 65 Evelyn Ziegler / Heiko F. Marten (Hrsg.): Linguistic Landscapes im deutschsprachigen Kontext. Forschungsperspektiven, Methoden und Anwendungsmöglichkeiten. 2021. Band 66 Steffen Pappert / Kersten Sven Roth (Hrsg.): Kleine Texte. 2021. Band 67 Carmen Heine / Dagmar Knorr (Hrsg.): Schreibwissenschaft methodisch. 2021. Band 68 Stefan Hauser / Simon Meier-Vieracker (Hrsg.): Fankulturen und Fankommunikation. 2022. www.peterlang.com