\ffJ)/E\'il'i,semchu/r I :!()()() Rudolf Maresch, Niets Werber (Hg.): Kommunikation, Medien, Macht Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Bd. 1408). 450 S„ ISBN 3-518-29008-8. DM 29,80 In diesem Buch wechseln Licht und Schatten. In manchen Teilen ist es ein über- großes Ärgernis. Sokal hätte an ihnen seine Freude. Doch es steht nicht zu erwar- ten, dass der grobe Unfug - dagegen gab es einmal einen Strafrechtsparagraphen - übersetzt werden wird. Sollte es dennoch geschehen, würde die Übersetzung dem Nonsense vielleicht noch eine gewisse Eleganz verleihen. Ärgerlich ist zunächst die Unfähigkeit der Herausgeber. den Untersuchungsgegenstand zu definieren. dann ihre Weigerung. empirische Arbeit zu leisten, und letztlich der Sprachgebrauch. Das Unvermögen der Herausgeber. einen klaren Begriff vom Gegenstand ihrer Bemühungen zu entwerfen. ist eine große Enttäuschung. Was konstituiert denn Macht? Was rechnen sie zu den Medien? In welchem Sinne gebrauchen sie Kom- munikation'? Ihr Vorwort stellt nur eine Prognose: ,.Gelänge es diese drei Opera- tionen der Kommunikation - Daten zu speichern. Adressen zu übertragen und Be- fehle zu verarbeiten - in einem Aufschreibesystem 2000 zu optimieren und es zu- gleich im physikalischen Feld zu implementieren [ ... ]. entstünde tatsächlich ein selb- ständig operierendes. globales Inforn1ationssystem. das den Datentransfer und sei- ne Geschichte zum Abschluss brächte. Die Zeit des Menschen wäre endgültig ab- gelaufen·· ( S.15 ). Unverkennbar ist die Anlehnung des Kommunikationsbegriffs an die Inforn1ationsverarbeitung mit Hilfe von Computern. Es steht hier nicht zur Debatte, ob der Wissenschaft in fernerer Zukunft die Imitation des menschlichen Gehirns gelingen wird - die Herausgeber zeigen uns. dass es umgekehrt geht. wir reduzieren Kommunikation auf die Maschinenebene. Das ist ein lmveg. Wer zu- dem vom Ende der Geschichte spricht. entkleidet die menschlichen Kulturleistun- gen ihrer historischen Dimension. Damit muss allerdings auch „Kommunikation„ unverständlich werden. Auf diesem Weg wird \1edienwissenschaft nicht wie rnn den Herausgebern gewünscht eine . .Königsdisziplin. . ( S.18 ). Manche Autoren sind den Herausgebern ein weites Stück voraus. Positiv über- rascht hat der Artikel rnn Niklas Luhmann. der in seinen letzten Lebensmonaten \fed1,·11 K11/r111 \ 1el klarer schrid1 als in manchen ausukrnden so1iologischen Erzählungen zuvor. Zwar vennag ich dem \ erstorbenen Soziologen nicht /U folgen. wenn t:r öffentli- che \1einung als eine .. black box„ titul1en. Auch schockieren mich immer noch solch sinnentlcen paradoxe Formulierungen wie .. der Beobachter 1st die Differenz" obwohl ich sie schon oft gelesen habe. Aber es ist ein interessanter Ansatz. öf- kntliche \lcinung .. als laufende Reproduktion \ llll \ erständlichen Dissensen·· zu definieren ( S.32 ). Das ist gekonnt gegen den Strich gebürstet. selbst wenn .. ver- ständlich·· und „Dissens·· auf der abstrakten Ebene einander widersprechen. Denn ein Dissens kann doch nur dann\ erständlich sein. wenn Konsens über die thema- tische RelevanL besteht: We agree to disagree. Sehr lesenswen ist der Beitrag \ on \Volt'gang Hagen über die .. mediale Genea- logie der Elektrizität ... Er stellt nicht nur Luhmann in den korrekten geistögeschicht- lichen Zusammenhang ( Husserl und Heidegger). er geht auch den erkennbaren Schwächen der Systemtheorie nicht auf den Leim. Dem Autor ist unbedingt zuzu- stimmen. \\enn er ksthält: .. \lcdienakteure deuten ihre Welt animistisch [ ... ] wäh- rend[ ... ] die theoretische Soziologie [sich] in konstrukti\istische Phänomenologien flüchtet. .. (S. l-l6) Und: Das Mediensystem sei . .kein physikalisches und kein system- theoretisches [System]. sondern einö. das fonwährend Ideologien und Mystizismen als platzhalterische Selbsterklänmg nötig macht. .. ( S.1-lX) Einigen Details wäre al- lerdings zu widersprechen. Weder 1st die Demoskopie ein Kind des Radios. son- dern rnn Sozialwissenschaftlern\\ 1e Erich Fromm ohne jeden Bezug zu dem elek- tronischen \kdiL,m erprobt worden (Ygl. S.139) ... \uch hat seit Gutenberg nicht bis ins 19. Jahrhunden ein .,jahrhundenelanger Stillstand der Medienernlution" geherrscht (\gl. S. l-l9). Das gilt allenfalls technisch - und wenn man die Entwick- lung der Post hinzunimmt. nicht mal dort. Bezogen auf Inhalt und Form aber gilt es nicht. Denn in der frühen :'\euzeit wurden /11 1111n· alle Möglichkeiten der Massen- kommunikation \ orbereitet und durchexernert. Doch abgesehen Yon solchen Klei- nigkeiten. sticht der Beitrag äußerst positiY rnn manchem anderen ab. ~ icht zu- ktLt dank der Tatsache. dass Hagen\ erständliches Deutsch schreibt. und auch dort. wo er Bilder und \'erglciche aus der Physik anstellt. Kompetenz \ennittelt. Ein schlechtes Beispiel hingegen geben die Herausgeber selbst. Da spricht Ru- dolf Maresch mm .. Kyber-Raum'"['] als „sch\\ arzes Loch" .. .Abgerissene Körper- teile. herumirrende Kinderleiber. \Cf\\ üstete Landschaften usw. erinnern die ·Welt- öffentlichkeit" dann an ihre Existenz - an mehr rncht." (S.267) Wen erinnern die Körperteile denn an ihre Existe111· 1 Die \\.eltöffentlichkeit an die Körperteile oder die Weltöffentlichkeit an die Weltöffentlichkeit'.' Cnd \\enn man im Deutschen \On Leibern spricht. dann in der Regel bei Toten. diese können aber nicht mehr .. her- umirren" - es sei denn als \\'idergänger. Doch unsere technischen \tedien haben ö immer noch rncht geschafü. paranonnale Erscheinungen zu dokumentieren. Aus einem schwarzen Loch kommt überdies p<'r ddi11irio11c111 nichts heraus - sehen wir Yon der Hawking-Strahlung ab. Das Internet \erschlingt aber nur irrele\ante. nie- mals abgefragte Inti.mnatwnen. l nd selb~t diöe \\erden \l1I1 den Suchmaschinen 4X - wie schon jeder leidvoll erfahren haben dürfte - penibel aufgelistet. Maresch sieht zuviel „Krieg der Sterne". Die Macht sei mit ihm, aber ich glaube nicht, dass Amerika dank „Bill Gates und anderer Kaufleute" als „Einzige[ s] Imperium die Kraft und die Energie für den schnellen Übergang von der industriellen zur Infor- mationsgesellschaft [zieht], und das heißt: für die Eroberung des elektronischen Raums und die Herrschaft über die Zeit." (S.272) Als Momentaufnahme mag die Überbewertung noch einige Berechtigung haben, in the long 1w1 \Vird Paul Kennedys Analyse sich als zutreffender erweisen. Ein schon auf der sprachlichen Ebene schrecklicher Beitrag ist der von Geert Lovink und Pit Schultz. Er segelt unter dem prätentiösen Titel „Aus den Schatz- kammern der Netzkritik": ,,Die bisherige Genealogie der Netze kommt sehr gut ohne eine Studie ihrer Benutzer aus. [ ... ] Das Netz als dezentriertes Subjektivierungs- und Kontrollorgan, als Kriegsmaschine und Moloch der Hoch- finanz - in einem Fall ist der Krieg, im andern ist das Geld der Vater aller Netze. Foucault mailte uns: 'Macht organisiert sich in Netzen'. [ ... ] Hybridisierung von Körper und Maschine gipfeln in der Trinität von Cyborg, Cybersex und Cyberspace. [ ... ] Die Verdichtung der Masse tritt nur dann ein, wenn es zur Bildung von ·schwar- zen Löchern· kommt. Ihre Vorortung kann sich auf Zeit-Raum-Koordinaten bezie- hen, aber auch auf technische bzw. kommunikationsökonomische Größenordnun- gen. Beispiele solcher infrastruktureller Orgien wären: Telefonblockaden, freie Porno-Websites, olympische Spiele, Shell-Boykott. Blue Ribbon Campaign." (S.299-303) So geht es seitenweise. Was verbindet Porno-Websites mit den Olympischen Spielen? Wir werden es nicht erfahren. In welchem Sinne gebrauchen sie „Genealogie"? Sicherlich nicht in der Bedeutung von Herkunft und Entstehung. Daß Lovink / Schultz meinen, es gäbe keine Nutzerstudien, zeigt nur ihre mangelnde Kenntnis zum Stand der Internetforschung. Oder meinen sie, die bisherigen seien nichts wert? Man mag sich über die Onlinestudien streiten, doch überzeugend ist nur eine Kritik: selbst empirisch fundierte Studien vorzulegen. Als Beleg „Foucault mailte uns" anzuge- ben, ist entlarvend und bedarf keines Kommentars. Und durch Hybridisierung Drei- einigkeit (Trinität) schaffen zu wollen - was soll 's. Dabei ist es nur noch eine Peti- tesse, dass Hybridisierung im Singular steht, das Verbum aber vom Plural spricht. Was stören heute noch syntaktische Zwänge, angesichts der „Kriegsmaschine und [des] Moloch[s] der Hochfinanz". Das Massekonzept vom Beginn unseres Jahr- hunderts über den Leisten der „schwarzen Löcher" zu schlagen - wissen Lovink und Schultz, wovon sie reden? Oder haben sie hier den Unbedarften zeigen wol- len, dass sie in Astrophysik bewandert sind. Nun mag man den Autoren aus diesen Beispielen keinen Strick drehen. den dreht Siegfried J. Schmidt den Herausgebern. wenn er ironisch in seiner Einlei- tung bemerkt: .. RudolfMaresch hat - im Verein mit Niels Werber - die Latte hoch gelegt: Die beiden laden ein zum Bau einer Supertheorie in Sachen ( Multi- )Me- dia" (S. l 08). Schmidt selbst beschränkt sich weise: . .In meinem Beitrag kann und .\fedien K11/r11r wird es nicht darum gehen. der ersehnten Supertheorie aufzuhelfen - selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. und zwar zuallererst aus Mißtrauen gegen Supertheorien."(S. l l l) Dem ist nichts außer dem Hinweis auf Robert K. \1erton hinzuzufügen. Rudolf Stöber ( Borgsdorf bei Berlin)