208 MEDIENwissenschaft 2/2013 Österreichisches Filmmuseum, Astrid Johanna Ofner (Hg.): Fritz Lang. Eine Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums Marburg: Schüren 2012, 206 S., ISBN 978-3-89472-816-8, € 19,90 Wenn man bedenkt, dass eine Publi- mit zeitgenössischen Filmkritiken oder kation zu einer Kino-Retrospektive späteren Betrachtungen, ebenfalls aus im besten Fall etwas für alle – von den journalistischen Zusammenhängen. Betrachtern, die die gezeigten Filme Auch die Texte der ersten Hälfte zum ersten Mal entdecken bis zu den sind aus verschiedenen historischen Kennern der Materie – bieten sollte, ist Epochen. Man versammelt bereits ver- dem Österreichischen Filmmuseum mit öffentlichte Artikel (viele erscheinen ihrem Band zur Fritz-Lang-Werkschau jedoch hier zum ersten Mal in deut- ein wunderbares kleines Buch gelun- scher Übersetzung) sowie bisher unver- gen. Der anlässlich zur Viennale 2012 öffentlichte Beiträge. erschienene Sammelband besteht zur Das hauptsächliche Leitmotiv, das Hälfte aus verschiedenen Artikeln von die Texte durchzieht ist das Protokol- und über Fritz Lang, die andere Hälfte lieren von Eindrücken und Beobach- präsentiert eine kommentierte Filmo- tungen. So gibt es einerseits Berichte graphie der erhaltenen Regiewerke des von Menschen, die ihre Eindrücke Regisseurs und Drehbuchautors. Dabei aus persönlichen Begegnungen mit sind die Basistexte für die Filmogra- dem Filmemacher Fritz Lang festge- phie hauptsächlich aus zwei Standard- halten haben, anderseits verschiedene werken zu Fritz Lang entnommen, dem Erkenntnisse aus Begegnungen mit Fritz-Lang-Band aus der Reihe Hanser seinen Filmen. Dadurch ergibt sich (München 1976) und Peter Bogdanovi- bei der Lektüre ein Geflecht von recht chs Interviewbuch Fritz Lang in America diversen Aspekten, die sich zu einem (New York 1969). Diese Auswahl macht Bild von Langs Filmstil und seiner nicht nur Sinn, da die Texte von Frieda Persönlichkeit zusammensetzen, ohne Grafe und Enno Patalas sowie das Inter- dabei formal-akademisch die Filme zu view zwischen Bogdanovich und Lang analysieren oder die Person Lang mit nach wie vor grundlegend sind, um einem einheitlichen psychologischen in eine Beschäftigung mit Fritz Lang Profil zu überziehen (wogegen er sich einzusteigen, sondern auch weil beide dokumentierterweise auch Zeit seines Bücher seit etlichen Jahren vergriffen Lebens gewehrt hat). Hervorgehoben sind und so zumindest auszugsweise für seien hier kurz die Betrachtungen von ein größeres Publikum wieder greifbar Georges Franju und Mary Morris, da werden. Ergänzt werden die Einträge in sie aus mehreren Perspektiven interes- der Filmographie darüber hinaus meist sant sind. Franjus schrieb seinen Arti- Fotografie und Film 209 kel „Fritz Langs Stil“ bereits 1937 (hier Hauptstadt geht es in „Erinnerungen zu finden ist allerdings eine überarbei- an Wien“, einer Reihe von autobiogra- tete Fassung von 1959 aus den Cahiers phischen Anmerkungen, die bisher nur du Cinéma), und es ist erstaunlich, als Archivstück zugänglich waren und mit welcher Sensibilität er zu diesem hier erstmals komplett veröffentlicht frühen Zeitpunkt bereits umfassende werden. Wie Bernard Eisenschitz in sei- Anmerkungen zu Langs Motivwelten ner Einleitung zu diesem Text darlegt, sowie seinen Bild- und Montagekom- handelt es sich dabei um von Fritz Lang positionsweisen formuliert. So ist dies Mitte der 1960er Jahre auf Deutsch ver- ein Beitrag, der nicht nur etwas über fasste Antworten zu einem Fragekatalog Langs Filmarbeit aussagt sondern refle- für ein Buchprojekt, das 1970 als Vienne xiv auch über Franjus Umgang mit dem au temps au Francois-Joseph veröffentlicht Medium. Eine ähnliche Doppelfunk- wurde. Demnach finden sich hier vor tion kommt Morris’ Reportage „Das allem Kindheits- und Jugenderinne- Monster von Hollywood“ zu. Dieses rungen sowie Geschichten aus der Zeit 1945er Human-Interest-Stück aus einer des Ersten Weltkriegs. Da aber Langs typischen Hollywood-Gazette zeigt Anfänge beim Film hier ihre Wurzeln einerseits durch seine Form, wie Fritz haben, spielt das Kino natürlich auch Lang in Hollywood wahrgenommen eine Rolle. Lang berichtet zunächst über wurde, andererseits wie der „amerika- diese Anfänge und reflektiert später mit nische“ Lang sich durchaus mit eini- Hilfe des Wien-Themas über gedrehte gen ernsthaften Anmerkungen (die Filme und unrealisierte Projekte aus auch aus anderen Zusammenhängen verschiedenen Phasen seiner Karriere. bekannt sind) innerhalb der Holly- So fügt sich dieser Text von Fritz Lang wood-Populärkultur zu präsentieren selbst ins Geflecht der Aspekte um Stil wusste. und Person ein, die den ersten Teil des Beim Veröffentlichungsrahmen Bands durchziehen. dieses Buchs verwundert es nicht, dass Die winzigen Schwachpunkte der sich die zwei umfangreichsten Beiträge Publikation sind aufseiten der Bildre- mit Fritz Lang und seinem Verhältnis daktion und bei einigen Daten der Fil- zu Wien beschäftigen. Zunächst gibt mographie zu finden. Die tatsächlichen es Gretchen Bergs Transkription eines Uraufführungsdaten der Filme werden Tonbandmitschnitts einer scheinbar nicht angegeben, außerdem wäre film- ungezwungenen Unterhaltung mit philologisch zu bemerken, dass Stumm- Fritz Lang, die „Wiener Nacht“ beti- filmlaufzeiten in Minuten problematisch telt ist – jedoch außerhalb des Titels und viragiert überlieferte Filme nicht nur passagenweise etwas über Lang schwarz-weiß sind. Bei den Abbildungen als Österreicher aussagt, vielmehr gibt es ein paar falsche bzw. vertauschte Aussagen zu seiner gesamten Karri- Bildunterschriften – und ein Foto aus ere versammelt. Viel spezifischer um Harald Reinls Nibelungen-Film von 1966 Langs Beziehung zur österreichischen gehört wahrlich nicht in ein Fritz-Lang- 210 MEDIENwissenschaft 2/2013 Buch. Natürlich ist dies als Katalog zu schiedlichste Facetten der Auseinan- einer Retrospektive keine wissenschaft- dersetzung mit Fritz Lang versammelt liche Publikation im engeren Sinne werden, die gerade in ihrer Vielfalt zur (mehr eine Mischung aus Quellen zu ersten oder erneuten Reflexion über Fritz Lang und einigen Anmerkungen Langs Werk anregen. zu seinen Filmen), doch letztlich sollte Peter Ellenbruch dieses Buch in keiner Fritz-Lang-Bibli- (Duisburg/Essen) othek fehlen, da durch die Zusammen- stellung der Texte aus verschiedenen Zeiten und Zusammenhängen unter-