F L O R I A N S P R E N G E R Architekturen deS «enVironMent» — reyner Banham und das dritte Maschinenzeitalter Glaubt man den Versprechungen der Industrie und findiger Designer, dann werden neue Technologien mit namen wie ubiquitous computing, ambient intelli- gence, internet of things, locative media und environmental technologies unsere Woh- nungen, Häuser, Städte und damit unsere Lebenswelt in den nächsten Jahren zunehmend durchdringen.1 Die Infrastrukturen sogenannter smart homes sollen durch die – unsichtbare – Vernetzung computerisierter alltagsgegenstände u ngekannten Komfort liefern und unsere Idee dessen, was Wohnen heißt, grundlegend transformieren. auch wenn diese Technologien im Einzelnen sehr unterschiedlich sein mögen, ist ihnen ein spezifisches und neuartiges Verhältnis zum umgebenden Raum gemeinsam, das bislang kaum durchdacht ist. Damit stehen wir vor der Herausforderung, diese noch am anfang ihrer Entwicklung stehenden Medientechnologien theoretisch zu erfassen und zu beschreiben, wie sie häusliche und urbane Räume neu strukturieren, Menschen und Dinge distribuieren sowie Bewegungen kontrollieren und mit all dem für 1  Zwei zentrale, von Ingenieuren und Programmierern verfasste eine neuverteilung von Handlungsmacht sorgen.2 Weil sie auf der Basis ihrer Texte stecken die zukünftigen Infrastrukturen über ein sensorisches Vermögen zur Gewinnung von Daten Möglichkeiten dieser Technologien ab: Mark Weiser: The Computer verfügen und zugleich unter ausschluss des Menschen operieren, können sie for the 21st Century, in: Scientific diesen – gerade in den Komfortarchitekturen von smart homes – auf neue Weise American, Special Issue on Communi-cations, Computers, and Networks, in den Mittelpunkt stellen. Sie unterlaufen dabei den dominanten Begriff von Sept. 1991, 94 – 104, sowie Neil Medien im Sinne von Endgeräten, weil sie nur in ihrer Vernetzung und mas- Gershenfeld, Raffi Krikorian, Danny Cohen: The Internet of Things, in: siven räumlichen Verteilung zu verstehen sind. Es gilt also zum einen, eine Scientific American, Okt. 2004, 76 – 81. Räumlichkeit zu denken, in der das Umgebende mit dem Umgebenen relati- 2  Vgl. Mark B. N. Hansen: Ubiquitous Sensation, Towards onal verschränkt ist, sowie zum anderen, Medien auch als Medien zu verste- an Atmospheric, Collective, and hen, die Medien zugrunde liegen, ihre infrastrukturelle Voraussetzung und als Microtemporal Model of Media, in: Ulrik Ekman (Hg.): Throughout. Art verteilende, verarbeitende, speichernde und transportierende Vermittler die and Culture Emerging with Ubiquitous Grundlage jeder technischen Vernetzung bilden. Computing, Cambridge, Mass. 2012, 63 – 88; N. Katherine Hayles: RFID, Dieser Umstand der Vernetzung und Verschränkung hat es verschiedenen Human Agency and Meaning in theoretischen ansätzen nahegelegt, solche Räume als environments zu beschrei- Information-Intensive Environments, in: Theory, Culture & Society, Bd. 26, ben, weil dieser aus der ökologie stammende Begriff eine neue Perspektive auf Nr. 2 – 3, 2009, 47 – 72. SCHWERPUNKT 55 FLORIAN SPRENGER den technisch durchdrungenen Raum und sein V erhältnis zum Umgebenen erlaubt. Dabei konnten zugleich die Plausibilitäten der ökologie angezapft werden.3 auf den folgenden Seiten soll anhand eines für diese Perspektive zentralen Textes erörtert werden, wie das Konzept des e nvironment in den 1960er und 1970er Jahren in die archi- tekturtheorie einwandert – als Bestandteil einer grund- legenden Transformation von Umgebungswissen, deren Konsequenzen heute sichtbar werden und eine technische ausweitung erfahren. Entsprechend werden im Folgenden Abb. 1 Reyner Banham in eher Theorietraditionen als konkrete Gebäude und eher Konzepte als Medien- der kalifornischen Mojave techniken im Mittelpunkt stehen. Da der Begriff environment damals wie heute zumeist als Selbstverständlichkeit verwendet wird, ist es nötig, seine histo- risch-epistemologische Dimension zu erkunden, die aktuell architektur- und Medienw issenschaft einander näherbringt. die Maschinenzeitalter der Moderne 3  Der Begriff environment sollte nicht leichtfertig mit ‹Umwelt› Im Jahr 1969 erscheint das Buch The Architecture of the Well-Tempered Environment übersetzt werden, und auch das des britischen architekturtheoretikers Reyner Banham (1922 – 1988), Mitglied französische ‹milieu› unterscheidet sich davon. Die drei Begriffe, so der Independent Group und Unterstützer von archigram, gleichermaßen nah sie sich sein mögen, gehören counter cultural critic wie agent provocateur der architekturszene mit Vorlieben unterschiedlichen Traditionslinien an und haben verschiedene für den Brutalismus, die Highways von Los angeles, comics und die Wüsten Implikationen, die hier nicht näher nordamerikas. Mit einer bis dahin unerreichten Vehemenz betont Banham die thematisiert werden können. 4  Ausführlicher zu Banham: Bedeutung von technischen Infrastrukturen für die architektur und nimmt da- Nigel Whiteley: Reyner Banham. mit eine zu dieser Zeit nahezu singuläre Position ein. Während der anfang der Historian of the Immediate Future, Cambridge, Mass. 2003; Michael 1960er Jahre hochgehandelte revisionistische Modernismus Banhams mit der Osman: Banham’s Historical Postmoderne in Ungnade fällt und Banham lange Zeit kaum gelesen wird, ist Ecology, in: Marc Crinson, Claire Zimmerman (Hg.): Neo-Avant-Garde seit einiger Zeit in der architekturtheorie ein Revival seiner Thesen zu beobach- and Postm odern. Postwar Architecture ten, das von der Medienwissenschaft bislang noch nicht wahrgenommen wird.4 in Britain and Beyond, New Haven 2010, 231 – 250; sowie Kazys Varnelis: ausgehend von Frank Lloyd Wright und Buckminster Fuller entwirft Ecologies of Reyner Banham. Los B anhams Gegengeschichte, die bis zu prähistorischen Höhlen und Zelten zu- Angeles and the Re-Evaluation of the Contemporary City, in: Patricia rückgeht, die Zukunft einer architektur, die den antrieb ihrer Entwicklung aus Morton (Hg.): Pop Culture and Postwar dem technisch vermittelten Verhältnis gebauter Strukturen zu ihren Bewohnern American Taste, Oxford 2008. Unter anderem von Banham beeinflusst schöpft. Die biologischen und kulturellen Bedürfnisse des Menschen können, begreift die Architekturtheorie der das ist der ansatz, allein durch die Herstellung oder Modifikation von environ- letzten Jahre mit Autoren wie Beatriz Colomina, Hal Foster, Reinhold ments erfüllt werden. Will architektur sich als Gestaltung von Lebensräumen Martin, Alessandra Ponte, Laurent begreifen, müsse sie die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit – von neuen Bau- Stalder oder Mark Wigley Architektur als soziale Produktion von Räum- substanzen über Techniken der klimatische Kontrolle 5 bis hin zu elektrischen lichkeit und eröffnet damit immer netzwerken – ausspielen, um environments zu erzeugen, die gar nicht anders ge- wieder Perspektiven, an welche die Medienwissenschaft anschließen dacht werden könnten denn als technisch durchdrungen und reguliert. könnte und sollte. Banhams Buch liefert trotz seiner ungebrochenen Fortschrittsgläubigkeit und 5  Vgl. dazu den Beitrag von Moritz Gleich in dieser Ausgabe. tief im Humanismus verankerten Modernität eine noch heute – und vielleicht 56 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» gerade heute – bedenkenswerte Geschichte und Theorie der architektur als Maschine, der Maschine als environment und des environment als architektur. Es antwortet einerseits auf die ökologischen Herausforderungen seiner Zeit und geht andererseits von der annahme einer grundsätzlichen Modifizierbarkeit von environments aus, wie sie zu diesem Zeitpunkt sowohl konzeptuell fassbar als auch technisch möglich wird. Damit ist das Buch Teil von Banhams Versuch, die verschiedenen Stadien des Maschinenzeitalters mit dem Projekt der M oderne zu vereinbaren. In dieser Doppelung liegt die Brisanz einer Re-Lektüre von Banhams Werk, das zutiefst in seiner Zeit verankert ist und doch über sie hin- ausweist. Zwar kommt Banham der Technik seiner Zeit nur bedingt nahe, weil konkrete Beispiele gar nicht oder nicht gut recherchiert sind und er vor allem die Kybernetik und den Einsatz des computers nicht bedenkt.6 Das Heraufzie- hen eines dritten oder gar vierten Maschinenzeitalters sieht er nicht.7 Dennoch sind seine Bücher noch heute wichtige Referenzpunkte für die Geschichte der architektonischen Moderne und ihr Verhältnis zur Technik. Die architektur, die Banham bereits seit seinem ersten Buch Theory and Design in the First Machine Age von 1960 vorschwebt, ist aufgerufen, antwor- ten auf die technologischen Herausforderungen ihrer Zeit zu finden. Ziel dieser anstrengungen ist es, «a body of theory proper to our own Machine age» 8 zu entwickeln. Technik ist für Banham zutiefst in die Existenz des Menschen einge- lassen und erfordert, architektur konzeptuell wie pragmatisch neu zu definieren. Sein ansatz unterscheidet sich von den vielen, von konservativen Warnungen bis zu euphorischen affirmationen reichenden Versuchen dieser Zeit, den Ein- fluss der Technik zu verstehen, in seiner Bestimmung des Heims («dwelling») als jenem ort, an dem die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts um sich greifen- den Veränderungen am deutlichsten hervortreten. Die technische Revolution ist für Banham zuallererst eine Revolution der architektur, deren Bestimmung es sei, den Menschen und die Welt durch Technik in eine Beziehung zu setzen. Da- bei unterscheidet er das erste Maschinenzeitalter der industrialisierten Fabrik, das von Massenproduktion, arbeitserleichterung und der Befriedigung b asaler 6  In einer von Banham kura- Bedürfnisse geprägt ist, und das nach dem Zweiten Weltkrieg anbrechende tierten Essayreihe in der Zeitschrift zweite Maschinenzeitalter, das «age of domestic electronics and synthetic che- A rchitectural Review erscheinen 1960 auch Texte über Waffen - mistry».9 Banhams ansatz, so hat es sein Biograf nigel Whiteley eindrücklich systeme und Computer. Vgl. geschildert,10 ist in seinem nachkriegs-Modernismus revisionistisch, insofern er M. E. Drummond: Computers, in: Architectural Review, Nr. 126, 1960, die architektonische Moderne von hinten aufrollt und zeigt, dass ihre wichtigs- 186 – 188, sowie A.C Brothers: ten Protagonisten das veränderte Verhältnis von Mensch und Technik im Ma- W eapons Systems, in: Architectural Review, Nr. 126, 1960, 184 – 185. schinenzeitalter – die zunehmende Ersetzung menschlicher durch maschinelle 7  In architekturtheoretischer arbeitskraft und deren zukünftige gesellschaftliche auswirkungen – nicht in der Perspektive wurden Banhams Überlegungen fortgeführt in: Martin notwendigen Konsequenz durchdacht, geschweige denn in ihren Entwürfen ver- Pawley: Theory and Design in the arbeitet hätten. Spürbar ist Banhams ablehnung des Internationalen Stils und Second Machine Age, Oxford 1990. 8  Reyner Banham: Theory des Bauhauses, die ihre anlehnung an technologische Prinzipien nur als Deck- and Design in the First Machine Age, mantel für eine formale Ästhetik genutzt hätten. Ihr vermeintlicher Funktiona- New York 1960, 12. 9  Ebd., 10. lismus sei von ökonomischen überlegungen getrieben gewesen, ohne zu einer 10  Vgl. Whiteley: Reyner Banham. SCHWERPUNKT 57 FLORIAN SPRENGER Konvergenz von architektur und Technologie zu gelangen, wie sie Banham etwa im Werk Buckminster Fullers realisiert sieht.11 In dessen Dymaxion House aus den 1930er Jahren und den späteren geodätischen Domen erkennt Banham eine über die oberflächliche Symbolisierung oder Repräsentation der Maschine hinausgehende Integration und die Möglichkeit einer «architecture autre»,12 in der die Form nicht der Funktion folgt, aber auch kein Selbstzweck wird.13 nach der Beschreibung des ersten Maschinenzeitalters, in dem europäische architekten wie Le corbusier, Walter Gropius oder Peter Behrens begannen, die ausdrucksmöglichkeiten einer Maschinenästhetik zu erkunden, wendet sich Banham zehn Jahre später einer weniger formalen Diskussion der Technik zu. Während die Verwendung vorfabrizierter Baumaterialien immer bedeutsamer wird, steigen die ansprüche an die Durchlässigkeit von architekturelementen. Und wo die Massenproduktion ein zentrales Thema der klassischen Moderne war, sind es nun die Techniken des environment, die im zweiten Maschinenzeit- 11  Vgl. Banham: Theory and Design, alter in den Mittelpunkt treten und die Gestaltung von architektur verändern. 325 f. Das Verhältnis Banhams Wie Banham an zwei exemplarischen Gebäuden zeigt, Louis Kahns Richards zu Buckminster Fuller, der den Begriff environment in der Architektur Medical Research Laboratories in Philadelphia und Frank Lloyd Wrights populär macht, verdient einen Larkin administration Building in Buffalo, verteilen die in sie integrierten infra- eigenen Aufsatz. So sehr Fullers Programm einer totalen Kontrolle strukturellen Techniken Licht, Luft oder Wärme, sie distribuieren Energie- des environment, die das klassische und Materieströme und lassen so den Menschen als organismus zu einem Teil Verständnis des Hauses an ein Ende bringen soll, mit Banhams A nsatz der architektur als environment werden.14 konvergiert, so idiosynkratisch Die Maschinenträume der avantgarde werden dabei von Banham unter ist dessen Zugriff auf F ullers Arbeit. Ebenso kann die wechselseitige den Vorzeichen der nachkriegszeit fortgeführt: Indem er die modernistischen Beeinflussung Banhams und der Prämissen der Einheit und Einfachheit den technischen Herausforderungen Architektengruppe Archigram hier nicht ausgeführt werden. anpasst, bleibt seine Reformulierung der architektonischen agenda auf seine 12  Von der «architecture autre» eigene Weise dem Modernismus treu. Diesen begreift er als Hinführung zu spricht Banham erstmals 1955 in: Reyner Banham: The New Brutalism, einer Gestaltung seiner umgebenden Lebenswelt, in der weder der Mensch in: Architectural Review, Nr. 118, 1955, noch dessen environment isoliert werden darf. 354 – 361. 13  Offensichtlich ist auch Banhams Inspiration durch die Ästhetik des Futurismus, der in der Maschine den Schlüssel zur Gestal- Ökologien des «environment»  tung der Lebenswelt im Zeitalter Folgt man der neuen Perspektive, die Banham in The Architecture of the Well- der Industrialisierung sah. 14  Architekturtheoretische Tempered Environment entwirft, sind die technischen Herausforderungen zwar Reflexionen dieser Strömungen, in der Zeit seit der Industrialisierung geradezu explodiert, aber kein alleinstel- Distributionen und Zirkulationen von Menschen, Dingen und Energie lungsmerkmal der Moderne – sie sind ein evolutionäres Phänomen. Jeder orga- findet man bereits dort, wo Architek- nismus – das ist zehn Jahre und eine kulturelle Revolution später der nunmehr tur seit Mitte des 19. Jahrhunderts, häufig mit Bezug auf Harveys ökologische ausgangspunkt seiner argumentation – ist von einem environment Blutkreislaufmodell, als Kreislauf umgeben, welches durch den austausch von Materie- und Energieströmen oder Organismus beschrieben wird. Vgl. Adrian Forty: Spatial Mechanics. d essen Fortexistenz bedingt. auch wenn Banhams idiosynkratischer Umgang mit Scientific Metaphors in Architec- Quellen einen nachvollzug seiner Inspirationen schwierig macht, ist seine Be- ture, in: Peter Galison, Emily Ann Thompson (Hg.): The Architecture of einflussung durch die ökologie und die environmental art der späten 1960er J ahre Science, Cambridge 1999, 213 – 231, offensichtlich. Die thermodynamische Theorie der ökosysteme, wie sie zunächst sowie den Beitrag von Susanne Jany in dieser Ausgabe. in den 1940er Jahren die Kybernetiker Raymond Lindeman und George Evelyn 58 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» Hutchinson sowie daran anschließend und äußerst einfluss- reich die Brüder Howard T. und Eugene P. odum vertre- ten, beschreibt das Zusammenwirken von environments und organisms von der systemischen, mathematisch beschreib- baren und vor allem technisch modellierbaren thermo- dynamischen Verteilung von Energie und Materie her, die in ersten Versuchen des geplanten environmental engineering resultiert.15 organismen erscheinen dabei, vergleichbar mit Banhams architektonisch-technischen Umgebungen, als negentropische Einheiten, die aus der äußeren E ntropie des environment ihre Energie schöpfen, um eine ordnung in der Unordnung aufrechtzuerhalten. Distribution ist so gesehen ein Mittel des überlebens. Dieser ansatz gewinnt über die ökologie hinaus an Einfluss und stellt mit der reziproken und unhintergeh- baren Verschränkung von environment und organism im ökosystem eine popu- Abb. 2 the architecture of läre Begrifflichkeit für die Probleme dieser Zeit bereit. Banham erörtert das the well-tempered Environment, Reyner Banham, Chicago e nvironmental management durch architektur zu einer Zeit, als die Endlichkeit 1969, Cover der Energieressourcen zunehmend ins Bewusstsein rückt.16 Sein Buch ist aus- druck eines explodierenden Interesses an Fragen des environment. Dieser Be- griff füllt eine Leerstelle und wird darin produktiv. Seine volle Breite und über die Wissenschaft hinausreichende gesellschaftliche Prägekraft erreicht er in den 1960er Jahren im Zuge der Entstehung der Umweltbewegungen, die zu dieser Zeit zum globalen Phänomen werden.17 Das Wissen der ökologie ver- schafft ihnen vor allem in nordamerika eine neue Legitimation für politische 15  Vgl. George Evelyn Hutchinson: Forderungen, deren ambivalenz jedoch kaum zu übersehen ist: Gerade die Circular Causal Systems in Ecology, in: Annals of the New York kybernetisch orientierte ökologie fasst das environment als ort kontrollierender Academy of Sciences, Bd. 50, Nr. 4, Manipulationen und nicht als Refugium der natur auf. Der environmentalism 1948, 221 – 246; sowie Eugene P. Odum: Fundamentals of Ecology, hingegen muss in all seinen Spielarten den schützenswerten Status seines Ge- Philadelphia 1953. genstandes beweisen. Die Gleichsetzung technischer, sozialer und biologischer 16  Vgl. Christopher Hight: Putting Out the Fire with Gasoline. Systeme wird daher vielerorts als Bedrohung wahrgenommen, während die Parables of Entropy and Homeo- universitäre ökosystem-ökologie kybernetische Kontrollfantasien aufnimmt. stasis from the Second Machine Age to the Information Age, in: Sean Zwischen den Polen einer neoliberalen Biopolitik und einer Rückkehr zur Lally, Jessica Young (Hg.): Softspace. n atur wird das environment – sowohl als Konzept als auch als modifizierbares From a Representation of Form to a Simulation of Space, London, New objekt – zum Spielball einer politisierten ökologie. York 2007, 10 – 23. Gerade in den USa erreichen diese Bewegungen eine enorme Wucht, weil 17  Vgl. Rachel Carson: Silent Spring, Boston 1962; Donella H. sie den Frontier-Mythos des jederzeit möglichen neuanfangs an einem selbst- Meadows, Dennis L. Meadows, gewählten ort hinterfragen, aber dennoch das Projekt der Selbstfindung in Jørgen Randers, William W. Behrens III: The Limits to Growth, London 1972; auseinandersetzung mit der natur fortsetzen und damit ein mächtiges Ver- Barry C ommoner: The Closing Circle. haltensmodell der Erschließung und nutzbarmachung des Raums betreffen. Confronting the Environmental Crisis, New York 1971; James E. Lovelock, Entsprechend ist der Begriff environment in diesen Diskursen als Kampfbegriff Lynn Margulis: Atmospheric Homeo- virulent, erfüllt er doch das Bedürfnis nach einer umfassenden oder gar ganz- stasis by and for the Biosphere. The Gaia Hypothesis, in: Tellus. Series A, heitlichen Beschreibungsweise für nahezu beliebige Phänomene. Die massive Bd. 26, Nr. 1 – 2, 1974, 2 – 10. SCHWERPUNKT 59 FLORIAN SPRENGER ausweitung der Verwendung des Begriffs macht ihn auch für B anham zum Universalwerkzeug. auch von ihm werden Konzepte oder Begriffe gesucht, die mit einem dichten Ge- flecht von Phänomenen umgehen können, ohne deren abhängigkeiten und Verschiebungen stillzustellen und ihrer Dynamik zu berauben. Eben dies verspricht die ökologie, ohne dass die Spezifik dieser Rela- tionen genauer bestimmt werden könnte oder müsste. Indem er diese Sprache aufnimmt, unterscheidet sich B anham von den Abb. 3 – 4 Environment eines Zelts organizistischen ansätzen, die seit den 1930er Jahren, etwa bei Sigfried Giedion und um ein Lagerfeuer oder Lewis Mumford, das Haus oder die Stadt als organismus beschrieben haben. In Banhams Architecture of the Well-Tempered Environment sind Häuser eher Systeme als organismen, also Relationen von environments und den Men- schen, die in ihnen leben. Das environment ist dabei nicht ohne die organismen zu verstehen, die es beherbergt, so wie diese nicht von jenem isoliert werden können. Parallel zur Entwicklung der ökologie von ersten holistischen Konzepten über arthur Tansleys Prägung des Begriffs ökosystem von 1935, der für die Entwicklung von Kybernetik und Systemtheorie einflussreich war, bis hin zu den formalisierten Zirkulationstheorien der ökosystem-ökologie verfährt dieser Strang der architekturtheorie: Er wendet sich ab vom Modell einer singulären, geschlossenen organisation hin zu offenen, komplexen Sys- temen aus Umgebendem und Umgebenem. Eine den technischen Möglichkeiten ihrer Zeit angemessene und ihren räumlichen Erfordernissen angepasste architektur muss demnach die Rezi- prozität der beiden Seiten des ökologischen «man / environment systems» 18 berücksichtigen. Entscheidend für diese architektur ist die Freiheit, die darin liegt, sich durch ein technisch erzeugtes environment von den lokalen Erfor- dernissen zu lösen. als über Werkzeuge und Techniken verfügendes Wesen ist der Mensch in der Lage, sich den äußeren Bedingungen bis zu einem gewissen Grad zu entziehen und ein technisches, künstliches environment zu bewohnen. Der menschliche organismus sei, so Banham, verschiedenen « immediate environments» 19 ausgesetzt, in denen sein fragiler Körper nur überleben könne, weil er über «technical resources and social organisations» 20 verfüge, mit d enen er aus den Kreisläufen der natur ausbrechen und seine e igenen herstellen 18  Reyner Banham: The Architecture of the Well-Tempered Environment, k önne. architektur ist demnach ein evolutionäres Vermögen des Menschen, Chicago 1969, 278. sein environment zu produzieren und sich von den äußeren Widrigkeiten loszu- 19  Ebd., 18. 20  Ebd. sagen, um ihnen zugleich begegnen zu können. 60 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» die ko-evolution von Architektur und technik  Technik ist demnach zutiefst in die Existenz des Menschen eingelassen und nicht ihr Gegenteil, wie viele Philosophien dieser Zeit behaupten. ohne architektur und ihre Gestaltung von environments ist die Evolution des Menschen für Ban- ham schlicht nicht denkbar. Die durch architektur erreichte anpassung an die äußere Umgebung erscheint entsprechend als ein evolutionärer akt des adapti- ven überlebens, wenn sich etwa eine Gruppe umherziehender prähistorischer Menschen entscheiden muss, aus gesammeltem Holz und einem Fell ein Zelt zur abschirmung gegen Wind und Regen zu errichten oder aber ein Feuer zum Schutz vor Kälte zu entzünden. Beide optionen, die strukturelle und die ener- getische, sind anpassungen an das äußere environment durch Modifizierung des inneren environment. Schon das Tragen eines Pelzes ist für Banham eine archi- tektonische Geste: «The word ‹fit› may be defined in the most generous terms imaginable, but it still does not necessarily imply the erection of buildings. Environments may be made fit for human beings by any number of m eans.» 21 B anham zeigt mit diesen Beispielen, dass architektur immer schon darin be- stand, «controlled environments for living organisms» 22 zu erzeugen, dass es also keine architektur ohne Techniken des environment geben kann.23 Damit folgt Banham einer für das 20. Jahrhundert zentralen Transformation, deren ausmaße hier nur angedeutet werden können: aus dem zunächst auf Seiten der natur situierten, geradezu anti-artifiziellen, vorgegebenen und deter- minierenden environment – der Begriff wurde 1865 als übersetzung von milieu in den Schriften auguste comtes eingeführt und von Herbert Spencer popu- 21  Reyner Banham: Stocktaking, larisiert 24 – wird ein Gegenstand von Modifikation, Gestaltung und Kontrolle. in: Architectural Review, Nr. 127, In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden unterschiedliche environments 1960, 93 – 100, hier 93. 22  Reyner Banham: The Environ- zu objekten technischer Planung, ökologischen Managements, künstlerischer mentalist, in: Program, Nr. 2, 1962, Experimente und biopolitischer Interventionen.25 nicht mehr organismen 57 – 64, hier 59. 23  Ähnliche Überlegungen äußert müssen sich environments anpassen, sondern diese werden den Bedürfnis- kurz zuvor Marshall McLuhan im sen der organismen angepasst – zur Erhöhung des Komforts, aber auch mit K apitel «Housing: New Look and New Outlook» in Understanding dem Ziel ihrer Beeinflussung und Kontrolle. Umgebungen gelten damit nicht Media, New York 1964, 117 – 123. mehr als etwas Sekundäres, sondern werden – während sie in den holistischen 24  Vgl. Trevor Pearce: From ‹Circumstances› to ‹Environment›. Populations ökologien der Jahrhundertwende unzugängliche Refugien einer der Herbert Spencer and the Origins Technik entgegengesetzten natur waren 26 – selbst zu Gegenständen künstlicher of the Idea of Organism-Environ- ment Interaction, in: Studies in Kontrolle und damit technisch, weil das Verhältnis beider Seiten – des orga- History and Philosophy of Biological nismus und seines environment – zueinander als konstitutiv erkannt wird. Das and Biomedical Sciences, Bd. 41, Nr. 3, 2010, 241 – 252. environment wird in diesem Sinne als veränderbar gedacht, während gleichzeitig 25  Peter Sloterdijk hat diesen einerseits sichtbar wird, dass es schon immer verändert wurde, und andererseits Vorgang in anderem Kontext «Um- welt-Umkehrung» genannt: P eter neue Technologien des Umgebens entstehen, die environments zu objekten des Sloterdijk: Sphären, Frankfurt / M. engineering machen. Im Zuge dieser Umformung vom environment als natürli- 2004, 331. 26  Paradigmatisch etwa in chem Raum des Lebendigen hin zu gestaltbaren, modifizierbaren, kontrollier- Stephen Forbes: The Lake as a baren environments verschiebt sich das Verhältnis dieser Räume zur Technik und Microcosm, in: Bulletin of the Scientific Association, Peoria / Illinois, Bd. 1, 1887, wird eine originäre Technizität des Menschen verhandelt. 77 – 87. SCHWERPUNKT 61 FLORIAN SPRENGER Banhams Radikalität besteht nun darin, dass architektur für ihn nicht mit einem konstruierenden akt oder dem Zie- hen einer Mauer beginnt, die das Innen vom außen trennt, sondern mit der Modifizierung eines environment: Eine Be- hausung («dwelling») ist für ihn bereits die Höhle, in der ein Feuer brennt, oder ein Windschutz aus einigen Ästen. architektur ist in diesem Sinne für ihn ganz allgemein eine Manifestation der generellen evolutionären wie techni- schen Bedingungen. In seinem 1965 erschienenen, heute klassischen aufsatz «a Home is not a House», zu dem der Künstler und architekt François Dallegret eine Reihe von berühmt gewordenen Illustrationen beigesteuert hat, stellt Banham die polemische Frage, ob es angesichts der Fort- schritte von environmental technologies überhaupt noch n ötig sei, Häuser zu bauen, wenn Heime auch ohne Mauern und Abb. 5 Environmental Bubble, Grundrisse geschaffen werden könnten und der Herd oder das Dach keine François Dallegret, 1965 Voraussetzung mehr wären.27 an anderer Stelle wird Banham noch rigoroser: «Far more seditious to the established attitude of architects is the proposition that, far from caravans being sub-standard housing, housing is, for many func- tions, sub-standard caravans.» 28 Banhams lebenslange Suche nach einer architektur für das zweite Maschi- nenzeitalter ist mithin die Suche nach einem neuen Verhältnis von Mensch und environment durch Technik. Sein Buch appelliert an architekten, die aufgabe der Herstellung lebenswerter environments ernstzunehmen, was nur dann mög- lich sei, wenn sie «structures» und «mechanical services» 29 nicht länger als ge- trennte angelegenheiten begriffen oder gar Ingenieuren überließen. Technik ist eine kulturelle Herausforderung, die nicht dadurch gelöst wird, dass man ihre Funktionen nutzt und ihren Komfort genießt – vielmehr imprägniert sie jede Form des Wohnens und damit die räumliche Existenz des Menschen. Technik ist, so könnte man zugespitzt sagen, ein Umgang mit Umgebungen, ein Wissen um ihre Bedingungen, eine Möglichkeit ihrer anpassung, eine Ge- staltung ihrer Belebbarkeit. In diesem Sinne kann man The Architecture of the Well-Tempered Environment in einem vielleicht etwas gewagten Vorschlag neben andré Leroi-Gourhans Milieu et techniques (1945) und Gilbert Simondons Du mode d’existence des objets techniques (1958) stellen, weil es ebenfalls eine Ko-Evolution von Mensch und technischem artefakt beschreibt sowie anthropogenese mit Technogenese verschränkt. Während Leroi-Gourhan und Simondon von einem technischen m ilieu sprechen, in dem der Mensch als technisches Wesen existiert, beschreibt Banham architektonisch-technische environments auf vergleichbare Weise als 27  Vgl. Reyner Banham: A Home is not a House, in: Art in America, Bd. 2, Räume, die in einem evolutionären Prozess begriffen sind. Durch Technik und Nr. 2, 1965, 70 – 79. architektur passt sich der Mensch nicht nur environments an, sondern ist – hier 28  Banham: Stocktaking, 95. 29  Ebd., 97. bedient sich Banham fast der gleichen Formulierung wie Leroi-Gourhan – in 62 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» einer «basic human gesture» 30 in der Lage, diese seinen eigenen Bedürfnissen gemäß zu modifizieren. Während für Leroi-Gourhan die Evolution des Men- schen zutiefst mit der Evolution eines technischen milieus externalisierter Funk- tionen des menschlichen organismus verbunden ist, ist für Banham architek- tur eine technische Produktion von environments, die Menschen leben lassen. infrastrukturen der distribution  Den entscheidenden Schritt in der Ko-Evolution von architektur und Tech- nik, deren digitaler Fortschreibung wir uns heute gegenübersehen, verortet Banham am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Domestizierung elektrischer Distributions systeme und erster Klimaanlagen das gebaute environment auf eine bis dahin ungekannte Weise von den lokalen Gegebenheiten entkoppelt. Die Frage nach der Technik, die Banham nur am Rande auf Entwurfs- oder Bau- werkzeuge bezieht, macht für ihn dabei nur Sinn, wenn man Technik wie archi- tektur als Gestaltung von Räumen durch Praktiken und Distributionen begreift und damit eine grundsätzliche Verschränktheit beider Ebenen in anschlag bringt. Die am anfang des Buches aufgestellte Unterscheidung von gebauten Strukturen, die Wärme speichern, Geräusche dämpfen und Luftströmungen kanalisieren, sowie infrastrukturellen Techniken der artifiziellen Verteilung von Luft, Wasser und Elektrizität, also von «structural methods of environmental management» 31 und «environmental management by the consumption of power in regenerative installations»,32 wird mithin im Verlauf der argumentation be- wusst unterlaufen. Im zweiten Maschinenzeitalter kann die strukturelle L ösung nicht länger mit der technischen Entwicklung Schritt halten, was ebenfalls impliziert, den Fokus von der Form auf die Performanz zu verschieben. Einen Wendepunkt im Verhältnis gebauter Strukturen und infrastruktureller Techniken markiert für Banham das Jahr 1882, als Thomas Edison in new York das erste elektrische Distributionssystem vorstellt, das nicht nur aus der Glüh- birne, sondern einem Kraftwerk, Kabelleitungen, Verteilungsstationen, Schal- tern, Steckergewinden und geschulten Elektrikern besteht. «It was this revolu- tion that first posed the problem of alternatives to structure as prime control of 30  Banham: A Home is not a House, 79. Für den Hinweis auf die environment, and introduced the regenerative mode as a serious rival to the con- Ähnlichkeit der Formulierungen servative and selective modes, rather than their modest hand-maiden.» 33 Ban- danke ich Regina Wuzella / Berlin. 31  Banham: The Architecture of ham, der als Flugzeugingenieur ausgebildet ist, beschreibt ausführlich die tech- the Well-Tempered Environment, 20. nischen Erfordernisse von mechanischer Ventilation, elektrischer Versorgung 32  Ebd., 26. 33  Ebd., 25. und Gasbeheizung. Das aufkommen solcher Techniken veränderte die Vertei- 34  Laurent Stalder hat die lungen innerhalb des komplexen Systems der Ströme eines Hauses. Banham architektonischen Mittel dargestellt, mit denen die Konstruktion von zeigt, wie mit den technischen Entwicklungen aus der schützenden und tren- Gebäuden diese Vorgaben umsetzt: nenden Wand eine funktionale Schwelle für objekt- und Energieströme wird: die Umwandlung starrer Wände in offene Umgrenzungen, Glasarchi- mit Klimaanlagen und Glasfronten, mit Schallisolatoren und Wandheizungen.34 tekturen, Sonnen-, Temperatur- und In dieser Hinsicht ist das 1906 fertiggestellte Royal Victoria Hospital in Belfast, Lärmschutz. Vgl. Laurent Stalder: Air, Light and Air-Conditioning, das eine komplexe und gestalterisch integrierte Belüftungsanlage aufweist, für in: Grey Room, Nr. 40, 2010, 84 – 99. SCHWERPUNKT 63 FLORIAN SPRENGER Banham exemplarisch und erscheint ihm moderner als alle Gebäude des Bauhauses, weil es den Menschen mithilfe der Technik in den Mittel- punkt der Gestaltung stellt. Derartige Technologien erfor- dern ein neues Verständnis von architektur, weil ihre wichtigsten Variablen nicht länger Baumateria- lien und Stile sind, sondern Distri- butionen von Luft, Licht, Energie, Wasser und schließlich Information. In diesem Sinne versteht Banham, der «machine à habiter» folgend, von der Le corbusier in den 1920er Jahren spricht, Gebäude als Infra- strukturen der Verteilung, als Dis- tributionsmaschinen für Wärme, Elektrizität und Wasser, als Kreis- laufsysteme, mit denen aus Häusern hoch kontrollierte Lebensräume werden. Die innovative architek- Abb. 6 Schnitt durch das tur des 20. Jahrhunderts zielt mit der Einführung elektrischer Infrastrukturen, Lüftungssystem des Royal der Glasbauweise und neuer Heizmethoden darauf ab, künstliche environments Victoria Hospital in Belfast zu erzeugen, die an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst sind: Die nacht wird zum Tag, im Winter können tropische Badelandschaften besucht und die Serengeti vom Fernsehsessel aus bereist werden. Indem Banham von einem wohltemperierten environment spricht, das über den «basic life support» 35 gebau- ter Strukturen hinausgeht, deutet er an, dass dieses environment kein natürlicher Zustand eines stabilen Äquilibriums ist, sondern selbst Gegenstand von techni- schen Eingriffen, modifizierenden Regulationen und kybernetischer Kontrolle. Seinen Einsatz formuliert Banham dabei wie folgt: «Yet however obvious it may appear, on the slightest reflection, that the history of architecture should cover the whole of the technological art of creating habitable environments, the fact remains that the history of architecture found in the books c urrently available still deals almost exclusively with the external forms of habitable v olumes as revealed by the structures that encompass them.» 36 Dieses Zitat gibt mit einer abfolge von räumlichen Metaphern eine präzise Marschroute vor: Die Formen des außen, die ein belebbares Innen umgrenzen, können nur dann in Bezug zum Inneren gesetzt werden, wenn man erkennt, dass sie aus dem Inneren ein environment machen – einen ort, der weniger durch seine geometrischen 35  Banham: The Architecture of Koordinaten definiert wird als vielmehr durch die Relationen, die durch ar- the Well-Tempered Environment, 11. 36  Ebd., 12. chitektonische Begrenzungen und technische Infrastrukturen geformt werden. 64 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» Er ist Gegenstand modifizierender Techniken, die als environmental control das Innere eines Gebäudes vom äußeren environment und seinen klimatischen Herausforderungen loslösen. Daraus folgt eine formale Freiheit und eine zu- nehmende ablösung von den lokalen Gegebenheiten: «In freeing architecture from local climatic contraints, mechanical environmental management tech- niques have given carte blanche for formal experimentation.» 37 Perspektiven Es sind mithin drei Ebenen, auf denen eine weiterführende Untersuchung der gegenwärtigen technologischen Bedingung 38 auf den Spuren Banhams anset- zen kann. Erstens versteht er environment nicht als etwas dem Menschen Ent- gegengesetztes, sondern als einen technischen Modus seiner Existenz. anhand der Ko-Evolution von Mensch, architektur und anderen Techniken reflektiert Banham die originäre Technizität des Menschen. Während diese zumeist vom Werkzeug her erörtert wird, macht Banham deutlich, dass der Mensch, wenn er sich als organismus ein environment schafft, wenn er baut und wohnt, be- reits technisch agiert. Diese Perspektive wiederum ist zweitens insbesondere dann hilfreich, wenn man die Funktionalität technischer Infrastrukturen inner- halb architektonischer Gefüge und die damit verbundene, spätestens seit dem 19. Jahrhundert einsetzende neuverteilung von Handlungsmacht zwischen menschlichen und nicht-menschlichen akteuren, aber auch zwischen verschie- denen sozialen Rollen in den Blick nehmen möchte, die heute bei weitem nicht abgeschlossen ist – und die Banhams Humanismus hinter sich lässt. Hierin konvergieren Banhams Fragen und unsere heutigen Herausforderungen. Ge- rade angesichts der jüngsten Entwicklungen von smart housing, ubiquitous com- puting und des sogenannten ambient assisted living gilt es, architektur von ihrer distributiven Funktion her zu denken und die Ströme von Energie und Materie zu bestimmen, die sie durchziehen. Insofern in den damit verbundenen Dis- kursen die Beschreibungssprachen der ökologie appliziert werden, bedarf es drittens einer epistemologischen Reflexion, die deren Plausibilitäten, Potentiale und Grenzen überdenkt. So spielt Banham mit seiner Bestimmung der archi- tektur als environment durch, was man eine Epistemologie des Umgebens nennen könnte. Diese stellt Fragen nach dem Verhältnis des äußeren Umgebenden und des inneren Umgebenen, nach der Grenze des Umgebenden und schließlich nach dem, was außerhalb dessen liegt. Dieser Epistemologie gilt es heute nach- zugehen, wenn wir unsere technische Gegenwart verstehen wollen. Wenn von environmental media und smart architecture die Rede ist und ein Sprung vom intelligent gebauten zum intelligenten Haus in aussicht gestellt wird, schwingt neben den Imperativen der nachhaltigkeit auch eine Politik der Kontrolle und die durch ubiquitäre Technologien potenzierte Territorialisie- 37  Ebd., 239. rung privater und öffentlicher Räume mit. Ihre Voraussetzung besteht seit der 38  Vgl. dazu Erich Hörl: Die technologische Bedingung, frühen Elektrifizierung von Wohngebäuden darin, dass Räume zu orten der F rankfurt / M. 2012. SCHWERPUNKT 65 FLORIAN SPRENGER Distribution von Energie und Information werden. Wenn heutige smart homes in smart cities durch massive Sensorik den derart überwachten Raum zu einem environment des «ubiquitous sensing» 39 machen, setzen sie diese Tendenz mit neuen technischen Mitteln fort. Zusammengesetzt aus Schaltern, Steckern und alarmanlagen, aus Bewegungssensoren und Lichtschranken, sammeln diese netzwerke von kleinen, verteilten und isoliert wirkungslosen agenten Daten über Bewegungen und Handlungen mit dem Ziel, sie zu steuern. Gegenwärtig, so kann man mit nigel Thrift festhalten, erfahren Techno- logien des tracing und tracking eine Erweiterung; Verfahren der adressierung werden durch Verfahren der Positionierung ergänzt.40 RFID (Radio Frequency Identification Tags) und GPS (Global Positioning System) dienen nicht mehr nur der Bestimmung der Position von Menschen oder Dingen, sondern ihrer Positionierung an bestimmten orten.41 In der letzten Dekade wurden dadurch logistische Verfahren in vielerlei Hinsicht revolutioniert, der alltägliche Um- gang mit mobilen Medien transformiert und mit der aufhebung der Trennung von öffentlichem und Privatem eine mehrdimensionale Raumpolitik eröffnet, deren Verschiebung der Grenzen von Innen und außen grundlegende Fragen an unser Verständnis des Raums und des Hauses stellt. Technische, soziale und anthropologische Entwicklungen sind dabei untrennbar miteinander verknüpft: Mit ambient assisted living, also sensorischen Systemen, die die Bewegungen älterer Bewohner kontrollieren und gegebenenfalls alarm schlagen, oder mit personalisierten alarmanlagen, die auf die Rückkehr des Smartphones warten, geht nicht nur die Möglichkeit neuer räumlicher ordnungen und Entwurfs- ansätze auf vielen Maßstabsebenen einher, sondern auch eine neubestimmung des architektonischen Raums. Dieser wird als medialer Positionierungsraum neu definiert, er wird zu einem Raum, in dem objekte nicht nur kontinuierlich adressen zugesprochen bekommen, sondern innerhalb von netzwerken aus Positionen anderer objekte lokalisiert sind, die selbst allesamt als akteure der Vermittlung agieren und dadurch eine technisch gestaltete Umgebung bilden. Der Raum, der durch diese Technologien zu einem kontrollierten wird, kann als environment gelten, das von den Relationen zwischen objekten, Menschen und ihren netzen gebildet wird und Banhams architektonisch-infrastrukturellem environment noch eine weitere Dimension hinzufügt. Deshalb ist es notwendig, den heutigen Wandel hin zu ubiquitären Medien 39  Orit Halpern, Jesse LeCavalier, und seine vielfältigen Effekte nicht allein auf die Digitalisierung und Vernet- Nerea Calvillo, Wolfgang Pietsch: zung des alltags, auf soziale Medien und die Potentiale der Kalkulierbarkeit zu Test-Bed Urbanism, in: Public Culture, Bd. 25, Nr. 2, 2013, 272 – 306, beziehen. Vielmehr beruht dieser Wandel – das wäre die Pointe einer medien- hier 291. wissenschaftlichen Re-Lektüre Banhams – auf der spätestens seit der Elektrifi- 40  Vgl. Nigel Thrift: Remembering the Technological Unconscious zierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts um sich greifenden infrastrukturellen by Foregrounding Knowledges of Verwandlung architektonischer Räume in environments, in Umgebungen, die Position, in: Society and Space, Bd. 22, 2004, 175 – 190. in einer relationalen Un- / abhängigkeit vom Umgebenen stehen. Diese Infra- 41  Vgl. Christoph Rosol: RFID. strukturen bestehen aus Kabeln, Schaltern und Steckern, Rohren, Wasserhäh- Vom Ursprung einer (all)gegenwärtigen Kulturtechnologie, Berlin 2007. nen und Fensterscheiben, Routern, Sensoren und Wellen, also aus Medien der 66 ZfM 12, 1/2015 architEkturEn dES «EnVironmEnt» Medien, die eine infrastrukturelle Grundlage bilden. Sie sorgen dafür, dass die kontrollierbaren, aber instabilen Variablen des environment beständig angepasst werden, um stabile Zustände zu erzeugen. «When your house contains such a complex of piping, flues, ducts, wires, lights, inlets, outlets, ovens, sinks, refuse disposers, hi-fi re-verberators, antennae, conduits, freezers, heaters – when it contains so many services that the hardware could stand up by itself without any assistance from the house, why have a house to hold it up?» 42 Wenn architek- tur, dies ist bereits in den 1960er Jahren Banhams Intuition, zum e nvironment wird, ist ihre räumliche Kunst als technische Hervorbringung von Räumen zu verstehen, die aus mehr bestehen als aus Mauern, Türen und Fenstern. The Architecture of the Well-Tempered Environment bespricht diese environments auf unterschiedlichen Maßstabsebenen und zeigt, dass sich der Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende, grundlegende architektonische Wandel nur von den technischen Infras trukturen her verstehen lässt. Ihre jeweils neuen Her- ausforderungen bieten damals wie heute anlass, architektur als Umgang mit umgebendem Raum neu zu bestimmen. Deshalb lautet eine der dringlichsten aufgaben in diesem dritten Maschinen- zeitalter, erneut zu durchdenken, was Umgeben heißt und wie die technische Existenz des Menschen heute gestaltet wird. Sie durchläuft, so kann man der- zeit vermuten, einen erneuten Wandel, weil die Kontrolle und Modifizierung von environments selbst environmental zu werden beginnt und die Position des 42  Banham: A Home is not a Menschen als Zentrum aller environments fraglich wird. Um es noch einmal mit House, 70. 43  Banham: The Architecture of Banham zu sagen: «For the environment touches man where it hurts.» 43 the Well-Tempered Environment, 28. — SCHWERPUNKT 67