510 MEDIENwissenschaft 04/2023 Mateo Klanisek: Stereotype in Videospielen: Eine medienpädagogische Analyse des Rollenspiel-Genres Baden-Baden: Tectum 2023 (Young Academics), 258 S, ISBN 9783828879560, EUR 49,- Niemandem kann die Lektüre der Monograf ie Stereotype in Video- spielen empfohlen werden: Das Buch argumentiert undifferenziert, vermi- scht Allgemeinplätze mit Positionen im Forschungsdiskurs, basiert auf schlecht oder gar nicht recherchier- ter Forschungsliteratur und wimmelt von sprachlichen Fehlern – was auch darauf zurückzuführen sein mag, dass es sich um eine publizierte Magister- arbeit handelt. So umfasst das Kapitel zur Definition eines Stereotyps nicht einmal eine Seite, und es wird ohne Quellenangabe ein „Albert Einstein zugeschriebener Ausspruch“ (S.7) angeführt: „Es ist leichter ein Atom zu spalten, [sic] als ein Vorurteil“ (ebd.). Statt einer Begriffsexplikation, einer Forschungskontextualisierung innerhalb der Sozial- oder Medien- wissenschaften oder einer Abgren- zung zu Klischees oder Vorurteilen fällt stattdessen folgende verwirrende Schlussfolgerung: „Oft führen [Stereo- type] dazu, dass Menschen ihre Bega- bungen nicht ausschöpfen, wodurch sie in ihrem Leben unzufriedener sind, weniger erfüllende Beziehungen haben und öfter auch andere Men- schen unglücklicher machen“ (ebd.). Dabei ist das Thema von hoher Gegenwartsrelevanz: Zahlreiche Video spiele diskriminieren Ethnien, vermitteln ein toxisches Männlich- keitsideal, verherrlichen Gewalt und sexualisieren Frauen. Dies erkennt Mateo Klanisek auch: „Nach zahl- reichen Studien sind weibliche Cha- raktere in Videospielen zu 85% zu dünn mit großen Brüsten und anatomisch unmöglich schmalen Becken“ (S.23). Der Autor konzentriert sich zur quan- titativen Untersuchung von Stereo- typen auf das Genre des Rollenspiels und hat zur Einordnung ein eigenstän- diges fünfteiliges Beobachtungsraster erarbeitet: Vielfalt bei der Charakterer- stellung, visuelle Darstellung, narrative Relevanz, Bedeutung der Attribute und Thematisierung von Diskriminierung – diese Analyseelemente werden im Fließtext allerdings weder hergeleitet noch erklärt. Die einzelnen Punkte der Skala versieht der Autor dann mit einer Bewertung: frei von Diskriminierung (+), sexistisch/rassistisch (-) und gute und schlechte Aspekte sind ausgegli- chen (+/-). So besteht der Kern der Arbeit schließlich aus etwa 100 Seiten, in denen über 300 Rollenspiele seit Mitte der 1980er Jahre bis heute auf diese fünf Kriterien hin überprüft werden. Was ein durchaus ambitioniertes Vor- haben ist, erweist sich in der Durch- führung als extrem oberf lächlich. Dies liegt nicht nur daran, dass eine Plus-Minus-Einordnung natürlich an sich zu binär-schematisch ist, sondern auch an dem stark voneinander abwei- chenden Platz, der einzelnen Games Medien und Bildung 511 zugestanden wird: Während einer Spieleserie wie The Elder Scrolls (1994-) phänomenale drei Seiten zukommen (vgl. S.52-55), muss das nicht minder bekannte World of Warcraft (2004) mit einem einzigen Abschnitt leben (vgl. S.101f.); mehrteilige Spiele-Reihen werden außerdem ebenso behandelt wie ein Einzelwerk. Des Weiteren werden Rassismus, Sexismus und Bellizismus in der Analyse nicht hinreichend von- einander abgetrennt. Und auch genre- theoretisch erfolgt keine trennscharfe Eingrenzung von RPGs, so dass Mine- craft (2011), Monster Hunter (2004-), Diablo (1997-), Dark Souls (2011) und Baldur‘s Gate (1998-) auf einer Stufe stehen. Darüber hinaus ist für die Beurteilung des Grades an Stereoty- pisierung und Diskriminierung nicht ausschließlich die grafische, narrative und ludische Dimension der Spiele maßgebend, denn alle möglichen Para- texte werden miteinbezogen: Trailer, Lösungsbücher, Erfahrungen von You- Tuber_innen mit dem Spiel, Artbooks, die literarische Vorlage für das Spiel oder die sexuelle Übergriffigkeit eines Spieleentwicklers (vgl. S.62). Besonders anstrengend wird die aufgrund der additiven Aneinander- reihung von Einzeltiteln ohnehin ermüdende Lektüre jedoch durch die ständigen Äußerungen von persön- lichen Erfahrungen, Meinungen, Plä- doyers und Setzungen, die in einem wissenschaftlichen Text nichts zu suchen haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: „Doch wer hat je jemanden ernstlich dafür beneidet, in den Krieg ziehen zu dürfen?“ (S.20). Das sehen Geschichts- und Politikwissenschaft- ler_innen anders. Nach dem Lesen stellt man sich die Frage, ob Klasinek vielleicht besser nicht zu einer Veröffentlichung hätte ermutigt werden sollen. Tectum sollte ungeachtet der Reihenbezeichnung „Young Academics“ die Verlagspo- litik überdenken, Abschlussarbeiten ohne Qualitätsprüfung zu drucken. Das Buch ist letztendlich ein weiterer Beleg für die Tendenz, dass die Gate- Keeper-Funktion von Verlagen im wis- senschaftlichen Diskurs immer stärker schwindet. Timo Rouget (Frankfurt am Main)