Ausgabe 24 vom Juli 2016 IMAGE 24 Inhalt Jörg R.J. Schirra ............................................................................... 3 Editorial Sebastian Gerth ................................................................................ 5 Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation? Eine Systematisierung philosophischer Argumentationen und ihre psychologische Anwendung Erika Fám ........................................................................................ 50 Das Wiederbild. Transmediale Untersuchungen von Bild-im-Bild-Phänomenen Johannes Baumann ....................................................................... 70 Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild Janna Tillmann ............................................................................... 89 Zwischen Hindernis und Spielelement. Der Umgang mit dem Tod des Avatars in Videospielen Das bildphilosophische Stichwort: Vorbemerkung .............................................................................. 109 Michaela Ott ................................................................................. 110 Das bildphilosophische Stichwort 10 Theorien des Bildraums Jörg R.J. Schirra ........................................................................... 121 Das bildphilosophische Stichwort 11 Kontext Mark Ludwig ................................................................................. 130 Das bildphilosophische Stichwort 12 Werbung Impressum .................................................................................... 135 [Inhaltsverzeichnis] Jörg R.J. Schirra Editorial Verehrte Leserinnen und Leser, die hier vorliegende 24. Ausgabe von IMAGE bietet Ihnen vier interessante Beiträge aus recht verschiedenen Gebieten. Nur eine Arbeit beschäftigt sich dabei mit Bildern im engeren Sinn: Erika Fám steuert eine medientheoreti- sche Untersuchung von Bild-im-Bild-Phänomenen bei. Am sogenannten Wie- derbild – einem in einem anderen Bild, etwa einer Collage, ›wiederholten‹ Bild – werden die Aspekte einer solchen transmedialen Verwendung entfaltet. Bei den drei anderen Aufsätzen stehen eher uneigentliche Bilder im Fokus des Interesses: Auf der Basis einer Unterteilung in Abbild-, Ähnlichkeits- bzw. Schema-, sprachbasierte und funktionalistische Ansätze stellt Sebastian Gerth eine Systematisierung philosophischer Argumentationen zu mentalen Bildern zusammen und bezieht das Ergebnis auf bisherige empirisch-kognitions- psychologische Imagery-Studien. Dabei wird der Blick insbesondere auf noch offen gebliebene Fragen gelenkt. Dem Phänomen ›Fremdbild‹ ist Johannes Baumanns Artikel gewidmet: In Fremdbildern, die laut Autor »nichts anderes [sind] als Projektionen bzw. Transpositionen größtenteils unbewusster bzw. nicht in Frage gestellter Standpunkte und Wahrnehmungsweisen auf anders- artig konditionierte sowie mit anders gearteter und begründeter Bedeutung versehene Sachverhalte aus einem nur ungenügend erkennbaren Kontext«, werde immer auch das Selbstbild des Subjekts deutlich. Insofern böten sich als verkappte Selbstbilder verstandene Fremdbilder zugleich als ein vielver- sprechendes Instrument für die kulturelle (Selbst-)Erkenntnis an. Schließlich beschäftigt sich Janna Tillmann mit einer weiteren Sonderform des uneigent- lichen Bildes, nämlich mit den Avataren in Videospielen, d.h. den Stellvertre- tern der Spieler in der Spielewelt. Insbesondere der ›Tod‹ eines Avatars wird dabei in ludischer und narrativer Hinsicht näher beleuchtet. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 3 Editorial Fortgesetzt wird unsere Reihe ›Das bildphilosophische Stichwort‹ mit drei neuen Folgen. Im Namen aller Herausgeber wünsche ich Ihnen eine anregen- de Lektüre. Mit besten Grüßen J.R.J. Schirra IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 4 [Inhaltsverzeichnis] Sebastian Gerth Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation? Eine Systematisierung philosophischer Argumentationen und ihre psychologische Anwendung Abstract The goal of this paper is to systematize the variety of philosophical argu- ments as to whether mental images relate, and to link them to appropriate psychological research against the background of the imagery debate. The following subdivision is proposed: (1) copy, (2) similarity and schema, (3) language-based and (4) functionalist approaches. These are presented by typical representatives and their stance. The problematic subjects resulting from these philosophical argumentations are summarized and contrasted to previous psychological studies. The corresponding desiderata are discussed. Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Systematisierung der Vielzahl philoso- phischer Argumentationen zu mentalen Bildern und das Inbezugsetzen zu entsprechenden psychologischen Forschungen vor dem Hintergrund der Imagery-Debatte. Vorgeschlagen wird eine Unterteilung in (1) Abbild-, (2) Ähnlichkeits- und Schema-, (3) sprachbasierte und (4) funktionalistische An- sätze. Diese werden anhand typischer Vertreter und deren Standpunkten vor- gestellt. Die sich aus den philosophischen Argumentationen ergebenden Problemstellungen werden zusammengefasst und bisherigen psychologi- schen Studien gegenübergestellt. Entsprechende Desiderate werden disku- tiert. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 5 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Die Debatte um mentale Bilder lässt sich anschaulich an einem einfachen Beispiel demonstrieren: Bitte versuchen Sie, die Zahl der Fenster Ihres Wohn- zimmers zu nennen. Die Zeit, die sie dafür benötigen, spielt keine Rolle – le- sen Sie jedoch bitte erst nach Erfüllung der Aufgabe weiter. Eine mögliche Problemlösung kann wie folgt aussehen: Vielleicht stel- len Sie sich den Grundriss Ihrer Wohnung vor, ›zoomen‹ dann zum Wohn- zimmer und verändern die Sichtweise von der Vogel- in die Egoperspektive. Anschließend richten Sie möglicherweise Ihren inneren Fokus auf die Fenster, um diese abschließend zu zählen und das Ergebnis mitzuteilen. Bereits dieses einfache Beispiel zeigt grundlegende Besonderheiten der Merkmale einer geistigen (engl.: ›mental‹) Vorstellung (engl.: ›imaginati- on‹) und damit wesentliche Punkte um das Phänomen des ›Mental Imagery‹: Haben Sie die Aufgabenstellung mit oder ohne innere Bilder gelöst? Falls es innere Bilder gab, konnten Sie Einfluss auf diese nehmen, indem Sie diese z.B. ›scannten‹ oder drehten? Haben Sie Beschreibungen bzw. Nummern verwendet, um ein Ergebnis präsentieren zu können? Der vorliegende Beitrag nimmt sich dieser Fragen an und wird durch einen kurzen Überblick über die Imagery-Debatte eingeleitet, also der Frage danach, ob ein bildhaftes Repräsentationsformat angenommen werden kann oder nicht (Abschnitt 1). Der Fokus jedoch liegt auf philosophischen Argu- mentationen zur charakteristischen Relation zwischen mentalen und materiel- len Bildern. Es wird sich zeigen, dass zwischen Abbild- (2), Ähnlichkeits- und Schema-Ansätzen (3), sprachbasierten (4) und funktionalistischen Ansätzen (5) unterschieden werden kann. Diese werden anhand der wesentlichen Ver- treter vorgestellt und deren Standpunkte kurz erläutert. Es wird gezeigt wer- den, dass die philosophischen Diskussionen um die Existenz geistiger Bilder ein wesentlicher Vorläufer der empirischen Untersuchungen um die Berechti- gung und die Sinnhaftigkeit der Annahme von mentalen Bildern innerhalb der Psychologie war, die zumeist anhand von Experimenten Beweise für bzw. gegen innere Bilder zu erbringen versuchte (vgl. etwa SACHS-HOMBACH 1997; 2006). Aus diesem Grund werden im letzten Abschnitt (6) durch die Philoso- phie aufgeworfene Fragen zusammenfassend dargestellt und auf entspre- chende psychologische Studien verwiesen. 1. Imagery-Debatte Seit Menschen ihre Gedanken bewusst reflektieren, wird ergründet, wie das anschauliche Denken funktioniert und welche Prozesse diesem unterliegen. Es geht im Rahmen der vornehmlich in psychologischen Kreisen ausgetrage- nen Imagery-Debatte – Mental Imagery definiert z.B. Anderson allgemein »als die Verarbeitung von wahrnehmungsähnlicher Information in Abwesenheit externer Quellen perzeptueller Informationen« und mentale Bilder »als inter- ne Repräsentationen von visuellen und räumlichen Informationen« (ANDERSON IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 6 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation 2013: 75) – nicht etwa darum, ob es innere Bilder gibt (dies ist Gegenstand der Philosophie), sondern darum, inwiefern mentale Repräsentationen »Trä- ger des Gehalts einer bestimmten bildhaften Vorstellung« (GOTTSCHLING 2003: 25) sind. Es geht also i.d.R. nicht um das Vorstellungsbild per se, sondern um die piktorielle Repräsentation. Man darf diesen Streit [die Imagery-Debatte, S.G.] nicht verwechseln mit der seit Jahr- hunderten diskutierten Frage, wie anschauliches Denken funktioniert. Die Fragestellung hat sich verschoben von der philosophischen Frage, ob es anschauliche Bewußtseinsin- halte gibt, zur Frage, ob es nötig und sinnvoll ist, ein bildhaftes oder analoges internes Repräsentationsformat anzunehmen, um das menschliche Verhalten und bestimmte kognitive Fähigkeiten zu erklären. (GOTTSCHLING 2003: 29) Die Frage, die sich stellt, ist, ob »der innere Code ausschließlich spracharti- ger, propositionaler, etc. Natur sein könne, oder ob stattdessen auch ein bild- hafter innerer Code angenommen werden müsse oder zumindest dürfe« (SCHOLZ 1995: 50; vgl. auch BLOCK 1981b: 2f.). Um diese Fragen zu beantwor- ten, geht es also weniger um die Fähigkeit oder die Art und Weise der An- wendung bildlicher Vorstellungen, sondern vor allem um deren Ergebnisse. Innere Bilder werden als spezifische Form der strukturellen Wissensrepräsen- tation vor allem von der äußeren Welt verstanden. Der Auffassung zugrunde liegt, dass »das visuelle Sinnessystem eines der wichtigsten Verbindungs- glieder zwischen Außenwelt und Innenwelt [ist]« (SCHWAN 2005: 124) und dass sich diese Sinnesdaten auch mental widerspiegeln. Die Imagery-Debatte basiert also auf der angenommenen grundsätzli- chen Fähigkeit des Menschen, sich Dinge bzw. Sachverhalte vorstellen und damit mentale Repräsentationen generieren zu können. Im Rahmen der Imagery-Debatte wird seit Beginn der 1970er-Jahre um die Existenz und etwa- ige Entstehung, Beschaffenheit, Wahrnehmung und Funktionsweise der Vor- stellung und deren Manifestation als bildliche Repräsentation intensiv und kontrovers diskutiert (vgl. überblickshaft z.B. BLOCK 1981b; COHEN 1996; GOTT- SCHLING 2003; 2005; KAUFMANN 1996; KOSSLYN 1990; 1994; REHKÄMPER 1991; 1995b; ROLLINS 1989; TYE 1984; 1991; kompakt z.B. bei DENIS 1991: Kap. 2; SACHS-HOMBACH 2003a: Kap. 9.1). Ausgangspunkt dieser Diskussion war die Frage, inwiefern eine Analogie zwischen der Vorstellung und den Program- matiken der (visuellen) Perzeption anzunehmen ist und wie diese Prozesse bei der Repräsentation von Objekten, Handlungen oder Ereignissen zum Tragen kommen. Die sich stellende Frage ist, ob das Netzhautbild durch die Verarbei- tungsprozesse im Bewusstsein ebenfalls bildartig erhalten bleibt, oder ob diese ursprünglich optischen Informationen in ein verbalartiges Format um- gewandelt werden. Die Repräsentation von Informationen, so die Annahme, hängt also in erster Linie davon ab, ob diese im kognitiven System wahrneh- mungs- oder bedeutungsbasiert verarbeitet werden. Erstgenannte Form ent- hält die Struktur der ursprünglichen Wahrnehmungserfahrung, zweitgenann- te encodiert die Bedeutung dieser Erfahrung ausschließlich in sprachartigen Strukturen. Denkbar ist auch, dass beide Formate bei internen Repräsentatio- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 7 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation nen zum Tragen kommen; hierüber herrscht bis dato Dissens, wenngleich dies als wahrscheinlich gelten dürfte. Insbesondere die psychologischen Experimente von Paivio (1965; 1969; 1971) werden heute als Auslöser der Imagery-Debatte gesehen, die empirischen Analysen von Kosslyn (ab 1973) und Shepard (etwa 1978; SHE- PARD/METZLER 1971; COOPER/SHEPARD 1973; METZLER/SHEPARD 1974; SHE- PARD/COOPER 1982) gelten als erste und wesentliche Argumente für ein bild- haftes Repräsentationsformat. Ging die Philosophie ursprünglich von intro- spektiven Beobachtungen und möglichen Erklärungen hierfür aus, war es das Ziel der Kognitionspsychologen, auf der Basis philosophisch motivierter, the- oretischer Aussagen und kontrolliert introspektiv gewonnener empirischer Daten zahlreicher Probanden – anderweitige Lösungen als die quantifizierte Introspektion scheinen auch bis dato nicht existent – belastbare empirische Ergebnisse zu erzielen und mit deren Hilfe ein bestimmtes mentales Verhal- ten zu prognostizieren (vgl. KOSSLYN 1978: 225f., 234ff.). Hierbei bildeten sich im Wesentlichen zwei gegensätzliche Standpunkte heraus, die sich letztlich auch in der Philosophie wiederfinden: Piktorialisten gehen davon aus, dass die eingangs gestellte Frage nach der Fensteranzahl in Ihrem Wohnzimmer mit Hilfe innerer Bilder beantwortet wird. Diesen inneren Bildern liegen sog. sprachähnliche Propositionen zugrunde, die Anderson versteht als »kleinste Wissenseinheit, die eine selbständige Aussage bilden kann [...] [und] sich sinnvoll als wahr oder falsch beurteilen lässt« (ANDERSON 2013: 99). Deskrip- tionalisten hingegen verneinen dies und unterstellen, dass die Beantwortung der Fragen durch die ausschließlich sprachartige Formulierung unterschiedli- cher Parameter und ggf. deren Vergleich erfolgt. Erste Beschreibungen von mentalen Bildern bzw. Abhandlungen über das ›Sehen im geistigen Auge‹ wurden bereits in der antiken Philosophie, aber vor allem in modernen analytisch-philosophischen Strömungen als Rep- räsentationsform von Weltwissen, bspw. neben sog. mentalen Modellen, herausgearbeitet (vgl. überblickshaft z.B. BOWER 1984; KIND 2005; SACHS- HOMBACH 1995a, 1995b, 1997; STERELNY 1986; TYE 1998;). Während Fellmann (1995a: 23f.) zwischen sensualistischer Spiegel- oder Abbildtheorie (mentale Bilder als verblasste innere Wahrnehmungen), semiotischer Bildtheorie (als Zeichen) und der intellektualistischen Repräsentationstheorie (als Wille bzw. Fähigkeit, externe Entitäten zu repräsentieren) unterscheidet, gehe ich davon aus, dass diese Unterteilung nicht vollständig ist und die Systematik erweitert werden muss. Es wird daher zwischen Abbildansätzen (Abschnitt 2), Ähnlich- keits- und Schemaansätzen (3) sowie sprachbasierten (4) und funktionalisti- schen Ansätzen (5) unterschieden, die nachfolgend vorgestellt werden. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 8 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation 2. Abbildansätze Abbildansätze gelten als der Ursprung philosophischer Überlegungen zu mentalen Bildern. Vertreter dieser philosophischen Strömung verstehen diese als innere Bilder, die kausal mit der äußeren, objektiven Realität verknüpft sind und vom Individuum als unreflektierte und unmodifizierte, bildhafte Ein- drücke in die Gedankenwelt übernommen werden. Dieser vorwiegend er- kenntnistheoretisch-materialistische Ansatz trägt daher auch den Namen Spiegeltheorie, da er in einem mechanistischen Verständnis auf die mentale, kopienartige Widerspiegelung real existierender, materieller Objekte der Rea- lität rekurriert. In der antiken (griechischen) Philosophie ging man davon aus, dass sich innere Bilder auch als bildhafte geistige Abbilder manifestieren, deren Ursache durch die Luft fliegende, von Gegenständen ausgesendete Bilder (Demokrit) einerseits oder Ideen (Platon, Sokrates) bzw. Sinneseindrücke (Aristoteles) andererseits sind. Während Rationalisten (wie z.B. Descartes oder Leibniz) der Vernunft bzw. dem rationalen Denken große Bedeutung beimessen und die Sinneserfahrung abwerten (obwohl sie mentale Bilder als Kopien der äußeren Welt verstehen), nehmen Empiristen (etwa Hobbes, vor allem aber Locke, Berkeley und Hume) den gegenteiligen Standpunkt ein. Sie postulieren, dass Erkenntnis a priori nicht möglich sei, sondern dass diese das Resultat sinnlicher Erfahrung ist. Diese führt dementsprechend zu abge- schwächten Abbildern als Weltrepräsentation. Nachfolgend werden die Ab- bildtheorien der einzelnen Philosophieströmungen vorgestellt. 2.1 Antike Als früheste Vertreter des sensualistischen Abbildansatzes gelten Leukipp (5. Jhd. v. Chr.) und dessen Schüler Demokrit (460/459 v. Chr., Todesdatum bei beiden unbekannt), die im Spezifischen dem Materialismus bzw. Atomismus zugeordnet werden können. Zwar äußerten sich beide nicht konkret zur Be- schaffenheit innerer Bilder, aber insbesondere Demokrit stellte die These auf, dass von den Gegenständen permanent Atomgruppen (altgr.: ›εἴδωλα‹ – eidola) als Widerspiegelungen ausgesendet werden und sich durch die Luft zum Auge des Betrachters bewegen. Diese ›Bilder‹ werden anschließend mit den Sinnesorganen wahrgenommen und gelangen dann über das verkleiner- te Abbild auf der Hornhaut (nicht der Netzhaut) als ›gespiegelte Erkenntnis‹ in die Seele. Ähnlich wie die Gegenstände aus unterschiedlichen Atomen beste- hen, sei auch die Seele nach Demokrit entsprechend beschaffen. Die jeweili- gen Atome vereinigen sich beim Prozess der Erkenntnisgewinnung und hin- terlassen bildhafte Kopien realer Gegenstände in der Seele bzw. Vorstellung. Diese jedoch gewinnen erst durch die Sprache an Bedeutung. Demokrit un- terstellt also einen äußerst mechanistisch-kausalen Wahrnehmungs- und Entstehungsprozess mentaler Inhalte. Diese Eidola-Lehre gilt als erster Ent- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 9 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation wurf zur Entstehung von mentalen Bildern und wurde später z.B. von Epikur (341-271/270 v. Chr.) aufgegriffen.1 Bereits vor Epikur beschäftigte sich auch Platon (428/427-348/347 v. Chr.) mit mentalen Bildern. Diese wurden in seiner nicht explizit formulierten, sondern aus zahlreichen Aussagen rekonstruierten, metaphysischen Ideen- lehre thematisiert. In deren Zentrum steht, dass die mit den Sinnen wahr- nehmbare Welt einer unsichtbaren, geistigen Welt der Ideen nachgeordnet ist. Dieser ontologische Dualismus war der Kerngedanke von Platons Philo- sophie und die Grundlage späterer philosophischer Erörterungen zu menta- len Bildern (s.u.). Die platonische ›Idee‹ (altgr.: ›εἶδος‹ – eidos; ›ἰδέα‹ – idea) folgt keiner einheitlichen Terminologie, hat ihren Ursprung jedoch im griechischen Wort ›sehen‹ bzw. ›erblicken‹ und bedeutet demnach so viel wie ›Aussehen‹, aber auch ›Erscheinung‹, ›Gestalt‹ oder ›Urbild‹ (vgl. PLATON 2000: 807-813; X, 596a-597d). Im Sinne eines im Geist ›sichtbaren Urbildes‹, welches jedoch von der Sinneswahrnehmung losgekoppelt ist, tauchen Ideen bei Platon erstmals als Ursache und Voraussetzung für sinnlich wahrnehmbare bzw. sichtbare Dinge der Außenwelt – die ihrerseits wiederum ›Abbilder‹ der Ideen sind – auf. So existiert bspw. eine geistige Idee als Urbild von einer beliebigen Gruppe von Stühlen als deren Abbild. Jeder Stuhl bezieht sich aber auf die Idee eines Stuhls und damit auf die gleiche Ursache – damit ist jeder Stuhl im Sinne der Ideenlehre Platons typgleich. Ideen sind auch den Gegenständen der äußeren Welt nicht inhärent, sondern befinden sich im o.g. unabhängigen Ideenreich. Mentale Inhalte können daher nicht auf Wahrnehmungen basie- ren, sondern sind das Resultat der Erinnerung an Informationen, die vom Individuum in einer Vorstufe der irdischen Existenz erworben wurden. Reale (2000: 159f.) beschreibt Ideen im Sinne Platons ferner als intelligibel (nur durch vernünftiges Denken zu erfassen), unkörperlich, wahrhaft, unveränder- lich, objektiv und für sich eine formlose Einheit. Darüber hinaus gibt es zu jedem sprachlichen Begriff eine Idee, die mitunter bildhaften Charakters sein kann. Dies ist z.B. bei einem Tisch, Stuhl oder einer geometrischen Form der Fall, bei Wärme, Kälte oder Ruhe hingegen nicht. Das Bildhafte der Ideen greift Platon in seinem Werk Politeia auf, wenn er Sokrates (469-399 v. Chr.) im siebten Buch das Höhlengleichnis darstellen lässt. Für den unabhängigen Beobachter der Szene sind die Ideen nach Platon die Ursache der Dinge außerhalb der Höhle und die Schatten an den Wänden Repräsentationen bzw. eine ›Mimesis‹ (altgr.: ›μίμησις‹) dieser sinnlich erfahr- baren Gegebenheiten. Dieses Schattenbild bezeichnet Platon in philosophi- scher Tradition als Eidolon und schließt damit das Verständnis alles Sichtba- ren in seine Ideenlehre ein. Diese ›Eidola‹ sind dementsprechend Abbildun- 1 Vom Werk Demokrits sind nur sehr wenige Originalschriften (und diese nur fragmentarisch) vorhanden. Um seine Lehren zuverlässig zu deuten, ist es daher unerlässlich, auf Werke anderer Autoren zurückzugreifen, die entweder mit Demokrit im Dialog standen oder entsprechende Dialoge später auf einer Metaebene analysierten. Auf jene bezieht sich der Autor, weswegen an dieser Stelle unumgänglicherweise von Sekundärliteratur ausgegangen werden muss. Der Leser sei daher bspw. verwiesen auf Löbl (1989) für einen Überblick, zur Atomistik z.B. auf Röd (2009: Kap. XII) oder konkret zur Eidola-Lehre z.B. auf Rakoczy (1996: 105ff.) oder Rehkämper (2002: 15f.). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 10 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation gen von Ideen, welche durch die Wahrnehmung der Gefangenen als visuelle Repräsentationen Eingang in deren innere Welt finden. Da die Gefangenen jedoch die Gegenstände außerhalb der Höhle nicht wahrnehmen können und daher nicht kennen, existieren für sie auch keine Begriffe und damit keine Ideen dieser Dinge an der Wand. Sie sehen jedoch die Schatten: Passend dazu wird in Platons Werk Theaitetos der Seheindruck als ›aisthesis‹ (altgr.: ›αἴσθησις‹ – ›Wahrnehmung‹ und Wortursprung für das heutige ›Ästhetik‹) und ›phantasia‹ (altgr.: ›φαντασία‹ – ›Vorstellung‹, ›Darstellung‹) als das innere Bild bzw. die innere Vorstellung dieses Seheindrucks umschrieben (vgl. PLATON 1970: 31ff. (151C-152C)), der sich – wie bei Demokrit – als Eidolon in das Be- wusstsein bzw. Gedächtnis einprägt. Dieses verstand bspw. Sokrates in Pla- tons Theaitetos metaphorisch als einen Block aus Wachs, in welchen sich unsere Gedanken einprägen und entsprechende Spuren hinterlassen (vgl. PLATON 1970: 155 (191c, d)). Den Eindrücken im Verstand haftet demzufolge etwas Bildhaftes an: Der Gehalt manifestiert sich auch visuell in der Vorstel- lung, die gewissermaßen als ›Leinwand‹ fungiert und das ›Phantasma‹ (altgr.: ›φἀντασμα‹ – Erscheinung, Vorstellungsbild; lat.: ›imagines‹ – Gedächtnis- oder Vorstellungsbilder; abgeleitet vom o.g. ›phantasia‹) erzeugt. In Platons Werk Philebos beschreibt auch Sokrates das Prinzip der Ideen metaphorisch als »Bilder [...] in [der] Vorstellung« (PLATON 1997: 50 (39c)). Das platonische Ver- ständnis eines mentalen Bildes fußt demnach auf den Eidola als Träger eines (visuellen) Inhalts, der durch die Vorstellung ›sichtbar‹ wird. Im Kontext des Höhlengleichnisses bedeutet dies, dass durch den Seheindruck (›aisthesis‹) der Schatten auf der Wand bei den Gefangenen visuelle Repräsentation in der Vorstellung mit Hilfe eines »Maler[s], der [...] Bilder [...] in der Seele malt« (PLATON 1997: 50 (39b)), entstehen. Durch die verbal geführten Diskussionen der Gefangenen über das Gesehene wird mit den Eindrücken auch ein (sub- jektiver) Sinn verknüpft. Dieser entspricht im platonischen Sinne jedoch nicht einer Idee, da dessen Ursache im gesehenen ›Abbild‹ liegt. Die Gefangenen besitzen also Eindrücke, aber keine Ideen. Während das Wirkliche – also der unabhängige Ursprung alles Indivi- duellen bzw. Mentalen – bei Platon die Ideenwelt ist, ist dies bei seinem Schü- ler Aristoteles (384-322 v. Chr.) die uns umgebende Welt. Aristoteles lehnt das Vorhandensein einer Ideenwelt im Gegensatz zu Platon ab, da es sich seiner Meinung nach um eine zweckfreie Verdopplung von Entitäten handelt – viel- mehr haftet das Wesen von Gegenständen ihnen selbst (und nicht etwa den Ideen) an. Er verneint auch den Gedanken Demokrits, dass Bilder der Gegen- stände von außen am Auge haften – denn diese müssten ihrerseits wieder gesehen werden. Diese Auffassung kann aus heutiger Sicht als Vorläufer des ›Mental Eye‹-Arguments gegen den Piktorialismus gelten, nach dem innere Bilder durch ein geistiges Auge wie von einem Homunkulus gesehen werden müssten, dessen inneres Bild regressartig ebenfalls durch jemanden oder etwas wahrgenommen werden müsste (vgl. ausführlich die Ausführungen zu Dennett, Abschnitt 5). Auch sei das Spiegelbild von Gegenständen nicht aus- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 11 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation reichend, um den Vorgang des Sehens bzw. der Entstehung von mentalen Bildern zu erklären (vgl. auch REHKÄMPER 2002: 16). Aristoteles folgt seinem Lehrer Platon jedoch in der Sichtweise, dass mentale Bilder als ›Phantasmata‹ zu verstehen seien. Er bezieht sich insofern auf Demokrit, als sich im (jedoch nicht am) Auge Spiegelbilder von Gegen- ständen abbilden. Die Ursache von inneren Bildern sieht Aristoteles also nicht in den Ideen, sondern in den Sinneseindrücken der Eigenschaften von Ge- genständen der äußeren Realität: Einerseits seien »für die denkfähige Seele [...] Vorstellungsbilder wie Wahrnehmungsinhalte«, andererseits »erkennt die Seele vernünftig nie ohne Vorstellungsbilder« (ARISTOTELES 1995: 179, 181 (431a); 195, 197 (433b8)). Hierin wird der zweifache Charakter der aristoteli- schen Auffassung von mentalen Bildern deutlich: Auf der einen Seite sind sie Bestandteil des Gedächtnisses, nämlich dann, wenn sie sich bspw. auf ein früher gesehenes Gebäude (z.B. die eigene Schule) beziehen. Diese mentale Reproduktion weist dann eine Ähnlichkeit mit unserer real existierenden Schule auf. Mit diesem Verständnis gilt Aristoteles als Vorläufer der Ähnlich- keitsansätze (vgl. Abschnitt 3). Auf der anderen Seite können mentale Bilder auch durch pure Einbildung entstehen, bspw. wenn wir über ›eine Schule‹ (aber nicht unsere) nachdenken. Auch dann sind mentale Bilder folglich Be- standteil des Denkens bzw. der Vorstellung. Huber spricht diesbezüglich von einem »Doppelcharakter des Selbstbezüglichen und des Fremdbezüglichen« (HUBER 2004: 170). In jedem Falle beziehen sich Phantasmata, wie bei Platon, gleichzeitig auch auf sprachliche Begriffe (›Schule‹). Nach Aristoteles sind sie darüber hinaus ein nicht immer verfügbares und häufig negativ konnotiertes, da ›falsches‹ – also nicht (wie Wissenschaft oder Vernunft) mit der Realität vollständig übereinstimmendes, sondern subjektiv verändertes – Prinzip in der Vorstellung (vgl. ARISTOTELES 1995: 157ff. (428a); kritisch SORABJI 2006: 82ff.; WELSCH 1987: 195f.). Während bei Platon die Vorstellung die Schnittstelle zwischen Außenwelt und Verstand ist, ist sie bei Aristoteles die Schnittstelle zwischen Wahrnehmung und Denken (vgl. auch HUBER 2004: 167ff.). In der antiken Philosophie wurden mentale Bilder als interne, vor- nehmlich visuelle Repräsentationen externer Gegebenheiten verstanden. Dies lag vor allem daran, dass der Sehsinn in der antiken Philosophie den höchs- ten Stellenwert gegenüber anderen Sinnen innehatte. Abbildansätze der Anti- ke vermochten erstmals die äußere Welt mit den internen Vorgängen eines Beobachters zu ›verbinden‹, jedoch zeigen sich unterschiedliche Probleme: Atomisten bspw. können nicht erklären, wie das Aussenden funktioniert, wie weit ausgesendete Bilder reichen, warum sie als Materie beim ›Umherfliegen‹ nicht permanent miteinander kollidieren, wie die ideale Größe für das Auge bei unterschiedlichen Beobachtern erreicht wird oder wie Eindrücke von Per- spektiven der Gegenstände entstehen (vgl. zur Kritik auch REHKÄMPER 2002: 16; RORTY 2012). Auch der Standpunkt Platons hat seine offensichtlichen Schwächen: Woher stammen die Ideen und warum stehen sie in kausalem Zusammenhang zu einer realen Welt? Warum existiert diese (und warum existieren wir), wenn nur Ideen das einzig Wahrhafte sind? Warum benötigen IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 12 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation wir überhaupt einen Sehsinn? Durch die aristotelische Ablehnung des Ideen- verständnisses verloren diese Fragen bereits frühzeitig an Brisanz. Platon und Aristoteles können mit ihrer triadischen Gliederung der an mentalen Bildern beteiligten Prozesse in Wahrnehmung (›aisthesis‹), Vorstellung (›phantasia‹) und Denken (›nous‹) als erste »cognitive theorist[s]« (THOMAS 2003: 1147) gel- ten, deren Auffassungen spätere philosophische Strömungen wie den Ratio- nalismus und den Empirismus befruchteten. 2.2 Rationalismus Als ›Vater‹ der modernen Philosophie und berühmter Vertreter des Rationa- lismus gilt René Descartes (1596-1650). Dieser beschäftigte sich in seinem Werk Tractatus De homine (1692/1662) als erster im Zusammenhang mit dem cartesianischen bzw. ontologischen Dualismus – also der Unterscheidung von physisch-materiellen (lat.: ›res extensa‹ – ›ausgedehnter Gegenstand‹) und mental-immateriellen bzw. geistigen (lat.: ›res cogitans‹ – ›gedachter Gegen- stand‹) Entitäten – ausführlich mit den Vorgängen der visuellen Wahrneh- mung aus medizinphilosophischer Perspektive (DESCARTES 1692: 102ff.). Die folgende Abbildung zeigt die schematische Darstellung dieses mechanisti- schen Prozesses, wie ihn sich Descartes vorstellte. Abb. 1: Der Vorgang der visuellen Wahrnehmung nach Descartes (1662) Quelle: DESCARTES 1692: 104, 106, 112. Digitalkopie von THOMAS 2010: Abb. 2.3.1_1 Leichte Bearbeitung (Fleckentfernung) Das optische, auf der Retina umgekehrte Bild des Pfeils wird nach Descartes durch die Nerven zu einem neuen, isomorphen, jedoch aufrechten Bild repro- duziert und auf der Oberfläche der Zirbeldrüse, die sich im Gehirn befindet, durch die Strömungen des sog. ›Tiergeistes‹ (wird heute als Zerebrospinal- flüssigkeit verstanden, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt) als Vor- stellung (lat.: ›cogitatio‹) abgebildet. Das neurophysiologische Resultat ist ein bewusstes, piktorielles Konstrukt, welches anschließend von und durch die Zirbeldrüse in den Geist bzw. das Gehirn als Repräsentation transportiert wird. Ungeklärt bleibt jedoch, wie dieser Übergang abläuft – dieser wird von IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 13 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Descartes (1692: 106ff.) als nicht beschreibbarer, naturgegebener Ablauf fest- gelegt (vgl. auch ALANEN 2003: 120; THOMAS 2010: Abschnitt 2.3.1, Abs. 2f.). Im Geist wiederum bildet sich durch das Wahrgenommene eine Idee (lat.: ›idea‹) ab, die Descartes in seinem Werk Meditationen (1641) definiert als »diejenige Form jeglichen Denkens, durch dessen unmittelbare Erfassung ich mir eben dieses Denkens bewusst bin« (DESCARTES 2009: 169 (160, 14)). Bei Descartes‘ Verständnis von mentalen Bildern ist daher zwischen retinalem Abbild und geistiger Idee zu unterscheiden: Denn tatsächlich nenne ich diese Bilder [...] nicht Ideen, als sie in der körperlichen Phan- tasie, das heißt in irgendeinem Teil des Gehirns, abgemalt sind, sondern ich nenne sie nur insofern Ideen, als sie den in jenem Teil des Gehirns enthaltenen Geist selbst infor- mieren. (DESCARTES 2009: 169 (160, 14)) Mentale Bilder sind also eine Art ›kopierte Wahrnehmung‹. Entsprechend dem rationalistischen Grundgedanken bildet die sensorische Wahrnehmung zwar die Grundlage für innere Bilder – ihre eigentliche ›Gestalt‹ jedoch neh- men sie durch das Denken selbst an. Denken wir bspw. an einen Apfel (und sehen diesen nicht im gleichen Moment), dann haben wir ein Bild vor unse- rem ›geistigen Auge‹ – den Apfel, den wir mental ›sehen‹, nennt Descartes die Idee bzw. Vorstellung eines Apfels. Wir sind also in der Lage, auch ohne un- sere Sinne in unserer Vorstellung ein mentales Bild des Apfels zu produzie- ren. Dieses Prinzip kann jedoch nicht kausal auf einen externen Apfel rückbe- zogen werden, da sich das mentale und damit immaterielle bzw. nonsensorische Bild nicht zwingend auf einen bestimmten, realen Apfel be- ziehen muss. Es handelt sich demnach um eine nicht kopierbare Erfahrung eines (i.d.R. beliebigen) Apfels, welche gleichartige Strukturen eines materiel- len Bildes (z.B. einer Fotografie des Apfels, die selbst Träger des bestimmten, bildexternen Inhalts ›Apfel‹ ist) aufweist. Hierin zeigt sich, dass Descartes deutliche Parallelen zwischen Wahrnehmung und mentaler Vorstellung sah – neben den Geist-Körper-Relationen einer der zentralen Diskussionspunkte in der Philosophie des Geistes. Ideen bleiben also, trotz interner ›Bearbeitung‹, bildhafte Charakteristika des Repräsentierten insofern erhalten, als dass das Repräsentierte ›in‹ ihnen als eine Kombination bildhafter Eigenschaften re- präsentiert ist. Ideenhafte mentale Bilder sind keine Bilder an sich, sondern sie sind wie Bilder, also Quasi-Bilder (vgl. auch ausführlich KEMMERLING 1997: 182ff.; kritisch GOUDRIAAN 1999: 207ff.). Mit dieser explizit formulierten Auffas- sung gilt Descartes als Vorläufer eines Ähnlichkeitsansatzes, der von zahlrei- chen Philosophen später aufgegriffen wurde (vgl. hierzu Abschnitt 3). Auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) ging in Meditations on Knowledge, Truth, and Ideas (1684, z.B. in LEIBNIZ 1976: 291ff.) mit der Identi- tätslogik von einer mentalen Kopie visueller Eindrücke äußerer Gegebenhei- ten aus. Die Identitätslogik geht im auf das Leib-Seele-Problem übertragenen Sinne davon aus, dass mentale Bilder durch Hirnaktivitäten hervorgerufen werden und mit diesen gleichzusetzen sind. Daraus folgt, dass die Hirnaktivi- täten auch die gleichen Merkmale wie mentale Bilder haben müssten. Es ist aber offensichtlich, dass Neuronen nicht orange und rund sind, wenn wir uns IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 14 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation eine Orange vorstellen. Die Identitätslogik sollte später als Argument gegen bildliche Vorstellungen verwendet werden (vgl. auch GOTTSCHLING 2003: 44f.). Gleichzeitig lässt sich aber auch schlussfolgern, dass mentale Zustände eben nicht wie neuronale Zustände sind, sondern vielmehr ein Ergebnis derselben – es handelt sich also schlicht um unterschiedliche Ebenen mentaler Reprä- sentation: »Bildhafte Vorstellungen werden nicht mit Hirnaktivitäten gleichge- setzt, sondern sind in diesen realisiert oder implementiert« (GOTTSCHLING 2003: 44f.). Dennoch leistete Leibniz‘ Gedankengang einen wesentlichen Bei- trag zur modernen philosophischen Debatte, denn dem Leib-Seele-Problem wurde später häufig mit einem funktionalistischen Grundverständnis entge- gengetreten (vgl. Abschnitt 5). 2.3 Empirismus Der Abbildansatz wurde in abgeschwächter Form auch im englischen Empi- rismus vertreten. Dessen berühmter Vorläufer Thomas Hobbes (1588-1679) war ein entschiedener Kritiker von Descartes‘ Lehren (Cartesianismus), vor allem hinsichtlich der Bedeutung sensorischer Empfindungen. Hobbes be- schäftigte sich, zunächst in einer Diskussion mit Descartes im dritten Einwand zu dessen Meditationen, mit dem Prinzip der Vorstellung sowie deren Bezie- hung zu Ideen und mentalen Bildern. Ideen verstand Hobbes als Erfahrungs- prozesse, deren Ergebnis auch anschauliche Vorstellungen materieller Dinge – mentale Bilder also – sind (vgl. Hobbes in DESCARTES 2009: 188 (179-180)), die ihrerseits vor allem auf Wahrnehmungen basieren. Mentale Bilder seien also nichts anderes als verblasste Wahrnehmungen. Hobbes formulierte mit dieser Auffassung das erste moderne, sensualistische Prinzip. Mentale Bilder interpretierte er als in der Vorstellung vorhandene und daher fiktionale Wahr- nehmungsbilder ohne materielle Existenz im Sinne des oben bereits be- schriebenen Phantasmas: »[D]ie Wahrnehmungsbilder (phantasmata), die wir haben, wenn wir wachen und sinnlich wahrnehmen [, sind] keine Akzidenzi- en, die den äußeren Objekten anhaften« (Hobbes in DESCARTES 2009: 179 (171, 4)). Mit dieser Auffassung distanziert er sich ausdrücklich von den antiken philosophischen Standpunkten, die noch von einer kopienartigen inneren Abbildung äußerer Entitäten ausgingen. Gleichzeitig bejaht er deren mecha- nistisches Verständnis des Wahrnehmungsprozesses und bezieht sich auf den bereits von Descartes postulierten Dualismus aus Wahrnehmung und Denken bei der Entstehung von mentalen Bildern. Dem Denken misst er, wie auch andere Empiristen, eine untergeordnete Rolle bei und interpretiert dieses vielmehr als Erinnern vorheriger Wahrnehmungen. Damit ordnet Hobbes die mentale Vorstellung der tatsächlichen Wahrnehmung unter. Nehmen wir zur Erläuterung wieder das obige Beispiel des Apfels: Den Vorgang seiner Wahr- nehmung und die mentale Abbildung interpretiert Hobbes als Idee. Hieraus wiederum wird durch das Subjekt selbst ein immaterielles, mentales Bild des Apfels in der Vorstellung geschaffen. Dass es sich dabei um einen Apfel han- delt, wissen wir jedoch erst dadurch, dass wir diesem Bild eine Bedeutung IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 15 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation mit dem Wort ›Apfel‹ zuweisen. Dieses Wort ist nach Hobbes die Basis, sich den ›mentalen Apfel‹ bewusst zu machen. Innere Bilder fußen also vor allem auf sprachlichen Symbolmustern; Hobbes dürfte der erste Philosoph sein, der Wörtern ein solches Gewicht bei mentalen Repräsentationen einräumte. Er gilt damit als philosophischer Wegbereiter des späteren psychologisch moti- vierten Deskriptionalismus bzw. jenem Piktorialismus, der Sprache als die Basis piktorieller Repräsentationen verstand (vgl. den Überblick bei SCHRÖDER 2001: 28). In seinem wegweisenden Werk Leviathan (1651) griff Hobbes die- sen Standpunkt auf und subsumierte darüber hinaus vorherige philosophi- sche Argumentationen: [N]achdem das Objekt entfernt oder das Auge geschlossen ist, bewahren wir immer noch ein Abbild des Gesehenen, wenn auch ungenauer, als während wir es sehen. Und das nennen die Römer Imagination, nach dem Abbild (imago), das beim Sehen erzeugt wird […]. Aber die Griechen nennen es Einbildung, was an Erscheinung denken läßt […]. Vorstellung ist also nichts als schwächer werdende Empfindung; und man findet sie […] sowohl im Schlaf wie im Wachen. (HOBBES 1996: 12 (Teil 1, Kap. II)) John Locke (1632-1704) gilt als der eigentliche Begründer des (englischen) Empirismus und vertrat neben Descartes im Gegensatz zu Hobbes den Standpunkt, dass mentale Bilder nicht fiktionaler Natur seien. Dies begründet er insbesondere damit, dass das Mentale bei der Geburt, wie dies auch Aris- toteles schon annahm, einer ›tabula rasa‹ entspreche und nur durch die Erfah- rung Ideen in das Bewusstsein gelangen, woraus wiederum innere Bilder entstehen können. Diese Erfahrung kann auf Wahrnehmung äußerer Sach- verhalte (›sensation‹) oder der Beobachtung innerer Gegebenheiten (›reflection‹) beruhen. In seinem Versuch über den menschlichen Verstand (1690, engl.: Essay concerning human understanding) beschreibt Locke Ideen als »alles, was der Geist in sich selbst wahrnimmt oder was unmittelbares Objekt der Wahrnehmung, des Denkens oder des Verstandes ist« (LOCKE 1981: 146). Ideen entstehen also durch die eigene Erfahrung bzw. (visuelle) Wahr- nehmung und werden bewusst, sobald sie in unserem Denken aktiv sind (vgl. LOCKE 1981: 107f.); hierin folgt er der Auffassung Hobbes‘ und damit auch dessen sensualistischem Standpunkt. Der Übergang von Entitäten der Au- ßenwelt in den Verstand – den Locke als »dunklen Raum« (LOCKE 1981: 185) interpretiert – erfolgt ähnlich dem Wirkprinzip der ›camera obscura‹, wie dies auch schon Descartes annahm (vgl. etwa MITCHELL 1990: 25). Sehen wir also einen Apfel, so wird dessen Bild durch unser Auge in den Verstand projiziert, wo es schließlich bewusst wird und Eingang in das Gedächtnis findet. Die Visualität der mentalen Bilder begreift Locke wie Hobbes als flüchtig, über die verbale Komponente äußert er sich hingegen nicht: »Die in unserm Geist eingezeichneten Bilder sind mit vergänglichen Farben aufgetragen; sie erlö- schen und verschwinden, wenn sie nicht dann und wann wieder aufgefrischt werden« (LOCKE 1981: 170). Locke unterschied darüber hinaus zwischen primären und sekundären Qualitäten von Objekten (vgl. LOCKE 1981: 147ff.). Eine Qualität sei nach ihm »die Kraft, eine Idee in unserm Geist zu erzeugen« (LOCKE 1981: 146). Bei erst- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 16 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation genannten handelt es sich um diejenigen Eigenschaften eines Körpers, die untrennbar mit ihm verbunden, also unabhängig von einer subjektiven Wahrnehmung sind (z.B. Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung, Zahl). Letztgenannte hingegen sind jene Eigenschaften des Körpers, die mit den Sinnen subjektiv wahrgenommen werden (z.B. Geschmack, Farben, Töne). Da diese aus den primären Qualitäten erwachsen, werden sie als sekundäre Qua- litäten bezeichnet (vgl. zu deren Wahrnehmung auch DENNETT 1986: 141ff.; überblickshaft KEMMERLING 2008; KIENZLE 2008). Beide Qualitäten hinterlassen in uns mentale Bilder oder ›Ideen im Geiste‹, wie Locke sie nannte. Dies sind keine kopienartige Konstrukte der realen Körper als Resultat von Wahrneh- mungsprozessen, die gespeichert sind und abgerufen werden können, son- dern unterliegen einer internen Modifikation: [W]ir dürfen nicht etwa denken (wie es vielleicht meist geschieht), sie seien die genauen Abbilder und Ebenbilder von etwas dem Gegenstand Inhärierenden; haben doch die meisten der durch Sensation gewonnenen Ideen im Geiste nicht mehr Ähnlichkeit mit etwas außer uns Existierendem als die Namen, die für sie stehen. (LOCKE 1981: 146) George Berkeley (1685-1753) interpretierte mentale Bilder in seinem Werk Eine Abhandlung über Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (1710, engl.: A Treatise Concerning The Principles of Human Knowledge) ebenfalls als Ideen bzw. wahrnehmbare, in ihrem Gehalt nicht abstrahierbare Bilder mit visuel- lem Charakter, die im Geist (›spirit‹) existieren und vom Verstand (›under- standing‹) wahrgenommen werden: [Ich frage], ob die postulierten Urbilder oder externen Dinge, deren Abbilder oder Re- präsentationen unsere Ideen sein sollen, selbst wahrnehmbar sind oder nicht. Sind sie es, so sind sie Ideen […]. Sagt ihr aber, sie sind es nicht, so bitte ich jedermann zu prü- fen, ob mit Sinn behauptet werden kann, eine Farbe sei etwas Unsichtbarem ähnlich. (BERKELEY 2004: 29, § 8; vgl. auch Einführung, §12) Hier reflektiert Berkeley auf die Möglichkeit, mentale Bilder zu ›sehen‹. Er er- läutert jedoch nicht, wie dies funktionieren könnte – möglicherweise, weil sich hierfür keine für ihn nachzuvollziehende Erklärung bietet. Dies führt dazu, dass er die mentale Vorstellung mit dem Prozess der sensorischen Wahr- nehmung vergleicht. Nach Berkeley unterscheiden sich die Prozesse vor al- lem durch den Einfluss des eigenen Willens (›will‹), also der Fähigkeit, Ideen zu bilden (vgl. BERKELEY 2004: 38, § 27). Wenn ich mir einen Apfel vorstelle – also ein inneres Bild des Apfels produziere – dann setzt dies meinen Willen zu dieser Vorstellung voraus. Ich kann jedoch nicht verhindern, einen Apfel zu sehen, wenn ich ihn mit meinen eigenen Augen fixiere. Mentale Bilder unter- liegen nach Berkeley damit einer direkten Einflussnahme des eigenen Wil- lens, die Wahrnehmung nicht. Fellmann (1995a: 24ff.) spricht daher auch von einem intellektualistischen Repräsentationsansatz. Gleichzeitig verneinte Ber- keley den Materialismus, nach dem sich die mentalen Bilder auf manifest existierende, materielle Objekte der Realität beziehen. Vielmehr unterstellte der irische Bischof, dass nicht etwa reale Dinge die Ursache für mentale Bil- der seien, sondern vielmehr Gott die Eindrücke im Geist hinterlasse (BERKELEY 2004: 39f., §30; auch PEACOCKE 1985; TIPTON 1987). Mit dieser spiritualistischen IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 17 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Auffassung gilt er als scharfer Kritiker Lockes und der anderen Empiristen, die die Außenwelt als materialistisch annahmen. In diesem Punkt kreiert Berkeley also eine isolierte Lehre innerhalb des Empirismus, stimmt jedoch dahinge- hend mit ihm überein, dass auch er davon ausgeht, dass die Inhalte der Vor- stellung auf der Wahrnehmung basieren (›esse est percipi‹). Beleuchten wir das Apfel-Beispiel im Sinne Berkeleys, so müssen wir annehmen, dass der Apfel real nicht existiert. Für unsere (bildhafte) Vorstellung eines Apfels ist Gott verantwortlich, der gewissermaßen diese Vorstellung in unseren Geist ›zeichnet‹. Diese Ansicht teilte David Hume (1711-1776) nicht. Er verstand menta- le Bilder in seinem Werk Ein Traktat über die menschliche Natur (1740, engl.: A Treatise of Human Nature) wie Berkeley als Ideen (›ideas‹), die durch äuße- re Eindrücke (›impressions‹) bzw. innere Vorstellungen (›imaginations‹) her- vorgerufen werden. Diese können untereinander instinktiv-assoziativ ver- knüpft werden und so zu Erkenntnis führen. Vorstellungen selbst begriff er als »die schwachen Abbilder [...] wie sie in unser Denken und Urteilen eingehen« (HUME 2013: 10). Ideen sind damit der Ausgangspunkt aller Erkenntnis und die Basis aller geistigen Mechanismen. Hume spricht vor allem mit Bezug auf den Sehsinn ausdrücklich von »Abbilder[n] unserer Eindrücke« (HUME 2013: 17) bzw. von »treuen Abbilder[n] früherer Perzeptionen« (HUME 2013: 324; vgl. überblickshaft etwa CROOKS 2000; FLEW 1953; SCHAFER 2015). Sein abbildhaftes Verständnis von mentalen Bildern reiht sich demnach in jenes von Berkeley und Locke ein. Er geht ferner davon aus, dass Eindrücke äußerer Gegebenhei- ten mit den Sinnen unmittelbar wahrgenommen werden und anschließend zu bestimmten Empfindungen, den mentalen Bildern, führen: »Von diesem Ein- druck erzeugt der Geist ein Abbild, welches bleibt, nachdem der Eindruck aufgehört hat; dies Abbild nennen wir eine Vorstellung« (HUME 2013: 18). Se- hen wir also einen Apfel, so bleibt dieser Eindruck als kopienhafte Reproduk- tion auch bei Abwesenheit des eigentlichen, realen Apfels erhalten. In unserer Vorstellung können wir den Apfel dann wieder aus dem Gedächtnis ›abrufen‹ – mit zunehmender Zeit jedoch möglicherweise weniger detailliert. Möglich ist nach Hume auch, dass der visuelle Eindruck bspw. durch den Geruch des Apfels ergänzt wird und so das mentale Bild an Komplexität gewinnt, indem es neben dem visuellen auch andere Sinneseindrücke berücksichtigt. Mentale Bilder als ›Bilder im Kopf‹ wurden thematisiert, seit Menschen über den Geist, dessen Inhalte und deren Verhältnis zur äußeren Welt nach- denken. Es lässt sich erkennen, dass die antiken Auffassungen rationalistische und empiristische Standpunkte befruchteten. Die antike triadische Untertei- lung in Wahrnehmung, Vorstellung und Denken als beteiligte Prozesse bei der Bildung und Manifestation von mentalen Bildern wurde im Rationalismus und Empirismus durch die Diskussion um die Unterschiede von Eindrücken, Vorstellungen und Ideen abgelöst. Das Verständnis gespiegelter Abbilder im Geist wurde jedoch bald revidiert, da die Bedeutung des Individuums bei der Formung seiner eigenen geistigen Inhalte erkannt wurde. Psychologische Abhandlungen zu inneren Bilder aus dieser Zeit sind bis dato nicht bekannt. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 18 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Alsbald ging man jedoch in der Philosophie davon aus, dass mentale Bilder ihrem Original nicht gleich, sondern vielmehr ähnlich seien und die Bedeu- tung der Sprache nicht zu vernachlässigen ist. Dies sollte in späteren, psycho- logisch motivierten Arbeiten eine bedeutende Rolle spielen; an gegebener Stelle wird darauf verwiesen. 3. Ähnlichkeits- und Schemaansätze In diesem Abschnitt werden jene philosophischen Standpunkte vorgestellt, die mentale Bilder als eine Wissensform verstehen, denen der Begriff der Analogie zugrunde liegt, welcher auf einer untergeordneten Ebene in Bezug auf das Abbild angesiedelt ist. Sie basieren auf der Annahme, dass wesentli- che (aber nicht alle!) Merkmale beider Entitäten übereinstimmen und diese sowohl optisch, als auch mental wahrnehmbar sind, um die Relation zwi- schen inneren und äußeren Sachverhalten feststellen zu können. Hierfür ist ein Vergleich notwendig, der auf Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeit basiert. Überwiegen die Gemeinsamkeiten, spricht man von Analogie bzw. Ähnlichkeit, wie auch Rehkämper (1987: 302) festhält: »Eine analoge Reprä- sentation ist dem Original [...] ähnlich; so korrespondieren Teile des Bildes […] zu den entsprechenden Teilen des Originals« (vgl. ausführlich zum Ähnlichkeitsbegriff auch GOODMAN 1970; 1995; LOPES 1996; REHKÄMPER 2002: insbes. Kap. 5; kritisch z.B. MITCHELL 1990: 42ff.; SCHOLZ 2004a: Kap. 2; SLEZAK 1995: 248ff.). Fellmann (2004: 190) spricht auch insofern von Ähnlichkeit, als ein (mentales) Bild eine Ansicht liefern kann, die es mit einem Objekt gemein hat – damit ist die Repräsentation diesem Objekt aber eben nur in dieser Hin- sicht ähnlich. Mentale und reale Abbildungen unterscheiden sich bereits grundlegend in ihrer Beschaffenheit (immateriell vs. materiell), sie können also per se nicht identisch sein. Dennoch bilden mentale Bilder in einer Form ab, die darstellt, ›wie‹ das repräsentierte Objekt im Wesentlichen ›ist‹. Sie ist ihm also ähnlich bzw. erfüllt die Anforderungen an eine schematische innere Abbildung. Wir werden unten an einem Beispiel sehen, wie die Begriffe der Ähnlichkeit und des Schemas voneinander abzugrenzen sind. Insbesondere Jean-Paul Sartre (1905-1980), zu großen Teilen motiviert von Edmund Husserls (1859-1938) Phänomenologie, forcierte die Bedeutung des analogistischen Standpunkts. In seinem Werk Das Imaginäre von 1940 (franz.: L‘imaginaire; engl. erstmals 1948, deutsch erstmals 1971) geht er zu- nächst von der Vorstellung aus, die er versteht als »einen Akt, der in seiner Körperlichkeit ein abwesendes oder nichtexistierendes Objekt anvisiert, durch einen physischen oder psychischen Inhalt hindurch, der sich nicht als solcher, sondern als ›analoger Repräsentant‹ des anvisierten Objekts gibt« (SARTRE 1971: 110). Die Vorstellung besteht nach Sartre aus mentalen Bildern (franz.: ›images mentales‹), die als Repräsentation von etwas Realem nicht materiell IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 19 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation im Geist vorhanden sind, denn sie sind nicht wie bspw. Fotografien oder Ma- lereien (franz.: ›images physiques‹) sichtbar, da sie (räumlich) nicht verortet (und damit bspw. auch nicht zerstört) werden können – vielmehr existieren sie als ›Analogon‹ in der Vorstellung, die ihrerseits als eine innere Erfahrung interpretiert werden kann (vgl. SARTRE 1971: 111). Während bei physischen Bildern ein wahrgenommenes Objekt als Analogon auftritt und dieses für die Darstellung von etwas Abwesendem sorgt, setzen »psychische ›Inhalt[e]‹ der Vorstellung« (SARTRE 1971: 111) nach Sartre keine wahrnehmbaren, externen Entitäten voraus; sie beziehen sich jedoch stets auf etwas, z.B. auf Wissen, das einem intentionalen Bewusstsein bzw. dem Denken unterliegt. Damit werden (sensorische) Wahrnehmungen intern stets modifiziert, ein Abbild sei daher unmöglich. Von einem mentalen Bild ist auch nichts erlernbar, was nicht sowieso schon Teil des Wissens wäre. Diese mentale Entität bezeichnet Sartre daher als »Transzendenz des Repräsentierenden« (SARTRE 1971: 111, Herv. im Original). Die notwendigen visuellen, aber auch sprachlichen und relationalen Informationen müssen zuvor – ähnlich den Auffassungen engli- scher Empiristen (vgl. Abschnitt 2) – Eingang in den Geist gefunden haben (es sei denn, es handelt sich um angeborene ›Ideen‹), um eine ›Quasi- Beobachtung‹ eines mentalen Bildes zu ermöglichen. Mentalen und physi- schen Bildern gemein ist nach der Auffassung von Sartre, dass diese sich im Moment der ›Betrachtung‹ i.d.R. auf ein nicht vorhandenes bzw. nicht existie- rendes Gebilde beziehen (vgl. auch BLOSSER 1986; SMITH 1977). Ziehen wir zur Erläuterung noch einmal das Apfel-Beispiel heran: Nehmen wir einen Apfel wahr, so gelangen – so stellten es auch zuvor Hume und später ausführlich Armstrong fest (vgl. Abschnitt 2 bzw. 5) – Informationen über Form, Farbe, Geruch, Geschmack etc. des Apfels in unseren Geist und manifestieren sich als mentale, analoge Repräsentation des realen Apfels. Wir wissen, dass es ein Apfel ist, weil wir aus unserem Gedächtnis typische Merkmale eines Ap- fels und dessen Bezeichnung abrufen und diese mit dem Wahrgenommenen abgleichen. Würden wir über diese Informationen nicht verfügen, so käme es zu einem Lernprozess. Um sich des Analogons eines Apfels bewusst zu wer- den, ist der reale Apfel jedoch nicht zwingend notwendig – wir können auch auf bisheriges Wissen über Äpfel zurückgreifen, um uns ein ›Apfel-Analogon‹ vorzustellen. Die Fotografie eines Apfels zeigt ihn in einer bestimmten Form und mit einer bestimmten Farbe. Das mentale Bild eines Apfels kann sich mit den wesentlichen Merkmalen des fotografierten Apfels decken. In diesem Falle handelt es sich um ein Analogon, welches gleichzeitig auch als Prototyp für alle Äpfel stehen kann. Der ›mentale Apfel‹ übernimmt also die Funktion, einen (oder mehrere) reale Äpfel äquivalent zu repräsentieren. Der mentale Apfel ist einem realen Apfel im Wesentlichen gleich, im Speziellen jedoch nicht zwingend. Deckt sich das mentale Bild des Apfels nicht mit dem fotogra- fierten Apfel, handelt es sich nicht um eine Repräsentation, die auf Ähnlich- keit beruht. Stephen Palmer (1978: 262ff.) nahm in Fundamental Aspects of Cognitive Representation ein organisatorisches Prinzip bestehend aus reprä- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 20 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation sentierender (externer) und repräsentierter (interner) Welt sowie deren Rela- tion an, die durch die partielle Reflektion von Objekten bzw. Sachverhalten gekennzeichnet ist. Um diese Repräsentation zu charakterisieren, müssen fünf Dinge spezifiziert werden: (1) was die repräsentierte Welt ist, (2) was die re- präsentierende Welt ist, (3) welche Aspekte der repräsentierten Welt model- liert werden, (4) welche Aspekte der repräsentierenden Welt diese Modellie- rung begünstigen und (5) welche Übereinstimmungen zwischen den Welten existieren. Weiterhin ging er von zwei Möglichkeiten der Repräsentation aus: Bei der intrinsischen Art weisen beide Welten analoge Strukturen (vornehm- lich piktorieller Natur) zueinander auf und sind selbst Teil des Gedächtnisses. Dies ist bei extrinsischen Repräsentationen nicht der Fall, sondern die not- wendige Struktur muss expliziert werden, damit eine Repräsentation (vor- nehmlich propositionaler bzw. logischer Natur) durch Relation ermöglicht wird (vgl. PALMER 1978: 270f.). Wenn ich bspw. an meinen Vater denke, so weiß ich (intrinsisch) ohne weitere Informationen auf der Basis meiner bildli- chen Vorstellung, wie er aussieht, ohne es konkret beschreiben zu müssen. Lässt sich jedoch nicht ohne Probleme eine bildliche Vorstellung abrufen, dann bin ich auf Informationen angewiesen, die außerhalb meiner Kognitio- nen sind (extrinsisch). Dies kann z.B. bei abstrakten Begriffen wie ›Regierung‹, ›Treue‹ oder ›Freundschaft‹ der Fall sein. Klaus Rehkämper (kurz bereits 1990: 52ff., ausführlich: 1995a) unterzog Analoge Repräsentationen einer ausführlichen begrifflichen Analyse und stellte ähnlich wie Palmer fest, dass sich der Terminus ›Analogie‹ einerseits »auf die Art und Weise der Repräsentation [...], andererseits [...] [auf] das Verhältnis zwischen Original und Darstellung [bezieht]« (REHKÄMPER 1995a: 63). Er definiert eine analoge Repräsentation als »das Ergebnis einer struktur- erhaltenden Abbildung, die intrinsisch die inhärenten Eigenschaften der Di- mensionen und Relationen des Originals erhält« (REHKÄMPER 1995a: 63) und mentale Bilder als »eine Form, Wissen auf analoge Art und Weise darzustel- len« (REHKÄMPER 1995a: 105) bzw. versteht er diese als das Ergebnis analoger Repräsentation. Analogie meint also, wie zu Beginn dieses Abschnitts festge- stellt, Ähnlichkeit (Isomorphie) hinsichtlich zentraler Merkmale, aber keine Kopie (Homomorphie). Die Psychologen Shepard und Chipman (1970) postu- lieren, dass externe Stimuli ihren inneren Pendants zwar strukturell nicht gleich sein können (Isomorphie 1. Ordnung als Eins-zu-Eins-Kopie), wohl aber funktional, d.h. die Relationen bzw. Zusammenhänge stimmen überein (Iso- morphie 2. Ordnung; vgl. auch SHEPARD 1975: 88ff.). Grundsätzlich entspre- chen nach Rehkämper mentale Bilder von Gegebenheiten außerhalb unserer Gedankenwelt analogen Repräsentationen, die sich ihrerseits in unterschied- lichen Formen manifestieren können, z.B. als Grafiken, Karten, Wörter, Sätze, usw. Mentale Bilder sind also die Wiedergabe eines Verhältnisses zwischen Abbild und Abgebildetem, die dann analog ist, wenn die Struktur, die Dimen- sionen und die Relationen des Originals gleichwertig erhalten bleiben (vgl. ausführlich auch SCHIRRA 1990: 69f.; REHKÄMPER 2002: Kap. 5). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 21 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Noch differenzierter muss das Ähnlichkeitsproblem betrachtet werden, wenn wir eine oder mehrere Fotografien (z.B. eines Apfels) vor uns haben, diese Fotografien also Repräsentationen (eines realen Apfels) sind. In diesem Falle ist zunächst nicht klar, ob die Fotografien den Apfel repräsentieren oder umgekehrt. Möglicherweise repräsentieren sich auch die Fotografien gegen- seitig und der Apfel existiert gar nicht wirklich, oder er wurde möglicherweise gemalt oder am Computer kreiert. Wenn wir durch Fotografien verursachte mentale Bilder untersuchen, ist unklar, in welchem Verhältnis diese über- haupt noch zum realen Objekt stehen bzw. wie ähnlich sie diesem noch sind – letztlich handelt es sich um Repräsentationen von Repräsentationen. Ähnlich- keit basiert auf einer symmetrischen Beziehung (etwa zwischen realem Sach- verhalt und mentaler Repräsentation) und (mentale) Repräsentation ist wie eingangs erwähnt die zwingende Voraussetzung dafür, dass Ähnlichkeit durch Vergleich mit dem ›Original‹ überhaupt erst festgestellt werden kann. Nelson Goodman (1995: 15ff.) ging in Sprachen der Kunst davon aus, dass materielle Bilder (Fotografien, Malereien etc.), die ein Objekt oder eine Person mit einem (hohen) Grad an Ähnlichkeit darstellen, selbige(s) nicht repräsen- tieren, sondern vielmehr eine Interpretation des Urhebers, also eine Nachah- mung (›mimesis‹), darstellen. Gleiches dürfte auch für mentale Bilder gelten, zumal diese dem unmittelbaren Einfluss eines jeden Einzelnen unterliegen und damit per se nur schwer dem Original ähnlich sein können. Goodman gehörte damit zu einem bedeutenden Kritiker des Ähnlichkeitsansatzes (vgl. zum Ähnlichkeitsproblem auch HANFLING 1969: 169ff.; REHKÄMPER 2002: Kap. 5; THOMAS 2010: Punkt 3.3, Abs. 9ff.; WOLLHEIM 1982). Letztlich jedoch muss geprüft werden, wohin eine Diskussion um die Tatsache der Repräsentation überhaupt führt und inwiefern diese Argumenta- tion gerade bei Fotografien, deren (visuelle) Ähnlichkeit mit dem Abgebilde- ten im wahrsten Sinne des Wortes unübersehbar ist, legitimiert werden kann. Eine Argumentation hinsichtlich des Grades der Ähnlichkeit jedoch ist stets angebracht, da möglicherweise nur bestimmte Merkmale des originären Sachverhalts aufgrund zahlreicher Variablen bei Entstehung, Speicherung und Abruf von mentalen Repräsentationen erhalten bleiben. Hochgradig indi- vidualisiert dürfte auch die Frage danach sein, was wesentliche Merkmale der Repräsentation bzw. des Repräsentierten sind – denn hierauf baut jegliche Argumentation um Ähnlichkeit auf. 3.1 Schemaansätze Werden mentale Repräsentationen als im Vergleich zum Original reduzierte Strukturen verstanden, welche die Komplexität des zu repräsentierenden Sachverhalts abstrahieren, spricht man von einem schematischen Verständ- nis mentaler Bilder. Wie auch bei den Ähnlichkeitsansätzen geht es um die interne Reduktion externer Sachverhalte auf für das Individuum wesentliche Merkmale. Schemaansätze jedoch beziehen sich direkt auf die Begriffe, die den Inhalt der Repräsentation beschreiben und dabei mehrere bildhafte Inhal- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 22 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation te in sich vereinen; Ähnlichkeitsansätze hingegen argumentieren auf bildhaf- ter Ebene. Bei einem schematischen Verständnis schwingt daher stets auch der Terminus ›Prototyp‹ mit, der bestimmte, typische Interpretationen des bezeichneten Referenzobjekts nahelegt. Mentale Bilder bzw. (visualisiertes) Wissen fasste bereits der arabische Philosoph Ibn Rushd (auch: Averroes, 1126-1198) als Schemata auf. Er formu- lierte das Prinzip der ›vis cogitativa‹, ein mentales ›Instrument‹, welches die Details eines Objekts in der Vorstellung verschwinden lässt und so zu dessen Typisierung führt. Huber spricht in diesem Zusammenhang von Schemata als »ein Wissen des Besonderen, aber noch nicht des Allgemeinen« (HUBER 2004: 177). Das Besondere bezieht sich dabei auf den einen Gegenstand ohne spezi- fische Merkmale in der Vorstellung (z.B. ein Stuhl mit vier Beinen, dessen Farbe, Holzart etc. mental unbeachtet bleibt), durch dessen Bewusstsein noch nicht auf das Allgemeine (z.B. die Gruppe der Stühle, zu denen auch dreibei- nige gehören) geschlossen werden kann. Immanuel Kant (1724-1804) knüpfte an der Argumentation der unmit- telbaren Wahrnehmung an und formulierte in seiner Schrift Kritik der reinen Vernunft (1781), dass ein mentales Bild als Schema zu einem bestimmten Begriff bzw. als eine »Vorstellung [...] von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen« (KANT 1868: 171), verstanden werden kann. Mit der ›Einbildungskraft‹ ist die Fähigkeit gemeint, ein Objekt auch ohne dessen Anwesenheit mental (mitunter ohne spezifische Merkmale) darzustellen und so eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen. Er unterscheidet hierbei dualistisch zwischen produktiver und reproduktiver Einbildungskraft. Erstgenannte verknüpft (vorhandene) mentale Inhalte un- tereinander mit Hilfe von Begriffen des Verstands und auf Basis der eigenen Phantasie, letztgenannte führt nach empirisch-psychologischen Gesetzen gemäß dem Prinzip der Assoziation zu wahrgenommenen Vorstellungsbil- dern bestimmter Gegebenheiten der Realität (vgl. auch FELLMANN 1995b: 268; HUBER 2004: 186ff.; SACHS-HOMBACH/SCHÜRMANN 2005: 112). Kant führt zur Er- klärung des Schemas das Beispiel eines ›Triangels‹ an. Dessen Begriff könne ein Bild nicht angemessen repräsentieren, da es die Allgemeinheit des Be- griffs unterläuft. So wäre ein mentales Bild von einem Dreieck bspw. eines von einem rechtwinkligen und schlösse damit schiefwinklige aus – ein Sche- ma hingegen schließt alle Ausprägungen des Dreiecks ein, ohne sich auf ein konkretes zu beziehen. Kant führt an, dass das Bild [...] ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft [ist], das Schema sinnlicher Begriffe [...] ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich wer- den, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeich- nen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren. Dage- gen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs [...] nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form (der Zeit), in Ansehung aller Vorstel- lungen, betrifft, so fern diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Be- griff zusammenhängen sollten. (KANT 1868: 171f., Herv. im Original) IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 23 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Mit der Bedeutungsbeimessung der Sprache bei der Konstitution von inneren Bildern orientiert sich Kant an den Argumentationen von Hobbes. Nach Kant sind mentale Bilder also Schemata von bedeutungsgeladenen Begriffen, wel- che wiederum die Basis für die mentale Verknüpfung diverser Inhalte (z.B. Dreiecksformen) mit Hilfe der produktiven Einbildungskraft sind. Ein Schema selbst ist dabei die Grundlage für die Entstehung einer bildhaften Repräsenta- tion, die auf reproduktiver Einbildungskraft beruhen kann. Mentale Bilder als schematische (aber auch analoge) Konstrukte zu verstehen macht gerade deshalb Sinn, weil im Wahrnehmungs- bzw. Infor- mationsverarbeitungsprozess nur bestimmte, vorselektierte Informationen zur Verfügung gestellt werden, um ein mentales Bild zu kreieren – schon deswegen, weil wir nicht die gesamte Komplexität der Welt wahrnehmen, geschweige denn verarbeiten können. Es gilt gemäß der Vertreter von Ähnlichkeits- bzw. Schemaansätzen als wahrscheinlich, dass mentale Bilder piktoriell bzw. bildhaft sind und ein verbales Format als Grundlage oder Er- gänzung dient. Denkbar ist aber auch, dass (mentale) Bilder ergänzend zur (mentalen) Sprache (bei einer mentalen Repräsentation) hinzugezogen wer- den und bildhafte Informationen verbalen nachgeordnet sind. Bei diesen An- nahmen handelt es sich um sprachbasierte Ansätze zu mentalen Bildern. 4. Sprachbasierte Ansätze Nachdem bereits Hobbes und Kant auf die Bedeutung der Sprache bei menta- len Bildern aufmerksam gemacht hatten, thematisierte erst Gottlob Frege (1848-1925) mehr als 100 Jahre später in Grundlagen der Arithmetik (1884) erneut die übergeordnete Bedeutung verbaler Komponenten im Vergleich zu bildhaften. Frege beschäftigte sich u.a. mit dem Verhältnis von Sprache und mathematischen Vorgängen. Da bei deren Verständnis neben der Sprache auch mentale Bilder eine Rolle spielen – z.B. als ›Skizzen‹, lag es nahe, dass beide Formate miteinander in Beziehung stehen müssen. Er ging davon aus, dass »ein Wort keinen Inhalt zu haben [scheint], für welches uns ein entspre- chendes inneres Bild fehlt« (FREGE 1988: 71, § 60). Frege unterstellte weiterhin, dass einzelne Wörter erst in einem gesamten Satz, ihrem ›Kontextgeber‹, eine Bedeutung haben und diese an das mentale Bild weitergeben. Das Wort ›Ap- fel‹ besitzt also erst dann einen Sinn, wenn wir hierzu ein mentales Bild haben und sei es lediglich schematisch repräsentiert. Dieses durch das einzelne Wort hervorgerufene innere Bild jedoch bleibt zunächst unkonkret, denn wir können uns einen gelben, grünen oder auch roten Apfel vorstellen. Formulie- ren wir jedoch ›der rote Apfel‹, so gewinnt die Aussage und damit das menta- le Bild an Spezifität. Frege maß inneren Bildern zwar lediglich epiphänomena- len Charakter bei – später eines der Hauptargumente gegen den Piktorialis- mus –, er leugnete jedoch nicht deren Existenz. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 24 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Ludwig Wittgenstein (1889-1951) griff die Anschauung Freges in Tractatus logico-philosophicus (1922) bzw. umfangreich in seiner in diesem Werk formulierten ›Bildtheorie der Bedeutung‹ (auch: ›Bildtheorie der Spra- che‹; vgl. ausführlich etwa BURKARDT 1965; DERWORT 1972) auf. Obwohl die psychologisch ausgerichtete Würzburger Schule bereits im 19. Jahrhundert darauf verwies, dass bildhafte Repräsentationen nicht notwendig sind und die Sprache bei der mentalen Repräsentation womöglich wesentlich sei (vgl. auch SACHS-HOMBACH 1997: 18f.), wurden durch Wittgenstein mentale Bilder erstmals in der modernen Philosophie des 20. Jahrhunderts thematisiert. Er ging weniger davon aus, dass die Sprache ein bloßes Instrument zur Erklä- rung und Charakterisierung eines inneren Bildes sei, sondern hob die über- geordnete Bedeutung der Sprache beim Verständnis ›der Welt‹ hervor: »Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit« (WITTGENSTEIN 1922: Abschnitt 4.01). Er lehn- te innere Bilder i.S.v. piktoriellen Repräsentationen zwar nicht kategorisch ab, ordnete sie allerdings in ihrem Gehalt bzw. ihrer repräsentativen Bedeutung den sprachlichen ›Bildern‹ unter (vgl. auch MITCHELL 1990: 24ff.; SACHS- HOMBACH/SCHÜRMANN 2005: 113). Dies liegt vor allem daran, dass nur die Spra- che eine Grundlage für das Verständnis semantischer Beziehungen sein kann und genau jene das Wesentliche bei mentalen Repräsentationen ›der Welt‹ sind. In seiner Schrift Philosophische Untersuchungen (1953) betonte er da- rüber hinaus, dass die Sprache das Denken bestimme und andererseits, dass sprachliche Bedeutungszuweisungen – die sich aus den entsprechenden Nut- zungsmustern der Wörter ergeben – mit mentalen Bildern verknüpfbar sind. Dies demonstriert er am Beispiel des ›Würfels‹ (vgl. WITTGENSTEIN 1999: 54, § 139). Das Wort ›Würfel‹ legt eine bestimmte Bedeutung nahe, wobei sich die- ses Verständnis auf einem inneren Bild gründet, bspw. als Vorstellung der Zeichnung eines Würfels. Dieses innere Bild jedoch ist, wie es bereits Kant zeigte, missverständlich: Wittgenstein führt an, dass wir auf der Basis eines (typisierten) mentalen Bildes ein dreieckiges Prisma nicht als Würfel verste- hen würden, es kann jedoch dennoch einer (wenngleich ein untypischer) sein. Mentale Bilder können in ihrer Bedeutung demnach unterschiedlich ausgelegt werden, während das Wort ›Würfel‹ beide o.g. Möglichkeiten einschließt. In- nere Bilder dienen nach Wittgenstein also weniger der Erklärung externer Gegebenheiten, da ihnen selbst keine Bedeutung inhärent ist; diese bekom- men sie erst durch die linguistische Verknüpfung mit einem spezifischen Kon- text, wie dies auch bereits Frege annahm. Wittgenstein gibt hierfür (in § 386) das Beispiel der Farbe Rot: Er geht davon aus, dass es durchaus möglich ist, sich die Farbe, deren Eindruck von außen gelernt werden musste, bildhaft vorzustellen. Erstaunlich jedoch sei, dass die Bezeichnung ›rot‹ dazu führe, dass man sich, unabhängig von anderen, offenbar etwas Rotes (und nicht etwa Blaues) vorstellen könnte. Sind wir uns also sicher, dass es tatsächlich ›rot‹ war, was wir uns vorgestellt haben? »Wie schaut eine richtige Vorstel- lung dieser Farbe aus?« (WITTGENSTEIN 1999: 118). Im Umkehrschluss bedeutet dies: Hätten wir die ›falsche‹ sprachliche Bezeichnung für eine Farbe gelernt, so wäre auch unser mentales Bild ›falsch‹. Es besteht also eine Abhängigkeit IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 25 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation zwischen visueller und verbaler Komponente hinsichtlich des wahrheitsge- mäßen Aussagegehalts. Ilham Dilman und Hidé Ishiguro veröffentlichten 1967 jeweils einen Beitrag mit dem Titel Imagination, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunk- ten, die sich jeweils auf die Repräsentationsgrammatik beziehen. Dilman zeigt zunächst eine Parallele zwischen internem und externem Bild auf: My friend is in the photograph in the sense in which he would be in my mind or thoughts if I were thinking of him or saw him in my mind’s eye – if I had a mental image of him. He would be in my mind in the sense that I was thinking of him or had a mental image of him [...] I cannot have a mental image of him and not think of him. Both the image and the photograph have the same internal relation to my friend. (DILMAN 1967: 25, Herv. im Original) Er geht weiterhin davon aus, dass sowohl piktorielle als auch davon getrenn- te verbale Repräsentationen möglich sind. Dies begründet er mit einer unter- schiedlichen ›Grammatik‹: Visuelle Reize führen zu anderem Input als verbale Stimuli – und schließlich sei der Input maßgeblich für die Entstehung von mentalen Repräsentationen: »What makes an image I may be having into an imagination-image is that the thoughts that surround it and what it leads me to say are in this particular grammar« (DILMAN 1967: 31; vgl. zur Bedeutung der Grammatik auch die Diskussion bei BLOCK 1981a: Kap. 3). Diese Überle- gung rekurriert selbstverständlich auch auf die Frage, inwiefern Wahrneh- mung und Vorstellung einer unterschiedlichen Grammatik bzw. unterschiedli- chen Modi unterliegen: Visualisieren oder Verbalisieren wir mental vorab gesehene Objekte? Entstehen mentale Bilder durch Erzählungen und/oder bleiben diese auch als Wörter repräsentiert? Obwohl Dilman sich hierzu nicht explizit äußert, verweist er auf die Möglichkeit, dass mentale Bilder auch an- dere Modi annehmen können: For instance, a man who receives a blow on the head may see stars. On pressing your eyeballs with your finger you may see red spots. If after staring hard at a bright star- shaped figure on a dark background you turn your gaze on a light wall you may see there a dark star-shaped figure. In all these cases it is quite common to talk of mental images. (DILMAN 1967: 20) Er geht also davon aus, dass verbale und visuelle interne Repräsentationen stets eng miteinander verknüpft sind und sich der Gehalt mentaler Bilder erst durch die Sprache ergibt. Ishiguro (1967) bezieht sich auf die Ausführungen Dilmans und erwei- tert dessen Grammatik der Vorstellung um eine wesentliche Bedingung: Ishiguro geht davon aus, dass seine Annahmen nur dann Gültigkeit besitzen, »if the objects have no identity independently of our thoughts about them« (ISHIGURO 1967: 54). Wenn wir also an etwas denken – egal ob visuell und/oder verbal (sofern dies überhaupt willentlich steuerbar ist) – dann muss dem in Gedanken Repräsentierten auch eine Identität außerhalb unserer Gedanken zugeschrieben werden können. Verdeutlichen wir den Gedanken am Beispiel von Fakten: Der Berliner Fernsehturm existiert auch ohne unsere Gedanken an ihn, er hat eine Identität. Der Wert ›368 Meter‹ existiert nur, weil jemand IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 26 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Drittes den Gedanken gehabt hat, die Höhe des Fernsehturms zu bestimmen. Ich selbst jedoch muss an die Höhe einerseits bzw. den exakten Wert ande- rerseits denken bzw. ein Bewusstsein für beide Aspekte schaffen, damit diese Teil meiner Gedanken bzw. meines mentalen Bildes des Fernsehturms wer- den. Ich muss ihnen also eine Identität beimessen – und dies geht (vornehm- lich) mit Sprache auf der einen und Relationen auf der anderen Seite: So ergibt der Höhenwert an sich ohne Referenz keinen Sinn – ich muss ihn einer- seits mit dem Fernsehturm selbst, andererseits ggf. mit der Vorstellung, wel- che Länge 1 Meter besitzt oder wie hoch bspw. ein anderes Bauwerk ist, ver- knüpfen. Vorrangig ist dieses identitätszuweisende Denken dem Individuum bewusst, denn wir können das Ergebnis i.d.R. verbalisieren (vgl. ISHIGURO 1967: 54): ›Der Berliner Fernsehturm ist 368 Meter hoch.‹ Dieser verbale Input schließlich führt dazu, dass wir eben jene verbalisierte Repräsentation des Berliner Fernsehturms haben und eine entsprechende bildhafte Größenreprä- sentation mit obiger Beschreibung schwer vorstellbar bleibt. Nichtsdestotrotz kann mit dem Wort ›Berliner Fernsehturm‹ auch ein internes Bild verknüpft sein, bspw. hinsichtlich dessen Form. Ishiguro fasst mentale Repräsentatio- nen im Allgemeinen als Gedanken auf, wobei – entsprechend der Grammatik der Vorstellung – visuelle, verbale und relationale Erfahrungen die Basis bil- den können: At the same time, it must be remembered that what comes from the eye and what does not is not easily separable or even detachable. We do not carry out an interpretation or make an hypothesis on a neutrally describable visual data in order to identify an aspect. We see it. We see it in the world. And yet somehow we can learn to see different as- pects or train ourselves to see new ones. (ISHIGURO 1967: 55) Mit der Annahme von Sprache und Relationen als möglichen Repräsentati- onsmodi schufen bereits Hobbes und Kant, vor allem aber Frege, Wittgens- tein, Dilman und Ishiguro das Verständnis eines propositionalen Repräsenta- tionsformats, das später vor allem vom Psychologen Zenon Pylyshyn (1973, 1981) aufgegriffen werden sollte (vgl. zur Imagery-Debatte Abschnitt 1). Wäh- rend die Vertreter sprachbasierter Ansätze bildhafte Repräsentationen als Elemente der Kognition jedoch weitestgehend ausblendeten, banden funktio- nalistische Ansätze diese wieder in das Verständnis mentaler Bilder ein. 5. Funktionalistische Ansätze Nach den in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Auffassungen bildeten sich vor allem ab Mitte des 20. Jahrhunderts Auslegungen von men- talen Bildern heraus, die sich weniger von dem Gewicht unterschiedlicher Re- präsentationsformate leiten ließen, sondern vielmehr das Leib-Seele-Problem – also die Frage danach, inwiefern der Körper (bzw. Augen als optische Wahrnehmungsorgane) mit der Seele (mentale Bilder als Resultat?) in Ver- bindung steht – in den Fokus rückten. Innerhalb bis dato diskutierter funktio- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 27 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation nalistischer Ansätze geht man davon aus, dass innere Bilder mentale Reprä- sentationen bzw. Zustände sind, die denen der optischen Wahrnehmung mindestens ähneln (funktionale Äquivalenz). Diese Zustände unterliegen ei- nem sie selbst schaffenden bzw. sie verarbeitenden System und damit grundsätzlich einer Reflektion. Sind diese Systeme (also z.B. ein Gehirn oder eine Maschine; vgl. PUTNAM 1960) in ihrer funktionalen Architektur identisch, so führt dies zu gleichen Ergebnissen bzw. zu gleichen Repräsentationen ei- nes Sachverhalts (Identitätsthese; vgl. überblickshaft auch BLOCK 1980, 1992). Die Systeme können prinzipiell völlig unterschiedlich realisiert sein, z.B. neuronal (Mensch) oder digital (Computer). Neuronale Strukturen führen also zu ›Bildern in unserem Kopf‹, die als kognitive Struktur auf elektrischen Signa- len basieren. In einem Computer führen elektrische Signale dazu, dass digita- le Operationen ausgeführt werden – das prinzipielle Funktionieren der Syste- me jedoch ist identisch. In Bezug auf mentale Bilder nehmen Funktionalisten implizit die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme an, piktorielle Entitäten zu erzeugen, die auf Propositionen (z.B. 1 als Zeichen für einen elektrischen Im- puls, 0 für dessen Ausbleiben) basieren. Innere Bilder sind also mentale Zu- stände, die wie ›richtige‹ Bilder funktionieren, aber natürlich keine sind. Viel- mehr sind diese als Quasi-Bilder bzw. Bildmetaphern zu verstehen. Funktiona- listische Ansätze versuchen demnach, kognitive Leistungen zu erklären, deren Resultate bildliche Vorstellungen sind – wenngleich diese insgesamt eine eher untergeordnete Rolle spielen (vgl. PAUEN 2004: 209). Damit rückt die Ana- lyse des Funktionierens mentaler Bilder jene Prozesse in den Vordergrund, die bspw. danach fragen, wie etwas Inneres angeschaut werden kann (Mental Eye, Homunkulus) oder wo mentale Bilder verortet sind (Geist, Gehirn). Schumacher formuliert zwei Anforderungen, deren Erfüllung das funktionalis- tische Verständnis mentaler Bilder treffend beschreibt: (1) Die Existenz menta- ler Bilder als bildhafte mentale Repräsentationen muß den Begriff des mentalen Bildes in einer Weise bestimmen, die erstens mit dem Status dieser Repräsentation als mentaler Entitäten verträglich ist. Zweitens müssen mentalen Bildern genügend wesentliche Merkmale bildhafter Repräsentationen zuge- schrieben werden, damit die Annahme ihrer Existenz ausreichende Erklärungskraft be- sitzt. (SCHUMACHER 2004: 198) Und (2): Eine notwendige Bedingung dafür, daß die Annahme der Existenz [...] mentaler Reprä- sentationen in funktionalistischen Erklärungen Verwendung finden kann, besteht darin, daß die betreffenden Repräsentationen entweder [...] selber eine syntaktische Struktur besitzen oder [...] durch endliche Konjunktionen propositionaler Repräsentationen beschreibbar sind, vermittels deren syntaktischer Eigenschaften sie die funktionalen Rollen intentionaler Zustände festlegen können. (SCHUMACHER 2004: 206f.) Gilbert Ryle (1900-1976) nahm in Der Begriff des Geistes (1949, engl.: The Concept of Mind) zu den von ihm benannten ›Vorstellungsbildern‹ eine an empiristische Standpunkte erinnernde Auffassung ein, da die Grundlage je- des inneren Bildes vorab mit den Sinnen wahrgenommene Informationen seien: »[W]as ich mit dem geistigen Auge sehe [...] ist auf eine gewisse Weise IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 28 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation mit dem verknüpft, was ich vorher gesehen [...] habe« (RYLE 1987: 372). Seine Auffassung visueller Bestandteile beschreibt er am Beispiel der Zugspitze, dem höchsten Berg Deutschlands: [J]emand, der ›die Zugspitze im Geiste sieht‹ [, sieht] weder ein[en] Berg vor den Augen noch ein Abbild des Berges; es ist weder ein Berg vor den Augen in seinem Gesicht noch ein Scheinberg vor irgendwelchen andern nicht-gesichtlichen Augen. Aber es ist trotzdem wahr, daß ›es so ist, als ob der die Zugspitze sähe‹, und er wird vielleicht sogar nicht bemerken, daß er sie nicht wirklich sieht. (RYLE 1987: 344) Und weiter: Sich etwas vorstellen bedeutet nicht: Schattenbilder von irgendeinem Schattenorgan haben, welche ›das geistige Auge‹ heißt; jedoch ist das Vorhandensein gewöhnlicher Papierbilder vor den Augen im Gesicht ein wohl bekannter Vorstellungsanreiz. (RYLE 1987: 347) Würde es etwas geben, das mental ›gesehen‹ werden kann, so müsste man diesem ›etwas‹ – also mentalen Bildern – auch eine materielle Existenz aner- kennen. Dies lehnt er kategorisch ab und begründet es damit, dass mentale Bilder nicht wie bspw. Fotografien räumlich seien oder sich drehen, zerstören oder verkaufen ließen (vgl. RYLE 1987: 347f.). Es liegt dennoch die Frage nahe, wie Visualisierungen – im logisch-behavioristischen Sinne, den Ryle zu stüt- zen vermochte – ohne Materialität funktionieren können. Nach Ryle bedeutet mentales ›Sehen‹ nicht etwa, dass tatsächlich etwas gesehen wird oder dass es sich um den biologisch-mechanistischen Prozess des Sehens handelt. Es wäre eher nachvollziehbar, dass eine andere mentale Kraft mit dem Zweck der Selbstüberzeugung vorgibt, wir würden etwas sehen. Aus diesem Grund unterscheidet er zwischen ›sehen‹ und ›visualisieren‹, dass er getreu dem Funktionalismus als So-Tun-Als-Ob begreift. Das ›richtige‹ Sehen jedoch kann als Reiz für das imitierte Sehen gelten, weshalb uns das Visualisieren mitun- ter sehr realistisch erscheint, wenngleich es sich um zwei völlig verschiedene Konzepte handelt, die möglicherweise einige interne Prozesse teilen. Dies zeigt sich auch darin, dass das Vorstellen auf einer vorangegangenen Inter- pretation beruht – das Sehen selbst hingegen ist zunächst einmal inhaltlich unbeeinflusst. Oliver Scholz (1995) stützt die Annahmen Ryles, indem er das über die Jahre zum Standard gewordene ›Bilder-im-Geist-Modell‹ kritisiert. Er postu- liert seinen Standpunkt an einem einfachen Beispiel: Angenommen, ich stelle mir das Gesicht meines Vaters vor, dann tue ich (auch nach Ryle) nur so, als würde ich es sehen – im Endeffekt jedoch visualisiere ich das Gesicht. Die Frage ist nun: Handelt es sich bei diesen anschaulichen Vorstellungen bzw. Visualisierungen um Bilder? Um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, erweitert Scholz die Annahmen Ryles um einen weiteren Punkt: Wenn man visualisiert, dann kommt es zu einer »partielle[n] Reaktivierung« (SCHOLZ 1995: 60) von Prozessen früherer Wahrnehmungen, bspw. durch die Aktivierung bestimmter Hirnregionen. Hierdurch fühle sich das So-Tun-Als- Ob ich meinen Vater vor mir sähe so an, als würde ich ihn tatsächlich sehen, denn dies habe ich vorher einmal getan. Mit der Annahme von ›Quasi- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 29 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Bildern‹ als mentalen Zustand, die durch ›Quasi-Sehen‹ wahrgenommen wer- den, umgeht Scholz die von ihm vorgebrachten Kritikpunkte des Standard- modells wie die Koexistenz eines piktoriellen und propositionalen Formats, mangelnde Verortung oder Möglichkeit, die Funktionsweise der Perzeption dieser inneren Bilder zu erklären (vgl. SCHOLZ 1995: 49ff.). Gleichzeitig bleiben die Vorteile des Standardmodells (umfangreich dargelegt in SCHOLZ 1995: 45ff.) wie z.B. die auf Selbstbeobachtung beruhende Plausibilität oder die empirische Stützung durch psychologische Untersuchungen (vgl. Abschnitt 6) bestehen. Auch Shorter (1952) ging nicht davon aus, dass inneren Bildern eine Materialität zugedacht werden kann oder dass diese konkret ›gesehen‹ wer- den könnten. Er bezieht sich am Anfang seines Werkes Imagination konkret auf Ryle und hält in Bezug auf den Unterschied zwischen sensorischem und mentalem Sehen fest: Mental images therefore do not exist. We do not see them, and it is a spurious question to ask about their locations. Now it may be admitted that ›seeing‹ something is not to be described as seeing a special sort of copy of something. Though it is not very far out in some cases of ›seeing‹. For example, we may say »›See‹ an oasis« or »See a mirage«. (SHORTER 1952: 528) Shorter lehnt daher die Auffassung von mentalen Bildern als piktorialistische ›Bilder im Kopf‹ entschieden ab. Dennoch geht auch er davon aus, dass Menschen visualisieren, wenngleich sie nicht auf Bilder ›blicken‹: »The con- cept of visualising is not illuminated but obscured by saying that it consists in seeing a private picture located in the mind« (SHORTER 1952: 541). Es wäre also logisch nicht schlüssig, von ›Bildern‹ als Repräsentationsformat zu spre- chen, sinnvoller wären vielmehr ›visualisierte Ausdrucksformen‹, die sich als mentale Zustände manifestieren. David Armstrong (1968) wies ausführlich darauf hin, dass der Begriff des mentalen Bildes als Zustand auch Vorstellungen bzw. Empfindungen, die nicht auf Visualität basieren, beinhaltet (vgl. ARMSTRONG 1993: 291; MITCHELL 1990: 23; zu einer ›Hierarchie der Sinne‹ SINGER 2005: 58ff.). Dies ist insbeson- dere deshalb von Bedeutung, da wir dem Sehsinn vermutlich die größte Wichtigkeit unserer Sinne beimessen und daher dazu tendieren, die Bedeu- tung anderer Sinne zu vernachlässigen, bspw. das Bellen eines Hundes (›Auditory Image‹), den Geschmack von Bananen (›Gustatory Image‹), den Geruch von Benzin (›Olfactory Image‹), die Kälte von Schnee (›Tactual Image‹) oder den Schmerz eines kranken Zahnes (›Somatic Image‹ bzw. ›Affective Image‹). Dies impliziert, dass unterschiedliche erfahrens- und wissensbasierte Repräsentationen bzw. Formate im kognitiven Bereich anzunehmen und diese auch an einem bestimmten Ort gespeichert sind. Sind jedoch piktorielle Re- präsentationen Gegenstand der Diskussion, hält Armstrong die Bezeichnung ›Visual Image‹ als Abgrenzung gegenüber anderen Modi für empfehlenswert (vgl. ARMSTRONG 1993: 291). Bei seiner Herleitung, wie ein mentales Bild grundsätzlich beschaffen sei, zieht Armstrong, wie so häufig in dieser Debatte, die Beziehung zwischen IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 30 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation sensorischer Wahrnehmung und mentaler Repräsentation heran (vgl. über- blickshaft z.B. FINKE 1985). Er hält zunächst sehr allgemein fest: »Mental Images are dim, blurred and flickering. Perceptions, on the other hand, are clear, precise and steady« (ARMSTRONG 1993: 292). Dies erweckt den Eindruck, dass Armstrong mentale Bilder und die optische Wahrnehmung als gegenläu- fige Konzepte versteht. Dem ist jedoch nicht so, denn er interpretiert mentale Bilder als Wahrnehmungen, »[which are] centrally aroused and involve no belief or ›potential belief‹« (ARMSTRONG 1993: 300). Gemeint ist damit erstens, dass der Wahrnehmung eine Erregung (›arousal‹) der Sinnesorgane bzw. Rezeptoren vorgelagert ist und erst die Wahrnehmung überhaupt zu einem mentalen Bild führen kann: The concept of perception is therefore logically prior to the concept of mental image, that is to say, we can have the latter concept only if we have the former concept, al- though we could have had the concept of perception without having the concept of a mental image. (ARMSTRONG 1993: 302) Nehmen wir das Beispiel einer schwarzen Katze. Sehe ich dieses Objekt bzw. Tier aufgrund der Erregung meiner Stäbchen und Zapfen im Auge, dann kann die ›schwarze Katze‹ durch meine Wahrnehmung zum Inhalt eines mentalen Bildes werden. Wenn ich dieses mentale Bild der schwarzen Katze habe (sie mir also vorstelle), dann glaube (›believe‹) ich nicht, dass es sich um die Re- präsentation der schwarzen Katze handelt. Ich weiß (›know‹) es, denn andern- falls könnte es sich auch um eine weiße Maus handeln und wir würden nur von Wahrnehmung sprechen. Mentale Bilder basieren nach Armstrong also erstens auf dem Glauben und zweitens auf dem Wissen um eine stabile und überzeugende Beziehung zwischen Repräsentiertem und dem das reale Ob- jekt repräsentierenden Inhalt. Entscheidend sei nach Armstrong jedoch auch, inwiefern eine Über- einstimmung bzw. Analogie zwischen mentalem und realem Objekt vorhan- den ist. Er unterbreitet zur Verdeutlichung das Beispiel von Linien auf einem Blatt Papier, welche wir zunächst wahrnehmen und anschließend aufgrund ihrer Anordnung möglicherweise als ›Katze‹ interpretieren (›seeing as‹). Wir weisen den Linien also einen für uns sinnvollen Inhalt zu. Mentale Bilder ha- ben ebenfalls einen bestimmten Inhalt, der zu unterschiedlichen Interpretati- onen führt oder unterschiedlich interpretiert werden kann (›taking as‹). Haben wir also ein inhaltlich auf wesentliche Aspekte reduziertes mentales Bild einer Katze, so werden wir dieses heranziehen, um die Linien auf dem Blatt Papier als Katze zu ›sehen‹. Dies scheint uns dadurch möglich, dass wir einmal eine Katze außerhalb unseres Körpers – Armstrong spricht vom »physical space« – in unserem »visual field« (ARMSTRONG 1993: 295) gesehen haben. Diese An- sicht ist jedoch nicht vollständig. Wir hätten die Linien möglicherweise auch als ›Einhorn‹ interpretieren können – obwohl wir mit sehr großer Wahrschein- lichkeit nicht die Möglichkeit hatten, dieses vorher real (also im physischen Raum bzw. visuellen Feld) zu sehen. Das Problem von mentalen Bildern ist also, dass diesen i.d.R. keine Informationen über den Kontext inhärieren, in dem sie entstanden sind: Ob wir die Katze oder das Einhorn nun selbst gese- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 31 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation hen oder als gezeichnetes oder beschriebenes Wesen aus einem Buch haben oder ob es gänzlich unserer Fantasie entsprungen ist, bleibt im Inhalt von mentalen Bildern unberücksichtigt. Dies würde jedoch genau dann eine Rolle spielen, wenn wir erklären müssten, woher ein mentales Bild kommt. Um ›nur‹ dessen Beschaffenheit zu ergründen, ist vielmehr die o.g. Beziehung zwischen repräsentiertem Objekt und der Repräsentation entscheidend. Ist diese Verbindung nicht vorhanden, können wir einem gesehenen Objekt auch keine Bedeutung zuschreiben. Dies geschieht nach Armstrong insbesondere dann, wenn unabhängige Informationen vorgeben, dass das Objekt bzw. Tier, das wir sehen, keine schwarze Katze sein kann. Als Folge diskreditieren wir unsere Wahrnehmung und es bildet sich kein mentales Bild. Die Wahrneh- mung der schwarzen Katze erfolgte ohne den Glauben an (oder das Wissen um) die o.g. Beziehung zwischen Repräsentiertem und Repräsentierendem, obwohl sie möglicherweise vorhanden ist. Armstrong spricht hier vom poten- tiellen Glauben (›potential belief‹), dessen Abstinenz die dritte Voraussetzung für mentale Bilder ist, wie wir gesehen haben. Aufgrund dieser sukzessiven Herleitung der Bedingungen von mentalen Bildern spricht man auch von ei- ner Spezifikationstheorie Armstrongs innerhalb des funktionalistischen Ver- ständnisses (vgl. zu den Argumenten Armstrongs z.B. auch NAGEL 1970). Daniel Dennett betonte in Content and Consciousness (1986), dass mentale Bilder im Vergleich zu physischen Bildern »[are] in a different space, do not have dimensions, are subjective, are Intentional [sic!], or even, in the end, just quasi-images« (DENNETT 1986: 133). Fotografien oder Malereien, also materielle Bilder, haben mindestens eine Gemeinsamkeit mit dem Repräsen- tierten, bspw. die Farbe, Form oder Gestalt, sofern sie sich auf etwas bezie- hen wollen. Dies müsse auch für bildhafte Vorstellungen gelten, sofern sie sich auf externe Objekte beziehen. Da sich mentale von materiellen Bildern jedoch in zahlreichen Merkmalen unterscheiden – bspw. hinsichtlich der räumlichen Verortung, der Dimensionalität oder der Intentionalität und damit Objektivität –, sei der Gebrauch von ›Bild‹ für eine mentale Repräsentation irreführend. Dennett zieht zur Verdeutlichung das Beispiel einer Orange her- an. Diese muss auf einem (Schwarz-Weiß-)Bild nicht zwingend orange darge- stellt sein; jedoch kann etwas Hartes, Viereckiges und Schwarzes keine Oran- ge repräsentieren. Daraus ergibt sich für Dennett die zentrale Frage, die Paral- lelen zu den Überlegungen Armstrongs erkennen lässt: Gibt es Elemente in der Wahrnehmung, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem, was sie repräsen- tieren, die Bezeichnung ›bildhafte Vorstellung‹ überhaupt verdienen (vgl. DENNETT 1986: 133)? Zur Beantwortung der Frage muss eine Beziehung zwi- schen materiellen und mentalen Bildern hergestellt werden, denn materielle Bilder zeigen am deutlichsten die Ähnlichkeit zum repräsentierten Sachver- halt. Wir haben jedoch gesehen, dass Dennett kaum Parallelen entdecken kann. Paintings and photographs are our exemplary images, and if mental images are not like them, our use of the word ›image‹ is systematically misleading, regardless of how well entrenched it is in our ordinary way of speaking. (DENNETT 1986: 133) IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 32 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Letztlich zeigt Dennett, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was eine Vorstellung ist, und wie sie funktioniert. Damit eine Vorstellung funktio- nieren kann, muss es zusätzlich jemanden oder etwas geben, der bzw. das bewusst wahrnehmen und eine Beziehung zum repräsentierten Objekt fest- stellen kann. Der physische Prozess des Sehens führt bspw. dazu, dass das Bild auf der Retina dargestellt wird und zur Erregung von Stäbchen und Zap- fen führt. Damit entsteht zwar ein Bild, jedoch bleibt dieses nutzlos, wenn es niemand perzipiert – und gerade das funktioniert nicht, weil wir in unserem Gehirn keine Augen o.ä. haben, welche wahrnehmen könnten. Es funktioniert also auch nicht als Bild. Daher müsse, sofern visuelle Wahrnehmung mit mentalem Vorstellen einhergeht, die mentale bildhafte Repräsentation zu Beginn (und nicht am Ende) des Wahrnehmungs- bzw. Vorstellungsprozesses stehen. Ist dies der Fall, dann muss es jemanden (Homunkulus) oder zumin- dest etwas (Mental Eye) geben, der bzw. das dieses ›Bild‹ wahrnimmt und im Idealfall sogar versteht. Hierdurch entstünde jedoch ein erneutes Bild, wel- ches wieder wahrgenommen werden müsste usw. usf. Dies bezeichnet z.B. Gottschling (2003: 39) als »endlose[n] Regress« (vgl. zur gleichen Problematik auch bei Sätzen z.B. STERELNY 1991: 33). Abb. 2: Der Regresseinwand als ›kartesisches Theater‹ Quelle: DENNETT 1998: 102 Nun ist es bei der optischen Wahrnehmung und anschließenden Verarbei- tung aber so, dass das retinale Abbild durch die Übersetzung des Reizes in elektrische Impulse und anschließende Verarbeitung durch den Sehnerv sei- nen bildlichen Charakter verliert. Damit wird das Muster der Stimulation ver- ändert und es findet im Gehirn eine Art ›Übersetzung‹ statt, die Informationen über die Merkmale des Bildes auf der Retina enthält. Dieser übersetzte Code kann – wie etwa bei einem Fernsehbild – wieder zum ursprünglichen Bild zu- sammengesetzt und in der Vorstellung reproduziert werden. Dies jedoch ist nicht im Sinne Dennetts: »It is not just imaging, however, that is like descrip- tion in this way; all ›mental imagery‹, including seeing and hallucinating, is descriptional« (DENNETT 1998: 136). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 33 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Dennett betrachtet diesbezüglich die Frage nach der Detailhaftigkeit von mentalen Bildern und versucht seine deskriptionalistische These mit ei- nem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn wir uns einen sitzenden Mann mit ei- nem Holzbein vorstellen, dann ist es nicht zwingend notwendig, Informatio- nen über die Farbe seiner Haare zu berücksichtigen oder ob er in einem be- stimmten Stil gekleidet ist. Wir ›erwähnen‹ diese Eigenschaft nicht im menta- len Bild (vgl. DENNETT 1986: 135; auch SHORTER 1952: 538f.). Wenn wir jedoch aufgefordert werden, diesen Mann zu zeichnen – also das mentale Bild zu einem materiellen zu externalisieren – reicht die Beschränkung auf ein Detail (das Holzbein) i.d.R. nicht mehr aus. Wir müssen uns für eine Haarfarbe ent- scheiden, denn ein im Inhalt zweideutiges materielles Bild ist nicht möglich, sofern die Bildelemente eindeutig sichtbar sind: Materielle Bilder zeigen ent- weder konkret Eigenschaften eines repräsentierten Objekts (die Haarfarbe bei einem Farbbild) oder nicht (z.B. bei einem Schwarz-Weiß-Bild) bzw. sie legen sich auf ein bestimmtes Merkmal nicht fest (bspw. nicht sichtbare Haare, weil sie nicht Teil des Bildes sind oder im Schatten liegen). Wird das mentale Bild jedoch mit Wörtern beschrieben, dann kann ich zwar das Detail der Haarfarbe vergessen, wenn ich es jedoch erwähne, dann ist es klar formuliert. Laut Dennett stützt ein weiteres Argument die deskriptive Beschaffen- heit mentaler Zustände: Bildhafte Vorstellungen sind im Vergleich zu Be- schreibungen in bestimmten Merkmalen ›unscharf‹. Nehmen wir an, der Mann mit dem Holzbein trage ein Hemd mit 14 Knöpfen. Diese Anzahl kann in einem Satz konkret formuliert, in einer bildhaften Vorstellung jedoch mit ho- her Wahrscheinlichkeit nicht konkret abgefragt werden. Dennett (1986: 136f.) spitzt das Argument mit dem berühmten Tiger-Streifen-Beispiel zu: Die Foto- grafie eines Tigers zeigt eine konkrete Anzahl an Streifen, wozu eine bildliche Vorstellung nicht in der Lage ist. Möglicherweise zeigt diese nicht einmal Streifen, wodurch sich gar der Inhalt der Repräsentation ändern würde, bspw. von einem Tiger zu einem Puma. Jerry Fodor verweist darauf, dass mögli- cherweise das mentale Bild einfach zu schnell verblasst, als dass wir die kon- krete Anzahl der Streifen des Tigers zählen könnten (vgl. FODOR 1975: 188; auch die Diskussion bei LYONS 1984). Objektiv gesehen habe auch nicht jeder Tiger gleich viele Streifen und verschiedene Fotos des gleichen Tigers müs- sen auch nicht die gleiche Anzahl seiner Streifen zeigen. Daher sei das Tiger- Streifen-Argument vielmehr ein Nachweis dafür, dass bildhafte mentale Re- präsentationen nicht stets determiniert sind. Das ›Zähl‹-Problem lässt sich auch nicht mit der reinen Annahme von Sprache lösen, denn diese kann ähn- lich unkonkret sein: Wird der Tiger beschrieben (und nicht mental ›gesehen‹), so könnte die Antwort auch sein, dass der Tiger ›einige Streifen‹ (ohne – ten- denzielle – Quantifizierung) hat. Die Detailliertheit bzw. Konkretheit eines mentalen Bildes hängt also nicht zwingend von seinem Repräsentationsfor- mat ab. Besitzen wir tatsächlich ein inneres Bild des Tigers, so sollte es unter idealen Bedingungen möglich sein, dieses mentale Bild mit dem eines ande- ren Tigers hinsichtlich der Anzahl der Streifen zu vergleichen. Eine verbale Repräsentation, die jeden Tiger mit ›vielen Streifen‹ beschreibt, ist dazu nicht IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 34 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation fähig. Holenstein subsummiert entsprechend: »Vielheit ist visuell eine Ge- staltqualität, bei der Größenunterschiede ikonisch zur Darstellung kommen« (HOLENSTEIN 1992: 333). Diese ›Unkonkretheit‹ mentaler Bilder beschrieb Block später (1981b: 11ff.; 1983) als Teil eines »photographic fallacy« und meint damit die verkehr- te Annahme eines fotographischen Verständnisses bildlicher Vorstellungen. Diese Annahme fußt insbesondere auf der Feststellung, dass mentale Bilder in zahlreichen Eigenschaften nicht mit materiellen Bildern – z.B. Fotografien – übereinstimmen, bspw. hinsichtlich der o.g. Detailhaftigkeit, Räumlichkeit oder der Gleichzeitigkeit der Abbildung mehrerer Elemente. Jedoch bleibt einzuwenden, dass auch Fotografien unkonkret sein können. Dies ist z.B. der Fall bei Schwarz-Weiß-Bildern, die im Hinblick auf Farbe unbestimmt bleiben (in Hell-Dunkel-Kontrasten jedoch nicht) oder bei unscharfen Fotografien, deren Inhalt nicht erkennbar ist. Unkonkretheit von bildlichen Vorstellungen darf demnach kein Ablehnungskriterium bildlicher Vorstellungen per se sein. Die Einschränkungen mentaler Bilder sprechen freilich noch nicht gegen die prinzipielle Möglichkeit bildlicher Vorstellungen, sondern nur dafür, dass es bei bildlichen Vorstellungen eben auch Einschränkungen geben kann. Dennett unterscheidet in Brainstorms zwischen einem innere Bilder akzeptierenden ikonophilen und einem an die religiöse Bilderangst erinnern- den ikonophoben Standpunkt, die ein bildhaftes Repräsentationsformat ab- lehnt Damit entspricht er der Unterscheidung von Piktorialisten und Deskrip- tionalisten im Rahmen der Imagery-Debatte (vgl. Abschnitt 1). Sowohl Ikonophilisten als auch Ikonophobisten gehen davon aus, dass dem mentalen Bild selbst unterschiedliche Stufen vorangehen und folgen (DENNETT 1978: 175ff.). Werden wir bspw. nach dem Weg gefragt, so hören und verstehen wir die Frage und wir fassen den Wunsch, dem Fragenden zu helfen. Keiner die- ser Schritte selbst muss ein mentales Bild enthalten. Anschließend generie- ren wir, Ikonophilisten entsprechend, eine kognitive bildhafte Karte, auf der wir uns und das Ziel verorten. Ikonophobisten würden möglicherweise unter- stellen, wir wissen anhand von Relationen und Richtungsbeschreibungen, wohin wir den Fragenden schicken sollen (vgl. hierzu auch das einleitende Beispiel zur Fensteranzahl Ihres Wohnzimmers). Das mentale Bild ist für beide Lager als Ursache notwendig für eine folgende Handlung bzw. Überzeugung, die bildhafter Natur sein kann (z.B. ein ›wandernder‹ Punkt auf der Karte), aber nicht muss (z.B. die reine Beschreibung des Weges). Mentale Bilder kön- nen uns also als sukzessive Abfolge innerer Zustände durch deren logische Verknüpfung beim Problemlösen behilflich sein. Jerry Fodor misst in seinem Werk The Language of Thought bei men- talen Repräsentationen assoziativen Beschreibungen ein großes Gewicht bei (vgl. FODOR 1975: Kap. 3) und gilt daher als stärkster Deskriptionalist neben dem Psychologen Zenon Pylyshyn. Fodor beschreibt die angeborenen, un- bewussten und automatisch ablaufenden linguistischen Verknüpfungen als ›Denksprache‹ (engl.: ›language of thought‹; vgl. zur Diskussion um angebo- rene Kognitionen z.B. BLOCK 1981a: Kap. 4). Diese Sprache (›mentalesisch‹) ist IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 35 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation notwendig für das Erlernen von natürlichen Sprachen wie bspw. Deutsch, Englisch oder Russisch. Sie hat den Zweck, Informationen durch syntaktische Vorgänge resp. Gedanken zu mentalen Repräsentationen bzw. Zuständen zusammenzusetzen. Dieser Verknüpfungsprozess ist ein wesentlicher Teil der komplexen repräsentationalen Theorie des Geistes, durch die Fodor Be- rühmtheit erlangte. Diese wird im Folgenden aus Platzgründen nicht vollstän- dig erläutert; dennoch soll ein einführendes Verständnis vermittelt werden. Der Ausgangspunkt liegt in der Annahme einer funktionellen Analogie zwischen Geist und Gehirn als Soft- bzw. Hardware eines Computers, gegen- übergestellt werden also zwei informationsverarbeitende Systeme. Aus die- sem Grund werden Fodors Annahmen auch als ›Rechentheorie des Geistes‹ (engl.: ›computational theory of mind‹) übersetzt, wobei diese Übersetzung die Gedanken Fodors trivialisiert. Er unterstellt vielmehr holistische Compu- termodelle, weshalb z.B. bei Gottschling (2003: 168) die Übersetzung ›Compu- tertheorie des Geistes‹ Anwendung findet.2 Fodors Ansatz thematisiert, wie oben bereits erwähnt, im Kern die Verknüpfung von Bedeutungen, welche aus sukzessiven Berechnungen – also der systematischen und kausalen Ab- folge bei der Herstellung von Relationen – entstehen. Diese Algorithmen bzw. das ›Denken‹ können zwar die Form, nicht jedoch den Inhalt des Inputs be- rücksichtigen, da diese Semantik erst das Ergebnis (die mentale Repräsenta- tion) syntaktischer Operationen darstellt, deren Basis wiederum die Denk- sprache ist. Stark vereinfacht lässt sich der Ansatz an einem Beispiel verdeut- lichen: Die verbale Umschreibung ›rot‹ oder ›eckig‹ ist nur deshalb möglich, weil eine Denksprache es ermöglicht, den Wörtern jene semantischen Eigen- schaften zuzuschreiben, für die sie stehen. Diese algorithmische Verknüpfung basiert auf Kausalgesetzen und führt zu einem bedeutungsgeladenen Gedan- ken an ›rot‹ oder ›eckig‹, nicht jedoch zu einer roten bzw. eckigen internen Repräsentation. Vielmehr sind die Eigenschaften ›rot‹ und ›eckig‹ als Zustand repräsentiert. Anders formuliert generieren formal-deterministische Informa- tionen (z.B. Symbole) als Input mit Hilfe von Algorithmen entsprechende mentale Repräsentationen als Output, welche ihrerseits die propositionalen ›Objekte‹ der Gedanken sind – und sobald diese sich verändern, denken wir mit Hilfe geistiger Prozesse (vgl. FODOR 1975: 66ff.). Diese ›Objekte‹ jedoch sind auf ein (Speicher-)Medium angewiesen – in unserem Kopf (Gehirn) wie in einem Computer (Festplatte), deren funktionelle Basis die Denk- bzw. binä- re Maschinensprache ist. Und diese ist verantwortlich für den Übersetzungs- prozess, wenn Sätze oder Gedanken bzw. eine Programmiersprache verstan- den werden (vgl. auch GOTTSCHLING 2003: 168ff.). 2 Anzumerken ist jedoch auch die Problematik dieser Übersetzung: Der ›Computeransatz‹ ist einem ›Rechenansatz‹ des Geistes (vertreten z.B. auch von Thomas Hobbes und erstmals konkret formuliert von Hilary Putnam 1960) keinesfalls gleichzusetzen, da zwar das Prinzip des algorith- mischen Rechnens auch in einem Computer vorkommt, dieses Rechnen jedoch nicht zwingend eine manifeste, digitale Maschine voraussetzt (sondern eben auch mental erfolgen kann). Viel- mehr stehen algorithmische Prozesse im Vordergrund, die sich der Metapher eines Computers bedienen. Empfohlen sei hierzu auch die Lektüre von FODOR 1987; 1990; STERELNY 1991 oder CRA- NE 1995. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 36 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Ausgehend von der Vorstellung, dass auch die Denksprache wie alle Sprachen strukturell gegliedert ist und auch der Maschinencode bzw. die Software eines Computers aus Komponenten bestehe, müsse dies nach Fodor (1983, 1987) auch für den Geist gelten. Er nimmt für ihn daher eine modulare Struktur an. Diese geistigen ›Module‹ entsprechen, vereinfacht ge- sagt, voneinander unabhängigen und nicht bewusst kontrollierbaren Syste- men, die auf abstrakter Ebene bestimmte Funktionen des Geistes wie z.B. das Denken oder die Herstellung von Relationen übernehmen. Darüber hinaus ermögliche der Modulcharakter kausale Beziehungen zwischen mentalen In- halten und externen Objekten, da ein Einfluss von spezifischem Hintergrund- wissen vermieden werden kann. Mentale Inhalte sind demnach von der Be- schaffenheit der einzelnen Module und damit nur indirekt vom Individuum abhängig (vgl. kritisch z.B. KEMMERLING 1991: 48ff.; PUTNAM 1988: Kapitel 1 und 5; SEARLE 1990: 585f.). Führt man Fodors Behauptungen zu der Annahme eines Geistes als ›modularisierte Software‹ zusammen, dann ergeben sich hierfür spezifische Annahmen hinsichtlich innerer Bilder. Bereits auf den ersten Blick erschließt sich, dass Software ausschließlich durch propositionale Rechenaktivitäten in der Lage ist, bildhafte Repräsentationen zu generieren, denn diese existieren nicht per se im Computer. Dieses Verständnis legt nahe, dass das propositio- nale Format auch bei mentalen Bildern das grundlegende ist, woraus entwe- der innere Bilder entstehen oder Bedeutungen beigemessen werden können. Dieses Verständnis wurde später vom Psychologen Stephen Kosslyn in sei- nem Kathodenstrahlröhrenmodell aufgegriffen, das davon ausgeht, dass aus propositionalen Tiefenrepräsentationen piktorielle Oberflächenrepräsentatio- nen auf einem ›inneren Bildschirm‹ generiert werden können (vgl. KOSSLYN 1978: 241ff.; 1980: Kap. 5; 1981: 219ff.). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mentale Repräsentatio- nen nach Fodor propositional sind, da sie modular und durch geistige Prozes- se nach formalen Regeln mit kausalen Abläufen (Grammatik) syntaktisch und relational strukturiert und dadurch bedeutungsgeladen sind, wobei sich die Gesamtbedeutung aus der Komposition einzelner semantischer Einheiten ergibt (vgl. FELLMANN 2004: 200). Sie übernehmen daher eine Rolle bei der Formung (intentionaler) Zustände im Gesamtsystem und beziehen sich auf die Außenwelt mit einem gewissen Wahrheitsgrad (vgl. GOTTSCHLING 2003: 172f.). Gleichzeitig kann das Computermodell in Kombination mit dem funkti- onalistischen Verständnis des Geistes im Allgemeinen und von mentalen Bildern im Speziellen erklären, dass innere Bilder sowohl von Lebewesen (mit einem Gehirn) als auch von Computern (mit einer bestimmten Hardwarekon- figuration) ›erfahren‹ werden können – allerdings setzt dies das (unwahr- scheinliche) Szenario voraus, dass tatsächlich dieselben funktionalen Szena- rien umgesetzt werden. Neuere philosophische und kognitionspsychologi- sche Forschungen legen daher mit den Annahmen konnektionistischer Netz- werke eine Alternative zur Computertheorie des Geistes nahe und prägen ein IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 37 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Verständnis der Informationsverarbeitung ohne mentale Repräsentationen (vgl. hierzu etwa die Überblicke bei HELM 1991 oder POSPESCHILL 2004). Ferdinand Fellmann betrachtete mentale Bilder als innere Bilder im Licht des imagic turn und innerhalb des funktionalistischen Spektrums aus einer ganz anderen Perspektive als seine Vorgänger. Das innere Bild manifes- tiert sich nach Fellmann als Zeichen für einen Zustand im Geist. Es ist dabei nicht etwa auf die Visualisierung von begrifflichem Wissen beschränkt, son- dern »das innere Bild [wird] zur selbständigen symbolischen Form, die im äußeren Bild ihre materiale Realisierung findet« (FELLMANN 1995a: 23). Damit gehört das innere Bild der gleichen Zeichenklasse wie das äußere Bild an. Während äußere Bilder für Fellmann nicht-intentionale Zeichen für begrifflich unzugängliche Zustände der Welt sind, handelt es sich bei inneren Bildern um eine intentionale »Verkörperung von Bewußtseinszuständen« (FELLMANN 1995a: 37) eines jeden Einzelnen. Fellmann erkennt, dass diese Verkörperung mit dem Problem der Nonmaterialität von mentalen Bildern im Konflikt steht und spricht den inneren Bildern daher die »Intensität und Beharrlichkeit« (FELLMANN 1995a: 37) i.S.v. Gefühlen als Zuständen zu, die seiner Auffassung nach die Verkörperung rechtfertigen. Das innere Bild meines Vaters ist nach Fellmann also ein Zeichen für den mentalen Zustand, den ich mit ihm verbin- de. Mein (realer) Vater steht demnach insofern in Relation zu meinem inneren Bild von ihm, als dass ich willentlich ein für meinen Vater stehendes und da- mit symbolisches Gefühl von ihm in mir selbst erzeuge. Der Funktionalismus gehört zweifelsfrei zu den bedeutendsten theore- tischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts innerhalb der analytischen Philo- sophie und eignet sich besonders gut, um die Entstehung und Beschaffenheit mentaler Bilder zu beschreiben. Die Überlegungen führten daher vor allem seit den 1970er Jahren zu einer verstärkten kognitionspsychologischen Be- achtung, da erst introspektive Erfahrungen zu Fragen führen, die wissen- schaftlich analysierbar sind (vgl. auch HUBER 2004: 193; KIND 2005: Abschnitt 1b; REHKÄMPER 1995b: 81). Ziel war es, anhand der durch die Philosophie ge- schaffenen Begriffe und Argumentationen, der wissenschaftstheoretischen Basis mentaler Bilder also, empirische Belege durch experimentelle Studien zu finden. Bisher jedoch beschränken sich psychologische Studien vor allem auf die Informationsverarbeitung (vgl. auch etwa SACHS-HOMBACH 1997: 23). Nachfolgend werden die aufgeworfenen Problematiken zusammengefasst und auf entsprechende Studien verwiesen, sofern diese einen Beitrag zur Beantwortung der jeweiligen Frage leisteten. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 38 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation 6. Zusammenfassung: Psychologisch-empirische Berücksichtigung philosophischer Argumentationen Mentale Bilder warfen durch ihre philosophische Thematisierung zahlreiche Fragen auf, die später von Kognitionspsychologen im Rahmen der Imagery- Debatte theoretisch erörtert und empirisch untersucht wurden. Hierzu gehör- ten vor allem Fragen nach der Beschaffenheit mentaler Repräsentationen, also die Frage nach der Sinnhaftigkeit, überhaupt ein piktorielles Repräsenta- tionsformat anzunehmen. Dies konkret empirisch zu belegen ist – wenn über- haupt möglich – ein komplexer Prozess, der sich nicht durch einzelne Studien zu einem Erfolg führen lässt, sondern vielmehr auf eine langfristige interdis- ziplinäre Zusammenarbeit angewiesen ist. Abbildansätze etwa gingen vor- nehmlich von inneren Duplikaten äußerer Entitäten aus, diese Ansicht vertritt heute jedoch kaum noch ein Philosoph bzw. Psychologe. Bis dato gehalten hat sich jedoch die bereits im Rationalismus formulierte Auffassung, dass es eine Analogie zwischen Vorstellung und visueller Wahrnehmung zu geben scheint (sensorisch-mentale Relation). Dabei wurden Quasi-Bilder als Ergeb- nis der Verarbeitung visueller Perzeptionen verstanden. Dieser Prozess wurde im späteren Funktionalismus als Quasi-Sehen bzw. Visualisierung eines men- talen Zustandes interpretiert. Empiristen griffen die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Vorstellung auf und verstanden mentale Bilder als innere, kopienartige Verbindung zur Außenwelt, die durch die Sinneswahrnehmun- gen verursacht wird (Sensualismus), jedoch mit der Zeit verblasst. Heute sprechen neben experimentellen Belegen (vgl. den umfangreichen Überblick bei FINKE/SHEPARD 1986) auch psychoneurologische Befunde (vgl. etwa GANIS 2013; GAZZANIGA/BIZZI 1995; O’CRAVEN/KANWISHER 2000) für eine Äquivalenz der Prozesse von Wahrnehmung und Vorstellung. Sollte also ein solch piktorieller Modus existieren und sollten diese Visualisierungen auch wahrgenommen werden können, so müsste deren Modifikation länger dauern, je komplizierter diese ist. Veränderungen mentaler Bilder wurden vornehmlich in Untersuchun- gen zur mentalen Rotation analysiert, bei denen Probanden in Paarverglei- chen entscheiden mussten, ob die Figuren einander entsprechen. Diese Auf- gabe konnten sie nur dadurch lösen, dass sie die Ausgangsfigur mental ro- tierten und mit der präsentierten zweiten Figur verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass mit steigendem Rotationswinkel (Schwierigkeit) auch die dafür benötigte Zeit stieg (etwa bei SHEPARD/METZLER 1971; COOPER/SHEPARD 1973; METZLER/SHEPARD 1974). Offensichtlich visualisierten die Probanden also die Figuren vor ihrem inneren Auge. Ein weiteres Indiz für die Annahme mentaler Bilder boten Untersuchungen zur Verortung selbiger, da etwa Podgor- ny/Shepard (1978), Goldenberg et al. (1989) oder Kosslyn/Thompson/Alpert (1997) zeigen konnten, dass Vorstellungsaufgaben eine stärkere Aktivierung des visuellen Kortex‘ nach sich zogen, welcher die optische Wahrnehmung ermöglicht. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 39 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Hobbes thematisierte erstmals die Sprache als wesentlichen Teil men- taler Repräsentationen (sprachbasierte Bedeutungsvermittlung). Spätere sprachbasierte Ansätze stellten auch eine assoziative Beziehung zwischen mentaler Repräsentation und bereits vorhandenem Wissen her (Wissensrela- tion). Da Relationen ohne Sprache i.d.R. ohne Bedeutung bleiben, lag eine Kombination der Repräsentationsformate nahe und neben Visualisierungen rückten zunehmend Propositionen in den Interessensfokus. Einige Autoren gingen davon aus, dass lediglich Propositionen als Repräsentationsformat in Frage kämen (vgl. die Studien von PYLYSHYN 1979; 1981). In diesem Zusam- menhang wurde bspw. diskutiert, ob bildhafte Repräsentationen nicht viel- mehr Beiprodukte (Epiphänomene) der Sprache sind – gerade auch deshalb, da bildhafte und verbale Informationen einer unterschiedlichen Grammatik unterliegen. Belege für ein propositionales und ein piktorielles Format schei- nen vor allem die Studien zur Theorie der dualen Codierung zu liefern (etwa von PAIVIO/YUILLE/MADIGAN 1968; BUGELSKI 1970; PAIVIO 1971). Auch wurden Fragen nach der Größe und Auflösung mentaler Bilder z.T. dahingehend be- antwortet, dass beides beschränkt sei (vgl. hierzu die Studien zum mentalen Scannen von KOSSLYN 1973; 1975; MOYER 1973; PAIVIO 1975; KOSSLYN/BALL/REI- SER 1978). Obwohl psychologische Studien bereits einige aus der Philosophie bekannte Fragen thematisierten, gibt es noch zahlreiche Desiderate in der empirischen Forschung. Bereits die Abbildansätze fragten danach, wie bzw. durch welche Prozesse die für mentale Bilder notwendigen Informationen eigentlich in unsere Köpfe gelangen (Informationsquelle). Psychologische Untersuchungen zu mentalen Bildern beschränken sich stets auf entweder abstrakte Formen (z.B. bei PYLYSHYN 1979) oder aber auf einzelne Objekte, bei denen unterstellt wird, dass Probanden diese in ihrem Leben bereits gesehen haben müssen (wie z.B. Hasen oder Elefanten bei KOSSLYN 1975). Studien zu Szenen realer Erlebnisse oder gar ganzen Ereignissen, die etwa durch ein prototypisches mentales Bild repräsentiert sind, stehen bis dato noch aus. Auch konnte z.B. anhand bildgebender Verfahren während des Vorstellungs- prozesses noch nicht empirisch geklärt werden, wie das Ansehen mentaler Bilder funktionieren kann. Dieses Problem wurde als Mental Eye- bzw. Ho- munkulus-Ansatz diskutiert, im Rahmen der Psychologie liefert das Katho- denstrahlröhrenmodell nach Kosslyn (1980, 1981) bereits eine äußerst plau- sible theoretische Basis. Interne Visualisierungen extern sichtbar zu machen stellt unseren derzeitigen Stand der Wissenschaft jedoch zugegebenermaßen vor eine äußerst schwierige Aufgabe. Ähnlichkeits- und Schemaansätze fragten auch danach, wie mentale Repräsentationen organisiert sind – sie rekurrierten damit bereits frühzeitig auf die moderne Imagery-Debatte. Dies schließt aber auch etwa die Abstrak- tion und Beschränkung auf wesentliche Merkmale mit ein und damit die Fra- ge danach, inwiefern und in welchen Merkmalen mentale Repräsentationen mit dem repräsentierten Sachverhalt übereinstimmen (Isomorphismus). Auch hierzu stehen noch Studien aus, die reale und mentale Objekte zueinander in IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 40 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Beziehung setzen. Hilfreich hierfür könnte der im Funktionalismus postulierte Interindividualismus sein, also die Annahme, dass gleiche Perzeptionen bei gleichen funktionalen Architekturen zu gleichen Zuständen bzw. zu gleichen mentalen Bildern führen. Studien, die mentale Bilder von mehreren Proban- den zu einem gleichen Objekt bspw. durch die Analyse von Zeichnungen in Beziehung setzen, stehen ebenfalls bis dato aus. Am viel zitierten Tiger- Beispiel wurde demonstriert, dass die Konkretheit von mentalen Bildern phi- losophisch eine große Rolle spielt, empirische Berücksichtigung dieser Detail- liertheit konkreter Informationen blieb jedoch ebenfalls bisher in psychologi- schen Studien unberücksichtigt. Letztlich führten die bisherigen psychologischen Untersuchungen ins- gesamt zu keiner schlussendlichen Klärung nach der Frage um die Existenz eines piktoriellen Repräsentationsformats. Dies liegt vor allem daran, dass die Ergebnisse der Experimente unterschiedlich gedeutet wurden und die jewei- ligen Begründungen unabhängig voneinander plausibel erscheinen. Ein wei- terer Problempunkt ist, dass zu viele Fragen um mentale Bilder bisher uner- forscht sind. Dies liegt auch daran, dass die methodischen Möglichkeiten der empirischen Prüfung philosophischer Argumentationen an ihre Grenzen sto- ßen. Damit bleibt die eingangs gestellte Frage danach, wie genau Sie die Fenster in Ihrem Wohnzimmer zählen, wenn Sie nicht vor Ort sind, zunächst ungeklärt – und mit ihr bleibt auch die interdisziplinäre Diskussion um menta- le Bilder als Form der Weltrepräsentation aktuell. Literatur ALANEN, LILLI: Descartes’s Concept of Mind. Cambridge, MA [Harvard UP] 2003 ANDERSON, JOHN R.: Kognitive Psychologie. Berlin [Springer VS] 2013 ARISTOTELES: Über die Seele. Herausgegeben von Horst Seidl, übersetzt von Willy Theiler. Hamburg [Meiner] 1995 ARMSTRONG, DAVID M.: A Materialist Theory of the Mind. 2nd edition. London [Routledge] 1993 BERKELEY, GEORGE: Eine Abhandlung über Prinzipien der menschlichen Erkenntnis. Übersetzt und herausgegeben von A. Kulenkampff. Hamburg [Meiner] 2004 BLOCK, NED: What is Functionalism? In: BLOCK, NED (Hrsg.): Readings in Philosophy of Psychology. Cambridge, MA [Harvard UP] 1980, S. 171- 184 BLOCK, NED (Hrsg.): Readings in Philosophy of Psychology. 2nd edition. Cambridge, MA [Harvard UP] 1981a BLOCK, NED (Hrsg.): Imagery. Cambridge, MA [MIT Press] 1981b BLOCK, NED: The Photographic Fallacy in the Debate about Mental Imagery. In: Noûs, 17(4), 1983, S. 651-661 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 41 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation BLOCK, NED: Schwierigkeiten mit dem Funktionalismus. In: MÜNCH, DIETER (Hrsg.): Kognitionswissenschaft. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1992, S. 159-224 BLOSSER, PHILIP: The Status of Mental Images in Sartre’s Theory of Consciousness. In: Southern Journal of Philosophy, 24(2), 1986, S. 163- 172 BOWER, KENNETH J.: Imagery: From Hume to Cognitive Science. In: Canadian Journal of Philosophy, 14(2), 1984, S. 217-234 BUGELSKI, B. RICHARD: Words and Things and Images. In: American Psychologist, 25(11), 1970, S. 1002-1012 BURKARDT, JÖRG: Die Bildtheorie der in Wittgensteins Tractatus Logico- Philosophicus und ihre ontologische Fundierung. Inaugural- Dissertation. München 1965 COHEN, JONATHAN: The Imagery Debate: A Critical Assessment. In: Journal of Philosophical Research, 21, 1996, S. 149-182 COOPER, LYNN A.; ROGER N. SHEPARD: Chronometric Studies of the Rotation of Mental Images. In: CHASE, WILLIAM G. (Hrsg.): Visual Information Processing. New York [Academic Press] 1973, S. 75-176 CRANE, TIM: The Mechanical Mind. A Philosophical Introduction to Minds, Machines, and Mental Representation. New York [Routledge] 1995 CROOKS, SHELAGH: Hume, Images, and the Mental Object Problem. In: Dialogue, 39(1), 2000, S. 3-24 DENIS, MICHEL: Image & Cognition. New York [Harvester Wheatsheaf] 1991 DENNETT, DANIEL C.: Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology. Montgomery, VT [Bradford Books] 1978 DENNETT, DANIEL C.: Content and Consciousness. London [Routledge] 1986 DENNETT, DANIEL C.: The Myth of Double Transduction. In: HAMEROFF, STUART R.; ALFRED W. KASZNIAK; ALWYN SCOTT (Hrsg.): Toward a Science of Consciousness II. The Second Tucson Discussions and Debates. Cambridge, MA [MIT Press] 1998, S. 97-105 DERWORT, MICHAEL: Die Bildtheorie der Sprache in Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus. Dissertation. Freiburg 1972 DESCARTES, RENÉ: Renati Des-Cartes Tractatus De Homine, Et De Formatione Foetus. Francofurti Ad Moenum (Frankfurt/M.) [Knochius] 1692 DESCARTES, RENÉ: MEDITATIONEN. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Herausgegeben und übersetzt von Christian Wohlers. Hamburg [Meiner] 2009 DILMAN, ILHAM: Imagination. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary, 41, 1967, S. 19-36 FELLMANN, FERDINAND: Innere Bilder im Licht des imagic turn. In: SACHS- HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen. Amsterdam [Rodopi] 1995a, S. 21-38 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 42 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation FELLMANN, FERDINAND: Einbildungskraft als virtuelle Bildlichkeit. In: DENCKER, KLAUS PETER (Hrsg.): Weltbilder – Bildwelten. Computergestützte Visionen. Hamburg [Hans-Bredow-Institut] 1995b, S. 264-272 FELLMANN, FERDINAND: Von den Bildern der Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Bilder. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS; KLAUS REHKÄMPER (Hrsg): Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden [DUV] 2004, S. 187-196 FINKE, RONALD A.: Theories Relating Mental Imagery to Perception. In: Psychological Bulletin, 98(2), 1985, S. 236-259 FINKE, RONALD A.; ROGER N. SHEPARD: Visual Functions of Mental Imagery. In: BOFF, KENNETH R.; LLOYD KAUFMAN; JAMES P. THOMAS (Hrsg.): Handbook of Perception and Human Performance. Vol. 2. New York [Wiley] 1986, S. 1-55 FLEW, ANNIS: Images, Supposing, and Imagining. In: Philosophy, 28, 1953, S. 246-254 FODOR, JERRY A.: The Language of Thought. Cambridge, MA [Harvard UP] 1975 FODOR, JERRY A.: The Modularity of Mind: An Essay on Faculty Psychology. Cambridge, MA [MIT Press] 1983 FODOR, JERRY A.: Psychosemantics. The Problem of Meaning in the Philosophy of Mind. Cambridge, MA [MIT Press] 1987 FODOR, JERRY A.: A Theory of Content and other Essays. Cambridge, MA [MIT Press] 1990 FREGE, GOTTLOB: Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Herausgegeben von Christian Thiel. Hamburg [Meiner] 1988 GANIS, GIORGO: Visual Mental Imagery. In: LACEY, SIMON; REBECCA LAWSON (Hrsg.): Multisensory Imagery. Chapter 2. New York [Springer] 2013, S. 9-28 GOLDENBERG, GEORG; IVO PODREKA; MARGARETE STEINER; KLAUS WILLMES; ERHARD SUESS; LÜDER DEECKE: Regional Cerebral Blood Flow Patterns in Visual Imagery. In: Neuropsychologia, 27(5), 1989, S. 641-664 GOODMAN, NELSON: Some Notes on Languages of Art. In: Journal of Philosophy 67, 1970, S. 563-573 GOODMAN, NELSON: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1995 GOTTSCHLING, VERENA: Bilder im Geiste. Die Imagery-Debatte. Paderborn [mentis] 2003 GOTTSCHLING, VERENA: Mental Pictures: Pictorial? Perceptual? In: KLAUS SACHS- HOMBACH (Hrsg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung. Köln [Halem] 2005, S. 299-316 GOUDRIAAN, Aza: Philosophische Gotteserkenntnis bei Suárez und Descartes im Zusammenhang mit der niederländischen reformierten Theologie und Philosophie des 17. Jahrhunderts. Leiden, NL [Brill] 1999 HANFLING, Oswald: Mental Images. In: Analysis, 29(5), 1995, S. 166-173 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 43 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation HELM, GERHARD: Symbolische und konnektionistische Modelle der menschlichen Informationsverarbeitung. Eine kritische Gegenüberstellung. Berlin [Springer] 1991 HOBBES, THOMAS: Leviathan. Übersetzt von Jutta Schlösser, eingeführt und herausgegeben von Hermann Klenner. Hamburg [Meiner] 1996 HOLENSTEIN, ELMAR: Mentale Gebilde. In: MÜNCH, DIETER (Hrsg.): Kognitionswissenschaft. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1992, S. 319-342 HUBER, HANS DIETER: Bildhafte Vorstellungen. Eine Begriffskartografie der Phantasie. In: HUBER, HANS DIETER; BETTINA LOCKEMANN; MICHAEL SCHEIBEL (Hrsg.): Visuelle Netze. Wissensräume in der Kunst. Ostfildern-Ruit [Hatje Cantz] 2004, S. 165-216 HUME, DAVID: Ein Traktat über die menschliche Natur. Auf der Grundlage der Übersetzung von T. Lipps, neu herausgegeben von H. D. Brandt. Mit einer Einführung von R. Brandt. Hamburg [Meiner] 2013 ISHIGURO, HIDÉ: Imagination. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary 41 (1967), S. 37-56 KANT, IMMANUEL: Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben, erläutert und mit einer Lebensbeschreibung Kants versehen von Julius H. von Kirchmann. Berlin [Heimann] 1868 KAUFMANN, GEIR: The Many Faces of Mental Imagery. In: CORNOLDI, CESARE; ROBERT H. LOGIE; MARIA A. BRANDIMONTE; GEIR KAUFMANN; DANIEL REISBERG (Hrsg): Stretching the Imagination. Representation and Transformation in Mental Imagery. New York [Oxford UP] 1996, S. 77-118 KEMMERLING, ANDREAS: Mentale Repräsentationen. In: Kognitionswissenschaft, 1, 1991, S. 47-57 KEMMERLING, ANDREAS: Das Bild als Bild der Idee. In: STEINBRENNER, JAKOB; ULRICH WINKO (Hrsg.): Bilder in der Philosophie und in anderen Künsten und Wissenschaften. Paderborn [Schöningh] 1997, S. 153-173 KEMMERLING, ANDREAS: Locke über die Wahrnehmung sekundärer Qualitäten. In: PERLER, DOMINIK; MARKUS WILD (Hrsg.): Sehen und Begreifen. Wahrnehmungstheorien in der frühen Neuzeit. Berlin [de Gruyter] 2008, S. 203-233 KIENZLE, BERTRAM: Primäre und Sekundäre Qualitäten. In: THIEL, UDO (Hrsg.): John Locke. Essay über den menschlichen Verstand. 2. Auflage. Berlin [Akademie] 2008, S. 89-118 KIND, AMY: Imagery and Imagination. 2005. http://www.iep.utm.edu/imagery/ [letzter Zugriff: 20. Februar 2016] KOSSLYN, STEPHEN M.: Scanning Visual Images: Some Structural Implications. In: Perception and Psychophysics, 14(1), 1973, S. 90-94 KOSSLYN, STEPHEN M.: Information Representation in Visual Images. In: Cognitive Psychology, 7(3), 1975, S. 341-370 KOSSLYN, STEPHEN M.: Imagery and Internal Representation. In: ROSCH, ELEANOR; BARBARA B. LLOYD (Hrsg.): Cognition and Categorization. Hillsdale, NJ [Erlbaum] 1978, S. 217-257 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 44 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation KOSSLYN, STEPHEN M.: Image and Mind. Cambridge, MA [Harvard UP] 1980 KOSSLYN, STEPHEN M.: The Medium and the Message in Mental Imagery: A Theory. In: BLOCK, NEIL (Hrsg.): Imagery. Cambridge, MA [MIT Press] 1981, S. 207-244 KOSSLYN, STEPHEN M.: Demand Characteristics? The Second Phase of the Debate. In: OSHERSON, DANIEL; STEPHEN M. KOSSLYN; JOHN M. HOLLERBACH (Hrsg.): An Invitation to Cognitive Science. Volume 2: Visual Cognition and Action. Cambridge, MA [MIT Press], 1990, S. 241-243 KOSSLYN, STEPHEN M.: Image and Brain. The Resolution of the Imagery Debate. Cambridge, MA [MIT Press] 1994 KOSSLYN, STEPHEN M.; THOMAS M. BALL; BRIAN J. REISER: Visual Images Preserve Metric Spatial Information: Evidence from Studies of Image Scanning. In: Journal of Experimental Psychology, 4(1), 1978, S. 47-60 KOSSLYN, STEPHEN M.; William L. THOMPSON; NATHANIEL M. ALPERT: Neural Systems Shared by Visual Imagery and Visual Perception: A Positron Emission Tomography Study. In: Neuroimage, 6(4), 1997, S. 320-334 LEIBNIZ, GOTTFRIED WILHELM: Philosophical Papers and Letters. A Selection, translated and edited, with an Introduction by Leroy E. Loemker. 2nd edition, 2nd printing. Dordrecht [Reidel] 1976 LOCKE, JOHN: Versuch über den menschlichen Verstand. Band 1. Hamburg [Meiner] 1981 LÖBL, RUDOLF (Hrsg.): Demokrit: Texte zu seiner Philosophie. Amsterdam [Rodopi] 1989 LOPES, DOMINIC: Understanding Pictures. Oxford [Clarendon Press] 1996 LYONS, WILLIAM: The Tiger and His Stripes. In: Analysis, 44(2), 1984, S. 93-95 METZLER, JACQUELINE; ROGER N. SHEPARD: Transformational Studies of the Internal Representation of Three-Dimensional Objects. In: SOLSO, ROBERT L. (Hrsg.): Theories in Cognitive Psychology: The Loyola Symposium. Potomac, MD [Erlbaum] 1974, S. 147-201 MITCHELL, WILLIAM JOHN THOMAS: Was ist ein Bild? In: BOHN, VOLKER (Hrsg.): Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1990, S. 17-68 MOYER, ROBERT S.: Comparing Objects in Memory: Evidence Suggesting an Internal Psychophysics. In: Perception & Psychophysics, 13(2), 1973, S. 180-185 NAGEL, THOMAS: Armstrong on the Mind. In: Philosophical Review, 79(3), 1970, S. 394-403 O’CRAVEN, KATHLEEN M.; NANCY KANWISHER: Mental Imagery of Faces and Places Activates Corresponding Stimulus-Specific Brain Regions. In: Journal of Cognitive Neuroscience, 12(6), 2000, S. 1013-1023 PAIVIO, ALLAN: Abstractness, Imagery, and Meaningfulness in Paired-Associate Learning. In: Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 4(1), 1965, S. 32-38 PAIVIO, ALLAN: Mental Imagery in Associative Learning and Memory. In: Psychological Review, 76(3), 1969, S. 241-263 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 45 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation PAIVIO, ALLAN: Imagery and Verbal Processes. New York [Holt, Rinehart & Winston] 1971 PAIVIO, ALLAN: Perceptual Comparisons through the Mind’s Eye. In: Memory & Cognition, 3(6), 1975, S. 635-647 PAIVIO, ALLAN; JOHN C. YUILLE; STEPHEN A. MADIGAN: Concreteness, Imagery, and Meaningfulness Values for 925 Nouns. In: Journal of Experimental Psychology, Monograph Supplement, 76(1.2.), 1968, S. 1-25 PALMER, STEPHEN E.: Fundamental Aspects of Cognitive Representation. In: ROSCH, ELEANOR; BARBARA B. LLOYD (Hrsg.): Cognition and Categorization. Hillsdale, NJ [Erlbaum] 1978, S. 259-303 PAUEN, MICHAEL: Die Sprache der Bilder. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS; KLAUS REHKÄMPER (Hrsg): Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden [DUV] 2004, S. 209-218 PEACOCKE, CHRISTOPHER: Imagination, Experience and Possibility. A Berkeleian View Defended. In: FOSTER, JOHN; HOWARD ROBINSON (Hrsg.): Essays on Berkeley. A Tercentennial Celebration. Oxford [Clarendon Press] 1985, S. 19-35 PLATON: Theaitetos. Der Sophist. Der Staatsmann. Bearbeitet von Peter Staudacher. Übersetzt von Friedrich Schleiermacher. Darmstadt [WBG] 1970 PLATON: Philebos. Übersetzt mit Kommentar von Dorothea Frede. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1997 PLATON: Der Staat (griechisch-deutsch). Übersetzt von Rudolf Rufener. Herausgegeben von Thomas A. Szlezák. Düsseldorf [Artemis & Winkler] 2000 PODGORNY, PETER; SHEPARD, ROGER N.: Functional Representations Common to Visual Perception and Imagination. In: Journal of Experimental Psychology, 4(1), 1978, S. 21-35 POSPESCHILL, MARKUS: Konnektionismus und Kognition. Eine Einführung. Stuttgart [Kohlhammer] 2004 PUTNAM, HILARY: Minds and Machines. In: Hook, Sidney (Hrsg.): Dimensions of Mind. New York [New York UP] 1960, S. 148-179 PUTNAM, HILARY: Representation and Reality. Cambridge, MA [MIT Press] 1988 PYLYSHYN, ZENON W.: What the Mind’s Eye Tells the Mind’s Brain: A Critique of Mental Imagery. In: Psychological Bulletin, 80(1), 1973, S. 1-24 PYLYSHYN, ZENON W.: The Rate of »Mental Rotation« of Images: A Test of a Holistic Analogue Hypothesis. In: Memory and Cognition, 7(1), 1979, S. 19-28 PYLYSHYN, ZENON W.: The Imagery Debate: Analog Media Versus Tacit Knowledge. In: Psychological Review, 88(1), 1981, S. 16-45 RAKOCZY, THOMAS: Böser Blick, Macht des Auges und Neid der Götter. Eine Untersuchung zur Kraft des Blickes in der griechischen Literatur. Tübingen [Narr] 1996 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 46 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation REALE, GIOVANNI: Zu einer neuen Interpretation Platons. Eine Auslegung der Metaphysik der grossen Dialoge im Lichte der »ungeschriebenen Lehren«. Paderborn [Schönigh] 2000 REHKÄMPER, KLAUS: Mentale Bilder und Wegbedeutungen. In: MORIK, KATHARINA (Hrsg.): GWAI-87 11th German Workshop on Artifical Intelligence. Geseke, September 28 – October 2, 1987. Proceedings. Berlin [Springer] 1987, S. 296-305 REHKÄMPER, KLAUS: Mentale Bilder – Analoge Repräsentationen. In: FREKSA, CHRISTIAN; CHRISTOPHER HABEL (Hrsg.): Repräsentation und Verarbeitung räumlichen Wissens. Berlin [Springer] 1990, S. 47-67 REHKÄMPER, KLAUS: Sind mentale Bilder bildhaft? Eine Frage zwischen Philosophie und Wissenschaft. Dissertation. Hamburg [Universität Hamburg] 1991 REHKÄMPER, KLAUS: Analoge Repräsentationen. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen. Amsterdam [Rodopi] 1995a, S. 63-106 REHKÄMPER, KLAUS: Brennt im Kopf ein Licht? – Die Debatte um mentale Bilder. In: DENCKER, KLAUS PETER (Hrsg.): Weltbilder – Bildwelten. Computergestützte Visionen. Hamburg [Hans-Bredow-Institut] 1995b, S. 76-85 REHKÄMPER, KLAUS: Bilder, Ähnlichkeit und Perspektive. Auf dem Weg zu einer neuen Theorie der bildhaften Repräsentation. Wiesbaden [DUV] 2002 RÖD, WOLFGANG: Geschichte der Philosophie. Band 1. Die Philosophie der Antike. Von Thales bis Demokrit. München [Beck] 2009 ROLLINS, MARK: Mental Imagery: On the Limits of Cognitive Science. New Haven, CT [Yale UP] 1989 RORTY, RICHARD: Der Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2012 RYLE, GILBERT: Der Begriff des Geistes. Stuttgart [Reclam] 1987 SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen. Amsterdam [Rodopi] 1995a SACHS-HOMBACH, KLAUS: Die Bilddebatte – Eine historische Einführung. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen. Amsterdam [Rodopi] 1995b, S. 7-20 SACHS-HOMBACH, KLAUS: Die Rehabilitation des Bildes in der Philosophie. Die Debatte um den Stellenwert mentaler Bilder. In: Information Philosophie, 1997, S. 18-27 SACHS-HOMBACH, KLAUS: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln [Halem] 2003a SACHS-HOMBACH, KLAUS: Bild, mentales Bild und Selbstbild. Eine begriffliche Annäherung. In: Leutner, Petra; Hans-Peter Niebuhr (Hrsg.): Bild und IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 47 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation Eigensinn. Über Modalitäten der Anverwandlung von Bildern. Bielefeld [transcript] 2006, S. 116-131 SACHS-HOMBACH, KLAUS; EVA SCHÜRMANN: Philosophie. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2005, S. 124-134 SARTRE, JEAN-PAUL: Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft. Übersetzt von Hans Schöneberg. Reinbek b. Hamburg [Rowohlt] 1971 SCHAFER, KARL: Hume's Unified Theory of Mental Representation. In: European Journal of Philosophy, 23(4) 2015, S. 978-1005 SCHIRRA, JÖRG, R.J.: Einige Überlegungen zu Bildvorstellungen in kognitiven Systemen. In: FREKSA, CHRISTIAN; CHRISTOPHER HABEL (Hrsg.): Repräsentation und Verarbeitung räumlichen Wissens. Berlin [Springer] 1990, S. 68-82 SCHOLZ, OLIVER R.: Bilder im Geiste? – Das Standardmodell, sein Scheitern und ein Gegenvorschlag. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen. Amsterdam [Rodopi] 1995, S. 39-62 SCHOLZ, OLIVER R.: Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung. Frankfurt/M. [Klostermann] 2004a SCHRÖDER, JÜRGEN: Die Sprache des Denkens. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2001 SCHUMACHER, RALPH: Welche Anforderungen muß eine funktionalistische Theorie mentaler Bilder erfüllen? In: SACHS-HOMBACH, KLAUS; KLAUS REHKÄMPER, (Hrsg): Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden [DUV] 2004, S. 197-208 SCHWAN, STEPHAN: Psychologie. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2005, S. 124-133 SEARLE, JOHN R.: Consciousness, Explanatory Inversion and Cognitive Science. In: Behavioral and Brain Sciences, 13(4), 1990c, S. 585-596 SHEPARD, ROGER N.: The Mental Image. In: American Psychologist, 33(2) 1978, S. 125-137 SHEPARD, ROGER N.; SUSAN CHIPMAN: Second-Order Isomorphism of Internal Representations: Shapes of States. In: Cognitive Psychology, 1(1) 1970, S. 1-17 SHEPARD, ROGER N.; LYNN A. COOPER: Mental Images and Their Transformations. Cambridge, MA [MIT Press] 1982 SHEPARD, ROGER N.; JACQUELINE METZLER: Mental Rotation of Three- Dimensional Objects. In: Science, 171, 1971, S. 701-703 SHORTER, J. M.: Imagination. In: Mind, 61, 1952, S. 528-542 SINGER, WOLF: Das Bild in uns – Vom Bild zur Wahrnehmung. In: MAAR, CHRISTA (Hrsg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln [DuMont] 2005, S. 56-76 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 48 Sebastian Gerth: Mentale Bilder als visuelle Form der Weltrepräsentation SLEZAK, PETER: The ›Philosophical‹ Case against Visual Images. In: SLEZAK, PETER; TERRY CAELLI; RICHARD CLARK (Hrsg.): Perspectives on Cognitive Science. Theories, Experiments, and Foundations. Norwood, NJ [Ablex] 1995, S. 237-272 SMITH, QUENTIN: Sartre and Matter of Mental Images. In: Journal of the British Society for Phenomenology, 8(2), 1977, S. 69-78 SORABJI, RICHARD: Aristotle on Memory. Chicago [U of Chicago P] 2006 STERELNY, KIM: The Representational Theory of Mind. Oxford [Blackwell] 1991 THOMAS, NIGEL J. T.: Mental Imagery, Philosophical Issues About. In: Nadel, Lynn (Hrsg.): Encyclopedia of Cognitive Science. Volume 2. London [Nature Publishing Group] 2003, S. 1147-1153 THOMAS, NIGEL J. T.: Mental Imagery. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. 2010. http://plato.stanford.edu/entries/mental-imagery/ [letzter Zugriff: 20. Februar 2016] TIPTON, IAN: Berkeley’s Imagination. In: SOSA, ERNEST (Hrsg.): Essays on the Philosophy of George Berkeley. Dordrecht [Reidel] 1987, S. 85-102 TYE, MICHAEL: The Debate about Mental Imagery. In: The Journal of Philosophy, 81(11), 1984, S. 678-691 TYE, MICHAEL: The Imagery Debate. Cambridge, MA [MIT Press] 1991 TYE, MICHAEL: Imagery. In: GUTTENPLAN, SAMUEL D. (Hrsg.): A Companion to the Philosophy of Mind. Oxford [Blackwell] 1998, S. 355-361 WELSCH, WOLFGANG: Aisthesis. Grundzüge und Perspektiven der Aristotelischen Sinneslehre. Stuttgart [Klett-Cotta] 1987 WITTGENSTEIN, LUDWIG: Tractatus logico-philosophicus. London [Kegan Paul, Trench, Trubner & Co.] 1922 WITTGENSTEIN, LUDWIG: Philosophische Untersuchungen. Philosophical Investigations. Übersetzt von Elizabeth Anscombe. Oxford [Blackwell] 1999 WOLLHEIM, RICHARD: Objekte der Kunst. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1982 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 49 [Inhaltsverzeichnis] Erika Fám Das Wiederbild. Transmediale Untersuchungen von Bild-im-Bild- Phänomenen Abstract The following article focuses on the problem of image in the image, in the sense of intermediality, transmediality and remediation and researches the status of the repeated image. Image-repeating is a raising to power of the image. I would like to carry out an analysis, categorizing the repeated image (Wiederbild). Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Vorstellung der Problematik des Wiederbildes – im Sinne von Intermedialität, Transmedialität, Medienwechsel – und den Status des wiederholten Bildes (Wiederbildes) zu betrachten. Das Wiederbild ist ein wiederholtes Bild. Das Wiederbild ist ein potenziertes Bild. Im Folgenden möchte ich eine Analyse, eine Kategorisierung und Typologi- sierung des Wiederbildes vornehmen. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 50 Erika Fám: Das Wiederbild 1. Einführung » ...das ganze Leben eine Wiederholung ist« (KIERKEGAARD 1998: 3) Als Wiederbild wird jedes Bild (z.B. Foto, Gemälde, Reproduktion, Filmbild, Zeichnung) bezeichnet, das in einem anderen Bild als Bildelement auftaucht. Diese im Bild wiederholten Bilder müssen nicht ausschließlich nur Kunstwer- ke sein. Das Bild ist immer eingeschränkt, begrenzt, abgegrenzt. Das Wieder- bild (Bild im Bild) ist zweimal eingeschränkt, obwohl manchmal der zweite Rahmen, die zweite Einschränkung, unsichtbar bleibt. Das Wiederbild ist eine Re-Repräsentation. Ein Wiederbild ist eigentlich ein wiederverwendetes Bild, das hier im Sinne des Bild-Recyclings funktioniert. Es entsteht eine zweite Darstellung, die nicht identisch mit der ersten Darstellung ist. Ein Wiederbild ist folglich keine einfache Reproduktion, keine einfache Nochmal- Präsentation, sondern eine Bearbeitung eines Bildes im Zusammenhang mit einem anderen (neuen) Bild. Die Wiederbild-Benutzung in visuellen Kunstwerken führt in neue Re- gionen und bahnt womöglich den Weg in eine neue Kunstrezeption. 2. Wiederbild-Formen 2.1 Wiederbilder in den bildenden Kunst Wiederbilder erscheinen in ganz verschiedenen visuellen Medien, Genres und in verschiedenen Formen. Die bildende Kunst hat eine besondere, ausdrückli- che Zuneigung Bilder mehrmals zu benutzen, nicht nur in der Moderne, son- dern in ganz frühen Zeiten der Malerei, in Illustrationen und in Zeichnungen. Dies taucht als eine ungewöhnliche, unregelmäßige Methode auf, um Bilder zu schaffen. Die Wiederholung der Bilder hat immer eine selbstreferentielle Ebene (referiert auf sich selbst, was eigentlich präsentiert) und eine selbstre- flexive Ebene (was ist das Bild eigentlich). Neben dieser Meta-Ebene haben die wiederholten Bilder einen starken intermedialen oder intramedialen As- pekt. Im Folgenden analysiere ich die Wiederbild-Erscheinungsformen in der bildenden Kunst und möchte dabei eine Kategorisierung der Wiederbilder vorstellen. Bild-Beispiele verwende ich dabei ohne eine kunstgeschichtliche, chronologische Folge. Ein Originalbild wird nur dann zu einem Wiederbild, wenn es in einem neuen, in einem aufnehmenden Bild noch einmal benutzt wird: Original-Bild (Vor-Bild) – Wiederbild – aufnehmendes-Bild. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 51 Erika Fám: Das Wiederbild 2.2 Wiederbilder als Collage-Elemente Die Collage wurde als künstlerische Technik programmatisch maßgeblich mit der Avantgarde in den Vordergrund gerückt. Die Collage-Technik benutzt axi- omatisch, grundsätzlich Wiederbilder. Es ist ganz natürlich, dass im Wieder- holungsablauf der Collage nicht das ganze Bild wiederholt wird. Es können auch Bilddetails verwendet werden. Wichtig ist immer im Wiederholungspro- zess, dass der wiederholte Status eines Bildes, sein Migrationshintergrund, erkennbar wird. Was bei Collage-Technik im Sinne der Wiederholung am wichtigsten ist, ist dass in der ganzen Collage nur Wiederbilder, Wiederbil- dersequenzen präsent sind. Eines der ansprechenden, bemerkenswerten Phänomene der Collage ist, dass sich die Bilder manchmal überschlagen. Einige Teile des Bildes sind anwesend, aber unsichtbar. Diese existentielle Frage der bedeckten Bilder determiniert eine ganz ungewöhnliche Wieder- bildperzeption. Die Zuschauer bleiben immer nur teil-orientiert, teil-informiert über die Originalvariante der wiederholten Bilder oder Bildstückchen. Die Collage wollte aber keine Informationen über die Kompositionselemente vermitteln, sondern gestaltet Bilder, die das Gefühl der mehrfachen Gliede- rung akzentuieren und kein Vorwissen mitteilen wollen. Fotocollage und Digitalcollage benutzen Wiederbilder, die in einem homogenen Zusammenhang erscheinen. In Fotocollagen treffen wir meistens Fotos und bei der Digitalcollage arbeiten wir immer mit digitalen oder digita- lisierten Bildern. Die Collage-Technik bietet auch eine heterogene Bearbei- tung der Wiederbilder, verschiedene Medien können in einem neuen Bild zusammentreffen. Wiederbilder benutzt auch der Found-Footage-Film, aber hier ist auch mit der Zeitlichkeit der Bewegungsbilder zu rechnen. Die Simultaneität, die Koexistenz – wie es Thomas Koebner versteht (KROEBNER 2006) – der Wieder- bilder im Fall der Collage ist bei Found-Footage unmöglich, weil die Wieder- bilder – aufgrund der technischen Gegebenheit des Bewegungsbildes – suk- zessiv sein müssen. Selten können zwei, drei oder mehrere Wiederfilme zu- sammenfallen und gleichzeitig erscheinen. Die Anwesenheit der Wiederbilder in einer Collage und die Gleichzei- tigkeit mehrerer Bilder, führt zu einer Zusammensetzung, in der jedes Bild mit seiner eigenen Kraft die anderen beeinflusst und von anderen beeinflusst wird. Diese Fertigprodukte, die in Collagen erscheinen und die als Wiederbild benutzt werden, sind oftmals richtige Fotos oder einfache Reproduktionen von Zeitschriften oder Magazinen. Die Collage-Elemente sind einige von tau- senden gleichen Reproduktionen, darum ist die Bekanntheit oft sehr hoch. Die Kraftimpulse der Bilder in Collagen kommen erstens sicherlich nicht von ihrer Bekanntheit, sondern gehen aus den momentanen bildnerischen Verbindun- gen hervor, die im Perzeptionsablauf visuell, optisch erreichbar sind. Die al- lerwichtigste Rolle in der Collage spielen die Bildergrenzen, die Größe der Bilder, die Materialität, die Vergleichbarkeit mit anderen Bildern. Diese Attri- bute, diese Kennzeichen der Collage determinieren – neben der Platzierung – die Bedeutung eines Wiederbildes. In der dadaistischen Collage ist es fast die IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 52 Erika Fám: Das Wiederbild Regel, dass in die Bildoberfläche neben den wiederholten Bildern, wiederbe- nutzte Bilder auch eigene Zeichen hinzugefügt sind. Es gibt aber auch Colla- ge-Werke, wo nur die Wiederbilder anwesend sind, ohne individuelle Merk- male des Künstlers, wo nur die Konzepte vorherrschen und der Montageakt der wichtigste künstlerische Vorgang ist. Die digitale Collage bietet mehrere Möglichkeiten, Wiederbilder zu verwirklichen. Nicht nur die postmoderne Kunst, sondern auch das postmo- derne Alltagsleben hat eine Neigung, Bilder zu erfassen, sie zu sammeln, zu gruppieren, zu bearbeiten, zu verändern, zu zitieren, zu kombinieren, usw. Jede Homepage, jeder Blog, jede Facebook-Seite, jeder Computer ist eine Collage von Texten und Bildern; dennoch ist es nicht als Collage geschaffen und betrachtet worden, aber die Affinität, die Anlage der Collage-Technik ist eine der Grundeigenschaften der digitalen Ära. Die digitale Kunst hat viele technische Prioritäten in der Collage-Schaffung und benutzt ganz ungewöhn- liche Wege für eine eigene Stimme, um einen eigenen Stil zu bekräftigen. Wir können auch jedes einfache Fotoalbum als eine Form der Collage betrachten. Aber diese Fotoalben sind keine richtigen Collagen, weil sie nicht konzeptuell organisiert sind, sondern meistens als praktische, zweckmäßige, chronologi- sche Bildersammlungen dienen. Eine ganz interessante Bildersammlung hat Gerhard Richter mit sei- nem Atlas (1962) verwirklicht, mit dem er auf 783 Seiten sein eigenes Album verfasst hat, welches verschiedene Bilder aus Zeitschriften und Magazinen enthält, von schon fertiger Bildmaterie also, die Richter nur eingeordnet hat, wie ein Bildsammler. Die Frage ist, ob eine Seite von diesem Richter‘schen Atlas als Bild betrachtet werden kann, weil jedes Bild ganz vereinzelt steht und im Fotoalbum-Stil mit einer weißen Lücke versehen ist. Wenn wir diese Altas-Seiten als Bilder betrachten, dann können wir über eine Collage und über Wiederbilder sprechen. Der Bildstatus der Atlasseite ist abhängig von der Intentionalität des Sammlungsakts, der ganz sicher mit einem Konzept gefertigt wurde. Aby Warburg hat eine Kollektion aus Holztafeln (1923-1929) verwirk- licht, die verschiedene Reproduktionen von Kunstwerken vereint. Die Tafeln waren mit Bildern, Wiederbilder aus unterschiedlichen Bereichen, organisiert, und was einzigartig ist, ist dass diese Bilder beweglich sind, das heißt, mit der Zeit hat Warburg die Bilder immer wieder mit anderen Konfigurationen fi- xiert. Wir können darum Warburgs Tafel als bewegliche Wiederbilder be- zeichnen und als einzigartigen, als besonderen, ausdrücklichen Wiederbild- Typ betrachten. Die Wiederbilder erscheinen immer in einem neuen Bild, in dem sie als Bauelement noch einmal benutzt werden. Im Fall der Collage ist die Bild- wiederholung gleichwertig mit einem Recycling. Die Wiederbilder können im ganz richtigen materiellen Sinne erscheinen, das heißt, das Wiederbild kann ein einzigartiges, originales Bild sein, muss keine Kopie, keine Reproduktion sein. Normalerweise sind die Collage-Elemente Reproduktionen und meistens IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 53 Erika Fám: Das Wiederbild Fotografien. Meistens sind die Collagen aus fixen, nicht beweglichen Wieder- bildern aufgebaut. 2.3 Wiederbild-Benutzung in der Malerei Die Kunstgeschichte kennt zahlreiche Gemälde-Beispiele, in denen eine be- sondere, ausdrückliche Art der Wiederbilder auftaucht, wo ein schon existie- rendes Gemälde noch einmal, als Referenz, als noch einmal-erkennbares Element wiedergemalt wird. Ein ganz ansprechendes, erstaunliches Gemälde kann hier als Beispiel dienen: Willem van Haecht: Atelier Apelles (1630). In diesem Bild finden wir Gemälde von Rubens, Coreggio, Guido Reni, Van Dyck wieder, die als Wie- derbilder erscheinen, als Elemente einer Kollektion, eines sogenannten Ateli- ers, eines privaten Museums. Diese echten, richtigen Wiederbilder erinnern uns an eine Sammlung, die die Kunstgeschichte in einem besonderen, aus- drücklichen, persönlichen Hinblick präsentieren kann. Der erste Eindruck bei Haechts Gemälde ist die Faszination der Vielfältigkeit, die Unzahl der Bilder und nur danach, mit einer intensiveren, tieferen Analyse, zeigt sich die Bedeu- tung der Wiederbilder. Haecht hat mehrere Bilder des gleichen Themas, beil- spielweise in The Gallery of Cornelis van der Geest, wo die Kollektion einen eindrucksvollen, überbelegten Effekt des Dickichts, der Bilderflut zeitigt und das gesamte Gefühl des Bildes bleibt unter dem Druck der Sättigung, einer bildlichen Überflut, die zur Suche mit der Lupe führt. In diesem Bild erschei- nen als Wiederbilder Gemälde von Rubens, Brueghel, Van Dalem, Floris, Van Eyk, Rottenhammer, Elsheimer. Victor Stoichita untersucht ganz gewissenhaft dieses Gemälde von Haech, identifiziert jedes Bild und sucht die Bedeutungs- schichten der Bildkomposition und Bildkonstruktion (STOICHITA 1998). Wenn wir Wiederbilder in der Malerei antreffen, gilt fast eine Regel: Die Wiederbilder sind meistens auch Stücke der Malerei, die noch einmal gemalt sind. Die homogenen Wiederbilder sind als eingerahmte Teile in neu- en Bildern dargestellt. Diese Wiederbilder sind meistens richtige Kopien des Originals, in Miniaturansicht. Darum nenne ich diese Wiederbilder nicht nur homogen-medial (Gemälde im Gemälde), sondern Identität-Wiederbilder oder Kopie-Wiederbilder. Las Meninas von Diego Velasquez (1656) ist auch ein berühmtes Bei- spiel, das als Wiederbild-Ort (aufnehmendes Bild) und Wiederbild-Quelle be- nutzt wird. In Las Meninas erkennen wir mehrere Wiederbilder. Im Hinter- grund des Gemäldes sind Bilder von Martínez del Mazo, Rubens und Jacob Jordaens zu erkennen. Die Wiederbilder in Las Meninas liegen im Schatten, trotzdem sind sie erkennbare Werke. Sie liegen nicht im Fokuspunkt des Ge- mäldes, sondern gestalten sekundäre Schwerpunkte, sodass jedes Wiederbild ein Reflux-Punkt wird. Mehrere Bilder von Las Meninas sind nicht sichtbar, bei einigen sehen wir nur die Rahmenkante und einer der Schwerpunkte des Gemäldes ist das umgekehrt dargestellte Bild, an dem der Maler arbeitet. Hier sehen wir nur die Rückseite des Gemäldes. Dieses Gemälde wird – wie meh- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 54 Erika Fám: Das Wiederbild rere Interpretationen unterstreichen – im Hintergrund stehender Spiegel sichtbar. Eine andere Form der homogen-medialen Wiederbilder sind Bilder, die keine Identität-Kopien sind, sondern nur in einer referentiellen Beziehung mit dem Original stehen. Diese sind die Referenz-Wiederbilder. Das wichtigs- te Merkmal dieser Bilder ist die Wieder-Erkennbarkeit. Es ist möglich, Wiederbilder zu kategorisieren. In der Durchleuchtung der Kopien-Methode können wir über technische Wiederbilder und manuelle Wiederbilder sprechen. Wiederbilder homogen-mediale heterogen-mediale Wiederbilder identitätsgestaltende Wiederbilder Referenz-Wiederbilder (Kopien) (starke Wiederbilder) (schwache Wiederbilder) Wiederbilder technische Wiederbilder manuelle Wiederbilder (technisch re-gestaltete) (manuell re-gestaltete) 2.3.1 Thema-Wiederholung und Bild-Wiederholung. Referenz-Wiederbilder in der Malerei Die Referenz-Wiederbilder sind immer schwächere als die Kopien- Wiederbilder, weil sie eine größere Freiheit haben, anders zu sein. Diese Wie- derbilder sind keine richtigen Wiederbilder, denn durch den Wiederholungs- und Wiedererkennungsablauf kehren auch die Originalbilder zurück; nicht in ihrer Ganzheit und nicht mit totalen materiellen Kennzeichnen, sondern nur als Referenz auf die Original-Variante. In diesem Fall existiert das Original – wie Walter Benjamin den Begriff der Originalität benutzt –, aber als Referenz- Bild. Dabei gibt es eine Art von Wiederbildern, die kein Originalbild im Hin- tergrund haben: Das sind die Pseudo-Wiederbilder. Selbst Las Meninas funktioniert als ein Wiederbild. Dieses Gemälde ist nicht nur eines der meist untersuchten und diskutierten Werke der Kunstge- schichte, sondern eines, das mehrmals benutzte Bilder als Inspirationsquelle oder als wiederholtes bildnerisches Thema mit seinen kennzeichnenden Ele- menten und genauen Bildkonstruktionen verwendet. Picasso hat eine Reihe von Gemälden gemalt, inspiriert von Las Meninas. Diese Bildexperimente sind keine richtigen Kopien oder Nachahmungen des Originalwerks von Ve- lasquez, sondern Bearbeitungen, Neuinterpretationen, Kritiken, Parodien, Hommagen an diese Gemälde. Diese Neuwerke, meistens Gemälde, haben immer meta-malerische, meta-bildnerische Aspekte. Mehrere Bildstudien hat auch Dali über Las Meninas gemalt, das Velasquezsche Bild dient dabei als IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 55 Erika Fám: Das Wiederbild ein Gitter, das gefüllt werden muss. Museo Picasso hat 2008 eine Ausstellung organisiert, mit dem Titel Forgetting Velasquez, im Rahmen dessen eine Rei- he (61 Ausstellungsstücke) der Gemälde und Objekte gesammelt wurden, die am Rand und im Zusammenhang mit Las Meninas geschaffen wurden. Nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch im Film gibt es Nachfolger der Las Meninas. So hat etwa Ihor Podolchak 2008 einen gleichnamigen Film gedreht, welcher selbst nicht Wiederbilder benutzt, aber mit filmischen Instrumenten die Atmosphäre des Gemäldes Velasquez‘ rekonstruiert. Picasso hat in einer Studie eine Reihe (insgesamt 44 Variationen) von Las Meninas-Wiederbildern, Referenz-Wiederbildern geschaffen. Jedes Ge- mälde hat eine ganz unterschiedliche Struktur und Farbwelt. Nach Picassos Wiederbildern wurden noch andere Wiederbilder geschaffen, die gleichzeitig auf Las Meninas und Picassos Las Meninas referieren. Mehrere Künstler ha- ben Picasso-ähnliche Wiederbilder als Hommage geschaffen, diese werden verdoppelt, potenziert und funktioniert als Referenz-Wiederbilder, wie z.B. Homenaje a Picasso von Roy Lichtenstein und Hommage a Picasso von Ri- chard Hamilton. Mit der Verdopplung wird eine Parallelität und eine Rivalität zwischen dem Original-Bild und dem ersten Referenz-Bild geschaffen, weil beide in dem zweiten Referenz-Bild nur hypothetisch anwesend sind. Auf jeden Fall hat das Original-Bild mehrere Referenz-Bilder inspiriert und schafft damit einen neuen Hintergrund, der als Originalbild für die zweiten Referenz- Wiederbilder fungiert. Theoretisch ist es möglich, zahlreiche Referenz- Wiederbilder von einem einzigen Original- oder Vor-Bild zu schaffen; aber normalerweise existieren in der Kunstpraxis nur ein oder zwei Referenz- Bilder. Las Meninas inspiriert auch ganz ungewöhnliche Formen von Refe- renz-Wiederbildern, in denen nur einige Struktur-Elemente wiederholt werden und sonst keine Form- oder Farbelemente. Ein solches Beispiel wäre Salvador Dalis Gemälde Las Meninas, das keine Figuren enthält, die auf das Vor-Bild referieren könnten. So bleibt nur die Platzierung der Figuren in den Original- Bildern als festes Element in den Wiederbildern, und statt Figuren treffen wir gemalte Zahlen. Eine andere Art der Wiederbilder, die die Las Meninas wie- derholt haben, sind die Kopien-Wiederbilder. Luis Barba hat die Las meninas según Velázquez geschaffen, wo eine einfache Kopie, Fotokopie von Las Meninas mit Neuelementen ergänzt wurde, nämlich mit zwei Zuschauern der heutigen Zeit. Ein ähnliches Wiederfilm-Modell hat Zbigniew Rybczinki in seinem Film Steps eingeführt, in dem in eine Kopie von Eisensteins Panzer- kreuzer Potemkin (1925) ganz einfach amerikanische Touristen treten, die nicht nur den Ort der Verfilmung bewundern, sondern an der Geschichte des Film teilnehmen, ohne jedoch eine ganzheitliche Präsenz, weil sie als Besu- cher des Films vor der Gefahr des Geschehens geschützt sind. Die Kopie-Wiederbilder haben zwei verschiedene Formen: bearbeitete und nicht bearbeitete Varianten. Wenn ein Wiederbild nicht bearbeitet ist, ist es nur eine einfache Kopie. Mona Lisa ist nicht nur eines der bekanntesten, vielleicht das bekannteste Gemälde der Kunstgeschichte, sondern auch eine IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 56 Erika Fám: Das Wiederbild Quelle für zahlreiche Wiederbild-Produktionen. Ganz früh haben Autoren Leonardo da Vincis Mona Lisa als Inspiration benutzt. Als ein besonderes, ausdrückliches Beispiel für das innere Wiederbild, in dem die Mona Lisa als manuelle Kopie anwesend ist, kann man Cesare Maccaris Gemälde wählen, in dem Leonardo selbst präsentiert wird, im Schaffensprozess der Mona Lisa. Dieses Gemälde ist ein Atelier-Gemälde, das die Produktion des renommier- ten Bildes wiedererweckt und auch Lisa del Giocondo, das wirkliche Subjekt des Bildes, darstellt. In diesem Gemälde treffen wir eine verdoppelte Mona Lisa; eine, die Leonardo malt, und eine, die von Maccari gemalt ist. Leonardos Bild ist hier ein teilweises inneres Wiederbild: Wir sehen nicht das ganze Tab- leau, in dem Mona Lisa von Leonardo dargestellt wird, ein Stück fehlt, weil im Schaffensprozess die Bekleidung des Meisters den unteren Teil des Gemäldes abdeckt. Die Atelier-Bilder, als Bildkompositions-Modell und als Bild-Thema, waren in der Malerei des 19. Jahrhunderts sehr verbreitet. Samuel F. B. Mor- se hat auch ein Atelier-Bild gefertigt, die Gallery of the Louvre (1831-1833), in dem die Mona Lisa als eines von mehreren Bildern dargestellt wird, die an der Wand des Louvre hängen. Daneben sehen wir mehrere Künstler, die Ko- pien von verschiedenen Gemälden verwirklichen. Hier ist die Mona Lisa also nur eines von mehreren Bildern, ihre Einzigartigkeit ist nicht akzentuiert und kommt nicht zur Evidenz, ihr Wert ist ähnlich oder gleich mit dem Wert der anderen Gemälde. Jedes Gemälde, das in diesem Bild dargestellt ist, wird ohne Ausnahme Wiederbild. Morses Gemälde ist ein Dokument über den Louvre und wiederholt das Ausstellungskonzept im Schaffungsjahr. Mona Lisa ist in diesem Bild eine manuelle Kopie, ein Kopie-Wiederbild. Nicht nur unterschiedliche Kopien sind nach der Mona Lisa geschaf- fen, die Wiederholungsmethoden sind dabei ganz verschieden. Eugen Bataille hat eine Illustration von Mona Lisa in Schwarz-Weiß dargestellt. Hier fehlen die Farben und der Glanz des Bildes. Die minimalisierte Kopie ist ein bearbei- tetes Wiederbild, in dem ganz ironisch und sarkastisch Mona Lisa raucht und in der Hand eine Pfeife hält. Mit dieser karikaturistischen Wiederdarstellung der Mona Lisa bekommt das Originalbild eine neue Bedeutung: Das Schön- heitsideal, das Leonardos Gemälde berühmt gemacht hat, wird befragt, kriti- siert, ironisiert und durch das moderne Menschen- und Frauenbild abgelöst. Mit dem Konstruktivismus kehrt die Montagetechnik und damit auch die Wiederbilder zurück. Kasimir Malewitsch hat ein Gemälde mit dem Titel Komposition mit Mona Lisa (1914) gemalt. Dieses Gemälde ist mit Collage- Elementen geschaffen, wo wir neben anderen kleinen Wiederbild-Flecken, auch ein Mona Lisa-Wiederbild treffen, eine zerstörte, kleine Reproduktion, die vorher eine Zeitschrift-Illustration war. Das Mona Lisa-Wiederbild ist nicht vollständig, es ist eine verkleinerte Reproduktion und in Sepia dargestellt. Dieser kleine Ausschnitt ist gespaltet, was auch eine moralische Bedeutung hat. Der Wert der Mona Lisa ist nicht so hoch und nicht so stark wie früher, das Bild kann auch in diesem zerstörten Zustand präsentiert werden. Diese Wertlosigkeit ist akzentuiert mit einer zweifachen Durchstreichung mit rotem IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 57 Erika Fám: Das Wiederbild Bleistift. So wird auch eine Annullierung des Bildes suggeriert. Trotz dieser negativen Bedeutungen dominiert das Mona Lisa-Wiederbild als einziges figuratives Element das gesamte Gemälde von Malewitsch, und übersteigt die ganze Komposition. Nicht nur die figurative Darstellung, sondern auch die Bekanntheit der Mona Lisa fokussiert dabei die Aufmerksamkeit der Zuschau- er. Salvador Dalis Selbstportrait (Self Portrait as Mona Lisa, 1954) ist auch eine Art von Karikatur, eine bipolare Kritik von Leonardos Bild und auch von sich selbst. Mehrere Paradoxien bildet Dalis Mona-Lisa-Wiederbild, das Bild ist ein Hybrid der zwei Bilder, zwei Geschlechter, zwei Epochen, zwei Atmosphären. Die Mona Lisa erscheint auch als ein serielles Bild. Andy Warhol hat mit einer Stempel-Methode ein Bild geschaffen (1963), in dem etwa 30 Mal in verschiedenen Farben die Mona Lisa re-gestaltet wurde. Die Pop-Art hat eine sehr große Zuneigung, serielle Bilder zu gestalten und sie hat mit mehrfachen Wiederholungen nicht nur eine Kritik der Reproduzierbarkeit (Walter Benja- min) akzentuiert, sondern auch des seriellen Lebens, der Industrialisierung des Lebens und der Kunst. Mit dem Wiederholungsakt haben die Pop- Künstler eine Vertiefung und eine Neuwertung der Dinge, der Menschen, der Kunstwerke akzentuiert. Dieser Wiederbildtyp, das serielle Wiederbild ist ein potenziertes Wiederbild. 2.4 Wiederbilder als Reproduktionen Fast jedes Wiederbild verliert mit der Reproduktion seine eigene Materialität und Medialität und erhält eine neue Materialität, z.B. kann ein Gemälde von Picasso als Zeitungsillustration erscheinen und später zu einem Collagen- Element werden. Ein Foto in einem Film verändert auch seine Medialität. Meistens erhalten Wiederbilder, die in Zeitschriften präsentiert werden, eine Foto(Kopie)-Medialität. Die Ausnahmen sind, wenn über ein Gemälde ein Gemälde-Wiederbild verwirklicht wird, wenn ein Foto fotografiert oder ein Film wiederverfilmt wird. Es gibt auch die Möglichkeit, ein schon existierendes Bild in einem neuen Bild ohne Reproduktion, in seiner eigenen Totalität nochmals zu be- nutzen, das wäre das Original-Wiederbild. Mit dieser Verwendung wird das Wiederbild in das neue Bild eingebaut und dieser Akt wird einzigartig und nicht mehr wiederholbar. Im Folgenden beschäftige ich mich mit den Kopie-Wiederbildern, die als Reproduktionen erscheinen. Die Reproduktion selbst kann eine manuelle oder eine technische Reproduktion – nach Benjamins Terminologie – sein. Benjamin akzentuiert, dass jedes Kunstwerk reproduzierbar ist. Jedes Kunst- werk ist einzigartig in seiner ersten Erscheinung und danach wird diese Ein- zigartigkeit in den späteren Wiederholungsakten eingelöst. Wie Benjamin formuliert, ist die Wiederholung eine der elementarsten Zuneigungen des Menschen, etwas wieder zu gestalten und wieder zu schaffen, ein vorheriges IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 58 Erika Fám: Das Wiederbild Modell als Schutz, als Versicherung, als ein sicheres Vor-Bild zu benutzen und wieder zu verwirklichen. Die Reproduktion selbst, in diesem Sinne der Wie- derholung, ist ein natürlicher Akt der menschlichen Schaffungswelt. »Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden« (BENJAMIN 2006: 9). Bevor ich die Reproduktionstypologie untersuche, reformuliere ich die ontologische Frage über der Reproduktion. Was bedeutet eigentlich Repro- duktion? Re-Produktion mit lateinischen Wurzeln referiert auf die Wiederho- lung des Schaffens, der Realisierung. Die technische Reproduktion ist eine schnelle, einfache Art der Reproduktion, die mit Hilfe einer Maschine, eines Geräts verwirklicht ist. Die technische Reproduktion – gegenüber der manuel- len Reproduktion, wie z.B. beim wiederholten Malen, wiederholten Zeichnen – ist eine einfache Art der Vervielfältigung, die sehr schnell viele Kopien pro- duzieren kann. Mit technischen Reproduktionen verlieren einige Medien ihre Materialität, wie z.B. Gemälde, Zeichnungen und Statuen. Jedoch vervielfälti- gen sich die elektronisch oder digital verwirklichten Medien, ohne dass sie ihre eigene Medialität oder Materialität verlieren müssen. Nur der Erschei- nungsort der Kopien weicht ab. Ganz natürlich weichen mit der Wiederholung auch die raum-zeitlichen Koordinaten des Bildes von der Materialität des Vor- Bildes ab. Der Mythos der Originalität ist an das Konzept des Benjamin‘schen Aura-Begriffs gekoppelt. Benjamin macht sich Sorgen über die Verminderung oder das Verlieren der Aura des Kunstwerks. Was bedeutet für Benjamin die Aura eines Kunstwerkes? Die Einzigartigkeit, die Einmaligkeit eines Kunstwerks ist eng verbun- den mit seiner Aura. Die Aura ist nach Benjamin nur einmal anwesend, sie ist abhängig von der ersten Erscheinung. Heute, wenn wir die endlosen Mög- lichkeiten der Reproduktion verwirklichen und erleben können, ist es möglich zu sagen, dass die Reproduktionen selbst ihre eigene Aura haben, jede Wie- derholung holt sich ihre eigene Aura. Diese muss nicht mit der Aura des Ori- ginals identisch sein, sondern hat eine besondere, ausdrückliche Aura, die mit der Wiederholung selbst erscheint, auch als ein Teil der Original-Aura und bekommt als Zusatz eine neue Aura. Die Aura, wie Benjamin definiert, ist eine »einmalige Erscheinung einer Ferne« (BENJAMIN 2006: 16). Das Bild selbst können wir als Erscheinung einer Ferne definieren, ein wiederholtes Bild als eine verdoppelte Erscheinung einer Ferne. Darum kann es eine verdoppelte Aura haben und wird der Gefahr unterstellt, dass die Aura des Originals ver- schwinden kann. Es wäre fraglich, ob die Aura mit der Wiederholung, die die Einmaligkeit annulliert, verschwindet oder nicht. Das Wiederbild selbst ist auch eine einmalige Erscheinung einer Ferne, im Fall des Wiederbildes ist die Ferne selbst das Bild, das wiederholt wird. Als logische Folge gilt: Jedes Wie- derbild hat seine eigene Aura, weil jedes Wiederbild ein Bild ist und jedes Bild seine eigene Aura hat, auch die Kopienbilder. Ein Foto als Wiederbild, das ein Gemälde repräsentiert, ist selbst ein Original-Bild, nicht im Sinne der Wiederholung, sondern im Sinne einer neu- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 59 Erika Fám: Das Wiederbild en Erscheinungsform, eines schon existierenden Bildes und es bekommt da- mit neue Koordinaten, Materialität und Medialität. Die Kontextualität, der Zweck der Benutzung des Wiederbildes erneuert das wiederholte Bild, er- frischt und verändert die Originalvariante, aber diese Veränderungen, Erneue- rungen müssen wir nicht als einen negativen Effekt verstehen und wir müs- sen auch nicht den Originalwert oder die kennzeichnende Aura der Original- werke mit der Wiederholung als beschädigt betrachten. Die Wiederholung bildet eine neue Aura-Dimension. Ohne Picassos Interpretation wird Leonar- dos Werk (Mona Lisa) ärmer. Durch jede Wiederholungsform und jeden Wiederholungsakt – sei es nur die einfachste Zeitschrift-Illustration, durch eine fotografisch-technische Reproduktion – wird die Anwesenheit des Origi- nalbildes akzentuiert und als Referenzpunkt tiefer in der Benutzung einge- prägt und mit neuen Bedeutungen bereichert. 2.5 Pseudo-Wiederbilder Die Wiederbild-Formel lautet: Ein Vor-Bild wird mit Hilfe eines Wiederho- lungsaktes in einem neuen Bild, in sogenannten Wiederbildern, nochmal einmal präsentiert. Das aufnehmende Bild ist das Neubild, in dessen Struktur ein Wiederbild eingebaut ist. Ein Wiederbild kann als integrales Bild oder als Teil-Bild in einem anderen Bild erscheinen. Andererseits ist ein Wiederbild ein wiederholendes ganzes Bild oder nur ein Teil eines Vor-Bildes. Wiederbild (nach Erscheinungsform) integrales Wiederbild: Die ganze integriertes Wiederbild (Bild im Bild): Vorbild-Kopie bedeutet das ganze Das ganze Wiederbild ist nur ein Teil Wiederbild. des aufzunehmenden Bildes. Wiederbild (nach Art der Wiederholung) Total-Wiederbild: Das gesamte Vor- Teil-Wiederbild: Nur ein Teil des Vor- bild wird wiederholt. bildes wird als Wiederbild verwendet. Normalerweise hat jedes Wiederbild ein Vor-Bild, ein schon existierendes Bild, ein reales Bild. Es gibt auch Wiederbilder, die kein Vor-Bild haben. Das sind die Pseudo-Wiederbilder. Jedes Bild, das allein steht – im atomistischen Sinne – ist kein Wieder- bild. Ein Wiederbild taucht nur dann auf, wenn es in Kontakt mit einem ande- ren Bild tritt. Das heißt, jedes Wiederbild ist ein Bild im Bild. Aber nicht jedes Bild im Bild kann ein richtiges Wiederbild sein, weil das Wiederbild immer ein Bild voraussetzt, das vor dem zweiten, aufnehmenden Bild existiert hat, und zwar in einem anderen Bereich, in einer anderen Form, in einer anderen Me- dialität, an einem anderen Ort. In diesem Sinne können wir in der Malerei existierende Bild-im-Bild-Kompositionen nicht immer als einfache Wiederbil- der behandeln, wenn die Vor-Bilder mentale Bilder sind, die einmalig in ei- nem Bild existieren. Diese Bilder haben keine Vor-Existenz. Sie sind keine IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 60 Erika Fám: Das Wiederbild echten Wiederbilder. Ich nenne diese Art von Wiederbildern Pseudo- Wiederbilder. In der Magrittschen Malerei gibt es eine wichtige Reihe von Gemäl- den, die Pseudo-Wiederbilder darstellen, wo Bilder in Bildern gemalt sind, meistens Gemälde im Gemälde. Eines der überraschenden Elemente dieser Pseudo-Wiederbilder ist die Pseudo-Kontinuität, die Beständigkeit zweier Bil- der. Das Pseudo-Wiederbild, das als Wiederholtes funktioniert, präsentiert das zentrale Element, das in den aufzunehmenden Bildern erscheint und fort- geführt wird. Das Landschaftsbild, das in Die Beschaffenheit des Menschen (1933) dargestellt wird, erscheint zugleich in zwei Rahmen, dem Rahmen der gemalten Leinwand, die an der Holzstaffelei steht, und dem Rahmen des Fensters. Das Fenster bietet die Information und Inspirationsquelle, aber zwi- schen der gemalten und der realen Landschaft gibt es nur eine Bilderkante. Mit Hilfe der Malerei können wir nur die gemalte Realität erreichen und ken- nenlernen. Die von den Malern perzipierte Landschaft bleibt uns ein Rätsel, ein Geheimnis, ein unbekanntes Stück der Welt. Die Kontinuität-Wiederbilder bei Magritte schaffen einen Teufelskreis, sie akzentuieren, betonen die Unge- wissheit der Bildgrenzen und Realitätsgrenzen. Was ist ein Pseudo-Wiederbild eigentlich? Wenn in einem Bild ein an- deres Bild erscheint, ohne dass ein reales vor-existierendes Bild im Hinter- grund steht, dann haben wir es mit Pseudo-Wiederbildern zu tun. Das Pseu- do-Wiederbild wird gleichzeitig und gemeinsam mit dem aufzunehmenden Bild geschaffen, das vorher nur als Idee, als Konzept, als mentales Bild exis- tierte. Wie jedes Wiederbild referiert auch das Pseudo-Wiederbild immer auf ein anderes Bild, dieses Mal auf ein abwesendes Bild, das jedoch als ein rea- les Bild dargestellt wird. Der integrierte, angeschlossene Rahmen in einem Gemälde verändert die innere Grundstruktur, das Gerüst eines Wiederbildes, unabhängig davon, ob wir mit einem realen Wiederbild rechnen müssen oder nicht. Die Spring- flut (Magritte, 1951) repräsentiert ein paar Wolken und ganz trüb aufstoßen- de, in regelmäßigen Distanzen einige Bällchen-Planeten. Es ist ganz eindeu- tig, dass dieses Wiederbild ein Pseudo-Wiederbild ist, aber wir können unter- stellen, dass nur der Bilderrahmen und die Planeten ein künstliches Element des Bildes im Bild ist und die Wolken die nachgeahmten Realität-Stückchen sind. Das aufnehmende Bild hat einen schwarzen Hintergrund und die Steine sind auch ganz künstlich dargestellt, darum müssen wir die ganze Bildkom- position als ein inneres, mentales Bild entwerfen. Das Wiederbild ist ein Fan- tasie-Bild, das im surrealistischen Sinne potenziert ist, der Gemäldeinhalt führt zu einer anderen bildhermeneutischen Interpretation als in dem Fall, wenn ohne Rahmen, Wolken, Steine und Dunkelheit das Gemälde gemalt worden wäre. Wie hoch der Eindeutigkeitsgrad, die Wahrscheinlichkeit des Pseudo- Status‘ eines Wiederbildes ist, ist immer abhängig von der Zielsetzung des künstlerischen Akts, von kulturellen, kunstgeschichtlichen, informativen Vor- kenntnissen des Betrachters sowie der Bekanntheit des wiederholten Bildes. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 61 Erika Fám: Das Wiederbild In diesem Sinne können wir die Wiederbilder in zwei große Gruppen einord- nen, in die erste Gruppe gehören Wiederbilder, die ganz berühmte Bilder wiederholen, in die zweite gehören Wiederbilder, die meistens unbekannt sind, die Pseudo-Wiederbilder können auch nach unbekannten Vor-Bildern verwirklicht werden. Bei unbekannten Wiederbildern ist es immer schwierig die Richtigkeit, den Realitätsgrund des Vor-Bildes zu entschieden und hier kann der Betrachter zwei verschiedene, widersprüchliche Arten des Umgangs entwickeln, entweder forscht er weiter und sucht den realen Hintergrund der Wiederbilder oder er geht einen anderen hermeneutischen Weg und formu- liert eine eigene Interpretation, bei der Fantasie und subjektive Argumente eine ganz wichtige Rolle spielen. Samuel van Hoogstraten stellt in seinem Gemälde Die Pantoffeln (1658) einen Flur dar, in dem drei Räume präsentiert werden, der Flur selbst und zwei Zimmer. Jeder Raum ist ganz geheimnisvoll und bietet ganz wenige Informationen, aber die Atmosphäre und die Details definieren unmittelbar den Zusammenhang und füllen die Leerstellen des Bildes. Im hinteren Raum sehen wir zwei Bilderrahmen, wobei nicht ganz klar ist, ob es bei dem einen um einen Spiegel oder ein Gemälde handelt. Nur der Bilderrahmen kann ei- nige Hinweise zu dem Bild oder dem Spiegelsinn des Eingerahmten geben. Höchstwahrscheinlich sind beides Gemälde, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass einer oder beiden Rahmen einen Spiegel hat. Das Gemälde selbst ist keine Hilfe bei der Identifizierung des Wiederbildes. Es ist möglich, die Rah- meninhalte als Wiederbilder zu betrachten, und es ist eine Interpretations- möglichkeit, es als reales, richtiges Wiederbild oder als ein Pseudo- Wiederbild zu betrachten. Der Verrat der Bilder (1928) ist ein potenziertes Magritte-Werk und es ist möglich, weiter zu steigern, weiterzudenken, weiter zu potenzieren. Gilles Deleuze hat ein faszinierendes Foto, auf dem Spiegelbilder als Wiederbilder ein endloses Bild gestalten, die Figur – Deleuze selbst – verdoppelt sich ers- tens im Spiegel, dann reflektiert sie sich im gegenüberstehenden Spiegel, der das Spiegelbild wiederholt. Aus technischen Gründen gibt es keine Möglichkeit, im Film Pseudo- Wiederbilder zu erzeugen, weil im Film jedes verfilmte Element einen realen Hintergrund haben muss, anders ist der Verfilmungsakt nicht möglich. Es ist möglich, mit digitaler Bearbeitung Pseudo-Wiederbilder hinzufügen, aber in diesem Fall tritt das Filmbild im Standbild zurück und wir würden nicht mehr über Verfilmung, sondern über eine Filmbearbeitung sprechen. Auf jeden Fall fordert der Film immer verfilmbare Realitäten als Grundelement, die später mit filmischen Techniken und Mitteln wieder bearbeitet werden können. Da- her muss das Wiederbild irgendwie vorher existieren, wodurch die Möglich- keit seines Pseudo-Status‘ eher weniger gegeben ist als im Fall der Malerei. Ausnahmen bilden die Zeichentrickfilme, die auch Bewegungsbilder sind, aber keine Vor-Filme haben müssen, wenn sie als Wiederfilme benutzt wer- den. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 62 Erika Fám: Das Wiederbild 3. Wiederbild-Typologie Die Wiederbilder erscheinen in verschiedenen Formen, haben verschiedene Medialitäten, sind in unterschiedlichen Konfigurationen, Aufstellungen einge- stellt und darum ist es möglich und ist es nötig, eine Kategorisierung, eine Typologisierung vorzunehmen. Bis jetzt haben wir uns mit einigen Formen des Wiederbildes beschäftigt, nämlich mit den Reproduktions-Wiederbildern und mit den Pseudo-Wiederbildern als typische Wiederbilderscheinungsfor- men. Im Folgenden möchte ich eine Kategorisierung nach unterschiedlichen Gründen, unterschiedlichen Ansätzen vornehmen. Erstens möchte ich die verschiedenen Wiederbildformen benennen und bestimmen, für jedes ein Beispiel geben, und dabei unter anderem auch Wiederbilder im Film untersu- chen. 3.1 Das Wiederbild nach Erscheinungsformen a) integrales Wiederbild: Das ganze Vorbild ist als Wiederbild präsent und die Größe des Wiederbildes stimmt mit der Größe des aufnehmenden Bildes überein, egal ob es die gleiche Größe hat wie die Originalvariante oder nicht, egal ob es sich um einfache Kopien oder bearbeitete Wiederbilder handelt. Beispiel: Eugene Bataille: La Joconde fumant la pipe in Le Rire (1887) b) integriertes Wiederbild: Das Wiederbild ist nur ein Teil des aufnehmenden Bildes, das Wiederbild ist als Maß kleiner als das aufnehmende Bild, egal welche Beziehung es zum Vorbild hat, ob es kleiner, größer oder bearbeitet, nicht bearbeitet ist, das ganze Vorbild oder nur ein Teil von diesem für das Wiederbild verwendet wird. Das integrierte Wiederbild ist ein bemerkbares Bild im Bild. Beispiel: Cesare Maccari: Leonardo che ritrae la Gioconda (1863) 3.2 Das Wiederbild nach Art der Wiederholung des Vorbildes a) Total-Wiederbild: Das ganze Wiederbild ist eine Wiederholung, egal ob es ein integrales oder integriertes Wiederbild ist. Beispiel: Morse Samuel F. B.: Gallery of the Louvre (1831-1833) b) Teil-Wiederbild: Das Wiederbild ist nur ein Teil des Vorbildes, egal ob es ein integrales oder integriertes Wiederbild ist. b.1) integrales Detail-Wiederbild: Das Vorbild-Detail erfüllt als Wiederbild das ganze aufnehmende Bild. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 63 Erika Fám: Das Wiederbild Beispiel: Jan Vermeer van Delft: Das Liebesbrief (1669-1670) b.2) integriertes Detail-Wiederbild: Das Wiederbild, das nur ein Detail vom Vorbild ist, macht nur einen Teil des aufnehmenden Bildes aus. Beispiel: Jan Vermeer van Delft: Sitzende Virginalspielerin (1673-1675) 3.3 Das Wiederbild nach Stamm des Vorbildes a) externe Wiederbilder: Das Vorbild ist ein selbstständiges, reales Bild, das außerhalb des aufnehmenden Bildes bereits vorher existiert hat. Beispiel: Kasimir Malewitsch: Komposition mit Mona Lisa (1914) b) interne Wiederbilder: Dasselbe Wiederbild ist mehrmals im aufnehmenden Bild anwesend. Beispiel: Andy Warhol: Mona Lisa (1963) c) autobiografisches Wiederbild: Das Vorbild ist ein vorheriges Bild desselben Autors. Beispiel: Rene Magritte: Die zwei Mysterien (1966) 3.4 Das Wiederbild nach Status des Vorbildes a) reales Wiederbild: Das Vorbild existiert in der Realität wirklich, es hat eine eigene Materialität und Medialität und deutliche Koordinaten, an denen es örtlich und zeitlich gefunden werden kann. Beispiel: Andy Warhol: Mona Lisa (1963) b) Pseudo-Wiederbild: Das Vorbild existiert nicht real; es hat keine Materiali- tät, sondern existiert nur als mentales Vorbild. Beispiel: Rene Magritte: Die Springflut (1951) 3.5 Das Wiederbild nach materieller Erscheinung a) materielle Wiederbilder: Das ganze Vorbild ist mit dem Wiederbild iden- tisch. Ganz selten wird diese Wiederholungsform verwendet und es ist frag- lich, ob im Fall zum Beispiel einer Performance ein echtes Bild, das benutzt wird, als Wiederbild betrachtet werden kann. Das untere Beispiel ist ein Stück der experimentellen Serie Gerhard Richters, ein Stück eines neuen Genres und zwar der bemalten Fotografie. Hier ist das Wiederbild ein Foto, das ei- gentlich einmalig ist, aber nicht im Sinne der Originalität, weil es möglich ist, mehrere gleiche Fotos zu entwickeln, trotzdem können wir über ein materiel- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 64 Erika Fám: Das Wiederbild les Wiederbild sprechen (Hier sprechen wir nicht über eine Kopie des Fotos, sondern über ein Foto). Beispiel: Gerhard Richter: Wasserlandschaften, 21.05.2008, übermalte Fotografien b. Kopie-Wiederbilder: Das Vorbild, das Originalbild ist mit dem Wiederbild nicht identisch. Allerdings kann das Wiederbild mit dem aufnehmenden Bild identisch sein und muss nicht nur als Bild im Bild erscheinen. b.1. manuell gestaltete Wiederbilder: Das Wiederbild wird mit manuellen Techniken, wie Malerei, Zeichnungen neugestaltet, egal ob es ein integrales oder integriertes Wiederbild ist. Das Endprodukt muss nicht in jedem Detail mit dem Vorbild eine Identität suggerierende Konstruktion sein, nur die Ähn- lichkeit und die Wiedererkennbarkeit des Vorbildes müssen funktionieren. Beispiel: Pablo Picasso: Las Meninas (1957) b.2. technisch reproduzierte Wiederbilder: Das Wiederbild wird mit techni- schen Werkzeugen erreicht. In diesem Fall soll die Kopie identisch-ähnlich sein, weil die technischen Getriebe unter anderem darum benutzt sind, dass die Kopie möglichst perfekt wird. Aber das ist keine Regel. Es ist die Möglich- keit, dass eine Kopie ganz unscharf und körnig ist, planmäßig, mit einem künstlerischen Zweck oder aus einem ästhetischen Grund so verwirklicht. Beispiel: Andy Warhol: Mona Lisa (1963) 3.6 Das Wiederbild nach Ähnlichkeitsgrad des Vorbildes a) identitätsgestaltende Wiederbilder (starke Wiederbilder): Wie die Kopie- Wiederbilder haben sie meistens einen hohen Ähnlichkeitsgrad mit dem Vor- bild (z.B. ein Foto von einem Gemälde). Beispiel: ein Foto von Diego Velasquez‘ Las Meninas (1656) b) Referenz-Wiederbilder (schwache Wiederbilder): Diese haben einen niedri- gen Ähnlichkeitsgrad mit dem Vorbild. Beispiel: Salvador Dali: Las Meninas (1957) 3.7 Das Wiederbild nach medialer Zugehörigkeit a) homogene Wiederbilder: Das Wiederbild hat die gleiche Medialität wie das Vorbild, wie z.B. Gemälde von Gemälden, Fotos von Fotos, Filme in Filmen. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 65 Erika Fám: Das Wiederbild Beispiel: Willem van Haecht: Apelles malt Campaspe (1630) b) heterogene Wiederbilder: Das Wiederbild hat eine andere Medialität als das Vorbild, wie z. B. ein Foto von einem Gemälde, ein Foto von einem Film, ein Film über ein Foto, ein Film über ein Gemälde. Beispiel: Fellini: Casanova (1976) 3.8 Das Wiederbild nach zeit-räumlichen Attributen a) Wiederbilder als Standbilder (Kategorisierung nach medialer Verschieden- heit und mediale Kombinationsmöglichkeiten der Wiederbildproduktion): • Foto im Foto, Foto über Foto (materielle od. neugestaltete Wieder- bilder) • Foto über Film • Foto über Gemälde, Foto über Zeichnung • Gemälde über Gemälde • Gemälde über Fotos • Gemälde an Fotos oder Zeichnung b) Wiederbilder als Bewegungsbilder (Wiederbilder, die im Film erscheinen): • Foto im Film • Gemälde im Film • Zeichnung im Film • Film im Film – nach Genre • Dokumentarfilm im Film • Spielfilm im Film • Zeichentrickfilm im Film • Theaterfilm im Film oder verfilmtes Theater im Film c) Wiederfilme – nach Menge des Wiederfilmes, der im Film erscheint: • Wiederfilme im Rahmen • Wiederfilm im Fernsehen • Wiederfilm im Kino • Wiederfilm im Kameraanzeiger • Wiederfilme als Montageelemente 3.9 Wiederbilder nach Menge der Wiederbildzahl in einem aufnehmenden Bild a) ein Wiederbild in einem aufnehmenden Bild: Beispiel: Lothar Wolleh: Rene Magritte (1967, Fotografie) b) mehrere Wiederbilder in einem aufnehmenden Bild: Hier trennen wir nicht die zwei, drei, vier usw. in jeder Wiederbild-Menge. Beispiel: Peter Blake: Auf dem Balkon (1955-1957) IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 66 Erika Fám: Das Wiederbild c) potenzierte Wiederbilder: Das aufnehmende Bild enthält wenigstens zwei Wiederbilder. c.1) homogen-potenzierte Wiederbilder: Das gleiche Bild wiederholt sich mehrmals im gleichen aufnehmenden Bild. Es existiert also nur ein einziges Vorbild für die Wiederbilder. Beispiel: Andy Warhol: Statue of Liberty (1962) c.2) heterogen-potenzierte Wiederbilder: Verschiedene Wiederbilder erschei- nen im gleichen aufnehmenden Bild. Es existieren also mehrere Vorbilder für die Wiederbilder. Beispiel: Peter Blake: Auf dem Balkon (1955-1957) 3.10 Potenzierte Wiederbilder – nach der Erscheinungsform im aufnehmenden Bild a) sukzessiv potenzierte Wiederbilder: Die Wiederbilder sind im aufnehmen- den Bild nebeneinander dargestellt. Beispiel: Willem van Haecht: Apelles malt Campaspe (1630) b) implantierte (Matrjoschka) - potenzierte Wiederbilder: Die Wiederbilder sind immer in einem anderen Wiederbild dargestellt. Die Ausnahme ist das erste Wiederbild, das einen richtigen Kontakt mit dem aufnehmenden Bild hat. Beispiel: M.C. Escher: Print Gallery (1956) IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 67 Erika Fám: Das Wiederbild 4. Kategorisierung des Wiederbildes Potenzierte Wiederbilder sukzessive Wiederbilder Matrjoschka (implantierte) Wiederbilder Wiederbilder homogen-mediale heterogen-mediale Wiederbilder identitätsgestaltende Wiederbilder (Kopien) Referenz-Wiederbilder (starke Wiederbilder) (schwache Wiederbilder) Wiederbild reales Wiederbild Pseudo-Wiederbild äußeres Wiederbild inneres Wiederbild externes Wiederbild autobiografisches Wiederbild materielles technisch neugestaltetes manuell neugestaltetes, bearbeitetes Wiederbild Wiederbild Wiederbild Wiederbild als Standbild Wiederbild als Bewegungsbild Foto Ge- Foto Gemälde Gemälde Foto Gemälde Film Zeichnung im mälde im über Foto im Ge- im im Film im im Film Foto im Ge- mälde Film Film Foto mälde Film im Film Dokumen- Spielfilm im Zeichen- tarfilm im Film trickfilm Film im Film Wieder- Wieder- Wieder- Wieder- film im film im film im film Fernse- Kino Kamera- ohne hen anzeiger inneren Rahmen homogene Wiederbilder heterogene Wiederbilder Foto Gemälde Film Zeichnung Foto im Gemäl- Foto im Gemäl- Film im im im Ge- im in Zeich- Gemäl- de im Film de im Foto Foto mälde Film nung de Foto Film IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 68 Erika Fám: Das Wiederbild Literatur BENJAMIN, WALTER: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. 30. Auflage. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2006 KIERKEGAARD, SÖREN: Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden. 3. Auflage. Gütersloh [Güterloher Verlag] 1998 KOEBNER, THOMAS: Koexistenz und Sukzession. Zur bipolaren Bauform von Filmbildern. In: KOEBNER, THOMAS, THOMAS MEDER (Hg.): Bildtheorie und Film. München [Text+Kritik] 2006, S. 62-73 STOICHITA, VICTOR I.: Das selbstbewusste Bild. Der Ursprung der Metamalerei. München [Fink] 1998 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 69 [Inhaltsverzeichnis] Johannes Baumann Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild Abstract Even more than any interpretation of everyday ›reality‹ it is the contemplation of another culture that is subject to both the respective beholder's complex and comprehensive intellectual precondition. Mental images of another cul- ture consist of transpositions and projections of mostly unconscious or un- questioned points of view and ways of perceiving of the external beholder's culture of origin onto differently conditioned circumstances and phenomena – furnished with meaning derived from a hardly perceivable cultural setting which in addition is possibly founded or legitimated in an incomprehensible way. The specific preconception structure is a fundamental cognitive handi- cap when contemplating other cultures while at the same time images of the other – regarded upon as disguised images of the self – dispose of a certain potential as means of (self-)knowledge. Using the example of the most influential serial in the field of civic ed- ucation in Germany – more precisely, those seven issues dealing with China exclusively (published 1961-2005) – this article is aimed at five core issues as raised by Intercultural Hermeneutics. The particular findings as displayed suggest in fact that even an adept beholder is likely to rather recognize her/his very own cultural subjectivity (respectively the one by the bearer of an intellectual image) than finding out about the other culture beyond its surface forms of appearance. Noch viel mehr als die Interpretation der alltäglichen ›Realität‹ unterliegt die- jenige einer anderen Kultur der vielschichtigen und umfassenden Vorbeein- flussung seitens des jeweiligen Betrachters. Fremdbilder sind nichts anderes IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 70 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild als Projektionen bzw. Transpositionen größtenteils unbewusster bzw. nicht in Frage gestellter Standpunkte und Wahrnehmungsweisen auf andersartig konditionierte sowie mit anders gearteter und begründeter Bedeutung verse- hene Sachverhalte aus einem nur ungenügend erkennbaren Kontext. Die spe- zifische u.a. kulturell geprägte geistige Disposition ist ein fundamentales kog- nitives Handicap bei der geistigen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Als verkapptes Selbstbild betrachtet bergen Fremdbilder gleichzeitig ein po- tenzielles Instrument für die (Selbst-)Erkenntnis. In diesem Beitrag werden fünf zentrale Fragestellungen aus dem Kon- text der Interkulturellen Hermeneutik aufgegriffen. Der entsprechende Befund aus der einflussreichsten Veröffentlichungsreihe im Bereich der politischen Bildung in Deutschland – genauer gesagt denjenigen sieben Ausgaben, die sich ausschließlich mit China beschäftigen (erschienen 1961-2005) – zeigt exemplarisch, dass selbst ein versierter Betrachter im Fremdbild eher seine ureigene kulturelle Subjektivität (respektive diejenige des Bildurhebers) er- kennt, als er letztendlich über das Fremde jenseits seiner sichtbaren Erschei- nungsformen erfährt. Ausgangsbasis für die in diesem Beitrag dargelegten Überlegungen und An- sichten zu den Spezifika von Fremdbildern sind diejenigen sieben Ausgaben der Informationen zur politischen Bildung1, die sich ausschließlich mit China befassen.2 Dabei handelt es sich – am Beispiel der Darstellung der Volksre- publik China – um das manifestierte, sprachlich chiffrierte und zusätzlich illus- trierte Bild eines Landes aus einem anderen Kulturkreis, im vorliegenden Fall durch die Bundesrepublik Deutschland. Die Analyse des institutionellen Kon- textes des Herausgebers3 zeigt deutlich, dass man damit gleichzeitig auch die 1 Es handelt sich dabei um die älteste und auflagenstärkste Veröffentlichungsreihe der Bundes- zentrale für Politische Bildung (bpb), die sich seit 1952 sozialkundlichen, politischen, geografi- schen und historischen Themen widmet. Die wegen ihres charakteristischen Titelseiten-Layouts im Volksmund als schwarze Hefte bekannten Informationen zur politischen Bildung erscheinen derzeit vierteljährlich und können kostenlos bezogen werden. Etwa zehn Prozent der Gesamtauf- lage sind reine Länderbilder. Auffällig ist, dass sich alle dort porträtierten 14 Staaten ausschließ- lich in Europa, Nordamerika und Asien befinden. China hat darunter offensichtlich einen Sonder- status, denn zu keinem anderen Land sind mehr (Neu-)Auflagen erschienen, nämlich sieben. Die IzpB erscheinen im A4-Format und die fraglichen Ausgaben haben einen Umfang zwischen 20 und 73 Seiten. Die ersten beiden Ausgaben aus den 60er Jahren widmen sich ausschließlich der Geschichte bzw. Wirtschaft Chinas und setzen sich konzeptuell von den späteren Ausgaben ab, die ein umfassendes Chinabild vermitteln wollen. Auflagenzahlen von teilweise über einer Million zeigen deutlich, dass es sich bei den IzpB um die breitenwirksamste Veröffentlichungsreihe im Bereich der politischen Bildung handelt. Angesichts ihrer Verwendung als Lehrerhandreichung kann man von einem Massenmedium sprechen, welches das Chinabild über zwei Generationen maßgeblich geprägt haben muss. 2 Konkret handelt es sich um die folgenden (unter Angabe von Erscheinungsjahr und laufender Nummer der Veröffentlichungsreihe genannten) Ausgaben: IzpB 1961 (Nr. 96), IzpB 1962 (Nr. 99), IzpB 1976 (Nr. 166), IzpB 1983 (Nr. 198), IzpB 1990 (Nr. 198), IzpB 1997 (Nr. 198), IzpB 2005 (Nr. 289); die Nummerierung erscheint insofern nicht konsistent, als teilweise stark überarbeitete (Neu- )Auflagen unter der ursprünglichen fortlaufenden Nummer erschienen sind. 3 Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben die Vorgängerinstitutionen des Herausgebers, der Bun- deszentrale für politische Bildung (bpb), eine wechselhafte Ausrichtung durchlebt: Am Ende des Ersten Weltkriegs als Instrument der Inlandspropaganda gegründet, fungierte dessen Nachfolger in der Weimarer Republik als Mittler der damals neuen Idee der parlamentarischen Demokratie. Während des Nationalsozialismus komplett von der Bildfläche verschwunden, wurde sie als IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 71 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild Außenwahrnehmung (im Sinne einer jeweils aktuellen halboffiziellen Sicht- weise) eines Landes vor Augen hat, zu dem zu Beginn des Untersuchungszeit- raums (1961-2005) so gut wie kein Kontakt bestand. Besonders im Fall derje- nigen IzpB-Ausgaben, die vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen beider Länder erschienen sind, muss man – und das sogar in doppeltem Sinn – von Fremdbildern als zu erwartende Bildkategorie ausgehen: fremd erstens in der Konnotation andersartig und zweitens im Sinne von nicht vertraut oder sogar (mit einer Ausnahme zumindest unmittelbar4) unbekannt.5 Die beiden letztgenannten Nebenbedeutungen machen die Paradoxie der Ausgangslage deutlich. Denn was bleibt einem Beobachter – in diesem Fall herausgeberseits den jeweils verantwortlichen Redakteuren der Bundes- zentrale für politische Bildung, welche mindestens bis zum Zeitpunkt der all- mählichen Öffnung Chinas in den 1980er Jahren in der Regel überhaupt kei- nen direkten Zugang zu ihrem Beobachtungsobjekt besaßen – anderes übrig, als das Chinabild notgedrungen auf Grundlage von vorhandenen Kopien (d.h. den Beschreibungen anderer) sowie unter Zuhilfenahme ihres ›Weltwissens‹ zu entwerfen? Am Beispiel des Fremdbilds wird im vorliegenden Beitrag der Frage nachgegangen, ob dieses vermeintliche Wissen über die Beschaffenheit der Welt nicht vielmehr Aufschluss darüber gibt, auf welche Art und Weise wir sie betrachten. Bundeszentrale für Heimatdienst 1952 zu Zeiten des Kalten Kriegs gleichermaßen als Gegenge- wicht zur amerikanischen re-education und als pro-demokratisches respektive anti- kommunistisches Sprachrohr neu gegründet. Den heutigen Namen führt die bpb seit 1963. Bei einem Jahresbudget von aktuell knapp 38 Millionen Euro umfasst ihr Portfolio zahlreiche Formate. Wie die Analyse des institutionellen Kontextes nahelegt sind ihre Veröffentlichungen im Span- nungsfeld zwischen Propaganda, Public Relations und politischer Bildung anzusiedeln. Als Be- hörde ist die bpb erstens dem Bundesministerium des Inneren unterstellt, zweitens orientiert sie sich mit den IzpB inhaltlich an den Richtlinien der Kultusministerien und drittens ist sie dem Beutelsbacher Konsens verpflichtet, der 1976 speziell für die politische Bildung entwickelt wurde. Dieser besteht aus den drei folgenden Prinzipien: einem Überwältigungs-/Indoktrinationsverbot, dem Gebot der Kontroversität, d.h. in der Öffentlichkeit kontrovers wahrgenommene Themen sollen dementsprechend dargestellt werden; das Ziel politischer Bildung sei es demnach außer- dem, ein Mittel zur Analyse und Beeinflussung der eigenen politischen Situation und Interessen- lage zur Hand zu geben. 4 Eine Ausnahme in mehrerlei Hinsicht bildet IZPB 1961, das sich ausschließlich mit der Geschich- te Chinas bis zur Gründung der Volksrepublik befasst. Tilemann Grimm, einer der beiden verant- wortlichen Autoren dieser Ausgabe, ist in China aufgewachsen und hatte sich bereits in seiner Kindheit mit Sprache und Kultur seines Gastlandes auf die denkbar natürlichste Weise vertraut gemacht – und seine Leidenschaft später zum Beruf. Frisch habilitiert beteiligte er sich maßgeb- lich am Aufbau des Fachbereichs Sinologie an mehreren deutschen Universitätsstandorten. Zudem hob sich Grimm – in einer Zeit als China aus westlicher Sicht kategorisch zu den Schur- kenstaaten zählte – von Kollegen und ›Chinakennern‹ insofern ab, als er als einer von wenigen über einen unmittelbaren persönlichen Zugang verfügte und sich darüber hinaus auch mit den aktuellen Entwicklungen im damaligen China Maos intensiv beschäftigte. 5 Zu den genannten Konnotationen von fremd vgl.: http://www.duden.de/node/643482/revisions/1370011/view [letzter Zugriff: 09.05.2015]. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 72 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild 1. Zum Sujet von Fremdbildern Möchte man Erkenntnisse zum Wesen von Fremdbildern gewinnen, so ist es unumgänglich, sich zunächst die Beschaffenheit ihres eigentlichen Sujets, der anderen bzw. fremden Kultur, vor Augen zu führen. »Kultur ist Reichtum an Problemen, und wir finden ein Zeitalter um so aufgeklärter, je mehr Rätsel es entdeckt hat« (FRIEDELL 1984: 237). Dieser spezifische Blickwinkel auf Kultur – mit der Referenz auf die Aufklärung und Problemorientierung als Beurtei- lungskriterium – legt (Kennern der abendländischen Geistesgeschichte) nahe, dass sein Urheber dem europäischen oder zumindest dem westlichen Kultur- kreis zuzuordnen ist. Ausgehend von Friedells Verständnis des Kulturbegriffs lässt sich eine, für die Auseinandersetzung mit Kulturen (respektive Fremdbildern) grundsätz- lich zu berücksichtigende Vorbedingung exemplarisch aufzeigen. Anstelle der im Zitat genannten Kriterien wären in einer originär chinesischen Definition beispielsweise eine (in-)direkte Referenz auf geistige Konzepte aus dem Um- feld von Konfuzianismus, Taoismus o.Ä. und Harmonie als mögliches Beurtei- lungskriterium nicht überraschend. Analog dazu verwenden Angehörige mit einem wiederum anderen kulturellen Hintergrund entsprechend andere Be- züge als Referenzrahmen, genauso wie sie andere Beurteilungskriterien anle- gen. Dass das westliche Kulturverständnis (das vom Menschen Gestaltete) mit seiner Abgrenzung von der unveränderten Natur nur eins der möglichen Ordnungsmuster darstellt und in den Köpfen andernorts teilweise gravierend abweichende Vorstellungen vorliegen, lässt sich am Beispiel animistischer Stämme aus dem Amazonasgebiet verdeutlichen, die im Gegensatz dazu Tie- re, Pflanzen, Naturerscheinungen und (Natur-)Geister als vollwertige Kultur- wesen betrachten (vgl. HALLER 2010: 128). Wie ein Fremdbild auf Grundlage eines eben solchen Kulturverständnisses aussehen könnte, entzieht sich (vermutlich) unserer Vorstellungskraft und muss größtenteils spekulativer Natur bleiben.6 Dieses Gedankenexperiment verdeutlicht aber, wie sehr die jeweilige Betrachtungsweise von Kultur die jeweilige mentale Konstruktion von Fremdbildern beeinflusst. Gleichzeitig gilt, dass sich das – wiederum nicht zuletzt kulturell geprägte – jeweilige Kulturverständnis auf die Art und Weise unserer Betrachtung von Fremdbildern maßgeblich auswirkt. Diese Wechselwirkung ist also sowohl für Produzenten als auch für Rezipienten von Fremdbildern zu berücksichtigen. Als relevant für die ureigene, kulturell geprägte Subjektivität des Au- tors dieses Beitrags soll hier am Rande exemplarisch noch auf folgende Be- sonderheiten im deutschsprachigen Raum verwiesen werden: Speziell auffäl- 6 Ungeachtet der kognitiven Überforderung gibt es in diesem Punkt stark gegensätzliche Positio- nen. Einerseits beanspruchen neben ganz normalen Menschen gerade auch Fachleute wie Ethno- logen, Historiker etc. das (mehr oder weniger) kompetente Sprechen über andere Kulturen mit der allergrößten Selbstverständlichkeit für sich. Dieser pragmatischen Haltung mag exemplarisch die wenig alltagstaugliche – jedoch nicht von der Hand zu weisende – philosophische Position entgegengestellt werden, dass alle Kulturen gleichgeordnet seien, weswegen keine für die Inter- pretation der anderen zuständig sei (vgl. WINCH 1964). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 73 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild lig ist dort die Unterscheidung von Zivilisation und Kultur, welche erst im letzten Jahrhundert in andere Sprachen Einzug fand. So hat Kultur im deut- schen Sprachraum (laut Selbsteinschätzung) eine besondere, auf die spezifi- sche geistesgeschichtliche Entwicklung zurückzuführende philosophisch- ethische, möglicherweise auch religiöse Konnotation. Von mancher Seite wird sogar eine Übersetzbarkeit des deutschen Begriffs generell angezweifelt (vgl. PLESSNER 1982: 84). Die vorangehenden Überlegungen illustrieren zweierlei: erstens die Wechselwirkung zwischen dem Kulturverständnis und der mentalen (De)Konstruktion von Fremdbildern; zweitens verweisen sie darauf, dass die Divergenzen des Kulturbegriffs interkulturell bedingt sind. Dass für das Kul- turverständnis darüber hinaus aber auch intrakulturell von einer nicht zu un- terschätzenden Diversität auszugehen ist, darauf deutet folgende Beobach- tung hin. Zwei Menschen (und das gilt nicht nur für Angehörige pluralisti- scher Gesellschaften) des vermeintlich gleichen Kulturkreises haben mögli- cherweise stark voneinander abweichende Ansichten darüber, was ihre Kultur ausmacht. So kann, was für den einen Menschen unantastbarer Bestandteil seiner kulturellen Identität ist, für einen zweiten eine eher bedauerliche kultu- relle Randerscheinung oder im Extremfall der Gipfel von Unkultur sein. Die genannten Phänomene sollten die semantische Varietät des Kul- turbegriffs illustrieren, welcher selbst als eins der im Ausgangszitat von Friedell genannten Rätsel verstanden werden kann. Spricht man von Kultur als dem eigentlichen Motiv von Fremdbildern, so herrscht also ausschließlich Einigkeit bezüglich des Signifikanten. Das skizzierte semantische Spektrum verdeutlicht, dass inhaltlich Vorstellungen teilweise fundamental voneinander abweichen oder sich sogar widersprechen. Es besteht intrakulturell sowie interkulturell eine semantische Diversität, welche die Vorstellung des Einzel- nen übersteigt. Wir betrachten Kultur so, wie wir sie für uns verstehen – und anhand derjenigen Konstituenten, die uns maßgeblich bzw. vielmehr selbst- verständlich erscheinen. Das jeweilige Kulturverständnis als Betrachtungs- maßstab beeinflusst also die spezifische Art und Weise der geistigen Ausei- nandersetzung mit einer fremden Kultur. Folglich konstruieren wir Fremdbil- der abhängig von unserer ureigenen semantischen Konditionierung des Kul- turbegriffs. Auf der Rezipientenseite sehen wir in Fremdbildern die mentale Konstruktion von Kultur auf Seiten des Bilderzeugers als eine Art unterliegen- de Matrize durchscheinen. Aus den genannten Gründen – und weil niemand die Beurteilungsho- heit darüber für sich beanspruchen kann, was Kultur nun letztendlich ist – erscheint eine Beurteilung von Fremdbildern auf Basis des Schemas rich- tig/falsch grundsätzlich sowohl vermessen als auch wenig aussichtsreich für eine tiefgreifende Analyse der Charakteristika der jeweiligen Bildhaftigkeit. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 74 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild 2. Die Wechselbeziehung zwischen Bild und Betrachter Wenn in diesem Beitrag von Bildern die Rede ist, so geschieht dies im Sinne des Bildverständnisses der Bildwissenschaft, die sich nicht vordergründig mit einzelnen Bildern, sondern allgemein mit der menschlichen Fähigkeit be- schäftigt, Bilder auch im Sinne von geistigen Konstrukten zu erzeugen, wahr- zunehmen und als Kommunikationsmedium zu verwenden (vgl. SACHS- HOMBACH/SCHIRRA 2013) Entsprechend liegt in diesem Beitrag das Augenmerk auf inneren Bilder bzw. Bildern im Geist. Zusätzlich zu den bereits dargelegten Herausforderungen durch das ureigene Sujet müssen für die Auseinandersetzung mit Fremdbildern weitere Besonderheiten berücksichtigt werden. Welche Möglichkeiten und Beschrän- kungen für die Auseinandersetzung mit einer anderen als der eigenen Kultur im Speziellen zu berücksichtigen sind, dafür lassen sich in unterschiedlichen Forschungsbereichen wichtige Anhaltspunkte finden, die zunächst zusam- mengeführt und abgeglichen werden sollen. Betrachtet man den Menschen als maßgeblich kulturell geprägtes We- sen so wird eine entscheidende kognitive Unzulänglichkeit offensichtlich, denn wie soll man teilweise oder völlig anders geartete kulturelle Konstituen- ten (Denk-, Vorgehens-, und Umgangsweisen, Ansichten, Werte etc.) auf Basis der jeweils ureigenen überhaupt erkennen, geschweige denn – gerade im Fall von geistigen Konzepten und Phänomenen, für die es in der Herkunftskultur keine funktionalen Äquivalenzen gibt – ihre Bedeutung verstehen können? Bereits Weber betonte, dass eine »›objektive‹ wissenschaftliche Analyse des Kulturlebens oder […] der ›sozialen Erscheinungen‹« deswegen grundsätzlich unmöglich ist, weil die Erkenntnis von Kulturvorgängen abhängig von der individuellen Lebenswirklichkeit sei und sich »Phänomene, die uns als Kultur- erscheinungen interessieren, […] ihre ›Kulturbedeutung‹ […] aus verschiede- nen Wertideen ab[leiten], zu denen wir sie in Beziehung setzen können« (WE- BER 1985: 170, 192). Fehlt also Kenntnis und/oder Verständnis für eben diese Bezugspunkte, so bleibt Außenstehenden die eigentliche kontextuelle Bedeu- tung kultureller Phänomene notgedrungen verschlossen. Weitere Anhaltspunkte für die Wechselwirkung zwischen Bild und Be- trachter liefert die Universale Hermeneutik, die den Fokus auf jegliches Ver- stehen im Allgemeinen richtet und dabei von einer grundsätzlichen Konditio- nalität von Erkenntnis sowie einer im menschlichen Denken omnipräsenten Vorurteilsstruktur ausgeht (vgl. GADAMER 1975). Im Gegensatz zur aufkläreri- schen Lesart dieses Begriffs mit seiner klar negativen Konnotation meint Ga- damer wertfrei jegliche Einschränkungen in der Urteilsfähigkeit und betont so dessen Neutralität. Die Bezeichnung scheint mit Bedacht gewählt, schließt sie doch sowohl die Gesamtheit der mehr oder weniger bewussten Vormeinun- gen ein, als auch die (meist eher unbewussten) diesen zugrunde liegenden Prozesse und Inhalte. Die jeweilige Prägung der Vorurteilsstruktur ist vielseitigen Ursprungs, ihre Charakteristika nur teilweise bewusster Natur, und ihre Auswirkungen IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 75 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild auf den individuellen Denkprozess und dessen Ergebnisse sind in ihrer vollen Tragweite kognitiv nicht fassbar. Als fundamentaler Einflussfaktor ist die spe- zifische Vorurteilsstruktur gerade für die Auseinandersetzung mit (ideell un- terschiedlich begründeten und gleichzeitig anders gearteten) kulturellen Phä- nomenen von immenser Bedeutung, weil erstere ja selbst eine u.a. maßgeb- lich kulturell geprägte kognitive Vorbedingung ist. Vergleichbare Sichtweisen entstammen dem (Post-)Strukturalismus, wo die Unmöglichkeit objektiver Erkenntnis sowie die Abhängigkeit jeglicher Erkenntnis von den Dimensionen Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit betont werden (HABERMAS 1981: 209). Im Rahmen der Interkulturellen Hermeneutik, die sich mit den Bedingungen menschlichen Verstehens beschäftigt und auf die Schaffung einer wissen- schaftlichen Methodik des Fremdverstehens abzielt (FORNET-BETANCOURT 2002: 52), wurden die nachfolgenden Fragestellungen aufgeworfen, welche die vorgenannte Wechselwirkung konkret im Kontext der Fremdwahrnehmung beleuchten. Anhand exemplarischer Verweise auf den Befund im Untersu- chungsmaterial werden vorläufige Ergebnisse skizziert.7 1. Wie kann man abstrakte fremdkulturelle Phänomene (Denkmuster, soziale Regeln, Wertvorstellungen etc.) überhaupt wahrnehmen, wenn es in der Her- kunftskultur vergleichbare nicht gibt? In einem Fremdbild die in der vorangehenden Frage angesprochenen Phä- nomene sichtbar werden zu lassen, also das, was sich einem unkundigen Auge entzieht, kann sicherlich höchstens im Ausnahmefall sprich unbewusst bzw. unfreiwillig geschehen. Bezugnahmen auf derlei fremdkulturelle Konzep- te sind extrem rar und sie kommen meist nur oberflächlich und indirekt zur Sprache, wie sich exemplarisch am in IzpB 1997 verwendeten Zitat des dama- ligen Bundespräsidenten Herzog zeigen lässt.8 So bleibt sein Verweis auf das originär chinesische Sozialverhaltenskonzept des gegenseitigen Gesichtswah- rens ohne jegliche weitere Erläuterung und desgleichen kontextuell und funk- tional gewissermaßen im luftleeren Raum. 2. Was fällt bei der Betrachtung einer fremden Kultur thematisch besonders ins Gewicht? Dies lässt sich vergleichsweise leicht beantworten, beispielsweise mithilfe einer Analyse des agenda setting. Abbildung 1 verdeutlicht, dass sich zwi- schen 1976 und 20059 in einigen Themenbereichen ein auffälliger Wandel ab- 7 Dies geschieht ohne jeden Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit und ist vielmehr als Diskussi- onsgrundlage zum Abgleich mit Fremdbildern anderer Provenienz gedacht. 8 »Wer die chinesische Seite bewusst Gesicht verlieren lassen will, braucht sich über die Erfolglo- sigkeit seiner Anstrengungen nicht zu wundern« (IZPB 1997: 57). 9 Die chronologisch ersten beiden IzpB-Ausgaben haben jeweils ein Schwerpunktthema (IzpB 1961: Geschichtlicher Überblick; IzpB 1962: Land und Wirtschaft), während die restlichen fünf Ausgaben ein umfassendes Chinabild vermitteln wollen. Aufgrund der teilweise gravierenden konzeptionellen und strukturellen Unterschiede und der daraus resultierenden mangelhaften IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 76 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild zeichnet, für dessen Interpretation sich in einer erweiterten Kontextanalyse zwar Anhaltspunkte finden lassen, die letztendlich aber bis zu einem gewissen Grad spekulativ bleiben wird. Abb. 1: Themenschwerpunkte und der Wandel im agenda setting (1976-2005) Untersucht man die bilateralen Beziehungen Chinas und Deutschlands hin- sichtlich ideeller und/oder materieller Kon- und Divergenzen, so kann man zu verschiedenen Zeitpunkten Themenbereiche mit mehr oder weniger großem Konfliktpotenzial ausmachen, welche mögliche Erklärungsansätze für ent- sprechende Entwicklungen im IzpB-Diskurs liefern. Das Maß gemeinsamer Interessen als Kriterium sowie ein problemorientierter Ansatz seitens der Betrachterkultur als Vorannahmen zugrunde gelegt10, ließe sich beispielswei- se für die quantitative Entwicklung des Themenbereichs Wirtschaft (vgl. Abb. 1) im Diskurs unter Berücksichtigung des in Abb. 2 dargestellten Verlaufs des Außenhandels beider Länder folgender Erklärungsansatz ableiten. Vergleichbarkeit wurden IzpB 1961 und IzpB 1962 für die Analyse des agenda setting nicht be- rücksichtigt. 10 Wie eingangs bereits ausgehend von Friedells Definition von Kultur erläutert wurde, ist Prob- lemorientierung als Blickwinkel nur einer der möglichen. Dabei handelt es sich um eine Heran- gehens-/Betrachtungsweise, deren Stellenwert interkulturell stark variieren mag. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 77 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild Abb. 2: Außenhandel zwischen China und Deutschland von 1993 bis 2003 Quelle: EBERTH/GEHLE 2004: 33 Menschen wie Organisationen tendieren dazu bei Aussicht auf materielle Vor- teile ideelle Vorbehalte hintan zu stellen. Analog dazu könnte man angesichts der signifikanten Intensivierung der Handelsbeziehungen (vgl. Abb. 2) die quantitativ kontinuierliche Abnahme des Diskurses im Bereich Wirtschaft (vgl. Abb. 1) erklären. Denn: Gesetzt die Vorannahme der grundsätzlichen Pro- blemorientierung wäre zutreffend, so nähme (eben dieser Logik folgend) die Notwendigkeit einer intensiven Thematisierung ab. Der Befund im Untersu- chungsmaterial stützt diese Hypothese. So dominiert im ersten Drittel des Untersuchungszeitraums ein als ideell und systemisch in heftigem Wider- spruch zur eigenen Wirtschaftsordnung stehendes und entsprechend konträr stilisiertes Bild, wie es im Rahmen des Schwerpunktthemenheftes Land und Wirtschaft (IzpB 1962) vergleichsweise ausführlich dargelegt ist. 11 Mit der ökonomischen Öffnungspolitik ab Ende der 1970er Jahre und der damit ein- hergehenden Angleichung des chinesischen an das westliche Wirtschaftssys- tem (und damit auch das der Bundesrepublik) schwindet in diesem Diskurs- bereich das systemisch-ideelle Konfliktpotenzial und damit die Notwendigkeit einer intensiven problematisierenden diskursiven Auseinandersetzung.12 Zu- sammen mit der Zunahme wechselseitiger materieller Interessen ist dies ei- ner der möglichen Erklärungsstränge für die kontinuierliche quantitative De- fokussierung des Themenkomplexes Wirtschaft. 11 Das in Fußnote 18 angeführte Zitat aus dem Kontext des Diskurses zur chinesischen Einheit zeigt exemplarisch – neben der (anfänglich) klaren Identifikation mit den (seitens den USA militä- risch gesicherten und wirtschaftlich subventionierten) Entwicklungen auf Taiwan – indirekt auch eine stark kontrastive Negativstilisierung entsprechender Entwicklungen in Festlandchina. Gleichzeitig steht die Zueignung des Erfolgs zum eigenen polit-ökonomischen Modell unausge- sprochen im diskursiven Raum. 12 Die angesprochene kontinuierliche Abnahme – wie in Abbildung 1 dargestellt – setzt vermutlich deswegen erst nach IzpB 1990 ein, weil es sich bei IzpB 1983 um eine nur leicht überarbeitete Neuauflage handelt, welche die von Deng Xiaoping 1978 eingeleitete Öffnungspolitik nicht zur Sprache bringt. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 78 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild 3. Betont ein Fremdbild letztendlich das Vertraute oder das Unvertraute? Im Folgenden seien drei Beobachtungen aus dem Befund im Untersu- chungsmaterial skizziert, welche tendenziell auf Ersteres schließen lassen. Eine Analyse der verwendeten Sekundärquellen zeigt erstens, dass deutsch- sprachige Quellen und Quellen aus dem Herkunftskulturkreis das Bild be- stimmen. Wie Tabelle 1 zeigt, kennzeichnet die Perspektivenvielfalt, also Veröf- fentlichungsort der Quellen sowie Herkunftsland der Autoren, während des Untersuchungszeitraums eine kontinuierliche Abnahme. Ähnlich verhält es sich mit den Bildquellen. IzpB 1961 IzpB 1962 IzpB 1976 IzpB 1983 IzpB 1990 IzpB 1997 IzpB 2005 Veröffentlichungsland BRD BRD BRD BRD BRD BRD BRD China China (Taipeh) China China China England Schweiz Schweiz Schweiz (Hongkong) Thailand (UN) USA Herkunft Autoren BRD BRD BRD BRD BRD BRD BRD China China China China China China China England England Frankreich Frankreich Frankreich Frankreich Frankreich USA Schweden USA USA USA Japan USA Sowjetunion USA Tab. 1: Veröffentlichungsländer und Herkunft der Autoren der angegebenen Quellen Bei der Analyse der Intertextbeziehungen fällt zweitens auf, dass mehr als 80% der Inhaltsstruktur von IzpB 1976-1990 auf einem theoretischen Ansatz von A. J. Toynbee basiert.13 Seine Analyse der Menschheitsgeschichte und nicht zu- letzt seine zivilisatorischen Prognosen14 genossen vor allem zu Zeiten des Kalten Kriegs eine enorme Popularität. Die zehnbändige ›Universalgeschichte‹ A Study of History (1934-1954) – das letzte Werk seiner Gattung – bildet die Summe seiner Einschätzungen. Es handelt sich dabei um ein zunächst äu- ßerst populäres, später dann kontrovers diskutiertes Werk. Bereits in den 60er Jahren, also mehr als zehn Jahre vor Erscheinen von IzpB 1976, galt dieses Werk als wissenschaftlich nicht mehr tragfähig. Sein Ansatz lässt sich den- noch bis zuletzt in IzpB 1990 nachvollziehen. Dieses Beispiel illustriert, in wel- chem Maß vertraute Erklärungsmuster (mindestens strukturell) benutzt wer- den, um sich Unvertrautes zu erschließen. Neben den beiden bereits genannten Indizien verweist als Drittes ge- rade auch die Analyse der Repräsentativität einzelner Regionen für die diskur- 13 Den genannten IzpB-Ausgaben liegt das Toynbee`sche Denkschema ›Herausforderungen – Antworten‹ strukturell zugrunde. Angehörige anderer Kulturen verwenden entsprechend andere Paradigmen. 14 Darunter kontroverse Ansichten zu China im Speziellen, die sich im Nachhinein teilweise als falsch herausgestellt haben. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 79 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild sive Konstruktion Chinas im Untersuchungsmaterial deutlich auf die Beto- nung des Vertrauten. In Text und Bild bestimmen jeweils nur fünf Verwal- tungseinheiten15 ca. zwei Drittel der diskursiven Auseinandersetzung, wäh- rend den verbleibenden 29 administrativen Einheiten lediglich etwa ein Drittel verbleibt. Dies entspricht weniger als einem Fünftel der Gesamtfläche Chinas, welche wiederum von nur etwa einem Viertel der chinesischen Bevölkerung bewohnt wird. Neben einem starken Focus auf Ostchina fällt des weiteren auf, dass diejenigen Verwaltungseinheiten den Diskurs dominieren, die Deutschland a) systemisch vergleichsweise nahestehen, d.h. diejenigen, welche in China selbst wirtschaftlich, politisch und/oder administrativ einen Sonderstatus ha- ben, b) solche, die uns bekannt erscheinen, weil eine gemeinsame koloniale Vergangenheit besteht und c) solche, denen medial bereits eine hohe Präsenz in der deutschen Öffentlichkeit eingeräumt wurde. Der regionale Diskurs zeigt exemplarisch, dass deutsche Leser in den IzpB hauptsächlich das zu sehen bekommen, was sie – mindestens teilweise – bereits zu kennen glauben. Oder anders ausgedrückt: wir sehen tendenziell eher nicht, was uns bisher ver- schlossen war. 4. Inwieweit passt die andere Kultur ins eigene Weltbild, und welche Mecha- nismen treten auf, falls diese es nicht tut? Je eklatanter der (vermeintliche) Widerspruch mit den jeweils eigenen identi- tätsstiftenden Idealen, desto eher tritt auf Seiten der Beobachterkultur offen- sichtlich ein instinktiver Schutzreflex bzw. Abwehrmechanismus in Kraft. Es ist dies insofern ein leicht nachvollziehbarer Prozess, als eine ideelle Bedro- hung von Eckpfeilern der eigenen kulturellen Identität intrakulturell von der Mehrheit intuitiv als Gefährdung der eigenen kulturellen Integrität und damit des gesellschaftlichen Zusammenlebens aufgefasst werden muss. Dies mag im Besonderen für das hier zugrundeliegende Untersuchungsmaterial zutref- fen, dessen Herausgeber zwar auf eine möglichst ausgewogene und die poli- tischen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelnde Darstellung bedacht ist (s. Beutelsbacher Konsens, Fußnote 3), welcher letztendlich (als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Inneren zwar nur mittelbar) auch als Akteur des politischen Establishments anzusehen ist – und dessen Augen- merk naturgemäß auf die Aufrechterhaltung der bestehenden öffentlichen Ordnung und damit der eigenen Stellung in diesem Gefüge gerichtet sein wird. Im IzpB-Diskurs kennzeichnet die Thematisierung von fremdkulturellen Phänomenen und Ereignissen mit hohem (ideellen) Konfliktpotenzial eine tendenziell subversive, emotionale und entsprechend unsachliche Auseinan- 15 Beijing, Guangdong, Hongkong, Jiangsu, Shandong, Shanghai, Taiwan, Tibet (wegen Über- schneidungen der in Text bzw. Bildmaterial jeweils fünf dominanten Verwaltungseinheiten insge- samt acht statt zehn). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 80 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild dersetzung. Das lässt sich beispielsweise anhand einer Analyse der in den IzpB verwendeten Quellen chinesischer Provenienz deutlich machen. Abb. 3: Anteil originär chinesischer Quellen und Literaturhinweise Abbildung 3 zeigt den Anteil der originär chinesischen Quellen. Differenziert dargestellt sind dort in der Volksrepublik offiziell anerkannte bzw. legitimierte Publikationen (Kategorie 1) und (nach der Staatsgründung erschienene) Veröf- fentlichungen mit einem vergleichsweise hohen Subversionspotenzial oder einer (mehr oder weniger offensichtlichen) oppositionellen Haltung gegen- über ehemaligen bzw. bestehenden Machtstrukturen (Kategorie 2). Ausgehend von der Hypothese, dass es sich beim Großen Sprung nach vorn (1958-1961), bei der Kulturrevolution (1966-1976) und den Vorfällen rund um den 4. Juni 1989 in Peking wahrscheinlich um diejenigen drei Ereig- nisse bzw. Entwicklungen in der Geschichte der Volksrepublik handelt, welche in der Bundesrepublik mit der größten Befremdung wahrgenommen wurden und die gesellschaftlich mehrheitlich auf Vorbehalte bzw. Ablehnung gesto- ßen sind, ergibt sich in Bezug auf Kategorie 2 folgender Interpretationsansatz. Wie der entsprechende Graph illustriert, sind innerhalb des Untersuchungs- zeitraums jeweils unmittelbar nach genau diesen Ereignissen (also bei IzpB 1962, IzpB 1976 und IzpB 1990) die drei Höchstwerte von Kategorie 2 zu ver- zeichnen. Vor allem die beiden letztgenannten Ausgaben sind durch starke Bezugnahmen auf eben diese Ereignisse charakterisiert. Zusätzlich auffällig ist, dass ab IzpB 1976 erstmals auch belletristische Quellen herangezogen wurden – teilweise auch solche von einer (wissentlich) fragwürdigen Proveni- enz16 bzw. aus einem denkwürdigen Veröffentlichungskontext.17 Mit dem ei- 16 Beispielsweise wird auf die (angebliche) Geschichte eines Rotgardisten in der Kulturrevolution verwiesen, welche auf Aufzeichnungen von und Interviews mit diesem basiert (vgl. LING 1974). Es wird im Quellenverzeichnis darauf hingewiesen, dass die Authentizität dieses »[d]rastischen Augenzeugenbericht[s] aus der Kulturrevolution« (IZPB 1976: 35) alles andere als unumstritten ist. 17 Fragen in diesem Zusammenhang wirft z.B. eine Essay-Sammlung des Physikers Fang auf (vgl. FANG 1989). So erschien ein mit Januar 1989 datiertes (und in IzpB 1990 auszugsweise veröffent- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 81 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild genen Weltbild unvereinbare Ideale, Gepflogenheiten und Ereignisse werden vor allem im ersten Drittel des Untersuchungszeitraums häufig auf pejorative Art und Weise polarisierend dargestellt und im Extremfall dämonisiert, wobei die eigenen im Gegenzug indirekt nicht selten eine Aufwertung erfahren.18 Zu unterschiedlichen Zeitpunkten – d.h. vermutlich abhängig vom je- weils aktuellen zeitgeschichtlichen Geschehen in der beobachteten Kultur, der erwarteten (!) (im-)materiellen Bedeutung für das Eigene und der unmittelbar daraus resultierenden subjektiven Haltung – scheint das Portfolio ideeller Vor- behalte auf verschiedene Art und Weise zum Einsatz zu kommen. Wie sich beispielsweise anhand des Menschenrechtsdiskurses verdeutlichen lässt, zeichnen sich in den IzpB zweierlei Muster ab, was die diskursive Verwendung von herkunftskulturellen Maßstäben angeht. Die Menschenrechte als geisti- ges Konstrukt in der deutschen bzw. westlichen Werteordnung sind in ihren jeweils spezifischen Ausprägungen Ausdruck grundlegender staatlicher Sys- tem- und Wertentscheidungen.19 Gleichzeitig stellen sie aber eben auch nur eine der möglichen und weltweit tatsächlich vorhandenen Sichtweisen dar.20 Obgleich jeweils favorisierte Wertideen immer wieder gerne als universal deklariert werden, so sind sie doch vor allem der Verdeutlichung der eigenen (un-)bewussten Positionierung dienlich. Hier deutet sich die Eigenschaft des Fremdbilds als verkapptes Selbstbild an. Als Instrument der Fremdbetrachtung setzt der Menschenrechtsdis- kurs erst in IzpB 1983 ein, also 34 Jahre nach der verfassungsgemäßen Veran- kerung im deutschen Grundgesetz. Dies legt nahe, dass ihr Stellenwert im öffentlichen Leben in der Bundesrepublik ganz offensichtlich einen Wandel lichtes) Essay zu einem Zeitpunkt, als der Autor, dessen Ausreise in die USA erst 1990 erfolgte, sich noch als Flüchtling in der amerikanischen Botschaft in Peking aufhielt. Dass dort eine Ein- flussnahme durch Akteure des öffentlichen Lebens des Aufnahmelandes stattgefunden hat, ist nicht auszuschließen. Angesichts der gewissermaßen ideologisch aufgeheizten Situation wäre eine (Über-)Identifikation mit Maßstäben des (erwünschten) Aufnahmelandes daneben nicht verwunderlich. Die Angelegenheit wurde deswegen zum Politikum und beschäftigte die politi- sche Führung beider Länder auf höchster Ebene, weil Fang – bereits 1987 von der KPCh ausge- schlossen – als Wortführer der Reformbewegung und entschiedener Gegner Deng Xiaopings auftrat. Die fragliche Essay-Sammlung wurde von Helmut Martin herausgegeben, einem deut- schen Professor für Sinologie und erklärten Gegner der politischen Führung Chinas, dessen (aus Sicht der KPCh) subversive Aktivitäten noch im Jahr des Erscheinens der fraglichen Essay- Sammlung in einem Einreiseverbot resultierten. 18 »Dennoch ist auch in Tʼaiwan eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung möglich geworden, ohne dass es erforderlich war, die Bevölkerung in ein ideologisch bestimmtes Joch einzuspannen, die Privatinitiative abzutöten und eine totale Kollektivierung durchzuführen. […] [D]urch die mög- licherweise damit verbundenen Nebenwirkungen auf andere asiatische Staaten erhält Tʼaiwan eine erhebliche Bedeutung und bleibt allein schon deshalb des Schutzes durch die freie Welt wert« (IZPB 1962: 18). 19 Die Menschenrechte sind im deutschen Grundgesetz seit 1949 in Form einer sogenannten Ewigkeitsklausel unveränderlich verankert. Mit dem Beitritt in die UNO im Jahr 1973 hat die Bun- desrepublik Deutschland auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkannt. 20 Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte wurde 1990 von 45 Mitgliedsstaaten der Organisati- on für Islamische Zusammenarbeit (OIC) unterzeichnet und bildet – auf Basis des islamischen Rechts, der Schari'a – ein religiös-kulturell geprägtes Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Eine weniger religiös begründete Variante mit dem Namen Arabische Charta der Menschenrechte wurde 1994 von der Liga der arabischen Staaten verabschiedet und 2004 überarbeitet. In der chinesischen Verfassung nimmt der entsprechende, 2004 ergänzte Passus (»The State respects and preserves human rights«) in inhaltlichem Umfang und Stellung eine vergleichsweise untergeordnete Stellung ein. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 82 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild durchlaufen hat. Entweder hat die Bedeutung dieses Konzeptes – als soziokul- turelles Identifikationsmoment und Bestandteil des Selbstbilds – gesellschaft- lich tatsächlich zugenommen, bzw. die bpb und/oder andere Akteure des öf- fentlichen Lebens haben dieses als (falsch verstandene) Matrize zur Bedeu- tungserschließung und Beurteilungsmaßstab eben erst ab den 1980er Jahren zunehmend für sich entdeckt. Wie die in Abbildung 4 dargestellte Streuung der entsprechenden Suchbegriffe zeigt, tritt der Menschenrechtsdiskurs quantitativ sowie in Bezug auf seine Einbindung in verschiedenste Diskursbereiche innerhalb des Unter- suchungszeitraums uneinheitlich in Erscheinung. Eigenkulturelle Maßstäbe werden also zu verschiedenen Zeitpunkten nicht nur stärker oder schwächer in den Diskurs eingebracht, sondern als ›Erklärungsmodell‹ auch für eine vari- ierende Anzahl von Themenbereichen herangezogen. Abb. 4: Streuung des Suchbegriffs {menschenrecht} inkl. Lexemverband und Fundkontext IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 83 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild In IzpB 2005 fällt auf, dass der Menschenrechtsdiskurs eine stark zunehmende Relevanz für verschiedenste Themenbereiche zu haben scheint, während er in der Vorgängerausgabe eher als ein eigenständiges Schwerpunktthema von zwar (aus Herausgebersicht) großer Bedeutung, jedoch vergleichsweise ge- ringerer Breitenrelevanz auftritt. In Bezug auf die Ausgangsfrage legt der vorliegende Befund folgende Schlussfolgerungen nahe. Nicht nur, aber gerade auch wenn die andere Kul- tur nicht ins eigene Weltbild passt, so treten herkunftskulturelle Konzepte in Kraft. Vor dem Hintergrund der Kritischen Diskursanalyse sind diese u.a. selbst Ausdruck von Subversion und gleichzeitig ein Mittel, um einen Dissens mit – im Widerspruch zum eigenen Weltbild stehenden – Phänomenen und Entwicklungen Ausdruck zu verleihen. Es kann nicht letztendlich entschieden werden, ob herkunftskulturelle Konzepte unbeabsichtigt eine subversive Wir- kung entfalten oder ob von einer entsprechend bewussten Absicht auszuge- hen ist. Bei institutionell erzeugten Fremdbildern, besonders solchen aus ei- nem politischen Kontext, ist von letzterem erwartungsgemäß eher auszuge- hen als bei von Einzelpersonen entworfenen. 5. Lassen sich fremdkulturelle Phänomene mit den Maßstäben des eigenen Kulturkreises, d.h. der Gesamtheit der dort (un-)bewusst prävalenten geisti- gen Konstrukte und Mechanismen, überhaupt in ihrer vollen Bedeutungstiefe erfassen? Besonders im ersten Drittel des Untersuchungszeitraums fällt in verschiede- nen Diskursbereichen in den IzpB eine streng dualistisch ausgerichtete Be- trachtungsweise auf. Diese originär westliche Denksystematik zur Deutung der Welt basiert auf der Ausgangsannahme zweier voneinander unabhängiger Entitäten, welche zusammen ein Ganzes ergeben. Dies auf das Phänomen Kultur übertragen zu wollen ist abwegig, weil es dann weltweit nur zwei kul- turelle Paradigmen geben dürfte. Auch als Grundannahme für die (kontrastive) Betrachtung anderer Kulturen (auf Basis der eigenen) ist diese nur sehr be- dingt tauglich, denn bei kulturellen Phänomenen ist viel eher von einer An- dersartigkeit als von einer Gegensätzlichkeit auszugehen. Ein Abrücken von derlei Vorannahmen zumindest im Kontext der Fremdwahrnehmung ist des- wegen eigentlich unabdingbar, weil es der Multidimensionalität kultureller Erscheinungsformen schlicht nicht gerecht werden kann. Betrachtet man je- doch das menschliche Denken als evolutionäres Anpassungsprodukt an diese Welt, das weniger der Erkenntnis dient als vielmehr das Überleben zu ge- währleisten hat (vgl. RIEDL 1987), so wird die dieser Notwendigkeit inhärente Schwierigkeit deutlich. Denn: Das sich Emanzipieren von (kulturell etc. ge- prägten) geistigen Dispositionen und Inhalten konkurriert mit deren Funktion als kulturkonstituierendes Moment und als vitale Voraussetzung für das (in- ner-)gesellschaftliche Zusammenleben. Dieses Unterfangen meistern zu wol- len wäre nicht nur unrealistisch sondern vermutlich auch aussichtslos. In der letzten Konsequenz bedeutete dies schließlich nichts weniger als die Einbuße IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 84 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild unserer kulturellen Subjektivität – und damit das Ende der uns bekannten Existenzform. Sich der Art und Weise seiner ureigenen Vorbeeinflussung be- wusst zu werden kann also niemals gänzlich gelingen und führt meist nur zu vorläufigen ›Erkenntnissen‹. Angesichts der skizzierten Beschränkungen muss die vorgenannte Forderung, sich von der eigenen geistigen Disposition zu emanzipieren, gewissermaßen hypothetischer Natur bleiben.21 Trotzdem aus den genannten Gründen von vornherein zum Scheitern verurteilt, bleibt den ernsthaften Versuch eines Emanzipierungsprozesses zu unternehmen unab- dingbar. Neben einer intellektuellen Auseinandersetzung ist und bleibt vor al- lem das unmittelbare Erleben des Fremden und das Entdecken der Eigenart des darin gespiegelten Selbst die Voraussetzung für die Bewusstwerdung, welche Mechanismen und Vorstellungen das Ich auf mentaler und intellektu- eller Ebene regieren. Einem solchen Vorgehen liegt eine Haltung oder Strate- gie zugrunde, wie sie von Wimmer (2008) als tentativer Zentrismus charakte- risiert wurde. Befremdung ist eine notwendige Voraussetzung und Triebfeder für die Erkenntnis des Wesens unserer Vorbeeinflussung. Was als Denkweise einer großen Mehrheit der Menschen aus pragmatischen Gründen förderlich, ist und bleibt zugleich ein kognitives Handicap für die intellektuelle Auseinan- dersetzung mit anderen Kulturen. Wie diese Überlegungen zeigen, muss die Ausgangsfrage, ob sich fremdkulturelle Phänomene mit den Maßstäben des eigenen Kulturkreises erfassen lassen, klar verneint werden. Die hier skizzier- ten Einschätzungen werfen auch ein Licht auf eine im Vorangehenden ange- sprochene Fragestellung. Herkunftskulturelle Maßstäbe und Konzepte, hier am Beispiel des dualistischen Anschauungs- und Denksystems, betonen ten- denziell vertraute Mechanismen und werten diese indirekt auf. 3. Fazit Allein die semantische Diversität des Begriffs Kultur als das ureigene Sujet von Fremdbildern macht deren Analyse anhand der Kategorien richtig/falsch obsolet. Das jeweilige Kulturverständnis ist selbst als Ausdruck dessen anzu- sehen, wofür die jüngere Geistesgeschichte eine Vielzahl an Bezeichnungen geprägt hat. Webers Wertideen, die Gleichsetzung von Perspektive und Ideo- logie (vgl. MANNHEIM 1995: 55), Gadamers Vorurteilsstruktur, Habermas‘ Beto- nung der Dimensionen Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit sowie die ge- 21 Selbst falls theoretisch möglich und Bezug nehmend auf die Ausrichtung des menschlichen Denkens nach Riedl, so wäre eine Emanzipation von der kulturellen Vorprägung auch deswegen unwahrscheinlich, weil nur eine marginale (post-dekadente?) Minorität es sich (im wörtlichen Sinn) leisten kann und will, sich mit derart nicht überlebenswichtigen Themen ohne unmittelba- ren praktischen Nutzen sprich Gewinn in der nötigen Tiefe zu beschäftigen. Für die Lebenswirk- lichkeit der großen Mehrheit der Weltbevölkerung ist dies schlicht irrelevant bzw. ein darauf ausgerichtetes Dasein keine Option. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 85 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild meinsame Etymologie der Begriffe Ideen, Ideale und Ideologie22 verweisen mit verschiedenen Nuancierungen ergebnisseitig auf ein und dasselbe, näm- lich ihren umfassenden Einfluss auf das menschliche Denken und damit die Erkenntnis. Wir kommen nicht umhin, jegliche Interpretation der ›Realität‹ – und noch viel mehr diejenige einer anderen Kultur – auf Basis unserer Vorbe- einflussung zu unternehmen. Noch stärker als bei einer intellektuellen Ausei- nandersetzung mit Fragestellungen aus dem eigenen Kulturkreis wirkt sich dies bei derjenigen mit extrakulturellen Phänomenen aus. Letztere – ihres natürlichen ideellen und funktionalen Referenzrahmens gewissermaßen be- raubt – mithilfe der Mechanismen und Maßstäbe des eigenen Kulturkreises ergründen zu wollen, kann also nur im Ausnahmefall der Komplexität kultu- reller Erscheinungsformen gerecht werden und ein tiefer gehendes Verständ- nis ermöglichen. Besonders bei der Auseinandersetzung mit anderen Kultu- ren bergen sowohl die geistige Disposition als auch die Gesamtheit der auf ihrer Grundlage erzeugten Inhalte ein grundsätzliches kognitives Handicap. Im Umkehrschluss machen Fremdbilder also gerade auch Konstituenten der menschlichen Vorurteilsstruktur des Urhebers erkennbar. Sie geben vermut- lich oft eher Auskunft über die Beschaffenheit der geistigen Vorbeeinflussung des jeweiligen Bilderzeugers, als sie in der Lage sind, etwas so Komplexes wie das tiefgründige Wesen einer Kultur sichtbar und begreiflich zu machen. Was der Betrachter eines Fremdbildes sieht, sind also geistige Trans- positionen bzw. Projektionen herkunftskultureller Anschauungsweisen auf andersartig konditionierte und mit anderswie gearteter Bedeutung versehene Sachverhalte aus einem andernorts existenten kulturellen Kontext. Zugleich weist es hinsichtlich der jeweils angelegten Betrachtungsmaßstäbe und Vor- gehensweisen den Charakter einer Ähnlichkeitsbeschreibung auf. Unter die- sem Gesichtspunkt handelt es sich beim Fremdbild immer auch um ein ver- kapptes Selbstbild. Das Fremdbild als Simulacrum im Sinne Barthes‘ (1966) aufgefasst, verweist auf eine weitere Dimension und nicht zuletzt auch auf das Potenzial von Fremdbildern: als ein möglicher Impulsgeber für eine struk- turalistische Tätigkeit und damit als Erkenntnisinstrument; obwohl bei diesem Prozess der Gewinn an Selbsterkenntnis denjenigen an Fremdverstehen ver- mutlich überwiegt, so sind und bleiben Fremdbilder die einzige Ausdrucks- möglichkeit, um uns durch Sprechen zu uns selbst und mit anderen über tat- sächliches Erleben von Fremdem oder unsere Vorstellungen über das Fremde (bzw. meist über eine Kombination daraus) auszutauschen – und so unsere Vorannahmen und die Art und Weise ihres Zustandekommens zu reflektieren und zu hinterfragen. Das unmittelbare Erleben des Fremden führt notwendi- gerweise zu Fremdbildern, es kommt ohne sie also nicht aus und setzt Er- 22 Ideen sind Ausdruck des menschlichen Denkens. Ideale sind – intrakulturell oder seitens be- stimmter gesellschaftlicher Gruppen – besonders wertvoll erachtete Ideen. Ob eine Ideologie letztendlich eine Ideologie, ein Ideal oder ›nur‹ eine Idee ist, darüber besteht selbst innergesell- schaftlich oft kein Konsens. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 86 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild kenntnisprozesse in Kraft, wohingegen eine ausschließliche Rezeption von Fremdbildern nur zu mehr als zweifelhaften Ergebnissen führen kann. Die den vorliegenden Überlegungen zugrundeliegenden Fremdbilder aus dem sehr speziellen Umfeld der politischen Bildung, genauso wie über- haupt alle aus einem institutionellen Kontext stammenden, bilden sicherlich einen Sonderfall. Was für Gespräche gilt – in denen man manchmal mehr über Wesen und nicht zuletzt das Selbstbild des Gesprächspartners als das eigentliche Gesprächsthema zu erfahren meint – muss gerade für Fremdbil- der eben dieser Provenienz angenommen werden. So treten hier mit be- stimmten Absichten verbundene Sichtweisen tendenziell stärker in den Vor- dergrund. Darüber hinaus werden darin (besonders mit steigendem zeitlichen Abstand) dominante Sichtweisen und Ideologien bestimmter Ären retrospek- tiv überhaupt erst erkennbar. Derlei Fremdbilder liefern uns also ›unfreiwillig‹ immer auch ein zeitgeschichtliches Panorama derjenigen Umgebung, in der die kulturelle und anderweitige Sozialisation des Urhebers stattgefunden hat. Ein versierter Betrachter erkennt im Fremdbild möglicherweise eher seine ureigene kulturelle Subjektivität (respektive diejenige des Bildurhebers), als er letztendlich über das Fremde jenseits seiner sichtbaren Erscheinungsformen erfährt. Literatur BARTHES, ROLAND: Die strukturalistische Tätigkeit. In: ENZENSBERGER, HANS MAGNUS (Hg.): Kursbuch, 5, Mai 1966, S. 190-196 BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (Hg.): Informationen zur politischen Bildung #99. China. Teil II: Land und Wirtschaft. Bonn [Bundeszentrale für politische Bildung] 1962 BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (Hg.): Informationen zur politischen Bildung #166. Die Volksrepublik China. Bonn [Bundeszentrale für politische Bildung] 1976 BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG (Hg.): Informationen zur politischen Bildung #198. Die Volksrepublik China (Überarbeitete Neuauflage). Bonn [Bundeszentrale für politische Bildung] 1997 EBERTH, FLORIAN; SILKE GEHLE: Deutscher Außenhandel vor der EU-Erweiterung. Herausgegeben vom Statistischen Bundesamt. Wiesbaden [Statistisches Bundesamt] 2004 FANG, LIZHI: China im Umbruch. Mit einer Einleitung von Erwin Wickerl. Herausgegeben von Helmut Martin. Berlin [Siedler] 1989 FORNET-BETANCOURT, RAÚL: Hermeneutik und Politik des Fremden. Ein philosophischer Beitrag zur Herausforderung des Zusammenlebens in multikulturellen Gesellschaften. In: SCHMIED-KOWARZIK, WOLFDIETRICH (Hrsg.): Verstehen und Verständigung. Ethnologie, Xenologie, IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 87 Johannes Baumann: Zur (kulturellen) Subjektivität im Fremdbild interkulturelle Philosophie. Würzburg [Königshausen & Neumann] 2002, S. 49–59 FRIEDELL, EGON: Abschaffung des Genies. Essays bis 1918. Herausgegeben von Heribert Illig. 2. Auflage. Wien [Löcker] 1984 GADAMER, HANS-GEORG: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen. Unveränderter Nachdruck der 3., erweiterten Auflage. Tübingen [Mohr] 1975 HABERMAS, JÜRGEN: Theorie des kommunikativen Handelns. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Band 2. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1981 HALLER, DIETER: Dtv-Atlas Ethnologie. 2. Auflage. München [dtv] 2010 LING, KEN; MIRIAM LONDON; LI TA-LING: Maos kleiner General. Die Geschichte des Rotgardisten Ken Ling. München [dtv] 1974 MANNHEIM, KARL: Ideologie und Utopie. 8. Auflage. Frankfurt [Vittorio Klostermann] 1995 PLESSNER, HELMUTH: Die Verspätete Nation. Band 6 der Gesammelten Schriften. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1982 RIEDL, RUPERT: Kultur – Spätzündung der Evolution? Antworten auf Fragen an die Evolutions- und Erkenntnistheorie. München [Piper] 1987 SACHS-HOMBACH, KLAUS; JÖRG R.J. SCHIRRA (Hg.): Origins of Pictures. Anthropological Discourses in Image Science. Köln [Halem] 2013 TOYNBEE, ARNOLD J.: A Study of History. 10 Volumes. New York [Oxford UP] 1934-1954 WEBER, MAX: Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: WEBER, MAX: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Herausgegeben von Johannes Winckelmann. 6. Auflage. Tübingen [Mohr Siebeck] 1985, S. 146-214 WIMMER, FRANZ M.: Kulturelle Zentrismen – zum Umgang mit kulturellen Differenzen in der Philosophie. In: WALLACHER, JOHANNES; KAROLINE SCHARPENSEEL; MATTHIAS KIEFER (Hg.): Kultur und Ökonomie. Globales Wirtschaften im Spannungsfeld kultureller Vielfalt. Stuttgart [Kohlhammer] 2008, S. 77-98 WINCH, PETER: Understanding a primitive society. In: American Philosophical Quarterly, 1(4), 1964, S. 307-324 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 88 [Inhaltsverzeichnis] Janna Tillmann Zwischen Hindernis und Spielelement. Der Umgang mit dem Tod des Avatars in Videospielen Abstract At first video games incorporated the death of the avatar only to earn money, as you had to buy ›new lives‹ whenever your avatar died. There was no narra- tive function to this concept. Because of that the death of the avatar was no element of the game, but merely a way to hinder the progress of the player. Nowadays arcades have been made nearly obsolete by consoles and PC, so there is no necessity to use the death of the avatar to earn money as the ar- cades did. This creates great opportunities for game developers to find new ways to deal with the death of the avatar. There are still games with a death- counter, but they are the minority. It's more common to integrate the death either as a ludic or narrative feature of the game. What is missing are ways to combine the narrative and ludic functions of the death of the avatar even though that would be the next logical step. The so called ›videogame death‹ could give games a clear distinction to other genres of media and would also emphasize the interactivity that is special to videogames. Historisch gesehen ist der Tod des Avatars vor allem der Ansatzpunkt zum Geldverdienen für Arcade-Spiele gewesen, man kaufte ›neue Leben‹, um weiterzuspielen, eine narrative Funktion fehlte. Die ökonomische Sichtweise führte dazu, dass der Tod gar nicht zum Spielelement wurde, sondern nur eine künstliche Hürde blieb. Da heutzutage Arcade-Spiele kaum noch Relevanz IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 89 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen haben und sich der Markt stark in den heimischen Konsolen- und PC-Sektor verschoben hat, ist der Avatartod als Einnahmequelle nicht mehr notwendig. Das ermöglicht einen anderen Umgang mit dem Tod des Avatars. Es gibt noch Spiele, die mit einem Lebenszähler arbeiten, diese sind aber in der Minder- heit. Üblicher ist es, einen Ansatz zu wählen, der den Tod als ludisches oder narratives Element ansieht. Eine Zusammenführung beider Varianten ist der nächste, logische Schritt und gleichzeitig eine klare Abgrenzung zu anderen Medien wie auch eine Weiterentwicklung der bisherigen Herangehensweise, da Spiele interaktive Medien sind. Der Begriff Videospieltod beschreibt diese neue Form der Darstellung. 1. Einleitung Jesse Schell beschreibt auf die Frage nach seiner Vision für die Zukunft von Videospielen solche Spiele, die eine enge Bindung und sogar direkte Interak- tion zwischen Avatar und Spieler vorsehen (vgl. SCHELL 2005). Umsetzungen dieser Idee gibt es derzeit noch nicht, aber die dafür nötige Technik wirkt be- reits wahrscheinlicher als noch vor zehn Jahren. Während solche Visionen also derzeit noch nicht real sind, gibt es auch heute schon immer mehr Ansätze, den Spieler stärker in das Spiel einzubin- den, etwa durch Dialogoptionen und Entscheidungen über die Handlung von Figuren, die teils dramatische Auswirkungen auf die Narrative des Spiels nehmen können. Beispielhaft seien hier Heavy Rain (Quantic Dream, 2011) und Beyond: Two Souls (Quantic Dream, 2013) genannt. Allerdings ist der Vorwurf an solche Spiele oftmals, dass sie die spiele- rischen Elemente stark zurückschrauben. Ein paar Mal einen Knopf zu drü- cken ist natürlich ein anderes Spielerlebnis als zum Beispiel die komplizierten Kämpfe, die man in Dark Souls (From Software, 2011) zu bestehen hat, und die den Spielercharakter sicherlich mehrfach das Leben kosten, ehe man ei- nen neuen Endgegner besiegen kann. Damit sind zwei aktuelle Extreme benannt, wie der Tod des Avatars in Videospielen angegangen wird. Auf der einen Seite steht eine sehr filmische Inszenierung, die oft das Spielerlebnis und die Interaktivität einschränkt, auf der anderen Seite ist der Tod nur die Folge aus dem Gameplay und hat auch nur die Relevanz, dass man den Spielabschnitt neu beginnen muss. Dazwi- schen stehen dann Spiele, die sowohl ludisch als auch narrativ mit dem Tod des Avatars umgehen und somit einen bewussten Bruch in der Logik in Kauf nehmen: Wenn der Charakter im Zuge der Handlung stirbt, nehmen dann die Male, die er zuvor im Spielgeschehen gestorben ist, dem Moment nicht die emotionale Relevanz? Brüche zwischen Narrative und Gameplay sind häufig zu beobachten und das nicht ausschließlich im Zuge des Todes der Avatarperson. Gerade beim Avatar scheint ein sinnvoller Mittelweg aber sehr schwer, gelungene IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 90 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Beispiele gibt es kaum. Einem dieser seltenen Fälle widmet sich diese Arbeit. Um die Einzigartigkeit dieses Falls deutlich machen zu können, werden im Vorfeld typische Beispiele für eine rein ludische und narrative Darstellungs- form des Todes vorgestellt. 2. Definitionen und Forschungsüberblick 2.1 Avatar Wie Benjamin Beil so treffend beschreibt, steht die Bezeichnung Avatar für »verschiedene Formen grafischer Stellvertreter des Spielers innerhalb der Spielwelt« (BEIL 2012: 17). Während es klar ist, dass der Avatar stets ein Ele- ment der diegetischen Welt des Spiels ist, gibt es weiterführend hauptsäch- lich zwei Richtungen für die Sichtweise auf den Avatar: jene, »die den Werk- zeug- oder Extension-Charakter des Avatars betonen« und die, »die den (Spiel)Werkzeug- und (Erzähl)Figur-Status des Avatars zu verbinden versu- chen« (BEIL 2012: 17). Für den weiteren Diskurs interessant scheint vor allem die Überlegung von James Newman, der zwischen On-Line- und Off-Line- Avatar unterscheidet. »On-Line refers to the state […] that […] we would think of as ›playing the game‹« (NEWMAN 2002: o.S.). Damit ist also der Status ge- meint, in dem der Charakter als Werkzeug des Spielers dient. Der Begriff Off- Line-Avatar hingegen »describes periods where no registered input control is received from the player« (NEWMAN 2002: o.S.), gemeint sind hier Cut-Scenes und gescriptete Ereignisse. Allen Avatararten gemein ist eine emotionale Wirkung auf den Spieler: »Computerspielfiguren […] ermöglichen – als Spieler-gesteuerte Figuren – vor allem identifikatorische Gefühle, die mit aktivem Handeln, selbsttätigem Pro- blemlösen oder dem Kämpfen in einer virtuellen Welt verknüpft sind« (EDER/THON 2012: 154). Wie genau sich diese bei einem bestimmten Spiel dar- stellen, hängt davon ab, wie der Charakter ausgearbeitet ist und welche Rolle er für den Spieler einnimmt. Hierzu hat Luca Papale mit Bezug auf das Kon- zept von Francesco Alinoci eine Unterteilung in vier Typen von Avataren ent- wickelt, zu denen eine bestimmte Form von Bindung aufgebaut werden kann (vgl. PAPALE 2014: 5). Auf der untersten Stufe sieht er sogenannte a-dimen- sionale Avatare, die von sich aus keinerlei eigene Charaktereigenschaften haben. Das ist vor allem bei den Charakteren der Fall, die man komplett selbst erstellt. Diese sind ganz an die Wünsche des Spielers anpassbar. So ist es möglich, bestimmte Vorstellungen auf die Figur zu projizieren (vgl. PAPALE 2014: 5). Charaktere, die sich primär durch einen bestimmten Charakterzug auszeichnen, nennt Papale eindimensionale Charaktere und vermutet, dass diese beim Spieler vor allem Identifikation auslösen können, während zwei- dimensionale Charaktere eher Sympathie hervorrufen (vgl. PAPALE 2014: 8). Diese Charaktere haben Persönlichkeit, allerdings fehlt hier die Ausdifferen- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 91 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen ziertheit und es ist eine Neigung zu Klischees festzustellen (vgl. PAPALE 2014: 6). Die letzte von Papale genannte Kategorie ist die der dreidimensionalen Avatare. Diese beschreibt er als jene mit ausgeprägten und komplexen Per- sönlichkeiten. Nur bei diesen vermutet er beim Spieler die Möglichkeit, Em- pathie für die Charaktere zu empfinden (vgl. PAPALE 2014: 6). 2.2 Narrative Elemente und ludische Elemente im Videospiel Die plakativste Aussage zur Ludologie hat sicherlich Markku Eskelinen ge- prägt, indem er festgestellt hat, dass eigentlich jeder die Regeln eines Spiels erkennt und das nichts Narratives an sich hat: »If I throw a ball at you I don't expect you to drop it and wait until it starts telling stories« (ESKELINEN 2001: o.S.). Das ist so natürlich korrekt, allerdings doch vor allem eine Zuspitzung. Während man bei Tetris (Alexei Paschitnow, 1984) sicher noch mit diesem Modell eine ausreichende Beschreibung erreichen konnte, sind moderne Computerspiele weitaus komplexer und bieten eine Form von Narrativ, wenn auch nur zusätzlich zu den sonstigen Spielinhalten, die man als Gameplay beschreiben kann. Das Gameplay ist der Handlungsrahmen, in dem sich der Spieler die Spielfigur zunutze macht, um die Aufgaben des Spiels zu lösen. Für diese Arbeit erscheint es sinnvoll, die Trennung zwischen ludischen und narrativen Elementen dort zu setzen, wo dem Spieler die Kontrolle über das Spiel entzogen wird. So unterteilt sich das Spiel in die Off-Line und On- Line-Elemente, die es dem Avatar und damit dem Spieler zur Verfügung stellt. Das stellt einen durchaus anschaulichen Rahmen für die kommenden Be- trachtungen dar. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll hier zwischen der narrati- ven Ebene und dem Gameplay unterschieden werden, wobei der Begriff Gameplay all das umfasst, was einen aktiven Avatar benötigt. 2.3 Interaktivität Der größte Unterschied zwischen Videospielen und anderen narrativen Medi- en liegt in der Interaktivität der Videospiele, wie Schröter und Thon festhalten (vgl. SCHRÖTER/THON 2014: 46) und damit nicht alleine stehen: »It is that key difference in engagement which is why film and games are conceptually difficult to bridge« (VEALE 2012: o.S.). Die Vorstellung, mit einem Spiel umzu- gehen wie mit einem Buch, wird diesem Medium ganz deutlich nicht gerecht. Es ist also für das Verständnis des Mediums Videospiel unumgänglich zu be- greifen, wie Interaktion ermöglicht wird und was das bedeutet, zumal »der ständige Austausch und die wechselseitige Bezugnahme von Spiel und Spie- ler […] den Kern des Spielens« darstellt (NEITZEL 2012: 75). Den Begriff Interaktivität kann man nach Neitzel als eine Eigenschaft solcher Medien beschreiben, »die eine Beteiligung von Benutzern zulässt« (NEITZEL 2012: 80). Grob gesprochen erwarten speziell Spiele von uns, dass wir mithilfe eines für das Spiel passenden Eingabegeräts Aktionen ausführen, IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 92 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen »bestimmte Tasten drücken, Analogregler schieben und drehen oder Bewe- gungssensoren aktivieren« (VENUS 2012: 117), wie Jochen Venus es beschreibt. Das Erkennen der Möglichkeiten, welche einem das Spiel durch die Vorgaben zur Simulation bietet, lässt schließlich die Interaktivität entstehen (vgl. SCHRÖ- TER/THON 2014: 46), indem die Spielerin selbst bestimmt, wie der Avatar eine Situation löst. Das ermöglicht dem Spieler eine Identifikation mit der Figur und gibt ihm die Möglichkeit »in einer spezifischen Situation ein Handelnder zu sein« (VENUS 2012: 106). Dabei findet Interaktivität in verschiedenen Formen statt, wie es Marie- Laure Ryan (vgl. RYAN 2001: 5) feststellt: Sie unterscheidet zwischen Spielkon- zepten, die dem Nutzer das Gefühl geben, als Teil der Welt mit dieser zu inter- agieren, und denen, die ihn außerhalb der Spielwelt halten. Weiterhin unter- scheidet sie zwischen den Handlungen, die Einfluss auf die Spielwelt haben und denen, die diesen nicht haben, sondern rein auf Wunsch des Spielers erfolgen. Allerdings ist hier eine Beobachtung von Interesse, die Venus macht. Es ist nämlich so, dass aktuell oftmals narrative und ludische Elemente gera- de durch die Möglichkeit zur freien Interaktion in einem starken Kontrast zu- einander stehen. Während er den Eindruck des Spielers die Figur zu verkör- pern, durchaus erkennt, stellt er doch auch fest, dass der Spieler die Hand- lung gleichzeitig – und das ist ähnlich wie bei einem Film – »von außen, quasi unbeteiligt« betrachtet (vgl. VENUS 2012: 105). Und gerade durch diese Tren- nung entstehen Schwierigkeiten, wann immer die Handlungsmöglichkeiten des Spielers nicht zum Narrativ des Spiels passen. Dann entsteht ein Zustand, den Venus Halbidentifikation nennt und der durch eine Diskrepanz auf ludischer und narrativer Ebene entsteht. Doch nicht nur hier erkennt er ein Problem der Identifikation mit der Figur. Laut ihm ist die Zielsetzung im Spiel Max Payne (Remedy Entertain- ment, 2001) unter anderem, »Hindernisse und gegnerische Non-Player- Charaktere« zu überwinden (VENUS 2012: 108). Wird man dabei selbst zu oft getroffen, stirbt der Avatar und der Spieler wird ›aus dem Spiel‹ zurückver- setzt, er verliert also die Identifikation, die er bis dahin mit seiner Figur einge- nommen hat (vgl. VENUS 2012: 108). Es scheint also deutlich zu sein, dass ein so einschneidendes Erlebnis wie der Tod des Avatars Implikationen für den Spieler hat, die näher zu betrachten sind. 3. Darstellungsformen des Todes im Videospiel »A young medium does not solely create its own conventions; it inherits and borrows expressive forms from other media, transforming them along the way« (SMITH 2002: o.S.). Das ist aktuell wohl nirgends deutlicher zu sehen als bei Videospielen. Espen Aarseth fürchtet die Assimilation von Videospielen durch andere Forschungszweige und warnt direkt davor, den Fehler zu ma- chen, zu versuchen, etwa Methoden aus der Literaturwissenschaft einfach zu IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 93 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen übernehmen oder Videospiele als untergeordnetes Forschungsfeld einzuglie- dern (vgl. AARSETH 2001, o.S.). Vor allem die Filmwissenschaft ist immer wie- der Ausgangspunkt für Betrachtungen von Videospielen. Das zeigt beispiels- weise Andreas Rauscher in seinem Beitrag Mise en Game (vgl. RAUSCHER 2015) sowie Philipp Bojahr, der den Montagebegriff als Werkzeug für die Ga- me Studies übernimmt (vgl. BOJAHR 2015). Dennoch würde es dem Medium nicht gerecht werden, es dem Film unterzuordnen, würde man so doch die Interaktivität des Videospiels übergehen. Das folgende Kapitel befasst sich gerade mit Unterschieden und Ähn- lichkeiten zum Film. Simone Rieger macht zweifellos klar, dass der Tod für den Film und für TV-Serien ein oft genutztes Stilmittel ist (vgl. RIEGER 2009), das inzwischen auch in vielen Videospielen auftaucht. Allerdings auch – teilweise sogar vor allem – auf ludischer Ebene, was einen interessanten Kontrast zum Tod als narrativem Element ermöglicht, der eher Anleihen beim Film und dor- tigen Theorien sucht. Zuletzt soll mit dem Begriff ›Videospieltod‹ eine viel- leicht wirklich eigene Definition folgen, die den Tod als Element im Videospiel verankert, ohne sich für eine rein ludische oder rein narrative Richtung zu entscheiden. Um die jeweiligen Darstellungsformen besser begreiflich zu machen, werden sie jeweils anhand eines Videospiels beispielhaft aufgezeigt. 3.1 Tod als ludisches Element Seit den frühesten Arcade-Spielen ist der Tod des Avatars ein fest integrierter Spielbestandteil. Es wäre jedoch unsinnig, diesem mehr Bedeutung als jenem einer Spielregel im rein ludischen Sinne zuzumessen. Es kommt nicht von ungefähr, dass etwa Jesper Juul in seinem Buch The Art of Failure den Tod eben vor allem als einen ›Fail State‹ bezeichnet, also als einen aus dem Spiel- verlauf resultierenden Endzustand (vgl. JUUL 2013) Nolan Bushnell war der erste, der erkannte, dass Menschen Geld dafür zahlen würden, seine Spiele zu spielen (vgl. EGENFELDT/SCHMIDT/TOSCA 2012: 60). Das war der Beginn der Arcadetitel und damit auch des Todes im Video- spiel in der Form, in der er heute noch vorkommt. Während es in Arcade- Spielen schlicht darum ging, die Spielzeit des jeweiligen Spielers zu begren- zen und ihn zum Kauf weiterer Spielrunden zu animieren, ist es heute vor allem so, dass der Tod aus Gameplaysicht ein Scheitern bedeutet, weil man eine Herausforderung nicht geschafft hat. Dass dieser den Spieler emotional nicht weiter beschäftigt, dürfte vor allem daran liegen, dass er keine weitere Konsequenz hat. Das Spiel setzt einfach am letzten Speicherpunkt wieder ein, man kann weiterspielen und weder der Avatar noch die Spielwelt reagieren in irgendeiner Weise auf den vorherigen Tod der Spielfigur. Spiele wie Dark Souls werden sogar daran gemessen, wie oft man im Verlauf des Spiels stirbt, um einzuschätzen wie schwer sie sind. In Super Meat Boy (Team Meat, 2010) kann man, nachdem man ein Level des Jump’n’Runs geschafft hat, allen Iterationen des eigenen Charakters gleich- zeitig dabei zusehen wie sie wo gescheitert sind, bevor man das Level ge- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 94 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen schlagen hat. In den Levels von Super Mario Maker (Nintendo, 2015) wird ein ähnlicher Ansatz gewählt: Man sieht, wo man selbst und andere Spieler um einen herum gestorben sind. Das gibt dem Sterben noch einen kompetitiven Charakter, weil man sich mit anderen vergleichen kann. Neben dem Vergleich geht es allerdings auch um Selbstoptimierung, wie es Rolf F. Nohr in Restart After Death deutlich macht. Sein Beispiel dafür ist eine Passage in Tomb Raider II (Core Design, 1997), die nicht anders lösbar ist, als durch das Inkaufnehmen des Todes der Heldin: Es ist ein Sprung zu meistern und wenn man hier nicht auf einer unsichtbaren Plattform landet, stirbt Lara Croft. Das nimmt der Spieler in Kauf und es entsteht keinerlei Kon- sequenz aus dem wiederholten Sterben der Heldin (vgl. NOHR 2013: 66f.). Allen Beispielen gemein ist, dass dem Avatar in diesen Spielen keine dreidimensionale Charakterisierung zukommt. Das bedeutet nicht, dass drei- dimensionale Avatare nicht ebenso im Gameplay sterben können, allerdings scheinen die Spiele, in denen der Avatartod schon von Anfang an Teil des Spielprinzips ist und keine weiteren Folgen hat, eher auf a-dimensionale, selbsterstellte Charaktere oder ein- oder zweidimensionale Avatarfiguren zu setzen, mit denen vermutlich keine Empathie aufkommen wird. Hier scheint der Charakter vor allem ein Werkzeug für den Spieler zu sein. Zusammenfassend zeichnet sich der Avatartod als ludisches Element also dadurch aus, dass er keinerlei emotionale Reaktion des Spielers hervor- ruft, die sich auf den Avatar bezieht. Eher ist der Tod ein Anzeichen dafür, dass man eine ludische Herausforderung nicht überwunden hat und die eigenen Fähigkeiten verbessern muss. Das kann auch bedeuten, dass man wieder und wieder stirbt, um sich dabei zu verbessern. Problematisch ist das für den Spieler jedoch nicht, da es keinerlei Konsequenz aus dem Tod der Spielfigur gibt und das Spiel in keiner Weise beeinflusst wird. Die Avatare solcher Spiele sind in der Regel nicht dreidimensional, sondern vor allem ein Werkzeug für den Spieler. Diese Form des Avatartodes ist wunderbar in der bekannten Jump’n’Run-Serie Super Mario Bros. (Nintendo, 1985) zu sehen. Da sich das Spielprinzip der Reihe seither insgesamt kaum verändert hat, ist es für diese Analyse nicht von Relevanz, sich auf einen bestimmten Teil der Reihe festzu- legen. Stattdessen kann von der Reihe als Ganzem gesprochen werden. Der Spieler durchläuft in diesem Spiel verschiedene Level, springt von Plattform zu Plattform und weicht Gegnern aus oder bekämpft diese. In jeder Welt gibt es die gleiche Anzahl Level und dazu besonders schwere Level am Ende mit dem Kampf gegen einen Boss-Gegner. Ziel ist die Befreiung von Prinzessin Toadstool (in neueren Spielen Peach genannt), die von König Koopa (heute Bowser) entführt worden ist. Schauplatz des Spiels ist das Pilzkönigreich. Wie es von einem Jump'n'Run zu erwarten ist, werden die Level im- mer komplexer und bringen damit immer neue Herausforderungen mit sich, was über kurz oder lang zu Fehlern des Spielers führt, die Mario sterben las- sen. Für diesen Fall besitzt das Spiel eine Anzahl an ›Leben‹, die einem neuen Versuch im Level entsprechen. Sinkt dieser einmal auf Null, so folgt ein Game IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 95 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Over und man wird auf einen letzten Speicherstand zurückgeworfen. Aus der Narrative gibt es hingegen keinerlei Situationen, die den Tod von Mario oder einem anderen Charakter zur Folge haben. Der Avatartod spielt hier also nur im ludischen Sinne eine Rolle. Mit Blick auf die Historie des Spiels erscheint das auch sinnvoll, wenn man be- denkt, dass Super Mario Bros. von Arcade-Titeln inspiriert wurde, für die der Tod in erster Linie bedeutet hat, dass der Spieler erneut Geld für eine neue Spielrunde ausgeben muss. Ein ludischer Tod zeichnet sich durch eine fehlende Konsequenz und den wenig charakterisierten Avatar aus, der im Spieler keinerlei Emotionen weckt, sondern viel mehr ein Werkzeug zur Erfüllung der Levelziele ist. Die einzige Konsequenz aus dem Tod der Avatarfigur ist, dass man eines der ab- gezählten Leben verliert und am letzten Speicherpunkt neu beginnt. Wenn man schließlich den Lebenszähler auf 0 gebracht hat und erneut stirbt, gibt es einen Game Over-Bildschirm, der zumeist Bowsers Silhouette zeigt, dazu er- tönt sein Lachen. Es ist nicht einzuschätzen, was genau dieses Game Over bedeutet, da es keinerlei narrative Einordnung gibt. Man kann den Bildschirm so verstehen, dass Bowser gewinnt, allerdings wird das nicht weiter aufge- griffen. Stattdessen beginnt man neu, bekommt neue Leben und wird an den letzten Speicherpunkt zurückgesetzt. Auf das Narrativ nimmt der Tod also kei- nerlei Einfluss. Die Avatarfigur Super Mario ist inzwischen eine Ikone der Popkultur und nicht nur unter Videospielern bekannt. Um die Figur zu beschreiben, würde man sicherlich seinen Schnauzbart, die rote Mütze und die blaue Latz- hose erwähnen. Dazu den schweren italienischen Akzent, den berühmten Ausspruch ›It’s a-me, Mario!‹ und dass er Prinzesssin Peach vor Bowser rettet. Ludisch betrachtet könnte man noch anfügen, dass er sehr gut springen kann und wächst, wenn er einen bestimmten Pilz isst. Eine tiefergehende Charakte- risierung hat es innerhalb der Hauptserie nie gegeben. Er ist nur deswegen kein a-dimensionaler Charakter, weil sein Aussehen vorgegeben ist und ihm zur Charakterisierung dient. Es ist allerdings anhand der aufgezählten Eigen- schaften deutlich, dass er sich charakterlich im Grunde nur durch den Drang auszeichnet, gegen das Böse zu kämpfen, also gegen Bowser. Daher ist es angebracht, ihn als einen eindimensionalen Charakter im Sinne von Papale zu bezeichnen. Das sehr kurz gehaltene Narrativ ermöglicht auch keine emotio- nalen Bindungen an den Charakter, genauso wenig hat man als Spieler über- haupt die Möglichkeit, Mario als eine Erzählfigur wahrzunehmen. Es gibt sel- ten mehr als eine Intro- und eine Outro-Sequenz, welche meist sogar ohne allzu viel Text auskommen und keine Charakterisierung der Figur Mario erlau- ben. Die Reihe stellt den Avatartod also ausschließlich ludisch dar. Das Feh- len einer tiefgreifenden Handlung trägt dazu genauso bei wie die eindimensi- onalen Figuren und die fehlenden narrativen Konsequenzen aus dem Tod der Spielfigur. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 96 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen 3.2 Tod als narratives Element Nirgendwo dürfte wohl ein Vergleich mit Filmen und Serien so naheliegen wie beim Tod im Videospiel als narrativem Element. Meistens wird dieser in Cut-Scenes verhandelt, die keinerlei Interaktivität erlauben. Das Gameplay bildet hier höchstens einen einleitenden Rahmen, wenn ein Charakter aus dem Gameplay heraus besiegt wird, um dann in einer Cut-Scene zu sterben. Der größte Unterschied zum ludischen Tod ist die Möglichkeit der emotionalen Reaktion des Spielers auf den narrativ inszenierten Tod. Diese ergibt sich, weil der Spieler eine Bindung an die Charaktere des Spiels auf- bauen kann. Diesen Effekt teilen sich Videospiele mit Filmen und Serien. Man spricht dabei von parasozialen Bindungen, die zum ersten Mal von Donald Horton und Richard Wohl beschrieben worden sind (HORTON/WOHL 1956). Hier entwickelt sich also eine Form von Freundschaft oder Zuneigung zwischen Rezipient und Charakter (RIEGER 2009: 8), wie man es eigentlich eher im Umgang mit realen Personen erwarten würde. Allerdings handelt es sich bei einer parasozialen Beziehung um eine »interpersonal relationship between […] an audience and a performer living out a personality for an audience« (KAVLI 2012: 83), wie es Katrine Kavli mit Bezug auf Horton und Wohl beschreibt. Diese Persönlichkeit wird als Persona bezeichnet und die beschriebene Beziehung ist »one-sided, nondialectical, controlled by the per- former and not susceptible of mutual development« (KAVLI 2012: 83), wie Hor- ton und Wohl von Kavli zitiert werden. Es ist also von zentraler Bedeutung, dass die Beziehung keinerlei Austausch zulässt. Der Zuschauer kann den Se- riencharakter nur so weit kennen lernen, wie der Charakter sich bewusst of- fenbart. Es gibt keinen direkten Austausch zwischen beiden Seiten und es ist dem Zuschauer nicht möglich, die Beziehung zu entwickeln oder die eigene Position darin zu stärken. Dass diese Bindungen trotzdem extrem stark werden können, zeigt sich vor allem in der noch recht jungen Forschung zum Umgang von Serien- fans mit dem Ende ihrer Serie. So schreiben Russel und Schau mit Bezug auf Lobb und andere, dass »[l]oss of parasocial relationships can be traumatic« (RUSSEL/SCHAU 2014: 3) und das Ende einer TV-Serie für die Zuschauer einer Trennung gleichkommen kann. Da dieses Feld noch so neu ist und Spiele nicht zwangsläufig synchron rezipiert werden, gibt es zu Videospielen derzeit keine Forschungsberichte in diese Richtung. Tatsächlich gibt es aber Meinun- gen, nach denen Videospiele mindestens die gleiche emotionale Kraft auf- bringen können wie Filme und dabei sogar teils intensivere Erlebnisse ermög- lichen (vgl. PERRON 2005: 1). Passenderweise haben schon Horton und Wohl parasoziale Bindungen nicht nur an menschliche Charaktere für möglich ge- halten, sondern darüber hinaus auch zu fiktiven Charakteren und damit heut- zutage ebenfalls zu digitalen Entitäten (vgl. KAVLI 2012: 2), sodass diese Theo- rie auch für Videospiele anwendbar sein kann. Kavli unterscheidet dabei die digitalen Entitäten noch weiter: Sie nennt Nicht-Spieler-Charaktere, die sie als Bots bezeichnet, vom Spieler erstellte Avatarfiguren, Spielercharaktere, die vom Spiel vorgegeben werden, und Avatare in Multiplayerspielen. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 97 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Für diese Arbeit sind nur die Möglichkeiten der parasozialen Bindun- gen an den vorgegebenen Avatar relevant. Wenn der Avatar als eigene Entität auftritt, ist eine parasoziale Bindung laut Kavli möglich, weil die Grundzüge einer parasozialen Beziehung gegeben sind, wie sie von Filmen und Serien bekannt sind (vgl. KAVLI 2012: 4). Anschaulich werden parasoziale Beziehungen in Spielen wie BioShock: Infinite (Irrational Games, 2013) The Last of Us (Naughty Dog, 2013), Dragon Age: Origins (BioWare, 2009) oder auch Bastion (Supergiant Games, 2011) und Ori and the Blind Forest (Moon Studios, 2015). Diese thema- tisieren beispielsweise den Tod wichtiger Charaktere in ganz verschiedenen Varianten und lösen damit sehr deutliche emotionale Reaktionen unter den Spielern aus. Um Google als einen Gradmesser zu nutzen, sei folgende Zahl genannt: ›the last of us ending‹ bringt mit 452 000 000 Ergebnissen eine be- achtliche Menge an Inhalten, die sich nur damit auseinander setzen, wie der Protagonist Joel mit dem möglichen Tod seines Schützlings Ellie am Ende von The Last of Us umgeht. Dass diese Zahl an Ergebnissen so hoch ist, liegt aber wohl auch daran, dass die Anzahl an so filmisch inszenierten und emotiona- len Momenten aktuell noch übersichtlich ist. Die Bewegung zu solchen Inhal- ten, wie man sie aus Serien kennt, scheint aber da zu sein und der Vergleich mit dem Film generell positiv: »as Geoff King and Tanya Krzywinska have argued, to call a game ›cinematic‹ is to praise it« (VEALE 2001: o.S.), wie es Kevin Veale feststellt. Ein filmisch inszenierter Tod kann also recht wahrscheinlich Emotionen auslösen. Da der Spieler hier dem Off-Line-Avatar beim Handeln nur zusehen kann und keine Interaktivität möglich ist, rufen diese Szenen vor allem »so- genannte ›Beobachter-Emotionen‹ hervor«, wie es Eder und Thon beschreiben (EDER/THON 2012: 154). Neben »Empathie oder Identifikation, ein[em] Mitleiden oder Mitfühlen mit einer Figur«, was Neitzel hier sieht (NEITZEL 2012: 102), nennen Eder und Thon noch Antipathie, ein emotionales Erinnern, Partei- Ergreifen oder Amüsement (vgl. EDER/THON 2012: 154). Wichtig scheint dabei in jedem Fall »die Unmöglichkeit des Eingreifens in das Geschehen« (EDER/THON 2012: 102), wo Neitzel und Eder und Thon übereinstimmen. Gerade das ist aber ein bewusster Bruch mit der Interaktivität, die Videospiele auszeichnet. Erinnern wir uns an die verschiedenen Charakterisierungsstufen für Avatare, so fällt auf, dass nur solche Charaktere, die dreidimensional gestaltet sind, in der Lage sein dürften, beim Spieler Empathie auszulösen. Insgesamt ist anzumerken, dass es für die Ausgestaltung eines narrativen Todes unum- gänglich ist, einen zumindest zweidimensionalen Charakter zu gestalten, um Sympathie und ein Mitfühlen, vielleicht sogar Empathie auszulösen. A- dimensionale Avatare sind dafür auf keinen Fall geeignet, da sie schon durch die Erstellung durch den Spieler und ihre fehlenden Charaktereigenschaften eine emotionale Bindung über die Projektion hinaus nicht ermöglichen. Weiterhin wird der Avatar in diesen Spielen mehr als nur das Werk- zeug zum Ausführen bestimmter, für das Spiel notwendiger Handlungen. Er ist auch eine Erzählfigur, die die Geschichte des Spiels vorantreibt, und IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 98 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen gleichzeitig einer der Charaktere, über die erzählt wird. Tatsächlich findet hier der narrative Diskurs aber nur aufgrund der Spielfigur statt, deren Aktionen – Off-Line wie auch On-Line – lassen die Geschichte erst ihren Lauf nehmen, welchen der Spieler erlebt. Somit ist der Avatar nicht nur eine Erweiterung des Spielers im virtuellen Raum, sondern auch als Erzählfigur ein Element des Narrativs des Spiels. Eine weitere wichtige Unterscheidung zum ludischen Avatartod ist der Einfluss, den der narrativ inszenierte Avatartod auf das weitere Spielgesche- hen und die Spielwelt hat. Andere Spiel-Charaktere reagieren auf den Tod, ebenso können durch die Umstände des Todes Veränderungen in der Spiel- welt und sogar im Verhalten des Spielers auftreten. So ist zum Beispiel der Tod von Aeris in Final Fantasy VII (Square, 1997) nicht nur ein emotionaler Moment für den Spieler, sondern bedeutet auch auf ludischer Ebene den Tod eines Heilers in der Kämpfertruppe, der dann ausgeglichen werden muss. Und damit sind die Eckpunkte für einen narrativen Avatartod benannt. Es ist klar, dass es sich dabei um eine für den Rezipienten emotionale Situati- on handelt. Weiterhin reagiert die Spielwelt auf den Avatartod und greift die- sen auf. Die Avatare, die einen solchen narrativen Tod erleiden, sind in der Regel mehrdimensional, was die emotionale Bedeutung erklärt und parasozi- ale Bindungen ermöglicht. Weiterhin führt die filmische Darstellung zu Be- obachteremotionen. Zum Veranschaulichen dieser Darstellungsform eignet sich das japani- sche Rollenspiel (JRPG) Crisis Core: Final Fantasy VII (Square Enix, 2007). Spielbarer Protagonist ist Zack Fair, ein Elitesoldat, dessen finale Ausbil- dungsphase die Grundlage des Spiels bildet. Wie üblich für ein JRPG ist das Spiel sehr kampflastig, dabei werden diese Kämpfe allerdings nicht runden- basiert ausgetragen, sondern in Echtzeit. Zack stehen verschiedene Möglich- keiten wie ein Angriff mit seinem Schwert, sowie Magie und Beschwörungen zur Wahl, um gegen seine Gegner anzugehen. Anstatt mit einer Gruppe, wie es für das Genre üblich ist, kämpft Zack alleine. Zu seiner Unterstützung gibt es die sogenannten ›Digitalen Bewusstseinswellen‹ (DBW), eine Art Slot Ma- chine. Auf deren Walzen finden sich passend zum Spielverlauf immer mehr Charaktere, die für Zack wichtig sind, womit hier das Narrativ eine direkte Einwirkung auf das Gameplay hat. Die drei Walzen beginnen zu laufen, sobald der Kampf beginnt, und bleiben alle paar Sekunden stehen. Sind dann auf allen drei Walzen die gleichen Charaktere zusehen, löst das einen Spezialan- griff aus, der sich nach dem jeweiligen gezeigten Charakter richtet. Da Crisis Core ein Prequel zu Final Fantasy VII ist, gibt das Spiel in der zu analysierenden Szene natürlich einen wichtigen Teil der Interaktivität von vornherein auf: Der Ausgang der Endsequenz ist bekannt und daher vom Spieler nicht zu beeinflussen. Gleichzeitig sind diese letzten Szenen bei- spielsweise durch Gegenschnitte zu anderen Schauplätzen sehr filmisch in- szeniert. Der eigene Avatar ist hier Off-Line und dem Spieler wird keine Gele- genheit gelassen, die Situation zu beeinflussen. Das kulminiert im letzten Kampf, der Zack allein gegen eine Übermacht an Soldaten antreten lässt. Der IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 99 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Spieler muss diesen Kampf führen, obwohl er aussichtslos ist und Zack schließlich im Gameplay besiegt wird. Der ludische Tod wird also zur Prämis- se für die dann kommende narrative Cut-Scene. Dabei passt sich das Gameplay an das Narrativ an. Zack kämpft und wird dabei immer schwächer. Gleichzeitig beginnt das bis dahin tadellos funktionierende DBW die Arbeit zu verweigern. Nach und nach verblassen die Charakterbilder, während er letzte Erinnerungen an diese vor sich sieht. Dazu drehen sich die Walzen immer schlechter, bleiben hängen und schließlich stehen. Hier wird also der Gedan- ke, dass man das eigene Leben im Moment des Todes noch einmal Revue passieren lässt, direkt ins Spiel übertragen, um dem Spieler zu verdeutlichen, dass es sich hierbei um Zacks letzten Kampf handelt. Dass ein Gerät, das na- mentlich sein Bewusstsein darstellt, immer stärker in Mitleidenschaft gezo- gen wird, zeigt außerdem, wie es um den Charakter bestellt ist. So beeinflusst das Narrativ schon an diesem Punkt das Gameplay. Nachdem Zack besiegt ist, beginnt eine Cut-Scene, die seine letzten Momente zeigt. Wichtig ist hierbei, dass er zwar im Gameplay besiegt wurde, das allerdings noch nicht seinen Tod, sondern nur eine tödliche Verwundung bedeutet. Das wird auch dadurch deutlich, dass der Kampf endet, sobald Zack bei 1 HP (›Hit-Points‹, die numerische Anzeige für die Lebensenergie im Kampf) steht, nicht wie im normalen Spielverlauf bei 0 HP. Sein Tod folgt dann erst in der anschließenden Cut-Scene. Das macht deutlich, wie sehr das Spiel auf das Narrative setzt, um die- se emotional aufgeladene Szene darzustellen und dass das Gameplay dabei als eine Hinleitung fungiert, die den Spieler auf das einstellt, was vor ihm liegt. Es handelt sich also eindeutig um den Tod als narratives Element, der als solcher analysiert werden kann. Die Avatarfigur, den Protagonisten Zack Fair, kann man am ehesten als zweidimensionale Figur beschreiben. Sie hat eine Persönlichkeit, diese ist allerdings relativ einfach umrissen: Zack ist in der Ausbildung zu einem Elite- kämpfer, bewundert seine Ausbilder und ist ein sehr positiv eingestellter Cha- rakter. Er hat zwar im Spielverlauf gute Gründe, an allem zu zweifeln, was ihm wichtig ist, lässt sich davon aber nicht allzu sehr beeinflussen, eine deutliche Entwicklung seines Charakters gibt es nicht. Er will weiterhin seine Freunde beschützen und glaubt ungebrochen an diese. Damit ermöglicht er dem Spie- ler, Sympathie für ihn aufzubauen und sich in seine Rolle und sein Leben ein- zufühlen, also auch eine gewisse Empathie zu entwickeln. Die häufige Nut- zung von Cut-Scenes zur Charakterdarstellung bringt den Spieler zusätzlich in die Position eines Filmzuschauers: Er ist nicht in der Lage einzugreifen und kann so nur Empathie und Mitleid empfinden. Weiterhin ist Zack durch diese Ausgestaltung geeignet, eine Persona darzustellen, zu der der Spieler eine parasoziale Bindung aufbauen kann, denn es werden alle Voraussetzungen für eine parasoziale Beziehung erfüllt: Sie ist einseitig, kann sich nicht entwickeln, besteht aus Zuschauer und Dar- stellendem und ist möglicherweise nicht-dialektisch. Da es sich bei Crisis Co- re jedoch um ein Prequel handelt, könnte der Spieler neben diesem Spiel IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 100 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen auch die übrigen Teile der Compilation um Final Fantasy VII, sowie weitere Fan-Theorien kennen und sich daher eine Meinung gebildet haben. Dadurch könnte er die Darstellung von Zack in diesem Spiel hinterfragen, was eine parasoziale Bindung erschweren könnte. Allerdings dürfte das für einen gro- ßen Teil der Spieler nicht in einem Maße zutreffen, das eine parasoziale Bin- dung beeinträchtigt. Wenn man sich die Gestaltung der finalen Sequenz vor Augen führt, ist es auffällig, dass dem Spieler eine gewisse Handlungsfreiheit gelassen wird. Das Spiel ermöglicht es, Zacks letzten Kampf selbst zu spielen, was zu- mindest die Illusion aufrecht erhält, eingreifen zu können, auch wenn die Übermacht an Gegnern sehr deutlich ist und das Wissen des Spielers über das Spiel hinaus ausreichen könnte, um den Kampf als ausweglos anzuer- kennen. Trotzdem ist festzuhalten, dass Interaktion zumindest in einem gewis- sen Maße möglich ist, wenn auch nicht notwendig: Es würde in diesem fina- len Kampf auch reichen, Zack nicht zu bewegen und sich nur angreifen zu lassen. Einen Ausweg aus der Situation gibt es ohnehin nicht. Um das Spiel zu beenden, muss man diesen Kampf spielen, ihn verlieren und Zack sterben lassen. Zuletzt hat Zacks Tod Konsequenzen für die Spielwelt. Die weiteren Charaktere des Spiels reagieren darauf und einige Ereignisse in Final Fantasy VII finden teils nur statt, weil Zack in Crisis Core gestorben ist. Es gibt also nachweisliche Reaktionen auf den Tod des Avatars, was diesen Tod erneut als narratives Element bestätigt. 3.3 Die Kombination beider Darstellungsarten Stellt man beide Varianten des Avatartodes im Videospiel einander gegen- über, so wirken diese kaum vereinbar. Auf der einen Seite steht der Tod aus dem Gameplay heraus, der für Spielwelt und Handlung keinerlei Relevanz hat. Er ist nur ein ungewolltes Ergebnis einer Handlung des Spielers im Spielgeschehen. Die Avatarfigur als solche ist oft a-dimensional oder weist zumindest wenige Dimensionen auf. Sie ist in erster Linie ein Werkzeug zur Interaktion mit der Spielwelt und tritt wenigstens im Kontext des ludischen Todes nicht als Erzählfigur in Erscheinung. Dagegen steht der narrative Avatartod, der meistens in einer Cut- Scene verhandelt wird, welche dem Spieler die Möglichkeit zur Interaktion nimmt. Der narrative Avatartod nimmt Einfluss auf Handlung und Gameplay und setzt einen mehrdimensionalen, oft dreidimensionalen Avatartypen vor- aus. Der Avatar ist im Spielverlauf nicht nur ein Werkzeug für den Spieler, sondern auch eine Erzählfigur, welche die Handlung vorantreibt und Teil da- von ist. Direkte Vermischungen, dass also aus einem Gameplaytod des Avatars eine narrative Konsequenz folgt, sind hingegen selten. Zum Teil gibt es gescriptete Ereignisse, die eine bestimmte Situation im Gameplay abwarten und dann eintreffen. So wird in Dragon Age: Origins beispielsweise der finale IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 101 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Kampf im Gameplay ausgefochten, der Feind allerdings erst durch das Opfer eines Spielcharakters in einer folgenden Cut-Scene wirklich besiegt wird. Hier wird also ein Ereignis aus dem Gameplay in einer narrativen Szene weiter ausformuliert. Davon ausgehend, dass auch mehrdimensionale Charaktere durchaus einen Tod aus dem Gameplay heraus erleiden können, ist die Gestaltung des Avatars und auch dessen Nutzen im Spiel – ob nun als Werkzeug oder Erzähl- figur – offenbar weniger relevant als die Konsequenz, die aus dem Tod ent- steht. Bei einem narrativen Avatartod reagiert die Spielwelt auf den Tod, es kann sich sogar das Gameplay verändern, während der ludische Tod nur ei- nen Neustart nach sich zieht. Würde sich nun also die Spielwelt auch durch einen ludischen Tod aus dem Gameplay heraus verändern und diesem damit eine Gewichtung verleihen, könnte man dies als Teil des Narrativs verstehen. Dieser Ansatz würde funktionieren, wenn die Welt des Spiels ähnlich der eines Massive Multiplayer Online Games (MMO) gehandhabt werden würde. Diese bezeichnen Castulus Kolo und Timo Baur als »persistant state world« (BAUR/KOLO 2004: 1), was auch andere als definierendes Kriterium ei- nes MMOs beschreiben (vgl. LAKHMANI et al. 2015, SNODGRASS et al. 2011). Darunter verstehen sie eine virtuelle Welt, »where thousands of users interact in a setting that endures independently of any particular player« (SNODGRASS et al. 2011: 2). Diese Art der Weltendarstellung wird gemeinhin als sehr realis- tisch beschrieben und ist ein wichtiger Faktor für das Spielerlebnis (vgl. GOLUB 2010, LAKHMANI et al. 2015, SNODGRASS et al. 2011). Das bedeutet auch, dass der Tod des Spielers die Welt nicht zurücksetzt, sondern diese das Ereignis selbst abfängt und in ihren Kreislauf einarbeitet. Wäre das auch in andere Genres übertragbar, würde das entstehende Spiel dadurch dem ludischen Tod eine narrative Komponente geben und den bisher beobachteten Bruch erheblich abfedern. Bisher spielen persistente Welten in Einzelspieler-Spielen keine Rolle, was natürlich auch an einer feh- lenden Notwendigkeit liegt. Diese Spiele haben den Avatar als Mittelpunkt der Handlung und daher muss die Welt nicht ohne dessen Beteiligung funktionie- ren. Um jedoch den ludischen Tod narrativ bedeutsam zu machen, wäre eine persistent gestaltete Welt notwendig. Was darüber hinaus natürlich gegeben sein muss, ist ein Faktor, den die meisten Spiele aufgrund ihrer Narrative nicht gewährleisten können: Ei- nen Avatar, dessen Tod nicht das Ende seiner Geschichte bedeutet. Das ist in der Regel nicht der Fall, da die meisten Spiele zumindest in diesem Aspekt der Realität entsprechen und den Tod als endgültig anerkennen. Das kann man umgehen, indem man den ludischen Tod entschärft wie es beispielswei- se in Pokémon Rote Edition (Game Freak, 1996) geschieht: Hier endet ein ver- lorener Kampf nicht mit dem Tod des Helden, sondern mit dessen Ohnmacht. Das ist ein anderer valider Weg, den besagten Bruch zwischen Narrative und Gameplay zu verhindern, soll hier aber nicht thematisiert werden, weil er den Tod des Avatars bewusst nicht behandelt. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 102 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Die Kombination aus ludischem und narrativem Tod erscheint also sinnvoll, um die Interaktivität des Spielers nicht zugunsten des Narrativs ein- zuschränken, sondern dessen Einwirken auf die Handlung und damit das ge- samte Spiel mehr in den Vordergrund zu stellen. Diese besondere Form der Darstellung kann man als Videospieltod beschreiben, um den so besonderen Charakter des Avatartodes herauszustellen: Da er aus der Interaktion zwischen Spieler und Spiel heraus geschieht, ist ein solches Ereignis diesem Medium eigen und gerade das wird durch den Namen verdeutlicht. Um von einem Videospieltod zu sprechen, darf der aus dem Gameplay heraus verursachte Tod der Figur nicht vorgegeben und das Ereignis in keiner Weise gescriptet sein. Vielmehr reagiert die Welt dynamisch auf den Spieler und das Narrativ passt sich an das Spielgeschehen an. Dafür braucht es eine quasi-persistente Welt, die den Spieler als Element der Welt einbindet, aller- dings nicht von diesem abhängt. Weiterhin muss natürlich das Narrativ es unterstützen, dass der Spielercharakter mehrfach sterben kann und sein Tod die Fortführung der Handlung nicht unmöglich macht. Das im September 2014 erschienene Action-Rollenspiel Mittelerde: Mordors Schatten (Monolith Productions, 2014) nutzt den Videospieltod in einer sehr passenden Weise. Protagonist des Spiels ist Talion, der Schauplatz ist mit Mittelerde die Welt des Herrn der Ringe (John R.R. Tolkien, 1954) und dort genauer Mordor und die Umgebung des Núrnenmeers. Nach seiner ei- genen Ermordung sinnt Talion auf Rache und verbündet sich damit mit dem Ringgeist Celebrimbor, um die Uruk-Armee des dunklen Herrschers Sauron anzugehen und seinen Mörder zu finden. Das Spiel ist ein typisches Action-Adventure mit einer Open World, das dem Spieler extreme Freiheiten lässt. Talion kann schleichen, gehen, laufen, springen und klettern, dazu ist es ihm möglich, verschiedene Wesen zu reiten. Er hat weiterhin ein Schwert, einen Dolch und durch Celebrimbor einen Bo- gen zur Verfügung. Neben den Missionen, die die Handlung des Spiels voran- treiben, gibt es zahlreiche Nebenmissionen und die Möglichkeit, sich in die Rangkämpfe der Uruks einzumischen. Gerade die Uruks bringen einen die interessantesten Aspekte des Spiels mit sich: Zu einem das sogenannte Nemesis-System. Das sorgt dafür, dass Feinde, die Talion bereits begegnet sind und diesen getötet haben, da- durch nicht nur stärker werden, sondern sich auch an ihn erinnern. Wunden aus früheren Gefechten tragen sie ebenso und sinnen nach Rache, weshalb sie sich zur persönlichen Nemesis des Spielers entwickeln können. Damit einher geht das Rangsystem der Soldaten. Es gibt die normalen Soldaten, darüber Hauptmänner und die fünf Häuptlinge, die die mächtigsten Uruks darstellen. Welche Soldaten welche Ränge einnehmen, ist dabei vollkommen offen. Ein Uruk, der Talion besiegt, gewinnt an Macht und steigt im Rang auf. Die Hauptmänner fechten untereinander Kämpfe aus und unternehmen selbst Missionen, die sie bei Bestehen stärker machen. All das passiert auch unab- hängig vom Spieler. Er kann eingreifen und damit selbst bestimmen, welche Uruks mächtiger werden oder sich heraushalten. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 103 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Dieses System ist vom Spieler unabhängig und erschafft je nach Situ- ation und Notwendigkeit neue Charaktere mit Namen, einzigartigem Ausse- hen und Charaktereigenschaften, auf die der Spieler dann treffen kann. Auch die Storymissionen verändern sich je nach aktuell vorhandenen Gegnern. Wenn man im freien Spiel also einen Häuptling tötet, der für eine Storymission wichtig gewesen ist, verändert sich die Storymission entspre- chend der Handlungen des Charakters. Damit schafft das Nemesis-System in Kombination mit den Rangstrukturen ein dynamisches Gefüge, das für jeden Spieler ein in gewissem Maße eigenes Spiel erstellt und das von den Hand- lungen der Spielerin weiter verändert und damit individualisiert wird. Die Darstellung des Todes erfolgt in Mittelerde: Mordors Schatten in zweifacher Hinsicht. Es gibt die narrative Variante, direkt zu Beginn des Spiels. Hier erlebt Talion, bereits gestorben und in der Zwischenwelt des Ringgeistes, die letzten Stunden seines Lebens erneut. Das dient ludisch als Tutorial für das kommende Spiel und setzt den narrativen Rahmen der Handlung, denn es zeigt dem Spieler den Angriff von Uruks unter Führung eines direkten Un- tergebenen von Sauron. Erst nach seinem Tod kann der Ringgeist auf Talion zugehen. Entsprechend ist der Tod hier natürlich ein Mittel, um den Plot des Spiels in Gang zu setzen. Er ist in der Weise filmisch inszeniert, wie es beim Tod als narrativem Element der Fall sein sollte: Der Tod hat einen emotionalen Charakter für den Spieler, da Talion als zweidimensionaler Charakter ausrei- chend vorgestellt wird, um Mitleid mit ihm und dem Tod seiner Familie zu haben. Andererseits hat der Spieler keine Kontrolle über das Geschehen. Zu- letzt hat der Tod Einfluss auf die Spielwelt als solche: Uruks erkennen Talion wieder und vermuten anfänglich, sie hätten ihn bei dem Angriff dann wohl übersehen. Somit wird sein Überleben ganz deutlich thematisiert, die Welt hat also den vermeintlichen Tod durchaus zur Kenntnis genommen. Damit besitzt der narrative Tod alle charakteristischen Eigenschaften eines solchen. Weitaus interessanter für diese Betrachtung ist jedoch die zweite Dar- stellungsart des Todes. Da Talion aufgrund des Narrativs um den Ringgeist nicht sterben kann, ist eine Verknüpfung von ludischen und narrativen Ele- menten möglich, weil die nötige Grundlage durch die Art der Narration gelegt ist und es einen Sinn hat, dass Talions Tod seine Geschichte nicht beendet. Potenziell hat jeder Uruk die Möglichkeit, Talion zu töten und damit den Lauf des Narrativs zu beeinflussen. Wenn einem Uruk das gelingt, wird er mächti- ger, erhält neue Fähigkeiten und Stärken und wird im Rang hochgestuft. Das verändert das Machtgefüge unter den Uruks und führt möglicherweise zu weiteren Veränderungen, weil jemand dem Aufsteiger Platz machen muss. Weiterhin führt der Tod Talions dazu, dass in der Spielwelt Zeit bis zu seiner Rückkehr vergeht. Das bedeutet, dass Rangkämpfe unter den Uruks gelöst werden, offene Missionen ersetzt werden und sich die bisher bekannte Hie- rarchie verschieben kann. Talions Tod bringt die Spielwelt also nicht zum Still- stand, eher befindet sie sich in einem persistenten Zustand. Auf der Seite des Narrativs sorgt das Nemesis-System dafür, dass Tali- on von Uruks erkannt wird, die ihn besiegt haben. Diese reagieren dann deut- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 104 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen lich auf den Wiederauferstandenen. Weiterhin bilden sich Gerüchte über den sogenannten ›Gravewalker‹, die auch andere Uruks gehört haben können. Statt also einen Bruch in der Glaubwürdigkeit des Spiels zu erleben, wann immer der Avatar stirbt und der Spieler damit einen Abschnitt des Narrativs neu beginnen muss, ist es hier so, dass das Spiel auf verschiedenen Wegen Verknüpfungspunkte zwischen Gameplay und Narrativ schafft. Damit wird der Avatartod nicht einfach als Element auf ludischer Ebene abgetan und von dem Narrativ gelöst, sondern damit verwoben. Diese Einbindung kann man sinnvollerweise als Videospieltod bezeichnen. Der Spieler erlebt eine quasi- persistente Welt, in der der Tod des Avatars aus dem Gameplay heraus narra- tiv aufgegriffen wird und Konsequenzen nach sich zieht. 4. Fazit Jesse Schells eingangs beschriebene Vision der direkten Interaktion zwischen Spieler und Avatar dürfte aufgrund von technischen Limitationen so bald kei- ne Umsetzung finden. Ein stärkerer Fokus auf Interaktion scheint hingegen schon jetzt immer wichtiger zu werden. Bisher sind ludische Elemente auf der einen Seite oft strikt vom Narra- tiv getrennt gewesen, was schlimmstenfalls die Glaubwürdigkeit des Spielge- schehens untergraben hat, wann immer der Tod des Avatars aus dem Gameplay heraus das Spiel nur zurückgesetzt hat. Dem entgegen stehen Spiele, in denen das Narrativ eine extrem untergeordnete Rolle spielt und der Avatar statt als Erzählfigur nur als Werkzeug auftritt. Auch der Avatartod hat hier eine rein ludische Relevanz, eine emotionale Bindung an den Charakter gibt es hingegen nicht. Als Kompromiss zwischen diesen Varianten gibt es verschiedene Mög- lichkeiten, den ludischen Tod in das Spielgeschehen einzubinden. Entweder durch eine Abschwächung der Bedeutung wie in Pokémon Rote Edition, wo der Avatar gar nicht in die Situation kommt, bei einem Game Over zu sterben. Für eine andere Variante scheint der Begriff des Videospieltods angebracht, da hier aus einer ludischen Situation heraus das Narrativ des Spiels verändert wird. In Mittelerde: Mordors Schatten wird der Avatar Talion wieder und wie- der von den Toten zurückgeholt, was seinem Tod die Endgültigkeit nimmt. Dadurch kann das Spiel einen Avatartod aus dem Gameplay heraus problem- los narrativ einarbeiten und die Spielwelt an das Verhalten des Spielers an- passen. Aufgrund des Erfolgs des Action-Rollenspiels ist davon auszugehen, dass die Zukunft mehrere Ansätze mit sich bringen wird, die eine ähnliche Version des Videospieltodes integrieren. Mittelerde: Mordors Schatten ist 2014 mehrfach zum Spiel des Jahres verschiedener Videospiel-Magazine ge- wählt worden und hat mehrere DICE-Awards gewonnen, unter anderem für das Game Design und die Story des Spiels. Dass Game Designer Ken Levine IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 105 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen dieses neue Spielerlebnis als »open narrative game« beschreibt (Levine 2014: o.S.), zeigt mindestens ein Interesse auch innerhalb der Videospielbranche an diesem neuen Konzept. Monolith Productions selbst hat in einem Fazit nach der Entwicklung des Spiels bereits weitere Ideen für das Nemesis-System angesprochen. Zusammen mit dem durchaus deutlichen Cliffhanger, mit dem das Spiel endet, könnte das bedeuten, dass Mittelerde: Mordors Schatten eine Fortsetzung bekommt und daher vielleicht auch dieses Studio direkt selbst den Gedanken des Videospieltodes weiter voranbringt und neue Erleb- nisse in diese Richtung kreiert. Mindestens Spielekritiker Ryan Winslett hofft ebenso darauf, das Prinzip des Nemesis-Systems auch in anderen Spielen zu sehen (vgl. WINSLETT 2015: o.S.). Das Interesse an einem Videospieltod scheint also langsam auch in der Spieleindustrie aufzukommen. Damit würden Videospiele endlich einen Um- gang mit dem Tod des Avatars ermöglichen, der dem Medium eigen ist, an- statt den Tod zu übergehen oder dem Spieler die Kontrolle abzusprechen. In diesen Momenten entzieht sich das Medium den ihm eigenen Besonderhei- ten, was zwar dramaturgisch sinnvoll sein kann, allerdings für den Spieler einen Bruch im Spielgeschehen bedeutet. Diesen zu überwinden und trotz- dem eine dramaturgisch ansprechende Geschichte zu erzählen, ist notwen- dig, um das Videospiel zu einem eigenständigen Medium zu machen. Literatur AARSETH, ESPEN: Computer Game Studies, Year One. In: Game Studies, 1(1), 2001, http://www.gamestudies.org/0101/editorial.html [letzter Zugriff: 21.06.2016] BAUR, TIMO; CASTULUS KOLO: Living a Virtual Life: Social Dynamics of Online Gaming. In: Game Studies 1(4), 2004, http://www.gamestudies.org/0401/kolo/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] BEIL, BENJAMIN: Avatarbilder. Zur Bildlichkeit des zeitgenössischen Computerspiels. Bielefeld [transcript] 2012 BOJAHR, PHILIPP: Das Computerspiel als Montage. Überlegungen zum Montagebegriff in den Game Studies. In: BEIL, BENJAMIN; GUNDOLF. S. FREYERMUTH; LISA GOTTO (Hrsg.): New Game Plus: Perspektiven der Game Studies. Genres – Künste – Diskurse. Bielefeld [transcript] 2015, S. 89-114 EDER, JENS; JAN- NOËL THON: Digitale Figuren in Kinofilm und Computerspiel In: SEGEBERG, HARRO (Hrsg.): Film im Zeitalter neuer Medien II. Digitalität und Kino. München [Fink] 2013, S. 139-181 EGENFELDT-NIELSEN, SIMON; JONAS HEIDE SMITH; SUSANA PAJARES TOSCA: History. In: Understanding Video Games: The Essential Introduction. 2. Auflage. London [Routledge] 2013, S. 53-116 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 106 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen ESKELINEN, MARKKU: The Gaming Situation. In: Game Studies 1(1), 2001, http://www.gamestudies.org/0101/eskelinen/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] GOLUB, ALEX: Being in the World (of Warcraft): Raiding, Realism, and Knowledge Production in a Massively Multiplayer Online Game. In: Anthropological Quarterly 83(1), 2010, S. 17-45 HORTON, DONALD; R. RICHARD WOHL: Mass Communication and Para-social Interaction: Observations on Intimacy at a Distance. In: Psychiatry: Interpersonal and Biological Processes 19(3), 1956, S. 215-229 JUUL, JESPER: The Art of Failure. An Essay on the Pain of Playing Video Games. Cambridge [MIT Press] 2013 KAVLI, KATHERINE: The Player’s Parasocial Interaction With Digital Entities. In: MindTrek ’12: Proceeding of the 16th International Academic MindTrek Conference. New York [ACM] 2012, S. 83-89 LAKHMANI, SHAN; PAUL OPPOLD; MICHEAL A. RUPP; JAMES L. SZALMA; PETER A. HANCOCK: Heterogeneous Knowledge Distribution in MMO Player Behavior: Using Domain Knowledge to Distinguish Membership in a Community of Practice. In: Computers in Human Behavior 55, 2015, S. 455-467 LEVINE, KEN: Mordor, We Wrote. In: The New York Review of Video Games, Dezember 2014, https://medium.com/matter/the-road-goes-ever-on- 105f33453e55#.sg6ku29qd [letzter Zugriff: 21.06.2016] NEITZEL, BRITTA: Involvierungsstrategien des Computerspiels. In: Gamescoop: Theorien des Computerspiels zur Einführung. Hamburg [Junius] 2012, S. 104-127 NEWMAN, JAMES: The Myth of Ergodic Videogame: Some Thoughts on Player- Character Relationships in Videogames. In: Game Studies 2(1), 2002, http://www.gamestudies.org/0102/newman/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] NOHR, ROLF F.: Restart After Death: ›Self-Optimizing‹, ›Normalism‹ and ›Re- Entry‹ in Computer Games. In: THOMPSON, JASON C.; MARC A. OUELLETTE (Hrsg.): The Game Culture Reader. Newcastle upon Tyne [Cambridge Scholars Publishing] 2013, S. 66-83 PAPALE, LUCA: Beyond Identification: Defining the Relationships between Player and Avatar. In: Journal of Games Criticism, 1(2), 2014, http://gamescriticism.org/articles/papale-1-2 [letzter Zugriff: 21.06.2016] PERRON, BERNARD: A Cognitive Psychological Approach to Gameplay Emotions. In: Proceedings of DiGRA 2005 Conference: Changing Views – Worlds in Play, 3, 2005, http://www.digra.org/digital- library/publications/a-cognitive-psychological-approach-to-gameplay- emotions/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] RAUSCHER, ANDREAS: Mise en Game. Die spielerische Aneignung filmischer Räume. In: BEIL, BENJAMIN; GUNDOLF. S. FREYERMUTH,; LISA GOTTO (Hrsg.): New Game Plus: Perspektiven der Game Studies. Genres – Künste – Diskurse. Bielefeld [Transcript] 2015, S. 89-114 RIEGER, SIMONE: Der Tod in den Medien. Vom Umgang mit Sterben, Tod und Trauer, dargestellt an der Fernsehserie ›Six Feet Under‹. Bachelorarbeit, IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 107 Janna Tillmann: Tod des Avatars in Videospielen Universität Passau, Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft und Landeskunde, 2009, 43 S. RUSSEL, CRISTEL ANTONIA; HOPE JENSEN SCHAU: When Narrative Brands End: The Impact of Narrative Closure and Consumption Sociality on Loss Accommodation. In: Journal of Consumer Research 40(6), 2014, S. 1039- 1062 RYAN, MARIE-LAURE: Beyond Myth and Metaphor – The Case of Narrative in Digital Media. In: Game Studies 1(1), 2001, http://www.gamestudies.org/0101/ryan/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] SCHELL, JESSE: Die Zukunft des Erzählens. Wie das Medium Geschichten formt. In: BEIL, BENJAMIN; GUNDOLF. S. FREYERMUTH,; LISA GOTTO (Hrsg.): New Game Plus: Perspektiven der Game Studies. Genres – Künste – Diskurse. Bielefeld [Transcript] 2015, S. 357-374 SCHRÖTER, FELIX; JAN-NOËL THON: Video Game Characters. Theory and Analysis. In: Diegesis 3(1), 2014, S. 40-77 SMITH, GREG M.: Computer Games Have Words, Too: Dialogue Conventions in Final Fantasy VII. In: Game Studies 2(2), 2002, http://www.gamestudies.org/0202/smith/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] SNODGRASS, JEFFREY G.; MACHAEL G. LACY; H. J. FRANCOIS DENGAH II; JESSE FAGAN: Enhancing One Life Rather than Living Two: Playing MMOs with Offline Friends. In: Computers in Human Behavior, 27, 2011, S. 1211-1222 TAYLOR, LAURIE: When Seams Fall Apart: Video Game Space and the Player. In: Game Studies 3(2), 2003, http://www.gamestudies.org/0302/taylor/ [letzter Zugriff: 21.06.2016] VEALE, KEVIN: ›Interactive Cinema‹ Is an Oxymoron, but May Not Always Be. In: Game Studies 12(1), 2012, http://gamestudies.org/1201/articles/veale [letzter Zugriff: 21.06.2016] VENUS, JOCHEN: Erlebtes Handeln in Computerspielen. In: Gamescoop: Theorien des Computerspiels zur Einführung. Hamburg [Junius Verlag] 2012, S. 104–127 WINSLET, RYAN: Middle-earth: Shadow Of Mordor's Nemesis System Should Be Stolen, 2015, http://www.cinemablend.com/games/Middle-earth- Shadow-Mordor-Nemesis-System-Should-Stolen-69254.html [letzter Zugriff: 21.06.2016] IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 108 [Inhaltsverzeichnis] Das bildphilosophische Stichwort Ausgewählt und herausgegeben von Jörg R.J. Schirra, Mark A. Halawa und Dimitri Liebsch Vorbemerkung Es ist eine gute Tradition in wissenschaftlichen Zeitschriften, zentrale wie strit- tige Begriffe der jeweiligen Disziplinen übersichtlich und allgemeinverständ- lich in Form kürzerer, konziser Glossarartikel zu erläutern. Diese Tradition soll auch in IMAGE gepflegt werden. Aus diesem Grunde werden in der Sparte »Das bildphilosophische Stichwort« jeweils drei Artikel aus dem Glossar der Bildphilosophie aufgegriffen und in IMAGE zur Diskussion gestellt. Als ›bildphilosophisch‹ wird die Stichwort-Reihe in IMAGE cha- rakterisiert, weil sie sich den bildwissenschaftlich verwendeten Begriffen in kritisch-reflexiver Weise – eben philosophisch – nähert. Denn auch die Unter- scheidungsgewohnheiten, mit denen Bildwissenschaftler solche Phänomene in der Welt, die sie wissenschaftlich interessieren, abgrenzen, unterteilen und in Beziehungen zueinander setzten, sind zwar durchweg mehr oder weniger stark mit expliziten Begründungen versehen, immer aber auch in tradierten und daher klärungsbedürftigen Zusammenhängen eingewurzelt. In dieser Ausgabe setzen wir »Das bildphilosophische Stichwort« in IMAGE mit den folgenden drei Beiträgen fort: (10) »Theorien des Bildraums« von Michaela Ott, (11) »Kontext« von Jörg R.J. Schirra und (12) »Werbung« von Mark Ludwig. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 109 [Inhaltsverzeichnis] Das bildphilosophische Stichwort 10 Michaela Ott Theorien des Bildraums Wiederabdruck des gleichnamigen Beitrags aus Schirra, J.R.J.; Liebsch, D.; Halawa, M. sowie Birk E. und Schürmann E. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. Online-Publikation 2013. 1. Historischer Diskurs zum Bildraum Kants »transzendentale Ästhetik« (KANT 1968), die die sinnliche Anschauung als von der apriorisch gegebenen Vorstellung des Raums (und der Zeit) vor- strukturiert versteht, gilt allgemein als Einsatzpunkt vielfältiger Theorien zur Raumwahrnehmung. Von ihr angeregt suchen die Gründerväter der Physiolo- gie und Psychologie des 19. Jahrhunderts nach den psychophysischen Ur- sprüngen der Raumwahrnehmung; Hermann von Helmholtz etwa glaubt, die menschliche Raumwahrnehmung aus der Form der Ohrmuschel ableiten zu können. Bis heute überbieten sich Kognitions- und Wahrnehmungspsycholo- gen mit Erklärungsmodellen für die Fähigkeit des Gehirns, aus zweidimen- sionalen Netzhautprojektionen räumliche Informationen zu entnehmen. Sie konzentrieren sich dabei weitgehend auf zentralperspektivisch organisierte Bildformate, die bekanntlich seit der Renaissance als der anthropomorphen Raumerfassung entsprechende Raumwiedergaben verstanden worden sind. Erwin Panofskys daran vorgetragene Kritik, der die Zentralperspektivierung als kühne Abstraktion von der Wirklichkeit, als Privilegierung eines indifferen- ten Denkraums und als Verkennung des psychophysischen Raums mit zwei- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 110 Michaela Ott: Theorien des Bildraums äugiger »sphäroider Gestalt« (PANOFSKY 1924: 668) in seiner Geltung relati- viert, findet in den Bildwissenschaften nach wie vor wenig Beachtung. Wie Stephan Günzel in seinem Beitrag zu den Raumwissenschaften ausführt, erör- tert die zeitgenössische Bildwissenschaft den Raum vorzugsweise im Hinblick auf zentralperspektivische Bildorganisation und auf die Divergenz von zwei- dimensionalem Bildträger und dreidimensionaler Erscheinung. Dieser einge- schränkte Blickwinkel sei hier historisierend relativiert und um philosophi- sche, kunsthistorische und künstlerische Bildreflexionen erweitert, die heutzu- tage gerade in der Verflachung des Bildes, in seiner quasi-taktilen Selbstaus- stellung und in der Entfaltung unbekannter Raumzeitkonfigurationen den Wert von Bildschöpfungen erkennen. Erste gattungstheoretische Ausführungen zur Abgrenzung der bilden- den von den literarischen Künsten entlang ihrer Raum- und Zeitbezugnahmen begegnen ebenfalls in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1766 unter- scheidet Gotthold Ephraim Lessing die Nachahmungen der Malerei von jener der Poesie: Erstere verwende »Figuren und Farben in dem Raume«, letztere »artikuliere Töne in der Zeit« (LESSING 1974: 102). Während die Malerei Zeit- schnitte im Kontinuum der Handlung vornehme und Augenblicke für ihre »koexistierenden Kompositionen« wähle, könne die Poesie in ihren »fort- schreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen« (LESSING 1974: 103). In Homers poetischer Beschreibung des Schilds des Achil- les sieht Lessing gleichwohl ein Beispiel dafür gegeben, wie »weitläufig und doch poetisch« (LESSING 1974: 109) Dichtung räumlich Nebeneinandergeord- netes beschreiben kann. Er hält Dichtung gleichwohl nicht für das geeignete Medium zur Wiedergabe komplexer Raumverhältnisse, da das Ohr dabei kei- nen Gesamteindruck erhält. Artikuliert sich bei Lessing noch eine Gleichrangigkeit der Künste, so privilegiert die auf ihn folgende idealistische Philosophie die Zeit- gegenüber den Raumkünsten, weshalb die Ästhetiken des 19. Jahrhunderts die Künste in eine entwicklungsgeschichtlich-logische Abfolge bringen. G.W.F. Hegel geht in den Vorlesungen über die Ästhetik zwischen 1818 und 1826 von der Vorstel- lung eines künstlerischen Einheitsraums aus, da »an sich, dem Begriffe nach, die Gesamtheit dieser neuen Wirklichkeit der Kunst zu einer Totalität« (HEGEL 1970: 246) gehöre: In der sinnlichen Gegenwart löse sich freilich das Ideal in seine Momente auf, so dass die reale Kunstwelt »das System der einzelnen Künste« (HEGEL 1970: 246) sei. Hegel historisiert und hierarchisiert die Künste entsprechend ihrem Geist-, Material- und Raumgehalt: Der Architektur weist er dabei die unterste Stufe zu. Über ihr stehen die bildenden Künste, die »die Innerlichkeit des Subjektiven zu gestalten berufen sind«, wie die Malerei, die »zum Material [...] nicht die schwere Materialität und deren räumlich voll- ständige Existenz gebrauchen« kann, sondern dieses Material »verinnerli- chen« (HEGEL 1970: 259f.) muss. Die Malerei ziehe deshalb die drei Raumdi- mensionen »in die Fläche als die nächste Innerlichkeit des Äußeren zusam- men und stellt die räumlichen Entfernungen und Gestalten durch das Schei- nen der Farbe dar« (HEGEL 1970: 260). Die romantischen Künste Musik und IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 111 Michaela Ott: Theorien des Bildraums Poesie als »wahrhafte Kunst des Geistes« zeichnen sich durch Verzicht auf »Figurationen des Räumlichen« (HEGEL 1970: 261) aus. Diesen philosophischen Raumabwertungen setzt Jakob Burckhardt 1855 seine kunsthistorische Schrift Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens entgegen, in welcher er dem Raumbegriff erstmals methodische Geltung verleiht: Er grenzt darin die italienische Gotik mit ihrer horizontalen »Weiträumigkeit« vom »nordischen Raum der Höhe« (BURCKHARDT 2001: 111) positiv ab, denn in ihr entwickle sich »das eigenthüm- lich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm« (BURCKHARDT 2001: 144). Erst im 16. Jahrhundert werde »der Aufwand an Raum und Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Großräumigkeit, auch der bür- gerlichen Wohnungen« (BURCKHARDT 2001: 247). Burckhardts Ansatz macht Schule: Ende des 19. Jahrhunderts, als die an die Nachahmungstheorie gebundenen Erörterungen von Ort, Szene, Vertie- fung und Bildtiefe von einer historisch-kritischen, stilanalytischen Kunstbe- trachtung abgelöst werden, wird die Raumbehandlung »das allgemeinste Thema der modernen Kunstgeschichte« (BADT 1963: 19) und »Raum« ihr am häufigsten gebrauchter Begriff. Seine Verwendung steht allerdings häufig im Dienste einer Fortschrittserzählung von der flächenhaften Bildgestaltung zur Darstellung unendlicher Tiefe. Alois Riegls historische Periodisierung des ›Kunstwollens‹ vom ›Tak- tisch-Nahsichtigen‹ (für die altägyptische Kunst) über das ›Taktisch-Optische‹ (für die klassische Kunst Griechenlands) zur dritten Stufe des ›Optisch- Fernsichtigen‹ (vgl. RIEGL 1901) der spätrömischen Kunst wird später von Wal- ter Benjamin und Deleuze/Guattari umgewertet: Im Sinne von Panofskys Kri- tik an der Zentralperspektive fordern sie, das ›Taktisch-Nahsichtige« in Kunst und Philosophie erneut in seine Rechte zu versetzen. Riegls Schrift Das hol- ländische Gruppenporträt (1902), die zwischen den »zwei Erscheinungsfor- men des dreidimensionalen (Bild)Raums«, dem »kubischen, der an den Kör- pern haftet, und dem Freiraum, der zwischen den Figuren ist« (RIEGL 1931: 22), differenziert, liefert die methodische Vorgabe für Erwin Panofskys spätere Raumperiodisierungen. Auch bei Riegl findet sich ein unterschwelliger Fort- schrittsgedanke: Während die antike Kunst nie zur Darstellung des Freiraums gelange, habe die christliche Kunst der römischen Kaiserzeit »den Freiraum emanzipiert« (RIEGL 1931: 22). Mit der endgültigen Emanzipation des Frei- raums im 15. Jahrhundert werde der Raum »besonderer Gegenstand« der bildenden Kunst, wobei noch einmal zwischen der italienischen »Linienper- spektive« und der »nordischen« Kunst der »Luftperspektive« (RIEGL 1931: 23) zu unterscheiden sei. Dem holländischen »Kunstwollen« gelinge die besonde- re Leistung, den Dualismus von Körper- und Freiraum in der Farbgestaltung des Helldunkel aufzuheben. Im 20. Jahrhundert vervielfachen sich trotz der naturwissenschaft- lichen Formulierung der ›Vierdimensionalität‹ des Raums und der in Mathe- matik und Physik begründeten Verschwisterung von Raum und Zeit die IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 112 Michaela Ott: Theorien des Bildraums kunstgeschichtlichen Überlegungen zu den Raumbezügen der Kunst. Auch andere Disziplinen tragen zur Vervielfältigung von Bildraumtheorien bei: die phänomenologische und psychologische Wahrnehmungslehre, medientheo- retische Diskussionen zur Gattungsspezifik von Malerei und Film, erkenntnis- kritische Unterscheidungen von symbolischen, lebensweltlichen, ästhetischen Räumen und anderer mehr. Der Kunsthistoriker Adolf von Hildebrand erklärt 1903 die künstlerische Raumschöpfung aus unserem räumlichen Verhältnis zur Natur. Die malerische Darstellung müsse demnach Raumvorstellungen wecken, »um im Beschauer dies Raumgefühl, diese elementarste Wirkung der Natur (zu) erzeugen« (HILDEBRAND 1969: 220). Der Psychologe Theodor Lipps leitet ebenfalls »das abgeschlossene Ganze des räumlichen Gebildes« aus der »auffassenden, heraushebenden und begrenzenden Tätigkeit« (LIPPS 1920: 402) des Betrachters ab. Innerhalb der »Kunst der räumlichen Form« unter- scheidet er die Malerei als »Naturformen wiedergebende« von den »frei schaffenden Künsten« (LIPPS 1920: 398), die den »mit Leben erfüllten Raum« (LIPPS 1920: 399) generieren. Er berücksichtigt dabei nicht nur »abstrakte« Raumkünste, sondern auch solche, die Masse gestalten: Zur »Massenraum- kunst« zählt er »technische Kunstformen« (LIPPS 1920: 400) wie etwa das De- sign. Philosophie und Kunstgeschichte zusammenführend, erkennt der Phi- losoph Ernst Cassirer in seinem Vortrag Mystischer, ästhetischer und theoreti- scher Raum (1930) zusammen mit Panofsky in der malerischen, linear- perspektivisch konstruierten Illusion der Fensterschau die entscheidende »symbolische Form« der europäischen Raumkonzeption. Panofsky hatte die Synthese des »nordisch-gotischen Raumgefühls« und seiner »Raumkästen« (PANOFSKY 1924: 713f.) mit der in der byzantinischen Malerei weiterlebenden Raumtiefe, wie sie sich erstmalig bei den toskanischen Malern Giotto und Duccio in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vollzieht, als »Revolution in der formalen Bewertung der Darstellungsfläche« bestimmt, dank welcher die Wand zu jener »durchsichtigen Ebene« wird, »durch die hindurch wir in einen Raum hineinzublicken glauben sollen« (PANOFSKY 1924: 716f.). In der Nachkriegszeit bekundet sich in Max Raphaels Raumgestaltun- gen von 1949 schließlich eine ausdifferenzierte Wahrnehmung der unter- schiedlichen Raumbezugnahmen der Malerei: »Hals, Velasquez und andere – der Raum der Traumwelt; Vermeer – der Raum des Unbewußten; Hugo van der Goes und Tintoretto – der Raum des Übergangs vom Diesseits zum Jen- seits; […] Bosch – der Raum der Auflösung des Daseins« (RAPHAEL 1986: 63). Rückblickend setzt er den »Beginn eines neuen Raum›ideals‹« mit dem Ku- bismus an, denn Picasso und Braque hätten »die möglichen Raumerlebnisse und Raumgestaltungen« (RAPHAEL 1986: 56f.) zum Thema ihrer Kunst gemacht. Er unterscheidet von daher zwischen einer überzeitlichen »Kategorie des Raums« und den geschichtlich bedingten »Realisierungen dieser Kategorie« (RAPHAEL 1986: 59). Die modernen Avantgarden erscheinen als aufeinander folgende Strategien der Raumvervielfältigung, die sich in der Nachkriegszeit noch multipliziert. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 113 Michaela Ott: Theorien des Bildraums Auch in der Filmtheorie des 20. Jahrhunderts wird der Raumbezug des Filmbildes thematisiert, zunächst allerdings unter dem Blickwinkel der verän- derten Raumwahrnehmung des Zuschauers im Kino, ausgelöst durch die neuen technischen Möglichkeiten des Films. Als einer der ersten erörtert der ungarische Filmtheoretiker Béla Balázs die insbesondere von der Großauf- nahme herbeigeführten filmischen Raummodifikationen. Die Großaufnahmen würden sogar erlauben, »aus dem Raum überhaupt heraus und in eine ganz andere Dimension« (BALÁZS 2001: 16) hinein zu führen. Die Eröffnung neuer Raumdimensionen und veränderter »Raumgefühle« schreibt Balázs auch der filmspezifischen Kamerabewegung und Montage zu: Durch Überblendungen etwa werden Raumwechsel ohne Perspektivenwechsel geboten, was der Hervorbringung reiner Phantasiebilder zuarbeite. Andererseits führe die Ka- merabewegung durch Räume hindurch und lasse Raum »wirklich erleben. Den Raum, der nicht zur Perspektive geworden ist, nicht zum Bild, das wir von außen betrachten« (BALÁZS 2001: 59f.), als psychische Realität: »Wir durch- schreiten mit ihr (der Kamera) den Raum und fühlen ihn« (BALÁZS 2001: 60). Für Balázs wie später für Christian Metz entstehen dank ihrer Erschließung in Zeit qualitativ andere Räume. Räume, die nicht visuell erfassbar, sondern fühlend und taktil erfahrbar sind. Zeitgleich mit Balázs gelangt Siegfried Kracauer im Feuilleton Über Arbeitsnachweise (1930) zu einem eher soziologisch ausgerichteten Raumbe- fund: Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse zustande ge- bracht, die sich ohne die störende Dazwischenkunft des Bewusstseins in ihm ausdrü- cken. Alles vom Bewusstsein Verleugnete, alles, was sonst geflissentlich übersehen wird, ist an seinem Aufbau beteiligt. Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft. Wo immer die Hieroglyphe irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar. (KRACAUER 1992: 32) Kracauers Suche nach unbewusst-affektiven Raumbildern motiviert nicht zu- letzt seine Zuwendung zum filmischen Medium, wie seine Studie From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film von 1947 zeigt, in der er die psychischen Dispositionen der Gesellschaft der Weimarer Repu- blik retrospektiv aus ihren filmischen Raumbildern erschließt. Raumbilder sind zwangsläufig unbestimmte, numinose Größen, die von affektiven und unbewussten Besetzungen erzählen und ›in‹ dem von ihnen Dargestellten Ungesehenes und Ungedachtes mitartikulieren. Der französische Filmtheoretiker André Bazin fordert in seinem gegen- über Kracauer zugespitzten Realismusverständnis der 50er Jahre, dass Film- bilder die raumzeitlichen Kontinua von Vorgängen, die vielfältigen und gegen- läufigen Bewegungen des Lebens und dessen wesentliche »Ambiguität« ein- zufangen hätten. Der Film habe durch filmische Raumgebungen wie in den Filmen Erich von Stoheims, Jean Renoirs und Orson Welles‘, durch lange Plansequenzen mit bewegter Kamera, durch Schärfentiefe, tiefenräumliche Inszenierung und eine Wiedergabe des Dargestellten als Ausschnitt aus ei- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 114 Michaela Ott: Theorien des Bildraums nem über den Bildrahmen hinausreichenden, realen Kontinuum der realen Dauer der Vorkommnisse zu entsprechen. In den 80er Jahren verbindet sich für Gilles Deleuze mit dem Filmi- schen, noch immer in Nähe zu Kracauer und Benjamin, die Forderung nach mikroskopischer Durchdringung der Realitätswiedergaben auf etwas ›in‹ den Bildern hin – auch auf neue Raumzeitdimensionierungen. In seiner zeichen- orientierten Perspektive bindet er die Erörterung des Räumlichen nicht an die Zuschauerwahrnehmung, sondern an die filmische Zeichengebung, der er die Potenz zu Entkonventionalisierung üblicher Raumperspektiven und zur Binnendifferenzierung des Bildes zuerkennt. Dank ihrer vom menschlichen Blickwinkel abweichenden Einstellungsgrößen und dank ihrer Bilderabfolge seien Filmbilder befähigt, unbestimmte Raumzeiten zu generieren. Diese von ihm geschätzten ›beliebigen Räume‹ sieht er immer dort entstehen, wo die Wiedergabe äußerer Raumkontinua und auswendiger Bewegungsabläufe durch filmspezifische Einstellungen und anders montierte Raumzeitformatio- nen durchbrochen wird: Ein beliebiger Raum ist keine abstrakte Universalie jenseits von Zeit und Raum. Er ist ein einzelner, einzigartiger Raum, der nur die Homogenität eingebüßt hat, das heißt das Prinzip seiner metrischen Verhältnisse oder des Zusammenhalts seiner Teile, so dass ei- ne unendliche Vielfalt von Anschlüssen möglich wird. (DELEUZE 1989: 153) Wie in Ott (2007) vorgeschlagen, sollte anstelle des Ausdrucks ›beliebiger Raum‹ jener des ›unbestimmten Raums‹ verwendet werden, schon um den Beigeschmack des Beliebigen und Negativen zu vermeiden, aber auch um die Bestimmbarkeit der jeweiligen Raumzeitschöpfung zu thematisieren. In Nähe zu Balázs lobt Deleuze die Qualität der Großaufnahme und des ›Affektbildes‹ zur Hervorbringung neuer Raumrelationen, die den Fluss der filmischen Be- wegung scheinbar arretieren und dem Film eine vertikale Intensitätsdimensi- on verleihen: Obwohl die Großaufnahme das Gesicht [...] von jeder Raum-Zeit-Koordinate ablöst, kann sie einen ihr eigenen Zeit-Raum einbringen [...] Einmal ist es der Tiefenraum des Bildfeldes, der der Großaufnahme einen Hintergrund verleiht, ein andermal ist es im Gegenteil die Negation der Perspektive und der Bildtiefe, die die Halbnaheinstellung ei- ner Großaufnahme angleicht. (DELEUZE 1989: 151f.) Ungewohnt flächige Räume und unübliche Kombinationen von Vorder- und Hintergrund sieht Deleuze aber nicht nur dank der filmischen Vergesichtli- chungsverfahren entstehen. Räume ohne »Maßverhältnisse« mit »taktiler Wertigkeit« entdeckt er auch in gleichsam umgekehrten Verfahren der Entge- sichtlichung wie etwa in den Filmen von Robert Bresson. Dessen Strategie der »Entthronung« des Gesichts in unüblichen Kadrierungen und Montage- folgen unterwerfe das Bewegungsbild einem »Gesetz der Fragmentierung« (DELEUZE 1989: 152) und brächte ebenfalls beliebige Räume hervor. Solchermaßen entziffert Deleuze die gesamte Filmgeschichte auf Er- findungen neuer Raumbilder hin: Im deutschen expressionistischen Film las- se der Einsatz von Licht und Schatten und deren »Hell-Dunkel-Werte« das IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 115 Michaela Ott: Theorien des Bildraums Räumliche zu etwas »Unbegrenztem« (DELEUZE 1989: 155) werden. In den Fil- men der »poetischen Abstraktion« verliere das Räumliche ebenfalls seine herkömmliche Begrenzung und werde »mit der Macht des Geistes, mit einer stets zu erneuernden geistigen Entscheidung identisch« (DELEUZE 1989: 163). An strukturalistischen Filmen wie Alain Resnais' L’année dernière à Marienbad (1961) stellt er richtungsgebundene »topologische« Konstruktionen heraus, die der Verschwisterung von Raum und Zeit Rechnung trügen. Beliebige Räume sind für ihn sogar in Dokumentarfilmen zu finden, wie beispielsweise in Joris Ivens' Film Regen (1929): Der Regen, Subjekt des Films, wird dank der vielfältigen Perspektivierungen in seinen schillernden Erscheinungsweisen und Affektmodi ins Bild gesetzt. 2. Zeitgenössische Bildraumbestimmungen In der Gegenwart lässt insbesondere der spatial turn der Kulturwissenschaf- ten den Raumbezug des Bildes thematisch werden. Die moderne Kunst, die sich sogar in ihren realitätsnahen Medien Fotografie und Film als konstruktive Praxis begreift, bearbeitet nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der postmoder- nen Kritik am fortschrittsbetonenden Zeitparadigma, erneut ihr Verhältnis zum Raum. Ihre selbstreflexiven Verfahren bringen einen neuen Reichtum an Raumzeitexperimenten hervor, wodurch auch das Bedürfnis aufkommt, den Raum des Kunstwerks zu überschreiten hin auf Interventionen im ›realen Raum‹. Vor allem aber befördert die sich globalisierende Gegenwart theoreti- sche und künstlerische Raumbezugnahmen ohne gleichen, die sich im begin- nenden 21. Jahrhundert als Boom an Ausstellungen mit Raumthematiken manifestiert. Der Katalog zur Ausstellung RAUM. Orte der Kunst (FLÜGGE/KUDIEL- KA/LAMMERT 2007a) begründet seine thematische Ausrichtung damit, dass in der Moderne der Ort der Kunst fragwürdig geworden sei und die gesteigerte Mobilität der modernen Gesellschaft zu einer Differenzierung der Konzeptio- nen und Reflexionen über Raum und Räumlichkeit geführt habe. Unterschie- den wird dabei zwischen dem unbestimmten Raum als imaginärer Ressource der Kunst und dem künstlerisch begrenzten Ort im Raum, sei er illusionistisch vorgespiegelt oder als Ereignisraum inszeniert. Als namhafteste Umkodie- rungen des künstlerischen Verhältnisses zwischen Raum und Ort werden die Einführung des Films, Duchamps Akzentuierung des Ausstellungskontexts und die wiederkehrende Utopie der Vereinigung von Kunst und Leben im Sur- realismus angeführt. Der unübersichtlichen Vielzahl künstlerischer Raumumbrüche in der Moderne sucht man durch Nachzeichnung signifikanter Filiationen nachzu- kommen: des bildnerischen Raums in den Gemälden von Malewitsch bis Pi- casso, des fotografischen Raums bei Medardo Rosso und Man Ray, des lee- ren Raums bei Alberto Giacometti und Francis Bacon, des sozialen Raums bei IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 116 Michaela Ott: Theorien des Bildraums Gordon Matta-Clark und Francis Alÿs, der Körper im Raum bei Gary Hill und Trisha Brown und anderen mehr. Als bedeutsame Umbrüche werden gedeu- tet die Modifikationen des zentralperspektivischen Kastenraums (HOFMANN 2007: 14) von den ›geometrischen Puristen‹ Donald Judd und Sol Lewitt über den ›Organiker‹ Frank Gehry zu den Labyrinthbauern Gregor Schneider und Hans Schabus als Weiterführer des ›Merzbaus‹ von Kurt Schwitters. Hervor- gehoben werden die singulären Gestaltungen (vgl. LAMMERT 2007) der Film- räume Jean Painlevés in La quatrième dimension von 1937, der fernsehge- rechten Raumrituale Samuel Becketts in Quadrat 2 von 1982 und Jacques Tatis filmische Kritik an der Glasarchitektur in Playtime (1967). Das Auftreten von »Hybridformen aus Medien und Raum« (DEMUTH 2007: 101) im 21. Jahrhun- dert wird in seiner Rückwirkung auf den Status der Kunstobjekte betont und das Inflationäre zeitgenössischer Museumsbauten kritisiert (FLÜGGE, KUDIELKA, LAMMERT 2007b: 7). Vorgetragen wird aber auch die Hoffnung, in raumakzen- tuierenden Ausstellungen die »Potentialität« der Kunstwerke und neue Zu- sammenhänge, Nachbarschaften, Ortsbezüge zu erschließen und aufzude- cken. Im Ergänzungsband RÄUME der Zeichnung werden unter anderem die Aufkündigung der Linie-Fläche-Unterscheidung und die maschinelle Ausfüh- rung von Zeichnungen untersucht und die Veränderungen erörtert, die mit der Projektion von Zeichnungen in den dreidimensionalen Raum verbunden sind. Den dazugehörigen Tagungsreader Topos RAUM eröffnet Georges Di- di-Huberman (2005) mit einer Betrachtung über den leibrelativen Raum in fotografischen und filmischen Werken der Moderne. Robert Kudielka be- stimmt das gegenwärtige Raum-Verhältnis von Malerei und Skulptur in Ab- grenzung von der Befragung des Bildraums in den 1960er Jahren: Während damals Inhalte der Kunst über deren räumliche Eigenschaften definiert wor- den seien, würden nunmehr künstlerische Befragungen des ›realen Raums‹ vorherrschen. Die Suche nach bildinternen Gestaltungslösungen, mit dem amerikanischen Expressionismus und dessen »Auflösung der Interiorität des Kunstwerkes« (KUDIELKA 2005: 51) an ein Ende gekommen, werde in der Ge- genwart ersetzt durch die künstlerische »Parzellierung von Erfahrungsräu- men« (KUDIELKA 2005: 53) und die Thematisierung des Verhältnisses der Kunst zu institutionellen und gesellschaftlichen Räumen: Die »Ausweitung künstleri- scher Konzeptionen, Strategien und Verfahrensweisen auf potentiell alle Handlungsräume« (KUDIELKA 2005: 45) habe zur »Insistenz auf ortsspezifische Setzungen und Eingriffe« als dem gegenwärtig »maßgeblichen Motiv in den Künsten« (KUDIELKA 2005: 52) geführt. Das Verhältnis des Betrachters zur Kunst, früher durch »Gegenübertreten und Davorbleiben« gekennzeichnet, habe sich damit in Richtung »Eintreten und Eintauchen« (KUDIELKA 2005: 53) verschoben. Da »der Zusammenhalt eines Kunstwerks nun von der räumli- chen Erfassung her garantiert erscheint« (KUDIELKA 2005: 54), seien Installati- onen häufig allein durch »disparate Anhäufungen« mit unterbestimmten Be- zügen ausgewiesen und bezögen gerade daraus ihre Bedeutsamkeit. Insge- samt wird betont, dass Grenzgänge zwischen Skulptur, Architektur, Installati- on, Performance, Video und Film normal geworden seien und sich zum white IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 117 Michaela Ott: Theorien des Bildraums cube des Ausstellungsraums die black box der Videoprojektion und die Onli- ne-Galerie für immaterielle Netzkunst gesellt habe. Lev Manovich skizziert eine Poetik des erweiterten Raums und den »mit Daten verdichteten physi- schen Raum«, der dank gewisser Erweiterungstechnologien »zum multidi- mensionalen Raum« (MANOVICH 2005: 343) werde. Raumkonfigurationen mit virtuellen Bildern bemühen häufig Deleuzes/Guattaris ›Rhizom‹- und ›Plateau‹- Begriff, um »nicht-lineare Techniken in der Kunst« (BECHTLOFF 2001), Arbeiten im Raum als »amorphe Systeme‹, »Bildcontainer« und »Raumbilder- Bildräume« (vgl. PESCH 2001) vorzustellen. Diagnostiziert wird aber auch die Mutation des Museumsraums dank der Einführung bewegter Bilder und installativer Präsentationen zu einer »new geography of (re)collection« (BRUNO 2007: 5). Auch die künstlerischen Raumparzellen brächten einen neuen Museumstyp hervor (vgl. KUDIELKA 2005), der von der europäischen Sammlungsanthologie abweicht, Container- halden und riesige Stauräume hervorbringt wie in der Dia Art Foundation in Beacon, unweit von New York, der weltweit größten Ausstellungsanlage seit 2003. Diese frenetischen Ausstellungs- und Theoriebewegungen unter dem Zeichen des Räumlichen lassen abschließend deutlich werden, dass der ›Raum‹ die letzte umfassende Bezeichnung für die zeitgenössischen Umbrü- che im Theorie- und Kunstselbstverständis abzugeben scheint. Literatur BADT, KURT: Raumphantasien und Raumillusionen. Wesen der Plastik. Köln [DuMont] 1963 BALÁZS, BÉLA: Der Geist des Films. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2001 BECHTLOFF, DIETER (Hg.): Choreographie der Gewalt. Kunstforum International, 153 (Der gerissene Faden. Nichtlineare Techniken in der Kunst), 155, 156 (Plateau der Menschheit), 2001 BRUNO, GIULIANA: Public Intimacy. Architecture and the Visual Arts. Cambridge [MIT Press] 2007 BURCKHARDT, JACOB: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Band 2 der Werke. Kritische Gesamtausgabe Herausgegeben von Bernd Roeck, Christine Tauber und Martin Warnke. München [Beck] 2001 CASSIRER, ERNST: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum. In: CASSIRER, ERNST: Gesammelte Werke. Band 17. Herausgegeben von Birgit Recki. Hamburg [Meiner] 2004, S. 411-436 DELEUZE, GILLES: Das Bewegungs-Bild. Kino1. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1989 DEMUTH, VOLKER: Extreme Expeditionen. Digitale, hybride und künstlerische Räume. In: FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT (Hg.): IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 118 Michaela Ott: Theorien des Bildraums RAUM. Orte der Kunst. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2007, S. 89-104 DIDI-HUBERMAN, GEORGES: L‘espace danse – Der Raum tanzt. In: LAMMERT, ANGELA; MICHAEL DIERS; ROBERT KUDIELKA; GERT MATTENKLOTT (Hg.): Topos RAUM. Die Aktualität des Raumes in den Künsten der Gegenwart. Nürn- berg [Verlag für moderne Kunst] 2005, S. 16-30 FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT (Hg.): RAUM. Orte der Kunst. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2007a FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT: Vorwort und Dank. In: FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT (Hg.): RAUM. Orte der Kunst. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2007b, S. 6-9 HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH: Vorlesungen über die Ästhetik II. Band 14 der Werke. Herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1970 HILDEBRAND, ADOLF VON. Das Problem der Form. In: HILDEBRAND, ADOLF VON: Gesammelte Schriften zur Kunst. Herausgegeben von Henning Bock. Köln [Westdeutscher Verlag] 1969, S. 41-350 HOFMANN, WERNER: Spielräume und Raumverstecke. In: FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT (Hg.): RAUM. Orte der Kunst. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2007, S. 10-22 KANT, IMMANUEL: Kritik der reinen Vernunft. Berlin [de Gruyter] 1968 KRACAUER, SIEGFRIED: Der verbotene Blick. Leipzig [Reclam] 1992 KUDIELKA, ROBERT: Gegenstände der Betrachtung – Orte der Erfahrung. Zum Wandel der Kunstauffassung im 20. Jahrhundert. In: LAMMERT, ANGELA; MICHAEL DIERS; ROBERT KUDIELKA; GERT MATTENKLOTT (Hg.): Topos RAUM. Die Aktualität des Raumes in den Künsten der Gegenwart. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2005, S. 44-57 LAMMERT, ANGELA: Die vertrauten Sichtweisen sind umzustoßen. Zum Raum der Nachkriegszeit in ungewohnten Begegnungen. In: FLÜGGE, MATTHIAS; ROBERT KUDIELKA; ANGELA LAMMERT (Hg.): RAUM. Orte der Kunst. Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2007, S. 55-69 LESSING, GOTTHOLD EPHRAIM: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. In: LESSING, GOTTHOLD EPHRAIM: Werke. Band 6. Herausgegeben von Herbert G. Göpfert. München [Hanser] 1974, S. 7-187 LIPPS, THEODOR: Zur Einfühlung, in: ›Psychologische Untersuchungen‹ 2/3, 1913. In: LIPPS, THEODOR (Hg.): Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst. Leipzig [Voss] 1920, S. 111-491 MANOVICH, LEV: Die Poetik des erweiterten Raums. In: ANGELA LAMMERT; MICHAEL DIERS; ROBERT KUDIELKA; GERT MATTENKLOTT (Hg.): Topos RAUM. Die Aktualität des Raumes in den Künsten der Gegenwart. Nürnberg [Verlag für moderne Kunst] 2005, S. 337-350 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 119 Michaela Ott: Theorien des Bildraums OTT, MICHAELA: Der unbestimmte Raum in Philosophie und Film. Berlin [Philo] 2007 PANOFSKY, ERWIN: Die Perspektive als symbolische Form. In: PANOFSKY, ERWIN: Deutschsprachige Aufsätze. Bd. 2. Herausgegeben von Karen Michels und Martin Warnke. Berlin [Akademie] 1998, S. 664-757 PESCH, MARTIN: Raumbilder-Bildräume. Zu den Arbeiten von Julia Ziegler. Kunstforum International, 153, 2001, S. 261-267 RAPHAEL, MAX: Raumgestaltungen. Der Beginn der modernen Kunst im Kubismus und im Werk von Georges Braque. Frankfurt/M. [Campus] 1986 RIEGL, ALOIS: Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich- Ungarn im Zusammenhange mit der Gesamtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern. Wien [KuK Hof- und Staatsdruckerei] 1901 RIEGL, ALOIS: Das holländische Gruppenporträt. Wien [Staatsdruckerei] 1931 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 120 [Inhaltsverzeichnis] Das bildphilosophische Stichwort 11 Jörg R.J. Schirra Kontext Wiederabdruck des gleichnamigen Beitrags aus Schirra, J.R.J.; Liebsch, D.; Halawa, M. sowie Birk E. und Schürmann E. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. Online-Publikation 2013. 1. Zeichenhandlungen und ihr Kontext Allgemein werden als Kontext einer Zeichenhandlung Aspekte der Äuße- rungssituation betrachtet, von denen das Gelingen der Zeichenhandlung ab- hängt (vgl LEVINSON 1983). Das ist besonders augenfällig bei den deiktischen Zeichenkomponenten, bei denen der Zeichennutzer direkt (etwa gestisch) auf Teile der Äußerungssituation zeigt, oder den anaphorischen Zeichenkompo- nenten, bei denen er Verweise auf andere, unmittelbar vorher durchgeführte Zeichenhandlungen (eigene und andere, insbesondere an ihn gerichtete) verwendet. Es wird aber auch dem Einfluss des jeweiligen Kontextes zugeschrie- ben, wenn eigentlich mehrdeutige Ausdrücke ohne entsprechende Erläu- terung verstanden werden: Ist etwa im Zusammenhang mit einer Finanzkrise von einer ›Bank‹ die Rede, wird, wegen dieses Kontextes, niemand an ein Parkmöbel denken. Auch bei Bildern können Inhalt und Verwendungsweise von Aspekten der Gebrauchssituation abhängig sein. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 121 Jörg R.J. Schirra: Kontext 2. Kontext und Sachbezug Darüber hinaus kann nur im Zusammenhang mit einem zugehörigen Kontext vom Sachbezug einer Zeichenhandlung die Rede sein, denn der Sachbezug einer Zeichenhandlung die Rede sein, denn der Sachbezug hängt von der Modalität der Zeichenhandlung ab. Das heißt, er lässt sich nur relativ zu einer Situation bestimmen, die man wahrnehmen oder zu der man sich verhalten kann. Dies gilt insbesondere für die Nomination, mit der, als einer notwen- digen Teilhandlung jeder Proposition, versucht wird, einen Gegenstand aus dem jeweils aktuellen Diskursuniversum zu identifizieren (vgl. TUGENDHAT 1976). Kontexte in diesem Sinn sind also von der Verwendungssituation eines Zeichens auf beliebige Situationen verallgemeinert. Zeichenhandlungen mit Sachbezug haben daher prinzipiell einen doppelten Kontextbezug, nämlich einerseits hinsichtlich ihrer Verwendungssituation und andererseits hinsicht- lich des (in der Regel davon abweichenden) Kontextes für ihren Sachbezug. Formale linguistisch-logische Ansätze zu Kontexten finden sich etwa als Situ- ation Semantics (vgl. BARWISE/PERRY 1984), Possible World Semantics (vgl. KRIPKE 1972), Mental Spaces Theory (vgl. FAUCONNIER 1985) oder auch inner- halb der Discourse Structure Theory (vgl. KAMP 1990). Kontexte lassen sich zwar in erster Annäherung umschreiben als struk- turierte Mengen von intentionalen Gegenständen, auf die man sich unter günstigen Bedingungen kommunikativ beziehen kann.1 Adäquater ist aller- dings die Festlegung als potentielle Verhaltenssituationen, auf die jemand seine Aufmerksamkeit richtet. Denn einerseits erfüllen Verhaltenssituationen intrinsisch die Eigenschaft der deduktiven Vollständigkeit, die über beliebigen Gegenstandsmengen erst extrinsisch erzeugt werden muss: Eine Situation wird in ihrer Totalität stets als in sich konsistent vorausgesetzt, 2 was für schlichte Mengen von Gegenständen nicht notwendig gilt. Andererseits sind Verhaltenssituationen interpretationsoffen: Eine Situation, in der man sich befindet, legt als solche bekanntlich noch nicht fest, ob man sie als Konfigura- tion miteinander wechselwirkender Elementarteilchen, als Ansammlung mit- einander reagierender Moleküle, als interagierende Lebewesen oder als mehr oder weniger sachlich miteinander argumentierende Parteivorsitzende be- greift. Um was für eine Art von Gegenstandsmenge es sich handelt, kann bei einem Kontext entsprechend unbestimmt bleiben. Es sind die auf den Kontext bezogenen Sachbezüge von Zeichenhandlungen, durch deren Prädikationen eine Zuordnung zu bestimmten Begriffsfeldern erfolgt. Speziell in der moda- len Bildtheorie spielt der Begriff des Kontextes eine zentrale Rolle (vgl. SCHIR- RA 2001). 1 Intentionaler Gegenstand ist alles, worauf jemand seine Aufmerksamkeit richtet, unabhängig davon, ob es sich um ein reales, fiktives, halluziniertes oder zukünftiges geplantes Objekt han- delt; vgl. insbesondere BRENTANO 1874, MEINONG 1907 und HUSSERL 1929. Vgl. auch de.wikipedia.org/wiki/Intentionalität [letzter Zugriff: 01.05.2016] 2 Inkonsistent sind höchstens Interpretationen einer Situation. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 122 Jörg R.J. Schirra: Kontext Als potentiell interindividuell geteilte Situationen stehen Kontexte mithin in den folgenden Zusammenhängen: Sie sind das, worauf sich Aussagen (allgemeiner: Propositionen) bezie- hen; Sie sind das, was in der Wahrnehmung Figur/Grund-Unterscheidun- gen unterworfen wird; Sie sind das, worauf man reagiert (im Sinne Uexkülls: die jeweilige Umwelt); Sie sind das, worin Gegenstände (im engeren Sinn, oder meta- phorisch) jeweils erscheinen. Da die jeweils aktuelle Umwelt eines Wesens die Basis für den Kontextbegriff liefert und damit alles einschließt, was es in der Situation wahrnimmt, kann man sich Kontexte grob vereinfacht als Raumzeit-Blasen vorstellen, die das Individuum umhüllen und in denen es agiert. Abgesehen von der je aktuellen Verhaltenssituation eröffnet uns nur der Zeichengebrauch den Zugang zu anderen, nicht-gegenwärtigen Kontex- ten: Die menschliche Aufmerksamkeit kann auf andere Situationen – räumlich oder zeitlich verschobene, abstrakte, hypothetische, fiktive, etc. – nur dadurch gerichtet werden, dass wir uns gegenseitig (oder uns selbst in der Rolle eines anderen) durch eine Zeichenhandlung auf jenen Kontext aufmerksam ma- chen. Eine Zeichenhandlung, die das ermöglicht, erfüllt die pragmatische Funktion der Kontextbildung. 3. Gegenstände und Verhaltenssituationen Der Zusammenhang zwischen konkreten Gegenständen und Verhaltenssi- tuationen ist für den Kontextbegriff von großer Relevanz: Konkrete Gegen- stände kommen nie isoliert vor, sondern begegnen uns stets in raumzeit- lichen Zusammenhängen mit anderen Gegenständen. Die je aktuellen Situ- ationen sind daher gegenüber den Gegenständen primär. Als Gegenstände (im engeren Sinn) erscheinen sie nur, insofern sie als Teil verschiedener Situ- ationen verstanden werden – insofern sie uns in verschiedenen Gegeben- heitsweisen begegnen (vgl. FREGE 1892). Wahrnehmung bedeutet dabei insbe- sondere auch, dass – auf wechselnde Weise – etwas aus der aktuellen Situ- ation als Figur vor den Grund der umgebenden Restsituation gehoben wird. In der Tat stehen uns konkrete Gegenstände empirisch ja stets nur in ihrer gerade beobachtbaren, daher instantanen (auf den aktuellen Verhal- tenskontext beschränkten) Weise zur Verfügung. Denn die jedem Beobach- tungsbegriff zugrunde liegende Unterscheidungspraxis greift nur in der Ge- genwart. Dass ein Gegenstand tatsächlich über den jeweiligen Moment der Beobachtung hinaus existiert, d.h. als ein Gegenstand mit einer individuellen Bahn durch die Raumzeit für einen Beobachter besteht, kann dieser nur durch IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 123 Jörg R.J. Schirra: Kontext eine Zuordnung der jeweils aktuellen Erscheinung unter einen entspre- chenden Objektbegriff erfassen. Ein solcher Begriff eines persistenten Gegenstands wird zudem benö- tigt, will man das Phänomen der Verwechslung bzw. Täuschung nicht nur er- leben, sondern auch begreifen: Dass manche Gegenstände ganz anders gear- teten Gegenständen (täuschend) ähnlich sehen können, kann nämlich nur erkennen, wer momentane Erscheinungsweise und zeitübergreifende Identi- tät miteinander in Beziehung zu setzen versteht. Daher beruhen auch an- spruchsvolle Ähnlichkeitsbegriffe auf der Fähigkeit des Urteilenden, mit ver- schiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Gegebenheitsweisen von indivi- duierten Gegenständen umzugehen (Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität). In Umkehrung davon hatte Frege darauf hingewiesen, dass Identitäts- behauptungen (etwa: ›Der Morgenstern ist der Abendstern‹) nur dann infor- mativ sind (und also als Behauptungen wirken können), wenn damit (anschei- nend unverbundene) Erscheinungen in verschiedenen Kontexten zu Gege- benheitsweisen desselben persistenten, individuellen Gegenstands verbun- den werden. In der Philosophie werden Gegenstandsbegriffe dieser Art oft ›sortale Begriffe‹ genannt, entsprechende Gegenstände daher auch ›sortale Gegenstände‹ (sortale Gegenstände und Individuation). Durch Raum-Metaphorik ist es zudem möglich, auch abstrakte Gegen- stände in Analogie zu konkreten, individuierten Objekten als in quasi- raumzeitlichen Zusammenhängen befindlich zu situieren, so dass man (scheinbar) auf sie zeigen und sie auf entsprechende Weise in Propositionen ansprechen kann.3 Der Schule der cognitive linguistics folgend sind derartige metaphorische Übertragungen sogar die eigentliche Basis dafür, überhaupt mit Abstrakta umgehen zu können (vgl. etwa LAKOFF/JOHNSON 1980). Der meta- phorische Raum liefert den Kontext: eine imaginäre Verhaltenssituation, in der solche eigentlich nicht raumzeitlich eingeordneten Gegenstände über- haupt erscheinen können, so dass es möglich wird, über sie interindividuell mittels Zeichenhandlungen mit Sachbezug zu kommunizieren. 4. Bild und Kontext Der Zusammenhang zwischen den Begriffen ›Bild‹ und ›Kontext‹ besteht auf zwei Ebenen: Zum einen ist die Bildverwendung selbst kontextabhängig. Zum anderen werden Bilder oft, wenn nicht gar grundsätzlich, zur Kontextbildung verwendet. 3 Im strengen Sinn gehören auch die zeitlich ausgedehnten sortalen Individuen zu den Abstrakta. Die Vergegenwärtigung ihrer raumzeitlichen Spuren ist letztlich ebenfalls eine Raummetapher der Zeit. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 124 Jörg R.J. Schirra: Kontext 4.1 Situationsabhängigkeit der Bildverwendung Abgesehen davon, dass ein Gegenstand nur, insofern einer ihn auf bestimmte Weise verwendet, überhaupt zum Bild wird, macht sich auch innerhalb seiner Verwendung als Bild der Einfluss des jeweiligen Verwendungskontextes un- umgänglich bemerkbar. Einerseits hängt die Bildverwendung etwa direkt von den Lichtverhältnissen im jeweiligen Kontext ab: Ein Tafelbild beispielsweise in einer dämmrigen Kathedrale unter durch bunte Glasfenster eingefärbtem Licht oder bei flackerndem Kerzenschein zu sehen oder aber in einem gut und neutral ausgeleuchteten Museumssaal prägt dem jeweiligen Bilderlebnis zweifelsohne einen je eigenen Stempel auf. Dass die Bildfläche selbst gege- benenfalls durch Reflexion, Transparenz oder texturbedingten Schattenwurf indexikalische Momente aufweist, kann dabei als eine lediglich besonders ausgeprägte Form dieser eher auf syntaktische Aspekte bezogenen Art von Kontextabhängigkeit verstanden werden. Soll in dieser Hinsicht also mit Blick auf einen Bildträger von dem Bild gesprochen werden, so wird implizit eine Standardsituation für Beleuchtung und indexikalisch wirksame Umgebungs- einflüsse vorausgesetzt, die keineswegs interkulturell eindeutig ist. Andererseits konstituieren die jeweiligen Verwendungsabsichten der Beteiligten überhaupt erst die aktuell wirksamen Bildinhalte und Bildreferen- zen: Ein und derselbe Bildträger mag daher tatsächlich in unterschiedlicher Absicht als verschiedene Bilder erscheinen. Der in Zeitungen publizierte Aus- schnitt eines von Nick Ut aufgenommenen Photos aus dem Vietnamkrieg wurde entsprechend sowohl von Kriegsgegnern wie -befürwortern mit ganz unterschiedlichen Rollenzuweisungen der abgebildeten Figuren verwendet. Auch hier bleibt bei der Rede von dem Bild angesichts eines Bildträgers nur zu oft eine vorausgesetzte Standardsituation von Verwendungsintentionen und benötigtem Kontextwissen implizit. Entsprechend verweisen die neueren kunsthistorischen Ansätze zurecht auf die Bedeutung der expliziten Kontex- tualisierung bei jeder Bildanalyse. Des weiteren können im Umfeld vorhandene Bilder die Verwendung eines Bildträgers beeinflussen: Die Hängung in einer Ausstellung, das Zusam- menstellen in einer Bilderfolge etwa im Rahmen einer Gebrauchsanweisung oder als Comic sind hierfür typische Beispiele. Zusammenstellungen mit Tex- ten oder Zeichen in anderen Medien kommen für diese Art der Kontext- abhängigkeit ebenfalls in Frage. Allerdings ist bei solchen Anordnungen – seien es nun nur Bilder oder Bilder mit anderen Medien – darauf zu achten, ob der wechselseitige kontextuelle Einfluss übergeht zu einer neuen Zeichen- bildung auf höherer Ebene.4 4 In einem dann zu betrachtenden komplexen Zeichen können die Elementzeichen einen Teil ihrer jeweiligen Charakteristiken verlieren: So werden virtuelle Räume in immersiven Systemen zwar mit Hilfe von Bildern im Zusammenhang mit Geräuschen aufgebaut, doch verlieren diese Bilder dabei zumindest tendenziell den Bildcharakter, nimmt man sie im immersiven Zusammenhang doch meist nicht mehr als Bilder wahr (interaktives Bild, Cyberspace). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 125 Jörg R.J. Schirra: Kontext 4.2 Bildinhalt als Kontext Von der Renaissance-Vorstellung von Albertis Fenster bis zur Konzeption von Gegenständen in ›reiner Sichtbarkeit‹ in phänomenologischen Bildtheorien des 20. Jahrhunderts sind die mithilfe von Bildern evozierten und interindi- viduell vor Augen geführten Szenen als Kontexte verstanden worden. Über sie kann man sich etwa mittels sachbezüglicher Sprechakte austauschen, auf darin enthaltene Gegenstände (oder bestimmte derer Eigenschaften) mit Zei- gegesten aufmerksam machen. Sofern es sich dabei um sortale Gegenstände handelt, können die im Bild vorgeführten Erscheinungen mit Erscheinungen in anderen Kontexten identifiziert werden, etwa mithilfe von Identitäts- behauptungen.5 Gerade auch beim bildlichen Zugang zu abstrakten ›Gegen- ständen‹ in Strukturbildern werden diese an sich nicht raumzeitlich einordba- ren Gegenstände als (mehr oder weniger) eindeutig abgrenzbare räumliche (oder raumzeitliche) Entitäten in einer Situation, einem metaphorischen Kon- text präsentiert, wo sie und bestimmte ihrer Eigenschaften und Relationen untereinander in (visuelle) Erscheinen treten.6 Allerdings bleiben die oben genannten Konzeptionen der Spezifität piktorialer Kontexte wichtige Aspekte schuldig: Die Konzeption von Albertis Fenster ignoriert, dass mit dem Bildgebrauch ein Kontext eröffnet wird, der gemeinhin nicht mit dem Verwendungskontext identisch ist: Die Szene hinter einem echten Fenster bleibt hingegen stets einfach nur ein Teil des je aktuel- len Kontextes. Die Bildfläche wird hier als transparente Glasscheibe missver- standen, wobei die scheinbare ›Transparenz des Mediums‹, wie sie nur für trompe l‘œils typisch wäre, eine wesentlichen Komponente der Bildfunktion verschleiert: Das Heraustreten aus dem Gegebenen des ›Hier und Jetzt‹. Die Konzeption von Gegenständen in reiner Sichtbarkeit bezieht sich im Grunde zwar gerade auf Gegenstände, die unter sortale Begriffe fallen.7 Doch wird dabei außer Acht gelassen, dass etwa ein nur sichtbares Haus, das also weder Gewicht hat noch Widerstand leistet, wenn man sich daran an- lehnt, und sich insgesamt also nicht nach den für (sortale) Häuser norma- lerweise geltenden physikalischen Gesetzen verhalten würde, überhaupt nicht unter unseren üblichen Begriff eines Hauses fallen würde und somit auch gar nicht ohne Weiteres als Haus klassifiziert werden kann: Was aber in einem entsprechenden Bild erscheint, wird gemeinhin durchaus als ein solches sortales Individuum begriffen – oder genauer: als aktuelle Erscheinung eines solchen, denn sortale Gegenstände begegnen uns nie anders. Andernfalls würden alle entsprechenden Sprechakte, die sich mit ihrem Sachbezug auf den Inhalt des Bildraums richten, entweder unverständlich oder stark erklä- rungsbedürftig, denn eine Regel für einen von der Norm abweichenden 5 Einen Sonderfall stellen hier sicher Bilder dar, bei denen mehrere Erscheinungen desselben sor- talen Individuums vorkommen: Allerdings können solche Exemplare auch als Bildfolgen mit un- klaren Bildgrenzen interpretiert werden, deren Zweck es insbesondere ist, Beziehungen zwischen verschiedenen Kontexten herzustellen. 6 Lediglich für die reflexiv verwendeten Bilder sind Ausnahmen möglich; auch Kontextbildung. 7 Hierfür sprechen die von den zugehörigen Autoren angeführten Beispiele eine eindeutige Spra- che, geht es doch etwa um Häuser; vgl. WIESING 2008. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 126 Jörg R.J. Schirra: Kontext Sondergebrauch ist hier keineswegs offensichtlich. So bleibt bei jenen ›Ge- genständen in reiner Sichtbarkeit‹ also unklar, was für Gegenstände das ei- gentlich sein sollen. Die modale Bildtheorie versucht, diese Unzulänglichkeiten der älteren Ansätze zu vermeiden, indem Bildgebrauch ausdrücklich als kontextbildende Nutzung von Bildträgern angesetzt wird. Mit dem Bild versucht einer, eine in der Regel nicht anwesende Situation als interindividuell verfügbaren Kontext zu etablieren. Auch für diesen Kontext gelten natürlich die oben erwähnten vier Gebrauchszusammenhänge, wobei hier insbesondere auch die Gestalt- bildung durch visuelle Wahrnehmung der Situation verfügbar wird (empiri- sche Kontextbildung). 5. Kontext und Diegese Der Kontextbegriff der modalen Bildtheorie ist eng verwandt mit der film- und literaturwissenschaftlichen Verwendung des Ausdrucks ›Diegese‹.8 Nach Wulff »hat sich die Bezeichnung Diegese für die Weltvorstellung, die eine Fiktion anbietet, seit Etienne Souriau eingebürgert« (WULFF 2007: 40; vgl. SOURIAU 1951; 1953). Für Souriau ist »alles, was man als vom Film dargestellt betrach- tet und was zur Wirklichkeit, die er in seiner Bedeutung voraussetzt, gehört«, Teil der ›diégèse‹ (SOURIAU 1997: 151). Ganz entsprechend begreift auch Domi- nique Chateau die Diegese eines Films als eine durch diverse Vorgaben vor- strukturierte Menge von Verhaltenssituationen, die wechselseitig zugänglich sind (vgl. CHATEAU 1976: 215). Dabei werden die jeweiligen Zugänge vor allem durch film-narrative Elemente etabliert. Von seiner filmwissenschaftlichen Einführung in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist der Diegesebegriff besonders in Frankreich in den 1970er und 1980er-Jahren in die Literatur- wissenschaft übernommen worden (vgl. etwa GENETTE 1972).9 Wulff verweist in dem bereits erwähnten Artikel unter anderem darauf, dass das Diegetische eines Films in der Regel als ausgesprochen komplexe, raumzeitliche, zudem auf mehrere Ebenen verteilte Struktur von Situationen zu verstehen ist, in denen die Akteure handeln, die von ihnen (und bei Filmen in Grenzen eben auch von den Zuschauern) wahrgenommen werden können – und schließlich: über die (propositional) gesprochen werden kann. Es han- delt sich also, anders gesagt, um eine Vielzahl von miteinander verbundenen Verhaltenssituationen – Kontexten im oben ausgeführten Sinn. 8 Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Diegese [letzter Zugriff: 01.05.2016]. 9 Man beachte den Bedeutungswandel gegenüber dem älteren, direkter auf die antike Philosophie zurückgehenden Diegesis-Begriff in der Literaturwissenschaft: Diegesis bezeichnet einen be- stimmten Modus der poetischen Handlung, der im Gegensatz zur Mimesis steht. Nicht durch Nachahmung sondern durch Bericht wird ein Teil der Welt modelliert. Der moderne Diegese-Be- griff verweist hingegen auf die (als logisch abgeschlossen begriffene) Weltstruktur, die durch ei- ne poetische Handlung ›zugänglich‹ wird. Damit steht Diegese dem Kontextbegriff nahe, Diegesis dem Begriff der Kontextbildung. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Diegesis [letzter Zugriff: 01.05.2016]. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 127 Jörg R.J. Schirra: Kontext Im Gegensatz zum Kontextbegriff der modalen Bildtheorie mit ihren über Einzelanalysen weit hinausreichenden Bezügen zur logischen Propä- deutik, Sprachphilosophie und Bildanthropologie wird der Begriff der Diege- se bislang hauptsächlich dazu eingesetzt, die Strukturen eines Werkes zu ana- lysieren.10 Literatur BARWISE, JON , JOHN PERRY: Situations and Attitudes. Cambridge, MA [MIT Press] 1984 BRENTANO, FRANZ: Psychologie vom empirischen Standpunkt. Leipzig [Duncker & Humblot] 1874 CHATEAU, DOMINIQUE: La sémantique du récit. In: Semiotica, 18, 1976, S. 201- 216 FAUCONNIER, GILLES: Mental Spaces. Aspects of Meaning Construction in Natural Language. Cambridge, MA [MIT Press] 1985 FREGE, GOTTLOB: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, 100, 1892, S. 25-50 GENETTE, GÉRARD: Figures III. Paris [Seuil] 1972 HUSSERL, EDMUND: Formale und Transzendentale Logik. Halle (Saale) [Niemeyer] 1929 KACZMAREK, LUDGER: Allyfying Leibniz. Einige Aspekte von Kompossibilität und Diegese in filmischen Texten. In: Montage AV, 12(2), 2007, S. 131-145 KAMP, HANS : On the Representation and Transmission of Information. Sketch of a Theory of Verbal Communication Based on Discourse Representation Theory. In: KLEIN, EWAN; FRANK VELTMAN (Hg.): Natural Language and Speech. Berlin [Springer] 1990, S. 135-158 KRIPKE, SAUL A.: Naming and Necessity. In: DAVIDSON, DONALD; GILBERT HARMAN (Hg.): Semantics of Natural Language. Dordrecht [Reidel] 1972, S. 253- 355, 763-769 LAKOFF, GEORGE; MARK JOHNSON: Metaphors We Live By. Chicago [U of Chicago P] 1980 LEVINSON, STEPHEN C.: Pragmatics. Cambridge [Cambridge UP] 1983 MEINONG, ALEXIUS: Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften. Leipzig [Voigtländer] 1907 SCHIRRA, JÖRG R.J.: Bilder – Kontextbilder. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hg.): Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Magdeburg [Skriptum] 2001, S. 77-100 SOURIAU, ETIENNE: La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie. In: Revue de Filmologie, 7(8), 1951, S. 231–240 10 Vgl. aber auch den Übersichtsartikel zur Formalisierung diegetischer Betrachtungen durch modallogische Ansätze in KACZMAREK 2007. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 128 Jörg R.J. Schirra: Kontext SOURIAU, ETIENNE: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie. In: Montage AV, 6(2), 1997, S. 140-157 SOURIAU, ETIENNE (1953). L’Univers filmique. Paris [Flammarion] 1953 TUGENDHAT, ERNST: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1976 WIESING, LAMBERT: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektiven der formalen Ästhetik. Frankfurt/M. [Campus] 2008 WULFF, HANS J.: Schichtenbau und Prozesshaftigkeit des Diegetischen: Zwei Anmerkungen. In: Montage AV. 16(2), 2007, S. 39-51 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 129 [Inhaltsverzeichnis] Das bildphilosophische Stichwort 12 Mark Ludwig Werbung Wiederabdruck des gleichnamigen Beitrags aus Schirra, J.R.J.; Liebsch, D.; Halawa, M. sowie Birk E. und Schürmann E. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. Online-Publikation 2013. 1. Werbung: Grundlagen und Begriffe Werbung stellt ein dynamisches wie heterogenes Phänomen dar, mit dem sich nach anfänglichen Vorbehalten heute eine Reihe von Disziplinen mit un- terschiedlicher Perspektivierung beschäftigen. Unter anderem bestehen wirt- schaftswissenschaftliche, psychologische, soziologische, semiotische sowie kommunikationswissenschaftliche Zugänge. Einhergehend mit den gesell- schaftlichen wie medienspezifischen Veränderungen der vergangenen Jahr- zehnte sowie der Vielzahl der Beobachtungsperspektiven auf den Forschungs- gegenstand, hat sich mittlerweile eine kaum mehr überschaubare Anzahl an Definitionsversuchen herausgebildet. In einem kommunikationswissenschaftlich geprägten, die generell ge- bräuchlichen Begriffsbestimmungen zusammenfassenden Zugriff kann Wer- bung in einer zeitgemäßen Definition nach Siegert als ein geplanter Kommu- nikationsprozess definiert werden, der »gezielt Wissen, Meinungen, Einstel- lungen und/oder Verhalten über und zu Produkten, Dienstleistungen, Unter- nehmen, Marken oder Ideen beeinflussen« (SIEGERT/BRECHEIS 2005: 26) will. Verbreitung findet Werbung hierbei maßgeblich über unterschiedliche Werbe- IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 130 Mark Ludwig: Werbung mittel (z.B. Anzeige, Plakat, TV- oder Radiospot) und Werbeträger (z.B. Massen- medien, Werbeträger im öffentlichen Raum wie Litfaßsäulen). Zu unterscheiden ist ferner zwischen sogenannter above the line- und below the line-Werbung. Als above the line wird hierbei zumeist klassische, über Massenmedien (Anzeigen, Spots etc.) und Außenwerbung (Plakate, City- lights etc.) vermittelte Werbung verstanden, mit dem Ausdruck below the line- Werbung bezeichnet man davon abweichende Formen wie Guerilla Marketing (ungewöhnliche werbliche Aktionen, die mit zumeist geringem Budget um- setzbar sind) oder Product Placement (die gezielte Integration von Produkten in Massenmedien, wie etwa die Einbringung von Markenartikeln in Filmen). Der noch in den 1950er Jahren gebräuchliche und synonym verwende- te Ausdruck ›Reklame‹ findet hingegen heute kaum mehr Verwendung, wohl auch weil Werbung sich nicht auf das Bekanntmachen oder Anpreisen von Produkten, Marken oder Unternehmen reduzieren lässt, wie es der geschicht- liche Ursprung des Wortes ›Reklame‹ suggeriert, das sich von dem franzö- sischen Verb für ›ausrufen‹, ›anpreisen‹, nämlich von ›réclamer‹, ableitet. 2. Entwicklung der Bildkommunikation in der Werbung Bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts spielten Bilder in der werblichen Kommunikation kaum eine Rolle, Anzeigen verzichteten zumeist gänzlich auf Illustrationen oder andere Gestaltungsmittel (SCHIERL 2001: 42). Mit der Pro- fessionalisierung der Werbung und technischen Entwicklungen der Mas- senpresse veränderte sich schließlich auch die Gestaltungsweise von Wer- bung. So erscheinen in den 1820er Jahren in der englischen Provinzpresse erste Holzschnitte zu Anzeigen, in den 1860er Jahren wird das Illustrieren von Anzeigen dann auf einer breiteren Basis üblich. Um die Jahrhundertwende setzt sich schließlich ein neuer plakativer Stil durch, bei dem das Bild eine beherrschende Stellung einnimmt (vgl. SCHIERL 2001: 42). Anzeigen oder auch Plakate für Litfaßsäulen wurden in die- ser Zeit häufig von Künstlern produziert und beinhalteten bildliche Elemente (vgl. HAAS 1995). So entwarf etwa der französische Künstler Henri de Toulouse- Lautrec Plakate für das Pariser Varieté Moulin Rouge (s. Abb. 1). Ab den 1920er Jahren werden schließlich im Zuge neuer technischer Möglichkeiten in zunehmender Weise auch Fotografien eingesetzt. Insgesamt zeichnet sich bis heute eine Entwicklung ab, in der in der Gestaltung von Werbemitteln grafische Illustrationen immer seltener eingesetzt und durch den Einsatz von Fotografien weitestgehend ersetzt werden. IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 131 Mark Ludwig: Werbung Abb. 1: Henri Toulouse-Lautrec: Moulin Rouge – La Goulue (1891, Lithographie, 191 x 117 cm) Quelle: https://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/toulouse-lautrec/i/goulue-litho.jpg [letzter Zugriff: 19.05.2016] Mit der Entwicklung und Verbreitung des Fernsehens sowie in den vergange- nen Jahrzehnten neu entstandenen Möglichkeiten der Verbreitung von be- wegten und nicht-bewegten Bildern in den so genannten Neuen Medien hat sich die Dominanz der Bildkommunikation in der Werbung weiter verstärkt (vgl. KROEBER-RIEL/ESCH 2000: 18; SCHIERL 2003). Inhaltsanalytische Studien bestätigen, dass in der werblichen Kommunikation bildliche Gestaltungsmit- tel zunehmend Verwendung finden (vgl. SCHIERL 2001). 3. Werberelevante Aspekte der Bildkommunikation Aufgrund ihres spezifischen Zeichencharakters weisen Bilder Merkmale auf, die aus einer werblich geprägten Perspektive eine Reihe vorteilhafter Kommu- nikationsmöglichkeiten eröffnen. Vor dem Hintergrund eines generell zu kon- statierenden ›information overload‹ und einer damit verknüpften zunehmend flüchtiger und selektiver werdenden Informationsaufnahme wird Bildkommu- nikation in der Werbung insbesondere genutzt, um das eigene Informations- angebot aus der Fülle der Angebote abheben zu können (vgl. KROEBER-RIEL 1996: 7) und damit die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das Produkt zu lenken (vgl. SCHIERL 2001: 79-159). IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 132 Mark Ludwig: Werbung Da Bilder besonders schnell erfasst werden und Emotionen gene- rieren bzw. verstärken können (vgl. MESSARIS 1997; WEIDENMANN 1988), eignen sich Bilder hierzu in besonderer Weise. Wie in verschiedenen Studien gezeigt werden konnte (vgl. u.a. GARCIA 1990; 1997), generieren Bilder mehr Aufmerk- samkeit als Texte und verfügen darüber hinaus über ein höheres Aktivie- rungspotenzial. Dem Bild kommt demnach in der werblichen Kommunikation eine außerordentliche Bedeutung als lead in zu (vgl. u.a. SCHIERL 2001). Ein für die werbliche Kommunikation ebenfalls bedeutender Aspekt ist das im Vergleich zu Texten hohe semantische Potenzial von Bildern. So lassen sich Objekteigenschaften (Farbe, Form, etc.) der beworbenen Produkte mit Bildern genauer darstellen, da hierfür oftmals entsprechende Wörter fehlen (vgl. GIBSON 1982b: 290). Wichtig erscheint darüber hinaus der hohe Wiederer- kennungswert von Bildern, der sowohl Markenaufbau und -bindung wie auch Imageaufbau und -bindung erleichtert. Zum ›Image‹, der Gesamtvorstellung eines Produkts, einer Firma oder einer Marke, können Bilder insofern beitra- gen, als sie geeignet sind, innere Firmen- und Markenbilder zu erzeugen (KROEBER-RIEL 1996: 194; Vorstellungsbilder/Mentale Modelle). In der werblichen Kommunikation wird zudem die Tatsache genutzt, dass es aufgrund der Analogizität von Bildern in der bildlichen Vermittlung von Ereignissen in Massenmedien nicht ohne weiteres möglich ist, bestimm- te Aspekte auszublenden. So sind in zunehmendem Maße auch im redaktio- nellen Teil von Medien Werbebotschaften visuell präsent, im Ressort Sport beispielsweise auf Trikots der Sportler, Spielgeräten oder in Form von Ban- denwerbung (vgl. SCHIERL/LUDWIG 2010). Literatur GARCIA, MARIO: Newspaper Color Design. St. Petersburg, FL [Poynter Institute for Media Studies] 1990 GARCIA, MARIO: Newspaper Evolutions. St. Petersburg, FL [Poynter Institute for Media Studies] 1997 GIBSON, JAMES JEROME: Die Sinne und der Prozeß der Wahrnehmung. Bern [Huber] 1982 HAAS, STEFAN: Psychologen, Künstler, Ökonomen. Das Selbstverständnis der Werbetreibenden zwischen Fin de siècle und Nachkriegszeit. In: BORSCHEID, PETER; CLEMENS WISCHERMANN (Hg.): Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Stuttgart [Franz Steiner] 1995, S. 78-89 KROEBER-RIEL, WERNER; FRANZ-RUDOLF ESCH: Strategie und Technik der Werbung. Verhaltenswissenschaftliche Ansätze. Stuttgart [Kohlhammer] 2000 KROEBER-RIEL, WERNER: Bildkommunikation. Imagerystrategien für die Werbung. München [Vahlen] 1996 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 133 Mark Ludwig: Werbung MESSARIS, PAUL: Visual Persuasion: The Role of Images in Advertising. Thousand Oaks [Sage] 1997 SCHIERL, THOMAS: Text und Bild in der Werbung. Köln [Halem] 2001 SCHIERL, THOMAS: Werbung im Fernsehen. Köln [Halem] 2003 SCHIERL, THOMA; MARK LUDWIG: Produktpolitik und visuelle Differenzierung im Fußball. Zeitschrift für Semiotik, 32(3,4) 2010, S. 267-285 SIEGERT, GABRIELE; DIETER BRECHEIS: Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft. Eine kommunikationswissenschaftliche Einführung. Wiesbaden [VS] 2005 WEIDENMANN, BERND: Psychische Prozesse beim Verstehen von Bildern. Bern [Huber] 1988 IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 134 [Inhaltsverzeichnis] Impressum IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft wird herausgegeben von Klaus Sachs-Hombach, Jörg R.J. Schirra, Stephan Schwan und Hans Jürgen Wulff. Bisherige Ausgaben IMAGE 23 KLAUS SACHS-HOMBACH: Editorial TIM IHDE: Die da!?! Potentials of Pointing in Multimodal Contexts HEIKE KREBS: Roman Jakobson Revisited. The Multimodal Trailer Event MICHELLE HERTE: »Come, Stanley, let’s find the story!« On the Ludic and the Narrative Mode of Computer Games in The Stanley Parable FRANZ REITINGER: Das Unrecht der Bildnutzung. Eine neue Form der Zensur? Bemerkungen aus der Peripherie des wissenschatlichen Pubizierens über das Spannungsfeld von Staats- und Gemeinbesitz und die Kapitalisierung von öffentlichem Kulturgut zu Lasten der Autoren JÖRG R.J. SCHIRRA/MARK A. HALAWA/DIMITRI LIEBSCH: Das bildphilosophische Stichwort. Vorbemerkung HANS-ULRICH LESSING: Das bildphilosophische Stichwort 7. Ästhesiologie ROLF SACHSSE: Das bildphilosophische Stichwort 8. Bildhermeutik NICOLA MÖßNER: Das bildphilosophische Stichwort 9. Bild in der Wissenschaft IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 135 Impressum IMAGE 22: Interdisciplinary Perspectives on Visual Literacy Herausgeber/in: Elisabeth Birk, Mark A. Halawa ELISABETH BIRK/MARK A. HALAWA: Introduction. Interdisciplinary Perspectives on Visual Literacy JAKOB KREBS: Visual, Pictorial, and Information Literacy ANDREAS OSTERROTH: Das Internet-Meme als Sprache-Bild-Text ANDREAS JOSEF VATER: Jenseits des Rebus. Für einen Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Figuren der Substitution am Beispiel von Melchior Mattspergers Geistliche Herzenseinbildungen AXEL RODERICH WERNER: Visual Illiteracy. The Paradox of Today’s Media Culture and the Reformulation of Yesterday’s Concept of an écriture filmque SASCHA DEMARMELS/URSULA STALDER/SONJA KOLBERG: Visual Literacy. How to Understand Texts Without Reading Them KATHRYN M. HUDSON/JOHN S. HENDERSON: Weaving Words and Interwoven Meanings. Textual Polyvocality and Visual Literacy in the Reading of Copán’s Stela J DAVID MAGNUS: Aesthetical Operativity. A Critical Approach to Visual Literacy with and Beyond Nelson Goodman’s Theory of Notation JÖRG R.J. SCHIRRA/MARK A. HALAWA/DIMITRI LIEBSCH: Das bildphilosophische Stichwort. Vorbemerkung TOBIAS SCHÖTTLER: Das bildphilosophische Stichwort 4. Bildhandeln CHRISTA SÜTTERLIN: Das bildphilosophische Stichwort 5. Maske MARTINA DOBBE: Das bildphilosophische Stichwort 6. Fotografie IMAGE 22 Themenheft: Media Convergence and Transmedial Worlds (Part 3) Herausgeber: Benjamin Beil, Klaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon JAN-NOËL THON: Introduction. Media Convergence and Transmedial Worlds (Part 3) TOBIAS STEINER: Under the Macroscope. Convergence in the US Television Market Between 2000 and 2014 AMELIE ZIMMERMANN: Burning the Line Between Fiction and Reality. Functional Transmedia Storytelling in the German TV Series About: Kate ROBERT BAUMGARTNER: »In the Grim Darkness of the Far Future there is only War«. Warhammer 40,000, Transmedial Ludology, and the Issues of Change and Stasis in Transmedial Storyworlds NIEVES ROSENDO: The Map Is Not the Territory. Bible and Canon in the Transmedial World of Halo FELIX SCHRÖTER: The Game of Game of Thrones. George R.R. Martin’s A Song of Ice and Fire and Its Video Game Adaptations KRZYSZTOF M. MAJ: Transmedial World-Building in Fictional Narratives IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 136 Impressum IMAGE 21 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial MARC BONNER: Architektur als mediales Scharnier. Medialität und Bildlichkeit der raumzeitlichen Erfahrungswelten Architektur, Film und Computerspiel MIRIAM KIENESBERGER: Schwarze ›Andersheit‹/weiße Norm. Rassistisch-koloniale Repräsentationsformen in EZA-Spendenaufrufen ELIZE BISANZ: Notizen zur Phaneroscopy. Charles S. Peirce und die Logik des Sehens JÖRG R.J. SCHIRRA/MARK A. HALAWA/DIMITRI LIEBSCH: Das bildphilosophische Stichwort. Vorbemerkung MARK A. HALAWA: Das bildphilosophische Stichwort 1. Bildwissenschaft vs. Bildtheorie DIMITRI LIEBSCH: Das bildphilosophische Stichwort 2. Replika, Faksimile und Kopie JÖRG R.J. SCHIRRA: Das bildphilosophische Stichwort 3. Interaktives Bild IMAGE 21 Themenheft: Media Convergence and Transmedial Worlds (Part 2) Herausgeber: Benjamin Beil, Klaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon JAN-NOËL THON: Introduction. Media Convergence and Transmedial Worlds (Part 2) JOHANNES FEHRLE: Leading into the Franchise. Remediation as (Simulated) Transmedia World. The Case of Scott Pilgrim MARTIN HENNIG: Why Some Worlds Fail. Observations on the Relationship Between Intertextuality, Intermediality, and Transmediality in the Resident Evil and Silent Hill Universes ANNE GANZERT: »We welcome you to your Heroes community. Remember, everything is connected«. A Case Study in Transmedia Storytelling JONAS NESSELHAUF/MARKUS SCHLEICH: A Stream of Medial Consciousness. Transmedia Storytelling in Contemporary German Quality Television CRISTINA FORMENTI: Expanded Mockuworlds. Mockumentary as a Transmedial Narrative Style LAURA SCHLICHTING: Transmedia Storytelling and the Challenge of Knowledge Transfer in Contemporary Digital Journalism. A Look at the Interactive Documentary Hollow (2012– ) IMAGE 20 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial MARK A. HALAWA: Angst vor der Sprache. Zur Kritik der sprachkritischen Ikonologie BARBARA LAIMBÖCK: Heilkunst und Kunst. Ärztinnen und Ärzte in der österreichischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Eine sowohl künstlerische als auch tiefenpsychologische Reflexion MARTINA SAUER: Ästhetik und Pragmatismus. Zur funktionalen Relevanz einer nicht- diskursiven Formauffassung bei Cassirer, Langer und Krois A. PETER MAASWINKEL: Allsehendes Auge und unsichtbare Hand. Zur Ästhetisierung neoliberaler Ideologie am Beispiel des European Council MARIA SCHREIBER: Als das Bild aus dem Rahmen fiel. Drei Tagungsberichte aus einem trans- und interdisziplinären Feld Aus aktuellem Anlass: FRANZ REITINGER: Der Bredekamp-Effekt IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 137 Impressum IMAGE 20 Themenheft: Medienkonvergenz und transmediale Welten (Teil 1) Herausgeber: Benjamin Beil, Klaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon JAN-NOËL THON: Einleitung. Medienkonvergenz und transmediale Welten/Introduction. Media Convergence and Transmedial Worlds HANNS CHRISTIAN SCHMIDT: Origami Unicorn Revisited. ›Transmediales Erzählen‹ und ›transmediales Worldbuilding‹ im The Walking Dead-Franchise ANDREAS RAUSCHER: Modifikationen eines Mythen-Patchworks. Ludonarratives Worldbuilding in den Star Wars-Spielen VERA CUNTZ-LENG: Harry Potter transmedial RAPHAELA KNIPP: »One day, I would go there…«. Fantouristische Praktiken im Kontext transmedialer Welten in Literatur, Film und Fernsehen THERESA SCHMIDTKE/MARTIN STOBBE: »With poseable arms & gliding action!«. Jesus- Actionfiguren und die transmediale Storyworld des Neuen Testaments HANNE DETEL: Nicht-fiktive transmediale Welten. Neue Ansätze für den Journalismus in Zeiten der Medienkonvergenz IMAGE 19 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial SABINA MISOCH: Mediatisierung, Visualisierung und Virtualisierung. Bildgebende Verfahren und 3D-Navigation in der Medizin. Eine bildwissenschaftliche und mediensoziologische Betrachtung KLAUS H. KIEFER: Gangnam Style erklärt. Ein Beitrag zur deutsch-koreanischen Verständigung EVRIPIDES ZANTIDES/EVANGELOS KOURDIS: Graphism and Intersemiotic Translation. An Old Idea or a New Trend in Advertising? MARTIN FRICKE: Quantitative Analyse zu Strukturmerkmalen und -veränderung im Medium Comic am Beispiel Action Comic FRANZ REITINGER: Die ›ultimative‹ Theorie des Bildes IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 138 Impressum IMAGE 18: Bild und Moderne Herausgeber: Martin Scholz MARTIN SCHOLZ: Bild und Moderne RALF BOHN: Zur soziografischen Darstellung von Selbstbildlichkeit. Von den Bildwissenschaften zur szenologischen Differenz ALEXANDER GLAS: Lernen mit Bildern. Eine empirische Studie zum Verhältnis von Blickbildung, Imagination und Sprachbildung PAMELA C. SCORZIN: Über das Unsichtbare im Sichtbaren. Szenografische Visualisierungsstrategien und moderne Identitätskonstruktionen am Beispiel von Jeff Walls »After ›Invisible Man‹ by Ralph Ellison, the Prologue« HEINER WILHARM: Weltbild und Ursprung. Für eine Wiederbelebung der Künste des öffentlichen Raums. Zu Heideggers Bildauffassung der 30er Jahre NORBERT M. SCHMITZ: Malewitsch »Letzte futuristische Austellung ›0,10‹« in St. Petersburg 1915 oder die Paradoxien des fotografischen Suprematismus. Die medialen Voraussetzungen des autonomen Bildes ROLF NOHR: Die Tischplatte der Authentizität. Von der kunstvollen Wissenschaft zum Anfassen ROLF SACHSSE: Medien im Kreisverkehr. Architektur – Fotografie – Buch SABINE FORAITA: Bilder der Zukunft in der Vergangenheit und Gegenwart. Wie entstehen Bilder der Zukunft? Wer schafft sie und wer nutzt sie? Bilder als designwissenschaftliche Befragungsform THOMAS HEUN: Die Bilder der Communities. Zur Bedeutung von Bildern in Online- Diskursen IMAGE 17 Herausgeber/in: Rebecca Borschtschow, Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse REBECCA BORSCHTSCHOW/LARS C. GRABBE/PATRICK RUPERT-KRUSE: Bewegtbilder. Grenzen und Möglichkeiten einer Bildtheorie des Films HANS JÜRGEN WULFF: Schwarzbilder. Notizen zu einem filmbildtheoretischen Problem LARS C. GRABBE/PATRICK RUPERT-KRUSE: Filmische Perspektiven holonisch-mnemonischer Repräsentation. Versuch einer allgemeinen Bildtheorie des Films MARIJANA ERSTIĆ: Jenseits der Starrheit des Gemäldes. Luchino Viscontis kristalline Filmwelten am Beispiel von Gruppo di famiglia in un interno (Gewalt und Leidenschaft) INES MÜLLER: Bildgewaltig! Die Möglichkeiten der Filmästhetik zur Emotionalisierung der Zuschauer REBECCA BORSCHTSCHOW: Bild im Rahmen, Rahmen im Bild. Überlegungen zu einer bildwissenschaftlichen Frage NORBERT M. SCHMITZ: Arnheim versus Panofsky/Modernismus versus Ikonologie. Eine exemplarische Diskursanalyse zum Verhältnis der Kunstgeschichte zum filmischen Bild FLORIAN HÄRLE: Über filmische Bewegtbilder, die sich wirklich bewegen. Ansatz einer Interpretationsmethode DIMITRI LIEBSCH: Wahrnehmung, Motorik, Affekt. Zum Problem des Körpers in der phänomenologischen und analytischen Filmphilosophie TINA HEDWIG KAISER: Schärfe, Fläche, Tiefe. Wenn die Filmbilder sich der Narration entziehen. Bildnischen des Spielfilms als Verbindungslinien der Bild- und Filmwissenschaft IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 139 Impressum IMAGE 16 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial MATTHIAS MEILER: Semiologische Überlegungen zu einer Theorie des öffentlichen Raums. Textur und Textwelt am Beispiel der Kommunikationsform Kleinplakat CLAUS SCHLABERG: ›Bild‹. Eine Explikation auf der Basis von Intentionalität und Bewirken ASMAA ABD ELGAWAD ELSEBAE: Computer Technology and Its Reflection on the Architecture and Internal Space JULIAN WANGLER: Mehr als einfach nur grau. Die visuelle Inszenierung von Alter in Nachrichtenberichterstattung und Werbung IMAGE 16 Themenheft: Bildtheoretische Ansätze in der Semiotik JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial DORIS SCHÖPS: Semantik und Pragmatik von Körperhaltungen im Spielfilm SASCHA DEMARMELS: Als ob die Sinne erweitert würden... Augmented Reality als Emotionalisierungsstrategie CHRISTIAN TRAUTSCH/YIXIN WU: Die Als-ob-Struktur von Emotikons im WWW und in anderen Medien MARTIN SIEFKES: The Semantics of Artefacts. How We Give Meaning to the Things We Produce and Use KLAUS H. KIEFER: ›Le Corancan‹. Sprechende Beine IMAGE 15 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial HERIBERT RÜCKER: Auch Wissenschaften sind nur Bilder ihrer Maler. Eine Hermeneutik der Abbildung RAY DAVID: A Mimetic Psyche GEORGE DAMASKINIDIS/ANASTASIA CHRISTODOULOU: The Press Briefing as an ESP Educational Microworld. An Example of Social Semiotics and Multimodal Analysis KATHARINA SCHULZ: Geschichte, Rezeption und Wandel der Fernsehserie IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 140 Impressum IMAGE 15 Themenheft: Poster-Vorträge auf der internationalen Fachkonferenz »Ursprünge der Bilder. Anthropologische Diskurse in der Bildwissenschaft« Herausgeber: Ronny Becker, Jörg R.J. Schirra, Klaus Sachs-Hombach KLAUS SACHS-HOMBACH: Einleitung MARCEL HEINZ: Born in the Streets. Meaning by Placing TOBIAS SCHÖTTLER: The Triangulation of Images. Pictorial Competence and Its Pragmatic Condition of Possibility MARTINA SAUER: Zwischen Hingabe und Distanz. Ernst Cassirers Beitrag zur Frage nach dem Ursprung der Bilder im Vergleich zu vorausgehenden (Kant), zeitgleichen (Heidegger und Warburg) und aktuellen Positionen IMAGE 14 Herausgeber: Klaus Sachs-Hombach, Jörg R.J. Schirra, Ronny Becker RONNY BECKER/KLAUS SACHS-HOMBACH/JÖRG R.J. SCHIRRA: Einleitung GODA PLAUM: Funktionen des bildnerischen Denkens CONSTANTIN RAUER: Kleine Kulturgeschichte des Menschenbildes. Ein Essay JENNIFER DAUBENBERGER: ›A Skin Deep Creed‹. Tattooing as an Everlasting Visual Language in Relation to Spiritual and Ideological Beliefs SONJA ZEMAN: ›Grammaticalization‹ Within Pictorial Art? Searching for Diachronic Principles of Change in Picture and Language LARISSA M. STRAFFON: The Descent of Art. The Evolution of Visual Art as Communication via Material Culture TONI HILDEBRANDT: Bild, Geste und Hand. Leroi-Gourhans paläontologische Bildtheorie CLAUDIA HENNING: Tagungsbericht zur internationalen Fachkonferenz »Ursprünge der Bilder« (30. März – 1. April 2011) IMAGE 14 Themenheft: Homor pictor und animal symbolicum Herausgeber: Mark A. Halawa MARK A. HALAWA: Editorial. Homo pictor und animal symbolicum. Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer philosophischen Bildanthropologie NISAAR ULAMA: Von Bildfreiheit und Geschichtsverlust. Zu Hans Jonas’ homo pictor JÖRG R.J. SCHIRRA/KLAUS SACHS-HOMBACH: Kontextbildung als anthropologischer Zweck von Bildkompetenz ZSUZSANNA KONDOR: Representations and Cognitive Evolution. Towards an Anthropology of Pictorial Representation JAKOB STEINBRENNER: Was heißt Bildkompetenz? Oder Bemerkungen zu Dominic Lopes’ Kompetenzbedingung IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 141 Impressum IMAGE 13 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial MATTHIAS HÄNDLER: Phänomenologie, Semiotik und Bildbegriff. Eine kritische Diskussion SANDY RÜCKER: McLuhans global village und Enzensbergers Netzestadt. Untersuchung und Vergleich der Metaphern MARTINA SAUER: Affekte und Emotionen als Grundlage von Weltverstehen. Zur Tragfähigkeit des kulturanthropologischen Ansatzes Ernst Cassirers in den Bildwissenschaften JAKOB SAUERWEIN: Das Bewusstsein im Schlaf. Über die Funktion von Klarträumen IMAGE 12: Bild und Transformation Herausgeber: Martin Scholz MARTIN SCHOLZ: Von Katastrophen und ihren Bildern STEPHAN RAMMLER: Im Schatten der Utopie. Zur sozialen Wirkungsmacht von Leitbildern kultureller Transformation KLAUS SACHS-HOMBACH: Zukunftsbilder. Einige begriffliche Anmerkungen ROLF NOHR: Sternenkind. Vom Transformatorischen, Nützlichen, dem Fötus und dem blauen Planeten SABINE FORAITA/MARKUS SCHLEGEL: Vom Höhlengleichnis zum Zukunftsszenario oder wie stellt sich Zukunft dar? ROLF SACHSSE: How to do things with media images. Zur Praxis positiver Transfomationen stehender Bilder HANS JÜRGEN WULFF: Zeitmodi, Prozesszeit. Elementaria der Zeitrepräsentation im Film ANNA ZIKA: gottseidank: ich muss keine teflon-overalls tragen. mode(fotografie) und zukunft MARTIN SCHOLZ: Versprechen. Bilder, die Zukunft zeigen IMAGE 11 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial TINA HEDWIG KAISER: Dislokationen des Bildes. Bewegter Bildraum, haptisches Sehen und die Herstellung von Wirklichkeit GODA PLAUM: Bildnerisches Denken MARTINA ENGELBRECHT/JULIANE BETZ/CHRISTOPH KLEIN/RAPHAEL ROSENBERG: Dem Auge auf der Spur. Eine historische und empirische Studie zur Blickbewegung beim Betrachten von Gemälden CHRISTIAN TRAUTSCH: Die Bildphilosophien Ludwig Wittgensteins und Oliver Scholz’ im Vergleich BEATRICE NUNOLD: Landschaft als Topologie des S(ch)eins IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 142 Impressum IMAGE 10 Herausgeberinnen: Claudia Henning, Katharina Scheiter CLAUDIA HENNING/KATHARINA SCHEITER: Einleitung ANETA ROSTKOWSKA: Critique of Lambert Wiesing’s Phenomenological Theory of Picture NICOLAS ROMANACCI: Pictorial Ambiguity. Approaching ›Applied Cognitive Aesthetics‹ from a Philosophical Point of View PETRA BERNHARDT: ›Einbildung‹ und Wandel der Raumkategorie ›Osten‹ seit 1989. Werbebilder als soziale Indikatoren EVELYN RUNGE: Ästhetik des Elends. Thesen zu sozialengagierter Fotografie und dem Begriff des Mitleids STEFAN HÖLSCHER: Bildstörung. Zur theoretischen Grundlegung einer experimentell- empirischen Bilddidaktik KATHARINA LOBINGER: Facing the picture. Blicken wir dem Bild ins Auge! Vorschlag für eine metaanalytische Auseinandersetzung mit visueller Medieninhaltsforschung BIRGIT IMHOF/HALSZKA JARODZKA/PETER GERJETS: Classifying Instructional Visualizations. A Psychological Approach PETRA BERNHARDT: Tagungsbericht zur internationalen Fachkonferenz »Bilder – Sehen – Denken« (18. – 20. März 2009) IMAGE 9 KLAUS SACHS-HOMBACH: Editorial DIETER MAURER/CLAUDIA RIBONI/BIRUTE GUJER: Frühe Bilder in der Ontogenese DIETER MAURER/CLAUDIA RIBONI/BIRUTE GUJER: Bildgenese und Bildbegriff MICHAEL HANKE: Text – Bild – Körper. Vilém Flussers medientheoretischer Weg vom Subjekt zum Projekt STEFAN MEIER: »Pimp your profile«. Fotografie als Mittel visueller Imagekonstruktion im Web 2.0 JULIUS ERDMANN: My body style(s). Formen der bildlichen Identität im Studivz ANGELA KREWANI: Technische Bilder. Aspekte medizinischer Bildgestaltung BEATE OCHSNER: Visuelle Subversionen. Zur Inszenierung monströser Körper im Bild IMAGE 8 Herausgeberin: Dagmar Venohr DAGMAR VENOHR: Einleitung CHRISTIANE VOSS: Fiktionale Immersion zwischen Ästhetik und Anästhesierung KATHRIN BUSCH: Kraft der Dinge. Notizen zu einer Kulturtheorie des Designs RÜDIGER ZILL: Im Schaufenster PETRA LEUTNER: Leere der Sehnsucht. Die Mode und das Regiment der Dinge DAGMAR VENOHR: Modehandeln zwischen Bild und Text. Zur Ikonotextualität der Mode in der Zeitschrift IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 143 Impressum IMAGE 7 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial BEATRICE NUNOLD: Sinnlich – konkret. Eine kleine Topologie des S(ch)eins DAGMAR VENOHR: ModeBilderKunstTexte. Die Kontextualisierung der Modefotografien von F.C. Gundlach zwischen Kunst- und Modesystem NICOLAS ROMANACCI: »Possession plus reference«. Nelson Goodmans Begriff der Exemplifikation – angewandt auf eine Untersuchung von Beziehungen zwischen Kognition, Kreativität, Jugendkultur und Erziehung HERMANN KALKOFEN: Sich selbst bezeichnende Zeichen RAINER GROH: Das Bild des Googelns IMAGE 6 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial SABRINA BAUMGARTNER/JOACHIM TREBBE: Die Konstruktion internationaler Politik in den Bildsequenzen von Fernsehnachrichten. Quantitative und qualitative Inhaltsanalysen zur Darstellung von mediatisierter und inszenierter Politik HERMANN KALKOFEN: Bilder lesen… FRANZ REITINGER: Bildtransfers. Der Einsatz visueller Medien in der Indianermission Neufrankreichs ANDREAS SCHELSKE: Zur Sozialität des nicht-fotorealistischen Renderings. Eine zu kurze, soziologische Skizze für zeitgenössische Bildmaschinen IMAGE 6 Themenheft: Rezensionen STEPHAN KORNMESSER rezensiert: Symposium »Signs of Identity—Exploring the Borders« SILKE EILERS rezensiert: Bild und Eigensinn MARCO A. SORACE rezensiert: Mit Bildern lügen MIRIAM HALWANI rezensiert: Gottfried Jäger SILKE EILERS rezensiert: Bild/Geschichte HANS JÜRGEN WULFF rezensiert: Visual Culture Revisited GABRIELLE DUFOUR-KOWALSKA rezensiert: Ästhetische Existenz heute STEPHANIE HERING rezensiert: MediaArtHistories MIHAI NADIN rezensiert: Computergrafik SILKE EILERS rezensiert: Modernisierung des Sehens IMAGE 5 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial HERMANN KALKOFEN: Pudowkins Experiment mit Kuleschow REGULA FANKHAUSER: Visuelle Erkenntnis. Zum Bildverständnis des Hermetismus in der Frühen Neuzeit BEATRICE NUNOLD: Die Welt im Kopf ist die einzige, die wir kennen! Dalis paranoisch- kritische Methode, Immanuel Kant und die Ergebnisse der neueren Neurowissenschaft PHILIPP SOLDT: Bildbewusstsein und ›willing suspension of disbelief‹. Ein psychoanalytischer Beitrag zur Bildrezeption IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 144 Impressum IMAGE 5 Themenheft: Computational Visualistics and Picture Morphology Herausgeber: Jörg R.J. Schirra JÖRG R.J. SCHIRRA: Computational Visualistics and Picture Morphology. An Introduction YURI ENGELHARDT: Syntactic Structures in Graphics STEFANO BORGO/ROBERTA FERRARIO/CLAUDIO MASOLO/ALESSANDRO OLTRAMARI: Mereogeometry and Pictorial Morphology WINFRIED KURTH: Specification of Morphological Models with L-Systems and Relational Growth Grammars TOBIAS ISENBERG: A Survey of Image-Morphologic Primitives in Non-Photorealistic Rendering HANS DU BUF/JOÃO RODRIGUES: Image Morphology. From Perception to Rendering THE SVP GROUP: Automatic Generation of Movie Trailers Using Ontologies JÖRG R.J. SCHIRRA: Conclusive Notes on Computational Picture Morphology IMAGE 4 JÖRG R.J. SCHIRRA: Editorial BEATRICE NUNOLD: Landschaft als Topologie des Seins STEPHAN GÜNZEL: Bildtheoretische Analyse von Computerspielen in der Perspektive Erste Person MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE: Computing Architectural Composition from the Semantics of the Vocabulaire de l’architecture ALEXANDER GRAU: Daten, Bilder: Weltanschauungen. Über die Rhetorik von Bildern in der Hirnforschung ELIZE BISANZ: Zum Erkenntnispotenzial von künstlichen Bildsystemen IMAGE 4 Themenheft: Rezensionen Aus aktuellem Anlass: FRANZ REITINGER: Karikaturenstreit Rezensionen: FRANZ REITINGER rezensiert: Geschichtsdeutung auf alten Karten FRANZ REITINGER rezensiert: Auf dem Weg zum Himmel FRANZ REITINGER rezensiert: Bilder sind Schüsse ins Gehirn KLAUS SACHS-HOMBACH rezensiert: Politik im Bild SASCHA DEMARMELS rezensiert: Bilder auf Weltreise SASCHA DEMARMELS rezensiert: Bild und Medium THOMAS MEDER rezensiert: Blicktricks THOMAS MEDER rezensiert: Wege zur Bildwissenschaft EVA SCHÜRMANN rezensiert: Bild-Zeichen und What do pictures want? IMAGE 3 KLAUS SACHS-HOMBACH: Editorial HEIKO HECHT: Film as Dynamic Event Perception. Technological Development Forces Realism to Retreat HERMANN KALKOFEN: Inversion und Ambiguität. Kapitel aus der psychologischen Optik IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 145 Impressum KAI BUCHHOLZ: Imitationen. Mehr Schein als Sein? CLAUDIA GLIEMANN: Bilder in Bildern. Endogramme von Eggs & Bitschin CHRISTOPH ASMUTH: Die Als-Struktur des Bildes IMAGE 3 Themenheft: Bild-Stil. Strukturierung der Bildinformation Herausgeber/in: Martina Plümacher, Klaus Sachs-Hombach MARTINA PLÜMACHER/KLAUS SACHS-HOMBACH: Einleitung NINA BISHARA: Bilderrätsel in der Werbung SASCHA DEMARMELS: Funktion des Bildstils von politischen Plakaten. Eine historische Analyse am Beispiel von Abstimmungsplakaten DAGMAR SCHMAUKS: Rippchen, Rüssel, Ringelschwanz. Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon BEATRICE NUNOLD: Landschaft als Immersionsraum und Sakralisierung der Landschaft KLAUS SACHS-HOMBACH/JÖRG R.J. SCHIRRA: Bildstil als rhetorische Kategorie IMAGE 2: Kunstgeschichtliche Interpretation und bildwissenschaftliche Systematik Herausgeber: Klaus Sachs-Hombach KLAUS SACHS-HOMBACH: Einleitung BENJAMIN DRECHSEL: Die Macht der Bilder als Ohnmacht der Politikwissenschaft. Ein Plädoyer für die transdisziplinäre Erforschung visueller politischer Kommunikation EMMANUEL ALLOA: Bildökonomie. Von den theologischen Wurzeln eines streitbaren Begriffs SILVIA SEJA: Das Bild als Handlung? Zum Verhältnis der Begriffe ›Bild‹ und ›Handlung‹ HELGE MEYER: Die Kunst des Handelns und des Leidens. Schmerz als Bild in der Performance Art STEFAN MEIER-SCHUEGRAF: Rechtsextreme Bannerwerbung im Web. Eine medienspezifische Untersuchung neuer Propagandaformen von rechtsextremen Gruppierungen im Internet IMAGE 2 Themenheft: Filmforschung und Filmlehre Herausgeber/in: Eva Fritsch, Rüdiger Steinmetz EVA FRITSCH/RÜDIGER STEINMETZ: Einleitung KLAUS KEIL: Filmforschung und Filmlehre in der Hochschullandschaft EVA FRITSCH: Film in der Lehre. Erfahrungen mit einführenden Seminaren zu Filmgeschichte und Filmanalyse MANFRED RÜSEL: Film in der Lehrerfortbildung WINFRIED PAULEIT: Filmlehre im internationalen Vergleich RÜDIGER STEINMETZ/KAI STEINMANN/SEBASTIAN UHLIG/RENÉ BLÜMEL: Film- und Fernsehästhetik in Theorie und Praxis IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 146 Impressum DIRK BLOTHNER: Der Film. Ein Drehbuch des Lebens? Zum Verhältnis von Psychologie und Spielfilm KLAUS SACHS-HOMBACH: Plädoyer für ein Schulfach ›Visuelle Medien‹ IMAGE 1: Bildwissenschaft als interdisziplinäres Unternehmen. Eine Standortbestimmung KLAUS SACHS-HOMBACH: Editorial PETER SCHREIBER: Was ist Bildwissenschaft? Versuch einer Standort- und Inhaltsbestimmung FRANZ REITINGER: Die Einheit der Kunst und die Vielfalt der Bilder KLAUS SACHS-HOMBACH: Arguments in Favour of a General Image Science JÖRG R.J. SCHIRRA: Ein Disziplinen-Mandala für die Bildwissenschaft. Kleine Provokation zu einem neuen Fach KIRSTEN WAGNER: Computergrafik und Informationsvisualisierung als Medien visueller Erkenntnis DIETER MÜNCH: Zeichentheoretische Grundlagen der Bildwissenschaft ANDREAS SCHELSKE: Zehn funktionale Leitideen multimedialer Bildpragmatik HERIBERT RÜCKER: Abbildung als Mutter der Wissenschaften IMAGE 1 Themenheft: Die schräge Kamera Herausgeber: Klaus Sachs-Hombach, Hans Jürgen Wulff KLAUS SACHS-HOMBACH/HANS JÜRGEN WULFF: Vorwort KLAUS SACHS-HOMBACH/STEPHAN SCHWAN: Was ist ›schräge Kamera‹? Anmerkungen zur Bestandsaufnahme ihrer Formen, Funktionen und Bedeutungen HANS JÜRGEN WULFF: Die Dramaturgien der schrägen Kamera. Thesen und Perspektiven THOMAS HENSEL: Aperspektive als symbolische Form. Eine Annäherung MICHAEL ALBERT ISLINGER: Phänomenologische Betrachtungen im Zeitalter des digitalen Kinos JÖRG SCHWEINITZ: Ungewöhnliche Perspektive als Exzess und Allusion. Busby Berkeleys »Lullaby of Broadway« JÜRGEN MÜLLER/JÖRN HETEBRÜGGE: Out of focus. Verkantungen, Unschärfen und Verunsicherungen in Orson Welles’ The Lady from Shanghai (1947) IMAGE | Ausgabe 24 | 07/2016 147