Elisabeth WebeI': Österreichische Kulturzeitschdften de[' Nachkriegs- zeit 1945-1950.- F['ankfurt/M., Dem, New Yock, Puis: PeteI' Lang 1988 (= Etrropäische Hochschulschriften, Reihe I, Deutsche Spl'ache und Lite['atUI, Bd. 934), 200 S., sF[' 45,- Eine literarische oder kulturpolitische Zeitschrift kann mehr sein als nur eine Sammlung von Vorabdrucken aus Büchern verschiedener Autoren - was in der Bundesrepublik heute leider nur noch in seltenen Fällen (wie zum Beispiel im Essener "Schreibheft") in die Tat umge- setzt wird. Anders in Österreich: Hier gibt es auch heute noch eine Anzahl literarischer Zeitschriften, die in ihrer Textauswahl nicht an Verlage oder deren Programme gebunden sind und sich so in der Lage befinden, literarisches Leben zu gestalten, anstatt nur ein Anhängsel des Verlagsbetriebes zu bleiben. Man denke an die Grazer "manuskrip- te", die "protokolle" oder die "neuen texte" aus Linz. Wer sich mit österreichischer Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt, wird feststellen, daß dieser Zweig der Zeitschriftenkultur in Österreich Tradition hat, wird immer wieder auf Zeitschriften wie den von Otto Basil herausgegebenen "Plan" stoßen, in dem Ende der vierziger Jahre u.a. Friederike Mayröcker und Paul Celan im deut- schen Sprachraum debütierten, in dem auch frühe Veröffentlichungen Erich Frieds zu finden sind. Elisabeth Webers Dissertation über "Österreichische Kulturzeitschrif- ten der Nachkriegszeit 1945-1950" unternimmt den Versuch, anhand der Kulturzeitschriften "Plan", "Die Furche", "Lynkeus", "das silber- boot" und "Theater der Jugend" (den späteren "neuen wegen") der Si- tuation der österreich ischen Literatur in den ersten Nachkriegsjahren nachzugehen und die literarischen Positionen der verschiedenen Zeit- schriften zu bestimmen. Während der "Plan" und "das silberboot" Ende der vierziger Jahre ihr Erscheinen einstellten und nie wieder aufnah- men, wurde der "Lynkeus" nach einer länger als dreißigjährigen Pause Anfang der achtziger Jahre weitergeführt. "Die Furche" und die "neuen wege" erscheinen seit ihrem ersten Jahrgang regelmäßig bis heute. Vor einem fundierten geschichtlichen Hintergrund (hier sind die Details über die Kulturpolitik der Alliierten besonders interessant) geht die Autorin auf die Programme der einzelnen Herausgeber ein. Allen gemeinsam war der Wunsch, sich am kulturellen Wiederaufbau in Österreich zu beteiligen, nachdem bestimmte Arten von Literatur in der Zeit von 1938 bis 1945 nicht publiziert werden konnten und man so den Anschluß an die internationale Entwicklung der Literatur verloren hatte. Otto Basil setzte 1945 da an, wo er mit dem "Plan" (durch Beschlagnahmung und Verbot gezwungenermaßen) im Jahre 1938 aufgehört hatte: Er versuchte, ausländische Strömungen (wie z.B. den französischen Surrealismus) in Österreich bekannt{er) zu machen, was zumindest in Wien die literarische Szene stark beeinflußte. Mit diesem Programm stand der "Plan" in der österreichischen Zeitschriften-Landschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit allerdings allein da. Das "Theater der Jugend" und der "Lynkeus" suchten (abgesehen von einer der deutschen Nachkriegsentwicklung parallelen Tendenz zur sogenannten 'Kahlschlagliteratur') eher die Anbindung an die Literatur der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und waren neuen Formen von Literatur wenig aufgeschlossen; neben der Verarbeitung von Kriegserfahrungen und Nationalsozialismus fand man - nach Jahren der 'lauten! Propagandasprüche - zu einem !Ieisen Ton! in der Lyrik. Das von dem späteren PEN-Club-Vorsitzenden Ernst Schönwiese herausgegebene "silberboot" sollte in Österreich einerseits Weltlitera- tur verbreiten, andererseits den Anschluß an die Literatur vor dem Zweiten Weltkrieg gewährleisten. Der von Hermann Hakel herausge- gebene "Lynkeus" war ein Forum für neue Autoren und (wie das "sil- berboot") überwiegend der Literatur vorbehalten. Darüber hinaus fan- den in beiden Zeitschriften keine Diskussionen über die Position Österreichs als okkupierter oder kollaborierender Staat unter der Nazi-Herrschaft statt, welche in den anderen behandelten Kulturzeitschriften durchaus ihren Raum hatten. So war der Raum für Literatur in der "Furche" eng bemessen, dafür erschienen zahlreiche Artikel über österreichische Literatur und ihre Unabhängigkeit von der deutschen Literatur, daneben Rezensionen und Berichte über aktuelle kulturelle Veranstaltungen. Einen weiteren Schwerpunkt von Webers Studie bildet die - nach dem Zweiten Weltkrieg besonders beliebte - Lyrik in den Kulturzeitschrif- ten. Anhand einzelner Textanalysen werden Aspekte der Form, der Vorbilder (allen voran Rilke, Trakl und Weinheber) sowie Züge der Auseinandersetzung mit Krieg, Nationalsozialismus und Austrofaschismus verfolgt. Darüber hinaus zeigt die Autorin auf, wie sich in den verschiedenen Zeitschriften bereits zu solch einem frühen 197 Zeitpunkt eine gewisse Lagerbildung in der österreichischen Gegen- wartsliteratur vollzog, die Anfang der siebziger Jahre mit der Grün- dung der "Grazer Autorenversammlung" zum Eklat zwischen der soge- nannten 'Avantgarde' und den eher konservativen Vertretern führte. Was man sich an diesem Werk noch hätte wünschen können: ein Register der erwähnten Autoren und besprochenen Texte, vielleicht sogar eine Bibliographie, anhand derer sich der Leser einen Überblick über die in den einzelnen Zeitschriften vertretenen Autoren und Werke hätte verschaffen können. Marcel Beyer