102 MEDIENwissenschaft 01/2017 Markus Spöhrer: Film als epistemisches Ding: Zur Produktion von Hip-Hop-Kultur und Till Hastreiters Status YO! Marburg: Schüren 2016 (Marburger Schriften zur Medienforschung, Bd.63), 247 S., ISBN 3894729937, EUR 24,90 (Zugl. Dissertation an der Universität Konstanz, 2015) Film als epistemisches Ding – der Titel Was haben Hip Hop, Till Hastreiters des Buches kommt etwas hölzern Film Status YO! (2004) und Hans-Jörg daher. Dabei soll es, wie der Untertitel Rheinbergers wissenschaftstheore- aufklärt, doch um die Produktion von tischer Ansatz zum epistemischen Ding Hip-Hop-Kultur und Till Hastreiters (Experimentalsysteme und epistemische Status YO! gehen. Man fragt sich also: Dinge: Eine Geschichte der Proteinsynthese Fotografie und Film 103 im Reagenzglas. Frankfurt: Suhrkamp, unter primär erkenntnistheoretischen 2006) miteinander zu tun? Tatsächlich Voraussetzungen zu entwickeln: „Unter eine ganze Menge! Berücksichtigung von kultur- und Markus Spöhrer geht mit seiner filmwissenschaftlichen Forschungser- Publikation einen interessanten, aber gebnissen zur Hip-Hop-Kultur sowie auch eigenwilligen Weg, wenn der „als nicht-wissenschaftlichen Wissenspro- dezidiert dekonstruktivistische Arbeit“ duktionen wie Filmkritiken, Produk- verstandene Text „die Produktion von tionsnotizen, Making-ofs, Interviews Hip-Hop-Kultur und Film auf der mit dem Regisseur und user-generierten Seite der Wissensprodukte nach deren Wissensproduktionen (Beiträge in epistemologischen und methodischen Online Foren etc.) soll der Film Status Grundlagen befragt und gleichzeitig YO! als ‚epistemisches Ding‘ verstan- die sich damit vollziehende Produk- den werden, das sich über jene Wissens- tion von Hip-Hop-Kultur und Film produkte produzieren lässt“ (S.12). Das am Fallbeispiel Status YO! selbstreflexiv Interview, welches Spöhrer 2013 mit beschreibt – über ein spezifisch ange- Hastreiter geführt hat, kann übrigens ordnetes Wissensproduktionssystem, im Anhang nachgelesen werden (vgl. das den Gegenstand entsprechend der S.217-226). epistemologischen Prämissen hervor- Grundsätzlich argumentiert Spöh- bringt“ (S.16). Mithin geht es darum, rer vielleicht im weitesten Sinne noch die Beziehung von Hip-Hop-Kultur in die Richtung dessen, was man in und Film in einem erkenntnistheore- der Film- und Fernsehwissenschaft als tischen Zuschnitt als Elemente einer ‚Clusterverständnis‘ vor allem zu Gen- Wissensanordnung zu verstehen, die refragen diskutiert (vgl. Jason Mittell: wechselseitig aufeinander bezogen Genre and Television: From Cop Shows to ein spezifisches Wissen im Sinne der Cartoons in American Culture. New York: Zuschreibung von Hip-Hop-Film erst Routledge, 2004, S.17; Malte Hagener: hervorbringt – und dabei immer auch „Der Begriff Genre.“ In: Rother, Rai- die ‚Produziertheit’ von Hip-Hop-Kul- ner/Pattis, Julia [Hg.]: Die Lust am tur einerseits sowie Film andererseits Genre. Berlin: Bertz+Fischer, 2011, mit zu reflektieren hat. Dabei versucht S.11-22, hier S.19-21). Und doch geht Spöhrer nicht nur wissenschaftliche Spöhrers Arbeit weit darüber hinaus, und nicht-wissenschaftliche Wissens- wenn das Netzwerk unterschiedlicher produktionen und -praktiken innerhalb Elemente zur Konstruktion und Kon- seines Vorgehens zu ‚horizontalisieren‘ stitution von Wissen über Hip-Hop (vgl. S.15), sondern vor allem – im und/im Film auf Basis von Rheinber- Anschluss an eine notwendigerweise gers Ansatz und durch Ergänzung von transdisziplinäre theoretische Grundie- Positionen aus dem Umfeld der Akteur- rung der Arbeit –, einen eigenen the- Netzwerk-Theorie (ANT) bezüglich der oretisch-methodischen Vorschlag für Verschränkung von wissenschaftlichen die Auseinandersetzung mit der Pro- und nicht-wissenschaftlichen Wissens- duktion von Hip-Hop-Kultur und Film produktionsaspekten gerade epistemo- 104 MEDIENwissenschaft 01/2017 logisch fundiert werden soll. Diesem vierte Kapitel baut auf dieser Unter- Unternehmen gehen Forschungsfragen suchung auf und entwirft den ent- nach den erkenntnistheoretischen und sprechend theoretisch-methodischen methodischen Prämissen von Hip- Zugriff. Das im vierten Kapitel ent- Hop-Kultur und Film, nach der spe- wickelte ‚Wissensproduktionsmodell‘ zifischen Auswahl, Anordnung und stellt wiederum die Basis für die sich Relationierung ihrer wissenschaftlichen im fünften Kapitel anschließende Dis- und nicht-wissenschaftlichen Wissen- kussion des Produktionsbegriffs im sprodukte sowie nach dem Status von Kontext der Filmherstellung (eben als Status YO! als Wissensobjekt voraus Wissensproduktionsbegriff) dar. Im (vgl. S.17-19). sechsten Kapitel werden abschließend Um diese Fragen zu beantworten, noch einmal die erkenntnistheore- ist die Arbeit im Weiteren gemäß einer tische Essenz der Arbeit, aber auch ihr wissenschaftlichen Qualif ikations- durchaus ungewöhnlicher Zugriff auf schrift klassisch aufgebaut. Zunächst das Verhältnis von Hip-Hop-Kultur werden im zweiten Kapitel der For- und Film reflektiert. schungsstand zum Thema referiert Spöhrers Buch Film als epistemisches sowie kulturwissenschaftliche und Ding ist eine theoretisch sehr fundierte soziologische Ansätze zur Hip-Hop- und kluge Auseinandersetzung mit Kultur als auch filmwissenschaftliche dem Verhältnis von Hip-Hop-Kultur Positionen zum Kontext Hip-Hop- und Film im Sinne einer Befragung Kultur und Film aufgearbeitet. Im von Wissensproduktionsprozessen. dritten und umfangreichsten Kapitel Auch wenn die Arbeit durch ihre wis- wird dann der Film Status YO! (u.a. senschaftstheoretische Ausrichtung auch im Vergleich zum amerikanischen als äußerst voraussetzungsreich gelten ‚Kanonfilm‘ Wild Style [1983]) unter- muss, zeigt sie einmal mehr, welches sucht, wobei unterschiedliche theo- produktive Potenzial gerade in einem retische Positionen und Modelle wie (medien-)epistemologischen For- etwa Production Studies, Filmökono- schungsdesign steckt. Als besonders mie, filmwissenschaftliche Narratolo- diskussionswürdig zeichnet sich zudem gie, Produktanalyse und Genretheorie der theoretisch-methodische Zugang sowie die paratextuelle Herangehens- Spöhrers aus, an dem weiterzudenken weise mit nicht-wissenschaftlichen sich lohnen kann. Elementen (z.B. Filmkritik) ver- schränkt berücksichtigt werden. Das Sven Stollfuß (Leipzig)