Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bil- dung. Nur ein Trend oder ein Schlüssel für neue Lern- erfahrungen? Nadja Dietze Zusammenfassung Nicht nur im Kontext der beruflichen Bildung können einige Lernerfahrungen erst im Prozess der Arbeit gesammelt werden. In der beruflichen Bildung können solche Lernerfahrungen jedoch oft nur sehr eingeschränkt möglich oder mit hohen materiellen oder körperlichen Risiken verbunden sein. Inwiefern augmentierte und virtuelle Lernumgebungen vielversprechende Lösungsansätze bieten, um diese Risiken zu umgehen, wird zurzeit im Rahmen einer neuen Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eruiert. Basierend auf den Erfahrungen aus der Konzeption und Umsetzung des Förderschwerpunkts „Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung“ wird im Beitrag das Einsatzpotential beider Technologien im Kontext der beruflichen Bildung thematisiert und am Beispiel einiger geförderter Verbundprojekte kon- kretisiert. Im Anschluss werden Unterschiede zwischen den Lernszenarien in der augmentierten und virtuellen Realität aus mediendidaktischer Sicht reflektiert und einige Forschungsfragen erör- tert, die in ausgewählten Projekten untersucht werden. Virtuelle und Erweiterte Realität (VR/AR): Ausbruch der „digitalen Revolution“ im Bildungsbereich? Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) sind innovative Technologien, die eine virtuelle bzw. erweiterte Welt darstellen. Augmented Reality erweitert den Zugang zu Informationen und schafft neue Lernmöglichkeiten. Virtual Reality bezeichnet computer- generierte Umgebungen, die die physische Präsenz von Personen und Gegenständen simu- lieren, um realitätsnahe Erfahrungen zu erzeugen (vgl. Johnson et. al. 2016). Kombiniert stellen diese eine Mischung aus virtuellen und realen Welten dar, die als Mixed Reality (MR) bezeichnet wird. Hier können physische und digitale Objekte gemeinsam dargestellt werden und in Echtzeit miteinander interagieren (vgl. Kind et. al. 2019). Mit der Entwicklung von Augmented und Virtual Reality sind hohe Erwartungen verbun- den, welche aus dem Vergleich mit „digitaler Bildungsrevolution“ zu erkennen sind (vgl. Dräger & Müller-Eiselt, 2015). Ein Durchbruch dieser Technologien lässt in Deutschland 206 Nadja Dietze seit der 2. Ausgabe des Horizon Reports1 auf sich warten, welcher noch im Jahr 2005 vom New Media Consortium (NMC) als Entwicklungstrend in den nächsten vier bis fünf Jah- ren prognostiziert wurde (vgl. NMC et. al. 2005). In erster Linie ging es dabei um beson- dere Visualisierungsmöglichkeiten der AR-Technologie, welche im Report 2011 erneut thematisiert und auch als „blended reality“ bezeichnet wurden (vgl. Johnson et. al. 2011). Dieses Mal wies die Prognose einen etwas kürzeren Zeithorizont auf: der Durchbruch wurde in den kommenden zwei bis drei Jahren erwartet. Frische Perspektiven auf dieses Thema bringen neue Entwicklungen im Bereich der VR-Technologie (insb. im Hinblick auf die Hardware), welche im NMC Horizon Report 2016 als Entwicklungstrend aufge- griffen und in einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren prognostiziert wurden (vgl. Johnson et. al. 2016). Trotz des steigenden Interesses und der Vielzahl pilothafter Erprobungen im AR-/VR- Bereich lässt sich bisher keine Revolution im Bildungsbereich beobachten. Von einer flächendeckenden Implementierung und Integration in den Bildungsbereich ist bislang kaum auszugehen. Dass der Einsatz von VR bisher kaum über punktuelle Erprobungen hinausgeht, lässt sich sicherlich insbesondere darauf zurückführen, dass die Entwicklung dieser Technologien ressourcen- und zeitintensiv ist. Abbildung 1: Einsatz von VR-/AR-Anwendungen für Lernprojekte (Bitkom Research 2018, S. 39) 1 Horizon Report ist ein laufendes Projekt des New Media Consortium (NMC) in den USA, welches seit 2004 jährlich aktuelle Trends identifiziert und künftige Entwicklungen im Bildungsbereich prog- nostiziert. Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 207 Laut aktueller Studie von Bitkom Research sind zwar die VR-/AR-Anwendungen in Deutschland bei der Bevölkerung ab 14 Jahren beliebt, jedoch überwiegend im Gamingbe- reich (vgl. Abb. 1). Eine eher untergeordnete Rolle spielen diese Anwendungen im Bil- dungskontext. Nur 8% der VR- und AR-NutzerInnen geben an, diese Technologien für Bildungs- und Lernprojekte zu verwenden (vgl. Bitkom Research 2018). Auffällig ist da- bei der Unterschied hinsichtlich der favorisierten Anwendungsfelder beider Technologien. Selbst im Bereich der Computer- und Videospiele ist die Anzahl der SpielerInnen nicht so hoch wie im Fall der VR-Technologie. Während die AR-Anwendungen häufig für Social- Media-Aktivitäten sowie zur Orientierung auf Reisen eingesetzt werden, spielen VR- Anwendungen insbesondere für virtuelle Reisen, Kinoabende und Musikkonzerte, Häuser- planung oder sportliche Aktivitäten eine Rolle. Unterschiedliche Anwendungsfelder beider Technologien lassen sich auch im Bildungskontext erkennen. Obwohl VR und AR stets als verwandte Technologien betrachtet werden, ist vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen An- wendungspotenziale davon auszugehen, dass sich die Entwicklungspfade von VR und AR jeweils spezifisch ausdifferenzieren oder in einem Mixed Reality-Ansatz (MR) ergänzen werden. Speziell im AR-Bereich zeigen die Befragten der Bitkom-Studien in 22% der Fälle (vgl. Abb. 2) ein reges Interesse an AR-Lerninhalten, obwohl diese nur von 8% der Befragten genutzt werden (vgl. Abb. 1). Abbildung 2: Interesse an AR-Anwendungen für Lernprojekte (Bitkom Research 2018, S. 39) Allerdings ist bislang eher von einem geringen Angebot an ansprechenden, qualitativ hochwertigen AR-Lerninhalten auszugehen (vgl. Kind et. al. 2019, S. 88), was nicht zu- letzt der Grund für das höhere Interesse im Vergleich zur zurückhaltenden Nutzung sein könnte. Mit dem Ziel, diese Lücke zu schließen, leisten zahlreiche Förderprogramme2 2 Aktuell wird die Entwicklung und die Erprobung der VR-/AR-Technologien im Rahmen zahlreicher BMBF-Programme gefördert wie bspw. „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“, „Technik zum 208 Nadja Dietze einen Beitrag zur Entwicklung und Erprobung innovativer Lösungen unter anderem im Bildungsbereich. Eine Förderrichtlinie, die speziell die Entwicklung innovativer VR-/AR- Lehr- und Lernkonzepte in der beruflichen Bildung vorantreibt, wird in diesem Beitrag ausführlicher dargestellt. Entwicklungsperspektiven der augmentierten und virtuellen Lernumgebungen im Bereich der beruflichen Bildung Die Entwicklung und Erprobung von bedarfsorientierten, zielgruppenspezifischen VR- /AR-Lernumgebungen gehören zu den Zielen der Förderrichtlinie „Virtuelle und Erweiter- te Realität (VR/AR) in der beruflichen Bildung“ (VRARBB)3. Mit diesem Förderschwer- punkt strebt das BMBF an, das Einsatzpotenzial von Virtual und Augmented Reality für das praxis- und arbeitsplatznahe Lernen aufzuspüren, zu prüfen und für die berufliche Bildung nutzbar zu machen. Insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung haben diese Technologien ein vielversprechendes Anwendungspotenzial: Einige Lernerfahrungen können hier oft nur sehr eingeschränkt möglich oder mit hohen materiellen bzw. körperli- chen Risiken verbunden sein. Die o.g. Förderrichtlinie setzt inhaltliche Schwerpunkte, die auf bestehender Expertise aus der Umsetzung des übergeordneten BMBF-Programms „Digitale Medien in der berufli- chen Bildun“4 aufbauen. Die branchen-, berufs- und domänenoffene Ausgestaltung der VRARBB-Richtlinie ermöglicht einen explorativ angelegten Charakter in den Projektan- sätzen, um Einsatzpotenziale in zahlreichen Branchen aufzuspüren. Ein zentrales Anliegen ist, neuartige Lehr- und Lernarrangements zu entwickeln und neue Lernerfahrungen zu ermöglichen, die in realen Welten ohne Angst vor realen Konsequenzen kaum erlebbar gemacht werden können. Diese sollen in den einzelnen Projekten für unterschiedliche Branchen entwickelt, erprobt und evaluiert werden. Der Transfer innovativer Lösungen in die Praxis ebenso wie entsprechende Expertise der Projektpartner sind wichtige Voraus- setzungen für diesen Förderschwerpunkt. Zu den weiteren inhaltlichen Schwerpunkten der Förderrichtlinie zählen insbesondere: Menschen bringen“, „Forschung für die zivile Sicherheit“, „Forschung an Fachhochschulen“, „Inno- vationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“, „science2public“ u.a. 3 Vgl. Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 05.01.2018. Abgeru- fen unter: https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1531.html [Stand vom 24-05-2019]. 4 Ziel des Förderprogramms „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ (2012 – 2019) des BMBF ist die Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung speziell durch den Einsatz digitaler Medien. Weitere Informationen zum Programm unter: www.qualifizierungdigital.de [Stand vom 24-05-2019]. Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 209 • Didaktisch-methodischer Mehrwert der VR- und AR-Lehr- und Lernkonzepte; • Bedarfs- und Handlungsorientierung der augmentierten und virtuellen Lernumge- bungen; • Implementierung der Lösungsansätze in der beruflichen Bildung; • Nachhaltige Umsetzung der mediendidaktischen und medientechnischen Konzep- te. Neun vielversprechende Verbundprojekte mit insgesamt 36 beteiligten Institutionen bzw. Teilvorhaben, die zur Förderung ausgewählt wurden, werden ihre Lösungsansätze bis 2022 in unterschiedlichen Branchen implementieren und erproben (vgl. Tab. 1). Projekt Laufzeit Branche Koordination PortaL 01/19-12/21 Industrie TU Darmstadt HandLeVR 01/19-12/21 Automobilindustrie Uni Potsdam FeDiNAR 02/19-01/22 Metall- und Elektroin- RWTH Aachen dustrie MARLA 03/19-02/22 Mechatronik TU Berlin ViTAWiN 03/19-02/22 Gesundheitswesen HS Hannover LeARn4Assembly 05/19-04/22 (De-)Montage Fraunhofer IFF AdEPT 06/19-05/22 Industrie (Maschinen- Universität des Saar- und Anlagenbau) landes KoRA 09/19-08/22 Kollaborative Montage- Universität Bremen technik oKat-SIM 09/19-08/22 Katastrophenschutz Universität Potsdam Tabelle 1: Übersicht der geförderten Verbundprojekte der Richtlinie VRARBB (eigene Darstellung) Das Spektrum der Anwendungsfelder ist sehr vielfältig: von der Entwicklung von aug- mentierten und virtuellen Lernumgebungen für die Notfallversorgung im Gesundheitsbe- reich bis zu kollaborativen Montageprozessen mit Kobots (kollaborativen Robotern) im Bereich der Mensch-Roboter-Interaktion (vgl. Abb. 3). 210 Nadja Dietze Abbildung 3: Projektlandkarte der Förderrichtlinie VRARBB (eigene Darstellung) Die Einsatzkräfte im Rettungsdienst oder im Katastrophenschutz können besser auf die Berufspraxis vorbereitet werden, indem sie in zahlreichen unbekannten Lernumgebungen der virtuellen Welt realitätsnah trainiert werden. Gefährliche Montagearbeiten können ohne Angst vor realen Konsequenzen trainiert werden. Gleichzeitig können die Konse- quenzen fehlerhafter Handlungen bzw. Entscheidungen ausschließlich in der virtuellen Welt simuliert und erlebbar gemacht werden, um aus Fehlern zu lernen. Um die Vielfalt möglicher Anwendungsfelder in unterschiedlichen Branchen zu verdeutlichen, werden in diesem Beitrag ausgewählte Projekte kurz dargestellt. Akronym PortaL Titel Virtuelle Handlungsaufgaben für personalisiertes adaptives Lernen Laufzeit 01/2019 – 12/2021 Branche Industrie Technologie Virtual Reality Zielgruppe Auszubildende im produzierenden Gewerbe Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 211 Projektziele • mittels eines VR-Lehr- und Lernkonzeptes den Transfer produkti- onsnaher Aus- und Weiterbildungsinhalte in die betriebliche Pra- xis zu erleichtern • drei VR-Produktionsumgebungen zur Durchführung der Wert- stromanalyse (Montage, Fertigung, Prozessindustrie) exemplarisch zu entwickeln und in der Prozesslernfabrik CiP (Center für indust- rielle Produktivität) zu erproben Homepage https://www.prozesslernfabrik.de Akronym HandLeVR Titel Handlungsorientiertes Lernen in der VR-Lackierwerkstatt Laufzeit 01/2019 – 12/2021 Branche Automobilindustrie Technologie Virtual Reality Zielgruppe Auszubildende der Berufe Fahrzeuglackierer/Fahrzeuglackiererin Projektziele • Entwicklung und Erprobung einer VR-Trainingsanwendung zum handlungsorientierten Erlernen von Techniken bei Kfz- Lackierarbeiten • Evaluation der Lern- und Trainingseffekte für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der Ausbildung Homepage https://handlevr.de/ Akronym FeDiNAR Titel Fehler didaktisch nutzbar machen mit Augmented Reality: Lernwirksame Einbindung von Fehlern in beruflichen AR-gestützten Lernprozessen Laufzeit 02/2019 – 01/2022 212 Nadja Dietze Branche Metall- und Elektroindustrie Technologie Augmented Reality Zielgruppe Auszubildende der elektro- und metall-technischen Berufe Projektziele • AR-gestützte Lehr- und Lernszenarien entwickeln und erproben, um Fehler effizient für den individuellen Kompetenzerwerb zu nutzen • auf dem Markt verfügbare Lösungen anwendungsorientiert zu- sammenführen, um auch kleineren Betrieben und berufsbilden- den Schulen den Einsatz des FeDiNAR-Lernsystems zu ermögli- chen Homepage https://www.mmi.rwth-aachen.de/projekt/fedinar/ Akronym MARLA – Masters of Malfunction Titel Spielerische Mixed-Reality-Lernanwendung mit digitaler Sprachassis- tenz für die Ausbildung im Bereich Windenergietechnik Laufzeit 03/2019 – 02/2022 Branche Mechatronik Technologie Mixed Reality Zielgruppe Auszubildende in den Berufsfeldern Elektro- und Metalltechnik Projektziele • am Beispiel der Windenergietechnik durch die Verschmelzung von realen und virtuellen Welten neue Wege der Ausbildung in den Berufsfeldern Elektro- und Metalltechnik gestalten • Potenziale innovativer Schnittstellen von Mixed-Reality- Technologien, digitaler Sprachassistenz und Serious Games für den praktischen Einsatz in der gewerblich-technischen Ausbildung erforschen Homepage https://marla.tech/ Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 213 Akronym ViTAWiN Titel Virtuell-augmentiertes Training für die Aus- und Weiterbildung in der interprofessionellen Notfallversorgung Laufzeit 03/2019 – 02/2022 Branche Gesundheitswesen (Rettungsdienst und Notfallpflege) Technologie Mixed Reality Zielgruppe Rettungsfachpersonal und Notfallfachpflegekräfte Projektziele • medizinische Notfälle wie Herz-Kreislauf- und Atemwegser- krankungen unter möglichst realistischen Bedingungen gezielt trainieren • im Projekt EPICSAVE aufgebaute Lernszenarien weiterentwi- ckeln, um komplexe Entscheidungssituationen realitätsnah ent- lang der Notfallversorgungskette zu simulieren • eine haptisch-augmentierte virtuelle Mehrbenutzer-Lern- und Trainingsumgebung entwickeln und erproben Homepage https://vitawin.info/ Akronym LeARn4Assembly Titel VR-/AR-basierte Lern- und Assistenzsysteme für die (De-)Montage Laufzeit 05/2019 – 04/2022 Branche (De-)Montage Technologie Virtual und Augmented Reality Zielgruppe heterogene Belegschaften der Montage Projektziele • die Arbeitsqualität von Mitarbeitenden in der (De-)Montage ver- schiedener Industrien zu erhöhen und das Prozessverständnis zu 214 Nadja Dietze fördern durch den gewinnbringenden Einsatz von AR- und VR- Lernumgebungen • mit Hilfe des Lern- und Assistenzsystems können die Mitarbei- tenden verschiedene Lerninhalte selbstgesteuert abrufen und er- halten Rückmeldungen zur Qualität der durchgeführten Arbeit sowie zu alternativen Handlungsmöglichkeiten des Arbeitspro- zesses Akronym AdEPT Titel Augmented Reality-baseD recording of Educational Processes for technical Training Laufzeit 06/2019 – 05/2022 Branche Industrie (Maschinen- und Anlagenbau) Technologie Augmented Reality Zielgruppe Auszubildende der Metallindustrie und der Klimatechnik Projektziele • Entwicklung einer Anwendung zur AR-gestützten Erstellung von Lern- und Lehrinhalten: Ausbildungspersonal und erfahrenen ServicemitarbeiterInnen soll ermöglicht werden, alltägliche Ar- beitsschritte/Arbeitsprozesse bereits während ihrer Durchführung zu dokumentieren • Integration von didaktischen Lehr- und Lernelementen: Die do- kumentierten Arbeitsprozesse werden didaktisch aufbereitet Homepage https://fobid.org/projects/adept/ Akronym KoRA Titel Kompetenzentwicklung zur Gestaltung von Mensch-Roboter- Kollaboration unter Anwendung eines Mixed-Reality-basierten Lehr- Lernkonzeptes Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 215 Laufzeit 09/2019 – 08/2022 Branche Kollaborative Montagetechnik Technologie Mixed Reality Zielgruppe MechatronikerInnen oder ElektronikerInnen für Automatisierungs- technik Projektziele • den Menschen am Beispiel der Montagetechnik auf die zukünfti- ge Rolle als Entscheider, flexibler Problemlöser und innovativer Gestalter mithilfe einer zu entwickelnden Mixed Reality- Anwendung vorzubereiten • eine virtuelle, gefahrenfreie Mixed Reality-Umgebung zu entwi- ckeln, um Akzeptanz für kollaborative Robotik zu schaffen und Ängste vor neuen Technologien abzubauen Akronym oKat-SIM Titel AR-Ansätze in der beruflichen Weiterbildung von Verwaltungsmitar- beiterInnern des Katastrophenschutzes und der Zivilen Sicherheit Laufzeit 09/2019 – 08/2022 Branche Katastrophenschutz und zivile Sicherheit Technologie Augmented Reality Zielgruppe VerwaltungsmitarbeiterInnen Projektziele • AR-Ansätze für die berufliche Weiterbildung von Verwaltungs- mitarbeiterInnen in den Bereichen Katastrophenschutz und zivile Sicherheit zu entwickeln und diese im Umgang mit Krisensitua- tionen fachlich und methodisch zu schulen • Großschadenslagen zu visualisiert und Krisenstabsszenarien in einer mobilen 3D-Umgebung zu simulieren 216 Nadja Dietze Potenziale der virtuellen und erweiterten Realität in der beruflichen Bildung aus (medien)didaktischer Sicht Der Entwicklungsaufwand für die AR- und VR-Anwendungen ist nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus erfordert der Einsatz augmentierter und virtueller Lernszenarien eine spe- zielle Ausstattung, die weit über die Anschaffung von VR- oder AR-Brillen hinausgeht: „VR und AR erfordern unterschiedliche Technologien und Medien zur Ein- gabe, Verarbeitung, Aus- bzw. Wiedergabe sowie Verbreitung virtueller oder erweiterter Inhalte. Eingabesysteme umfassen beispielsweise Hardwarelö- sungen zur Erfassung von Eigenschaften von Objekten sowie deren Veror- tung und Bewegung im Raum. Dies erfolgt z. B. über Kamera- und Tra- ckingsysteme oder Controller. [....] Zudem bedarf es spezieller Geräte für die Wiedergabe. Für die visuelle Darstellung komplett virtueller Inhalte werden in der Regel Head-mounted Displays (HMDs) eingesetzt, für die Darstellung erweiterter Inhalte meist Smart Glasses. Eine Ergänzung der visuellen Wahr- nehmung bieten Geräte für die akustische oder haptische Wiedergabe. Die Vermittlung haptischer Erfahrungen stellt noch eine große technologische Herausforderung dar.“ (vgl. Kind et. al. 2019, S. 10) Je aufwendiger und ressourcenintensiver die Entwicklungsverfahren sind, desto mehr stellt sich die Frage nach geeigneten Einsatzszenarien, die den erwarteten Entwicklungs- und Ressourcenaufwand rechtfertigen sowie eine nachhaltige Entwicklung innovativer Lern- umgebungen erwarten lassen. Die Erfahrungen aus der Umsetzung des BMBF- Förderprogramms „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ haben gezeigt, welche Erfolgsfaktoren zu einer nachhaltigen Gestaltung digitaler Lernarrangements führen. Einer davon ist der methodisch-didaktische Mehrwert5 der gewählten Lehr- und Lernkonzepte. So gehört dieser aufgrund der zeit- und ressourcenintensiven Entwicklung von VR-/AR- Anwendungen zu einem der wichtigsten Schwerpunkte der Förderrichtlinie „Virtuelle und Erweiterte Realität (VR/AR) in der beruflichen Bildung“. Gemeint ist damit die Auswahl geeigneter Lehr- und Lernkonzepte, die als VR- bzw. AR-Anwendung einen tatsächlichen didaktisch-methodischen Mehrwert gegenüber anderen Darstellungsformen bieten. Eine handlungsorientierte Gestaltung der Lehr- und Lernumgebung, eine Aktivierung der Ler- nenden, z.B. durch Möglichkeiten der inhaltlichen Mitgestaltung der eigenen Lernumge- 5 Da der Begriff „Mehrwert“ aus erziehungswissenschaftlicher bzw. pädagogischer Perspektive äußerst kontrovers diskutiert wird, soll an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass es sich hierbei nicht um den Mehrwert der Technologie und digitaler Medien an sich handelt. Vielmehr geht es um den Unter- schied gegenüber anderer Darstellungsformate und die Suche nach geeigneten Lehr und Lernszenari- en, um das Einsatzpotenzial der VR- und AR-Technologien im Bildungskontext zu identifizieren. Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 217 bung oder der sozialen Interaktion, sowie eine Einbettung in den beruflichen Kontext spie- len dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Obwohl VR und AR stets als verwandte Technologien bezeichnet werden, sind diese aus mediendidaktischer Sicht für unterschiedliche Einsatzszenarien im Bildungskontext geeig- net. Während die VR-Umgebungen durch vollständig simulierte virtuelle Lernorte bzw. Lernsituationen gekennzeichnet sind, sind die AR-Umgebungen insbesondere für das pra- xis- und arbeitsplatznahe Lernen direkt im Arbeitsprozess geeignet. Die Umsetzung be- sonders komplexer Lehr- und Lernszenarien findet in einer MR-Lernumgebung statt, wel- che Interaktion zwischen realer und virtueller Welt bietet und die Erfahrung des realitäts- nahen Eintauchens in einem höheren Maß ermöglicht (vgl. Tab. 2). Technologie Virtual Reality Augmented Reality Mixed Reality Einsatzpotenzial vollständig simulierte praxis- und arbeits- sowohl beim Lernen virtuelle Lernorte platznahes Lernen im Prozess der Arbeit bzw. Lernsituationen, im Prozess der Ar- als auch in einer die in der realen Ar- beit mit mobilen vollständig simulier- beitsumgebung nur Endgeräten oder ten Lernumgebung sehr eingeschränkt AR-Brillen möglich, wenn zwi- möglich oder mit schen realer und hohen materiellen virtueller Welt Inter- bzw. körperlichen aktion für eine reali- Risiken verbunden tätsnahe Erfahrung sind erforderlich ist Beispielprojekt HandLeVR FeDiNAR KoRA Auszubildende Fahr- Lernende stehen an Auf einer physischen zeuglackiererInnen - einer realen Ma- Montageanlage wird erlernen in einer schine und können der Montageprozess VR-Anwendung ver- mit dieser direkt von Auszubildenden schiedene Techniken interagieren. Ein gemeinsam mit Ko- zum Anbringen ein- Teil der Handlun- bots (kollaborativen zelner Lackschichten gen (und deren Robotern) ausge- auf Kfz-Werkstücken. Auswirkungen) führt. Gefährliche Hier wird eine La- erfolgt allerdings Situationen, die ckiererwerkstatt in ausschließlich in der bspw. durch eine der VR-Umgebung virtuellen Welt, unsachgemäße Be- vollständig simuliert. sodass z.B. ein auf dienung der Monta- Mit einem physischen einer Fräsmaschine geanlage verursacht Controller in Form vergessener Schrau- werden oder eine der bekannten La- benschlüssel nur Warnung im Falle 218 Nadja Dietze ckierpistole werden virtuell durch die einer Kollision mit virtuell angezeigte Werkstatt fliegt und dem Kobot, werden 3D-Werkstücke durch dies den Lernenden in eine virtuelle Rea- Auszubildende la- mittels AR visuali- lität ausgelagert. ckiert. Aus gesund- siert wird. Hierzu Mithilfe von Tracker heitlichen und öko- werden die Interak- werden physische nomischen Gründen tionen der Lernen- Objekte wie z.B. ein sowie aufgrund der den in die virtuelle Werkzeug, ein Kobot langen Trocknungs- Welt übertragen und oder ein Teil der zeiten oder fehlender deren Auswirkun- Arbeitsumgebung Möglichkeiten der gen dort simuliert. (z.B. Tisch) in die Bewertung wichtiger MR-Lernumgebung Aspekte wie bspw. eingebunden, der Dicke des appli- wodurch die Interak- zierten Farbauftrags tion zwischen der bietet sich ein VR- realen und virtuellen Training an. Welt ermöglicht wird. Tabelle 2: Potenziale der virtuellen und erweiterten Realität in der beruflichen Bildung aus mediendidak- tischer Sicht (eigene Darstellung) Inwiefern augmentierte und virtuelle Lernumgebungen vielversprechende Lösungs- ansätze für die berufliche Bildung bieten, wird in den nächsten drei Jahren in For- schungs- und Entwicklungsprojekten der Förderrichtlinie VRARBB eruiert. Die beiden Technologien weisen zweifellos das Potenzial auf, als Schlüssel für neue Lernerfahrungen betrachtet zu werden, sofern nicht die Technologie, sondern be- darfsorientierte Lösungsansätze im Vordergrund stehen. Was aus mediendidakti- scher Sicht noch zu beachten ist, um das Potenzial der VR- und AR- Lernumgebungen auszuschöpfen, wird hier abschließend exemplarisch zusammen- gestellt: • Kritische Experimentierfreude bei der Entwicklung von VR- und AR- Lernumgebungen mit geeigneten Einsatzszenarien und angemessenem Nutzen-Aufwand-Verhältnis. • Kompetenzförderung durch Handlungsorientierung in realitätsnahen VR- und AR-Lernsituationen über deren reine Visualisierungsmöglichkeiten hinaus. • Fokussierung der Lerninhalte (Qualität statt Quantität) und Integration in das Gesamtlernszenario in Verbindung mit anderen Lernformaten. • Transfer der Lernerfahrungen aus der simulierten virtuellen Welt in die reale bzw. in den beruflichen Alltag. Virtuelle und Erweiterte Realität in der beruflichen Bildung 219 Literatur Dräger, Jörg & Müller-Eiselt, Ralph (2015): Die digitale Bildungsrevolution: Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können. München: Deutsche Verlags- Anstalt. Bitkom Research (2018): Zukunft der Consumer Technology – 2018: Marktentwicklung, Trends, Mediennutzung, Technologien, Geschäftsmodelle. Berlin: Bitkom, S. 52. Abgeru- fen unter: https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Die-Zukunft-der-Consumer- Technology-2018.html [Stand vom 24-05-2019]. The New Media Consortium, National Learning Infrastructure Initiative & EDUCAUSE Pro- gramm (2005): The 2005 Horizon Report. Austin, Texas: The New Media Consortium. Johnson, Larry; Smith, Rachel; Willis, Holly; Levine, Alan & Haywood, Keene (2011): The 2011 Horizon Report. Austin, Texas: The New Media Consortium. 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