Reinhold KreUe (Hg.): Medientage München 1988. Dokumentation.- Baden-Baden: Nomos-Verlag 1989, 325 S., DM 29.- Die entscheidenden Veränderungen in der bundesdeutschen Me- dienlandschaft sind längst über die Bühne, duale Rundfunksy- sterne auch in denjenigen Bundesländern etabliert, die sich hartnäckig gegen die Einführung privaten Rundfunks zur Wehr gesetzt hatten. Inzwischen haben die Landesväter den Prestige- und Arbeitsplatzfaktor der neuen Medien erkannt: Zum Wettbe- werb der Programmanbieter um die Zuschauergunst ist der Wettstreit der Bundesländer um die Ansiedlung von Medienun- ternehmen getreten. Insbesondere Berlin, Hamburg, Köln und München buhlen um den Titel der 'deutschen Medienmetropole'. Hervorragend geeignet zur Profilierung und dementsprechend beliebt sind Kongresse zu einschlägigen Themen, die möglichst regelmäßig die Creme der Medienbranche vor Ort locken sollen. Man erreicht dies am besten durch ein weitgestreutes Themen- angebot und eine Vielzahl von Referenten aus verschiedenen Gebieten. 420 Die Medientage München, die im Herbst 1988 zum zweiten Mal stattfanden, konnten diesmal 35 Referenten zu sechs Themen- schwerpunkten aufbieten. Die veranstaltende Münchner Gesell- schaft für Kabelkommunikation widmete ihre Foren - neben den Aspekten "Medienberufe im Wandel" und "Das Buch, ein unbe- kanntes Wesen in der Medienlandschaft" - hauptsächlich dem Thema "Jugendschutz" und ließ Repräsentanten aus Praxis, Wis- senschaft und (selbstredend bayrischer) Politik zu diesem Thema Stellung beziehen, vornehmlich unter juristischer Per- spektive. Interessant allerdings vor allem die unterschiedliche Bewertung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen und ihren Wirkungen: Während der Psychologe Horst Schetelig eine "direkte Korrelation zwischen den physiologischen Reaktivität des Körpers auf das Anschauen von Gewalt und dem Ausmaß der Häufigkeit des Anschauens aggressiver Filme" ausmacht und bedauert, daß zu wenig Eltern dem "Einzug des Bösen im Kin- derzimmer" (S.77) Einhalt gebieten, verweist Erwin Scheuch vom Kölner Institut für angewandte Sozialforschung nach eingehen- der Analyse der bisherigen Wirkupgsforschung darauf, daß "eine monokausale Zuschreibung zwischen Sendung und Verhal- ten nicht mög.lich ist" (S.104); Fernsehen sei in erster Linie ein Medium der Unterhaltung und dies dem Publikum selbst auch weitgehend bewußt. Für Scheuch ist "Fernsehen die aktiv- ste Form des Dösens", will heißen, die Alternative zu TV-Konsum sei meist eben nicht das große Klassiker-Theater, sondern "freundliches Dahindämmern" oder "Aus-dem-Fenster-Schauen" (S.105). Auch bei der tatsächlich gefährdeten Minderheit der extrem vielsehenden Kinder und Jugendlichen verweist er auf die Vielzahl anderer Faktoren, die ein solch auffälliges Verhal- ten bewirken. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien ließ im Rahmen der Medientage über die "Veränderte Fernsehlandschaft" disku- tieren, die Kabelfernsehen München-ServiCenter-Gesellschaft hatte zur Debatte über die "Telekommunikation auf Kabelkurs" geladen. Auf beiden Veranstaltungen waren vornehmlich Ver- treter verschiedener Programmanbieter zu finden, die erwar- tungsgemäß die Positionen ihrer Gesellschaften kund taten. Die Trennlinie zwischen den Referenten läßt sich einfach ziehen: Hans Bausch (SDR), Dietel' Stolte (ZDF) und Waltel' Konrad (3 Sat) hoben auf die besondere, unverzichtbare Rolle des öffent- lich-rechtlichen Rundfunks ab, die (freien) . Medien- 'Unternehmer' verwiesen vor allem auf die noch bestehenden Hürden und Bürden privatkommerziellen Rundfunks. Werner Klatten (SAT 1) fordert einmal mehr eine "saubere Trennung in den Finanzierungsformen von öffentlich-rechtlichem Fernsehen einerseits und privatem Fernsehen andererseits" (S.255), d.h. ausschließlich Gebühren für den öffentlich-rechtlichen und Wer- bung ausschließlich für die privaten Veranstalter. Klatten träumt von einer Fernsehlandschaft mit "privaten Fernsehan- bietern, die damit Geld verdienen, daß sie ihr Publikum unter- halten und informieren und von öffentlich-rechtlichen Fernseh- 421 anstalten, die ihre Gebühren dadurch 'verdienen', daß sie die Bevölkerung grundversorgen" (S.262). Stolte kann mit einer solchen Aufgabenteilung natürlich nicht einverstanden sein. Für ihn sind ARD und ZDF die einzigen tatsächlichen Vollprogramme. Sollten die vielen privaten 'Spartenprogramme' den Öffentlich- rechtlichen langfristig und in großem Umfang Zuschauer entzie- hen, bestehe die Gefahr gesellschaftlicher Desintegration und des Abbaus demokratischer Kultur. Stolte: "Spartenprogramme können immer nur eine Ergänzungsfunktion haben, dürfen je- doch nicht an die Stelle von Vollprogrammen treten" (S.238). Bausch schlägt in die gleiche Kerbe mit der Warnung, dem öf- fentlich-rechtlichen Rundfunk alle Pflichten aufzubürden, die privaten Veranstalter hingegen nur "die Kür tanzen zu lassen" (S.229) und geht noch einen Schritt weiter, wenn er eine mögli- che KQmplementarität beider Systeme in Frage stellt: "Komplementarität zwischen öffentlich-rechtlichen Systemen und privat organisierten Konkurrenten ist weder vorgeschrieben noch organisierbar. Wenn schon Konkurrenz, dann auch Kon- kurrenz bei den Programmangeboten von Hörfunk und Fernse- hen" (S.230). Es ist sicherlich nicht das Ziel von Medientagen, wissenschaftli- chen Erkenntnisgewinn zu liefern oder die Standpunkte der Kontrahenten auf einen Nenner zu bringen, die meisten der im Oktober 1988 vorgetragenen Argumente werden auch heute noch zu hören sein. Dennoch verändert der regelmäßige Austausch auf solchen Veranstaltungen mit Sicherheit die Umgangsformen der Konkurrenten; ein Gewöhnungsprozeß, der mit Blick auf die Schärfe der früheren Auseinandersetzungen bereits stattgefun- den hat. Als Momentaufnahmen der jeweiligen Stimmungslagen und Ent- wicklungsstufen im Mediensektor bieten Dokumentationen der vorliegenden Art insgesamt ein 'interessantes' Panoptikum, zumal sich die Veranstalter auch in Zukunft bemühen werden, möglichst viele "interessante" Referenten nach München zu locken, und diese versuchen werden, die eigenen Positionen mögli~hst geschickt zu vermitteln. Jochen Zimmer (Triel')