T V H E R U M S C H A LT E N , W I E D E R H O L U N G , S E L B S T B E Z U G Maren Lickhardt 2 0 Z ufällig halte ich das »Journal Frankfurt« in den Händen. Ein Relikt aus vergangener Zeit, ein materielles, auf Papier gedrucktes Programm von 32 Fernsehsendern vom 2. Juni 2017. Obwohl ich als ehemalige Fernsehsüch- tige seit etwa einem halben Jahr kein TV mehr gesehen habe, erkenne ich natürlich noch alles wieder. Kann man aber nun noch oder wieder ohne Net- flix leben? Man könnte – vielleicht – dank Tele 5, Pro 7 und eines ausgefeilten Plans, wann umgeschaltet werden sollte. Zwischen 12 und 18 Uhr laufen auf den 32 Sendern grob folgende Formate: Nachrichten; Nachrichtenmagazine; Unterhaltungsshows; Doku-Fiktion oder Scripted-Reality-Shows; Serien, die nach Kitsch und/oder Heimeligkeit und deutscher Eigenproduktion klingen; Dokumentationen und Reportagen; Lo- kalsendungen; Sportübertragungen; Zeichentrickserien; politische Talkrunden; Teleshopping; Spielfilme und die vermaledeiten Zoosendungen »Nashorn, Zebra & Co« (BR), »Elefant, Tiger & Co« (MDR). Ich lehne mich sicherlich nicht sehr weit aus dem Fenster, wenn ich ver- mute, dass vor allem Kinder und Rentner am Nachmittag fernsehen. Beim Stichwort ›Arbeitslosen-TV‹ wäre ich weit vorsichtiger, es sei denn, man geht von der plausiblen Annahme aus, dass Arbeitslosigkeit unter den besten Ge- schmäckern vorkommen kann. Denn auf mich macht es den Eindruck, als sei das Programm aktuell etwas vielschichtiger als in den späten 90er und frühen Nullerjahren. Abgesehen davon, dass es mehr Sender gibt, scheinen sie auch auf unterschiedlichere Konzepte zu setzen als zu meiner Schul- und POP. Kultur und Kritik ◆ Heft 11 Herbst 2017 ◆ S . 20–28 ◆ © transcript Studienzeit, in der man zunächst auf vielen Sendern fast ausschließlich alte und neue amerikanische Serien sehen konnte – das war noch toll, und eine besonders schöne Schulschlusskombination war »Trapper John MD«, »Star Trek« und »Chicago Hope« auf Sat.1 – und dann nur noch Talk-Shows, die zunehmend trashiger wurden – und trashig ist hier ausnahmsweise wirk- lich negativ gemeint! Jetzt haben sich gerade die privaten Sender aber wieder mehr oder weniger aufgerichtet: Comedy Central bietet am Nachmittag ein paar Folgen »Ameri- can Dad«; Kabel 1 hat mit u.a. »Cold Case«, »Castle« und »Navy CIS« ein durchaus erträgliches Programm; Pro 7 bringt etwa zur gleichen Zeit u.a. »How I Met Your Mother«, »Two and a Half Men« und »The Big Bang Theory«. Mit »Big Bang Theory«, einem echten Highlight der Fernsehunter- haltung, glänzt Pro 7 und liefert zugleich den Metakommentar zum Pro- gramm von Tele 5, denn dieser Sender bringt nach einer Dauerwerbesendung, die verzeihlich ist und die man als Zeichen der Wertschätzung des folgenden Programms vielleicht sogar mal zur Kenntnis nehmen sollte, »Star Trek: Voya- ger«, »Star Trek: The Next Generation« und »Star Trek: Deep Space Nine«. Das ist echtes Quality TV. Die meisten der guten Serien kann man natürlich genauso gut auf Netflix schauen, und dann eben noch länger am Stück oder zeitlich variabel, aber der Nachmittag ist auch ohne das gerettet: Um 12 Uhr empfehle ich aus Sym- 2 1 pathie mit Tele 5 die Dauerwerbesendung. Man könnte dann aber auch mal zu »How I Met Your Mother« auf Pro 7 zappen. Das kommt darauf an, wer gerade mehr nervt: die Dauerwerbesendung oder Lily Aldrin. Ab 13:10 Uhr empfehle ich durchaus »Castle« auf Kabel 1 bis 14 Uhr. Dann hat man zwar zehn Minuten »Two and a Half Men« auf Pro 7 verpasst, aber man sollte tatsächlich das Ende einer Krimi-Serie dem Beginn einer Screwball-Comedy vorziehen. So viel Syntagma muss auch in der Popkultur noch sein. 14:50 Uhr ist dann der richtige Moment, um »American Dad« auf Comedy Central zumindest punktuell einzubeziehen. Aber um 15:10 geht »Star Trek« auf Tele 5 los. Bis hierhin hat man das Zappen gut im Griff, doch ab 15:35 Uhr gerät man in eine leichte Krise, weil sich nun ausgerechnet »Big Bang Theory« auf Pro 7 und »Star Trek« auf Tele 5 überschneiden. Ab diesem Zeitpunkt wäre ich sehr für einen Split-Screen, der dann sogar noch im Vergleich zum Zappen in erhöhtem Maß Multitask-Fähigkeiten trainieren würde. Wenn um 17 Uhr »taff« auf Pro 7 beginnt, hat der Zwiespalt ein Ende, und man kann in Ruhe »DS9« auf Tele 5 schauen … Nicht-Junkies stellen sich das möglicher- weise stressig vor, was es eigentlich gar nicht ist, aber wenn man es ruhiger angehen lassen möchte, reicht auch ein solider Mix aus Pro 7 und Tele 5 allein, um einen Nachmittag vor dem Fernseher zubringen zu können. Selbst Nicht- Serienjunkies brauchen den grippalen Infekt nicht zu fürchten, der sie spätes- tens vor den Fernseher zwingen wird. Die Prime-Time 20:15 Uhr gehört auf 13 Sendern noch dem Reich der Fiktion. Angesichts der Tatsache, dass auch die Programme von N-TV oder Eurosport im »Journal Frankfurt« aufgeführt werden, eine erstaunlich und erfreulich hohe Quote. Das Journal empfiehlt zu dieser Zeit u.a. Quentin Tarantinos »Jackie Brown« auf RTL 2. Da ich zwar kein besonderer Fan von Tarantino, aber dafür eine Freundin von Wiederholungen bin, hätte ich diesen Film am 2. Juni definitiv geschaut. Natürlich braucht man regelmäßig einen gewissen Prozentsatz neuer Angebote, aber als solide Basis geht nichts über Altbe- kanntes: zu wissen, wie es weiter- oder ausgeht, sich den kleinsten Details zuwenden zu können, Dialoge auswendig zu kennen und lieb gewonnene Figuren wiederzusehen. Letzteres birgt Spuren eines parasozialen Nutzungsverhaltens, das die Jun- kies möglicherweise ein bisschen mehr auszeichnet als andere, aber wir sind schließlich alle mehr oder weniger in der Welt der Fernsehfiktion groß gewor- den und gehen auf diese semi-fiktionalen Familientreffen vielleicht lieber als auf die realen. Und so sehen wir auch im Nachprogramm alte Bekannte wie- der, nämlich »Monk« auf ZDF, »Seinfeld« und Kenny (»South Park«) auf Comedy Central und »Dexter« und Hank Moody (»Californication«) auf Tele 5. Am Ende des Tages würde ich sagen, dass Tele 5 das Rennen macht, ganz knapp gefolgt von Pro 7, wenn ich die Sender ranken sollte. 2 4 Man muss aber, so wie ich, Wiederholung schon sehr zu schätzen wissen, um das wirklich goutieren zu können. »Monk« und »Star Trek« sind von den Sendern herumgereicht und auf unterschiedlichen Sendeplätzen schier un- endlich wiederholt worden. – »Star Trek: The Original Series« erlangte in den USA erst in den 70er Jahren durch permanente Wiederholungen seine große Beliebtheit, nachdem die Produktion 1969 eingestellt worden war. – Von August 2014 bis Juli 2015 wurden 171 Folgen von »Big Bang Theory« insgesamt 2265 Mal auf Pro 7 gezeigt, und jetzt sind wir nur gut 50 Folgen, aber über 700 Sendetage weiter. Die Wiederholungsrate der Serie bringt es mit sich, dass die einzelnen Folgen aus den ersten Staffeln schon viele dutzend Male gezeigt worden sind. Obwohl es unwahrscheinlich ist, eine Folge zum ers- ten Mal zu sehen, verfügen sie stets über eine absolut passable Einschaltquote. Das Fernsehen bietet eine unglaublich opake, selbstreferentielle Endlos- schleife des schon Gesehenen und des aufeinander Verweisenden. Das Schöne ist aber, dass Fernsehen eine rituelle Handlung darstellt und wie alle rituellen Handlungen von repetitiven Strukturen lebt, die den Tag oder die Woche gliedern. Innovation ist zwar ein entscheidendes Stichwort in der Unterhal- tungskultur, was man bereits am Roman des 17. Jahrhunderts sehen kann. Aber wie auch bei diesem kann lange von einem etablierten Muster gezehrt werden. Wir möchten in unserem Zuhause die Dinge wiedererkennen und uns leicht orientieren können, und da findet Fernsehen nun mal statt. Darum liegt die Wiederholungsstruktur nahe. Den Beweis dafür liefert die Tatsache, dass es die Privatsender sind, die in die Endlosreproduktion gegangen sind, denn die leben von der Einschaltquote (der Faktor Produktions- und Lizenzkosten sei hier mal außer Acht gelassen). Da wir »Big Bang Theory« so gut kennen, macht es nun auch nichts, wenn wir mittendrin einschalten oder doch noch ein paar Telefonate erledigen, denn ein Baby-Lachen von Sheldon, ein »Marvel«-Spruch oder ein »Star Trek«-Witz reichen völlig, damit wir uns wohlfühlen im vertrauten Fernseh- Universum. Darum stellt Zappen gerade für echte Junkies (man könnte auch sagen: Connaisseure) keinen Stress dar. Fernsehen setzt im Gegensatz zum Kino selten auf immersive Effekte, deshalb können Serien auch während des Bügelns rezipiert werden. Es ist gerade so viel Zuschauerbindung nötig, dass die richtige Waschmittelwerbung gesehen werden kann, die der Soap ihren Namen verliehen hat. Je mehr man fernsieht und je häufiger man Wieder- holungen gesehen hat, umso eklektischer kann man darüber verfügen, umso mehr kann man aus dem gesamten Programmangebot ziehen. Dennoch wird sich die selbstreferentielle Schleife nicht endlos reproduzieren können, muss auch immer mal wieder ein Akzent gesetzt, ein Redeanlass, eine Szene gemein- samer Aufmerksamkeit geliefert werden. So etwas ist mir beim Studieren des Fernsehprogramms aber nicht ins Auge gefallen. Das ZDF hatte da mal eine Idee, die man als Metakommentar zum be- schriebenen Zustand betrachten kann, weil auf satirisch-witzige, reflexive Weise 2 5 Altes erneuert, Vertrautes verfremdet wurde. In der Serie »Lerchenberg« wur- de ästhetisch ausbuchstabiert, was Fernsehunterhaltung ohnehin auszeichnet: Reproduktion und Selbstreferentialität. Der ehemalige Dr. Udo Brinkmann der »Schwarzwaldklinik« bzw. Chefsteward Victor des »Traumschiffs« – das fiktive Pendant Thomas Gottschalks, denn bei der Serie handelt es sich um eine der erfolgreichsten Produktionen des ZDFs aus den 80er Jahren im fiktionalen Bereich –, also Sascha Hehn spielt sich selbst als ab gehalfterte Diva. Damit holt das ZDF metafiktional den populärkulturellen Status des Darstellers in die Fiktion hinein, der Sender spielt mit seinem eigenen früheren Erfolg. Mehr noch geschieht dies durch die Titelgebung. Nicht nur Mainzer und Eingeweihte dürften den Lerchenberg kennen, also den Stadtteil, in dem das ZDF seinen Sitz hat, denn mindestens im beliebten ZDF-»Fernsehgarten« gingen die Grüße der Familienshow an die Zuschauer*innen nicht vom ZDF oder von Mainz aus, sondern vom (Mainzer) Lerchenberg. Wenn eine Serie in einer Sendeanstalt spielt und Produzent*innen, Drehbuchschreiber*innen und Schauspieler*innen die Hauptdarsteller*innen spielen, ist das immer reflexiv und metafiktional. In »Lerchenberg« wird dies jedoch noch gesteigert, indem der konkrete eigene Rezeptionsraum eingeholt und mit dem Wiedererkennen gespielt wird. Das ZDF hat sich bezeichnender- weise anlässlich seines 50. Geburtstags dieses Denkmal – oder ein weiteres mehr – gesetzt, indem es die eigene Geschichte selbstreferentiell wiederholt. Angesichts dieser Serienidee, die leider nur acht Folgen hervorgebracht hat, fühlt man sich auch wieder mit der GEZ-Gebühr versöhnt, denn, wie das Fernsehprogramm vom 2. Juni 2017 lehrt, liefern eigentlich nur die privaten Sender einen Grund, den Fernseher überhaupt noch einzuschalten. Was bleibt, wenn Geld oder Geduld fehlen, um gute Eigenproduktionen zu gestalten? Man könnte das Prinzip der Reproduktion und Selbstreferentialität mit einer erneuten Wiederholung von »Remington Steele« potenzieren, derer es in den letzten Jahren keine gegeben hat. In dieser Serie aus den 80ern erfin- det sich die Privatdetektivin Laura Holt, gespielt von Stefanie Zimbalist, einen männlichen Chef, der so ideal ist, dass kein Mann ihm gewachsen sein könnte. Daran muss sich nun die Figur abarbeiten, die von Pierce Brosnan gespielt wird und die diese Identität in der ersten Folge stiehlt. Die Serie durchzieht die Frage, wer er denn nun wirklich ist, und die Pointe besteht darin, dass er es schlicht nicht weiß, dass er als Waisenkind noch nicht einmal seinen echten Namen kennt und immer nur Rollen in seinem Leben gespielt hat. Es gibt kein authentisches Substrat hinter der Rolle des Remington Steele. Der Darsteller Pierce Brosnan spielt einen Darsteller, als dessen realste Existenz sich letztlich der fiktive Remington Steele erweist. Steele ist deshalb ein guter Detektiv, weil er die Fälle mit seinem Film- wissen lösen kann. Ihm fällt pro Folge mindestens ein Hollywood-Klassiker 2 8 ein, dessen Erscheinungsdatum, Produktionsfirma, Regisseur und Hauptdar- steller*innen er benennt, um dann die Fernseh-Kriminalhandlung im Spie- gel des Kinos zu deuten. Das kann deshalb geschehen, weil sich die Serie pro- duktiv Kino-Klischees zunutze macht und der jeweilige Plot, die Kulisse, das Figuren arsenal aus diesen aufgebaut ist. Daneben ranken sich aber auch zahl- reiche Fälle um die Welt des Fernsehens, der Werbeproduktionsfirmen etc. Wiederholung und Selbstreferentialität at its best. Popmoderner geht’s nicht. Doch noch popmoderner wäre es, diese Serie nun wieder in eine Wieder- holungsschleife zu schicken. Wenn das geschieht, bestelle ich Netflix für eine gewisse Zeit ab. ◆