92 Markus Burbach „Ich hätte das überhaupt nie anfangen dürfen!" Geliebte Schwestern Seriendaten (Personendaten zu Beginn der Serie): Produzent: Ludwig zu Salm; Producer: Malcolm Thomson; Chefautor: Jörg Reiter; Leitender Kameramann: Manfred Scheer; Leitender Regisseur: Rainer Ficklscherer; Darsteller: Annette Schreiber (Ronnie Fritz), Xenia Seeberg (An- gie Wilhelm), Florentine Lahme (Karen Stember), Mareike Fell (Michaela Beck), Jaqueline Kiske- rie (Nadine Kramer), Ludwig Schütze (Georg Steinfeld), Franziska Grasshoff (Sarah Steinfeld), Ingo Schmoll (Markus Steinfeld), Patrick Gräser (Janosch Steinfeld), Ivonne Schönherr (Raffaela Steinfeld), Doris Plenert (Frieda Beck), Wolfgang Müller (Anton Beck), Daniel Hartwig (Tommy Beck), Johnny Müller (Paolo Vicari), Lilia Lehner (Lara Zapf), u.a.; Szenenbild: Bernd Gaebler; Kostümbild: Manuela Nierzwicki; Redaktion SA T. l: Bettina Pfändner, Dirk Eisfeld; Eine Pro- duktion der Columbia Tri Star Film und Fernsehen Produktions GmbH für SA T. l Fernsehen. Fol- genanzahl: 240 (2. Juni 1997 - 15. Mai l 998). Kurzbeschreibung: ,,Ronnie, Micki, Angie, Karen und Nadine sind Schwesternschülerinnen in ei- nem Krankenhaus in Berlin und ihr Job ist es, anderen Menschen zu helfen. Die High-Stress-Kulisse der Klinik macht die Freundinnen stark. Dort lernen sie das „wahre" Leben von seinen alltäglichen und unmöglichen Seiten kennen: Wo Menschen Tag und Nacht zusammenarbeiten, kommt es zwangsläufig zu Beziehungen, die weit über das Berufliche hinausgehen. Ehrgeiz und Neid, erotische Abenteuer, gefährliche Leidenschaften, Fun und Frust - die Dramen der Berufswelt erlebt die Clique hautnah - manchmal sogar mit der intensiven Erfahrung, an eigene Grenzen zu stoßen. Für die eine ist das Akademische Hospital Sprungbrett für ein Leben als Arztgattin, für die anderen ist es Zwi- schenstation auf dem Weg zum Medizinstudium oder fast schon das Ziel. Doch mitten in der Metropole Berlin gibt es nicht nur den Krankenhausalltag. Wenn nach dem harten Dienst die weißen Kittel auf den Bügeln hängen, stürzen sich die fünf lebenslustigen Girls ins Großstadtleben - jede auf ihre Art... "1 l Inhaltsangabe aus dem SA T. l-Presse-lnfo zur Serie. Burbach: Geliebte Schwestern 93 1. Deutsche Daily soap Operas Als jüngste Daily soap des deutschen Fernsehens startete SAT.1 am 2. Juni 1997 Geliebte Schwestern. 2 Diese Serie ist, nach den erfolglosen Wagenfelds, der zweite Versuch des kommerziellen Senders, eine eigenproduzierte Endlos- Serie zu etablieren. Gerade für das werbestrategisch umkämpfte sogenannte „Vorabendprogramm" (bis 20 Uhr) scheint die Daily soap aus ökonomischen Gründen besonders wichtig: In einer Zeit, in der Fernsehsendungen, unter an- derem auch Serien, aus den Programmen der kommerziellen Sender entfernt werden, weil sie ein zu ,altes' Publikum ansprechen, das für die Produktwer- bung wenig gewinnbringend zu sein scheint, 3 ist die Daily soap ein Format, das dauerhaft ein ,junges" Publikum zu binden vermag.4 Fragen nach der ästheti- schen Qualität treten dabei zunächst in den Hintergrund. Die Serie erfüllt ihren Zweck, wenn sie möglichst viele Zuschauer (der angepeilten Zielgruppe) an bestenfalls allen Ausstrahlungsterminen zum Einschalten veranlaßt. Der von den Programmverantwortlichen erwartete Marktanteil für Geliebte Schwestern lag bei mindestens 13 Prozent, erreicht wurden jedoch durchschnittlich zwi- schen 6 und 8 Prozent.5 Das primäre Ziel wurde also nicht erreicht. Das er- scheint bei oberflächlicher Betrachtung unverständlich, da sowohl Daily soaps, die einen auf junge Menschen zugeschnittenen Lifestyle präsentieren und ihre Themen aus dem nahezu unerschöpflichen Reservoir zwischenmenschlicher Emotionen schöpfen, als auch Krankenhaus- oder Arztgeschichten meistenteils recht erfolgreich sind. Die Gründe für das schlechte Abschneiden der Geliebten Schwestern in der Zuschauergunst mögen vielfältig sein, von der Darstel- ler(innen)leistung bis hin zu Konkurrenzangeboten anderer Sender zur gleichen Sendezeit. Doch auch bei einer Serie, der ein „Mangel an Tiefgang"6 attestiert wird, ist es m. E. wichtig, sich zunächst die Struktur, ihren Aufbau, die Themen und möglichen Wechselwirkungen von Format und Inhalt vor Augen führen, 2 Die weiteren deutschen Daily soaps: Gute Zeiten, Schlechte Zeiten (RTL), Verbotene Liebe (ARD), Marienhof(ARD), Unter uns (RTL), Alle zusammen, jeder für sich (RTL2, abgesetzt), Jede Menge Leben (ZDF) (abgesetzt), Die Wagenfelds (SAT.I) (abgesetzt). 3 Z.B. setzte SAT.l aus eben diesen Gründen die Serie Bergdoktor, die Spiel- und Dauerwerbe- show Glücksrad und die Sendung Bitte. melde Dich 1, in der vermißte Personen gesucht wur- den, ab. 4 Gute Zeiten, Schlechte Zeiten konnte seit Mai 1992 (bisher über 1500 Folgen) die Zuschauer- zahlen kontinuierlich steigern (Quotenrekord: 6,25 Mio. Zuschauer am 26.01.1998). Auch Ma- rienhof (3,44 Mio./16,5% Marktanteil), Unter uns (2,38 Mio./15,7%) und Verbotene Liebe (3,23 Mio./18, 1% ) sind Quotenerfolge. (Zahlen laut TV-Movie, Nr. 11/98, S. 20). 5 Vgl. ,,Tic-Tac-Tussis in Karbol" in: Der Spiegel, 26/1997, S. 182 6 Vgl. Arnu, Titus „Sex und Spaß allein reichen nicht" in: Süddeutsche Zeitung v. 12.01.1998 94 Augen-Blick 28: Die weiße Serie um verstehen zu können, wie sie funktioniert und worin ihre Eigenart besteht. Im Fall der Geliebten Schwestern kann durch eine solche Analyse gezeigt wer- den, daß möglicherweise bereits die Vorgabe, eine Daily soap Opera im Kran- kenhausmilieu anzusiedeln, ein wesentlicher Aspekt ihres Scheiterns ist. Geliebte Schwestern findet Eingang in eine Überblicksdarstellung zu Kran- kenhausserien im deutschen Fernsehen, weil sie die einzige täglich ausge- strahlte Serie ist, die in diesem Milieu spielt und sich sowohl in der Figuren- konstellation als auch durch die Hauptprotagonisten als solche ausweist. An- hand einer genauen Analyse von fünf Folgen7 und ihrer Einbettung in den gesamten Serienfluß soll gezeigt werden, inwiefern die charakteristischen Ele- mente der Krankenhausserie in dieser Daily soap eine Rolle spielen und worin sie sich von anderen Krankenhausserien unterscheidet. Neben der Interpretati- on der Analyseergebnisse in serientheoretischer Hinsicht, können dann auch Schlüsse über die Gründe der nicht allzu großen Akzeptanz der Geliebten Schwestern beim Publikum gezogen werden. 2. Lifestyle-Soap und Krankenhausserie 2.1 Lifestyle-Soap Die täglichen Serien weisen Gemeinsamkeiten auf, die sie als Daily soaps un- verkennbar machen. Dazu zählen nicht nur ihre typische Struktur mit der zopfartigen Verflechtung der Handlungsstränge, die immer wiederkehrenden, wenigen Schauplätze, der weitgehende Verzicht auf Aufnahmen außerhalb der Kulisse oder die spezifische Farb- und Kontrastästhetik, die aus der videotech- nischen Herstellung und den damit verbundenen Zwängen der Ausleuchtung herrührt. Auch die aus Kostengründen spärliche Requisite, die einfach gestal- teten Szenenbilder und die Besetzung der Rollen mit weitgehend unbekannten Darstellern (o ftmals Laien) sowie die vorherrschende Verwendung von Halb- nah- bis Großeinstellungen mit zumeist unbewegter Kamera können als Merk- male der schnell produzierten und potentiell endlosen Seifenoper angesehen werden. 8 Die Auswahl der Themen einer Soap Opera ist letztendlich den Re- 7 Untersucht wurden die Folgen 137 bis 141, die von Donnerstag, 11.12. bis Mittwoch, 17.12.1997 jeweils um 19.00 Uhr ausgestrahlt wurden. 8 Eine solche Aufstellung evoziert beim Leser zumeist den Eindruck, ihr liege eine negative Wertung zugrunde. Der Verfasser legt Wert darauf, daß diese Aufzählung lediglich eine kurze Beschreibung der Charakteristik einer Daily soap ist, woraus ohne Ansehen des konkreten Pro- dukts keine qualitative Wertung abzuleiten ist. Burbach: Geliebte Schwestern 95 geln des Melodrams verpflichtet: Sie sollten sowohl der Erfahrungswelt des Zuschauers angenähert sein als auch zur vereinfachenden Emotionalisierung taugen. Dem Melodram ist zudem eine Schicksalsgläubigkeit inhärent, die die Fülle von Ereignissen und die Verquickung von Personen und Geschehnissen möglich, wenn auch nicht immer plausibel macht und sich in der immer wieder beim Zuschauer aufkommenden Verwunderung ausdrückt, wie einem Men- schen, also einer Daily soap-Figur, so viel in so kurzer Zeit widerfahren kann. Mit dem Verweis auf „das Schicksal" ist es möglich, diese Anhäufung von Er- eignissen für den Rezipienten akzeptabel zu machen. Die deutschen Daily soaps haben über die eben beschriebenen Elemente hinaus die Präsentation eines bestimmten Lebensstils und -gefühls gemeinsam. Die Hauptfiguren sind zumeist junge Frauen und Männer, die ihr Leben selbst gestalten, nur für sich selbst verantwortlich scheinen, sozusagen auf eigenes Risiko leben. Für ihr oftmals junges Alter erscheinen sie sehr selbständig, weltgewandt, manchmal auch altklug. Obwohl die Figuren etlichen Schicksals- schlägen ausgesetzt sind, so ist dennoch stets eine grundsätzliche Lebensfreude spürbar, die sich in der Fähigkeit ausdrückt, trotz allen Unbill des Lebens den Augenblick zu genießen. Sie sind von ihren Berufen nie übermäßig stark belastet und haben zuweilen erstaunlich viel Zeit. Ebenso ist die finanzielle Situation der Protagonisten nie wirklich existenziell bedrohlich, denn obwohl die Figuren ab und an betonen, sie wären pleite, so tragen sie dennoch Markenkleidung und müssen auf den Drink in ihrer Diskothek oder ihrem Club nicht verzichten. In dem auf diese Weise weit aufgespannten Rahmen kann sich dann die melodramatische Handlung voll entfalten. Dazu behelligen und belasten sich die Figuren ständig und ohne jede Umschweife gegenseitig mit ihren Emotio- nen und Ängsten. Sie kehren ihr Innerstes nach außen, ohne letztlich wirklich länger als zwei oder drei Handlungstage durch die jeweilige Problematik in ih- rer Lebensführung beeinträchtigt zu sein. Der nächste Moment des puren Le- bens, der ausgekostet sein will, läßt nicht lange auf sich warten. Es geht also weniger um die Darstellung konkreter Probleme, vielmehr wird dem Zuschauer ein Lifestyle präsentiert, der aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Aus- leben glücklicher Momente, die ungeachtet der momentanen schicksalshaften Verquickungen genossen werden, und einer extravertierten Innerlichkeit, die die eigenen emotionalen Bedürfnisse permanent betont, entsteht. Man könnte also sagen, daß das Format „Daily soap" in den Rezeptionserwartungen mit ei- ner bestimmten Szenerie, oder besser: einer bestimmten Atmosphäre verbun- den ist. Wir haben es bei einer Daily soap gleichsam mit einer Verquickung von Format und Inhalt zu tun: Das Format trägt bereits ein narratives Element 96 Augen-Blick 28: Die weiße Serie in sich. Entscheidet man sich für das Daily soap-Format, so entscheidet man sich auch für eine bestimmte Atmosphäre. Da die Lifestyle-Präsentation im Vordergrund steht, soll hier von einer „Lifestyle-Atmosphäre" gesprochen werden. Wie sind in diesem Zusammenhang die Geliebten Schwestern einzuordnen? Die im Mittelpunkt der Darstellung stehenden Schwesternschülerinnen prakti- zieren unverkennbar den oben beschriebenen Lifestyle. Sowohl ihre äußere Er- scheinung als auch das sie umgebende Ambiente in den privaten Unterkünften und die Musik-Bar „Tiefentals", in der die außerklinischen öffentlichen Kon- takte stattfinden, sind diesem Lebensgefühl entsprechend: Bunte Kleidung mit groß aufgedruckten Produktlogos, Plateauschuhe, Frisuren aus den 70er Jah- ren, Fransen-Mäntel usw. Und auch bestimmte Verhaltensgrundzüge gehören zu diesem Lifestyle des „Jung-Glücklich-Spaßhaben-Aktivsein": Es wird fast ausschließlich Cola getrunken, Rauchen ist verpönt, Streetball dagegen ange- sagt und anderes mehr. Die Handlung der Serie spielt in den untersuchten Folgen zu 54,8% außer- halb der Klinik, wo Probleme mit der Arbeit, mit Patienten, Vorgesetzten u.ä. keine Rolle spielen. Und selbst im Hospital handeln die Geschichten zumeist von den privaten Sorgen und Nöten der Figuren. Ja mehr noch, auf den Klinik- alltag mit Schichtwechsel o.ä. müssen die Figuren so gut wie nie Rücksicht nehmen, denn sie können, so hat es den Anschein, gehen, wann sie wollen. In ihren Gesprächen kommen die Protagonistinnen schnell auf den Punkt. Sie sa- gen, wie sie sich fühlen und was sie voneinander halten. Dabei werden Zwei- deutigkeiten vermieden, klare Aussagen und kurze Sätze dominieren. Weder der Ort noch die aktuelle Szenerie haben auf den Gesprächsinhalt einen Ein- fluß. Der explizite und offene Ausdruck von Freude, Angst oder Zweifel scheint nie am falschen Ort oder zur falschen Zeit stattfinden zu können. Immer und überall sind verbale Emotionsbeschreibungen und -äußerungen möglich und auch anzutreffen. Primär handelt es sich bei Geliebte Schwestern vor allem um eine typische Daily soap mit Lifestyle-Atmosphäre. 2. 2 Krankenhausserie Die Elemente, die charakteristisch für eine Krankenhausserie sind, wurden be- reits im Einführungstext dieses Bandes dargestellt und sollen hier nicht wieder- holt werden. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Serie Geliebte Schwe- stern, die, wie oben gezeigt, durch ihr Format und ihre Gestaltung eine Lifes- tyle-Atmosphäre besitzt, ebenfalls Elemente des Genres Krankenhausserie Burbach: Geliebte Schwestern 97 aufweist und wenn ja, welche Wechselwirkung diese Elemente mit emer Lifestyle-Atmosphäre haben. Zunächst fällt auf, daß die Protagonisten nach Klischees gestaltet sind, die den Zuschauern aus anderen Arzt- oder Krankenhausgeschichten vertraut sind: Die Oberschwester (hier: Schulschwester Melanie Kraft) ist streng und un- freundlich, hat aber letztlich ein gutes Herz; der Chefarzt (Georg Steinfeld) ist ein graumelierter Mann von Welt mit einer großen Wirkung auf Frauen und natürlich ein unumstrittener Fachmann in medizinischen Fragen; ein Sohn des Chefs (Jannosch Steinfeld) ist ebenfalls ein tüchtiger Arzt im gleichen Hospi- tal; der einzige männliche Krankenpfleger ist Robert, den alle gern haben. Wer denkt bei dieser Konstellation nicht an die Schwarzwaldklinik?9 Auch das Zeichen- und Symbolrepertoire der Krankenhausserie wird in Geliebte Schwestern genutzt, so daß neben den weißen Kitteln der Schwestern und Ärzte auch medizinisches Gerät zu sehen ist. Jedoch ist die Ausstattung des Akademischen Hospitals eher spartanisch, hat vielmehr verweisenden Cha- rakter. Ein einsames Mikroskop auf einem Schreibtisch wird zum Forschungs- platz eines Arztes und der Operationssaal weist außer der vierstrahligen Dek- kenleuchte, einer hängenden Infusionsflasche und einem Oszillographen keine weitere Technik auf. Kranke, die nicht unmittelbar in einen Handlungsstrang involviert sind, erscheinen so gut wie nie und hektisches Treiben auf den Kli- nikfluren, wie es aus anderen Krankenhausserien bekannt ist, wird hier nicht gezeigt. Ein .Krankenhausleben, so ist zu schlußfolgern, gibt es in Geliebte Schwestern nicht, und auch der Tod, immer mitschwingendes Motiv einer Krankenhausserie, wird in der Darstellung weitgehend vermieden. Dennoch suggerieren das Ambiente und die Berufe der Protagonisten dem Zuschauer, er bekäme ein Stück Krankenhausalltag geboten. Fernsehserien sind oftmals um einen abgegrenzten sozialen Ort angelegt, in dessen Mittelpunkt die Hauptakteure stehen. Diese zentralen Figuren sind zu- meist Personen, die sich im Blickpunkt des öffentlichen Interesses befinden oder Positionen bekleiden, die sie von der Masse der anderen Figuren abheben: Pfarrer, Lehrer, Bürgermeister, Tier- und Humanärzte, Wirte, aber auch Polizi- sten, Staatsanwälte oder Industrielle. Um diese Figuren herum lassen sich etli- che andere Charaktere gruppieren und die unterschiedlichsten Geschichten er- zählen. Obwohl sich manche Themen in einer bestimmten sozialen Umgebung 9 Diese Personenkonstellation ist übrigens so alt wie die Krankenhausserie selbst: Der Chefarzt der Klinik des tüchtigen ,,Assistenzarztes Dr. Kildare" ist fachlich über jeden Zweifel erhaben; Kildares Vater ist ebenfalls Arzt; die Oberschwester ist eine ältere, mißgelaunte Frau, alle wei- teren Schwestern sind hübsch und liebenswert, der einzige Mann in niederer Position ist ein Sanitäter, den alle recht gern haben ... 98 Augen-Blick 28: Die weiße Serie schlüssiger und glaubhafter erzählen lassen als in anderen, so haben diese Seri- en doch eines gemeinsam: In ihnen wird ein Ort der Handlung mit entspre- chenden Hauptfiguren gesetzt, an dem sich wahrscheinlicherweise Menschen unterschiedlicher Art treffen können. So entstehen „Soziotope" unterschiedli- cher Art, und das wohl am breitesten angelegte Soziotop ist das Krankenhaus. Jeder Mensch, ob arm oder reich, jung oder alt, ob mehr oder weniger intelli- gent, wie auch immer, jeder Mensch wird einmal krank, könnte es zumindest werden. Auf eine zu konstruierende Erzählung bezogen heißt das, eine gerade- zu unbegrenzte Variationsbreite der Gestaltung zu haben. Kein Mietshaus, kein Pfarr- oder Bürgermeisteramt und keine Schule bieten solche Möglichkeiten. Der oben eingeführte Begriff der Atmosphäre läßt sich auch auf diese Seri- engenres anwenden: man kann zwischen Kirchenserien-Atmosphäre, Schulseri- en-}\tmosphäre, Wirtshausserien-Atmosphäre usw. unterscheiden. Diese Atmo- sphären entstehen vor allem durch die immer wieder verwendeten Symbole und Zeichen, die uns mit geringsten Mitteln zu verstehen geben, wo wir uns befin- den, und somit auch das Verhalten der Figuren untereinander plausibel ma- chen. Die Krankenhausserien-Atmosphäre entsteht nicht nur durch die Gestal- tung des Handlungsortes als Klinik mit langen Fluren, funktioneller Einrich- tung, lnfusionsflaschen, Notarztwagen und rollbaren Krankenbetten und die Präsenz von Menschen in weißer Dienstkleidung, sondern ebenso z.B. durch hektisches Treiben in den Fluren oder die stete Anwesenheit von Patienten in Morgenmänteln. Eine so gestaltete Serie ruft nun beim Zuschauer eine ganz be- stimmte Rezeptionshaltung hervor, die sich dadurch auszeichnet, daß alles zu jeder Zeit geschehen kann. Die schrecklichsten Folgen eines Unfalls sind eben- so möglich wie das glückliche Ereignis einer Geburt oder die plötzliche Hei- lung eines Schwerkranken. Es gibt keinen anderen überschaubaren Ort mit überschaubarem Personal, an dem so viel Unterschiedliches mit allen denkba- ren extremen Auswirkungen, insbesondere emotionaler Natur geschehen kann, wie im Krankenhaus. Gerade diese Unvorhersagbarkeit eines plötzlich eintre- tenden Ereignisses, die Möglichkeit, prinzipiell jede denkbare Situation überra- schend und dennoch plausibel zu jedem Zeitpunkt einführen zu können, macht das Element der Krankenhausserien-Atmosphäre aus, das sie von allen anderen Serienatmosphären unterscheidet. Aufgrund dieser atmosphäre-immanenten ,Potentialität' ist das Setzen verschiedenster Themen möglich, deren weitere Verarbeitung dann wieder den Regeln der Glaubwürdigkeit der Handlungsfüh- rung und -gestaltung unterliegt. Geliebte Schwestern bedient sich wesentlicher Elemente der Kranken- hausserie, von der Klinikpersonalgestaltung, die an die Schwarzwaldklinik er- innert, bis hin zur Ausstattung mit medizinisch-technischem Gerät. Dadurch Burbach: Geliebte Schwestern 99 ruft diese Serie beim Zuschauer ein spezifisches RezeptionsmusterlO auf, das nicht nur die allgemeinen Elemente der Serienkonvention beinhaltet, sondern die spezielle Erwartungshaltung gegenüber einer Krankenhausserie evoziert. 2. 3 Geliebte Schwestern - der Versuch einer Genre-Mischung Geliebte Schwestern kann als Versuch betrachtet werden, zwei erfolgreiche Genres der Fernsehserie miteinander zu verbinden. Das eine, die Lifestyle- Soap, hängt mit dem Format der Daily soap zusammen, das andere, die Kran- kenhausserie, beinhaltet neben der typischen Ausstattung wesentlich das Ele- ment der Potentialität. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich folgende These: In der Daily soap Geliebte Schwestern treffen zwei Serienatmosphären aufeinan- der, die in einem Kontrast zueinander stehen, sich also nur schwer miteinander vereinbaren lassen. Die Krankenhausserien-Atmosphäre entsteht in Geliebte Schwestern vor- dergründig im Ambiente und den Professionen der Figuren. Da aber inhaltlich sowohl auf der medizinisch-technischen als auch auf der existentiell- gesundheitlichen Ebene kein Schwerpunkt liegt, tritt das Krankenhaus mit sei- nen Möglichkeiten der Handlungsgestaltung (z.B. als Soziotop mit der Mög- lichkeit der Gestaltung unterschiedlichster Geschichten) in den Hintergrund. Verstärkt wird dieser Verzicht durch das Hervorheben der zweiten Atmosphä- re, der Darstellung des Lifestyles von Teens und Twens, die die gesamte Serie prägt. Hierin unterscheidet sich Geliebte Schwestern nicht von anderen Daily soaps wie Marienhof Verbotene Liebe, Gute Zeiten, Schlechte Zeiten oder Unter uns. Es geht eben nicht um Krankheiten, die Bergung und Versorgung von Verletzten und erst recht nicht um Heroen des Alltags. Hier setzt niemand sein Leben aufs Spiel, um anderen zu helfen und Überstunden werden nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern, wenn überhaupt, aus Zwängen des Dienst- plans gemacht. Und letztlich spielt über die Hälfte der Serienhandlung ohnehin nicht im Krankenhaus, sondern in der privaten Umgebung der Figuren. Es ist zu vermuten, daß sich die beiden Serienatmosphären, wenn auch nicht ausschließen, so aber zumindest schwer vereinbaren lassen: Die „norma- len" jungen Leute und der harte, aufopferungsvolle Krankenhausalltag, der Helden hervorbringen kann; Spaß und Lust am Leben auf der einen Seite, Krankheit und Not auf der anderen; junge, gestylte Frauen in irnmerweißen 10 Christian Mikunda beschreibt, wie der Zuschauer bei der Rezeption eines Films auf Scripts zu- rückgreift, die er durch frühere Rezeptionen gelernt hat. Auch auf Seiten der Produzenten fin- den sich diese Scripts, die intuitiv gehandhabt werden. Vgl. Mikunda 1992, S. 64-71. 100 Augen-Blick 28: Die weiße Serie Kitteln und der blutige Alltag eines Großstadt-Krankenhauses; die existenzbe- drohenden Sorgen und Nöte kranker Menschen und die pubertäre Übertreibung von Allerweltsproblemen stellen Kontraste dar, die die erzählten Geschichten um die jungen Frauen in ihrer Dramatik und ihrer Ernsthaftigkeit relativieren. Zugleich wird auch die für eine Daily soap konstituierende Möglichkeit der Übertragbarkeit der Ereignisse auf das Leben der Rezipienten eingeschränkt. Die Handlung wird einem klar umrissenen Handlungsrahmen, eben dem des Krankenhauses und seines Umfelds, unterworfen. Die Schauplätze sind zu ei- nem großen Teil von vornherein auf den Bereich Krankenhaus festgelegt. Je- doch den Regeln einer Daily soap verpflichtet, müssen auch innerhalb der Kli- nik vornehmlich die Probleme der Hauptfiguren behandelt werden, die wenig mit dem Leid und den Ängsten von Kranken zu tun haben. Doch erwartet man in einem Hospital das Elend eher bei den Patienten als bei den Krankenschwe- stern. Die Probleme der Schwestern nehmen sich vor der vorhandenen Kulisse, auch wenn man keine Patienten, Blut oder gar Schlimmeres zu Gesicht be- kommt, sondern sich vielmehr in einem sterilen Raum bewegt, eher geringfügig aus. Vor dem Hintergrund von Schmerzen eines Herzkranken muß der Herz- schmerz einer Zwanzigjährigen zwangsläufig kleinlich, überzogen, egozen- trisch und unglaubhaft wirken. Es fällt schwer, sie ernst zu nehmen. Das oben angesprochene Element der Krankenhausserien-Atmosphäre, die Potentialität, wird in Geliebte Schwestern nicht genutzt. Die Handlung be- schränkt sich auf die wenigen Protagonisten und die in einen Handlungsstrang involvierten Patienten sind Figuren, die zum Figurenstamm der Serie gehören. Durch Viren, Stürze von Treppen oder Klippen werden sie zu Patienten, jedoch spielt die Krankheit und ihre Behandlung nur eine untergeordnete Rolle in der Serienhandlung. Die privaten Konflikte bleiben im Mittelpunkt der Darstel- lung. Ein Beispiel: Die Figur Bianca Kirchner stürzt in Folge 137 eine Treppe hinab, und trotz einer komplizierten Operation, die Prof. Steinfeld all sein Können abverlangt, bleibt Bianca (vorerst) gelähmt. Doch die Ge- schichte, die im Vordergrund steht, ist nicht ihre Verletzung und deren Hei- lung, sondern die Problematik um Raffaela Steinfeld, die nicht weiß, daß Bianca ihre leibliche Mutter ist. Prof. Steinfeld (Raffaelas Vater) und Bian- ca wollen Raffaela nicht die Wahrheit sagen, wenn auch aus unterschiedli- chen Gründen. Durch den Unfall Bianca erwacht aus der Narkose Burbach: Geliebte Schwestern 101 Biancas wurde jedoch erreicht, daß die Figuren räumlich zusammenrücken, da Bianca nun im Akademischen Hospital liegt. Bianca und Prof. Steinfeld haben jetzt zwangsläufig miteinander zu tun. Die Geschichte kann schneller erzählt werden, da die Kommunikation zwischen beiden nun zu jedem Zeitpunkt mög- lich ist. Der Konflikt, der im Zentrum der Handlung steht, hat mit der Verlet- zung Biancas nur insofern etwas zu tun, als daß sowohl Bianca als auch die eingeweihte Frieda Beck dem Professor eine Mitschuld an Biancas Unfall ge- ben. Im weiteren Verlauf jedoch tritt dieser Aspekt zurück. Die Krankheit dient dramaturgisch der Beschleunigung und der Verschärfung des zwischen- menschlichen Konflikts. Das Zurückdrängen medizinischer und klinischer Inhalte, die spärliche Ausstattung des Akademischen Hospitals und die Beschränkung auf wenige ty- pische Elemente einer Krankenhausserie erscheint unter diesem Blickwinkel als der Versuch, Geliebte Schwestern eher als Lifestyle-Soap denn als Kran- kenhausserie erscheinen zu lassen. Alles, was in einer Sequenz von der eigent- lichen, zumeist verbal vermittelten Handlung ablenken könnte, wird ausgelas- sen. Gerade darum sieht man z.B. so gut wie keine Kranken auf den Fluren der Klinik. Die Folge der Genre-Mischung wäre dann, zugespitzt formuliert, ein Paradoxon: eine Serie, die zu einem guten Teil in einem Krankenhaus spielt, aber nicht durch kliniktypische Elemente von dem ablenken darf, was nichts mit der Klinik zu tun hat. Wie es scheint, resultiert aus der Zusammenführung der Lifestyle-Soap- und der Krankenhausserien-Atmosphäre eine Daily soap, die nicht die Ver- knüpfung der Elemente, die den Erfolg der beiden Genres ausmachen, erreicht. Das Kalkül der Akkumulation geht nicht auf, vielmehr wird die Konstruiertheit und Oberflächlichkeit dieser Seifenoper durch den Einfluß der Krankenhausse- rien-Atmosphäre nur noch deutlicher spürbar. Man kann in der fehlenden Be- deutungstiefe der in Soap Operas erzählten Geschichten ein Charakteristikum solcher Serien sehen, das die Rezeption erleichtert und den präsentierten schicksalshaften Ereignissen ihre dramatischen Spitzen nimmt. Durch die Ver- quickung mit anderen Seriengenre-Elementen jedoch wird diese fehlende Be- deutungstiefe als Oberflächlichkeit oder Seichtheit spürbar, die dem Rezepti- onsvergnügen wenig zuträglich ist. 102 Augen-Blick 28: Die weiße Serie 3. Serienstrukturanalyse 3.1 Rezeptions-Irritationen Die Analyse der Serie Geliebte Schwestern bestand zunächst, vor jeder Inter- pretation und Einordnung, in der möglichst exakten schriftlichen Erfassung des Handlungsverlaufs und der Folgengestaltung. Das Geschehen, die auftretenden Figuren und der Schauplatz wurden in einem Sequenzprotokoll ebenso festge- halten, wie die vergangene Zeit. Während dieses Analyseschritts fiel auf, daß die zeitliche Gestaltung der Geliebten Schwestern nicht leicht zu durchschauen ist. Es ist nicht ohne weiteres möglich, auf die Tageszeit der Handlung oder auf die vergangene erzählte Zeit zu schließen. Obwohl die Kulissen Fenster haben, wird dem Zuschauer kein Blick nach draußen gewährt, denn meistens sind Ja- lousien heruntergelassen oder die Perspektive wurde so gewählt, daß lediglich diffuses Licht zu erahnen ist bzw. künstliches dominiert. Ähnliches gilt für die Auswahl der Requisite, die nur selten Hinweise auf die Handlungszeit gibt.11 Die Gestaltung von Zeitverläufen ist ebenso schwierig zu erfassen: Augen- fällig wird diese Form der gleichsam zeitlosen oder zeitenthobenen Erzählwei- se an dem oben bereits eingeführten Beispiel: In Sequenz 138/3 12 wird Bianca, die leibliche Mutter Raffaelas, ope- riert. Der Eingriff ist sehr kompliziert und endet schließlich (und doch vor- läufig) mit einer Querschnittslähmung der Patientin. In 139/19 erwacht Bianca aus der Narkose, es ist der Abend nach dem Eingriff, der nachts zuvor vorgenommen wurde. In 14l/10, der Handlung nach zu schlie- ßen zwei Tage nach Erwachen aus der Narkose, hat Bianca bereits das enor- Raffaela und Prof. Steinfeld an Biancas Bett me Selbstbewußtsein eines behinder- ten Menschen, der sich gegen die Rollenzuteilung zwischen „Behinderten" und „Nicht-Behinderten" wehrt, sich selbst als „Krüppel" bezeichnet und von Nicht-Behinderten in der zweiten Person plural spricht. Und es dauert nur noch einen Handlungstag bis sie allein mit dem Rollstuhl durch die Cafeteria des 11 Auf die in den Strukturgrafiken angegebenen Tageszeiten wurde nachträglich geschlossen. Sie waren zumeist während der ersten Rezeption nicht erkennbar. 12 138/3 bedeutet: Folge 138, Sequenz 3 Burbach: Geliebte Schwestern 103 Krankenhauses fährt, drei Tage nach der Wiedererlangung des Bewußtseins. Es gilt hier nicht zu beurteilen, ob die Handlung durch eine solche Erzähl- weise unrealistisch wird oder ob es sich vielleicht um eine spezifische Form der Handlungsverdichtung handelt. Vielmehr wird an diesem Beispiel deutlich, daß objektive Zeitverläufe in der Handlung keine große Rolle spielen. Es kommt offensichtlich nicht darauf an, dem Zuschauer eine zeitliche Orientie- rung zu bieten. Mit einer solchen Handlungsgestaltung geht die konsequente Ausblendung von Uhr- bzw. Tageszeiten konform. Diese Erkenntnis wird gestützt durch einen während der ersten Rezeption der untersuchten Folgen aufgetretenen Eindruck von Beliebigkeit der Sequenz- gestaltung, nicht nur in zeitlicher, sondern auch in räumlicher Hinsicht. In Krankenhausserien bezieht sich in der Regel ein erheblicher Teil der Handlung unmittelbar auf den Handlungsort, also auf das Hospital. Wie erwähnt, haben in Geliebte Schwestern auch die Sequenzen, die in der Klinik spielen, oftmals nichts mit dem Handlungsort zu tun, sondern sind in jeder anderen Kulisse ebenso gut denkbar. Aus dieser spezifischen Zeit- und Raumgestaltung entsteht der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit der Handlung und einer Zeitlosigkeit oder Gleichzeitigkeit des Geschehens. 3. 2 Strukturgrafiken Um die Enstehung dieses Eindrucks während der Rezeption zu verstehen, wur- de versucht, die handlungsimmanente Zeitgestaltung, den Wechsel der Hand- lungsstränge und die dramatischen Höhepunkte zueinander in Beziehung zu setzen. Daraus ergab sich letztlich eine grafische Darstellung (s.Abb. 1 bis 5), die zweidimensional entlang einer Zeitachse die Struktur der Serie wiedergibt. Solche Strukturgrafiken können m.E. hilfreich sein, wenn man sich die Ver- quickung von Handlungszeit, Spielzeit, Montagetechnik und Spannungsbögen deutlich machen will. Um einen vollständigen Eindruck der Seriengestaltung zu bekommen, kann man das zuerst angefertigte Sequenzprotokoll hinzuneh- men, denn zu jedem Feld der grafischen Darstellung gehört eine Sequenz des Protokolls. Durch diese zweidimensional-grafische Darstellung offenbart sich sowohl die Verwobenheit der Handlungsstränge als auch die zeitliche Gestal- tung und die angewandte Montagetechnik. Eine solche Darstellung kann bei der Untersuchung der Serienstruktur also wesentlich mehr leisten als ein rein textuelles Sequenzprotokoll. Das Formale des Produkts tritt hier optisch in den Vordergrund und kann leicht durch das Heranziehen des Filmprotokolls mit dem Handlungsinhalt gefüllt werden. 104 Augen-Blick 28: Die weiße Serie Gerade langlaufende, nicht-episodische Serien können m.E durch diese Technik in ihrer Struktur über einzelne Folgen hinaus überschaubar werden, denn die Grafiken lassen sich für beliebig viele Folgen anfertigen und hinter- einander stellen. Folge 137 Hdlgs-Slrang 7 Hdlgs-Slrang 6 -- --·········· -··· ······-··· ------------------- --- -------- ----- ----- ----- ········· ----- ···········-------- --- ------ ---········ Hdlgs-Strang s •• ·-·······--- ---- --------- ------------------ --- --------- ------ ----- ------ --------- ------ -------------------- ---- -------- ----------- ,H.d lg.s.-S .lr.an,g, ,4 ~-- --------------- -0-------------- ---------------- --- ------- ----- ---- ----· -------- ----- ---------------- --- -·-·---- -----------------"1---Gldlll Hdlgs-Slrang 2 -- 2 ----d 2 r.=w-----W=IL. .;2:...!i=--=-=-,=-:-=c....:.::.:.--=,.--=-.:i-•-""l,--- Hdlgs-Slrang 1 1 ---------- ---W--------------- ---- -------- ----- ---- ----- -------~_1_!~---~l_1~l=(_j_ parallel montiert 2 J ! 7 ! 8 9 ! 10 II 12 13 u! 15 16 Tageszeil Nachmiltag Abend Abb. 1 Folge 138 Hdlgs-Strang 7 Hdlgs-Slrang 6 Hdlgs-Slrang 5 Hdlgs-Slrang 4 Hdlgs-Strang 3 Hdlgs-Strang 2 Hdlgs-Slrang 1 ]--------Q------·---GJ-----CiJ----··· ---·----- ---·-· --------Q---GJ------- -----------·---- ---W:::: parallel monliert / 2 16 8 9 11 0 II 12 113 1, 15 16 17 18 19 Tageszeil Abend 1 Morgen !Mittag! Nachmi11ag Abend Abb. 2 Folge 139 Hdlgs-Strang 7 Hdlgs-Strang 6 Hdlgs-Strang 5 Hdlgs-Strang 4 Hdlgs-Strang 3 Hdlgs-Slrang 2 Hdlgs-Strang 1 ~---- ---------GJ----------- --------··-------- -----Q----Q----GJ---------- --------- --------GJ------ parallel monUert 2 ! 3 , ! 8 ! 9 10 ! 11 12 ! 13 1, 15 16 17 Tageszeil .-lbemJ I Morgen 1 1agsober Abend Abb. 3 Burbach: Geliebte Schwestern 105 Folge 140 Hdlgs-Strang 7 :::::_::::: :i[i]~- --~--------~ ______ l_ _~ ___ I_ __________ GJ------------fil--------GJ __ _ Hdlgs-Sb"ang 4 -- ------ ------- - ---- -------- -------- ------ ------ -------- ------------ --- ------- -- ---------- --- --- Hdlgs-Sb"ang 3 Hdlgs-Strang 2 Hdlgs-Strang 1 --- ----------- ----------CiJ-------- ----------GJ-------GJ--------~----~--t:~:J--G: paraltetmontiert / , 5 ! 6 7 ! 8 9 ! 10 1/ 12 i 13 14 15 16! 11 Tageszeil Abend Morgen Mina Nachmittag Abb_4 Folge 141 Hdlgs-strarg 7 •----GJ----- --GJ-GJ-- --GJ-- Hdlgs-Slrang 6 ---------~-----------------------w---------- -- --- ------- --- --- ---Hdlgs-Strang 5 ----GJ-------------GJ------ Hdlgs-Strarg 4 ---==-=i:=:u-----GJ--- ---------- --------- --- ---- Hdlgs-strarg 3 Hdlgs-strarg 2 Hdlgs-Strang 1 :iJ--------G:J--- --- --- -c::;::::J-- ---GJ-----GJ--- --IT parallel montiert 2 J 4 1 5 61 7 8 9 10 nl 12 JJ 1 /4 15 16 l 17 18 Tageszell Abmi Abb. 5 Legende zu den Strukturgrafiken der Folgen 138-141: ,,Tageszeit": Tageszeit der Handlung ,,parallel montiert": Sequenzen, die in einer Art Parallelmontage erscheinen; die Zahlen in dieser Reihe bezeichnen die Sequenznummem der Folge. ,,Hdgls-Strang 1-7": In den Folgen 137 bis 141 wurden sieben verschiedene Handlungsstränge ausgemacht. Die Zahlen in den Feldern dienen der Übersichtlichkeit und verweisen auf die Nummer des Handlungsstrangs. Länge der Sequenzen: Die Breite der einzelnen Felder verweisen auf die verhält- nismäßige Länge der Sequenzen. Der Handlungsstrang läuft weiter, auch wenn er zur Zeit nicht in die Darstellung Eingang findet. 1d ramatische Höhepunkte Ende bzw. Be inn eines Handlun sstran s 106 Augen-Blick 28: Die weiße Serie 3.3 Diagnose: Strukturschwächen Die Strukturgrafiken machen zunächst einmal deutlich, wie sich die Hand- lungsstränge über eine Folge hinweg abwechseln. Nur selten folgen zwei oder gar drei Sequenzen, die zu einem Strang gehören, unmittelbar aufeinander. Diese Verflechtung der Stränge ermöglicht es, mehrere Geschichten in der be- grenzten Spielzeit von etwa 22 Minuten zu erzählen. Zeitsprünge in einem Handlungsstrang werden immer dann möglich, wenn dieser gerade nicht vorge- führt wird.13 Warum aber werden die Zeitsprünge in Geliebte Schwestern, die ja ohne Zweifel vorhanden sind, nur selten erkennbar? Zwei Gründe mögen hier eine Rolle spielen: Zum einen werden, wie bereits erwähnt, Hinweise auf die konkrete Zeit der Handlung vermieden. Zum anderen sind die Handlungs- stränge nahezu hermetisch voneinander getrennt. Es gibt in einem Strang keine Verweise auf einen anderen und es treten nur die Figuren auf, die in diesen Strang als Handelnde involviert sind. Das hat zur Folge, daß die Sequenzen, die unmittelbar aufeinanderfolgen, als zeitlich parallel „gelesen" werden kön- nen. Ein Beispiel: In einer Sequenz 1, die zum Handlungsstrang A gehört, ver- läßt die Figur X ein Haus. Die folgende Sequenz 2 gehört zum Handlungs- strang B und wir sehen zwei weitere Figuren Y und Z auf der Straße stehen und miteinander reden. Diese beiden Sequenzen laufen in ihrer Gestaltung parallel, denn es gibt keine Hinweise, daß zwischen den beiden Sequenzen Zeit vergan- gen ist bzw. daß sie zeitlich hintereinander folgen. Wenn aber nun in Sequenz 2 im Hintergrund des Gesprächs der Figuren Y und Z die Figur X aus der Se- quenz 1 zu sehen wäre, wie sie gerade die Straße überquert, so erkennen wir die zeitliche Gestaltung: Sequenz 2 spielt nach Sequenz 1. Der Verzicht auf solche oder ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten läßt etliche aufeinanderfolgen- de Sequenzen als gleichzeitig erscheinen. Von einer Parallelmontage zu spre- chen ist in diesem Zusammenhang nicht ganz richtig, denn zu einer solchen ge- hört, daß die im Kreuzschnitt ineinandermontierten Handlungen inhaltlich zu- sammenhängen, wie z.B. bei einer Verfolgungsjagd Jäger und Gejagte. Dennoch wurde in den Strukturgrafiken der Begriff „parallel montiert" ver- wendet, um den Eindruck der Gleichzeitigkeit des Geschehens deutlich zu ma- chen. Diese Begriffswahl ist gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß die Monta- getechnik „Parallelmontage" an sich schon einen narrativen Inhalt hat. Erkennt der Zuschauer eine Parallelmontage als solche, stellt sich aufgrund des in vor- angegangenen Rezeptionen erlernten Deutungsmusters unwillkürlich der Ein- 13 Durchbrochen wird diese Regel in den untersuchten Folgen nur ein Mal: In 137 /13 verläßt Prof. Steinfeld die Musik-Bar „Tiefentals" und ist in 137/14 von Beginn an in grüner OP- Bekleidung im Waschraum des Krankenhauses zu sehen. Burbach: Geliebte Schwestern 107 druck der „Gleichzeitigkeit" ein. Wie bereits dargestellt, sind die Inhalte der einzelnen Sequenzen weitge- hend unabhängig vom Handlungsort, da der Großteil der erzählten Geschichten um die Gefühlswelt der Protagonistinnen kreist. Gepaart mit einer nicht er- kennbaren Handlungszeit und der potentiellen Gleichzeitigkeit des Gesche- hens, ist eine Orientierung im Handlungsverlauf, die sich nicht zuletzt an zeitli- chen und räumlichen Fixpunkten festmacht, nur noch schwer möglich. Auf der Suche nach einer Struktur, die den Zuschauer führt, nach einem serienspezifi- schen Rhythmus, sollen nun die Handlungsentwicklung und die Gestaltung von Spannungsbögen hinzugenommen werden. Die Handlungsstränge 2 und 3 werden in Folge 137 abgeschlossen, dement- sprechend finden sich Erzählhöhepunkte an ihrem Ende, in 137/10 bzw. 137/11. Der Strang 7 wird in Folge 141 mit einem Überraschungsmoment, ei- nem Unfall, eingeführt. Daher wurde 141/7 ebenfalls als narrativer Höhepunkt gekennzeichnet. Am Ende der Folge einer Endlos-Serie wird ein Handlungs- strang während eines Spannungshöhepunktes abgebrochen, dem sogenannten „Cliffhanger", um dem Zuschauer einen Anreiz zum Einschalten der nächsten Folge zu geben. Die Folgen einer Daily soap beginnen zumeist mit der Fortfüh- rung der letzten Sequenz der vorherigen Folge und lösen so die Spannung des Cliffhangers auf. Somit sind zwei dramaturgische Höhepunkte festgelegt, eben zu Beginn und am Ende einer Serienfolge. In den untersuchten Folgen bleiben nach Abzug dieser „Standard-Höhepunkte" pro Folge zwei „echte" Erzählhö- hepunkte, die entweder den Spannungsgipfel einer Geschichte bilden (z.B. 138/5: Prof. Steinfeld äußert sich skeptisch über die Überlebenschancen Bian- cas. Wird sie sterben?), die Eruption eines schwelenden Konflikts darstellen (z.B. 140/14: Karen, die sich immer wieder mit Paolo gestritten hat, besteigt ihren Wagen und fährt davon. Wo will sie hin? Wird sie ihren Liebhaber Max treffen?) oder endgültige Entscheidungen beinhalten und somit Ungewißheiten beseitigen (z.B. 139/14: Uwe erklärt May, sie könne den gemeinsamen Sohn Zack mit in die USA nehmen.). Diese Höhepunkte, die sich aus der Analyse des Sequenzprotokolls und nicht der einmaligen Rezeption ergaben, heben sich aufgrund der Beliebigkeit der Handlungsentwicklung der Handlungsstränge, die in vielen Sequenzen mit einer Art „Minicliff' enden, nicht von den anderen Sequenzen des Strangs ab. Ob es sich in einer Sequenz um einen Erzählhöhepunkt handelt, ist erst erkenn- bar, wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte kennt. Alles, was ge- schieht, ist vorläufig, sei es, daß ein Heiratsversprechen, das bis vor den Trau- altar führt, dann doch nicht eingelöst wird, sei es die „irreversible" (O-Ton) Querschnittslähmung, die natürlich nicht unheilbar ist. Da wird die zarte 108 Augen-Blick 28: Die weiße Serie Tochter des Chefarztes abrupt zur Punkerin mit blauer Perücke und gibt ebenso schnell diese Lebensweise wieder auf. Ein Aspekt des Vergnügens bei der Serienrezeption besteht darin, daß der Text leicht zu durchschauen und zu einem guten Teil, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch zumindest in groben Zügen, voraussagbar ist. Ist jedoch umgekehrt der Rezipient dem Text ausgeliefert und muß immer wieder nicht vermutete Überraschungen hinnehmen, so wird er irgendwann die Geschichten als unglaubwürdig betrachten. Was für die Krankenhausserie an Möglichkeiten der Einführung von The- men und der Zusammenführung von Figuren gilt und oben als ,Potentialität' bezeichnet wurde, funktioniert in der Erzählung von Lebensläufen anscheinend nicht. Die Überraschung ist ein Moment einer Serienerzählung, aber eben nur eines unter anderen. Als Standardelement der Dramaturgie zerstört es die Plau- sibilität der Handlungsführung. Hier zeigt sich ein weiterer Aspekt der nur bedingten Vereinbarkeit von Lifestyle-Soap- und Krankenhausserien-Atmosphäre: Offenbar unterscheiden sich Daily soaps und Klinikserien sowohl in der Gestaltung von Spannungsbö- gen als auch in der Entwicklung der Figuren. Die oben beschriebene Schwie- rigkeit bei der Identifizierung dramatischer Höhepunkte könnte man ebenfalls als ein Wesensmerkmal der Daily soap beschreiben. Die stete Vorläufigkeit des Seriengeschehens und der Umstand, daß sich die Charaktere nicht wirklich weiterentwickeln, sondern ihren Wesenszügen treu bleiben, sich ihre Verhal- tensmuster also ständig wiederholen, ergeben zusammen genommen eine Struktur, die die Präsentation überraschender Ereignisse und gleichzeitig die Voraussagbarkeit des Verhaltens der Figuren ermöglicht. Der Verlauf der Soap Opera besteht weniger aus auf- und absteigenden Spannungsbögen, sondern vielmehr aus einem gleichbleibenden Niveau an Aufgeregtheit. In episodischen Krankenhausserien, und die bis dato existierenden hatten ausnahmslos episodi- schen Charakter, ist die dramatische Entwicklung an die des medizinischen Falls der jeweiligen Folge geknüpft. Die Entwicklung der Figuren, wie z.B. des Krankenhauspersonals, ist entweder Rahmenhandlung oder das die einzelnen Folgen verbindende serielle Element. So betrachtet, ergibt sich in Geliebte Schwestern eine Divergenz zwischen erwarteter und formateigener Spannungs- struktur. Letztlich bleibt als strukturgebendes Moment der rein formale Aufbau, der Geliebte Schwestern unverkennbar zu einer Endlos-Serie macht. Die zopfartige Verflechtung der Handlungsstränge ermöglicht das Erzählen verschiedener Ge- schichten und das immer wiederkehrende Personal und die immer gleichen Burbach: Geliebte Schwestern 109 Schauplätze haben aufgrund ihres Wiedererkennungswerts orientierenden Cha- rakter. Bei einmaliger Rezeption jedoch wird Geliebte Schwestern durch die diffuse Zeitgestaltung, die Unabhängigkeit des Handlungsinhalts vom Hand- lungsort und die nur schwer erkennbaren Handlungshöhepunkte bzw. die Überladung des Serientextes mit überraschenden Ereignissen zu einem nicht differenzierbaren, kaum gewürzten Emotionskompott. 4. Das Ende Der Versuch einer Zusammenführung des Formats „Daily soap" in der Artei- ner Lifestyle-Soap mit dem Genre der Krankenhausserie hat die oben beschrie- benen Auswirkungen zur Folge. Obwohl Geliebte Schwestern das Kranken- hausmilieu lediglich als Möglichkeit der Zusammenführung der Stammfiguren nutzt und die spärlich eingesetzten genretypischen Elemente (technisches Gerät usw.) nur auf den Handlungsort hinweisen, ohne Bedeutung zu erlangen, da die dargestellten Themen fast nichts mit ihren Schauplätzen zu tun haben, so muß sich diese Serie doch mit den Erwartungen an eine Krankenhausserie auseinan- dersetzen. Diese werden aber nicht erfüllt. Das Experiment eines solchen Kompositums macht deutlich, daß es auch unter den Fernsehserien Typologien und Genres gibt, die sich klar voneinander unterscheiden und die nicht beliebig verknüpfbar sind. Micki, die eigentlich zur Polizei wollte, dann aber doch Krankenschwester wurde, meinte schon in der ersten Folge, gesendet am 2. Juni 1997: ,,Das war ein Riesenfehler. Ich hätte das überhaupt nie anfangen dürfen." Hat da eine un- bewußte Vorahnung die Feder geführt? Letztlich haben wohl auch die Macher der Serie Geliebte Schwestern erkannt, daß das Krankenhausmilieu kein gün- stiger Hintergrund einer Daily soap ist. Die untersuchten Folgen wurden Mitte Dezember 1997 gesendet. Zu Beginn des Jahres 1998 entfernte sich die Seri- enhandlung zunehmend vom Akademischen Hospital und einige männliche Darsteller kamen hinzu. Aufgrund des anhaltenden Quoten-Mißerfolgs wurde Geliebte Schwestern mit der Ausstrahlung der 240. Folge am 15. Mai 1998 aus dem Programm genommen. Damit erlebte diese ,,Endlos-Serie" noch nicht einmal ihren ersten Geburtstag. In der letzten Szene der letzten Folge wird Lara aus Versehen von ihrem Bruder Paolo, der von Beginn an zum Personal der Serie gehörte, erschossen. So also enden „geliebte Schwestern" ....