Perspektiven 119 Perspektiven Kevin Pauliks Ein Metabild von Memes: Perspektiven der Meme Studies auf Bild, Text und Praxis Zwar wird der Begriff ‚Meme‘ heute Medienpraktiken, wie zum Beispiel unmittelbar mit digitalen Inhalten das Bearbeiten, Beschriften, Taggen assoziiert, aber dennoch existiert er und Teilen, zum Einsatz.1 bereits wesentlich länger als das World In dieser Perspektive soll es nicht Wide Web. Ein Meme definierte der darum gehen, was die Memetik in Evolutionsbiologe Richard Dawkins Folge von Dawkins unter Memes erstmals 1976 in Analogie zum Gen versteht – Informationen zu diesem als „unit of cultural transmission, or a Themengebiet finden sich beispiels- unit of imitation“ (2006, S.192). Diese weise im Journal of Memetics. Viel- sehr weite Auffassung von Memes als mehr möchte der vorliegende Beitrag kulturelle Einheiten hat nicht mehr die verschiedenen Perspektiven offen- viel mit dem gemein, was mehr als 40 legen, die die Meme Studies auf das Jahre später im Internet unter Memes Phänomen der Internet-Memes verstanden wird. Der Meme-Begriff werfen. Hierzu werden Ansätze vor- war während seiner Übertragung ins gestellt, die Memes aus einer semio- Internet einer weitreichenden Trans- tischen und/oder praxeologischen formation unterworfen und wandelt Sichtweise betrachten. Das Ziel ist es, sich stetig weiter (vgl. Pauliks 2022, ein Metabild von Memes zu zeich- S.177-187). Im Internet sind unter nen, das heißt, sich ein Bild von dem dem Begriff vor allem sogenannte Bild zu machen, das sich die Meme Image Macros geläufig, die die Form Studies über Memes machen. In von „Bild-Sprache-Texten“ ( Johann/ Anschluss an W. J. T. Mitchells Kon- Bülow 2018, S.5) annehmen. Mitt- zept des „metapicture […], a picture lerweile fallen unter den Begriff des Memes aber auch andere Phänomene 1 Der Beitrag basiert auf einem Ausschnitt und Praktiken, die im Bezug zur aus der Dissertation Meme Marketing in Internet-Meme-Kultur stehen. Beim Social Media: Ein medienpraxeologischer memeing, das heißt dem Produzie- Vergleich von Internet-Memes und -Wer-bung, die der Autor im März 2023 am ren, Zirkulieren und Rezipieren von Fachbereich Germanistik und Kunst- Memes, kommen unterschiedliche wissenschaften der Philipps-Universität Marburg eingereicht hat. 120 MEDIENwissenschaft 02/2023 about itself, a picture that refers to angeordnet, dass auf ein Setup, das its own making, yet one that dissol- oben auf dem Bild eröffnet wird, eine ves the boundary between inside and Punchline folgt, die unten auf dem outside“ (1995, S.42), wird schließlich Bild die Pointe liefert (vgl. Krieg- eine eigene Definition vorgeschlagen, Holz/Bülow 2019, S.91; Osterroth die das Meme als digitales Metabild 2015, S.31). Die Schriftart Impact, in an die Schnittstelle von Text und der der sprachliche Teil gestaltet ist, Praxis positioniert. gibt sofort über die Zugehörigkeit zur Textsorte Aufschluss (vgl. Bri- deau/Berret 2014, S.307). Thematisch Das Meme als Textsorte, digitales Bild sind Image Macros hingegen so offen, und Medienpraxis dass ihr Inhalt von süßen Katzen wie Als eine grundlegende Differenzie- LOLcats bis hin zu rechtsextremer rung schlagen Ulrike Krieg-Holz Symbolik und deren Kritik variieren und Lars Bülow vor, Internet-Memes kann (vgl. Hartmann 2017, S.8-11). entweder als Text oder Praxis zu Obwohl die semiotische For- beschreiben (vgl. 2019, S.92). schung seitens der Meme Studies Der Textbegriff steht in der Tra- einen weiten Textbegriff in Stellung dition der Semiotik, die sich als eine bringt, der neben geschriebener Spra- „Wissenschaft vom Text“ (Nöth 2000, che auch Bilder umfasst, liegt ihr S.391) versteht. Einzelne Texte lassen Fokus häufig allein auf dem sprachli- sich nach Textsorten organisieren. chen Anteil von Internet-Memes (vgl. Die formale Zuordnung von Texten Bülow/Merten/Johann 2018, S.17- zu einer Textsorte setzt während der 27). Was linguistisch nachvollziehbar Produktion, Zirkulation und Rezep- ist, hat medienwissenschaftlich zum tion sozial-tradiertes „Textsortenwis- Nachteil, dass der Textbegriff medial sen“ voraus, das die „Rekonstruktion vorbelastet ist, weil er – wie Ernest von Textmustern und -strukturen“ Hess-Lüttich (2016) betont – „immer (Krieg-Holz/Bülow 2019, S.93) noch eng mit Schriftlichkeit asso- ermöglicht. Thematisch lassen sich ziiert“ (S.159) wird. Memes werden Textsorten hingegen nur bedingt in diesem Sinne als „lingua franca“ unterscheiden, wie Krieg-Holz und (Milner 2016, S.7-10) interpretiert, Bülow betonen (vgl. ebd., S.95). die in Form von Texten von Rezipie- Memes können in Form von Image renden ‚gelesen‘ wird. Diese semio- Macros als Textsorte begriffen werden, tische Sichtweise läuft Gefahr, den weil sie eine mediale Musterhaftig- Blick sowohl auf die Medialität als keit in der Art und Weise aufweisen, auch die Medienpraxis von Memes zu wie sie Bild und Sprache miteinan- verstellen. der verbinden: Auf einem Template Gewöhnlich treten Memes ist sprachlicher Text gewöhnlich so im Internet als digitale Bilder in Perspektiven 121 Erscheinung, die andere analoge und/ einen Nexus von wissensabhängigen oder digitale Bilder referenzieren, Verhaltensroutinen“ (S.291) inner- die unterschiedlichen Medien wie halb von konkreten Kontexten dar. Malerei, Comic, Fotografie, Film und Praxistheorien bleiben insofern auf Computerspiel entstammen können. ihren jeweiligen Phänomenbereich Memes nehmen die Bildform an, beschränkt. Das heißt, sie sind keine um in den Sozialen Medien leichter Supertheorien im Sinne einer Zei- geteilt werden zu können. Von Tweets chen- oder Systemtheorie, sondern werden beispielsweise Screenshots basieren auf empirischen Ergebnis- gemacht, um den sprachlichen Text sen, „die induktiv erschlossen werden“ und die visuelle Darstellung im digi- (Krieg-Holz/Bülow 2019, S.97). talen Bild zu vereinen (vgl. Arkenbout Anhand von Image Macros lässt sich 2022). Memes werden folglich aus zum Beispiel untersuchen, wie das praktischen Gründen im JPEG- oder Merkel Meme auf der Plattform Twit- einem anderen bildbasierten Datei- ter produziert und diffundiert wird. format erstellt und zirkuliert – sogar Im Sinne von Krieg-Holz und Bülow dann, wenn sie allein auf sprachlichem geht es dabei darum, wie „Medialität Text basieren. Die digitale Bildlich- und modale Ressourcen“ (ebd.) vom keit ermöglicht es Memes, zwischen bildlichen Template über sprachli- Präsentationskontexten zirkulieren chen Text bis hin zum hypertextuel- zu können (vgl. Ruchatz 2012), ohne len Hashtag und der publizistischen dabei ihre Memehaftigkeit zu verlie- Plattform zum Einsatz kommen. ren. Folglich kann sowohl die Media- Krieg-Holz und Bülow haben lität als auch die Medienpraxis von theoretisch und empirisch herausge- Memes genauer über ihre Bildlichkeit arbeitet, dass Internet-Memes sowohl als (nur) über ihre Textualität erfasst als Text als auch Praxis analysiert werden. Den Textbegriff dazu zu werden können. Wie diese beiden nutzen, den sprachlichen Anteil von Begrifflichkeiten in den Meme Stu- Memes zu erfassen, ergibt Sinn, wenn dies operationalisiert werden und wie der Bildbegriff die visuelle Erschei- der Bildbegriff dabei helfen kann, das nung von Memes als Ganzes in den Internetphänomen differenzierter zu Blick nimmt. In den Meme Studies betrachten, ist noch offen. Nachfol- ist der Bildbegriff allerdings noch gend soll der Versuch unternommen unterrepräsentiert und -entwickelt. werden, diese bild- und medienwis- Der Praxisbegriff ist eine Ergän- senschaftliche Forschungslücke mit zung zum Text- und Bildbegriff, der einem Blick auf die Meme Studies zu zu erfassen erlaubt, wie Internet- schließen. Memes produziert, zirkuliert und rezeptiert werden. Gemäß Andreas Reckwitz (2003) stellt eine „Praktik 122 MEDIENwissenschaft 02/2023 Textuelle Meme-Definitionen in den der zweite Ansatz als reduktionistisch, Meme Studies weil hier davon ausgegangen werde, Die einflussreichste Definition von dass menschliche Handlungen dem Internet-Memes hat die Kommunika- Willen der Memes erlegen seien. Dem tionswissenschaftlerin Limor S hifman dritten Ansatz fehle es besonders an (2013) vorgelegt. Sie beschreibt Memes differenzialer Durchschlagskraft, denn als „groups of content items that were wenn nahezu alles ein Meme ist, ist created with awareness of each other nichts mehr ein Meme (vgl. Shifman and share common characteristics“ 2013, S.364-367; 2014a, S.37-39). (ebd., S.367). Die Betonung liegt auf Als Antwort auf diese epistemo- ‚Gruppen‘, um sich von D awkins’ logischen Probleme macht Shifman ursprünglicher Definition abzugrenzen. ihren eigenen Vorschlag, wie Memes Dawkins (2006) definiert Memes als zu definieren seien. In Abgrenzung zu Dawkins betont sie, dass ein „Internet einzelne Einheiten und nennt als Bei- meme […] always a collection of texts“ spiele dafür „tunes, ideas, catch-phra- (Shifman 2014a, S.56) sei. Hierin ses, clothes fashions, ways of making wird auch ersichtlich, was Shifman pots or of building arches“ (S.192). Bei unter „content items“ beziehungs- dieser Spannbreite von Phänomenen weise „digital items“ (ebd., S.41) ver- ist es durchaus fraglich, wie hier eine steht. Gemeint sind damit Texte im Einheit konstruiert sein soll. Dawkins’ semiotischen Sinne: Memes definiert Liste von Phänomenen variiert von sie demnach als digitale Inhalte, die Ideen bis hin zu Praktiken. Die Unbe- eine Idee oder Ideologie transportie- stimmtheit des Begriffs ist ein Kritik- ren, eine Form annehmen, über die punkt an dem Konzept des Memes die Botschaft wahrgenommen wird, und auch ein Grund dafür, warum und eine Haltung haben, die über die sich die Memetik nie als eigenstän- kommunikative Absicht des Memes dige Wissenschaft etablieren konnte. Aufschluss gibt. In dieser Dreifaltig- Was unter einem Meme zu verste- keit (Inhalt, Form, Haltung) kommen hen ist, war innerhalb der Memetik die Eigenschaften zum Ausdruck, über umstritten (vgl. die Beiträge in Aunger die sich ein Meme als Text formieren 2000). Shifman zufolge fassten die kann. Shifman betont darüber hinaus, einen Memes als Gedankengebäude dass es vor allem die Musterhaftigkeit und Ideenkomplexe auf, die anderen der Form ist, die Texte zu einem Genre als Verhaltensweisen von Menschen, bündelt: „If memes are collections of und manche verstanden unter Memes texts, meme genres are collections of einfach alles, was sich kopieren lässt. collections“ (ebd., S.342). Shifman Während laut Shifman beim ersten identifiziert folgende Meme-Gen- Ansatz vor allem das Problem der res: Reaction Photoshops, Photo Fads, Messbarkeit von Memes bestehe, gelte Flash Mob, Lipsynch, Misheard Lyrics, Perspektiven 123 Recut Trailers, LOLcats, Stock Charac- häufig ambivalent: „Mit Shifmans ter Macros und Rage Comics (vgl. ebd., Definition kann ein Meme niemals als S.100-118). Die Genres sind aber ein einzelner Text gedacht werden, son- nicht nur Gruppierungen von Text- dern nur als Zusammenhang mit ande- gruppen, sondern auch soziale Praxen, ren Texten“ (Grünewald-Schukalla/ insofern Genregrenzen kulturell kon- Fischer 2018, S.3). Die Mehrdeutig- tinuierlich neu ausgehandelt werden keit des Meme-Begriffs ist bereits (vgl. Shifman 2014b, S.342; Krieg- an anderer Stelle bemerkt worden. Holz/Bülow 2019, S.103). Gabriele Marino (2015) unterschei- Sowohl Shifmans Genre-Katego- det deshalb zwischen „a type-meme rien als auch ihre Meme-Definition (or, in other words, the meme genre), sind in den Meme Studies weitverbrei- and the object that materializes it, a tet. Dennoch bleibt der Meme-Begriff token-meme (a text); the former gene- Abb.1: Ein Exemplar von Happy Cat. https://knowyourmeme.com/photos/78-lolcats (16.03.2023). 124 MEDIENwissenschaft 02/2023 rates the latter, and the latter recalls von Medienr eflexion zu betrachten, die the former“ (ebd., S.50). Der Begriff Medialität ex negativo aufdeckt, zum des Memes kann sich folglich entwe- Beispiel dann, wenn Image Macros eine der auf einen einzelnen Text oder eine andere Schriftart als Impact aufweisen Gruppe/Genre von Texten beziehen. und somit das Format falsch verwendet In Anschluss daran lassen sich drei wird (vgl. Pauliks 2017, S.107). Textebenen von Memes unterschei- Dass im Meme „Hinweise zur den, die in enger Verbindung zuei- Bedienung“ (Grünewald-Schukalla/ nander stehen: Unter den Begriff des Fischers 2018, S.8) eingeschrieben Memes können (1) einzelne Exemplare, seien, ist jedoch unvereinbar damit, (2) Gruppen von Texten oder sogar dass „das Memetische außerhalb und (3) ganze Genres fallen. Aus semioti- zwischen einzelnen Texten liegt“ scher Sichtweise sind Memes eine typi- (S.5). Wie kann der Metatext sowohl sche Textsorte des Internets, die sich abstrakt und unsichtbar sein als auch aus unterschiedlichen Textgruppen Hinweise auf die Medienpraktiken zusammensetzt, die nach Genres aus- von Memes geben oder diese sogar gerichtet sind. Beispielsweise ist das bestimmen? Ein Metatext müsste Exemplar I Can Has Cheezburger? an ein Text über Texte sein, der auf der der Textgruppe Happy Cat orientiert, Reflexionse bene in Erscheinung tritt die dem Genre der LOLcats angehört (vgl. Mersch 2010, S.199). Es lässt sich (Abb.1). leicht erkennen, dass ein Widerspruch Die Unklarheit, welche der drei vorliegt, wenn der Metatext einerseits Ebenen gemeint ist, verkompli- abstrakt ist und anderseits Hinweise ziert die Bestimmung von Memes. auf die Praxis der Produktion, Zirku- Um mehr Klarheit zu schaffen, lation und Rezeption von Memes lie- schlagen Lorenz Grünewald- fern soll. Schukalla und Georg Fischer (2018) Dieser Widerspruch lässt sich vor, zwischen Text und Metatext zu lösen, wenn ein Meme nicht als unterscheiden. Ein Internet-Meme abstrakter Metatext, sondern als kon- sei als ein „abstrakter Meta-Text“ (ebd., kreter Content betrachtet wird, der S.8) zu definieren, der zwischen ein- seinerseits eine mediale Umwelt für zelnen Exemplaren entstünde. Im andere Medien wie Fotografie, Film, einzelnen Text aktualisiere sich das Computerspiel und so weiter schafft. Meme dann als Metatext, der selbst Grünewald-Schukalla und Fischer nicht sichtbar sei. Demzufolge „tritt (2018) vernachlässigen in ihrer Defi- der Meta-Text in der Regel nicht nition, dass jedes einzelne Meme- selber in Erscheinung, außer er wird Exemplar Hinweise darüber enthält, durch Probleme oder Störungen sicht- zu welcher Gruppe und zu welchem bar gemacht“ (ebd., S.6). Die Störung Genre es sich zuordnen lässt, zum Bei- wäre demnach als ein klassischer Fall spiel durch den Einsatz eines spezifi- Perspektiven 125 schen Templates wie Happy Cat oder Exemplar zu erstellen, müssen die spe- durch die Verwendung einer speziellen zifischen Regeln des Memes bekannt Schriftart wie Impact. Solche Hin- sein, denen es als Gruppe und/oder weise sind nicht „abstrakte Objekte“ Genre folgt. Diese Regeln sind refle- (ebd., S.6), sondern eine konkrete Ori- xiv in anderen, ähnlichen Exemplaren entierung- und Verständnishilfe beim enthalten. „Since the process of imita- Erstellen, Verbreiten und Rezipieren tion relates to a coded template – and von Memes. Die Medienpraktiken von not only to semantic meanings – the Memes sind geradezu reflexiv in jedem code is always there, foregrounded“ einzelnen Exemplar eingeschrieben. (ebd., S.355). Memes werden des- Grünewald-Schukalla und Fischer ist halb immer wieder auf eine ähnliche allerdings dahingehend zuzustimmen, Art und Weise erzeugt, wodurch die dass einzelne Exemplare die Gruppe Hypersignifikation noch um eine wei- und das Genre von Memes stetig tere Dimension erweitert würde – die aktualisieren (vgl. ebd., S.8). Gerade Möglichkeiten des digitalen Bildes deswegen verfügt aber nicht nur die auszuloten. Gruppe oder das Genre als Metatext Der Bedeutungsüberschuss dieser über Medienwissen zu den einzelnen Medienreflexion ist das Medienwis- Texten; vielmehr werden die Medi- sen, das Memes über Memes und enpraktiken von Memes in jedem deren Medienpraktiken haben. Dieses einzelnen Exemplar reflexiv per- und reflexive Praxiswissen ist in einzel- geformt. nen Exemplaren enthalten, um deren Aus dem Aspekt der Performa- Gruppenzugehörigkeit herzustellen. tivität sowie der Abhängigkeit eines Jedes Exemplar wird mittels dersel- Memes von anderen kulturellen Arte- ben oder zumindest ähnlicher Medi- fakten lässt sich schließen, dass ein enpraktiken produziert, zirkuliert einzelnes Exemplar, das nicht in eine und rezipiert, um Teil der Gruppe zu Gruppe ähnlicher Exemplare einge- werden. Dieses Knowhow könnte im bunden ist, „which […] were created Sinne von Grünewald-Schukalla und with awareness of each other“ (Shif- Fischer (2018) anstelle von Memes als man 2014a, S.41), per definitionem Metatext bezeichnet werden. Aller- kein Meme ist. Dass in jedem Exem- dings ist gerade im Fall von Internet- plar Wissen über die Gruppe und das Memes das Praxiswissen nicht (nur) Genre enthalten ist, kommt bei Shif- implizit abstrahiert, sondern explizit man über den Begriff der „hypersigni- reflexiv in den Exemplaren enthalten. fication“ zum Ausdruck, der nicht Hinzu kommt, dass das gleichblei- nur den „process of meaning-making“ bende Element bei Memes häufig auf (Shifman 2014b, S.344) offenlegt, der bildlichen Ebene liegt, weshalb der sondern die Medienpraktiken des Textbegriff, wenngleich mediensemio- digitalen Bildes selbst. Um ein neues tisch erweitert, irreführend ist. Es sind 126 MEDIENwissenschaft 02/2023 Abb. 2: Eine Gruppe von Happy Cats auf Know Your Meme. https://knowyourmeme.com/memes/happy-cat/photos/sort/views (17.04.2023). die bildlichen Templates von Image Template abgeleitet (z.B. Happy Cat), Macros, die über deren Gruppenzuge- ohne dass das Image Macro weder als hörigkeit Auskunft geben. Normaler- Meme rezipierbar noch reproduzier- weise ist der Name eines Memes vom bar wäre. Perspektiven 127 Vom Semioseprozess zur Interpik- Schlussfolgern lässt sich aus diesem toralität von Memes idealtypischen Semioseprozess, dass Memes werden durch einen „kollek- Internet-Memes bei ausreichender tiven Semioseprozess“ (Osterroth Stabilisierung eine Serie bilden (vgl. 2015, S.26f.) zu Memes gemacht, Denson 2011; Maeder/Wentz 2014; wie Andreas Osterroth in Anleh- Pauliks 2017; 2019). Das heißt, dass nung an Jana Herwig (2011) for- die einzelnen Exemplare episodisch muliert. Gemeint ist damit, dass der miteinander verknüpft sind. Das Content erst durch den Austausch in Meme Happy Cat wird beispielsweise einer Community zu einem Meme über die Fotografie dieser einen Katze wird. Idealtypisch sieht dieser kol- zusammengehalten, die als Template in jedem neuen Exemplar wiederholt lektive Semioseprozess wie folgt aus: wird, allerdings nicht unbedingt als Ein Bild wird in einer Community exakte Kopie, sondern auch als digital geteilt, die zunächst bewerten muss, ausgeschnittene, gespiegelte oder ani- ob dieser Prototyp das Potenzial hat, mierte Variation (vgl. Abb.2). ein Meme zu werden oder nicht. Hier- In Abgrenzung zum Begriff ‚Inter- für gibt es speziell dafür vorgesehene textualität‘ lässt sich dieser Bezug als Communities wie den Subreddit ‚Interpiktorialität‘ bezeichnen, um r/MemeEconomy, der allein darauf die Bildlichkeit von Memes stärker ausgelegt ist, den Marktwert von zu betonen. Interpiktorialität kann Memes zu bestimmen (vgl. Literat/van gemäß Guido Isekenmeier (2013) „als den Berg 2019). Häufig findet diese Kontrastfolie dienen: interpiktoriale Bewertung aber auch einfach direkt Referenzen lassen sich als Ort einer auf der Plattform statt, wo das Bild Verhandlung der Differenzen von Text gepostet wurde. Fällt die Bewertung und Bild verstehen“ (ebd., S.43). Inter- positiv aus, z.B. durch viele Upvotes/ textuell wäre dann, dass Happy Cat zum Likes oder positives Feedback in den Genre der LOLcats gehört, weil das Kommentaren, wird der Prototyp Meme im Internet-Slang L OLspeak plattformübergreifend weiterverteilt verfasst ist, das eine absichtlich feh- und dabei bildlich und/oder sprachlich lerhafte und verniedlichte Sprache so variiert, dass er sich als eigenstän- einsetzt, die im Fall von LOLcats so diges Meme etablieren kann. Fortan wirkt, als würden die Katzen selbst zu gelten Regeln, an die sich die Produk- Wort kommen. Neue Exemplare des tion halten muss, damit das einzelne Memes müssen nicht unbedingt den Exemplar der Gruppe zuordenbar ist. Satz „I can has cheezburger?“ wie- Verstöße werden gewöhnlich sank- derholen, sondern können sprachlich tioniert, zum Beispiel durch Anfein- variieren, müssen sich dabei allerdings dungen in den Kommentaren oder an die grammatikalischen Regeln des Verbannung aus der Community. LOLspeak halten, um der Gruppe 128 MEDIENwissenschaft 02/2023 von Happy Cat und dem Genre der über Ähnlichkeit herstellen zu können LOLcats zugeordnet werden zu und anderseits dabei zu gewährleisten, können. Die Harmlosigkeit von nicht zu viel Redundanz zu reprodu- L OLspeak täuscht, denn der Internet- zieren. Der semiotische und praxeolo- Slang fungiert als Exklusionswerkzeug gische Ansatz lässt sich an dieser Stelle auf Plattformen wie 4chan. Wer die verbinden. Internet-Memes halten als lingua franca nicht beherrscht, wird Gruppe und Genre durch den Ein- als Außenseiter vorgeführt und von satz von spezifischen Praktiken in den der Community ausgeschlossen (vgl. Sozialen Medien zusammen, die pra- Nissenbaum/Shifman 2017, S.491). xeologisch erschlossen werden müssen Serialität funktioniert über die (vgl. Busch/Schmid 2019, S.187f.). Mechanismen der Wiederholung und Variation (vgl. Pauliks 2017, S.56-63) und ist ein zentrales Merkmal von Die Partizipationskultur und Meme-Gruppen und -Genres, die im Medienpraxis von Memes Zusammenspiel beider entstehen und Grünewald-Schukalla und Fischer operieren. Wiederholung, und zwar (2018) betonen, dass Internet-Memes nicht die exakte Wiederholung, son- immer Ergebnis von spezifischen dern eine Wiederholung, die Variation Aneignungspraktiken sind, die im in sich aufnimmt, ist auch ein Grund- Kontext der Sozialen Medien beob- element sozialer Praktiken. Denn achtbar seien: „Gemeint sind referen- Praktiken werden in der Wiederho- tielle Praktiken wie u. a. Variation, lung einerseits routiniert, anderseits Rekombination, Persiflage, Remix, aber auch immer wieder verworfen, Imitierung, Remake oder Hommage“ transformiert und optimiert. Abwei- (S.7). Grünewald-Schukalla und chungen im Vollzug sind wichtig, Fischer ergänzen ihre textuelle Defi- damit neue Praktiken überhaupt nition also ganz bewusst mit dem erst entstehen können und nicht von Praktikenbegriff, um berücksichtigen vornherein im Immergleichen enden zu können, „dass Memes nicht nur (Reckwitz 2003, S.294). Im Sinne von Objekte, sondern auch Ereignisse Schäfer (2016) sind „Praktiken immer sind“ (ebd., S.6). schon Wiederholungen und Variatio- Shifman (2014a) betont ebenfalls, nen“ (S.146) in einem. D asselbe gilt dass die Perspektive der Meme Studies für Serien im Allgemeinen und für nicht einseitig auf Memes als Texten Internet-Memes als Serien im Spe- liegen sollte, sondern auch auf den ziellen, weil Serialität voraussetzt, Praktiken, die Memes hervorbringen dass „Neues bekannt und Bekanntes und umgeben: „Since memes serve as neu erscheinen muss“ (Pauliks 2019, the building blocks of complex cultu- S.64), um einerseits einen Zusam- res, we need to focus not only on the menhang von einzelnen Elementen texts but also on the cultural practi- Perspektiven 129 ces surrounding them“ (S.34). Memes hervorzuheben, haben Henry Jenkins, entstehen folglich nicht im luftleeren Sam Ford und Joshua Green (2013) Raum, sondern werden innerhalb von den Begriff der „spreadability“ (S.3) Medienkulturen, wie sie auf den Platt- eingeführt, den sie zur Beschreibung formen 4chan und Reddit vertreten von der Verbreitung digitaler Inhalte sind, produziert, zirkuliert und rezi- alternativ zum Viralitätsbegriff vor- piert. Dadurch werden Memes über- schlagen, der im Zusammenhang mit haupt erst zu einer Gruppe und/oder Internetphänomenen häufige Ver- einem Genre gemacht. Die Produk- wendung findet. Die aus der Biologie tion, Zirkulation und Rezeption von entlehnte Metapher der Viralität gäbe Memes sind laut Shifman „not just einen falschen Eindruck davon, wie prevalent practices: they have become Inhalte im Internet tatsächlich zirku- highly valued pillars of a so-called lieren oder genauer gesagt: zirkuliert participatory culture“ (ebd., S.4). Dabei werden. Denn laut Jenkins, Ford und gehen digitale Medienpraktiken wie Green ist Zirkulation keine passive das „editing, imitating, captioning, Angelegenheit; sie ist eng verbun- tagging, curating“ (Pauliks/Ruchatz den mit der Partizipationskultur der 2021, S.122) über Memes hinaus und Sozialen Medien (vgl. ebd., S.16-23). bilden für die Sozialen Medien im Demnach messen User_innen den Allgemeinen wichtige Bausteine. Inhalten, die sie zirkulieren, einen Mit dem Begriff ‚Partizipations- Wert bei – sie teilen Content also kultur‘ meint Shifman (2014a) die nicht, weil sie sich mit ihm infizieren, „Web 2.0 culture“ (S.18). Der Aus- sondern aus kulturellen, politischen, druck der participatory culture wurde ökonomischen und/oder persönlichen aber vor allen Dingen von Henry Jen- Gründen (vgl. ebd., S.35). Das Pro- kins (1992) geprägt und zunächst auf duzieren und Zirkulieren von Memes Fans von Fernsehserien bezogen, die und anderen digitalen kulturellen nicht einfach nur rezipieren, sondern Artefakten sind folglich „practices eigene Inhalte (z.B. in Form von Fan- of participatory culture“ beziehungs- fiction) produzieren. Im Zuge eines weise „practices of spreadability“ zunehmenden Mainstreamings fan- (ebd., S.xiv und S.9), die Jenkins, kultureller Medienpraktiken online Ford und Green mit einem deutli- wurde der Begriff der Partizipations- chen Fokus auf die Handlungsmacht kultur auf das Internet übertragen und der Partizipierenden hin untersuchen schließt dort sämtliche Partizipierende und gerade deshalb nicht mit Begrif- ein, die eigenen Content produzieren fen aus der Memetik vereinbar sind, und zirkulieren (vgl. Jenkins 2006; welche den Menschen ihre Hand- 2009; Jenkins/Ito/boyd 2016). lungsmacht zugunsten viraler Infek- Um den Aspekt des Zirkulierens tion absprechen (vgl. Dawkins 1997; von digitalem Content gesondert Blackmore 2000). 130 MEDIENwissenschaft 02/2023 In Verteidigung muss betont S.221). Einerseits ist das memeing werden, dass Memes im Internet nicht immer in einen sozialen Zusammen- zwangsläufig dieselbe Bedeutung hang eingebunden. Es kann also kein haben wie in der Memetik. Denn aus einzelnes Internet-Meme geben, da der Perspektive der Partizipierenden – Memes erst im sozialen Austausch mit das argumentiert zumindest W hitney anderen Partizipierenden entstehen. Phillips (2012) für Internettrolle auf Es geht hierbei um eine Kultivierung 4chan – sind Memes weder passiv von digitalem Content, die im Pro- noch verbreiten sie sich viral, son- zess des memeing zu Internet-Memes dern werden „actively engaged and/ gemacht werden. Bilder von Katzen or remixed into existence“ von Parti- sind keine LOLcats, werden aber zu zipierenden, die ihre „cultural literacy“ solchen gemacht in bestimmten kultu- nutzen, um digitale Inhalte überhaupt rellen Kontexten wie 4chan. Mediales erst zu Internet-Memes zu machen. Material durch memeing zu Memes Diese kulturelle Kompetenz ist mit zu machen, setzt spezifische Medien- anderen Worten die Voraussetzung für praktiken wie das Beschriften etablier- die Medienpraxis des memeing. ter Templates in der Schriftart Impact, Laut Michele Lankshear und Colin das Imitieren bestimmter Phrasen/ Knobel, welche sich als eine der Ersten Slangs wie LOLspeak und/oder das dezidiert mit Internet-Memes befasst Bearbeiten digitaler Bilder mit Pro- haben, ist „meme-ing – the practice of grammen wie Paint oder Photoshop generating and/or passing on memes – voraus. Erst im Zusammenspiel von […] a new literacy practice“ (Lanks- spezifischen Medienpraktiken kann hear/Knobel 2006, S.128; 2019, S.44). sich so etwas wie eine Medienpraxis In der Medienpraxis des memeing des memeing formieren und im prak- versammeln sich folglich Prakti- tischen Vollzug durch die User_innen ken der Produktion, Zirkulation und immer wieder aktualisieren. Denn Rezeption von Memes, die Medien- memeing folgt weder einer starren kompetenz voraussetzen. Knobel und Struktur noch basiert die Medien- Lankshear unterscheiden hiervon zwei praxis auf strukturlosen Handlungen. Formen: „When we examine memes Memeing ist vielmehr – analog gedacht as Literacy practices it is possible to zum Verhältnis von Differenz und see that they involve much more than Wiederholung bezüglich der Serialität simply passing on and/or adding to von Memes – das Produkt aus Struk- written or visual texts or information tur und Handlung. per se (i.e., literacy). Rather, they are Darauf verweisen ebenfalls B radley tied directly to ways of interacting Wiggins und Bret Bowers (2015) in with others, to meaning making, and Anschluss an die Praxistheorie von to ways of being, knowing, learning Anthony Giddens (1984), die die and doing“ (Knobel/Lankshear 2007, soziologische Grundsatzdebatte über Perspektiven 131 die Dominanz von Struktur oder und was nicht (mehr). Hierfür steht Handlung überwindet, indem sie exemplarisch bereits eines der ersten deren Wechselseitigkeit betont. Hand- Memes auf 4chan: Milhouse Is Not a lungen bringen Strukturen hervor, aus Meme (vgl. Pauliks 2022, S.185). Und denen sich neue Handlungen ergeben, klassische Image Macros wie LOLcats die wiederum neue Strukturen schaf- und Advice Animals sind mittlerweile fen. Diesen gesellschaftskonstituieren- so aus der Mode gekommen, dass den dualistischen Prozess bezeichnet bereits 2014 der Tod der Textsorte Giddens (1984) als Strukturation ausgerufen wurde. Image Macros seien (vgl. S.xxxi). Auf Memes übertragen, von jeglicher Novität und Kreativität heißt das, dass memeing Strukturen in beraubt. Als Antwort entstand das Form von Memes hervorbringt, aus Genre der Dank Memes, die Image denen sich Regeln und Ressourcen Macros als Format kritisch reflektie- ableiten lassen für weiteres memeing. ren und ironisieren (vgl. Milner 2016, Die Strukturation führt laut Wiggins S.43-46; Pauliks 2021, S.1-2). Dieses und Bowers (2015) zu Gruppen und/ Beispiel beweist, so augmentiert Ryan oder Genres von Internet-Memes: Milner (2015), dass Memes keines- „The continued production and repro- wegs vom Aussterben bedroht sind, duction of memes recursively con- sondern sich nur die Medienpraktiken stitutes the memescape signified by der Memes kontinuierlich wandeln. the duality of structure and agency“ An die Stelle klassischer Image Macros (S.1895). Wichtig hervorzuheben ist, treten sodann neue Formen, die andere dass Strukturation nicht nur Grup- Praktiken fordern. pen und Genres hervorbringt, sondern In Folge dieses Wandels hat auch Communities konstituiert, was Milner (2015) für die Meme Stu- Wiggins und Bowers mit ihrem Begriff dies den Practice Turn ausgerufen. memescape andeuten; „a portmanteau Milner meint damit, wichtig sei ein of meme and landscape to imply the „broader way to think about internet virtual, mental, and physical realms memes. One that’s more descriptive that produce, reproduce, and consume than prescriptive. More about the verb Internet memes“ (ebd., S.1893). than the noun. More about memetics as Der Dualismus von Struktur und a process than a meme as an object.“ Handlung impliziert einen kontinu- Mit ‚memetics‘ ist bei Milner nicht ierlichen Wandel des memeing. Da die Memetik als Pseudowissenschaft Medienpraktiken nicht identisch gemeint, sondern das memeing als wiederholt, sondern bei jedem Voll- Medienpraxis. Lässt man die Meme- zug variiert oder verworfen werden, tik hinter sich und ersetzt den Begriff findet in den Communities durch die stattdessen mit memeing, dann ist User_innen eine ständige Aushand- Milner zuzustimmen, dass eine einsei- lung darüber statt, was memeing ist tige Fokussierung auf Internet-Memes 132 MEDIENwissenschaft 02/2023 als mehr oder weniger starre Gruppen und Rezeption führen. Insbeson- oder Genres der eigentlichen Medien- dere beim Produzieren von Memes praxis kaum gerecht werden kann, die dienen Exemplare derselben Gruppe womöglich schon viel weiter ist als die oder desselben Genres als Vergleichs- Forschungspraxis. Anderseits können folie, um die Medienpraktiken des Memes aber auch nicht losgelöst von memeing abzuleiten. Die User_innen ihrer Erscheinung untersucht werden, erstellen Memes, indem sie sich ähn- da die Medienpraktiken rund um das liche Memes ansehen. Memes geben memeing immer schon auf die Produk- Regeln und Ressourcen vor, die die tion, Zirkulation und Rezeption von User_innen befolgen und benut- digitalem Content abzielen. zen oder verwerfen und umgestal- Daher ist es für die Meme Studies ten können, wodurch wiederum neue zielführend, „eine integrative Sicht- Gruppen und Genres von Memes weise“ (Krieg-Holz/Bülow 2019, S.110) entstehen. Dieses Zusammenspiel von zu verfolgen. Im Laufe des DFG-For- Struktur und Handlung ist in jedem schungsprojekts „Bildförmige Bildkri- einzelnen Meme enthalten. tik in Sozialen Medien“ wurde mit der praxeologischen Medien philosophie des digitalen Bildes ein solcher Ansatz Bestimmung des Memes als digitales entwickelt (vgl. Pauliks/Ruchatz 2021; Metabild 2023), mit dem sich Memes als digitale Memes schaffen eine mediale Umwelt Bilder betrachten lassen, in denen sich für digitalen Content in Form von Bild Text und Praxis miteinander verbinden. und Text, in dem die Medienprakti- Dieser Ansatz geht gerade nicht davon ken des memeing materialisiert sind. aus, „dass Memes zwischen ihrem Gewöhnlich ist diese mediale Umwelt Modus als Meta-Text und ihren kon- von Memes bildförmig und beinhal- kreten Formen hin- und her pendeln“ tet selbst Bilder. Deshalb lassen sich (Grünewald-Schukalla/Fischer 2018, Memes nicht nur als digitale Bilder, S.7) beziehungsweise zwischen der sondern genauer als digitale Metabil- angeblich abstrakten Praxis und der definieren. Laut W. J. T. Mitchell dem konkreten Content alternieren (1995) sind Metabilder „pictures about würden. Vielmehr nimmt der Ansatz pictures – that is, [1] pictures that refer die Materialisierung der Medienpraxis to themselves or [2] to other pic tures, im Meme selbst in den Blick. In Form [3] pictures that are used to show von digitalen Bildern können Memes what a picture is“ (S.35). Metabilder so als „materialisierte Medienpraxis“ reflektieren nicht nur sich selbst als (Pauliks/Ruchatz 2023, S.2) betrach- Medium und andere Bilder als ihren tet werden, in denen die Medienprak- Inhalt, sondern auch die Medienpraxis tiken des memeing beinhaltet sind, die von Bildern. Diese drei Merkmale von zu ihrer Hervorbringung, Verbreitung Metabildern finden sich in Memes Perspektiven 133 wieder: Ein Meme ist erstens ein digi- interpiktoriell/-textuell – formieren, tales Bild, das sich auf eine Gruppe stellt nach wie vor ein Desiderat in von ähnlichen Bildern bezieht. Mit den Meme Studies dar. Einerseits sind der Referenz auf andere Exemplare Memes der Content von (Sozialen) geht die Selbstreflexion des Memes Medien, anderseits haben Memes einher. Das Meme reflektiert, wie es als digitale Metabilder unterschied- zu der Gruppe gehört. Zweitens ist ein liche Medien zum Inhalt. Welche Meme eine Umwelt für andere digi- Spuren hinterlassen unterschiedliche tale und digitalisierte Bilder, die zum Medien bei der Produktion, Rezep- Meme gemacht werden. Die Referenz tion und Zirkulation von Memes? auf andere Bilder führt zur Medien- Welchen Unterschied macht es, ob reflexion. Das Meme reflektiert die ein Meme auf einer Fotografie, einem bildliche Aneignung von anderen Screenshot oder einem Video basiert? Inhalten. Ein Meme ist drittens eine Im Sinne von the meme is the message Anleitung für das Produzieren, Zir- wäre andersherum zu fragen, wel- kulieren und Rezipieren von Memes. chen Einfluss das Internet-Meme auf Die Referenz zeigt, was ein Meme ist den eigenen Inhalt ausübt, das heißt und wie es gebraucht werden kann. auf die Medien, die sich das Meme Das Meme reflektiert das memeing aneignet. Wie werden die Medien in als Medienpraxis. Erst in der Verbin- digitalen Content transformiert? Was dung von (1) Content, (2) Medien lässt den digitalen Content als Meme und (3) Praxis können sich einzelne in Erscheinung treten? Schließlich Exemplare zu einer Gruppe von wie- wäre zu überlegen, wie diese zwei dererkennbaren Bildern formieren, die Seiten derselben Medaille – das innerhalb der Internet-Meme-Kultur Meme als Medium und der Inhalt des als Memes situiert sind. Memes – durch die Medienpraxis des In zukünftiger Forschung müsste memeing zusammengehalten werden. noch stärker das Zusammenspiel von Welche Medienpraktiken kommen Medien wie Fotografie, Film, Fern- zum Einsatz, um Memes zu erstel- sehen, Video, Computerspiel und so len, zu verbreiten und zu verstehen? weiter mit Internet-Memes berück- Diese Fragen müsste eine medien- sichtigt werden. Wie sich Internet- wissenschaftliche Perspektive auf Memes intermedial – und nicht nur Memes in Betracht ziehen. 134 MEDIENwissenschaft 02/2023 Literatur Arkenbout, Chloë: „Has the Tweet Become a Meme?“ In: Nešović, Dunja (Hg.): PrtScn: The Lazy Art of Screenshot. Amsterdam: Institute of Network Cultures, 2022, S.64-67. Aunger, Robert (Hg.): Darwinizing Culture: The Status of Memetics as a Science. Oxford: Oxford UP, 2000. Blackmore, Susan: „The Memes’ Eye View.“ In: Aunger, Robert (Hg.): Darwini- zing Culture: The Status of Memetics as a Science. Oxford: Oxford UP, 2000, S.25- 42. 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