Fotografie und Film 345 Maho Wada: Stille Gewalt. Inszenierungen des Todes in den Filmen von Takeshi Kitano Berlin: Avinus Academia 2005, 103 S., ISBN 3-930064-60-X, € 16,- Die Beschäftigung mit wichtigen Filmemachern aus Asien bleibt im deutsch- sprachigen Raum zumeist auf einen aktiven Austausch einiger Interessierter in Internetforen beschränkt. Es ist bezeichnend, dass sich diese Situation allmählich zu verändern beginnt: Nach dem von Thomas Gaschler und Ralph Umard her- ausgebrachten Band zu John Woo (München 2005) liegt jetzt mit dem hier zu besprechenden Buch die ersten deutschsprachige Monografie über den wahr- scheinlich bedeutendsten japanischen Filmemacher der Gegenwart vor, über Takeshi Kitano. Trotz einiger wichtiger Preise wie dem Goldenen Löwen in Venedig 1997 für Hana-Bi und der Nominierung für eine Goldene Palme in Cannes für Kikujiros Sommer (1999) bleibt die Gesamtheit des umfassenden und vergleichsweise ein- 341, 1v!ED!EN\\'/.\Sl'/l.\(-/111/i 3/2006 heitlichcn (Euvrcs des Japaners hier noch nahezu unerschlossen. Wer sich Filme wie das schöne Surferdrama A Scene at the Sea (1991) oder die grelle Komödie Getting Any:' (1995) ansehen will, muss auf kure DVD-Importe aus dem Aus- land zurückgreifen. Von daher ist jede Veröffentlichung zum Thema Teil einer allmählichen Sichtbarwerdung und damit ein notwendiger und wichtiger Schritt. Warum sich dkse Vorstellung nach der Lektüre von Maho Wadas Studie Stille Gc1rn/t nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten lässt, soll hier dargestellt werden. Die Untersuchung versucht in kleinen Schritten eine Annäherung an die auf- fallenden Topoi, die fast alle Arbeiten des .Japaners prägen: Eine langsame, fast anti-narrative Entfaltung des Handlungsgeschehens, die ruhige kontemplative Sicht auf das Sosein der Dinge, die nur gelegentlich durch unmotivierte, plötzliche Einbrüche von Gewalt gestört wird, die unbeteiligte Kameraführung, die die Darsteller in unbeweglichen Totalen aus dem und in das Handlungsgeschehen treten lässt. sowie eine beständige Auseinandersetzung sowohl mit der Regel- hartigkeit der japanischen Kultur wie auch mit der Aporie der menschlichen Todesnotwendigkeit. Die Arbeit charakterisiert nach einer biografischen Skizze anfangs den Komiker ,Beat' Takeshi, als der Kitano zunächst in der Tradition des man.:ai-Spiels im japanischen Fernsehen Anerkennung gewinnen konnte. Danach werden filmische Gestaltungsmerkmale wie Kameraführung, Farbgebung und die Verwendung der Musik dargestellt, um im Anschluss die für den Regisseur bedeutenden Begriffe von Stille, Gewalt, Lachen und Tod in den Filmen zu ana- lysieren. Eine detaillierte Betrachtung der beiden vieldiskutierten Filme Sonatine (1993) und ffana-Bi schließt den Analyseteil ab. Man merkt der Arbeit sowohl in Sprachstil wie in Argumentation und Aufbau ihre Herkunft als Magister- bzw. Diplomarbeit an. Dies wäre im Grunde nicht problematisch, würde die Arbeit nicht sowohl sprachlich als auch formal und in der Argumentation eine ärgerliche Nachlässigkeit beim Blick in die Details offenbaren, die das Lektüreerlebnis leider schnell ernüchtern. Zunächst ist die enorm kleintcilige Gliederung der Arbeit zu erwähnen: Es ist auffallend. dass jedes Argument in einem eigenen Unterkapitel steht; diese werden dann bis zur vierten Stelle (6.2.2.1.) durchdekliniert, um jedes neue Kapitel bei knapp 100 Seiten äußerst verschwenderisch - auf einer neuen Seite zu beginnen. Das Ver- wenden von Abbildungen in der Studie ist zunächst sehr lobenswert, doch leider sind etliche im Text erwähnte Bilder in der Druckfassung nicht zu finden (z.B. Abb. 34-36, 45, 74-76). Hierzu gesellen sich zahlreiche wortwörtliche Wiederho- lungen, bei denen zunächst in einer Fußnote einige Besonderheiten der japanischen Kultur erläutert werden - hier zeigt sich zumeist Wadas wacher Insider-Blick-, doch dann werden die gleichen Erkenntnisse noch einmal in den gleichen Worten im Fließtext erwähnt (so in Fußnote 46 zur Bedeutung der Region Okinawa, über die man schon im Text auf derselben Seite aufgeklärt wurde); auch sollte man die Wendung „op. cit." nur verwenden, wenn man das angegebene Werk tatsächlich Fotografie 11/ld Fi/111 347 schon einmal im Text zitiert hat (vgl S.40). Der Verlag sollte sich auf jeden Fall überlegen, wem mit einer solch nachlässig redigierten und editierten Filmbuch- reihe (vgl. auch die Rezension von Nicole Kallwies zu Jana Milev: Die orrlose Seh11.111cht, in diesem Heft, S.336f) ein Gefallen getan werden soll. Sprachliche Patzer können passieren und formale Mängel lassen sich vielleicht auf das Lektorat zurückführen; beides kann man beim Lesen notfalls großzügig vernachlässigen. Doch leider cmkt die Mängelliste damit noch nicht: Auch die (ienauigkeit der Filmrezeption bzw. ihrer sprachlichen Wiedergabe im Text sowie die Einheit- lichkeit der Argumentationsstruktur lassen bisweilen zu wünschen übrig. Auf den Seiten 41 :ind 54 beschreibt die Autorin zwei Szenen aus So11atim;, Hisst jedoch jedes Mal subtile Details aus, die die Gesamtaussage der daraus gezogenen Analyseergebnisse bei ihrer Hinzunahme grundlegend verändern würden. So erwähnt sie nicht, dass der Protagonist in einer Szene, in der sich die Gangster mit Feuerwerkskörpern beschießen, plötzlich zu seiner Handfeuerwaffe greift und so aus der spielerischen Situation Ernst werden lässt. Über den Film Do/!s (2001) wird an mehreren Stellen (so aufS.24) geschrie- ben, dass er „eine Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau" beschreibt: es handelt sich jedoch um einen Episodenfilm, der gerade die Unterschiedlichkeit dreier Liebesgeschichten behandelt, die kunstvoll ineinander verschachtelt werden. Daneben fall~n immer wieder höchst einseitige biografische Erklärungsversuche auf die in ihrer oberflächlichen Referenz auf das Leben des Filmemachers kaum überzeugen können. Auf S.75 fragt die Autorin „Warum stellt Kitano in seinen Filmen Außenseiter der Gesellschaft, insbesondere Yakuza dar'1" und antwortet darauf: ,,Die Umgebung seiner Kindheit[ ... ] und seine Anfangsjahre als Komiker weisen Parallelen zur Yakuzawelt auf Darüber hinaus könnte es auch damit zusammenhängen, dass Kitano seit seinem Motorradunfall seine Gesichtsmimik nicht mehr vollständig kontrollieren kann, somit durch eine körperliche Schwäche charakterisiert ist:· - Dieser Erklärungsansatz lässt allerdings nicht erkennen, warum sich der Regisseur schon vor [994, also vor seinem Unfall, mit den Yakuza beschäftigt hat, auch nicht inwiefern eine körperliche Beeinträchtigung ein Inte- resse an Gangsterfiguren im Allgemeinen begründen sollte. Auch die Behauptung der Autorin, es gehe in den Filmen „nicht um giri und ninjo"', die den „traditio- nellen Yakuzahelden·' (S.28) charakterisieren, also um den in ('er japanischen Kulturgeschichte grundlegenden Konflikt zwischen selbstlosem Pflichtgefühl und zwischenmenschlicher Empathie bzw. Liebe, kann nicht aufrecht erhalten werden, hat doch der Filmemacher selbst in I nter,iews immer wieder einen Bezug gerade zu diesem Themenkomplex hergestellt; oben cr\\ähnter Film Dalis zeigt in allen drei Liebesgeschichten den Antagonismus von einzigartigem Licbese~mpfinden gegenüber dem Partner einerseits und Loyalität gegenüber einer gesellschaftli- chen Gruppe (Familie, Clan, berufliches Bedingungsfeld) andererseits. Aus den 348 AIEDIEN1,·isse11sclw/i 3/2006 genannten Gründen ist die Studie von Maho Wada nur bedingt als Einführung in das Werk von Takeshi Kitano zu empfehlen. Florian Mundhenke (Marburg)