Studienkreis Rundfunk und Geschichte Mitteilungen Nr. 2 - Januar 1975 Nachrichten und Informationen Seite 1 Internationale Vereinigung der Schall- archive - 50 Jahre Rundfunk in Spanien - ONDAS-Preis für DW und WDR - "Reden, die Oesterreich bewegten" - Projekt Kultur- Indikatoren/PKI - Carl Brinitzer - Regio- nalgruppe Mainz/Wiesbaden Winfried B. Lerg: Die zweite Runde der Seite 6 Rundfunkforschung. Bemerkungen nach der Jahrestagung München 1974 Walter Först: Zeigen, was zu zeigen ist. Seite 9 Über erste Ausstellungs-Erfahrungen Friedrich P. Kahlenberg: Rundfunkgeschichte Seite 11 im Ausstellungskatalog Hans Rink: Praxis der Dokumentation. Seite 14 Ein Hinweis Bibliographie Seite 16 2. Dissertationen: Recht/Sozialwissenschaften Christian Wallenreiter: Zwölf Jahre Rundfunk. Seite 20 Beobachtungen, Erfahrungen, Urteile Die Jahrestagung des Studienkreises wird zusammen mit der 1975 satzungsge- mäß fälligen ordentlichen Mitgliederversammlung am 5./6. September 1975 in der Kongreßhalle in Berlin stattfinden. Vorgesehen sind im Tagungsprogramm Referate zum 25-jährigen Bestehen der ARD, zum Jazz in Hörfunk und Fern- sehen sowie zur künftigen Entwicklung der Rundfunktechnik. Für Frühjahr 1975 sind zwei Wochenend-Kolloquien in der Sportschule Grünberg bei Gießen geplant. Das 3. Grünherger Doktoranden-Treffen wird sich am 26./27.4.75 mit der ~dition audiovisueller Quellen beschäftigen- in Zu- sammenarbeit mit dem Bundesarchiv und dem Institut für den wissenschaftli- chen Film (Göttingen). Die Fachgruppe Dokumentation des Studienkreises plant ein Wochenend-Kolloquium zum Thema "Benutzung der Rundfunk- und Fernseh- archive durch die wissenschaftliche Öffentlichkeit". Die Redaktion der MITTEILUNGEN bittet erneut um Mitarbeit. Im Rückblick auf die Jahrestagung 1974 in München hieß es in epd/Kirche und Rundfunk (Nr. 72 v.26.10.74): " ••• sollte der Studienkreis Überlegungen zum künftigen Tagungs- modus anstellen, da er jetzt in seinem Mitteilungsblatt ein Organ der Kommu- nikation besitzt. Eine Mitarbeit an diesen Mitteilungen über den Kreis der fünfköpfigen Redaktion hinaus sollte deswegen verstärkt angestrebt werden." Studienkreis Rundfunk und Geschichte e.V. Redaktion : Vorsitzender : Wilhelm Treue. Hannover/Göttingen Walter Först . Harald Heckmann Schriftführer: Waller Först, Westdeutscher Rundfunk Wolfgang Hempel 5 Köln 100, Postfach, Tel. 0221/220 3250 Friedrich P Kahlenberg, Werner Schwipps - 1 - NACHRICHTEN UND INFORMATIONEN Auf 79 Institute und 58 Personen - zusammen 137 - ist 1974 bei der IASA - Internationale Vereinigung der Schallarchive - die Zahl der Mitglieder gestiegen. Die 1969 gegründete IASA zählt zu ihren Mit- gliedern nicht allein Musikarchive, sondern Archive mit Schallaufnah- men jeglicher Art, deren Erhaltung und Bewahrung für Forschungszwecke nützlich sein kann. Sie dient der Vermittlung von Informationen über Konservierung, Lagerung und Katalogisierung sowie über Technik und Methoden der Aufzeichnung. Sie fördert die Anlage nationaler Disko- graphien, den Austausch von Kopien sowie die Beziehungen zwischen Forschungs- und Rundfunkarchiven. Die Mitglieder kommen aus 21 Län- dern, zu denen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zählen. Sämtliche Körperschaftsmitglieder verfügen über eigene Schallarchive. Zusammen mit der IAML - Internationale Vereinigung der Musikbiblio-- theken - organisiert die IASA jährlich jeweils im August oder Septem- ber ein Mitgliedertreffen; Tagungsort war 1974 Jerusalem. Drei- oder viermal jährlich erscheint die IASA-Zeitschrift "Phonographie Bulle- tin". Die Anschrift des Sekretariats der IASA ist: Dokumentations- zentrum SFW, Hengeveldstraat 29, Utrecht, Niederlande. (IASA) Eine Historische Kommission innerhalb der "Nederlandse Omroep Stich- ting", der Dachgesellschaft des Rundfunks in den Niederlanden, widmet sich seit 1965 der Erforschung der niederländischen Rundfunkgeschichte. Kein Staat in Westeuropa hat bekanntlich ein ähnlich komplexes Rund- funksystem wie die Niederlande. Mehrere konfessionell und politisch orientierte Systeme, die sich aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren, bestehen nebeneinander und erhalten entsprechend ihrer Größe Sende- zeiten zugeteilt. Der Historischen Kommission der NOS, deren Mitglie- der ehrenamtlich arbeiten, ist es inzwischen gelungen, reiche Akten- bestände sowie eine umfangreiche Sammlung alter Geräte und Ü-Wagen zusammenzutragen, die zum Teil geschenkt, zum Teil als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt wurden. Sie erfüllt damit die Funktion eines zentralen Rundfunk-Archivs in den Niederlanden. Zur Zeit bemüht sich die Kommission um den Aufbau einer Dauerausstellung in Hilversum. Die Archivbestände werden auch deutschen Benutzern zugänglich gemacht. Interessenten können sich wenden an: De Commissie Geschiedschreyving. - 2 - Nederlandse Omroep Stichting (NOS), t.a.v.Mr.J.J.H.M. Peters, Postbus 10, Hilversum, Nederlande. ( Bie) Zum fünfzigjährigen Bestehen des Rundfunks in Spanien ist im Verlag Editora Nacional, San Agustin 5, Madrid, von Luis Ezcurra, stell- vertretendem Intendanten des spanischen Fernsehens, erschienen: "Historia de la Radiodifusion Espanola - Los primeras anos" (Geschich- te des spanischen Rundfunks- die ersten Jahre). Es handelt sich dabei um die Dissertation unter dem Titel "Entwicklung der Gesetzgebung in Sachen spanischer Rundfunk - von dessen Anfängen bis 1936", mit der Luis Ezcurra an der Universität Madrid promoviert hat. Sie enthält eine Fülle von Dokumenten, beruht auf sorgfältigen Recherchen und zitiert häufig auch deutsche Quellen. Eine ausführliche Bibliographie, ein Sach- und Personenregister sowie eine Reihe seltener Fotos im An- hang runden das positive Bild dieser Veröffentlichung ab. Aus dem gleichen Anlaß des Jubiläums hat die Rundfunkstation Radio Barcelona eine Doppel-LP mit Tondokumenten in spanischer Sprache aus den Jahren 1924 bis 1974 herausgebracht. Zu den Dokumenten gehört auch eine Re- portage über die erste Südamerikafahrt des deutschen Luftschiffs Graf Zeppelin. - Die Buchveröffentlichung wie die beiden Schallplatten stehen für Interessenten in Bibliothek und Schallarchiv der Deutschen Welle in Köln zur Verfügung. (Schw) Der internationale ONDAS-Preis 1974 ist zweimal an die Bundesrepublik Deutschland gefallen, und zwar an die Deutsche Welle und den West- deutschen Rundfunk. Mit dem Hörfunk-Preis wurde wegen ihrer hervorra- genden Qualität in Inhalt und Gestaltung sowie in der Stereo-Technik die vom Transkriptionsdienst der Deutschen Welle eingereichte spani- sche Sprachfassung des dokumentarischen Features "Glocken in Europa" von Peter Leonhard Braun ausgezeichnet. Den Fernseh-Preis erhielt wegen ihres sozialkritischen Wertes die WDR-Produktion "Die deutschen Zigeuner heute" von Christine Schaefers-Breckoff. Der ONDAS-Preis wird jährlich von der Programmzeitschrift ONDAS der spanischen Kette Sociedad Espanola de Radiodifusion (SER) verliehen. Er ist nach Hör- funk und Fernsehen sowie jeweils für Spanien, Lateinamerika und den internationalen Bereich unterteilt. (Schw) - 3 - Zum fünfzigjährigen Bestehen des Österreichischen Rundfunks am 1. Oktober 1974 ist von Viktor Ergert, ORF-Mitarbeiter für Medien- und Meinungsforschung, eine vierteilige Dokumentation erarbeitet worden, deren beiden ersten Abschnitte unter dem Titel "50 Jahre Rundfunk in Österreich" Band I: 1924-1945 im Residenz Verlag o.O.o.J. (Salzburg 1974) erschienen sind. Auf 245 Seiten, illustriertdurch zahlreiche Fotografien, Grafiken und Karikaturen, schildert Ergert anschaulich die Gründungsvorbereitungen des späteren langjährigen Generaldirek- tors der "Österreichischen Radio-Verkehrs AG" (RAVAG), Oskar Czeija. An Stichworten aufgereiht wird über die Radiotechnik, das "Wissen- schaftliche Programm", das Stiefkind Information, die ersten Übertra- gungen der Salzburger Festspiele und die Auseinandersetzungen in den Überwachungsgremien berichtet. Von 1932/33 an wurde der Rundfunk in Österreich ein Instrument autoritärer Staatsführung, von 1938 an war er ein Teil der (deutschen) Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und der "Reichssender Wien" einer von rund einem Dutzend Hauptsendern mit einem Intendanten an der Spitze. Abschließend enthält das Buch eine "Kurze Chronik und Zeittafel zur Rundfunkgeschichte", die die Jahre 1924 bis 1974 berücksichtigt. Die gleiche Chronik ist auch im ORF-Almanach 1974 (S. 270-298) abgedruckt, der in einem kleinen Kapitel ebenfalls auf 50 Jahre Rundfunk in Österreich eingeht. (Di) Anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens des Österreichischen Rundfunks hat die ORF zwei Schallplattenkassetten herausgegeben. Die Kassette "Reden, die Österreich bewegten" (Philips 6641 215, Stereo) enthält teilweise längere Ausschnitte aus Ansprachen von Karl Renner (Herbst 1928) bis Julius Raab und Theodor Körner, die beide zur ersten Parade des neugeschaffenen Österreichischen Bundesheeres am 26.9.1955 hiel- ten. Dazwischen hört man u.a. Dollfuß, Schuschnigg, Figl und Schärf. Zusammengestellt wurde die Kassette von Intendant Dr. Glaser (Studio Wien) und Rainer Hubert unter Mitarbeit von Prof. Ludwig Jedlicka. In einem illustrierten Beiheft ist der Wortlaut der Redenausschnitte ab- gedruckt. Leider fehlen Angaben über die Dauer der einzelnen Aus- schnitte. Die zweite Kassette, "Radiolieblinge von gestern" (Philips 6641 216; Stereo), enthält Lieder, Interviews, Rezitationen und Re- portagen u.a. von Leo Slezak, Raoul Aslan, Franz Lehar und Hans Moser. Die Redaktion besorgte Rudi Klausnitzer, Mitarbeit R. Mildner. Das Beiheft enthält neben instruktiven Fotografien aus den zwanziger und - 4 - dreißiger Jahren eine siebenseitige Zeittafel "50 Jahre ORF 1924-1974". Bei der Übersicht über die Tonaufnahmen fehlen leider die Aufnahme- daten, die bei historischen Tonaufnahmen unbedingt vermerkt werden sollten. (DRA) Im Filmarchiv des Bundesarchivs wird z. z. ein Katalog erhalten ge- bliebener Dokumentarfilmaufnahmen zur Geschichte des Rundfunks in De utschland vorbereitet. Zunächst sollen die aus der Zeit bis zum Kriegsende erhaltenen Filme katalogisiert und beschrieben werden. Nach- richten über noch in Privatbesitz befindliche Aufnahmen wie über Samm- lungen entsprechenden Filmmaterials werden erbeten an: Prof. Dr. Friedrich P. Kahlenberg, Bundesarchiv, 5400 Koblenz, Am Wöllershof 12. (FPK) Vergleichende Fernsehforschung als vergleichende Sozialgeschichte ist der Bezugsrahmen für ein internationales Forschungsprojekt über Inhal- te und Auswirkungen bestimmter Fernsehprogramme, in erster Linie Fern- sehspiele jeden Typs. Das Vorhaben läuft unter der Bezeichnung Projekt Kultur-Indikatoren/PKI (project cultural indicators) und wurde bereits vor drei Jahren von der Annenberg School of Communications der Univer- sität von Pennsylvania in Philadelphia unter Leitung von George Gerbner mit Unterstützung des National Institute of Mental Health be- gonnen und soll nun gleichzeitig in mehreren anderen Ländern weiter- geführt werden. In der Bundesrepublik Deutschland hat das Institut für Publizistik der Universität Münster das PKI in sein Forschungs- programm aufgenommen. (WBL) Am 24. Oktober 1974 starb in London im Alter von 67 Jahren der Schrift- steller, Journalist und Übersetzer Carl Brinitzer. Der studierte Ju- rist emigrierte 1933 nach Italien und ging 1936 nach London, wo er von 1938 bis 1967 im Dienst der BBC stand. Brinitzer schrieb u.a. Monographien über Gc org Christoph Lichtenberg (1956), den Hamburger Verleger Julius Campe (1962), ein Buch über "Lichtenberg und Chodie- wiecki" (1971) und eine Heinrich-Helne-Biographie (1960). 1969 er- schien bei Hoffmann und Campe sein Buch "Hier spricht London - von einem der dabei war", das seine Arbeit im Deutschen Dienst der BBC während des Zweiten Weltkrieges schildert. Der Studienkreis Rundfunk und Geschichte hatte Carl Brinitzer zu seiner Gründungsversammlung - 5 - am 10. Juni 1969 nach Ludwigshafen eingeladen, wo dieser Uber die Rundfunkpropaganda während des Zweiten Weltkrieges sprach und dabAi besonders die von Goebbels gesteuerte Auslandspropaganda des Dritten Reiches der Informationstätigkeit der BBC gegenüberstellte und die wesentlichen Unterschiede herausarbeitete. (Hp) Von der Möglichkeit, "mit Zustimmung des Vorstands ••• regionale MitgliederzusammenschlUsse" zu bilden (§ 7 Abs. 1 der Satzung des Studienkreises), haben im abgelaufenen Jahr zum ersten Mal die Mit- glieder im Raum Mainz/Wiesbaden Gebrauch gemacht. Die konstituieren- de Sitzung der Regionalgruppe, an der auch der Intendant des ZDF, Prof. Dr. Karl Holzamer, teilnahm, fand am 20.3.1974 in Mainz statt. Auf der zweiten Sitzung der Regionalgruppe am 8.7.1974 wurden der Leiter des Historischen Hausarchivs des ZDF, Hans Rink, zum Sprecher und Frau Elisabeth Berg (Redaktion Media-Perspektiven) zum stellver- tretenden Sprecher der Gruppe gewählt. Die Funktion eines 2. Stell- vertreters wird in KUrze ein Studienkreis-Mitglied aus dem SWF-Lan- desstudio Rheinland-Pfalz übernehmen. Für die Arbeitssitzungen der Regionalgruppe Mainz/Wiesbadenist ein etwa vierteljährlicher Rhytmus mit wechselndem Tagungsort vorgesehen. (HR) Die Fachgruppe Musik des Studienkreises soll in nächster Zeit reak- tiviert werden. Interessenten werden gebeten, sich mit Herrn Prof. Dr. Siegfried Goslich, Bayerischer Rundfunk, 8 München 2, Rundfunk- platz 1, in Verbindung zu setzen. (Fö) - 6 - Winfried B. Lerg: DIE ZWEITE RUNDE DER RUNDFUNKFORSCHUNG Bemerkungen nach der Jahrestagung München 1974 Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat ein weniger schlechtes Gewissen als andere Disziplinen der Human- und Sozial- wissenschaften, wenn es um ihre historische Dimension geht, um die Geschichte des Austauschs von Wissen unter Menschen. Nun hat dieser Umstand einen historischen Grund. Die alte Zeitungswissenschaft war zunächst - wie der Name sagte - rein medienkundlieh fixiert, und man arbeitete vorwiegend historisch - pressehistorisch. Dabei handel- te es sich um zeitungsmonographische Untersuchungen über einzelne Verlage und ihre Ver6ffentlichungen oder um einzelne Zeitungen und Zeitschriften und ihre Redakteure, Herausgeber und Verleger. Daneben entstanden dann aber sehr bald Arbeiten über den Aufbau der Zeitung; Strukturuntersuchungen nennt man das heute. Die Ressort- und Sparten- konstruktion der Presse wurde untersucht in diachronischer und syn- chronischer Auslegung, unter historischen oder zeitgen6ssischen Fra- gestellungen. Das klassische Werk, bis heute für den Pressehistoriker unentbehrlich, wurde Otto Groths Vierbänder "Die Zeitung", der 1928-30 erschien. Auf der letzten Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte am 18. und 19. Oktober 1974 in München ließen die Vorträge und Aussprachen erkennen, was Wilhelm Treue ein Jahr zuvor erst noch nur hoffen konnte: anhaltendes Interesse für die Rundfunkgeschichte ubers Jubiläumsjahr hinaus bei gleichzeitiger Differenzierung dieses Interesses. Während bei den Berichten von Christian Wallenreiter und Heinrich K6sters auf einmal die Grenzen der Zitation von Zeugen deutlich wurden, sobald sie der Historiker sich selbst überläßt, zeigten die Beiträge von Gunthar Lehner und Siegfried Gaslieh - annotierte Programmchroniken "Wort" und "Musik" - die Vorstufen einer Programmgeschichtsschreibung auf, so unbehauen sie auch noch ausgefal- len sind. Einen ersten Einfühlungsversuch stellte auch der Beitrag von Gerhard Hay dar; der Münchner Literaturwissenschaftler hatte ge- reimte und ungereimte Reaktionen von Schriftstellern aus den Jahren bis 1933 auf das neue Medium gesammelt und sortiert auf einer Skala zwischen Kulturpessimismus und Fortschrittseuphorie, zwischen Reich und Republik. Am zweiten Tag der Jahresversammlung bot der Vortrag von Michael Crone (Bayerisches Rundfunkgesetz 1972/73) ein aktuelles Beispiel, der Vortrag von Wolf Bierbach (SPD-Rundfunkpolitik um 1929) ein historisches Beispiel für medienpolitische Ansprüche und Absich- ten von Parteien auf dem Gebiet des Rundfunks. Die Münchner Beiträge bieten Beweise, die unübersehbar sind für die These, daß die Rundfunkgeschichtsschreibung in unserem Land in ihre zweite Runde eingetreten ist: Auf die - freilich noch längst nicht abgeschlossene,oder soll man eher sagen: ausgestandene - Runde der politischen Mediengeschichte, der Geschichte der publizistischen Institution "Rundfunk", seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Or- ganisation und Einbindung in die jeweilige Kommunikationsverfassung der Epoche, folgt nun die soziale Mediengeschichte, die Geschichte des Kommunikationsmittels "Rundfunk", seiner Publizisten und seines Publikums, seiner Strukturen, Darbietungsformen und Inhalte, seiner Beziehungen zu politischen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen - in der jeweiligen Epoche. - 7 - Die Kommunikationsforschung - und Rundfunkhistoriographie gehört zweifellos dazu - unterscheidet grob zwischen: 1. Kommunikaterforschung (Menschen und Medien); sie arbeitet bio- graphisch und institutionengeschichtlich; 2. Aussageforschung (Formen, Inhalte, Strukturen); sie arbeitet gattungs- und strukturgeschichtlich und beschreibt inhaltliche Trendentwicklungen; 3. Rezipientenforschung (Medien und Publica); sie arbeitet diffu- sionsgeschichtlich und sozialstatistisch. Systematisch gesprochen hat die Rundfunkhistoriographie offenbar den ersten Schritt von der Kommunikaterforschung als politischer Medien~ geschichte zur Aussageforschung alssozialer Mediengeschichte gemacht, wozu übrigens auch die Programmgeschichte gehört. Rundfunkgeschicht- liche Aussageforschung untersucht zunächst die Programmstrukturen und ihre Elemente, die Themenkreise und Darbietungsformen einzelner Programmbeiträge oder "Sendungen". Im nächsten Schritt werden aus den Befunden solcher Untersuchungen Schlüsse auf Ursachen und Wir- kungen von Rundfunkpublizistik gezogen, auf wahrscheinliche Absich- ten von Programmachern und auf wahrscheinliche Wirkungen bei Programm- empfängern. An dieser Stelle kann selbstverständlich kein Forschungsprogramm ent- worfen werden, sondern es geht vorderhand um die Mitteilung einer Beobachtung. Immerhin soll angemerkt werden, daß man es bei der rund- funkhistorischen Aussage- und Rezipientenforschung mit anderen und bisweilen für den Historiker nicht immer sehr vertrauenerweckenden Quellen und Zeugnissen zu tun haben wird. Hierbei ist in erster Linie an publizistisches Material zu denken, an Tageszeitungen und Zeitschriften, vor allem an die Programmzeitschriften und die wenigen rundfunkkundliehen Zeitschriften. Auch die Sekundärliteratur muß unter den je besonderen Fragestellungen sorgfältig ausgewertet werden, besonders die einschlägigen Hochschulschriften. Hierzu ist der Stu- dienkreis bereits bibliographisch tätig, könnte aber seine Aktivität noch erweitern. Für den deutschen Rundfunk fehlt beispielsweise ein Hilfsmittel, wie es F. E. Barcus für die Vereinigten Staaten zusam- mengestellt hat, eine Bibliographie der Untersuchungen über Programm- inhalte 1928 bis 1958 (Journal of Broadcasting, Vol. IV/1960). Hörer- und Zuschaueruntersuchungen bekommen nun historischen Wert. Hansjörg Bessler hat eine Geschichte der deutschen Hörerforschung im Manuskript abgeschlossen. Sie wird bald veröffentlicht werden können. Doch der Historiker wird auch Grundkenntnisse über die empirische Sozialfor- schung haben müssen, um Daten- und Zahlenwerke deuten zu können, um sie, wo nötig, sekundäranalytisch auszuwerten oder wenigstens ver- gleichbar machen zu können. Schließlich müssen nun die - noch über- sehaubaren - Einzeluntersuchungen auf die Reihe gebracht werden, sei es eine Untersuchung über die Darstellung der Frau in Fernsehspielen (Klein-Albenhausen 1970) oder eine Studie über das "Wort zum Sonntag" (G.Schmid 1971), seien es die Aussageuntersuchungen über die Programme des "Deutschen Kurzwellensenders" für die Vereinigten Staaten (J.S. Bruner 1941; A.L. George 1959) oder die Arbeiten über die Deutsch- landdienste der "British Broadcasting Corporation" (Wittel 1962) und von "Radio Moskau" (Ostrogorski 1971), die Arbeit über Fernsehen und Geschichtsunterricht (Herzig 1967) oder über Zeitgeschichte im Deutschen Fernsehen (Feil 1974). - 8 - Die zweite Runde der Rundfunkforschung wird sich noch stärker als in der ersten Runde für das Interesse anderer als den allgemein historischen und kommunikationsgeschichtlichen Disziplinen öffnen müssen. Neben der . Literatur- und der Musikwissenschaft wird mit Forschungsaktivität bei den Politik- und Gesellschaftswissenschaften mit geschichtlichen Fragestellungen gerechnet werden können. Der Studienkreis dürfte nicht allein mit Anregungen und Hinweisen von praktischem Nutzen sein, sondern zunehmend integrierende Aufgaben bei der Einordnung und Verarbeitung von notwendigerweise ständig stärker sich ausdifferenzierenden Einzelunter~uchungen wahrzunehmen haben. - 9 - RUNDFUNKGESCHICHTE IN AUSSTELLUNGEN 50 Jahre nach dem ersten öffentlich gesendeten Programm der Rundfunkanstalten in Deutschland gab es 1973/74 vielfältigen Anlaß zur Rückschau. Die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland während der zurückliegenden fünf Jahrzehnte un- ter den verschiedensten wissenschaftlichen Fra- gestellungen zu würdigen, vor allem aber auch zu bewerten und kritisch darzustellen, lag nahe. Leider waren verschiedene Ansätze für eine ge- meinsame Arbeit der einzelnen Anstalten in dieser Richtung, aus welchen Gründen auch immer, nicht von Erfolg gekrönt. Insofern mußte bei einem eher beiläufigen Eingehen der Presse auf das Jubiläum den in der Bilanz vielfältigen Initia- tiven einzelner Anstalten für ihren jeweiligen Bereich besondere Bedeutung zukommen. Sie för- derten wissenschaftliche Publikationen zur Rund- funkgeschichte unter den verschiedensten Aspek- ten, darüber hinaus planten und zeigten einige von ihnen Ausstellungen zur Geschichte der An- stalt bzw. ihrer Vorläufer im Sendegebiet im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Inwieweit solche Wege der Darstellung von Rundfunkgeschichte wissenschaftlichen Ertrag zu erbringen geeignet sind, wäre freilich verfrüht zu fragen. Aus der konkreten Erfahrung seiner Vorbereitung einer Ausstellung zur Geschichte des Westdeutschen Rundfunks "Von Münster nach Köln" gibt an die- ser Stelle Walter Först Hinweise zu Aufgabe, Methodik und Wirkung einer rundfunkgeschicht- lichen Ausstellung. Über den Katalog der Aus- stellung einer anderen Anstalt berichtet in einer Besprechung Friedrich P. Kahlenberg. Für MITTEILUNGEN NR. 3 hat Werner Schwipps eine kritische Würdigung des Deutschen Rundfunk- Museums in Berlin zugesagt. Walter Först: ZEIGEN, WAS ZU ZEIGEN IST Über erste Ausstellungs-Erfahrungen Ausstellungen sind keine Museen, und deshalb lassen sich die weni- gen Ausstellungen zur Rundfunkgeschichte, die bisher veranstaltet wurden, nur schwer mit dem Deutschen Rundfunk-Museum in Berlin oder ähnlichen Einrichtungen, wie sie beispielsweise in Hilversum ge- plant sind, vergleichen. Das Museum als Dauerausstellung, das seine Bestände von Zeit zu Zeit, freilich nach der unerläßlichen wieder- holten Selektion, erweitert, um wenigstens in groben Zügen der Chro- nologie gerecht zu werden, bedarf einer überzeugenden Konzeption; - 10 - die Ausstellung kann da, weil sie zeitlich und thematisch ad hoc aufgebaut wird, großzUgiger, aber auch flUchtiger sein. Keine Aus- stellung und kein Museum zur Rundfunkgeschichte hat bis jetzt eine Lösung gefunden, der man Modellcharakter zusprechen könnte. Am Ende der Jubiläumsphase des Rundfunks in Deutschland fehlten nicht nur eine Gesamtdarstellung der Rundfunkgeschichte und entsprechende Ar- beiten Uber die Geschichte der einzelnen Programmgesellschaften und Anstalten, sondern auch Einrichtungen, die neben dem wissenschaftlich Interessierten dem Publikum einen anschaulichen Überblick Uber das Medium geben - sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte. Das BUndel der Einzeljubiläen mit seiner zeitlichen Streuung inner- halb der beiden Eckdaten 29. Oktober 1923 (Berliner Funkstunde) und 10. Oktober 1924 (Westdeutsche Funkstunde) hat sicherlich öffent- liches Interesse an der Rundfunkgeschichte geweckt. Aber dieses In- teresse beschränkte sich doch eher auf das Pittoreske des frUhen Rundfunks aus heutiger Sicht - der Detektor gleichgesetzt mit dem Charleston, der Kopfhörer mit dem Bubikopf: Kostüm der Zeit nach dem Ende der Inflation von 1923. Erhaltengebliebene erste Empfangsgeräte, von Bastlern, die noch leben, damals aus Holz, Draht und Blech her- gestellt, begeistern heute Bastler und Sammler; Programmzettel, SpielbUcher, Noten, vor allem aber immer wieder vergilbte Fotos und Zeitungsausschnitte wecken Erinnerungen bei den Älteren, und das um- gibt die Frühzeit mit einem versöhnlichen Glanz, hinter dem sich Zusammenhänge und Probleme verflüchtigen. Aber das gilt nicht allein fUr die GrUndungszeit. Jeder, der ihn noch selbst gekannt und be- nutzt hat, sucht in einer Ausstellung den Volksempfänger von 1936 und bewundert das kaum weniger alte erste Fernsehgerät mit senkrecht stehender Braun'scher Röhre, das sein Bild deshalb in einem Spiegel wiedergab, der in dem aufzu~tellenden Deckel angebracht war. Die Ver- se, Sprüche und Lieder der Drei Lustigen Gesellen des berühmten "Frohen Samstagnachmittags" vom Reichssender Köln, der in den späten dreißiger Jahren von allen anderen Reichssendern übernommen wurde, liest man sie heute in den Manuskripten von damals und in ganzen BUchern nach, in denen sie,mit Zeichnungen versehen, nachgedruckt wurden, wirken nur noch albern. Dabei zeigt eine Ausstellung sehr wohl das BedUrfnis eines Teiles der Rezipienten nach unmittelbarem Kontakt mit "ihrer" Rundfunkan- stalt. Der WDR hatte während der Vorbereitungen zu der Ausstellung "Von MUnster nach Köln'' die Hörer um Erinnerungsstücke als Leihgaben gebeten, und das Echo darauf war lebhaft. Manches dieser Stücke hätte als Exponat in der Ausstellung gefehlt und bereichert nun das Histo- rische Archiv, das in keiner Anstalt vollständig ist und ohne die Auswertung auswärtiger Quellen nicht komplettiert werden kann. Leih- gaben von Hörern beschränken sich freilich meist auf Äußerlichkeiten; sie sind kein Vehikel fUr eine auch nur einigermaßen repräsentative Hörerforschung der Frühzeit, tragen zur Institutionsgeschichte nur wenig bei und enthalten auch nur selten neue programmgeschichtliche Aufschlüsse. Der Wert dieser Art von Feed Back liegt vielmehr in der Bestätigung des KontaktbedUrfnisses auf eine sonst nur selten mögliche Art und in dem Einblick in die Vorstellungen, die beim na- menlosen Hörer bestehen. Ausstellungen zur Rundfunkgeschichte, in einzelnen Funkhäusern gezeigt, sind für den Besucher Uber ihren eigentlichen Anlaß hinaus meist zugleich eine unmittelbare Möglichkeit, Reaktionen, Kritik und WUnsche zu artikulieren. - 11 - Ausstellungswürdigkeit und Ausstellbarkeit der Rundfunkgeschichte lassen sich allerdings nicht ohne Schwierigkeiten behaupten und be- weisen. Soweit es um Personen, um die Institution im ganzen, um Or- ganisation, Finanzen und vor allem um Technik geht, unterliegen Didak- tik und Methoden ähnlichen Problemen wie viele Ausstellungen ähnlicher Art. Die Technikgeschichte kann sich dabei auf Erfahrungen und Erfolge stützen, die bewährte Einrichtungen, allen voran das Deutsche Museum in München, aufzuweisen haben. Man wird die reine Technikgeschichte aus Ausstellungen zur Rundfunkgeschichte ohnehin im allgemeinen aus- klammern können, da es eben das Deutsche Museum, aber auch manche an- deren einschlägigen Einrichtungen der Industrie seit langem gibt. Schwieriger wird es auf dem Gebiet der Programmgeschichte. Grundsätz- lich gilt für Hörfunk und Fernsehen ähnlich wie für das Theater, daß eine Ausstellung gleichsam nur die Versatzstücke, Rahmen und Kulisse, nicht aber das Programm selbst zeigen kann, das sich, wie beim Film, nur vorführen, nicht aber eigentlich ausstellen läßt. Auch ein film- geschichtliches Museum muß sich, so sehr es natürlich Filmvorführun- gen anbieten kann, auf Geräte, Requisiten, Drehbücher, gedruckte Texte über den Film und Plakate beschränken. Für den Hörfunk fehlt für die Zeit, bevor es Aufzeichnungsmöglichkeiten gab, ohnehin jeg- liches Stück Programm. Und das Material aus der jüngeren Zeit, das Material aus den zahlreichen Programmen von Hörfunk und Fernsehen, ist längst unübersehbar. Ausstellungen zur Rundfunkgeschichte, die zugleich auch Hörfunk- und Fernsehprogramme vorführen wollen, werden noch sehr viel stärker auswählen müssen als der geplagteste Archivar. Für die eigentliche Ausstellung ist dann eine Präsentationstechnik nötig, die auf Ausschnitte aus dem Programm weitgehend verzichtet. Denn dieses kann für den Hörfunk ohnehin nur umschrieben werden - beim Wort durch Textmanuskripte, bei Musik durch Noten und Arrange- ments. Standfotos von Fernsehfilmen sind ähnlich magerer Abklatsch wie die Schaukästen der Kinos, action in der geronnenen Form der Mo- mentaufnahme steril, Fotos von Produktionsszenerien kein Ersatz für das fertige Produkt. Schon ein paar Szenenfotos von einem zehn Jahre alten Fernsehspiel geraten in die Gefahr, ähnlich wie der Detektor von 1923 nur noch nostalgischer Lustbefriedigung zu dienen. Machen die Probleme der Präsentation Ausstellungen zur Rundfunkge- schichte gerade deswegen reizvoll, so kommt ihnen für die Rundfunkge- schichte im ganzen besondere Bedeutung zu, da diese öffentlich bisher nur begrenzt auf Interesse stößt. Mängel und Versäumnisse, die am Ende der Jubiläumsphase des Rundfunks in Deutschland gleichermaßen der Wissenschaft wie den Rundfunkanstalten anzulasten wären, sind sicherlich auch mit Ausstellungen nicht wettzumachen. Doch könnten Ausstellungen dazu beitragen, der Rundfunkgeschichte den Stellenwert zu verschaffen, der ihr zukommt, wenn die Geschichte des Mediums als ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte gesehen wird. Friedrich P. Kahlenberg: RUNDFUNKGESCHICHTE IM AUSSTELLUNGSKATALOG Die Teilnehmer der Jahrestagung 1974 des Studienkreises Rundfunk und Geschichte in München hatten im Gebäude des Bayerischen Rundfunks Gelegenheit, die Ausstellung "50 Jahre Deutscher Rundfunk" zu be- - 12 - sichtigen. In ihrer Informationsmappe fanden sie einen Katalog zu dieser Ausstellung vor. NDR und WDR war es für ihre Ausstellungen in Harnburg und Münster (später auch in Köln) nicht gelungen, die in langer Vorbereitungszeit unter großen MUhen und mit Engagement ermittelten und gesicherten Ausstellungsobjekte in einem Katalog zu beschreiben. Die Nachwirkung einer jeden Ausstellung orientiert sich für den Besucher an den im Katalog enthaltenen Grundinforma- tionen und an der Qualität und der Anzahl der Abbildungen; die Beschreibung der ausgestellten Gegenstände ist schließlich auch die Voraussetzung für die wissenschaftliche Wertung und damit für die Nachwirkung. Vor diesem Hintergrund ist das Erscheinen des hier anzuzeigenden Katalogs einer rundfunkgeschichtlichen Ausstellung zu begrüßen: 50 Jahre Deutscher Rundfunk. Eine Ausstellung des Goethe-Instituts zur Pflege deutscher Sprache und Kultur e.v., Ausstellung und Katalog: Hansjörg Schmitthenner, München (Goethe-Institut) 1974, 68 s. In einem Geleitwort betont der Präsident des Goethe-Instituts, Hans von Herwarth, daß die Ausstellung "nach einer Idee von Hansjörg Schmitthenner in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk, München, entstanden sei" (S. 3). Tatsächlich dürfte dieser im Jahre 1974 im Gebäude des Bayerischen Rundfunks in München erstmals gezeigte Aus- stellung - 50 Jahre nach dem Sendebeginn der Deutschen Stunde in Bayern am 30.3.1924 -keineswegs das ursprüngliche Konzept "50 Jahre deutscher Rundfunk" zugrundegelegen haben, so wenig es sich ursprüng- lich um eine Ausstellung des Goethe-Instituts handeln konnte, wie die Außentitel, Titel und das Impressum (S. 68) nahelegen. Ausstellung und Katalog geben vielmehr einen Überblick über die Grundzüge der Entwicklung der Rundfunkarbeit in Bayern, der freilich vom verant- wortlichen Autor in eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse der deutschen Rundfunkgeschichte eingebettet wurde. Der Katalog gibt weniger ein Verzeichnis und eine Beschreibung der ausgestellten Objekte- im wesentlichen fotografische Aufnahmen und einzelne Empfangsgeräte- im Mittelpunkt steht vielmehr der chronolo- gisch angeordnete Aufriß der Daten zur Rundfunkgeschichte. Gleich- sam als Motto vorausgestellt wurde ein knapper Auszug aus der Rede Albert Einsteins zur Eröffnung der 7. Deutschen Funkausstellung am 22. August 1930 in Berlin, wo Einstein die "einzigartige Funktion" des Rundfunks "im Sinne der Völkerversöhnung" betonte. Im übrigen gliedert sich der Katalog in 4 größere Abschnitte: Unter der Über- schrift "Die Früh- und Vorgeschichte des Rundfunks.- Die Geschichte seiner technischen Entwicklung" werden zunächst die wichtigsten Daten zur Entwicklung der technischen Voraussetzungen mitgeteilt. Bei der Erwähnung der verschiedenen Anwendungsbereiche der drahtlosen Telegrafie wird noch in der bis vor einem Jahrzehnt üblichen Betonung seines überragenden Einflusses von Hans Bredow gesprochen, während das inzwischen erarbeitete differenzierte Bild der geschichtlichen Entwicklung kaum rezipiert wurde. Die Zeit der Weimarer Republik wird in 3 Unterabschnitten behandelt: "Der Sendebeginn" (der Westdeut- sche Rundfunk begann seine Sendungen am 10.10.1924 nicht in Köln, sondern in Münster, s. 22), "Wer sendet in wessen Auftrag und mit welchen Rechten und Pflichten?" und "Jedem Hörer sein Programm". - 13 - Erfreulich ist anzumerken, daß trotz des bescheidenen Umfangs der Ausstellung das Kapitel über den Rundfunk in der nationalsozialisti- schen Zeit mit Hinweisen zur Rundfunkpropaganda auch der Kriegsgeg- ner ergänzt wurde. Die Entwicklung seit 1945 wird in den Abschnitten "Der Rundfunk der Besatzungsmächte in Deutschland" und "Der dritte deutsche Rundfunk: Rundfunk der Bundesrepublik Deutschland seit 1948" behandelt. Bei der Berichterstattung über die Entwicklung der Ultra- kurzwellensender seit 1949 erfahren die Pionierarbeiten in Harnburg keine Erwähnung, vielmehr beschränkt sich der Verfasser auf die Skizzierung der Entwicklung in München. Weitere Hinweise zur Programrn- arbeit gelten den Sendungen für Gastarbeiter ebenso wie jenen der Service-Welle, ebenso wird auf die Hörerforschung und auf die Mäze- naten-Funktion des Rundfunks verwiesen; letztere kommt der Literatur nicht zuletzt im Bereich des Hörspiels zugute. Insofern wird zutref- fend vorn Hörspiel als einem "Ereignis innerhalb des Ereignisses Rundfunk" gesprochen. Mit besonderer Sorgfalt ist schließlich in einem weiteren Abschnitt der Geschichte des Fernsehens in Deutschland und der Vorgeschichte seiner technischen Entwicklung gedacht worden (S. 52-59). Daß auch hier die wichtigsten auf Bayern bezogenen Daten im Mittelpunkt stehen, ist nach dem ursprünglichen Konzept der Aus- stellung zu verstehen. Die abschließenden Hinweise auf die Zukunft des Fernsehens und, anknüpfend an die Vorschriften des Art. 5 des Grundgesetzes,auf die Bedingungen der Rundfunkfreiheit in der Ge- sellschaft der Bundesrepublik beschließen den Katalog, der primär eine knappe Broschüre mit Daten zur Rundfunkgeschichte darstellt. Der Ausstellungsobjekte wird jeweils nur in einer schmalen Spalte mit Verweisen auf Bildnummern gedacht. Ob und in welchem Umfange Objekte, Modelle usw. zur Ausstellung gehörten, wie diese grafisch gestaltet waren, davon gibt der Ausstellungskatalog keinen Eindruck. Nachdem die in der Bundesrepublik arbeitenden Rundfunkanstalten sich zu keiner nennenswerten gemeinsamen Initiative aus Anlaß des SOjähri- gen Jubiläums der Rundfunkarbeit in Deutschland entschließen konnten, ist es zu begrüßen, daß die einzelnen Anstalten jeweils für sich selbst aus eigener Kraft das Mögliche versucht haben. Der Gedanke, von der Rundfunkarbeit in Deutschland in der Kulturarbeit des Goethe- Instituts zu berichten, liegt nahe. Wer die überragende Bedeutung kennt, die dem Hörfunk in den Ländern der dritten Welt als Kommuni- kationsorgan zukommt, wird das beispielhafte Zeugnis einer länger- fristig überschaubaren Entwicklung der Rundfunk- und vor allem der Programmarbeit begrüßen. Leider verzichtete das Goethe-Institut auf die (an sich) naheliegende Chance, die Initiativen mehrerer Einzel- anstalten zu koordinieren. Auf diese Weise hätte vielleicht doch eine gerneinsame Ausstellung, zumindest in der Vorbereitung einer im Ausland von der deutschen Entwicklung berichtenden Schau und eines entsprechenden Katalogs zustandekommen können. - 14 - Hans Rink: PRAXIS DER DOKUMENTATION Ein Hinweis Als Festschrift zum 65. Geburtstag von Dr. Roland Seeberg-Elverfeldt, des langjährigen Leiters des Referats Pressedokumentatlon/Presse- archiv/Bibliothek des Bundespresse- und Informationsamtes, ist ein Sammelwerk erschienen, das über den aktuellen Anlaß hinaus für die Arbeit in den Presse-, Rundfunk- und Filmarchiven von bleibendem Wert sein wird: Medien und Archive. Beiträge zur Rolle moderner Archive in Information und Dokumentation. Hrsg. v. Gerhard Mantwill. Pullach/b. München (Verlag Dokumentation) 1974, 348 s., Linson, DM 36,-- Die Autoren - Leiter oder führende Mitarbeiter an Archiven im Medien- bereich, an Dokumentationsstellen und Bibliotheken der verschieden- sten Institutionen des In- und Auslandes - entsprechen den erklärten Zielen und Intentionen der bisherigen Arbeit des Initiators und Vor- sitzenden der "Fachgruppe Presse-, Rundfunk- und Filmarchivare" im "Verein deutscher Archivare", wenn sie mit einem "weiterführenden Arbeitsbuch für Kollegen und weitere Mitarbeiter in Archiven und an- deren Informationseinrichtungen" (Herausgeber im Vorwort) seine Ver- dienste dankend anerkennen. Der Sammelband enthält selbstverständlich auch eine Würdigung von Personen und Leistung, eine Bibliographie seiner Publikationen sowie einige Beiträge, die den landsmannschaft- liehen Hintergrund des Geehrten im Auge haben. In der Hauptsache soll mittels dieser Sammlung von Aufsätzen mit Anmerkungen, knappen Arti- keln und Skizzen aber die theoretische Durchdringung des Bereichs Presse-, Rundfunk- und Filmdokumentation im Fachgebiet Archiv- und Dokumentationswesen ein Stück vorangetrieben werden. Das Werk will die fachliche Diskussion fördern, erhebt jedoch nicht den Anspruch, das komplexe Thema "Medien und Archive" systematisch oder gar er- schöpfend zu behandeln. Der Herausgeber und die Autoren gehen von der Erfahrung aus, daß die praktischen Probleme (Aufgabenstellung, Arbeitsablauf, Ordnungsfragen, Aufbewahrungsfragen, Personalpolitik usw.) bei den Archiven im Me- dienbereich mehr oder weniger gleich gelagert sind, zumal die Anfor- derungen an solche Dokumentationsstellen allgemein ständig zunehmen und differenzierter werden. In dieser Situation bedarf es vor allem einer guten theoretischen Grundlegung für sämtliche Funktionen und Arbeitsabläufe, um die in manchen Archiven dringend notwendige Um- orientierung im Sinne eines neuen Selbstverständnisses als Informa- tions- und Dokumentationszentrum anzuregen und auszulösen. Die Archive im Medienbereich müssen mehr noch, als dies bis jetzt geschieht, auf ein Zusammenwirken der häufig noch getrennten Archiv-, Bibliotheks- und Dokumentationseinrichtungen in der gemeinsamen Aufgabe aktiver Informationsvermittlung hinarbeiten, wofür im Zentralarchiv des ZDF z.B. wenigstens organisatorisch die Voraussetzungen schon gegeben sind. Dies gilt für alle Informationseinrichtungen, mögen sie sich nun bereits der modernen Datenverarbeitungsmethoden bedienen oder noch konventionell arbeiten. - 15 - Dieser Band bietet denn auch - in den Abschnitten II - VIII locker zusammengeiaßt - Erfahrungsberichte und theoretische Beiträge aus Hörfunk- und Fernseharchiven, Pressearchiven bei Tageszeitungen, Verlagen, Gewerkschaften, Parteien und staatlichen Institutionen so- wie aus Dokumentationsstellen und Bibliotheken im Hochschul- und Forschungsbereich. Um nur einige Beispiele herauszugreifen: Das "Berufsbild des Pressearchivars" wird ebenso dargestellt wie die "Aufgabenstellung der Bildarchive". Die Anliegen des "Studienkreises Rundfunk und Geschichte" nimmt Ludwig Kroll, Leiter des ZDF-Zentral- archivs und einer der beiden stellv. Vorsitzenden des Studienkreises, in seinem Aufsatz "Rundfunk, Archive und Geschichte. Die Rundfunk- archive und die rundfunkgeschichtliche Forschung" auf. "Möglichkei- ten und Grenzen" künftiger Informationserteilunq in einem Verbund- system von Archiv, Dokumentation und Bibliothek untersucht Kurt Spohn am Beispiel des Hamburger Instituts für Wirtschaftsforschung. Abgesehen von der umfassenden Behandlung der Gesamtthematik in dem Standardwerk "Grundlagen der praktischen Information und Dokumenta- tion" von Laisiepen/Lutterbeck/Meyer-Uhlenried (1972) liegt für den Handgebrauch in Archiven des Medienbereichs im wesentlichen nur die verdienstvolle Anleitung "Pressedokumentation. Wegweiser für die Arbeit in Pressearchiven" (19713) von Roman Muziol vor. Ansonsten sind die Probleme moderner Archivierung und Dokumentation im Bereich Presse/Rundfunk/Film vorwiegend in Zeitschriftenaufsätzen und Ta- gungsreferaten behandelt worden, die entweder nur zerstreut vorliegen oder schwer zugänglich sind. Dieser Sammelband schließt also, was sich längst nicht von jeder Festschrift behaupten läßt, eine echte Lücke, die immer stärker als ein Mangel empfunden wurde. Das Buch kann, insbesondere für die Fortbildungsarbeit in Presse-, Hörfunk-, Fernseh- und Filmarchiven, empfohlen werden. - 16 - BIBLIOGRAPHIE Der Studienkreis ist bestrebt, nicht nur wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Rundfunkgeschichte bibliographisch und in Ab- stracts zu dokumentieren; auch andere Themen sollen in gleichem Maße berücksichtigt werden. Deswegen werden in der 2. Folge juristische und sozialwissenschaftliche Arbeiten über den Rundfunk aus den letzten fünf Jahren nachgewiesen. Von den vier hier abgedruckten Abstracts beziehen sich drei auf die Thematik der Bibliographie, eine ist als Nachtrag der in Nr. 1 ver- öffentlichten Liste der historischen Arbeiten zu betrachten. In Zu- kunft wird wohl diese Praxis beibehalten werden müssen, da es nicht gelingt, zum Redaktionsschluß alle Materialien rechtzeitig zusammen- zubekommen. Eine gleichmäßige Berichterstattung ist jedoch nur dann möglich, wenn sich die Mitglieder des Studienkreises zur Mitarbeit bereitfinden. Mitteilungen über fertiggestellte wissenschaftliche Arbeiten werden an das Deutsche Rundfunkarchiv, 6000 Frankfurt (M), Bertramstraße 8, erbeten. Ansgar Diller 2. DISSERTATIONEN: Recht/Sozialwissenschaften BERENDES, Konrad Die Staatsaufsicht über den Bonn Rundfunk Jur. 1972 Berlin: Duncker & Humblot 1973 (= Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 226) DRAHT, Jochen Die Rundfunkjournalistin - Moti- Münster vation und Berufswirklichkeit Phil. 1974 DYGUTSCH-LORENZ, Ausgewählte Organisationseinhei- Nürnberg Ilse ten einer Rundfunkanstalt in Be- Phil. 1970 schreibung und Analyse im Buchhandel unter dem Titel: Die Rundfunkanstalt als Organisa- tionsproblem Düsseldorf: Bertelsmann Universi- tätsverlag 1971 (=Gesellschaft und Kommunikation, Bd. 8) HACKFORTH, Josef Die Sportberichterstattung im Münster Fernsehen. Ein Beitrag zur Sport- Phil. 1974 publizistik unter besonderer Be- rücksichtigung des Deutschen Fern- sehens (ARD) und des Zweiten Deut- schen Fernsehens (ZDF) in der Zeit von 1952 - 1972 - 17 - HOFFMANN, Rüdiger Die Entwicklung von Organisations- Bonn und Machtstrukturen im Westdeut- Phil. 1973 schen Rundfunk Köln und das Selbst- verständnis der Programmacher Berlin: Verlag Volker Spiess 1974 (= Rundfunkforschung, Bd. 1) HONSOWITZ, Herbert Rundfunkprogrammzeitschriften in Tübingen der BRD Phil. 1973 KEIDEL, Hannelore Die politische Bedeutung der Auf- München sicht über den Rundfunk Phil. 1973 KERSTEN, Hermann Rundfunkautonomie und Rundfunkkon- Köln zentration. Eine verfassungsrecht- Jur. 1972 liche Untersuchung der Grenzen für selbständige Konzentrationsmaßnah- men der Landesrundfunkanstalten KLENKE, Klaus Das journalistische Selbstverständ- Bochum nis in seinem soziologischen Be- Phil. 1970 deutungszusammenhang. Dargestellt an einer Abteilung des Westdeut- schen Rundfunks Köln SCHMIDT, Zur Komplementarität der Tagesbe- München Michael-Andreas richterstattung in Fernsehen und Phil. 1971 Tageszeitungen WILKENS, Claus Presse und Fernsehprogramm. Der München Beitrag der Presse zum Gespräch Phil. 1971 über das Fernsehen in der Gesell- schaft im Buchhandel unter dem Titel: Presse und Fernsehen. Die Funktion der Presse bei der gesellschaftli- chen Rezeption des Fernsehens Düsseldorf: Bertelsmann Universi- tätsverlag 1972 (= Gesellschaft und Kommunikation, Bd. 14) DRAHT, Jochen Die Rundfunkjournalistin - Motivation und Berufswirklichkeit. Münster: Phil. Diss. 1974 Die abgeschlossene empirische Untersuchung (Leitfadeninterviews) wurde Mitte .1973 in einer großen deutschen Rundfunkanstalt durchge- führt. Sie versucht vor dem Hintergrund sozialpsychologisch und soziologisch ermittelter Tatbestände zu klären, inwieweit professio- nell tätige weibliche Kommunikatoren (Rundfunkjournalistinnen) in ihrer Motivation und Tagesarbeit einem traditionellen Rollenver- ständnis unterliegen. Ebenso interessiert die tradierte Funktions- zuordnung (an die Frau schlechthin, an die Journalistin im besonderen) - 18 - und ihre Steuerung. Mit der Forderung nach einer Gleichberechtigung und Unabhängigkeit von Kommunikatoren/Journalisten verbindet der Verfasser die Hoffnung, bisher latente psychologische Tatbestände offengelegt und damit eine Orientierungshilfe angeboten zu haben. J.D. FREIBURG, Eva-Maria Die Geschichte des Rundfunks in Nordrhein-Westfalen 1945 - 1955 Vom NWDR/Köln zum WDR Hannover: Phil. Diss. 1973 Die Arbeit verfolgt die Entwicklung der Wiederaufnahme der Sendungen in Köln am 26.9.1945 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über den "Westdeutschen Rundfunk" am 1.2.1955. Man kann die Linien, die zur Gründung des neuen Westdeutschen Rundfunks führen, nur innerhalb der Geschichte des NWDR verfolgen, die deshalb - allerdings nur unter diesem Teilaspekt - mit zur Darstellung kommt. Der Prozeß, um den es hier geht, ist außerordentlich komplex wegen der Vielzahl von Interes- sen, die dabei wirksam wurden - von der Zielsetzung der britischen Militärregierung, die nur eine Rundfunkanstalt in ihrer Besatzungs- zone zulassen wollte, bis zu den Bemühungen der verschiedensten Kreise und Institutionen in Westdeutschland, die eine selbständige Anstalt in Köln anstrebten. Eine ausschließlich politische, juristische oder finanzielle Betrachtungsweise würde dem nicht gerecht. Deshalb ist das Spektrum der benutzten Quellen sehr breit angelegt. Es reicht von allen in Frage kommenden Archiven bis zu Gesprächen mit einer Reihe von profilierten, zumeist aktiv an der Entwicklung beteiligten Zeugen. Behandelt werden die Rundfunkpolitik der Parteien seit 1947, die Verordnung 118 der Militärregierung, das Ringen um Staatsverträge, die Bemühungen des NWDR Harnburg um seinen Fortbestand, die Länderpo- litik, die Verhältnisse und Vorgänge in Köln einschl. des Neubaues des Funkhauses, die Einführung der Ultrakurzwelle, die Bestrebungen des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes, schließlich das Zu- standekommen des Landesrundfunkgesetzes. Ergänzend sei angemerkt, daß auch die Presse und der Nachlaß von Adolf Grimme herangezogen wurden. E.-M.F. HACKFORTH, Josef Die Sportberichterstattung im Fernsehen. Ein Beitrag zur Sportpublizistik unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen Fernsehens (ARD) und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in der Zeit von 1952-1972. Münster: Phil. Diss. 1974 Diese Arbeit hat die Erforschung einer Programmsparte des Fernsehens zum Ziel. Mit Hilfe einer Sekundäranalyse - einige wenige primäre Quellen konnten herangezogen werden - wird das Sportprogramm der ARD (1952-1972) und des ZDF (1963-1972) nachgezeichnet, ausgewertet und beurteilt. Die quantitative Analyse erlaubt qualitative Schlußfolge- rungen; die ersten Versuche, der offizielle Beginn, Entwicklungen, Entscheidungen, Veränderungen und Neuerungen können nachvollzogen, der aktuelle Stand eingehend analysiert und kritisch reflektiert wer- den. Die Dissertation gliedert sich in drei große Abschnitte: - 19 - a) historisch-deskriptiver Teil; b) kritisch-analytischer Teil; c) spezielle Probleme des Sportfernsehens. Daraus ist zu ersehen, daß es sich dabei nicht ausschließlich um eine historische Erörte- rung handelt, sondern auch um die analytische Auswertung dieser Diskussion und deren Integration in die aktuellen sportpublizisti- schen Probleme des Fernsehens in der Bundesrepublik. Wissenschaft- lern und Praktikern sollen die Ergebnisse vorgelegt werden, um die bestehende Unsicherheit auf diesem Sektor zu reduzieren und gefor- derte Daten und Fakten anzubieten. J.H. HONSOWITZ, Herbert Fernsehen und Programmzeitschriften Eine Aussagenanalyse der Programmpresse Tübingen: Phil. Diss. 1973 Die Untersuchung konzentriert sich auf einen von der Medienforschung fast völlig ignorierten Teil des Medienangebotes: die vermittelnd in die Kommunikation zwischen audiovisuellen Medien und ihren Rezi- pienten eingreifenden Programmzeitschriften. Dieser auflagenstärkste Zeitschriftentyp der Bundesrepublik wird von 75 % der Fernsehteil- nehmer genutzt. Dieser Medienverbund en miniature könnte modellhaften Charakter für die weitere Entwicklung des gesamten Medienverbundes haben. Den Hauptteil der Arbeit bildet die inhaltsanalytische Auf- bereitung einer Zufallsstichprobe mit überwiegend quantitativer tabellarischer Auswertung, die durch qualitative Interpretationen ergänzt wird. Die Ergebnisse liefern den empirischen Beweis für den nahezu totalen, sehr vielfältigen Werbecharakter der Programmzeit- schriften. Die Pressekonzerne, die Programmzeitschriften herausgeben, sind im Begriff, sich durch ständige Expansion in andere Branchen der Unterhaltungsindustrie in diversifizierte Medienkonzerne zu verwan- deln. In diesem Prozeß sind Programmzeitschriften ein ideales Instru- ment manifester und latenter redaktioneller Werbung und Eigenwerbung. Die Kooperation mit dem Fernsehen reicht über den Bereich der Unter- haltung nicht hinaus. Informierende und bildende Funktionen des Fern- sehens werden von den Programmzeitschriften häufig und zuweilen auch systematisch konterkariert. Die Programmzeitschriften reduzieren so die öffentlichen Aufgaben demokratischer Massenmedien zugunsten kommerzieller Eigeninteressen und drängen dabei die Rezipienten in einen Objektstatus. H.H. - 20 - Christian Wallenreiter: ZWÖLF JAHRE RUNDFUNK - BEOBACHTUNGEN, ERFAHRUNGEN, URTEILE Referat des Intendanten des Bayerischen Rundfunks der Jahre 1960-72 auf der Jahrestagung des Studienkreises am 18. Oktober 1974 in München Ich bitte Sie, mich auf einer Strecke der Geschichte des Rundfunks zu begleiten. Es begann mit einer Überraschung. Im Juli 1960 ent- fiel in der Stichwahl des Intendanten des Bayerischen Rundfunks die Mehrheit der Stimmen nicht auf den Kandidaten der Regierungs- partei, sondern auf den Vorschlag der parteipolitisch nicht ge- bundenen Gruppen. Ihre Vertreter hatten den Gegenkandidaten wäh- rend seiner langjährigen Tätigkeit in der Kunst- und Schulabtei- lung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und im kulturellen gesellschaftlichen Leben kennengelernt. Der Neugewählte trat in den Kreis der Intendanten der neun Landesrund- funkanstalten, die bis auf einen aus den Bereichen der Publizistik, der Literatur und des Theaters stammten. Ein Journalist, Heinrich Stobbe, glaubte in "Christ und Welt" vom 8. Dezember 1960 zu dem allgemeinen Urteil berechtigt zu sein: "Wer also auf eine Intendanz reflektiert, muß eine möglichst eindrucksvolle Mehrheit der Wahl- männer hinter sich bringen. Das ist bei der Schar dieser heteroge- nen Interessenvertreter - und das sind sie doch - gar nicht so leicht. Man muß sie umwerben, dem einen die Versprechung, dem an- deren jene Konzession machen." Die damalige Wahl war frei von dieser Last. Der Vorschlag hatte einen 60jährigen überrascht, der zu dieser Aufgabe bereit war, aber nicht nach ihr strebte, weil ihm seine bisherige Tätigkeit künstlerische und geistige Anregung in Fülle bot. Darum fehlte die Voraussetzung dafür, ihn irgendwie zu binden. Der Kandidat vermied bewußt Einzelgespräche mit den Mitgliedern des Wahlgre- miums und mit Mitarbeitern im Hause und ließ sich in dieser Hal- tung auch nicht beirren, als im Kabinett seine Niederlage vorher- gesagt wurde. Das Interesse der Regierungspartei, ihren Kandidaten durchzusetzen, war groß. Denn die bisherigen Intendanten, der Journalist Rudolf von Scholtz und der Jurist Franz Stadelmayer, beide zuvor Oberbürgermeister, hatten die Unabhängigkeit des Rund- funks unnachgiebig verfochten, Konflikte nicht gescheut. Das Pro- gramm des Bayerischen Rundfunks war Ausdruck zweier hervorragen- der Publizisten, des Hörfunkdirektors Walter von Cube und des Fernsehdirektors Dr. Clemens Münster. Walter von Cube, ein Meister der Form und Kenner der Wirklichkeit, hatte Streit durch seinen "Kommentar der Woche" erregt. In diesem publizistischen Ereignis der Woche trat er mit dem gan- zen Gewicht seiner Persönlichkeit gängigen politischen Forderungen und Methoden entgegen, ein einsamer, vielen unbequemer Warner vor utopischen Vorstellungen der Wiedervereinigung. Schon im Februar 1952 mußte sich der Intendant von Scholtz gegen Versuche der Bun- desregierung wehren, auf den Kommentar zu deren Ostpolitik Ein- fluß zu nehmen. Seine Antwort ist denkwürdig: "Ich hatte nicht zu prUfen, ob er meine Meinung ausdrUckt oder die Meinung der Re~ gierung, sondern ob er Uberparteilich auf Erwägungen der Vernunft - 21 - gegründet war. Das war der Fall, und da er kein geltendes Recht verletzte, ließ ich ihn zu." Diese klare Aussage über die Aufgabe des Rundfunks wurde auch damals nicht überall verstanden. Die An- griffe im Landtag gingen weiter, und Cube erwiderte sie durch Verstummen, ein wirksamer Protest nur deshalb, weil sein Wort in der Öffentlichkeit vermißt wurde. In Dr. Clemens Münster begegnete ich einem Publizisten mit dem Interesse des Physikers am Experiment des Fernsehens, einem kritischen Förderer des Fernsehspiels als Weltbühne, einem Philosophen, der durch gesellschaftskritische Sendungen zum Er- kennen führen wollte. Das Vertrauen auf diese Mitarbeiter er- leichterte es mir, die Verantwortung für das Programm zu tragen; es bildete den tragfähigen Grund für das dem Rundfunk eigene System, Aufgaben auf viele Mitarbeiter zu übertragen. Damit der Beauftragte seiner Verantwortung gerecht werden kann, muß der Auftrag alles umfassen, was zur Selbstkontrolle nötig ist und zur Rücksichtnahme auf das Ganze zwingt. Darum wurde den Programm- direktoren auch die laufende Finanzkontrolle ihres Bereichs mit Hilfe eigener Verwaltungskräfte übertragen, mit dem erfreulichen Erfolg, daß die ärgerliche Spannung zwischen dem sogenannten "schöpferischen" Programmbereich und einer Verwaltung beseitigt wurde, der angeblich der Sinn für die Bedürfnisse des Programms fehlt, die, wie es hieß, "mit der Feuerzange" in einen Gestal- tungsprozeß eingreift und meist zu spät kommt. Die Selbstkontrol- le sollte auch nicht dadurch geschwächt werden, daß der Intendant Manuskripte und Voranschläge vor der Sendung überprüft. Sie wurde aber dadurch bestärkt, daß beide Seiten sich fortlaufend über die Planungen, insbesondere die Grenzfälle, rechtzeitig unterrichteten. Diese auf Vertrauen begründete Übung erwies sich als gerechtfertigt. Solche Arbeitsteilung diente dem Intendanten dazu, seine Kraft dort einzusetzen, wo er unmittelbar tätig sein muß und sich nicht vertreten lassen kann: Er bestimmt die Ziele und Methoden des Unternehmens "Rundfunk" nach dem Maße der erkennbaren Bedürfnisse der Gesellschaft und der eigenen Kraft. Er sorgt für eine der Auf- gabe entsprechende innere Ordnung und den Kreislauf der Informa- tion, wählt die leitenden Mitarbeiter aus, ist Partner des Rund- funk- und Verwaltungsrats, der Intendanten in der Bundesrepublik und der Generaldirektoren in der Welt, Partner im Kräftespiel des Gesamtbereichs der Publizistik und der Rundfunkpolitik. Damit ist die Gliederung meines Vortrages gegeben. Ziel der Planung des Unternehmens ist es, die Voraussetzungen für ein gutes Programm zu schaffen und zu erhalten. Die Investitionen müssen im richtigen Verhältnis zu den direkten Programmkosten stehen, den Mitarbeitern muß der Anteil der indirekten Kosten, die auf ihre Produktionen entfallen, bewußt werden. Darum wurde die bisherige kameralistische Haushaltsführung durch einen nach Leistungen geordneten Haushaltsplan ersetzt. Bereits 1961 wurde der Inhaber der Berliner Handelsgesellschaft in Frankfurt, Dr. Klaus Dohrn eine führende Persönlichkeit der Wirtschaft und des kulturellen Lebens, beauftragt, einen Zehnjahresplan zu ent- werfen. Seine Daten waren die zuverlässige Grundlage für die Planung in einer Zeit, in der sich die Zahl der Fernsehteilneh- mer von 463 000 auf 2 700 000 vervielfachte, das Haushaltsvolumen von 82 Millionen auf 393 Millionen erhöhte. - 22 - Die Technik entwickelte sich in dieser Zeit so stark und beein- flußte die Produktionsweise so sehr, daß Vorsicht bei Investi- tionen geboten war. Daher wurde anstelle der bereits geplanten Neubauten der Studiokomplex Riva erworben; auch in ihm erwiesen sich im Laufe der Jahre einige Studios als entbehrlich und flir andere Zwecke verwertbar, weil verbesserte Technik und Praxis die Proben und Aufnahmezeiten verklirzten und an die Stelle der Studioproduktion häufiger Außenaufnahmen traten~ Um seine Handlungsfreiheit flir das Programm zu wahren, b~schloß der Bayerische Rundfunk,das neue Verwaltungsgebäude, einen not- wendigen Ersatz flir teuere Mieträume, ein 50-Millionen-Projekt, nicht selbst zu bauen, sondern von einer Baugesellschaft im Erbbaurecht errichten zu lassen. Um so mehr Wert wurde darauf gelegt, die Versorgung des Landes und die Ausstrahlung liber Europa durch unseren großen Sender bis zu den Klisten des Mittel- meers und bis weit nach Osten hinein zu verbessern. Weil sich der Bayerische Rundfunk bei Investitionen zurlickhielt, konnte er verwirklichen, was er sich als Vielfalt des Programms vorstellte. Der Schllissel liegt im rechten Verhältnis der An- teile des Hörfunks und des Fernsehens und der einzelnen Pro- grammsparten an den verfligbaren Mitteln. Vielfältig ist ' das Pro- gramm nicht nur dann, wenn es die gefällige Mischung der Unter- haltung, des Hörspiels, des Fernsehspiels, der Information bringt, wenn es die verschiedenen Meinungen zu Wort kommen läßt, Vielfalt bedeutet nicht nur die Vielzahl der Themen, den Wech- sel von Autoren und Interpreten, sondern auch die Mannigfaltig- keit ihrer Behandlung durch populäre und anspruchsvolle Sen- dungen, aktuelle und elementare Information; diese sind Teile des Ganzen, zu denen der Rundfunk verpflichtet ist. Vielfalt heißt nicht, eine Musterkarte von aneinandergereihten Ereignis- sen und unzusammenhängenden Kenntnissen dem Konsumenten anbieten; die möglichst große Zahl von Hörern und Zuschauern zum Maßstab flir die Planung machen, Vielfalt berlicksichtigt auch Minderheiten. Darum hat der Bayerische Rundfunk das Ziel gesetzt, durch Regio- nalprogramme den Oberblick liber den eigenen Raum des öffent- lichen und privaten Lebens, also dort zu bieten, wo die Interes- sen des Berufs und der Freizeit zum Wollen und Handeln anregen können. Und darum hat der Bayerische Rundfunk das von manchen als unnlitzen Bildungswahn erachtete Studienprogramm des Fern- sehens, ein methodisch gegliedertes System gewagt, das, wie im Hörfunk stets gelibt, Informationen liber die Zusammenhänge bietet, diese durch Dokumentation und Diskussion verständlich und er- giebig macht und dazu hilft, sich selbst und die Welt besser zu verstehen. Diese Aufgabe erschien um so wichtiger, je mehr die aktuelle Information im Programm Raum gewann. Der Bayerische Rundfunk sah seine Grenze dort gezogen, wo andere Medien besser wirken können,und entwickelte aus dieser Erkenntnis heraus den Medienverbund. Die Flille der Aufgaben flihrte dazu, daß sich die Zahl der Festangestellten von 1 700 auf rund 2 500 erhöhte und auch der Kreis der freien Mitarbeiter vermehrte. Die damit ge- wonnene Vielfalt der Interessen und Begabungen kam dem ganzen Programm zugute. - 23 - Ein Neuland betrat der Bayerische Rundfunk \{nit dem Telekolleg. Das Telekolleg I wurde für diejenigen geschaffen, die unmittel- bar nach der Grundschule beruflich tätig sind und mehr leisten wollen und können, als der berufliche Alltag erfordert. Es er- setzte die fü~ viele nicht erreichbaren Berufsaufbauschulen. Die rund 9 000 Absolventen, das sind 30 % der Teilnehmer, sind besonders qualifiziert, weil sie über Berufspraxis verfügen und einen überdurchschnittlichen Bildungswillen bewiesen haben. Die Verbindung von abstraktem Denken und konkretem Handeln schien dem Bayerischen Rundfunk ein wichtiger Beitrag für die Lösung des Ju- gendproblems zu sein, denn dieses hat ja auch darin seine Ursache, daß die zwanzigjährigen durch verlängerte Ausbildungszeiten von be- ruflichen Entscheidungsvorgängen mehr und mehr ausgeschlossen sind. Vielfach war die Zahl derer aber, die nur teilweise und unverbindlich teilgenommen haben - dies beweist die Tatsache, daß vom Begleitmaterial 750 000 Stück gekauft wurden. Ich er- innere mich an ein Gespräch, in dem der Vertreter des Philologen- verbandes auf meine Darlegung der Zahlen der eingeschriebenen Teilnehmer erwiderte: "Was Sie sagten, stimmt nicht. Ich kann Ihnen sagen, meine ganze Schule nimmt an diesem Telekolleg teil." Leider trat in der Bildungspolitik, dem Berechtigungswesen, das Abitur mehr und mehr an die Stelle des Realschulabschlusses, so daß neue Entschlüsse der Ministerien und der Anstalten nötig wurden und noch nötig sind, um nicht eine Sackgasse betreten zu lassen. Die Freiheit des Rundfunks wurde durch einen Vertrag mit dem Staate gewahrt, wonach dieser lediglich die Mitwirkung der Schule bestimmt, aber die Sendungen in eigener Verantwortung des Bayerischen Rundfunks gemacht wurden. Der lange Weg dieser Entwicklung wurde gemeinsam mit dem Rund- funkrat und Verwaltungsrat beschritten. Die Distanz der drei Organe zueinander wurde durch die gesetzliche Verantwortung klar bestimmt, und dafür gebührt vor allem auch dem langjähri- gen Vorsitzenden des Rundfunkrats, Herrn Vöth, und dem lang- jährigen Vorsitzenden des Verwaltungsrats, Herrn Hanauer, Dank. Rundfunkrat und Verwaltungsrat übten ihre Tätigkeit so intensiv aus, daß sie mit ihren Ausschüssen durchschnittlich jede Woche eine Sitzung abhielten und damit, glaube ich, alle vergleich- baren Rundfunkanstalten übertrafen. Ich darf den Dank auch Ihnen aussprechen, Frau Wenke, dafür, daß Sie in den Programmausschüs- sen und im Programmbeirat der ARD maßgeblich tätig waren und sind. Mit ganz wenigen, durch auswärtige Verpflichtungen be- dingten Ausnahmen nahm ich auch an den Sitzungen der Ausschüsse teil. Sie waren die erwünschte Gelegenheit, einen gemeinsamen Informationsstand herzustellen, und das scheint mir ein wichtiger Beitrag dafür zu sein, daß der Rundfunkrat seine Kontrollfunktion ausüben kann. Der Rundfunkrat widersetzte sich - und das verdient, hervorgehoben zu werden - allen Versuchen, ihn zum Organ der Mit- bestimmung über Sendungen zu machen. Die sicherste Gewähr für eine am Gemeinwohl orientierte Kontrolle ist die Öffentlichkeit. Der Rundfunkrat war, was der Rundfunk selbst sein soll, das öffentliche Gespräch. Bereits 1949, sofort nach seiner Gründung, hatte er beschlossen, daß seine Sitzungen in der Regel öffentlich sein sollen. In der Zeit von 1960 bis 1967 wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen: sechsmal wegen Behandlung von Grundstücks- und Baufragen, siebenmal bei Bera- - 24 - tung des Fernsehens, insbesondere aus Anlaß der Gründung des ZDF, dreimal bei Personalangelegenheiten, fünfmal bei Bericht- erstattung über die Werbegesellschaften und die Telepool GmbH. Dieser Verzicht auf Öffentlichkeit wurde aber mehr und mehr als Einbuße empfunden. Darum waren in der Zeit von 1967 bis 1972 alle Sitzungen über alle Gegenstände öffentlich. Erst im März 1972 wurde die Öffentlichkeit wieder ausgeschlossen, weil dies die Gesetzesnovelle vom 28. Februar 1972 bei Behandlung von Personalfragen gebietet. Es erwies sich: je geöffneter der Rundfunk nach außen ist, desto geringer ist die Gefahr, daß Staat, Parteien und Interessenver- bände unzulässigen Einfluß nehmen können. Auf die Frage, die wiederholt gestellt wurde, warum bei solcher Erfahrung nicht auch öffentliche Ausschußsitzungen befürwortet wurden, möchte ich auf das Interesse daran verweisen, Probleme in einem be- rufenen Kreise schon zu einer Zeit zu besprechen, in der die öffentliche Behandlung die dem Partner schuldige Rücksicht ver- letzen würde. Die Öffentlichkeit würde zu teuer erkauft, wenn die vertrauliche Unterrichtung Einzelgesprächen oder 9ar Frak- tionssitzungen vorbehalten bliebe. Dem ~nteresse der Offentlich- keit kann dadurch gedient werden, daß der Rundfunkrat in seinen öffentlichen Sitzungen über die Beratungen der Ausschüsse aus- führlich unterrichtet wird. Die Geschichte des Rundfunkrats ist dadurch gekennzeichnet, daß der Anteil der Vertreter der Fraktionen des Landtags vermehrt wurde. Waren es bis 1959 fünf von 33 Ratsmitgliedern, also rund ein Sechstel, so stieg der Anteil 1960 auf acht bis zehn von 42 bis 43 Mitgliedern, also rund auf ein Viertel, 1972 auf mehr als ein Drittel, nämlich 21 von 59. Erst unter dem Zwang des Volksbegehrens sank er wieder auf 12 von SO, also rund ein Viertel. Dazu kamen in allen Phasen der Vertreter der Staats- regierung, in der Regel selbst ein Abgeordneter und Abgeordnete als Vertreter von Verbänden. Die Praxis insbesondere der im Jahre 1972 erheblich vergrößerten Ausschüsse machte offenkundig, daß die große Zahl und der hohe Anteil der vielbeschäftigten Politiker eine Gefahr nicht nur für die Beschlußfähigkeit, son- dern auch für die wirksame Kontrolle ist. Ein Parlament, daß diese wünscht, muß die Zahl so begrenzen, daß sich kein Mit- glied dem Gespräch entziehen, die Meinungsäußerung einer Koali- tion überlassen kann. Sachgerechte Aufsicht heißt zu Entscheidungen beitragen, die das Gesamtinteresse umfassen, weil in ihnen die Ergebnisse zu- sammengefügt sind, die unter den verschiedenen Betrachtungs- und Denkweisen der einzelnen Gruppen gewonnen sind. Das Gruppen- interesse ist so erkennbarer Ausgangspunkt, aber nicht Ziel. Wer erlebte, wie in den Debatten des Rundfunkrats Gegner die durch vorgefaßte Meinungen bestimmte Stellungen verließen, sich ins freie Feld der Auseinandersetzungen mit sachlichen Argumen- ten begaben, weiß, welch verpflichtende Kraft von dem lebendigen Gefühl für den notwendigen Gegensatz ausgeht, der jeden von uns ergänzt. Leider schöpfen nicht alle gesellschaftlich relevanten Gruppen ihre verfassungsrechtliche Aufgabe in den Gremien voll aus, für die Meinungs- und Lebensvielfalt im Programm einzutreten. - 25 - Leider sind manche in _diese Organe gewählten und gerade die Politiker andererseitig zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie sich eingehend mit der Aufgabe und der Arbeitsweise des Rundfunks befassen und daraus die erforderliche Kenntnis für die Kontrolle herleiten könnten. Ministerpräsident Meyers warnte bereits am 29.4.1963 vor der Gesellschaft für Film- und Fern- sehforschung vor dieser Gefahr. Um so wertvoller war es, daß die Vertreter mancher nicht parteipolitischen Gruppen in ihren Informationstagungen im Hause des Rundfunks und draußen im Lande aktive Öffentlichkeit herstellten, die oft beklagte Einbahnstraße "Rundfunk-Publikum" dem Gegenverkehr des Emp- fängers zum Sender öffneten. Der Rundfunk ist einer der Orte, die die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft bestimmen, an denen sich entscheidet, ob die der Demokratie wesentliche Verteilung der Gewalten gewahrt und so die Verstaatlichung der Gesellschaft verhindert werden kann. Seit einiger Zeit ist der alte Streit um die Zusammensetzung des Rundfunkrats wieder entbrannt. Die sachliche Grundlage versuchte Herr Professor Christian Starck in seinem Vortrag "Rundfunkfrei- heit als Organisationsproblem", in Arnoldshain am 3. April 1973 zu geben. Intendant Dr. Mai stellt am 17. April 1974 auf der Jahrestagung des Instituts für Rundfunkrecht in Köln das Ent- sendungsrecht der sogenannten relevanten Gruppen in Frage. Professor Kurt Siedenkopf behandelte in DUsseldorf vor den rheinisch-westfälischen Zeitungsverlegern am 27.3.74 die Pro- blematik des politischen Einflusses auf die Beratungen in den Gremien. Es folgte die Veröffentlichung des stellvertretenden Intendanten des NDR, Dietrich Schwarzkopf, in "Stimmen der Zeit", Heft 6 vom Juni 74 und unter der Überschrift "Gesucht - ein Gruppenbild in Grau". Er warnte vor der Neigung, gegen den Einfluß der Parteien im Rundfunk zu Felde zu ziehen und zu glau- ben, die Gruppenvertreter seien nicht in gleichem Maße für alle jene Erscheinungen anfällig, die den Parteivertretern vorge- worfen werden. Wir haben schließlich im September das durch Organe der Katholischen Kirche erholte Gutachten von Professor Wilhelm Kewenig "Zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Zu- sammensetzung der Kollegialorgane des NDR" erhalten und in die- sen Tagen die vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Auftrag gegebenen Gutachten von Professor Kurt Sontheimer, von Professor Starck und von Wolfgang Langenbucher. Gemeinsam ist allen, daß entscheidender Wert auf die Verständigung über die Aufgabe gelegt werden muß. Aber da ich in der nächsten Woche bereits in Mainz über die Kontrolle des Rundfunks sprechen soll, kann ich mich jetzt mit diesem Überblick begnügen. Einfluß in einem Gremium war nicht nur Ziel der Parteien, sondern auch von Vertretern der Mitarbeiterschaft. Dagegen hatte ich nicht nur rechtliche Bedenken. Den Gremien wurden die unter weitgehen- der Beteiligungder Mitarbeiter geformten Pläne zur Beschlußfas- sung oder Kenntnisnahme vorgelegt. Ich glaube, es kann nicht im Interesse der Rundfunkfreiheit liegen, wenn die Planung teilweise in ein Kontrollorgan verlagert wird, wie dies zwangsläufig ge- schehen müßte, wenn Vertreter der Mitarbeiter dort Sitz und Stim- men hätten. Allzu leicht kann die Mißbrauchsaufsicht zur Mitbe- stimmung des Gremiums über das Programm werden. - 26 - Die Gesetzgeber haben den Rundfunkanstalten verschiedene Wege für die Zusammensetzung und Funktion der Aufsichtsgremien ge- wiesen; um so mehr mußten die Intendanten auf das Gemeinsame bedacht sein. Schon 1949 hatte der Intendant des Bayerischen Rundfunks Rudolf von Scholtz die Gründung einer Arbeitsgemein- schaft vorgeschlagen, am 5. August 1950 wurde er zum Vorsitzen- den gewählt. Ist der Bayerische Rundfunk später seiner eigenen Idee untreu geworden? Warum konnte diese Frage laut werden? Der Bayerische Rundfunk sah in der Föderation selbständiger Rund- funkanstalten mit eigener Verantwortung für das Programm die der politischen und kulturellen Struktur der Bundesrepublik gemäße Verfassung, die beste Gewähr für die Vielfalt des Pro- gramms und die Freiheit des Rundfunks. Die Verschiedenheit der Regierungsparteien in den Ländern allein ist schon ein Schutz für die Freiheit des Rundfunks. Er stand in Abwehr, wo immer er dieses System von außen oder von innen gefährdet glaubte. Die föderative Ordnung kann den Vergleich mit den großen nationalen Rundfunkanstalten bestehen. Der Ausschuß des Britischen Unterhauses hat die ARD im Septem- ber 1972 einen "nützlichen Prototyp" für das Zusammenspiel von Gesellschaften genannt. Das Schicksal der großen französischen Gesellschaft warnt vor Zentralisierung. Sofort nachdem das Bun- desverfassungsgericht am 28. Februar 1961 die Bundesfernsehan- stalt fUr verfassungswidrig erklärt hatte, drängte der Bayeri- sche Rundfunk auf ein zweites Programm der Landesrundfunkan- stalten. Den ihm notwendig erscheinenden möglichst großen Unter- schied vom Ersten Programm hielt er nur dann fUr gesichert, die Forderung der Viefalt des Fernsehens im Bundesgebiet nur dann für gewährleistet, wenn dieses Programm, das Zweite Programm, für wechselnde Minderheiten, für wechselnde Zielgruppen in den verschiedenen Regionen nicht gemeinsam geplant wird, sondern bei regem Austausch und in Zusammenarbeit von Fall zu Fall in eigener Verantwortung jeder Anstalt zusammengestellt werden kann. Darum widersetzte sich der Bayerische Rundfunk auch allen Bestrebungen, in dem späteren 3. Fernsehprogramm gemeinsame Sendungen ausstrahlen zu lassen, was ihm wiederholt VorwUrfe zugezogen hat. Der Verzicht auf große Investitionen, auf Showsendungen erlaubte es dem Bayerischen Rundfunk, die Mittel für diese als vordring- lich erachtete Aufgabe bereitzustellen, mit verhältnismäßig ge- ringem Aufwand Sendereihen zu entwickeln, die auch anderen An- stalten als Modell dienen konnten, also auch ein ökonomisch be- deutsames Prinzip verwirklichten. Für zwei jeweilsan das gleiche Publikum gerichtete nationale Programme reichten nach Meinung des Bayerischen Rundfunks die günstigstenfalls zu erwartenden Einnahmen nicht aus, so daß befürchtet werden mußte, wieder das eigene Wertgefühl die Sendezeit mit billigen Einkäufen füllen zu müssen. Leistungen von Autoren und Interpreten sind keine beliebig vermehrbare Ware, doppelte Nachfrage im gleichen Be- reich läßt den Preis steigen. Konkurrenz im eigenen Hause stei- gert die Qualität, Konkurrenz zwischen zwei Systemen fUhrt zur Rücksichtnahme auf die Zahl der Zuschauer. Zwei Systeme er- schienen dem Bayerischen Rundfunk auch nicht notwendig, um die Balance der politischen Richtungen zu halten. Er wandte sich - 27 - daher gegen den gefährlichen Vorschlag einer linksgerichteten Nord- und einer rechtsgerichteten SUdschiene und folgerte aus der Selbständigkeit, daß jede Anstalt die "Ausgewogenheit" ihres Gesamtprogramms selbst leisten muß. Die Entwicklung hat die Sor- ge nicht behoben, die Zukunft wird erweisen, ob die Bundesrepu- blik groß genug ist, neben einer zentralen Anstalt die Vorteile des vielfältigen Zusammenspiels der Landesrundfunkanstalten ohne Einbuße an Programmgehalt und Unabhängigkeit von den Uber die Gebtihren entscheidenden Regierungen und Fraktionen der Parlamente zu erhalten. Diese Überlegungen erklären, warum der Bayerische Rundfunk 1962 gegen die Anordnung, 30 % der Fernsehgebtihren an das ZDF abzu- liefern, allein den Rechtsstreit gegen den bayerischen Staat fUhrte und sich als einzige Anstalt dem Wunsch der Minister- präsidenten verschloß, fUr mehrere Jahre einen Anteil an der Zinslast des Gründungskapitals für das ZDF zu übernehmen. Die Ratifizierung des Staatsvertrags für das ZDF durch den Bayeri- schen Landtag im Juni 1962 beantwortete der Bayerische Rundfunk schon im nächsten Monat mit dem 3. Fernsehprogramm. Eines seiner Merkmale war bereits ein Jahr zuvor angedeutet worden, als im Hörfunkprogramm gemeinsam mit dem Rundfunk der Schweiz und Österreichs die Reihe "Alpenländische Nachbarschaft" gesendet worden war. Ähnliche Programmvorstellungen gemeinsamer Interes- sen auf dem internationalen Markt führten die drei Anstalten zu regelmäßigen Konferenzen über Co-Produktionen zusammen, 1963 zur Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft zum Erwerb und zur Ver- wertung von Produktionen, der Telepool-GmbH in München mit Nie- derlassungen in Zürich und Wien. Diese von den Landesrundfunkan- stalten anfänglich mit Mißtrauen beobachtete GrUndung konnte die Einkaufsgesellschaft der ARD "Degeto" in Frankfurt und in München in einem begrenzten Interessengebiet ergänzen, auch nachdem der Österreichische Rundfunk ausgeschieden war, weil ihm das ZDF gUnstigere Bedingungen bieten konnte. Und dieser Schritt über die Grenze hinaus konnte nur den befremden, der verkennt, daß euro- päische Zusammenarbeit eher aus regionalen als aus nationalen Partnerschaften entstehen kann. Nur europäische Zusammenarbeit aber kann der Überflutung durch amerikanische Serien entgegen- wirken. Ein Zeichen für die internationale Zusammenarbeit setzte der Rundfunk mit dem Fernsehwettbewerb "Prix Jeunesse", er trat in unserem Hause neben den "Internationalen Musikwettbewerb" der ARD und das "Forum der leichten Musik". Durch das internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen wurde der Bayerische Rundfunk zur Stätte weltweiter Dokumentation und Forschung. Der Vorstoß des Studienprogramms des Bayerischen Rundfunks in die vom Fernsehen nicht beachteten Bereiche hatte einen weiten Alleingang zur Folge. Der Bedarf an gedrucktem Be- gleitmaterial . war so groß, daß gemeinsame Planung mit Verlegern notwendig und darum die TR-Verlagsunion gegründet wurde. Ihr traten 19 Verlage und der SUdwestfunk bei. Ihre Aufgabe ist es, Nutzungsrechte, Urheber-, Verlags-, Leistungsschutzrechte zu erwerben und diese im unmittelbaren Zusammenhang mit Sendungen des Rundfunks zu verwerten, Bild- und Tonträger, schriftliche Hilfsmittel für Sendungen herzustellen, ferner die Planung fUr - 28 - Begleituntersuchung zu sichern. Die Stimmenmehrheit der Ver- leger ist gewahrt, denn die Rundfunkanstalten sind auf 40 % des Grundkapitals beschränkt; der Gewinnanteil des Bayerischen Rund- funks blieb dem Unternehmen erhalten. Die TR-Verlagsunion dehnte sich auf das ganze Bundesgebiet aus, fand Interesse in Österreich und der Schweiz. Sie spiegelt heute den Stand der Entwicklung des Medienverbunds wieder. Kritisches Urteil erfuhr der Bayerische Rundfunk auch, als er die Einladung ausländischer Rundfunkanstalten, der Sport TV beizu- treten, annahm. Er sah darin die Möglichkeit, in einem kritischen Bereich der Werbung mitzubestimmen und sich von der Alternative zu befreien, entweder nur passiv hinzunehmen, was Sportverbände und Sportstätteninhaber mit den Reklamefirmen vereinbaren und ~eren unentgeltliches Werkzeug zu sein, oder die Übertragung zum Arger des Publikums verweigern zu müssen. Der Erfolg dieses Ver- suches hängt, glaube ich, davon ab, daß die Gesellschaft die Werbung in den Sportstätten auf ein erträgliches Maß beschränkt, und daß sie nicht der Versuchung erliegt, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Unter diesen Besonderheiten des Bayerischen Rundfunks, die ich jetzt erzählt habe, mußte sein Anteil von 17 % am Gesamtprogramm nicht leiden. Das Gemeinschaftsprogramm beruht auf dem Vertrauen der Rundfunkanstalten zueinander, auf dem Vertrauen darauf, daß ihre Mitarbeiter gemäß der Verantwortung handeln, die ihnen die Verfügung über ein Oligopol auferlegt, eine Pflicht, der Journa- listen, die auf dem freien Markte tätig sind, nicht unterworfen sind. In den 12 Jahren schied der Bayerische Rundfunk in vier Fällen aus dem Programm aus, weil er glaubte, eine Sendung mit seinem Programmauftrag nicht vereinbaren zu können. Aber gerade er bemühte sich um die Vereinbarung der Intendanten über Grund- sätze für ein vielfältiges Gemeinschaftsprogramm, das in profi- lierten Aussagen alle gesellschaftlich bedeutsamen Ereignisse und Meinungen umfaßt. All dies geschah mit einer veränderlichen politischen Wetterlage. Unter dem Schock der Überraschung des Jahres 1960 herrschte zu- nächst Windstille. Vorübergehende Störungen zeigten sich an, als 1962 bei den Verhandlungen über den Fernsehvertrag der Minister- präsident und Sprecher seiner Fraktion rügten, daß sich der In- tendant in politische Angelegenheiten einmische, für die er nicht zuständig sei. Um ähnliches für die Zukunft zu verhindern, ver- suchte die Bayerische Staatsregierung 1964 in das Rundfunkgesetz eine Bestimmung über die Rechtsaufsicht einfügen zu lassen; nach lebhaften Auseinandersetzungen im Senat nahm sie davon Abstand. Die Lage beruhigte sich wieder, Beschwerden über das Programm von rechts und links hielten sich die Waage, ein Zeichen dafür, daß der Rundfunk seinen Ort im Zentrum des gesellschaftspoliti- schen Spannungsfelds behauptete und seine gesetzliche Pflicht im ganzen erfüllte. Die Vertreter der Parteien interessierten sich dafür, welche leitenden Mitarbeiter der Intendant zu berufen be- absichtigt, sie machten selbst Vorschläge und wurden über wesent- liche Argumente für die Entscheidung unterrichtet; die Verant- wortung des Intendanten für die Entscheidung wurde anerkannt, auch wenn diese nicht gefiel. Das Klima verschlechterte sich, Mls - 29 - sich während der Großen Koalition die politischen Auseinander- setzungen, verschärft durch die Notstandsgesetzgebung, auf den außenparlamentarischen Raum verlagerten und daher auch im Rund- funk naturgemäß verstärkt zur Geltung kamen, als durch das Fern- sehen Demonstrationen zu Ereignissen für die große Öffentlich- keit wurden. Es kann nicht geleugnet werden, daß es manchem Journalisten schwer fiel, die nötige Distanz zu wahren. Die Spannung stei- gerte sich, als gegen Ende der Großen Koalition die Parteien im Rundfunk allgemein das geeignete Angriffsobjekt sahen, um wieder Profil zu gewinnen, und gleichzeitig versuchten, Kontakt mit der Basis herzustellen, um die politische Einflußsphäre im Rundfunk zu erweitern. Die Kritik lief oft fehl, weil sie den Fehler allein in dem suchte, was gesagt, statt in dem, was weg- gelassen wurde, denn er ist vor allem im Schweigen darüber zu finden, was außerhalb des Erkenntnisbereichs liegt oder der vorgefaßten Meinung widerspricht. Die Gefahr der unvollständigen Information wurde zweifellos durch das Streben nach Aktuali- sierung des Programms erhöht. Berichtigungen waren aber nach meiner Erinnerung nur in zwei Fällen veranlaßt. Kritik war oft unwirksam, weil sie die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts "Mindestmaß an Ausgewogenheit, Sachlichkeit und Achtung" ver-- kannte und Neutralität forderte. Damit wurde der fundamentale Unterschied zwischen dem Staat, der weltanschaulich neutral sein muß, und dem Rundfunk verkannt, der die Vielfalt der Meinungen widerspiegeln muß. Mißverstanden wurde die Ausgewogenheit als Zahlenverhältnis: die Parteien ließen aufzeigen, wie oft Politi- ker in den Nachrichtensendungen und anderen aktuellen Sendungen erwähnt werden, wie sich die Zeiten zueinander verhalten, in denen Regierung und Opposition zu Wort kommen; ein grober Fehler deshalb, weil nicht unterschieden wurde zwischen der Öffentlich- keitsarbeit der Parteien und solchen Regierungsvorgängen, zu denen eine kritische Stellungnahme der Opposition nicht vorlag und nicht vorliegen konnte. Bedenklich auch deshalb, weil jede Regierung, dazum Handeln berufen, dem Publikum mehr Stoff lie- fert als in der Regel die Opposition. Ausgewogenheit ist ohnehin nur ein Ersatz für Qualität. Mit dem Spiel der Waage sollen die Elemente der Legierung ausgeglichen werden, mit denen nicht nur Münzen, sondern auch Nachrichten, Meinungen in den Verkehr kom- men. Der Feingehalt wird gewogen; ausgewogen ist er in sich selbst. Je höherkarätig eine Sendung ist, desto weniger Anlaß besteht zum Streit über Ausgewogenheit. Die Angriffe beunruhig- ten die Mitarbeiter, so daß sich einige in ihrem Gewissen ver- pflichtet fühlten, einer Partei beizutreten, andere Ängstliche bei einer Partei Schutz suchten und vergaßen, daß sie der Pro- grammauftrag den Parteien- und Interessengruppen gegenüberstellt und gerade deshalb unter dem Schutz weitgehender vertraglicher Sicherung. 1969 begannen Debatten über die innere Rundfunkfrei- heit, verkörpert durch Redaktionsausschüsse und Statuten. Sie konnten wohl ein geeignetes Mittel sein, die gegenseitige In- formation zur rechten Zeit zu sichern. Soweit sie aber dazu dienen sollten, Mehrheitsentscheidungen an die Stelle der Ver- antwortung des einzelnen Journalisten zu setzen, gefährden sie die Freiheit des Rundfunks, denn dieser beruht auf der Verant- wortung des einzelnen. Wie ihr gerecht zu werden ist, ist anders - 30 - als bei der Presse durch das Gesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht ausführlich bestimmt. Je schwächer die Unternehmensspitzen, je unklarer die persönliche Verant- wortung, desto zugänglicher ist der Rundfunk dem Zugriff von außen. Erfahrungsgemäß müssen zwei Ursachen zusammentreffen, um eine latente Gefahr akut und zum Ereignis werden zu lassen. Dies ge- schah, als sich kommerzielle und parteipolitische Interessen verbündeten, um einen privatwirtschaftliehen Rundfunk zu gründen. Um ihr Ziel, einen gefälligen Rundfunk auch als Erwerbszweck zu erreichen, täuschten die Agitatoren sich und andere. Den Stil des Kampfes kennzeichneten irreführende Erklärungen wie diese: Die privaten Gesellschaften sollten die Werbeeinnahmen von ARD und ZDF nicht schmälern, könnten das Niveau heben und seien nötig, um das Informationsbedürfnis zu befriedigen. Die Agita- toren wichen der Frage aus, ob es berechtigt ist, öffentliche Mittel dazu zu verwenden, daß der weitere Ausbau der elektroni- schen Medien ein gefährliches Mißverhältnis schaffen wird zwischen dem immer unüberschaubarer werdenden Angebot an In- formation und der Fähigkeit der Hörer und Zuschauer, auszu- wählen, aufzunehmen und zu verwerten. Die Gefahr ist umso be- drohlicher,als der erhöhte Bedarf an Nachrichten, der durch die vielen Kanäle erzeugt wird, den im öffentlichen Leben Tätigen verführen kann, der Nachricht wegen, nicht der Sache wegen zu handeln oder so zu tun, als ob er handle. Die Nachricht wird wichtiger als die Sache selbst. Der Vorstoß scheiterte an einem Irrtum: die Initiatoren waren davon ausgegangen, daß sich die Zeitungsverleger ihren Plan zu eigen machen werden. Diese aber hatten daran kein Interesse. Der Bayerische Rundfunk war seit Jahren bemüht, das rechte Ver- hältnis zur Presse in der Besinnung auf die wesensgemäße, sich gegenseitig ergänzende Funktion zu finden. Im Blick auf die Ein- heit der Publizistik hatte die ARD bei der weiteren Regionali- sierung des Programms auf die für die Presse lebenswichtige Werbung für Waren und Leistungsangebote von lokaler Bedeutung verzichtet, der Bayerische Rundfunk den Zeitungsverlegern Mit- wirkung im Aufsichtsrat der Werbegesellschaften eingeräumt. Der Plan des kommerziellen Fernsehens war aber trotz seiner Schwäche dazu dienlich, den Boden für eine Änderung des Rundfunkgesetzes vorzubereiten. Die Weigerung des Intendanten, eine gewünschte Personalentscheidung zu treffen, wurde trotz öffentlicher Be- gründung als Zündstoff benutzt, um Stimmung zu erzeugen, so daß auch diejenigen Mitglieder einer Fraktion für die Änderung des Gesetzes gewonnen wurden, die sie sachlich weder für notwendig noch für zweckmäßig befunden haben. Aber über diesen Teil der Geschichte wird, wie ich aus dem Programm sehe, morgen ausführ- lich gesprochen werden.