2024/2 - Sound|Archive
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- ArticleAkustische FragmenteHoffmann, Anette (2024) , S. 33-42Hoffmanns Beitrag ist eine übersetzte Fassung der Einleitung zu ihrem Buch Knowing by Ear: Listening to Voice Recordings with African Prisoners of War in German Camps (1915–1918), Durham, London, 2024. In diesem Text diskutiert sie ihre Interpretation der Sprachaufnahmen mit afrikanischen Kriegsgefangenen im Berliner Lautarchiv als Fragmente von größeren diskursiven Formationen, aber auch als Aspekte kolonialer Geschichte und als bedeutender Teil der Geschichte des Projekts der Wissensproduktion auf der Basis der Aufnahme von Sprachen in deutschen Gefangenenlagern des Ersten Weltkrieges. Sie legt nahe, dass das Lautarchiv und andere akustische Archive sich verändern, wenn wir den Inhalten der Aufnahmen zuhören, die über die Praktiken ihrer Herstellung informieren und es den Zuhörer*innen erlauben alternative, wenig bekannte Versionen kolonialer Geschichte zu hören.
- ArticleDas Archiv aufführen. Über Zuhören als situierte Praxis, Improvisation und künstlerische Forschung im Kontext der Arbeit mit und in SoundarchivenBuenrostro, Miguel; Engelmann, Vanessa (2024) , S. 92-102In seinem Projekt Cosmoaudiciones: The Sonic Diaspora (2022) fragt der Künstler Miguel Buenrostro nach Möglichkeiten, sich den musikalischen Aufnahmen des Berliner Phonogramm-Archivs anzunähern. Mit einer kritischen Positionalität des Zuhörens (critical listening positionality) werden die hier archivierten Rhythmen und Klangwelten sowie die in ihnen hörbar werdenden Migrationen, Affinitäten und Abwesenheiten zum Ausgangspunkt eines Denkens der Grenze (border thinking): In Improvisationen mit Musiker*innen offenbaren sich die Aufnahmen als Orte der Wissensproduktion und Begegnung. Indem wir diesen Grenzräumen des Archivs zuhören, können die musikalischen Welten in ihrer Performanz (wieder) Gestalt annehmen.
- ArticleArchive hörbar machen. (Postdigitale) Emanzipation kolonialer ArchiveChattopadhyay, Budhaditya (2024) , S. 81-91In meinem Beitrag konzentriere ich mich auf Praktiken der Klangerzeugung und des Zuhörens im «Globalen Süden». Besonders in Südasien sind Archivpraktiken weniger breit vertreten, da Hörkulturen hier auf Mündlichkeit basieren, indem z. B. Wissen mündlich weitergegeben wird. Diese Gesellschaften erinnern sich gerne lautstark singend, anstatt Tonaufnahmen anzulegen und diese in toten Archiven zu speichern. Traditionelle Performancekünste und Musiken werden oft von gesungenen Texten begleitet, die als situierte Ephemera aufgeführt werden. Indem ich mich den einschränkenden Aufnahmetechniken und Archivpraktiken widme, entwickle ich eine polemische Position gegen das systematische «Nicht-Zuhören», das in den Archiven selbst verankert ist. Diese kritische Intervention nenne ich «invocation of auralizing»: Performative Akte, um die im Archiv eingesperrten Klangobjekte zu befreien.
- ArticleCall and Response. Robert Lachmanns orientalistisches Archiv und Jumana Mannas dekoloniale KritikJohn, Rebecca Hanna (2024) , S. 43-54Die Radiosendung Oriental Music des deutsch-jüdischen Musikethnologen Robert Lachmann, der 1935 nach Palästina emigrierte und an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Archiv außereuropäischer Musik aufbaute, ist Ausgangspunkt für eine filmisch-musikalische Forschungsreise der palästinensischen Künstlerin Jumana Manna. In diesem Beitrag werden sowohl die Probleme in Lachmanns orientalistischer Forschung herausgearbeitet als auch das Potential, das seine Idee von Musik als Mittel der Verständigung birgt. Lachmanns Stimme aus dem Archiv, die Manna ebenso ausgräbt wie die Vielzahl an Musiktraditionen Palästinas, die er in den 1930er Jahren dokumentierte, wird hier als ein call verstanden, auf den die Orientalismus-kritische Manna mit einer vielstimmigen response antwortet.
- ArticleExzentrische Hermeneutik und die Artikulation von Geschichte im kolonialen KlangarchivFourie, William (2024) , S. 68-80In meinem Beitrag beschäftige ich mich mit einem Gespenst der Kolonialität, das sich offenbart, wenn es um die Autorität der Subjekte des Archivs geht, die als Autor*innen historischer Bedeutung auftreten. Ich verorte meine Untersuchung in der Erforschung von Vermächtnissen kolonialer Tonarchive und argumentiere für eine Überschreitung vorherrschender Konzeptionen des Zuhörens, indem Äußerungen und Narrative vom kolonialen Rand ernst genommen werden. Ich argumentiere, dass das Nachdenken über die inter-materiellen Schwingungen und Vibrationen von Tonaufnahmen aus der International Library for African Music (ILAM) eine ex-zentrische Hermeneutik als Methode einer dekolonialen Historiographie darstellt, die die koloniale Verflachung archivierter Tonaufnahmen herausfordert.
- ArticleKoloniale Expansion und faschistische Herrschaft durch Phonographie in Italienisch-OstafrikaThomas, Jonathan (2024) , S. 55-67Während des Krieges gegen Äthiopien und der Kolonisierung Ostafrikas (1935–1941) nutzte das faschistische Italien Aufnahmen von Propagandaliedern und Musiker*innen aus kolonisierten Gebieten, um die Eroberungen und Besetzungen im kurzlebigen italienischen Reich zu unterstützen. Durch die Phonographie wurde nicht nur die zivilisatorische Identität der Kolonisator*innen mitproduziert, sondern auch die vermeintliche Modernität und Überlegenheit Italiens behauptet. Der medientechnische Einsatz diente dazu, die Indigene Bevölkerung zu dominieren und die Spuren ihrer Kulturen in Form von Aufzeichnungen zu sammeln. Der Beitrag untersucht den Einsatz der Phonographie durch das faschistische Italien, die dadurch unterstützten Imaginationen italienischer Identität und die Produktion eines essenzialisierten afrikanischen ‹Anderen›.
- ArticleSound|Archive. Einleitung in den SchwerpunktHoll, Ute; Welinder, Emanuel (2024) , S. 10-19Koloniale Archive des 19. und 20. Jahrhunderts verlassen sich nicht nur auf Texte und administrative Dispositive, sondern zunehmend auf analoge Medien und deren medizinische, forensische und rassifizierende Ordnungen. Visuelle koloniale Archive der Fotografie und Kinematografie, deren Formen der Aufzeichnung, Fragmentierung und Kategorisierung lebendiger Körper sind sehr gut untersucht. Der Schwerpunkt Sound|Archive widmet sich akustischen Archiven und Medien sowie kolonialen Archivtechniken und -praktiken, die stets an der gewaltvollen Produktion des subalternen Anderen beteiligt sind. Die aufgezeichneten und gefilterten Klänge und Stimmen werfen Fragen des Hörens, der Geschichtsschreibung sowie von Erinnerungskulturen auf, die im Zuge dekolonialer Ansätze neu zu befragen sind.
- ArticleStimmen hören. Wissenspraktiken und restitutive Optionen kolonialer TondokumenteClaus, Jakob (2024) , S. 20-32Der Beitrag befragt mediale Praktiken der phonographischen Wissensproduktion im Kontext deutscher Kolonialethnografie. Zwei im Zuge ethnografischer Expeditionen entstandene Aufnahmen aus Mikronesien werden in einem «close listening» analysiert. Die historischen Tondokumente werden als zirkulierende und komplexe Archivobjekte verstanden und auf ihren Aufnahmekontext wie zeitgenössische Medialität hin untersucht. Denn unterschiedliche Medienwechsel und die Ordnungen des Kolonialarchivs bestimmen ebenso, was und wer «hörbar» ist, wie sie zugleich die Potentiale und Grenzen medienwissenschaftlicher Analyse markieren. Vor diesem Hintergrund plädiert der Beitrag für eine verantwortungsvolle Begegnung mit kolonialen Tondokumenten und ihren Stimmgeber*innen und fragt nach restitutiven Optionen.